Ehe-und-Familie-im Kulturvergleich - Pen-Kurd
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Ehe-und-Familie-im Kulturvergleich - Pen-Kurd
1 Ehe und Familie im Kulturvergleich Deutsche und Kurdische Frauen zwischen Tradition und Moderne Xunav Haco - Khonaf Hajo 2007 2 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung ....................................................................................3 2. Ehe und Familie in Deutschland ...............................................8 2.1 Definition von Ehe ......................................................................8 2.1.1 Historische Entwicklung von Ehevorstellungen .............9 2.1.2 Heutige Vorstellungen von Ehe in Deutschland ...........11 2.2. Definition von Familie ..............................................................14 2.2.1 Historische Entwicklung von Familienformen ..............16 2.2.2 Heutige Formen von Familien in Deutschland .............23 3. Ehe und Familie in der kurdischen Gesellschaft ...................25 3.1 Kurdistan – ein historischer Überblick ......................................26 3.1.1 Historische Entwicklung von Familie in Kurdistan ...............................................................................29 3.2 Ehe und Rolle der Frau im Islam ..............................................32 3.2.1 Rolle und gesellschaftliche Stellung der Frau in der kurdischen Familie ..........................................................36 3.3 Drei Generationen von Frauen seit 1920 .................................41 3.3.1 Erste Generation ..........................................................42 3.3.2 Zweite Generation .......................................................47 3.3.3 Dritte Generation .........................................................50 3.4 Kurdische Familien in der Migration in Deutschland ................53 3.4.1 Rolle der kurdischen Frau in der Migrationsfamilie ...................................................................58 4. Familienehre und Kulturkonflikt .............................................62 4.1 Vergleich von Ehrvorstellungen in der deutschen und kurdischen Gesellschaft ..........................................................62 4.1.1 Ehre in der deutschen Kultur .......................................62 4.1.2 Ehre in der kurdischen Kultur ......................................64 4.2 Zwangsheirat: Mythos und Realität? ........................................68 3 4.2.1 Gewalt im Namen der Ehre: Ehrenmorde ....................75 4.2.2 Maßnahmen gegen Zwangsheirat und Unterstützungsmaßnahmen für Betroffene ...........................75 4.3 Exkurs: Beitrag des Gendermainstreaming zur Migrationsforschung .................................................................80 4.4 Warum Familie? .......................................................................82 5. Fazit: Ehe und Familie im Kulturvergleich .............................84 6. Literaturverzeichnis .................................................................89 7. Anhang ....................................................................................100 7.1 Biographien 7.1.1 Biographie Behya 7.1.2 Biographie Dilxwaz 7.1.3 Biographie Stêr 7.1.4 Biographie Assos 7.2 Fragebögen 7.2.1 Umfrage zum Thema Heirat und Gleichberechtigung der Frauen 7.2.2 Umfrage zum Thema Heirat, Gleichberechtigung und Emanzipation 7.3 Auswertung der Fragebögen 7.3.1 Auswertung des Fragebogens zum Thema Heirat, und Gleichberechtigung der Frauen 7.3.1.1 Graphische Auswertung 7.3.1.2 Offene Fragen 7.3.2 Auswertung des Fragebogens zum Thema Heirat, Gleichberechtigung und Emanzipation 4 1. Einleitung Parallelgesellschaft, Kopftuch, Ehrenmord und Zwangsheirat sind Schlagworte, die sich derzeit in aller Munde befinden, jedoch in den Medien häufig reißerisch, unvollständig oder sogar falsch dargestellt werden. Nicht selten hat man das Gefühl, Journalisten und Politiker befassen sich auf eine erschreckend oberflächliche Art und Weise mit fremdkulturellen Phänomenen. Im Gegensatz dazu finden andere bedeutsame Fragen und Probleme, die bei der Integration von Migranten auftreten, wie Bildung, Analphabetismus und Arbeitslosigkeit, leider kaum Aufmerksamkeit. Das ist aus dem Grund bedauerlich, da gerade hier großes Potential zur Entwicklung konstruktiver Lösungsmöglichkeiten besteht. Im Folgenden wird Kultur als „gesamte Palette der typischen Lebensweisen einer Bevölkerung verstanden. Dazu gehört zum Beispiel der Umgang miteinander oder auch, was und wie wir essen und uns kleiden, welche Lebensziele wir entwickeln und wie wir sie zu erreichen versuchen” (Hecht-El Minshawi, 1992, S. 223). Kultur bezieht sich demnach auf alle Bereiche einer Gesellschaft, auf soziale ebenso wie auf politische, ökonomische und geistige. Kultur bildet ein Norm- und Struktur gebendes System, dessen Regeln die Menschen im Sozialisationsprozess erwerben und im individuellen Handeln umsetzen (vgl. Gomez Tutor, S.46). Wenn jemand gegen die üblichen Regeln in einer Kultur verstößt, wird die soziale Umgebung meist korrigierend darauf reagieren. Auf diese Weise kommt es zu Interaktionen innerhalb einer Gemeinschaft (vgl. Roth, S. 14). Es existieren innerhalb einer Gesellschaft aber auch kulturelle Differenzen zum Schichtzugehörigkeit. Beispiel Die je eine nach deutsche Geschlecht- und beziehungsweise kurdische Kultur gibt es demnach nicht. All das zeigt, dass Kulturen nicht statisch sondern dynamisch sind und sich innerhalb einer Kultur ständige Anpassungs- und 5 Wandlungsprozesse vollziehen. Zudem können in einer gemischten Gesellschaft wie in Deutschland die verschiedenen aufeinander treffenden Kulturen voneinander lernen und bestimmte Verhaltensweisen adaptieren. Auf diesen Aspekt wird im Verlauf dieses Buches an verschiedenen Stellen eingegangen. Persönlich fühle ich mich aufgrund meines eigenen Lebenslaufes, der mich vor 32 Jahren von Kurdistan nach Deutschland führte, migrationsbezogenen Inhalten, speziell kurdischen, sehr verbunden. Zusätzlich gewährt mir die langjährige Arbeit im Bochumer Süden, wo ich mich seit Anfang der 80er Jahre mit immigrierten Familien beschäftige und mich mit Gender-Problematiken auseinander setze, einen tiefgreifenden Einblick. Unter anderem soll dieses Buch einen Beitrag dazu leisten, das gegenseitige Verständnis der sehr unterschiedlichen deutschen und kurdischen Kultur zu fördern. Im Verlauf dieses Buches möchte ich kurdische Familien in ihrer Heimat, aber auch in der Migration darstellen, ihre Funktion, Normen und Werte erörtern und mit denen der deutschen vergleichen. Von besonderem Interesse ist für mich die Rolle der kurdischen Frau in Familie und Gesellschaft. Ein Ziel der Arbeit ist es somit, Differenzierungen in Bezug auf die unterschiedlichen Lebenslagen von Kurdinnen in der Migration aufzuzeigen. Hier spielen folgende Faktoren eine Rolle: welcher Einwanderungsgenerationen sie angehören, welche Herkunft sie haben und wie sie Vertreibung und Krieg erlebt haben. Die zentralen Fragestellungen hierzu lauten: Welche Parallelen existieren zwischen dem kurdischen und deutschen Verständnis von Gleichberechtigung, Emanzipation und Ehre? Warum haben Ehe und Familie bis heute einen so hohen Stellenwert, sowohl in der kurdischen als auch in der deutschen Tradition? Welchen Einfluss hat die kurdische Tradition auf die Rolle der Frau 6 in der heutigen Gesellschaft – sowohl in der Migration als auch in Kurdistan? Diese Fragen werden unter verschiedenen Gesichtspunkten, historischen sowie gegenwärtigen, untersucht. In der nachfolgenden Beschreibung des Aufbaus des Buches werden die jeweiligen Schwerpunkte der einzelnen Kapitel vorgestellt. In Kapitel 2 stelle ich Ehe und Familie in ihrer heutigen Ausprägung in Deutschland dar, gehe aber auch auf deren historische Entwicklungen ein, um nachzuzeichnen, wie die vielen heute nebeneinander existierenden Familienmodellen entstanden. Im darauf folgenden dritten Kapitel konzentriere ich mich auf kurdische Ehe- und Familientraditionen und gehe auf den Islam als zentrales wertstiftendes Bezugssystem ein. Im Vergleich zum christlichen Europa, gibt es im Nahen Osten eine wesentlich stärkere Fixierung auf religiöse Aspekte. Obwohl die Türkei beispielsweise ein säkularer Staat ist, sieht die Realität in den Medien und im alltäglichen Leben anders aus. Die Mehrheit der Bevölkerung richtet sich dort nach der Scharia, eine Sammlung islamischer und rechtlicher Gebote und Verbote zur Lebensführung im Diesseits (vgl. Kizilhan, S. 19). Da das Verständnis der kurdischen Kultur die Kenntnis der von Verfolgung und Unterdrückung gekennzeichnete Geschichte dieses Volkes voraussetzt, wird in diesem Kapitel zunächst ein kurzer historischer Abriss der politischen und gesellschaftlichen Veränderungen Kurdistans gegeben, um anschließend darauf einzugehen, wie die Familienstrukturen im Verlauf des letzten Jahrhunderts gewachsen sind. Dazu finden verschiedene Generationen von Frauen besondere Beachtung. Desweiteren behandelt dieses Kapitel, welchen Einfluss die Migration nach Deutschland auf kurdische Familien und ihre Traditionen hat. Ob sie als Gastarbeiter, als Flüchtlinge oder durch 7 Familienzusammenführung immigriert sind, das Leben im Exil bringt immer einen identitätsverändernden Einschnitt mit sich. Es wird beschrieben, wie sich die Generationen von Einwanderern unterschiedlich mit den Auswirkungen der Migration in eine moderne Gesellschaft und den damit zusammenhängenden Problemen auseinandersetzen. Kapitel 4 widmet sich ausführlich den Themen Ehre und Zwangsheirat und den daraus entstehenden Kulturkonflikt zwischen Deutschen und Kurden. Das westliche Verständnis von Ehre hebt die individuelle Würde eines Menschen hervor. Lange Zeit war der Ehrbegriff in Deutschland mit dem christlichen Glauben verbunden und wurde gleichgesetzt mit dem Respekt und Ansehen vor Gott. Dem gegenübergestellt wird der Ehrbegriff in der kurdischen Kultur, der die Basis für Normen und Werte in ihrer Gesellschaft bildet. Er bestimmt maßgeblich die Verhaltensregeln bezüglich der Kleidung, des Benehmens in der Öffentlichkeit und der Jungfräulichkeit. Zudem bezieht sich die Ehre nicht auf das Verhalten einer Person, sondern kann die Familie, die Dorfgemeinschaft, den Stamm oder das ganze kurdische Volk betreffen (vgl. Skubsch, S. 243). Während insbesondere bei Frauen auf ehrenhaftes Verhalten Wert gelegt wird, fällt ehrloses Verhalten auf Väter, Söhne, Brüder und Ehemänner zurück. Zum Thema Zwangsheirat wird gezeigt, dass traditionell arrangierte Ehen mitunter erzwungene Verbindungen sind. Innerhalb der kurdischen Gesellschaft werden generationsübergreifenden die dabei Interessenskonflikte auftretenden innerfamiliär ausgetragen und dringen nur selten nach außen. Erst wenn die Situation eskaliert und im Extremfall ein Ehrenmord begangen wird, werden einzelne Schicksale in den Medien bekannt und dramatisiert. Das hat zum einen zur Folge, dass die betroffene Familie stigmatisiert wird und zum anderen in der westlichen Welt das Bild entsteht, dass solche Szenarien alltäglich vorkommen. 8 Nicht zuletzt möchte ich in diesem Kapitel auch präventive Maßnahmen vorstellen und Wege aufzeigen, die dazu beitragen könnten, dass solche erzwungenen Ehen nicht geschlossen werden. In diesem Zusammenhang werden auch aktuelle ersten fünf Kapiteln Hilfsangebote dargestellt. Das Buch gründet sich in den schwerpunktmäßig auf eine ausgiebige Literaturrecherche. Hierbei ist jedoch anzumerken, dass zu den Themengebieten “Historische Entwicklung und Struktur der kurdischen Familie” und “Rolle der Frau in der kurdische Gesellschaft” kaum wissenschaftliche Dokumente vorhanden sind. Um die theoretischen Aussagen zu ergänzen, wurde eine Befragung von zwei Generationen kurdischer und deutscher Mitbürger in Bochum durchgeführt, die sich inhaltlich auf die Bereiche “Vorstellungen von Ehe und Familie”, “Ehre”, “arrangierte Ehen” und “Gleichberechtigung von Mann und Frau“ bzw. “Emanzipation der Töchter” erstreckt. Zur Gewinnung der Daten wurden zahlreiche Interviews mit deutschen und kurdischen Frauen und Männern durchgeführt. Dazu wurden Fragebögen entwickelt, die sowohl geschlossene als auch offene Antworten enthielten. Die gewonnenen Daten können nicht als repräsentativ angesehen werden, trotzdem ermöglicht diese kleinen Vorstudie einen Eindruck über die verschiedenen Vorstellungen von Mitgliedern der kurdischen und deutschen Gesellschaft in Bezug auf die oben genannten Themen. Die Interviews wurden durch Biographien von kurdischen Frauen aus drei Generationen ergänzt. Deren Schilderungen, Erlebnisse und Einstellungen werden im Verlauf dieses Buches verschiedentlich zur Illustration herangezogen und geben eine umfassende und authentische Darstellung der Lebenssituation von kurdischen Familien. Die einzelnen Biographien sind in diesem Buch nicht enthalten, sollen aber an anderer Stelle veröffentlicht werden. 9 2. Ehe und Familie in Deutschland Vorstellungen von Ehe und Familie hängen in hohem Maße vom kulturellen und historischen Kontext ab. Im Folgenden werden beide Konzepte einer genaueren Betrachtung unterzogen. Es wird gezeigt, wie im Laufe der Zeit Frauenrechte, Fortpflanzung und Kindererziehung einen anderen Stellenwert bekommen haben, Formen des Zusammenlebens vielfältiger geworden sind und sich infolgedessen die Bedeutungen von Ehe und Familie verändert haben. Nach einer Definition der Begriffe, werden die historische Entwicklung von Ehevorstellungen sowie Familienformen nachgezeichet und schließlich in ihrer heutige Ausprägung in Deutschland dargestellt. 2.1 Definition von Ehe Das Wort „Ehe" geht auf das althochdeutsche Wort „ewa" (Gesetz) zurück und bezeichnet eine sozial anerkannte und durch (Rechts-) Regeln gefestigte Lebensgemeinschaft von mindestens zwei Personen unterschiedlichen Geschlechts, welche ökonomische und sexuelle Rechte und Pflichten zwischen den betroffenen Personen beinhaltet und durch den Heiratsvollzug öffentliche Bestätigung erfährt (vgl. Magnus-Hirschfeld-Archiv für Sexualwirtschaft). Vergleicht man Vorstellungen von Ehe in verschiedenen Kulturen und historischen Zeitabschnitten miteinander, stellt man fest, dass diese erheblich variieren können. Neben der Monogamie, nämlich der Ehe zwischen einem Mann und einer Frau, unterscheidet man polygame Formen der Ehe. Hat ein Mann mehrere Frauen, spricht man von 10 Polygynie, hat eine Frau mehrere Männer, so bezeichnet man diese Eheform als Polyandrie (vgl. Hirschberg, S. 108). So unterschiedlich Vorstellungen von Ehe auch sein mögen, alle Formen haben die Gemeinsamkeit, dass eine Ehe immer eine Art öffentlichen und oft religiös anerkannten Vertrag umfasst. Die Modalitäten des Vertrages sowie sein Zustandekommen wiederum sind von der jeweiligen Kultur und deren Vorstellungen und Bestimmungen geprägt. Die Ehe kann einer stillen Vereinbarung entspringen oder bei einer Feierlichkeit öffentlich bekannt gegeben werden. Sie kann sich auch über das Paar und seine Nachkommen auf beide Familien, sogar auf die ganze Gemeinschaft erstrecken. Sie kann als dauerhaft betrachtet werden, aber auch in gemeinsamem Übereinkommen oder formloser Handlung beendet werden (vgl. Magnus-Hirschfeld-Archiv für Sexualwirtschaft). Ein Blick in die Geschichte verdeutlicht die Wandelbarkeit der Institution Ehe. 2.1.1 Historische Entwicklung von Ehevorstellungen in Deutschland Die monogame Ehe war seit jeher die weitaus am häufisten praktizierte Form der Ehe in Europa. Historisch betrachtet zeigt sich, dass es sich bei den Vertragspartnern jedoch nicht immer um Bräutigam und Braut alleine handelte, sondern weitere Familienmitglieder und deren Interessen eine entscheidende Rolle spielten, weshalb die meisten Ehen vorherbestimmt oder arrangiert wurden. Im frühen Mittelalter konnten ganze Stämme oder Nationen durch Eheverträge Bündnisse schließen. In der Regel ging dabei die Machtbefugnis über eine Frau vom Vater auf den Ehemann über. Die Braut war also nicht Vertragspartnerin, sondern eher Vertragsgegenstand, wobei ihre Wünsche und Rechte weitgehend unberücksichtig blieben. Ihr Los wurde erst durch den Einfluss der Kirche gewendet, die der Ehe einen religiösen Inhalt gab und sie zum Sakrament erhob. Nach 11 römischem Recht und dem christlichen Glauben konnte eine Ehe nur auf dem freiwilligen Einverständnis beider Partner begründet werden. Nachdem die Ehe den Charakter eines Sakraments bekommen hatte, lag ihr wesentlicher Inhalt nicht in ihrer formellen Bedeutung, sondern in der gemeinsamen Entscheidung beider Partner, durch sie zu „einem Fleisch" zu werden. Mit der Begründung „Was denn Gott zusammengefügt hat, soll der Mensch nicht scheiden" (Markus 10, 9) verbot die katholische Ehevorstellung die Scheidung. Eine Ehe dauerte lebenslang und endete mit dem Tod eines Partners. Nur unter konkreten Voraussetzungen konnte sie für nichtig erklärt werden. Diese Regelung stieß im Laufe der Zeit immer wieder auf Ablehnung. Insbesondere die protestantische Reformation des 16. Jahrhunderts wandte sich gegen die vorherrschende Auffassung, ebenso wie gegen viele andere katholische Dogmen. Nach Martin Luther war die Ehe „ein weltlich Ding", das in den Geltungsbereich der Regierung gehörte. Damit kehrte die protestantische Reformation wieder zum Konzept der Ehe als Zivilvertrag zurück und ermöglichte es auch Christen, sich gegebenenfalls scheiden zu lassen. Die Säkularisierung der Ehe wurde vor allem vom aufsteigenden Bürgertum begrüßt. Der Bürger lebte zunehmend in einer Welt rechtlicher und ökonomischer Beziehungen, die sich mit Verkauf, Übereignung, Verträgen und Vorschriften befasste und daher immer weniger Sympathie für mythische oder übernatürliche Gedanken hegte. Im 18. Jahrhundert schließlich brachte Kant die Sache in völliger Nüchternheit auf den Punkt und definierte die Ehe schlichtweg als „die Verbindung zweier Personen zum wechselseitigen Gebrauch der Geschlechtswerkzeuge" (vgl. Kant, Grundlegungen zur Metaphysik der Sitten). Die allmähliche Emanzipation der Ehe- und Scheidungsrechte und die Loslösung von der Kontrolle der Kirche brachten größere individuelle Freiheiten. Der Einfluss der Eltern auf die Partnerwahl der Kinder ging zurück, und die romantische Liebe wurde zum wichtigsten Faktor für die Heirat erklärt. Dennoch blieb die Ehe für die 12 meisten Paare bis weit ins 19. Jahrhundert im Kern eine ökonomische Angelegenheit. In der Regel war es der Ehemann, der daraus den größten Nutzen zog, denn er wurde das Oberhaupt der Familie, kontrollierte den Besitz seiner Frau und genoss überdies erhebliche sexuelle Freiheiten. Verständlicherweise wurden im Laufe des folgenden Jahrhunderts die Forderungen von Frauen nach Reformen immer lauter. Sie begannen einen Kampf um Gleichberechtigung und Selbstbestimmung, der bis in die heutige Zeit andauert. 2.1.2 Heutige Vorstellungen von Ehe in Deutschland Heute ist die Ehe von ihrem Beginn an bis zu ihrem Ende in allen Detailfragen gesetzesrechtlichen Regelungen unterworfen. Dem Gesetz nach müssen die Ehepartner volljährig sein, um eine Ehe schließen zu können. Das Familiengericht kann dies auf Antrag aussetzen, wenn ein Ehepartner volljährig ist und der andere das 16. Lebensjahr vollendet hat (vgl. BGB §1303, in: Stascheit, 2006, S. 857). Die Ehe beginnt mit der Aushändigung einer Urkunde durch eine staatlich beauftragte Institution (dem Standesamt), und nur von einem Beauftragten dieser Institution (dem Standesbeamten) kann eine gültige Ehe zwischen Deutschen geschlossen werden (vgl. ebd., 2006, S. 857). „Die Ehe wird auf Lebenszeit geschlossen. Die Ehegatten sind einander zur ehelichen Lebensgemeinschaft verpflichtet; sie tragen füreinander Verantwortung“ (BGB §1360, in: Stascheit, 2006, S.861). Sie müssen durch ihre Arbeit und mit ihrem Vermögen die Familie angemessen unterhalten (vgl. ebd., S. 863). „Die Ehe kann durch familiengerichtliches Urteil auf Antrag eines oder beider Ehegatten geschieden werden“ (vgl. BGB §§1564ff, in: Fachlexikon der sozialen Arbeit, 2002, S. 236). Die rechtliche Sicherheit und die Emanzipation der Frauen haben 13 grundlegende Veränderungen in der Bedeutung der Ehe bewirkt. In der Vergangenheit war es Frauen nicht erlaubt, Verträge abzuschließen, und sie wurden gesetzlich daran gehindert, Besitz zu verwalten, auch wenn sie ihn vor der Ehe erworben hatten. Inzwischen haben Frauen, durch bessere Ausbildung und größere ökonomische Selbständigkeit, ein höheres Maß an Unabhängigkeit von ihren Männern erlangt. Dies hat zu einer Reihe von Veränderungen in den traditionellen Geschlechtsrollen geführt. Viele Frauen sind heute berufstätig, machen selbst Karriere und verdienen nicht selten mehr Geld als ihre Ehemänner (vgl. Magnus-Hirschfeld). Infolge dieser Entwicklungen hat die Ehe heute eine völlig andere Bedeutung als noch vor einem Jahrhundert. Materielle Überlegungen sind in den Hintergrund getreten. Es sind eher sexuelle Anziehung und romantische Gründe, die Partner heute zur Eheschließung veranlassen, wobei letztere von der Medien- und Konsumindustrie intensiv bedient werden. Ebenso ist der Wunsch nach Nachwuchs nicht mehr notwendige Voraussetzung für eine Eheschließung. Durch die Entwicklung neuer zuverlässiger Verhütungsmethoden ist Fortpflanzung eine Angelegenheit freier Entscheidung geworden. Heute heiraten Männer und Frauen auch wenn sie keine Kinder haben wollen oder können. Sie suchen in der Ehe andere Werte, wie Liebe, Partnerschaft, emotionale Stabilität oder berufliche Zusammenarbeit, und es werden dagegen von Seiten des Gesetzes keinerlei Einwände erhoben. Die gleichen Gründe für eine Eheschließung sollten inzwischen auch von Partnern gleichen Geschlechts genannt werden. Wenn man unfruchtbaren heterosexuellen Ehepaaren die Ehe gestattet, erscheint es nicht länger gerechtfertigt, dieses Recht homosexuellen Paaren zu versagen. Romantischen Idealen zum Trotz, entscheiden sich dennoch viele Paare dagegen, bis an ihr Lebensende zusammen zu leben. Vielen erscheint die Forderung, über mehrere Jahrzehnte in strikter Monogamie zu verbringen, als schwer erfüllbar. Liberalere sexuelle Moralvorstellungen sowie die verhältnismäßige Einfachheit von 14 Scheidung und Wiederverheiratung haben zu einem Anstieg der so genannten „seriellen Monogamie“ geführt. Scheidungsgesetze, die eine finanzielle Absicherung trotz Auflösung der Beziehung versprechen, mögen die Häufigkeit von Scheidungen zusätzlich begünstigen. In Deutschland haben Scheidungsziffern in der Vergangenheit ständig zugenommen. Sie geben Zeugnis davon, dass Männer wie Frauen zunehmend den Wert individueller Lebensplanung und persönlichen Glücks in ihrem privaten Leben über die Aufrechterhaltung einer als traditionell empfundenen Einrichtung stellen. Aus diesem Grund ist es nicht verwunderlich, dass viele Männer und Frauen auf eine formelle Anerkennung von Anfang an verzichten. Stattdessen entscheiden sie sich für ein Zusammenleben ohne Trauschein in einer eheähnlichen Gemeinschaft oder gehen von vorneherein Partnerschaften und Liebesbeziehungen mit geringerer Verbindlichkeit ein (vgl. Statistisches Bundesamt, 2005, S.7). Sich von einem (Ehe-)Partner zu trennen, um mit dem nächsten „Lebensabschnittsgefährten“ zu leben, ist weit verbreitete Praxis geworden. Prominente Personen aus dem Öffentlichkeitsleben (wie z.B. der ehemalige Bundeskanzler Gerhard Schröder oder der ehemalige Außenminister Joschka Fischer) haben durch wiederholten Partnerwechsel kaum Schaden für ihren Ruf zu befürchten und sind damit ein Beleg für diese Trendwende. Bei aller Freiheit ist die Ehe dennoch nicht komplett bedeutungslos geworden. Sie verspricht Privilegien, die sie in vieler Hinsicht deutlich von nichtehelichen Verbindungen unterscheidet. Insbesondere von staatlicher Seite wird die Ehe nach wie vor als förderungswürdig und schützenswert betrachtet, wie die im deutschen Grundgesetz verankerte Bevorzugung und Subventionierung der Lebensform Ehe auf allen Ebenen belegt (vgl. Grundgesetz, Artikel 6, Absatz 1). De facto sind unverheiratete Paare nur in wenigen Ländern verheirateten gleichgestellt, wie zum Beispiel in Skandinavien und in den Niederlanden. Paare, die in Deutschland ohne Trauschein zusammenleben, müssen mitunter erhebliche Nachteile hinnehmen, 15 so beispielsweise im Bezug auf Steuer-, Erb- oder Einwanderungsrecht. Die rechtliche Bevorzugung von ehelichen Partnerschaften zeigt, dass die Ehe nicht nur privaten und persönlichen Bedürfnissen dient, und dass sie nicht allein zum Wohl der Eheleute besteht, sondern auch die Gesellschaft als Ganzes ein offenkundiges Interesse an ihr hat. 2.2 Definition von Familie in Deutschland Es gibt keine einheitliche Definition von Familie, weder im Alltagsverständnis noch in der Wissenschaft. Vorstellungen von Familien unterliegen einem ständigen Wertewandel und sind vom Zeitgeist ebenso wie von den kulturellen Rahmenbedingungen geprägt. Ursprünglich bezeichnete das Wort „Familie" (von lat. famulus: Haussklave) eine Gruppe von Sklaven, die einem Mann gehörten. In Erweiterung des Begriffs waren dann später alle Personen gemeint, die von einem Mann abstammten oder abhängig waren beziehungsweise alle Personen, die im Haushalt eines Mannes lebten, wie Sklaven, Frauen, Kinder, Eltern, Großeltern, andere nahe und entfernter Verwandte, Freunde und Gäste. Diese Bedeutungen waren lange Zeit noch sehr lebendig. Bis weit in die Renaissance hinein benutzte man das Wort „Familie“ noch, um sowohl die Dienerschaft oder das Gefolge eines Adligen als auch eine Gruppe Blutsverwandter oder eine Gruppe zusammenlebender Menschen zu bezeichnen. Erst im 16. und 17. Jahrhundert wurden die zwei letztgenannten Bedeutungen zusammengefasst, um damit ein neues soziales Phänomen zu beschreiben: eine geringe Anzahl naher Verwandter, die zusammen unter einem Dach wohnt und die eine enge emotionale Beziehung zueinander hat. Im frühen 19. Jahrhundert hatte diese Bedeutung alle anderen verdrängt. Seither bezieht sich der Begriff meist auf eine enge Hausgemeinschaft aus Eltern und ihren Kindern (vgl. Magnus-Hirschfeld-Archiv für Sexualwirtschaft). Eine solche semantische Verschiebung findet sich sowohl beim deutschen Wort „Familie" als auch im romanischen 16 Sprachgebrauch in den Wörtern „famille“ oder „famiglia“. Heute bezeichnet Familie, im soziologischen Sinne wie im Alltag, unterschiedliche Aspekte und Konstellationen einer sozialen Lebensform, die mindestens Kinder und Eltern (bzw. einen Elternteil) umfasst (also auf Verwandtschaft beruht) und einen dauerhaften und im Innern durch Solidarität und persönliche Verbundenheit und nicht durch einen Vertrag charakterisierten Zusammenhang aufweist (vgl. Fuchs-Heinritz et al., 1995, S. 197). Eine kurze Definition von “Familie” könnte lauten: Familie ist eine “Lebensgemeinschaft von Menschen unterschiedlicher Generationen, die in einem (auch biologisch, rechtlich oder sozial) begründeten Nachkommenschaftsverhältnis zueinander stehen“ (Fachlexikon der sozialen Arbeit, 2002, S. 312). Viele andere Merkmale dessen, was gemeinhin als Familie gilt, hingegen sind soziokulturell variabel, wie etwa die gemeinsame Wohnform, Zugehörigkeit zu einer gemeinsamen Verwandtschaftslinie, gemeinsame Produktion oder gemeinsame Konsumtion (vgl. Fuchs-Heinritz et al, 1995, S. 197). Um der Komplexität heutiger Lebensformen Rechnung zu Tragen definiert das Statistische Bundesamt für den Mikrozensus 2005 „Familie“ wie folgt als: „alle Eltern-Kind-Gemeinschaften, d.h. Ehepaare, nichteheliche und gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften sowie allein erziehende Mütter und Väter mit ledigen Kindern im befragten Haushalt. Einbezogen sind in diesen (statistischen) Familienbegriff – neben leiblichen Kindern – auch Stief-, Pflege- und Adoptivkinder” (Statistisches Bundesamt, 2005). Diese Definition macht deutlich, dass die im deutschen Sprachraum spontane Vorstellung von Familie als eine statische Wohneinheit, bestehend aus Mutter, Vater und Kindern, von der Realität überholt ist. Alle möglichen Personenkonstellationen – ehelich oder nicht, gleichgeschlechtlich oder nicht, blutsverwandt oder nicht – können unter dem Begriff „Familie“ zusammengefasst werden. Die Definition 17 zeigt auch, dass keine bestimmte Form, kein Ideal der Familie vorausgesetzt werden kann, sondern mit vorliegenden Tatsachen ein pragmatischer Umgang gefunden werden muss. Der nachfolgende Blick in die Geschichte demonstriert, dass Familien auch schon zu früheren Zeiten dynamische Systeme gewesen sind, die sich durch Veränderung und Anpassung von innerfamiliären Strukturen auf die sie umgebene Umwelt einstellten und somit fortlaufenden Veränderungen unterworfen waren. Im Folgenden werden die Merkmale der traditionellen Großfamilie und der modernen Kleinfamilie detaillierter dargestellt. 2.2.1 Historische Entwicklung von Familienformen in Deutschland Historisch betrachtet gab es in Europa eine ganze Reihe von Familienformen. Wenn man die geschichtliche Entwicklung der Institution Familie zurückverfolgt, kann man Umbrüche feststellen, die nicht nur die Familie als solche betrifft, sondern insbesondere den gesellschaftlichen Rahmen, in den sie eingebettet ist. Das Modell Familie als Lebensform ist zwar erhalten geblieben, jedoch haben sich ihre Struktur und Funktionen innerhalb der Gesellschaftsordnung verändert, ebenso wie sich die Rolle der Frau und ihre Rechte und Pflichten gegenüber der Familie gewandelt haben. Verändert hat sich im Laufe der Jahrhunderte auch die Familiengröße. Der Begriff „traditionelle Familie“ wird häufig gleichgesetzt mit dem Begriff “Großfamilie“. Die Großfamilie umfasste mehrere Generationen, bei der die Söhne jeweils mit ihren Frauen, Kindern und Enkelkindern nicht nur zu Lebzeiten des Vaters unter dessen Herrschaft blieben, sondern auch nach dessen Tod nicht auseinander gingen (vgl. Hettlage, 1992, S. 49). In diesem Zusammenhang spricht man häufig von der Sozialform „Ganzes Haus“ oder „Große Haushaltsfamilie“, die vor der westlichen Industrialisierung in ländlichen Gegenden am meisten verbreitet war (vgl. Rerrich, 1988, S. 31). Diese Hausgemeinschaft hatte ihre Wurzeln in einem 18 wirtschaftlichen und sozialen Nutzungs- und Versorgungsnetz. Das ganze Haus hatte viele gesellschaftliche Funktionen, wie Produktion, Konsumtion, Gesundheits- und Altersvorsorge und Sozialisation. Dem Hausvater des ganzen Hauses unterstanden nicht nur die Familienmitglieder, sondern auch Knechte, Mägde, Gesellen und Lehrlinge, die zum Hausverband dazugehörten. Die Familie galt als Wirtschaftseinheit, die auf einem festen Gebäude von Traditionen, Regeln, Rechten und Pflichten aufgebaut war. Sie diente zur Stabilisierung des bestehenden Gesellschaftssystems und war einer starken öffentlichen Kontrolle unterworfen. Je nach Schichten- und Klassenzugehörigkeit, galten allgemeinverbindliche Moralvorstellungen und Handlungszwänge, die von der Kirche, dem Staat, den Zünften, den Lehnsherren und der Notwendigkeit der Güterbeschaffung geprägt waren (vgl. Rerrich, S. 32ff). Das Leben in einer solchen Familie hatte große Vorteile. Menschen wussten, wo sie hingehörten und was man von ihnen erwartete. Sie aßen, tranken, schliefen, lernten, arbeiteten und spielten gemeinsam unter einem Dach. Von Geburt an bis zum Tod waren sie Teil eines organischen Ganzen. Sie wuchsen unter vertrauten Personen auf und wurden mit ihnen alt. Sie arbeiteten für ein gemeinsames Ziel, teilten Freuden und Sorgen miteinander. Wenn die Kräfte nachließen, wurde man unterstützt und versorgt. War man krank oder hilfsbedürftig, fand man Fürsorge und Pflege. Die Mitglieder eines solchen Haushalts waren demnach selten einsam, ihr Leben hatte immer einen festen Bezugspunkt. Dieses Gefühl der Sicherheit ist es, das heute die Großfamilie so erstrebenswert erscheinen lässt (vgl. Magnus-Hirschfeld-Archiv für Sexualwirtschaft). Historische Studien haben jedoch gezeigt, dass dieses „Miteinander" nicht unbedingt zu wirklicher emotionaler Verbundenheit führte (vgl. Peuckert, S. 20f). Die Hauptfunktion des großen Haushalts war ökonomischer Art und ließ wenig Raum für Zärtlichkeit und Sentimentalität. Individuellen Bedürfnissen und Interessen wurde wenig Beachtung geschenkt. Schließlich hatten schon die Eltern nicht aus Liebe geheiratet, sondern aus materiellen, praktischen Gründen. 19 Ob eine Familie zustande kam oder nicht, hing nicht in erster Linie von Gefühlen ab, sondern von der Zweckmäßigkeit einer Verbindung. Eine Ehe sollte standesgemäß und zur Fortführung und Erhaltung der Familientradition förderlich sein. Der Partner wurde nach ökonomischen Gesichtspunkten wie beispielsweise der Mitgift oder der Arbeitskraft ausgewählt. Darüber hinaus war der Status der Frau niedriger als der des Ehemannes, dessen Wünsche und Interessen immer Vorrang hatten. Eine gewisse Anzahl von Kindern wurde zur Mitarbeit im Geschäft für wichtig erachtet, die Eltern widmeten ihnen jedoch wenig Zeit. Sie wurden von Ammen oder Dienern großgezogen und früh als Lehrlinge aus dem Haus gegeben. Häufig wurden Kinder vernachlässigt, und die Säuglings- und Kindersterblichkeit war hoch (vgl. Magnus-Hirschfeld-Archiv für Sexualwirtschaft). Wirklich intime und emotionale Nähe zwischen den Familienmitgliedern entwickelte sich erst nach und nach mit der Entstehung des bürgerlichen Mittelstandes und dem zunehmenden Einfluss seiner Wertbegriffe. Das Bürgertum, das mit seinem Rückzug in die Privatsphäre das neue Ideal des wärmenden, idyllischen Heims geprägt hatte, lebte das vor, was im Zuge der Industrialisierung immer mehr Verbreitung fand: den Übergang von der Großfamilie zur modernen Kleinfamilie. Für die Mehrheit der Bevölkerung bedeutete die Ausbreitung der kapitalistischen Produktion in zunehmendem Maße eine Trennung von Arbeitsplatz und Wohnstätte. Aus dem ehemals einen Lebensbereich wurden zwei räumlich verschiedene. Auch die Veränderung im politischen, sozialen und wirtschaftlichen Bereich führte zu einer veränderten Lebenssituation der Menschen. Die Familie wurde zu einem Ort, von dem die Öffentlichkeit ausgeschlossen wurde, und entzog sich damit weitestgehend der öffentlichen Kontrolle. Es entstand Raum für hohe Gefühlsanbindungen, Zuflucht und Erholung. Die Familie erhielt Privatsphäre. Der Gewinn an Autonomie durch die Loslösung von der Institution 20 “Ganzes Haus” brachte eine Neuorientierung der Rollenverteilung von Mann und Frau mit sich. Der Mann bekam die Rolle des Ernährers und die Frau wurde hauptverantwortlich für den innerfamiliären Bereich (vgl. Peuckert, S. 22). „Die drei großen K: Kirche-Küche-Kinder, die als Lebenswelt der Bürgersfrau gepriesen und gescholten werden, beginnen Anfang des 19. Jahrhunderts ausschließliche Bedeutung zu erlangen” (WeberKellermann, 1978, S. 102). Die umfangreichen Pflichten der ehemaligen Hausmutter reduzierten sich auf die Aufgaben der “Nur-Hausfrauen”. Innerhalb des Hauses jedoch hatten Frauen das Sagen. In diesem Sinne formulierte Goethe den Rat: „Dienen lerne beizeiten das Weib nach ihrer Bestimmung; denn durch Dienen allein gelangt sie endlich zum Herrschen, zu der verdienten Gewalt, die doch ihr im Hause gehöret“ (Goethe, zitiert nach Weber-Kellermann, 1978, S. 103). Mit dem Rückzug in das häusliche Leben veränderte sich auch die Rolle der Mutter, der Erziehungsanspruch und die Beziehung zu den Kindern. Während Erziehungsaufgaben zuvor an Großmütter, Kindermädchen, Ammen und Diener abgetreten werden konnten, waren Mütter fortan die einzigen Bezugspersonen der Kinder. Kinder galten nicht länger als potentielle Arbeitskräfte und kleine Erwachsene, sondern Kindheit wurde zu einer eigenständigen, anerkannten Lebensphase. Der Unterhalt der Familie wurde nicht mehr im Hause, sondern draußen verdient. Die meiste Zeit des Tages verbrachten Männer von ihren Familien getrennt als Lohnempfänger in Fabriken oder als Angestellte in Läden und Büros. Die einzigen Männer aus der Mittelschicht, die noch zu Hause arbeiteten, waren Ärzte oder Rechtsanwälte mit privater Praxis. Auf diese Weise blieb die Arbeit 21 der Männer für die daheim gebliebenen Frauen und Kinder oft völlig abstrakt. Im 19. Jahrhundert, als der Kult der bürgerlichen Familie seinen Höhepunkt erreichte, wurde auch die Kritik an dieser zunehmend lauter. In der traditionellen Großfamilie hatten Kinder sich an verschiedenen männlichen und weiblichen Erwachsenenrollen orientieren können, nun hatten sie nur noch ihre Eltern als Vorbilder. Der Vater stand dabei oft gar nicht mehr zur Verfügung. Da er nun nicht mehr zu Hause arbeitete, wurde seine soziale Rolle den Kindern nicht mehr deutlich. Er wurde schlicht zum „Ernährer" und Ordnungshüter, blieb aber eine ferne Autoritätsfigur. Manchmal wurde er geliebt, häufig gefürchtet, aber selten verstanden. Seine Ehefrau, die Mutter, sah sich mehr denn je eingeschränkt. Zunehmende mütterliche Verpflichtungen begrenzten sie immer mehr auf die eigenen vier Wände. Nur zum Kirchgang oder zum Einkaufen konnte sie sich ins Freie begeben. Ihre Welt wurde eng, ihre Funktionen waren klar umschrieben. Sie hatte sich weiblich, mütterlich und gefühlvoll zu geben und in allen wichtigen Angelegenheiten ihren Mann zu fragen (vgl. Magnus-Hirschfeld-Archiv für Sexualwirtschaft). So wird verständlich, dass Frauen im 19. Jahrhundert anfingen, sich den mit der Kleinfamilie einhergehenden Beschränkungen zu widersetzen. Sie begannen immer lauter Gleichberechtigung zu fordern und kämpften Scheidungsgesetze. Sie für Wahlrecht nahmen und auch neue Ehe- und zunehmend am Arbeitsprozess teil. Schließlich stellten sie im Ersten Weltkrieg ihre Fähigkeiten unter Beweis, indem sie viele, bis dahin für sie unzugängliche, Arbeiten übernahmen. Dadurch emanzipierten sie sich zunehmend von ihrer bis dahin gültigen Rolle als Hausfrau. Der Nationalsozialismus leitete eine neue Epoche der Familienideologie ein. Er verordnete den Frauen „den totalen Rückzug hinter die Grenze einer mühsam errungenen Selbstständigkeit“ und erklärte sie zur „Gebärerin zahlreicher Kinder“ und als „Hüterin der Herdflamme“ (vgl. Weber-Kellermann, 1991, S. 35). Damit schienen alle Freiheiten zurückgenommen, die sich 22 Frauen mühsam erkämpft hatten. Die Mutter sollte als geistiger Partner, als selbständige Bürgerin ausgeschaltet werden. Die Rollenverteilung sah den Vater als politisch tätige und arbeitende Autorität vor, während die Frau nur eine den Haushalt führende und gebärende Mutter war. In dieses Schema wurden die Kinder hineingeboren und erzogen und so von vornherein einem Autoritätsbegriff unterstellt, der auf das gesamte politische System übertragbar war. Der Krieg allerdings erzwang andere Konsequenzen und erforderte die Berufstätigkeit der Frauen in einem quantitativ sehr hohen und qualitativ sehr umfassenden Maße. Er erlegte den Frauen oftmals unfreiwillig die Erprobung ihrer Fähigkeiten als verantwortlicher Haushaltungsvorstand in schwierigsten Situationen auf. Damit wurde das autoritäre Familienmodell der Nationalsozialisten weitgehend zerstört, noch ehe es sich in allen Einzelheiten durchgesetzt hatte (vgl. Weber-Kellermann, 1978, S. 185). Durch die grundlegende Weltkrieg und der Neuorientierung nach damit einhergehenden dem Zweiten Neuformulierung gesellschaftlicher Normen und Werte wurden die herkömmlichen Strukturen und traditionellen Geschlechterrollen in Frage gestellt und neue Möglichkeiten eröffnet (vgl. Rerrich, S. 92). Der durch das Wirtschaftswunder hervorgerufenen der fünfziger Wohlstand und und sechziger steigende Jahre Lebensstandard, zusammen mit dem gleichzeitig abnehmenden Einfluss der Kirche, schuf neue Möglichkeiten für eine Loslösung von alter Tradition hin zu einer individualisierten Lebensgestaltung (vgl. ebd., S. 86). Die Bildungsreform stellten traditionelle Leitbilder infrage und half der nachwachsenden Generation bei der Formulierung neuer Ziele und Werte, während zur gleichen Zeit die Medienrevolution das reformerische Gedankengut einer breiten Öffentlichkeit zugänglich machte. Sexuelle Aufklärung und neue Methoden der Verhütung machten Frauen unabhängiger in ihrer Familienplanung und der Sozialstaat begünstigte das Bestreben nach Persönlichkeitsentwicklung und Selbstentfaltung seiner Bürger (vgl. 23 ebd., S. 94). Eine grundlegende und umfassende Infragestellung von Ehe und Familie initiierte die Studentenbewegung der sechziger Jahre. Mit der Kritik am bürgerlichen Staat und am Kapitalismus, die die Arbeiter und die Dritte Welt ausbeuten und Frauen in ihrer Selbstentfaltung behindern, entwickelte sich eine zunehmend fundamentalistische Kritik an der Institution Familie. Die ersten in der Praxis gelebten alternativen Lebensformen waren die Kommunen, in denen das Kleinstkollektiv Familie auf ein großes Kollektiv erweitert wurde, das aus einer unterschiedlich großen Anzahl von Personen bestand, die in unterschiedlichen Beziehungen zueinander standen. Ihre gemeinsame Zielsetzung war die Befreiung von der bürgerlichen Ideologie und ihren Lebensformen (vgl. Rerrich, S. 94). Die Hausarbeit wurde nicht mehr allein von den Frauen erledigt, sondern gleichermaßen von beiden Geschlechtern. Individuelle Bedürfnisse sollten nicht unterdrückt sondern ausgelebt werden, auch wenn es sich um sexuelle Bedürfnisse hinsichtlich mehrerer Partner oder Homosexualität handelt. Mit der sich entwickelnden Frauenbewegung präsentieren Frauen nun öffentlich eine neue Zärtlichkeit unter Frauen, die Lesbengruppen. Ebenso entstanden Männergruppen, mit Hilfe derer die Männer sich von ihrer ehemaligen Rolle in der traditionellen Familie zu emanzipieren versuchten. Kinder, die in diesen Lebensformen geboren wurden, sollten sich nicht, wie in der traditionellen Familie, ausschließlich auf ihre Eltern fixieren, sondern ihre Sozialisation sollte von einer Vielzahl von Zuwendungen geprägt werden. Die gesamte Erziehung in der traditionellen Familie wurde als unterdrückerisch angesehen. Auch bei einem kleinen Kind sollte der eigene Wille respektiert werden, und die Strafe wurde als Erziehungsmittel abgelehnt. Eltern und andere Sozialisationsinstanzen gaben ihre autoritäre Rolle auf (Vgl. ebd., S. 11), die antiautoritäre Erziehung entwickelte sich zu einem pädagogischen Konzept. Viele dieser Ideen müssen im Kontext eines bestimmten Zeitgeistes verstanden werden und haben im Laufe der Jahre an Radikalität 24 verloren. Die zentralen Themen der damaligen Debatten – Auslebung sexueller Neigungen, Wahl der Lebens- und Wohnformen oder Erziehungsmethoden – sorgen jedoch nach wie vor für reichlich Diskussionsstoff und begleiten Männer wie Frauen auf der Suche nach ihrem individuellen Lebensentwurf. 2.2.2 Heutige Formen von Familien in Deutschland Seit mehr als einem Jahrhundert erleben wir, abhängig von der Schichtzugehörigkeit, in einem unterschiedlichen Tempo den zunehmenden Übergang von einem normbestimmten zu einem selbstbestimmten Verhalten. Der voranschreitende Individualisierungs- und soziale Differenzierungsprozess, eröffnet dem Einzelnen eine immer größere Vielfalt an Auswahl- und Entscheidungsmöglichkeiten für die eigene Lebensgestaltung. Begünstigt wird dies durch den sozialen Wertewandel, durch den traditionelle Pflicht- und Akzeptanzwerte immer mehr an Bedeutung verlieren, während Selbstentfaltungswerte und die Planung eines individuellen Lebensentwurfes immer höher eingestuft werden. Waren traditionelle Familien und Kommunen einst konkurrierende Modelle, so existieren heute mehrere Lebensformen nebeneinander. Es gibt Familien verschiedener Größe und Zusammensetzung neben Singlehaushalten und alternativen Wohnformen, wie Wohngemeinschaften und gleichgeschlechtliche Partnerschaften. Viele Funktionen innerhalb der Familie haben sich verändert. Während Familien früher meist Produktionseinheiten waren, wo jeder zum gemeinsamen Handel oder Geschäft beitrug, sind sie heute in der Regel nur noch Konsumtionseinheiten. Die Familienmitglieder leben und essen miteinander, kaufen den täglichen Bedarf gemeinsam ein, sie gehen jedoch ansonsten ihre eigenen Wege. In vielen Familien sind beide Ehepartner berufstätig und die Kinder verbringen täglich einen Großteil der Zeit außer Haus in Krippen, Kindertagesstätten, Kindergärten und Schulen. Nach diesen Schulstunden sollte dafür gesorgt sein, dass sie ihre Freizeit in 25 Jugendclubs, beim Spielen auf der Straße oder auf Sportveranstaltungen zubringen können. Gleichzeitig wird Kindern in der Regel mehr Mitspracherecht innerhalb familiärer Entscheidungsprozesse eingeräumt denn je zuvor. Großeltern, kranke oder behinderte Verwandte dagegen leben nur noch selten mit in der Familie. Sie sind in Alters- oder Pflegeheimen untergebracht und beziehen Renten oder staatliche Unterstützungen. Die finanziellen und moralischen Verpflichtungen der Familie ihnen gegenüber sind also stark zurückgegangen. Im Zuge dieser Entwicklungen haben die Begriffe „Vater“, „Mutter“ und „Kind“ ihre ursprünglich eindeutig festgelegte Bedeutung verloren. Heute gibt es die biologische Mutter, die Leihmutter, die neue Partnerin oder Lebensgefährtin des Vaters, die aber de facto die Mutterrolle übernommen hat (vgl. Nave-Herz, 1994). Daneben existiert eine große Anzahl von Familien, in denen die Mutter oder der Vater die Kinder alleine erziehen, ebenso wie es gleichgeschlechtliche Kinderwunsch Paare verzichten. Scheidungsrate “Patchworkfamilien“ gibt, Zudem immer mehr genannt die nicht mehr auf ihren entstehen durch die hohe Stieffamilien, werden, und in die auch denen Kinder unterschiedlicher Herkunft leben. Die Liberalisierung der Namensgebung unter anderem spiegelt das Neudenken familiärer Beziehungen wieder. Während in der traditionellen Familie auch per Gesetz die Frau den Namen des Mannes annehmen musste, können heute beide Partner ihren Namen behalten, sich einen gemeinsamen Familiennamen zulegen oder eine Konstruktion von Doppelnamen wählen (vgl. §1355 BGB). Neben dem Leben in Kleinfamilien, gibt es verschiedenste Versuche, alternative Wohn- und Lebensformen zu verwirklichen und alternative Familienmodelle zu erproben. Dabei ist die Bereitschaft zum Experiment nicht neu, sie ist jedoch in der jüngeren Geschichte deutlich verbreiteter und variantenreicher als je zuvor. Immer größerer Beliebtheit erfreuen sich in Deutschland so genannte Wohngemeinschaften, mit denen das freiwillige Zusammenleben 26 mehrere unabhängiger Personen bezeichnet wird, die sich gemeinsam eine Wohnung teilen. Die Wahl für ein solches Zusammenleben kann aus Kostengründen geschehen, oder aber dem Wunsch entspringen, seinen Alltag jenseits familiärer Hierarchien und Verpflichtungen mit Gleichberechtigten zu gestalten und dennoch nicht alleine zu leben. Für welches Lebenskonzept sich der Einzelne auch entscheiden mag, im Prinzip sind heute den persönlichen Bedürfnissen und Entfaltungsmöglichkeiten – mit oder ohne Familie – kaum noch Grenzen gesetzt. 3. Ehe und Familie in der kurdischen Gesellschaft Zunächst wird in diesem Kapitel ein historischer Überblick über die politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen Kurdistans gegeben. Dies ist an dieser Stelle notwendig, um darzustellen, unter welchen Bedingungen die kurdische Bevölkerung gelebt hat und lebt. Zu diesem Zweck wird auf gesellschaftliche, politische und religiöse Dimensionen eingegangen. Daran schließt sich eine nähere Betrachtung der traditionellen Ehe und des Familienlebens in der islamischen Kultur an. Abschließend wird das familiäre Leben in der Migration in Deutschland unter geschlechtsspezifischen Aspekten dargestellt. Heute leben etwa 35 bis 40 Millionen Kurden auf der Welt, in einem relativ geschlossenen Siedlungsgebiet aber ohne eignen Staat (vgl. Meyer-Ingwersen, 1995, S. 310). Anteilig davon leben circa 18 bis 20 Millionen Kurden in der Türkei und 8 bis 10 Millionen im Iran. Weitere Länder, in denen Kurden leben, sind der Irak, Syrien, westeuropäische Länder und andere. Die Grenzen zwischen den Staaten Türkei, Irak, Iran und Syrien verlaufen mitten durch das geographische Gebiet “Kurdistans“. Sie trennen Menschen gleicher 27 Sprache und Herkunft, teilweise zerschneiden sie willkürlich historisch gewachsene Stammesgebiete. “Kurden in Kurdistan leben als misstrauisch beobachtete Fremde im Hinterhof eines jeweiligen Staates, der von ihnen strikte Loyalität verlangt, sie aber als Kurden ausgrenzt” (Meyer-Ingwersen). Hierdurch werden Spannungen ausgelöst, die häufig zu Militäreinsätzen, Aufständen, Vertreibung und Zwangsumsiedlung führen. Das Verhältnis von Widerstand und Unterdrückung bedingt diese Zustände (vgl. ebd.). Der Journalist Frank Viviano erklärt hierzu: “Auf meiner Reise treffe ich nicht eine einzige Familie, die nicht irgendwann in den letzten 20 Jahren von ihrem Zuhause fliehen musste; nicht einen Bauern, der nicht miterleben musste, wo sein Dorf bombardiert oder mit Granaten beschossen wurde; nicht einen Menschen, der keine Geschichte über Angriffe mit Chemiewaffen, über Folter und Hinrichtung unter Saddam Hussein erzählen konnte” (Viviano in National Geographic, S. 36ff). Die Kurden haben eine eigene Sprache, die zu den westiranischen Sprachen zählt und zur indoeuropäischen Sprachfamilie gehört. Sie teilt sich auf in eine Vielzahl von Dialekten (vgl. Hennerbichler, 1988, S. 30ff). Die Kurden nennen ihre Sprache Kurmancî (Kurmandji). Hauptsächlich werden vier Dialekte (Nordkurmanci, Mittelkurmanci, Südkurmanci und die Gorani-Zazayi-Gruppe) gesprochen (vgl. Hajo, 1994, S. 76). 3.1 Kurdistan – ein historischer Überblick Über den Herkunftsursprung der Kurden ist wissenschaftlich wenig erforscht. Das Land der Kurden ist ein uralter Heimatbegriff, nachweisbar seit mehr als 4000 Jahren. Ein Land der Kurden war lange schon populär, noch bevor Seldschuken im Mittelalter (ab dem 11. Jahrhundert) den heute noch gebräuchlichen Heimatbegriff Kurdistan in Umlauf brachten (vgl. Hennebichler, S. 25). Kurden hielten sich lange vor der Einwanderung der Türken in Kleinasien auf. Sie lebten noch vor der Arabisierung von Syrien und dem Irak dort. 28 “Ab 641 n. Chr. sind die Kurden mit der gewaltsamen Ausbreitung des Islam konfrontiert, die nach und nach nahezu alle Kurden annehmen. Die Herrschaft des Islam ist gleichzeitig mit Arabisierungstendenzen verbunden“ (Meyer Ingwersen, 1995, S. 310). Weitere 500 bis 1000 Jahre später haben sie in Fürstentümern und Erbdomänen gelebt. Sie waren zu der Zeit autonom, haben in Frieden gelebt und eine eigene Zivilisation mit eigener Sprache und eine reiche nationale Kultur in Kurdistan entwickelt (vgl. Kendal, 1994, S. 33ff). Im Jahr 1555 kam es zum Frieden von Amasya, der die Grenzen zwischen dem safavidischen Persien und dem osmanischen Reich absteckte. Dies war die erste Teilung Kurdistans (vgl. MeyerIngwersen, S.311). Kurden aus Mesopotamien und Anatolien wurden dem osmanischen Reich zugesprochen und die, die weiter östlich davon leben, zählten ab diesem Zeitpunkt zum Iran. Im ersten Weltkrieg löste sich das osmanische Reich auf, und es fand eine zweite Aufteilung Kurdistans auf die Mittelmächte Frankreich, England und Italien statt (vgl. ebd., S. 312). Im Zuge dessen entstanden die Staaten Irak, Syrien und Türkei. Am 22.Januar 1946 wurde die Gründung der „Demokratischen Republik Kurdistan“ in Mahabad unter Qazi Mohammad als zukünftigen Präsidenten der autonomen Republik im Iran durchgesetzt. Ein knappes Jahr haben die Kurden in der MahabadRegion eigenständig regiert. Die autonome Regierung stellte eine zufrieden stellende Ordnung her, wodurch kriminelle Handlungen deutlich abnahmen. Darüber hinaus verlief das politische Leben in einer demokratischen Atmosphäre. In der relativ kurzen Zeit des Bestehens dieser Republik (Januar – Dezember 1946), war der Bevölkerung viel Freiraum in der politischen Willensbildung, in der Auslebung der kurdischen Kultur und in Bezug auf gesellschaftliche und soziale Verhältnisse gegeben. Für die Bevölkerung waren dies Umstände, von denen sie jahrzehntelang geträumt hatten. Auch die 29 Situation der Frauen verbesserte sich, z.B. wurde eine Mädchenschule gegründet. Nach knapp einem Jahr der „Mahabad-Republik“ wurde Qazi Mohammad von einem Militärgericht zum Tode verurteilt und am 31. März 1947 hingerichtet. Mit diesem Ereignis ging das Ende der Mahabad-Republik einher. Die Mahabad-Republik ist für viele Kurden ein Symbol und Modell kurdischer demokratischer Selbstverwaltung geworden. Zum anderen bedeutete sie aber auch eine schmerzvolle Erfahrung in der kurdischen Geschichte (vgl. Moradi, 1994, S. 110ff). Im 20. Jahrhundert wurde dem kurdischen Volk von unterschiedlichen Mächten mehrfach Autonomie für Kurdistan versprochen. Der eigene Staat kam jedoch nie zustande und die Kurden wurden zum Spielball der Großmächte. In Folge dessen wurde die kurdische Sprache und Kultur unterdrückt (vgl. Skubsch, S. 117). Immer wieder kam es zu Kurdenaufständen in den betroffenen Gebieten, die mit wachsender Brutalität nieder geschlagen wurden. Das führte zu einer weitgehenden Entrechtung und Ausgrenzung der Kurden und zu enormen Menschenrechtsverletzungen (vgl. MönchBucak, S. 89). “Die Umbrüche der vergangenen Zeit, bedingt durch Revolutionen, Kriege und Terror, haben die kurdische Gesellschaft dramatisch verändert und damit natürlich auch die Position der Frau“ (vgl. van Bruinessen, S. 24.und 3.3.1). Seit dem Golfkrieg 1991 genießen die 5 Millionen Kurden im Nordirak fast völlige Autonomie. Seither können sie dort wählen und ein feststehendes Gesetz wurde eingeführt. Sie haben einen Präsidenten ernannt und sich politisch fast vollständig von Bagdad gelöst (vgl. Viviano, 2006, S. 37ff). Außerdem wurde ein kurdisches Bildungssystem eingeführt. Heute sprechen kaum noch junge Kurden arabisch (vgl. ebd., S. 58), sie 30 würden sich auch nicht als Iraker bezeichnen. Das Ziel der Kurden ist es, auf diplomatischem Weg eine Unabhängigkeit in einem föderalen Irak zu erreichen. Dieses Vorhaben wird allerdings von den Nachbarländern Türkei, Iran und Syrien strikt abgelehnt. „Sie befürchten, dass Ihnen die Kontrolle über die Kurden im eigenen Land entgleiten könnte” (Meyer-Ingwersen, 1995, S. 324). Die besondere Problematik dieser Ablehnung liegt darin begründet, dass die Kurden auf die Kooperation dieser Staaten bzgl. Sicherheit und Handel angewiesen sind. 3.1.1 Historische Entwicklung der Familie in Kurdistan Die kurdische Bevölkerung gliedert sich, heute wie früher, in Solidargruppen mit patriarchalischen Gesellschaftsstrukturen. Es gibt untereinander konkurrierender Stämme, die sich aus Sippen zusammensetzen. Diese Sippen bestehen aus mehren Großfamilien, die sich wiederum in mehre Kleinfamilien aufteilen (vgl. Kizilhan, 2006, S. 30ff). Eltern, Kinder und Großfamilie, mit Großeltern, verheirateten Brüdern und Schwestern und andere Verwandten, leben zusammen. Das wichtigste Prinzip für die Bildung solcher Gesellschaften ist die Annahme einer grundsätzlichen Ungleichheit des Menschen. Der Status eines Menschen wird durch seine funktionale Zuordnung zu anderen Menschen bestimmt, durch seine naturgegebene Unteroder Überordnung. Eine Familie ist geprägt von gesellschaftlich definierten Funktionen und Organisationsstrukturen, die kulturspezifische Sozialisationsziele, wie in etwa Respekt, Hierarchie, Rollenkonformität, Einpassung in die (Familien-)Gemeinschaft und Verdrängung des „Ich“ zum Wohle des „Wir“, beinhalten (vgl. ebd., S. 44). Die wesentlichste Ungleichheit besteht in diesen Solidargruppen zwischen Mann und Frau. Die Familie steht unter der Befehlsgewalt des ältesten männlichen Erwachsenen. Das Prinzip der Ungleichheit 31 bestimmt alle sozialen Beziehungen innerhalb der Familie. Der Sohn muss dem Vater bedingungslos gehorchen, die Frau hat eingeschränkte Rechte und ein älterer Bruder hat immer mehr zu sagen als der Jüngere. Das soziologische Zentrum der Solidargruppen ist die Eltern-KindFamilie. Oberhaupt ist der Vater, bei seiner Abwesenheit der älteste Sohn. Die Macht des Oberhauptes ist für das gesellschaftliche Leben ausschlaggebend, da sie sowohl das Handeln als auch das Verhalten, bis hinein in die kleinste Familienangelegenheit, regelt (vgl. Kizilhan, S. 17). Geschichtlich betrachtet wirtschaftlich noch war die gesellschaftlich Eltern-Kind-Familie in ihren weder Entscheidungen selbstständig. Sie war Teil der Großfamilie oder mit der Sippe verbunden. Die Familie als erste Solidargemeinschaft bildete sich nicht in erster Linie durch emotionale Bindungen, sondern als Produktions- und Konsumgesellschaft. Dabei erfüllt die Institution Familie bis heute gesellschaftliche Ordnungs- und Schutzfunktionen: Erstens wird damit das Verhalten und die Unberührtheit junger Frauen bei der Eheschließung kontrolliert. Zum anderen ist die Familie die Institution zur Regelung von Geburten und Kindererziehung. An dritter Stelle ist die Funktion von Ehe und Familie als wichtige Not- und Solidargemeinschaft zu nennen. So führt die wirtschaftliche Not auch zu lebenslangen Zwangsgemeinschaften, in der für Liebe kaum Raum bleibt. Nicht zuletzt dient die Familie nicht nur der Sicherheit, sondern ist auch Funktionsgemeinschaft, in der moralische und religiöse Werte vermittelt wird. Diese Strukturen werden durch den Lebensraum bedingt und sind in den Städten, durch Modernisierungsprozesse wie Bildungserweiterung, Arbeitsmöglichkeiten und beengten Wohnraum, deutlich gemäßigter oder nur in Ansätzen zu finden. Die verbreitete politische und wirtschaftliche Armut Kurdistans war und ist ein bedeutsames Hindernis in der Entwicklung der 32 Selbstentfaltung der Familie. Die Familienbeziehung ist eines der wichtigsten und traditionellen Gegebenheiten bei den Kurden. So ist z.B. die Familienbeziehung auch zwischen Verwandten des zweiten und dritten Grades sehr eng. Deren Wichtigkeit zeigt sich nicht nur in Form von gegenseitigen Besuchen, sondern auch in gegenseitiger Unterstützung und Hilfestellung jeglicher Art. Je harmonischer die Beziehung zu der Verwandtschaft ist, desto höher ist das Ansehen in der Gesellschaft. Zudem werden auch Ehepartner und -partnerinnen ziemlich häufig aus der unmittelbaren oder weiten Verwandtschaft ausgewählt. Am meisten angesehen ist es jedoch, eine Ehe mit der Tochter des Onkels einzugehen (vgl. Meyer-Ingwersen, S. 320). Unter dem Verwandtschaftsbegriff werden vielfältige Beziehungen verstanden, darunter auch Beziehungen mit angeheirateten Personen und deren Bekannten und Verwandten (vgl. Kizilhan, S.32). Die Ehrerbietung spielt in den kurdischen Sozialbeziehungen eine große und äußerst wichtige Rolle. So haben die „Kleineren“ die „Großen“ zu ehren. Unter „Groß“ ist hier das höhere Alter zu verstehen. Der „Große des Hauses“ ist das Familienoberhaupt, der „Große des Stammes“ ist der Stammesführer, der die Angelegenheiten des Stammes gemeinsam mit den „Weißbärten“ (dem Ältestenrat) entscheidet (vgl. Meyer-Ingwersen, S. 320). Wenn die „Großen“ ein Gespräch führen oder miteinander sprechen, haben die „Kleinen“ zu schweigen. Sie dürfen die „Großen“ weder unterbrechen noch ihnen widersprechen. Diese Erwartungshaltung wird unter den Lebensbedingungen in Deutschland zunehmend geringer. Dennoch ist diese Sitte zum erheblichen Teil noch vorhanden. Der Beschluss einer Ehe ist jungen Kurdinnen und Kurden nicht allein überlassen, denn die Verheiratung eines jungen Menschen ist nach kurdischer Tradition keine Privatangelegenheit, sondern eine Familienangelegenheit. Die Eltern tragen hier die Hauptverantwortung, sie wählen den zukünftigen Partner aus. Die Eltern des Jungen müssen dabei die Initiative ergreifen und nicht 33 umgekehrt. Der Druck liegt aber auch auf der Familie des Mädchens, da es in der Tradition üblich ist, Mädchen möglichst früh, d.h. ab etwa 12 Jahren, zu verheiraten. Die Frau wird nach gleicher Schichtzugehörigkeit, Verwandtschaft, Dorfgemeinschaft und gleicher Religion ausgesucht. Am Ende des 20. Jahrhundert zerbrachen der Feudalismus und die Stammesgesellschaft. Die meisten Kurden leben heute als Kleinbauern von der Landwirtschaft, die nur langsam mechanisiert wird. Die Bodenschätze wie Gold, Erdgas, Silber und Uran sind allerdings wenig erschlossen. Auch der Straßenverkehr und das Kommunikationsnetz sind wenig ausgebaut (vgl. Hennerbichler, S. 50f). Diese Unterentwicklung Kurdistans ist durch den Bankrott der Wirtschaftspolitik unter den verschiedenen Regierungen noch verstärkt worden. Dadurch ergibt sich für Kurdistan eine doppelte Problematik, denn die Menschen, die in Ländern mit geringen Bildungschancen und hoher Arbeitslosigkeit leben, werden aufgrund ihrer kurdischen Abstammung zusätzlich benachteiligt (vgl. Vanly, S.58ff). 3.2 Ehe und Rolle der Frau im Islam Ab dem siebten Jahrhundert nach Christi wurden Teile Kurdistans gewaltsam islamisiert und die christliche und zoroastrische1 Religion zerstört (vgl. Kizilhan, S. 16). Die arabischen Besetzter verfolgten das Ziel, die kurdischen Stämme zu unterwerfen. Der ihnen aufgezwungene Islam beeinflusste zwar nachhaltig die kurdische Gesellschaft, jedoch anders als die türkische und die persische Gesellschaft. Die Kurden waren nicht so streng gläubig wie die Perser, die Türken und die Araber. Daraus ergab sich das Bild von 1 Diese Religion geht auf den Propheten Zarathustra bzw. Zoroaster zurück. Sie ist ca. 600 vor Christus entstanden und geht davon aus, dass ein 34 ,,schlechten Muslimen“ und schlechten Schülern Muhammads. „Darüber hinaus dient der Islam den Kurden, die über keine Zentralmacht verfügen, tatsächlich nicht als Grundlage für eine soziale oder politische Institution; ihnen hat der Islam als Verkörperung ihrer Identität genützt“ (Begikhani, 2000, S. 56). Der Begriff „Islam“ bedeutet im eigentlichen Sinne „Unterwerfung unter Gott“. Die „Unterwerfung“ des Gläubigen ist hier umfassend zu verstehen und betrifft sowohl die innere Glaubensüberzeugung, als auch die mit der Religion verbundenen Praxis. Die Lebensführung, die sich aus diesem Glauben ergibt, richtet sich auf das Diesseits und auf das Jenseits (vgl. Kizilhan, S. 19). „Die Regeln des Islam sind für die gesamte menschliche Lebensführung verbindlich und beanspruchen, dass ihr Bestand an Geboten und Verboten die Bereiche Religion und Recht umfasst. In seinem umfassenden Geltungsanspruch unterscheidet sich der Islam nicht vom Christentum und von anderen Religionen“ (Kizilhan, S. 19). Die Kurden sind im Allgemeinen gemäßigte Muslime. Viele kurdische Frauen bedecken ihre Haare nicht und sind „freier“ als etwa türkische oder arabische Frauen. Durch solche Vergleiche, die in erster Linie durch das Fehlen des Schleiers bestimmt sind, entstand ein bestimmtes Bild der kurdischen Frau in der westlichen Literatur. Dieses Bild der „freieren“ Frau wurde durch reale Beobachtungen von britischen Reisender und Beamten in Südkurdistan bestätigt (vgl. van Bruinessen, S.59). Darüber hinaus reisen viele kurdische Familien nicht zur Hadsch (Wallfahrt) nach Mekka, sehen sich selbst jedoch als praktizierende Muslime an. Die islamische Überlieferung über die Rechtsstellung der Frau ist ein viel diskutiertes und komplexes Thema, zumal die Frau über weniger Rechte verfügt als der Mann. Der Ehemann besitzt das Recht vier Ehen zur gleichen Zeit einzugehen und die Ehe durch Verstoßung System von Gut und Böse ist. 35 aufzulösen. Mehr Rechte erhält der Mann zudem in Bezug auf das Sorgerecht für gemeinsame Kinder. Außerdem geht die Zuteilung des doppelten Erbes an die Söhne (vgl. Kizilhan, S. 78). Die familiär und erbrechtlich nicht „gleichberechtigte“ Stellung der Frau lässt sich im Koran mit der Sure 4, Vers 34 belegen, in der es heißt: „Die Männer stehen in Verantwortung für die Frauen, wegen dessen, womit Allah die einen vor ihnen vor den anderen ausgezeichnet hat und weil sie von ihrem Besitz (für sie) ausgeben. Darum sind die rechtschaffenden Frauen (Allah) demütig ergeben und hüten das zu Verbergende, weil Allah es hütet. Und diejenigen, deren Widersetzlichkeit ihr befürchtet, ermahnt sie, meidet sie im Ehebett und schlagt sie. Wenn sie euch aber gehorchen, dann sucht kein Mittel gegen sie.“ Begründet wird die Sonderstellung der Männer mit einer von ihnen zu erfüllenden Unterhaltsleistung. Dadurch besteht eine funktionale Überlegenheit des Mannes, aber keine wesensmäßige Minderwertigkeit der Frau. Des Weiteren wird dem Mann eine Beschützerrolle zugeteilt, die als ein Argument für den höheren Stellenwert des Mannes dient (vgl. Kizilhan, S. 78). Jedoch wird auch im Koran betont, dass Gott beide Geschlechter als seine Geschöpfe anerkennt. Beiden Geschlechtern wird im Islam die gleiche Aufmerksamkeit und Beachtung geschenkt. Hierzu steht im Koran in Sure 49, Vers 13: „Und die Gläubigen, Männer und Frauen, sind einer des anderen Freunde(…)“. Allerdings werden im Islam psychische und physische Unterschiede zwischen beiden Geschlechtern gemacht. Der Islam geht deswegen davon aus, dass Frau und Mann unterschiedliche Bedürfnisse und Eigenschaften haben, und er teilt ihnen unterschiedliche Aufgaben und Pflichten zu. Jedoch wird an mehreren Stellen im Koran erwähnt, dass Männer und Frauen die gleichen religiösen Pflichten haben. In einem Ausspruch des Propheten Mohammed heißt es: „Wahrlich die Frauen sind die schaqa´iq 36 (Zwillingsschwestern oder Zwillingshälften) der Männer.“ Die Religion hat den Anspruch an beide Geschlechter, dass sie sich sowohl im privaten Leben als auch innerhalb der Gesellschaft ergänzen. Im Koran ist hierzu zu lesen: „Sie sind euch ein Kleid, und ihr seid ihnen ein Kleid“ (Sure 2, Vers 187). Beide Geschlechter haben sich gegenseitig Schutz, Liebe, Geborgenheit und Wärme zu geben (vgl. Asim, 1999, S. 16). Die größte Wertschätzung wird der muslimischen Frau in ihrer Rolle als Mutter entgegengebracht. So heißt es in einem Hadith (Neben dem Koran gibt es die Sunna des Propheten Muhammed. In der Sunna ist der Koran in Hadithen erläutert und erklärt): „Das Paradies liegt unter den Füssen der Mütter“. Für die Muslime ist die Familie die Keimzelle der menschlichen Gemeinschaft. Gott selber hat ihr diese zentrale Bedeutung in der gesellschaftlichen und religiösen Ordnung gegeben. Die Ehe gehört im Islam zur Aufgabe der Gläubigen. Sie soll die Eheleute vor Sünde schützen und die Triebe zur Ruhe kommen lassen (vgl. Sure 30 Vers 21). Der Prophet Mohammed sagte hierzu in einem Hadith: „Wenn ein Diener Gottes heiratet, erfüllt er die Hälfte seiner Religion." Im Gegensatz zur christlichen Form ist die Ehe im Islam ein Zivilvertrag, wobei deren Gültigkeit von keiner religiösen Zeremonie abhängig gemacht wird. Beide Partner geben ihr Einverständnis für die Eheschließung. Dieses Einverständnis ist im Beisein dreier Zeugen zu vollziehen. Der Bräutigam wie auch die Braut dürfen sich vor der Hochzeit sehen (vgl. Asim, S. 49ff.). Dies ist die Auffassung aller islamischen Rechtsschulen. Bei der Eheschließung hat die Braut ein Anrecht auf das so genannte Brautgeld, was sie von dem Bräutigam bekommen soll. Die Höhe des Brautgeldes ist nicht festgesetzt, jedoch gibt es hier eine Richtlinie. Die Höhe sollte mindestens soviel betragen, dass sich die Frau bei einem späteren Scheidungsfall für einen bestimmten Zeitraum versorgen kann (vgl. 37 Asim, S. 73). Eine muslimische Ehe kommt meistens durch Bekanntschaften mit Eltern, Verwandten und Bekannten zustande. Das Umfeld, das die zwei geeigneten Personen einander vorstellt, hat die Aufgabe, die Wünsche der jeweiligen Personen zu beachten. Wenn beide Partner gegenseitige Sympathie empfinden, haben sie die Möglichkeit sich näher kennen zu lernen, um möglicherweise eine Ehe einzugehen. Diese Form der Eheschließung wird als „arrangierte Ehe“ bezeichnet. Das Arrangieren einer Ehe hat im Islam einen hohen Stellenwert, da es als Gottesdienst zählt, heiratswilligen Personen bei der Suche nach einem geeignetem Partner behilflich zu sein. Weiterhin ist bei einer islamischen Eheschließung zu beachten, welche Personengruppen nicht geehelicht werden dürfen, dies wird in der folgenden Sure des Korans geregelt: „Verboten sind euch eure Mütter, Töchter, Schwestern, Vaters Schwestern, Mutters Schwestern, die Bruderstöchter, die Schwestertöchter, eure Nährmütter, eure Milchschwestern, die Mütter eurer Frauen, eure Stieftöchter, ferner die Frauen eurer Söhne, die von euren Lenden sind; auch dass ihr zwei Schwestern gleichzeitig habt...“ (Sure 4; Vers 23). 3.2.1 Rolle und gesellschaftliche Stellung der Frau in der kurdischen Familie Neben der Religion sind auch immer die Kultur und die Tradition der jeweiligen Muslime zu berücksichtigen. Unter Tradition versteht man im Allgemeinen die Weitergabe von Wertvorstellungen und Bräuchen innerhalb verschiedener Generationen. Dies geschieht sowohl auf persönlicher als auch auf religiöser und gesellschaftlicher Ebene. Innerhalb der Gesellschaft bedeutet dies die Weitergabe von anerkannten Lebensprinzipien, die etabliert sind und teilweise ohne Widerspruch weitergegeben und nicht hinterfragt werden. In der Familie und in den Familienverbänden beziehen sich diese Wertevorstellungen auf Anstand, Moral und Zeremonien. Der Begriff Tradition wird eher als wertneutral empfunden oder sogar positiv 38 besetzt, da er ein historisches Denken und eine gewisse Wertebeständigkeit suggeriert. In Bezug auf die Tradition ist anzumerken, dass es nicht den einen Muslim gibt, da der Islam in vielen unterschiedlich kulturell geprägten Gebieten verbreitet ist. Teilweise wurde der Islam instrumentalisiert oder es wurden kurdische Traditionen als islamische Vorschriften ausgegeben. Folgende Definitionen sind in der kurdischen Tradition zu finden: “Ne jina kenokî û ne mêrê fihtokî.” [Die Tradtion bevorzugt]... “nicht die lachende Frau und nicht den zurückhaltenden Mann” “Bila pîrek here ber xencerê, bila neçe ber xebrê.” Die Frau soll zum Dolch gehen, aber sie soll nicht ins Gerede kommen. (wörtlich übersetzt) Die Frau soll lieber sterben, als dass sie ins Gerede kommt. (frei übersetzt) “Jina ji xwe fihêt hêja ye şehrekî, jina ji xwe nefihêt hêja ye kehrekî.” Die Frau, die sich schämt, ist eine Stadt wert. Die Frau, die sich nicht schämt, ist ein Zicklein wert (mündliche Überlieferung aus den Interviews mit den kurdischen 39 Frauen). “Das Leben als Mensch ist schwierig. Das Leben als kurdischer Mensch noch schwieriger” (vgl. Zaza, 1982). Betrachtet man dieses Zitat Zazas im Kontext der Rolle der kurdischen Frauen, so lässt sich diese vielleicht treffend beschreiben, wenn man das Wort „Mensch“ durch „Frau“ ersetzt. Daraus könnte sich Folgendes ergeben: Das Leben als Frau ist schwierig. Das Leben als kurdische Frau noch viel schwieriger. Vor allem die Stellung der Frau in Kurdistan ist sehr widersprüchlich, was besonders für die Frau eine große Herausforderung darstellt. Zum einen muss sich die Frau den patriarchalischen Werten und Normen der Gesellschaft unterwerfen, zum anderen „gibt es aus der Vergangenheit viele Berichte darüber, dass Frauen in kurdischen Stämmen eine wichtige Rolle gespielt haben“ (Meyer-Ingwersen, 1995, S. 321). So ist zum ersten Punkt anzumerken, dass innerhalb des Patriarchats eine eigenständige Entwicklung in der Regel unmöglich war, da sich alle Familienmitglieder, insbesondere die Frauen, der männlich geprägten Moralvorstellung anpassen mussten. Die hierarchische Beziehung zwischen Mann und Frau ergab eine Unterordnung der Ehefrau unter den Ehemann und führte zu einer sozialen Isolierung der Frau innerhalb der Kleinfamilie (vgl. Skubsch, S. 226). Allerdings hatten einige Frauen jedoch die Möglichkeit, durch das Ansehen ihrer Familie innerhalb der Gesellschaft, durch Reichtum und durch männliche Verwandtschaft, eine einflussreiche Position zu erlangen. In Form eines Matriarchats haben sie ebenso konsequent auf die Einhaltung von Tradition und Moral geachtet wie ein 40 männliches Familienoberhaupt. Diese Frauen waren intelligent und durch Erfahrung selbstbewusst genug, ihre Rolle zu behaupten. Sie stammten alle aus aristokratischen Kreisen, und zunächst verdankten sie ihre Autorität ihrem Vater oder Ehemann. Ein Beispiel ist Adela Khanum aus dem Stamm der Jaf. Nach dem Tod ihres Mannes Usman Pascha blieb sie bis zu ihrem Tod an der Macht (vgl. van Bruinessen, S.10). Weitere Frauen in mächtigen Positionen ließen sich an einer Hand abzählen (Weitere bedeutende Frauen waren hierzu Khanum Sultan (1620) und Kara Fatima Khanum (1850). Sie war Oberhaupt eines kurdischen Stammes). Es war möglich, dass der Vorname der Frauen zum Nachnamen der Söhne wurde, um den Einfluss zu symbolisieren (Ebd., S. 10). Neben den Söhnen der berühmten Frauen Perikhan Khatun und Shemsi Khatun, die Amînê Perikhanê und Mihemedê Shemsê genannt wurden, gab es noch zahlreiche weitere Beispiele (Cemlîlê Rexda, Hasanê Mencê, Milhemedê Fatimê; hierbei sind Rexda, Mencê und Fatimê die Vornamen der Mütter). Einige kurdische Autoren sehen in der Existenz der oben genannten Stammesführerinnen einen Beweis für die Gleichberechtigung der kurdischen Frauen, wie beispielsweise der bekannte kurdische Schriftsteller Musa Anter: “Aus alten Büchern erfahren wir, dass Frauen in der kurdischen Gesellschaft Männern sozial gleichgestellt waren” (Vgl. ebd., S. 16). Solche Aussagen sind möglicherweise nur ein Versuch, darüber hinwegtäuschen, dass diese Männer eine Emanzipation für überflüssig halten (Ebd., S. 22). In der Realität traf die Gleichberechtigung nur auf einige wenige Frauen zu, die aufgrund ihrer aristokratischen Abstammung eine gewisse Bewegungsfreiheit hatten. Für die restlichen Frauen Kurdistans galt dies aber nicht. In weniger gut gestellten Familien auf dem Land war die Bewegungsfreiheit zwar größer, aber die Frauen waren trotzdem ihren Männern gegenüber alles andere als gleichberechtigt. Die kurdische Autorin F. Karahan vertritt eine Meinung, die der oben 41 dargestellten Ansicht über die Position angesehener Frauen entgegengesetzt ist. Ihrer Auffassung nach, werden in der kurdischen Gesellschaft, wie in anderen traditionellen Gesellschaften, Frauen nur als Mütter und Ehefrauen respektiert, nicht als eigenständige Persönlichkeiten. Der Begriff der Ehre, der über allem steht, schränkt die Frauen viel stärker ein als die Männer (vgl. van Bruinessen, S. 23). Die Anerkennung der kurdischen Frau steigt mit der Anzahl ihrer Kinder. Heutzutage sind die patriarchalischen Verhältnisse nicht mehr unumstritten und auch die kurdischen Frauen – wie in allen Kulturen – haben versucht, diese zu durchbrechen. So gibt es kurdische Frauen, die in unterschiedlichen höheren Berufen tätig sind, wie z.B. Anwältinnen, Ärztinnen, Journalistinnen, etc. Diese Frauengruppen haben die klassische Frauenrolle durchbrochen und setzen sich vermehrt für die Frauenemanzipation ein (vgl. Meyer-Ingwersen, S. 321f.). Auch gibt es einige Frauenorganisationen, die aber unter durchaus schwierigen Umständen arbeiten; denn so ist „der Kampf um die Rechte der Frauen von der nationalen Frage nicht zu trennen“ (Ebd., S. 321). Insgesamt ist die Position der Frau in Kurdistan heute schwierig und nicht eindeutig zu definieren. So gibt es einerseits immer noch das traditionelle Bild der Frau, die unter den Zwängen des Patriarchats lebt, andererseits kann die Frau in bestimmten Situationen die Rolle des Familienoberhaupts einnehmen. Allerdings wird im politischen Diskurs der Befreiungsbewegung der Versuch einer Neudefinition der Rolle der Frau in der Gesellschaft unternommen. Dieser Ansatz versucht, die bisherigen Extreme vom Bild der Frau – dem Traditionalismus auf der einen Seite und dem Modernismus auf der anderen Seite – zu vereinen (vgl. Yalçin-Heckmann / van Gelder, 2000, S. 100). In Kapitel 3.3 werde ich verschiedene Generationen von kurdischen Frauen beschreiben. Es erfolgt dabei eine Unterteilung in drei 42 Generationen. 3.3 Drei Generationen von Frauen seit 1920 Im Folgenden wird die Geschichte der kurdischen Frau ab 1920 bis heute dargestellt. Die Erkenntnisse des folgenden Abschnitts wurden durch eine selbst durchgeführte Studie gewonnen, im Rahmen derer etwa 100 Interviews mit kurdischen Frauen aus drei Generationen geführt wurden. Drei biografische Beispiele hierzu finden sich im Anhang (Vgl. dazu Anhang: 7.2.1. Biographie Behya,7.2.2. Biographie Dilxwaz, 7.2.3. Biographie Stêr, 7.2.4. Biographie Assos). Durch die dürftige Literatur über kurdische Frauen werden einige hier gewonnene Erkenntnisse belegt. Hierzu sei Mojab (vgl. Mojab, 2001, S. 53ff) angeführt. In ihrem Artikel beschreibt die Autorin die Situation der Frauen in Kurdistan, die sie zunächst unterschiedlich kategorisiert. So führt sie zum einen die Seite des „externen Kriegs” auf, den sie in einem späteren Teil gegen den „internen Krieg” abgrenzt. Unter dem „externen Krieg” versteht Mojab „einen Krieg, der allen Kurden – Männern, Frauen und Kindern – durch die vier Nationalstaaten aufgezwungen wurde, die die Kurden gewaltsam in ihre staatlichen Strukturen eingebunden haben” (Mojab, 2001, S. 53). Demgegenüber steht der „interne Krieg”, der “gegen Frauen geführt wird – nicht durch den Staat, sondern durch die männlichen Mitglieder der kurdischen Nation” (Ebd., 2001, S.53). Trotz des existierenden Mythos von der Sonderstellung kurdischer Frauen – es wurde behauptet, dass sie gesellschaftlich mehr Freiheit genossen als die Frauen der Nachbarnationen – ist rückblickend aus objektiver Sicht festzustellen, dass auch Frauen in Kurdistan bewusst von staatlicher Seite „dumm gehalten” wurden. „Dies begünstigte das Weiterbestehen von Traditionen wie Agnatenehen, Brautpreis, Frauentausch (berdêlî) und Zwangsverheiratung” (Wedel, 2000, S. 111f). Neben dieser psychischen „Gewalt” gab es des Weiteren eine physische, die sich vor allem in Form von Ehrenmorden2 äußerte.3 2 3 Zum Thema Ehrenmorde vgl. Kapitel 4 der vorliegenden Arbeit. Neben den Ehrenmorden im „internen Krieg“ gibt es weitere Formen der 43 So zerstören sowohl der „externe“ als auch der „interne Krieg” vor allem das Leben der kurdischen Frauen. Seit den 1930er Jahren begannen gebildete, städtische und arme, ländliche kurdische Frauen sich in Frauenbewegungen zusammenzuschließen, um gegen die patriarchalischen Strukturen gemeinsam anzukämpfen und ihre Situationen zu verbessern. So forderten sie „dass die Frau alle politischen, wirtschaftlichen und sozialen Rechte sowie das Recht auf Bildung nutzen kann und dafür notwendige gesetzliche Grundlagen geschaffen werden” (Fischerahir, 2000, S. 164). 3.3.1 Erste Generation In dieser ersten Generation kurdischer Frauen, zwischen 1920 und 1945, spielten ökonomische Faktoren und feudale Strukturen eine große Rolle, welche die Tradition in den Mittelpunkt rückte. So war es Usus, dass eine Heirat dazu diente, die Familie strategisch gut zu vergrößern, um so Macht zu gewinnen und zu symbolisieren. Teilweise gab es auch Heiraten zwischen verschiedenen Sippen, damit Frieden und gute Beziehungen aufgebaut und gepflegt wurden. Verwandtschaftliche Bindungen bilden in kurdischen Kulturen ein wichtiges Grundgerüst des Zusammenlebens. Sie schützen und kontrollieren Ihre Angehörigen gleichzeitig, da sie deren Rechte und Pflichten durch alltägliche Verhaltensregeln und moralische Vorstellungen beeinflussen (Eisenrieder, S. 36). So haben verwandte Großfamilien einander ungeborene Kinder im Sinne einer Verlobung versprochen. Sofort wurde das ungeborene Mädchen zum Besitz der Familie des ungeborenen Jungen. Selbst bei einer Totgeburt oder dem Tod des Jungen änderte sich hieran nichts. Dieses Mädchen wurde mit dem nächstgeborenen männlichen Nachkommen verlobt. psychischen und physischen Gewalt gegen Frauen im Kurdistan. So benutzt der Staat im „externen Krieg“ gezielt Frauen als Instrument im Sinne ihrer Tradition, sie durch Vergewaltigung zu entehren, um so die Ehre der Familie zu beschmutzen. Kurdische Aktivistinnen, Familienangehörige und Dorfbewohnerinnen werden so aus der Gemeinschaft ausgegrenzt, was oft mit tödlichen Folgen endet, um die 44 Hier wurde auf das Alter keine Rücksicht genommen. Der Tod des Mädchens hatte jedoch keine Konsequenzen für die Familien des Sohnes. Er ist war wieder frei. Es wurde sehr viel Wert darauf gelegt, die Kinder innerhalb einer Großfamilie zu verheiraten. Eine Heirat mit Cousinen und Cousins ersten Grades war sehr gängig und wurde bevorzugt. An dieser Stelle ist zu erwähnen, dass es gesellschaftliche Unterschiede gab, die sich auf die Heirat auswirkten. So gab es zum Beispiel die „aristokratische” Frau, gleichzusetzen mit der deutschen bürgerlichen Frau, die von der „Frau vom Land” zu unterscheiden. Im Folgenden berichtet Behya, 70 Jahre alt, geboren in süd-westKurdistan/ Gebiet Botan. „Wir Frauen aus den großen bekannten Familien durften nicht das Haus verlassen. Im Unterschied zu anderen Frauen aus dem Dorf gehörte es sich nicht für Mädchen aus diesen Familien, sich auf den Straßen des Dorfes zu zeigen, Einkäufe zu erledigen oder auf den Feldern zu arbeiten. Frauen dieser Generation bekamen ihren zukünftigen Ehemann erst in der Hochzeitsnacht zu sehen, wohingegen der Mann die Möglichkeit hatte, sich seine zukünftige Frau aus der Ferne anzuschauen. Die Nichte wollte mich ihrem Onkel unbemerkt zeigen. Sie versuchte mich aus dem Haus zu locken damit sie von dem angeworbenen Ehemann gesehen werden konnte. Oft behaupteten die Männer damals, dass bei der Hochzeit eine falsche Frau „geliefert” wurde. Ich hatte keine Ahnung wer mein Verlobter war. Ich hätte jeden genommen, der mir vorgestellt worden wäre. Es gehörte sich nicht einmal zu fragen. Man schämte sich auch zu fragen. Ein Mädchen, dass fragt oder dass störrisch ist und seine Wünsche äußern will, dass ist so gut wie tot. Man wird es töten. Was soll man mit einem solchen Mädchen anfangen? Es gab damals nur (ja) „libê“ und „belê“ (ein herzliches oder ein wohlerzogenes „Ja“). “ Die Trauung vollzog sich ohne die Braut, da das Einverständnis des „Schande“ der Familie aufrecht zu erhalten (Vgl. Mojab, 2000). 45 Vaters oder des Bruders genügte. Die Eheschließung wurde nicht von zwei Menschen, sondern von zwei Familien vollzogen (vgl. Atabay, 1998, S. 35f). Die Frauen erhielten kein Mitspracherecht und hatten den Anweisungen ihres Vaters zu gehorchen. Sie dachten wenig über ihre Rechte nach und fühlten sich durch ihre Familie beschützt. Die Zeremonie gehörte zu den Aufgaben der Familie des Bräutigams. Der Brautpreis bestand aus Geld, Gold, Tieren und Waffen. Dadurch war die finanzielle Sicherheit der Frau gewährleistet. Der Brautpreis war umso höher, je höher das Ansehen der Frau war (vgl. Mönch-Bucak, S. 90). Die Frau trat bei der Eheschließung in die Familie des Mannes ein und hatte sich den dort herrschenden Strukturen anzupassen und zu unterwerfen (MeyerIngwersen, S. 321). Verstieß sie gegen diese Regelung, brachte man sie in Ihre Herkunftsfamilie zurück. Diese wiederum versuchte sie dann in die angeheiratete Familie zurückzubringen. Dies geschah, weil sonst die Ehre der Familie verletzt gewesen wäre. Das Gleiche galt auch, wenn die Frau von selbst die Familie verließ. Das Ziel einer Ehe war nicht das liebesbedingte Zusammenleben von Mann und Frau, sondern es ging hauptsächlich darum, für Nachkommen zu sorgen und somit die Familie zu vergrößern. Blieb die Ehe kinderlos, war es nach traditionellem Verständnis die Aufgabe der Familie eine neue Frau für den Mann zu finden. Das gleiche Schicksal traf die Frau, wenn sie nur Mädchen zur Welt brachte, da der Mann sonst keinen Erbnachfolger hatte. Das Gebären von vielen Söhnen spielte eine wichtige Rolle und hob das Ansehen einer Frau. Es sicherte den wirtschaftlichen Fortbestand der Familie, da das Erbe nur an männliche Nachkommen weitergegeben wurde. Dazu berichtet Leyla Zana, eine politische Abgeordnete in der Türkei, aus der nahen Vergangenheit einer Verwandten ihres Vaters: „Immer wenn meine Mutter ein Mädchen gebar, fluchte sie. Sie betrachtete das Mädchen als Last. Fünfmal geflucht, dann kam endlich ein Bruder, dessen dominante Rolle durch sein Geschlecht vorbestimmt war“ (Leyla Zana in Savelsberg, 2000, S. 179f). 46 In einigen Teilen Kurdistans kam es in der Vergangenheit häufiger zu „Entführungen“ von Geliebten. Nach der gemeinsamen Flucht suchte das Paar oft Schutz bei einer einflussreichen Person (Allison, F. C., 2000, S. 43ff). Es galten hohe moralische Ansprüche an das männliche Verhalten: die Entführung einer Frau verschaffte ihm hohes Ansehen und gehörte zur Normalität, genau wie der Frauentausch und die Wiederverheiratung von Witwen innerhalb der Familie (vgl. Rautenstrauch-Joest, S. 10). Entführte Frauen waren gezwungen sich in die neue Familie einzubinden, da der Kontakt zur Herkunftsfamilie unterbrochen und verhindert wurde. Es kam aber auch zu Verfeindungen der Familien, wenn diese nicht für die Frauen entlohnt wurden. Durch finanziellen Ausgleich konnte dies geschlichtet werden (vgl. Wedel, 2000, S. 112). Bei Witwenschaft war es üblich, dass die Frauen den Bruder des Verstorbenen, oder auch in Einzelfällen ihre Stiefsöhne, heirateten, um ihren Platz in der Familie zu behalten. Der Mann machte Sympathieunterschiede zwischen den Frauen und den Kindern in einer polygamen Ehe. Die Kinder der geliebten Ehefrau galten in der damaligen Gesellschaft viel mehr als seine anderen Frauen und deren Kinder. Diese schwierige Situation bewirkte bei den Frauen, dass sie durch verschiedene Erfahrungen selbstbewusst und umsichtig wurden. Ein Ausweichen war nicht möglich, die Frauen mussten ihre Probleme eigenständig lösen, da sie sich nirgends Rat holen konnten. Obwohl es in der Familie eine spezielle Aufgabenverteilung bzw. Rangordnung gab, war es Frauen immer wieder möglich sich zu solidarisieren und gegenseitig zu achteten. Es herrschte aber nicht immer eine positive Atmosphäre innerhalb der Großfamilie. In dem Frauenverband hatte die jeweils älteste Frau die Autorität und fällte Entscheidungen bezüglich des Haushaltes und auch in Hinblick auf die Zukunft der Kinder und die wirtschaftlichen Verhältnisse. Ein wichtiger Bestandteil dieser Zeit waren ungeschriebene Regeln und Gesetzte, die sich im Laufe der Zeit gebildet hatten und maßgeblich die Tradition beeinflussten. Zum Beispiel alles was im 47 Haushalt benötigt wurde, sollte dort von den Frauen hergestellt werden. Besonders im ländlichen Raum fand dies aber kein Anklang, hier war eine Arbeitsteilung zwingend erforderlich, in der die Frau auch außerhalb des Hauses arbeitete (dies betraf z.B. das Melken und die zugehörigen Tätigkeiten). Eine strenge Trennung der Geschlechter wurde nicht vollzogen (Mönch-Bucak, 1991, S. 90). (vgl. dazu Anhang: 7.1.3 Biographie Dilxwaz) Einige Frauen berichteten, dass ihr Tag morgens im Stall anfing und abends nach der Arbeit auf dem Feld mit der Hausarbeit endete. (Ebd. ff) Hier haben nicht nur die Männer draußen gearbeitet, sondern bei Bedarf auch die Frauen des Hauses. Somit waren die Frauen im Haushalt und auch Draußen Beschäftigt. Die fest verwurzelten Strukturen ließen eine Teilnahme der Frauen am öffentlichen Leben nicht zu. Sie waren größtenteils vom politischen Geschehen ausgeschlossen. Ihre Aktivitäten beschränkten sich auf den Erhalt und Zusammenhalt der Familie. Die Frauen lebten sehr bildungsfern und konnten keine Schule besuchen. Es gab wenige Schulen in den Gebieten Kurdistans. Dies war politisch so gewollt (vgl. 3.1). Die patriarchalischen Strukturen führten sahen vor, dass sich Mädchen ausschließlich um den Haushalt und die Familie kümmern sollten. Aus der Armut heraus wurden bei kinderreichen Familien traditionell zunächst die Jungen bevorzugt zur Schule geschickt. Es herrschten im Wesentlichen zwei Familienmodelle vor. Zum einen eine Art aristokratische Familie, und zum anderen die bäuerliche Familie, die kein Land besaß und in Armut lebte. Die aristokratische Familie kümmerte sich hauptsächlich um ihren Ruf und hatte gewisse Privilegien. Frauen konnten ihre Freizeit selbst gestalten. In der bäuerlichen Familie hingegen wurde von früh bis spät auf dem Feld gearbeitet. Anschließend erfolgte die Arbeit im Haus und die Männer gaben den Frauen so viel zu tun, dass diese keine Zeit und keine Energie mehr aufbringen konnten, um über ihre Situation nachzudenken. In einigen Gebieten Kurdistans war die Gleichberechtigung der Frau 48 auf dem Feld jedoch in so weit vorhanden, als dass sie die gleiche Arbeit verrichten konnte wie ein Mann. In Nordkurdistan gab es in den 20er Jahren viele Unruhen. Deswegen sind viele Familien vor der türkischen Regierung nach Südwestkurdistan geflüchtet. Teilweise verloren die Frauen dabei ihre Familien. Sie empfanden sich als Kulturträgerin der künftigen Generation und pflegten die verbotene Muttersprache und die Traditionen (vgl. Wedel, S. 114). Am Ende dieser Generation engagierten sich einige wenige Frauen auch politisch in Parteien (Fischer-Tahir, 2000, S. 161). Für diese Generation hat sich durch die Migration die gesellschaftliche Isolierung verstärkt. In der Heimat waren sie in die Familiengemeinschaft integriert, sie pflegten eine innige Familienbindung und rege Kommunikation mit den Frauen. In Deutschland ist dieses Zusammensein aufgrund der räumlichen Isolation kaum noch möglich. (vgl. Skubsch, S. 242) Was die Familie und die Versorgung dieser Frauen betrifft gibt es kein Konzept, weder in Kurdistan noch in Deutschland. 3.3.2 Zweite Generation „[...] 1946 stand nationalistischen die feministische Bewegung zurück: Bewegung Das hinter der nationalistische Bewusstsein war sehr viel älter und stärker verbreitet.“ (Mojab, S., 2000, S. 151). Wie in diesem Zitat deutlich wird, thematisierte der nationalistische Diskurs zwar die Freiheit der Frauen und ihre Gleichberechtigung in der Gesellschaft sowie ihre Teilnahme am Kampf, jedoch sollten die Frauen außerdem ihren häuslichen Pflichten nachgehen. Diese „traditionelle“ Rolle schränkte die Frauen bei der Arbeit in der Öffentlichkeit stark ein, auch wenn Frauen zum ersten Mal die Männer bei der Verfolgung nationalistischer Ziele unterstützen konnten. Somit war „[die Republik [Mahabad] der erste kurdische Staat mit einem modernen, demokratischen Anspruch, und die 49 Gründung der Frauenpartei unterstrich dieses Image.“ (Mojab, S. 151); allerdings ist einschränkend hinzuzufügen, dass es im Bezug auf das Fällen von Entscheidungen keine wirkliche Gleichberechtigung gab, da immer noch die Männer diese Position inne hielten. Diese Art der „eingeschränkten“ Gleichberechtigung war auch in den anderen Teilen Kurdistans zu finden. Auch die Gesellschaft wendete sich ansatzweise gegen das Patriarchat. Die Mütter wehrten sich gegen die herrschenden Strukturen, beispielsweise bezüglich der Polygamie. Sie wollten ihren Töchtern das Leben als Mitfrauen ersparen. Die Mütter und Großmütter dieser Generation hatten viele Kämpfe gegen die herrschenden Werte und Normen in der Großfamilie zu bestehen. In der zweiten Generation von 1945 bis 1970 hat sich die Zahl der Verlobungsversprechen für ungeborene Kindern nach und nach dezimiert. Vorherrschend war diese Praxis eher in den Familien der Großgrundbesitzer. Die Zahl der polygamen Ehen war rückläufig. Aus der Befragung wird deutlich, dass Polygamie von den Männern durchaus akzeptiert wird. Dieses ist der Fall, wenn beispielsweise die Frau unfähig ist, Kinder zu gebären oder wenn der Mann in der Lage ist für mehrere Frauen gleichzeitig zu sorgen. Die Heirat innerhalb der Großfamilie ist weiterhin existent und wird regelmäßig praktiziert, allerdings, wie auch in den Biographien und Befragungen erkenntlich wird, haben die Zahlen deutlich abgenommen im Vergleich zur ersten Generation. Ein Grund dafür ist die Tatsache, dass viele Familien aus politischen und wirtschaftlichen Gründen in die Städte oder ins Ausland zogen und somit die Großfamilie räumlich nicht mehr so eng zusammen war. Die arrangierte Ehe wird immer noch praktiziert. Es folgt ein Bericht von Dilxwaz, 55 Jahre alt, aus Nord-Kurdistan. „Die Familien lernten sich gegenseitig kennen und verhandelten über die Heirat. Die Tradition schrieb vor, dass die Kinder, vor allem die Töchter, mit dem Vater nicht über eine Heirat sprechen durften.“ In einigen dicht besiedelten Gegenden, in denen Schulen vorhanden waren, konnten auch Mädchen maximal sechs Jahre die Schule 50 besuchen, wobei sie zusätzlich die Familie unterstützten und ihre alten Aufgaben im Haushalt weiterführen mussten. Einige Frauen konnten etwas später sogar die Hochschulreife erlangen und noch wenigere bekamen die Chance zu studieren. Der traditionelle Teil der Bevölkerung konnte sich mit dieser Entwicklung nicht anfreunden und die intellektuellen Frauen blieben ausgegrenzt. Die wenigen Frauen, die einen Hochschulabschluss erlangten, hatten auf dem „Heiratsmarkt“ Schwierigkeiten, da Männer sich dieser intellektuellen Herausforderung nicht fähig sahen und sich eher ein Leben mit einer weniger gebildeten Frau vorstellen konnten. Trotz dieser schwierigen und zwiespältigen Situation, ist in den Befragungen zu erkennen, dass der Wunsch nach Bildung sowohl für Söhne und Töchter gleichermaßen gefordert ist. Die Mädchen bzw. Frauen, die in dieser Generation geboren und aufgewachsen sind, suchten eine Identität zwischen alter Tradition oder neuen Werte. Zu den modernen Errungenschaften gehörte beispielsweise Einzelfällen das gab Sehen es des sogar zukünftigen Widerstand Ehemannes, gegen in versprochene Verlobungen. Denn eine Zwangsehe wird sowohl von kurdischen Männern als auch von kurdischen Frauen abgelehnt. Denn für eine glückliche Ehe ist für beide Geschlechter der zweiten Generation – ebenso wie für die deutschen Befragten – Liebe als Ausgangsvoraussetzung wichtig. Auch wenn sich die Einstellungen in Bezug auf die Ehe gegenüber der ersten Generation verändert haben, so ist der Ehrbegriff besonders für kurdische Männer immer noch „das wichtigste und wertvollste im Leben“. Die Bekleidungsvorschriften für Mädchen und Frauen veränderten sich langsam. Sie legten Kopftücher und lange Kleider ab, ohne von der Gesellschaft kritisiert zu werden. Sie entwickelten ein größeres Selbstbewusstsein, obwohl sie weiterhin an alten Traditionen festhielten. Obwohl sie nach wie vor wirtschaftlich vom Mann abhängig waren, wurde eine aktive Teilnahme an Bildung und Politik immer wichtiger für die Frauen. 51 3.3.3 Dritte Generation In der dritten Generation ab 1970 ist ein politischer, sozialer und gesellschaftlicher Wandel sowohl in Deutschland als auch in Kurdistan zu erkennen. So wurden weiterhin Cousinen und Cousins bevorzugt untereinander verheiratet. Ausnahmen hiervon wurden jedoch auch akzeptiert. Die Töchter, die in eine fremde Familie eingeheiratet haben, wurden nicht mehr so sehr als Verlust der eigenen Familie betrachtet. In der Familie wurden die Kinder, die innerhalb der Familie geheiratet hatten, jedoch anders bewertet als diejenigen, die in eine fremde Familie eingeheiratet hatten. Ein Eheversprechen von ungeborenen Kindern kam in dieser Generation kaum noch vor. Auch Polygamie wurde seltener praktiziert und stieß, sowohl bei Frauen als auch bei Männern, auf große Ablehnung. Wirtschaftlich war die Polygamie außerdem kaum noch aufrechtzuerhalten. Bildung wurde in den Familien zunehmend als wichtiger angesehen. Bestand eine wirtschaftliche Absicherung der Familie, durften auch die Mädchen zur Schule gehen. Doch war es immer noch von der Politik des jeweiligen Landes abhängig, inwiefern den Mädchen ermöglicht wurde, auf weiterführende Schulen zu gehen oder eine Ausbildung zu absolvieren. Beispielsweise wurden als Voraussetzung zur Vergabe von Ausbildungs- und Studienplätzen besonders gute Noten verlangt und es standen nur wenige Plätze zur Verfügung. Viele Frauen haben aus dieser Generation Abitur gemacht und studiert, was aus der gesamten Sammlung der Biographien erkenntlich wird. Sie wohnten in Studentenwohnheimen und fühlten sich „frei“ von der alten und einschränkenden Tradition. Sie entwickelten ein Bewusstsein für ihre eigene Ehre, im Gegensatz zu den Frauen aus der ersten Generation, die nur die Ehre des Mannes und deren Erhalt kannten. 52 Durch eine Heirat wurden viele der Frauen jedoch wieder in die traditionellen Rollenmuster zurückgedrängt. Gesellschaft und Familie forderten von den verheirateten Frauen die Erfüllung der Hausfrauenund Mutterpflichten. So konnte sich bis heute keine „Frauenkultur“ entwickeln. Es gibt inzwischen bekannte einige kurdische Künstlerinnen, aber in der Regel beschränkte sich die „Kunst“ auf die Alltagsgestaltung im Haus. Allerdings wird in den Befragungen deutlich, dass besonders im Bereich der Verlobung ein wesentlicher Fortschritt erkennbar ist. Viele der Befragten äußern die Absicht irgendwann zu heiraten, möglicherweise sogar eine Partner aus einer anderen Nation. Eine Heirat innerhalb der Verwandtschaft ist in dieser dritten Generation nicht mehr so relevant, wobei der Großteil mit seiner Familie über alles offen diskutieren kann. Sie fordern das Recht ein, sich den zukünftigen Partner selber auszusuchen, was weitgehend von ihren Eltern akzeptiert wird. Mittlerweile wurde die Schulpflicht in allen kurdischen Gebieten auch für Mädchen eingeführt. Sie studieren, nehmen aktiv am öffentlichen Leben teil, beteiligen sich an politischen Diskussionen und sind doch nicht gleichberechtigt. Der Wunsch danach eine Beziehung anstatt einer zu frühen Ehe zu führen, ist nicht nur bei den kurdischen Männern, sondern auch bei den Frauen vorhanden. Allerdings nur unter der Prämisse, dieses ihren Eltern nicht mitteilen zu müssen. Bei der Befragung ist festzustellen, dass in der dritten Generation in Deutschland lebenden kurdischen Mädchen und Jungen ein Fortschrittsdenken in Richtung Gleichberechtigung und Emanzipation stattfindet. Aber das Leben zwischen den beiden Kulturen erschwert eine schnelle Entwicklung momentan noch. Auch auf dem politischen Sektor veränderte sich die Situation für die Frauen. Die Frauen wurden auch politisch als gleichberechtigt angesehen – hier ist besonders das Wirken der Arbeiterpartei Kurdistan (PKK) hervorzuheben – und sie wurden in die Freiheitsbestrebungen mit einbezogen. Innerhalb der PKK wurde mit 53 der traditionellen Haltung gegenüber Frauen gebrochen (vgl. van Bruinessen, 2000, S. 25). Der Eintritt in den Guerilla war für junge Frauen eine Alternative zur Ehe und der traditionellen Rolle als Dienende und Konfrontation Unterdrückte, mit neuen bedeutet aber Ungleichheiten gleichzeitig und die stereotypen Rollenmustern (vgl. ebd.). Auch die PKK erkannte den als spezifisch kurdisch verstandenen Ehrbegriff an. Unter Guerrillakämpferinnen der Organisation ist sexuelle Enthaltsamkeit wichtig und unabdingbar. Allerdings gelang es der PKK den Ehrbegriff in Ihrem Sinne umzudefinieren. Auch die Teilnahme am Befreiungskampf wird als ein Akt der Ehre verstanden. Dadurch ist für Frauen eine neue Möglichkeit eröffnet, auf „ehrenhafte“ Weise am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen. Um sich der Guerilla anzuschließen, konnten Sie in Übereinstimmung mit der Moral das Elternhaus verlassen, auch ohne zu heiraten. Die große Anzahl von Frauen in dem kurdischen Guerilla zeigt, dass diese Neudefinition angenommen wurde. Die PKK konnte die Akzeptanz von Frauen im öffentlichen politischen Leben durchsetzen. Dieser Wandel ist jedoch von heftigen Auseinandersetzungen um Begriffe wie „Authentizität“, „Tradition“ und die „neue Identität“ gekennzeichnet (vgl. Skubsch, S. 245). Heutzutage werden Führungspositionen in Parteien selten von Frauen besetzt. Nur einige Frauen haben es geschafft, sich wirtschaftlich unabhängig zu machen. Die anderen, ebenfalls beruflich emanzipiert, kehren mit der Gründung einer Familie in die alten Strukturen zurück. Es gelingt ihnen nicht, Traditionen abzuschaffen, die eindeutig das Ansehen der Frau schwächen. Für die Frauen von heute ist es nach wie vor nicht leicht, zwischen Tradition und „Moderne“ zu pendeln. 3.4 Kurdische Familien in der Migration in Deutschland Ein Wechsel von dem Herkunftsland in ein Aufnahmeland ist 54 wesentlich mehr als nur der Übertritt über eine Staatsgrenze. Die Auswirkungen auf die einzelnen Menschen, auf die Strukturen innerhalb der Familie und auf das Rollenverständnis der Geschlechter können einschneidend sein. Darüber hinaus ist der Wechsel verbunden mit zwiespältigen Gefühlen. Zum einen erfährt der Immigrant Verlustgefühle gegenüber seiner Heimatfamilie, seiner ethnischen Gruppenzugehörigkeit und der Kultur seines Heimatlandes. Hinzu kommen Ängste, sich ein neues Leben in einem fremden Aufnahmeland aufzubauen. Er weiß nicht, was ihn erwarten wird. Er wird aber auch von Hoffnungen begleitet; Hoffnungen auf ein Leben ohne Krieg, auf Erwerbsarbeit und somit auf eine gesicherte Existenz. Wer ein- und auswandert steht in einer sozial schwachen Position. Er verlässt seine vertraute Umgebung, Sprache, berufliche Qualifizierung und damit verbunden einen gewissen Status und politische Rechte. In der Regel verschlechtern sich die Lebensbedingungen in der Migration erheblich. In den letzten 30 Jahren ist eine Entwicklung von der Arbeitsmigration zu einer Kettenmigration mit Familiennachzug fest zu stellen. Diese trägt oft zur Bildung einer stabilen Gemeinschaft bei, die sich auf einen bestimmten Wohnraum konzentriert. Diese Tendenz wird stärker, je geringer der Kontakt mit der Aufnahmegesellschaft ist. Das Alter und das Geschlecht spielen bei der Migrationsbiographie eine große Rolle. Entscheidend sind außerdem einerseits die rechtlichen und strukturellen Rahmenbedingungen im Aufnahmeland, und anderseits ihre persönlichen und familiären Ressourcen. Die Erforschung der Hintergründe von kurdischen Migrationsbewegungen gestaltet sich als schwierig, weil es wenig gesammeltes Datenmaterial gibt. Politische und ökonomische Ursachen sind nicht eindeutig von einander zu trennen. Kurdische Migranten werden von den Aufnahmeländern nicht gesondert erfasst. Politische Entscheidungen, Macht- und Territorialkämpfe führen in 55 verschiedenen Gebieten dazu, dass Kurden ins Ausland geflüchtet sind. Ein Beispiel dafür ist die türkische Kurdenpolitik in den 60er und 70er Jahren (vgl. Skubsch, S. 221ff). Neben der Flucht war ein weiterer Grund zu emigrieren die Arbeitsmigration aufgrund der schlechten Wirtschaftslage im eigenen Land. Viele sind mit der Gastarbeiterbewegung hierher gekommen, um Geld zu verdienen. Ihr Ziel war es, bessere Lebensbedingungen in ihrer Heimat zu schaffen. Ihr Plan, nach kurzer Zeit Deutschland wieder zu verlassen, wurde nicht verwirklicht. Viele Kurden leben nun schon 40 Jahre hier zusammen mit ihren nachgezogenen Familien. Selbst die nächste Generation wächst mittlerweile hier auf. „Die Arbeitsmigration verband die Flucht vor Diskriminierung und politischer Verfolgung mit der Erwartung auf einen ökonomischen Aufstieg in den so genannten Wirtschaftswunderländern Europas. Studium und Arbeitsmigration machten für viele eine Erlangung des Flüchtlingsstatus unnötig“ (vgl. ebd.). Die Lage der Flüchtlinge unterscheidet sich deutlich von der der Arbeitermigranten. Sie ist gekennzeichnet durch existentielle Unsicherheit, durch eine soziale Deklassierung und eine instabile rechtliche Situation. Flüchtlingen stehen in Deutschland nicht die gleichen Rechte zu wie anderen Migranten, und durch die Residenzpflicht sind sie in ihrem Bewegungsraum eingeschränkt (vgl. Skubsch, S. 227). Erzwungene Migration im Zeitalter der Globalisierung ruft Wechselwirkungen zwischen den Individuen und ihren Familien einerseits und den sozialen Prozessen, in denen sie sich bewegen, anderseits hervor. Eine Vielzahl der kurdischen Arbeitsmigranten war vor ihrem Eintritt in die Bundesrepublik Deutschland im Agrarbereich tätig bzw. übte unregelmäßige Beschäftigungen aus (vgl. Skubsch, S. 226). Viele junge Kurden wanderten in der Hoffnung auf bessere Bildungschancen und eine Möglichkeit zum Studium nach Deutschland aus. Vom Wanderungsgrund ist der Aufenthalts- und soziale Status der 56 Familie im Aufnahmeland abhängig und nicht zuletzt der Zugang zu Ressourcen staatlicher Förderung (Boos-Nünning, S. 25). Die erste Generation der Kurden verfügte über ein niedriges Bildungsniveau. Dies ist eine Ursache für verschlechterte Aufstiegsmöglichkeiten. Anders als bei der ersten Generation, die nach der Zuwanderung einen Arbeitsplatz erhalten hatte, ist die berufliche Chance der zweiten Generation von kurdischen Migranten schlechter und von Arbeitslosigkeit gekennzeichnet. Die nachfolgende zweite und dritte Generation, die in Deutschland geboren wurde, weist soziale Differenzierungen auf. Sie absolvieren Schul- und Berufsausbildungen. Zudem ist die Zugangschance zur gesellschaftlichen Teilhabe größer als bei ihren Eltern (vgl. Skubsch, S. 242). Dies führt zu einer Altersdifferenzierung sowie zu einer zunehmenden Präsenz von Frauen im Gegensatz zu den 60er Jahren, als eine zeitlich begrenzte „Männermigration“ herrschte (vgl. ebd., S. 240). Genaue Zahlen, wie viele Kurden in Deutschland leben, sind nicht bekannt. Sie sind auch nicht als Volksgruppe statistisch erfasst. Schätzungen zufolge kann davon ausgegangen werden, dass 1994 etwa 580.000 Kurden in der Bundesrepublik Deutschland lebten (vgl. Meyer-Ingwersen, S. 319). Hauptsächlich kommen sie aus NordKurdistan /Türkei. Die Kurden bilden die drittgrößte Migrantengruppe nach den Türken und Italienern (Senol, 1994, S. 137). „Obwohl die Kurden eine so große nationale Gruppe bilden, haben sie viele Rechte nicht, die für andere nationale Gruppen, die über ein Staatsgebiet verfügen, gelten” (Ebd., S. 137). Dies berührt besonders die nationale Identität der kurdischen Minderheit. Sie gelten als zugehörig zur jeweiligen Nationalität des Herkunftslandes und werden als Perser, Türken und Araber definiert. Ein zusätzliches Problem ist, dass die Kurden Fremde unter Fremden sind. Dies gilt in doppelter Hinsicht. Einerseits besteht eine „Sprachbarriere”. Ihre Muttersprache, die ein wichtiger Bestandteil 57 der frühkindlichen Sozialisation ist, durfte weder in ihrem jeweiligen Heimatland in den Schulen gesprochen werden, noch ist sie in Deutschland als solche anerkannt. Da Sprache auch kulturelle Normen und Werte übermittelt, geht hierdurch ein Stück ihrer nationalen Identität verloren. Ein negatives Beispiel hierfür ist die Haltung deutscher Behörden, die eine kurdische Namensgebung für ein Kind verweigern, wenn dieser nicht in einer Namensliste des Herkunftslandes, beispielsweise der Türkei, steht. Andererseits sind sie auch Fremde gegenüber anderen Migranten nicht-kurdischer Herkunft. Die kurdische Sprache ist nicht vergleichbar mit der türkischen oder arabischen Sprache. Der Migrationszeitpunkt der Kurden spielt eine wichtige Rolle. Entscheidend ist, ob zuerst die Frau oder der Mann oder ob sie gemeinsam als Familie eingewandert sind. Ist der Mann zuerst eingereist, zeigt er eine hohe Dominanz in der Entscheidungsmacht. Das führt zu einer geringen Strukturflexibilität der Familie, so dass sie sich den wechselnden Umweltbedingungen kaum anpassen kann. Immigriert die Frau zuerst, erhält die Frau mehr Autonomie bei der Aufgabenerfüllung in Bezug auf die Integration der Familie (7. Familien-Bericht). Reist die Familie gemeinsam ein, findet sich durchgängig eine hohe Anpassungsbereitschaft. In der Migration trägt die Familie dazu bei, dass durch eine emotionale Unterstützung ein „Sozialkapital“ entsteht. Sie übernimmt in der Migration drei wichtige Funktionen. Erstens ist sie ein Stabilitätsfaktor für die Familienmitglieder, zweitens hilft sie bei der Überwindung von fragmentischen Erfahrungen und drittens ist sie ein privilegierter Raum, um neue Verhaltensweise realistisch zu prüfen. Oft entstehen innerfamiliäre Konflikte, wenn einzelne Familienmitglieder unterschiedlich auf die neue Umgebung reagieren. Insgesamt stellt die Migration eine große Herausforderung an die Flexibilität der Paarbeziehung und der Geschlechterrolle. Bei der Immigration werden die Kurden/Innen nach einer kurzen 58 Reise von drei zentralregierten Stunden Flugzeit Gesellschaft in von eine einer agrargeprägten postmoderne westliche Gesellschaft katapultiert. Dieses bringt für viele Kurden/Innen einige positive Aspekte, wie finanzielle Versorgung und Frieden, jedoch auch einen Kulturschock. Sie müssen sich mit einer fremden fortschrittlichen Kultur auseinandersetzen. Doch bei all diesen Unwägbarkeiten stellt Skubsch fest, „dass Kurden, die bereits in den Herkunftsstaaten Migrationssituationen erlebt und Erfahrung mit kultureller Marginalisierung gemacht haben, die Integration leichter fällt als Zuwanderern, die über keine Migrationserfahrung verfügen“ (Skubsch, S. 228). Die kurdische Diaspora bewältigt die Immigration in westliche Gesellschaften besonders gut. Den kurdischen Migranten steht ein ganzes Bündel an Bewältigungsstrategien für den Migrationsalltag zur Verfügung (vgl. ebd.). Sie haben meist schon Erfahrungen darin, als Minderheit in einer Gesellschaft im Herkunftsland zu leben und können somit die Chancen und Risiken besser abschätzen. 3.4.1 Rolle der kurdischen Frau in der Migrationsfamilie Die Rolle der Frau innerhalb der kurdischen Migrationsgesellschaft ist geprägt durch eine patriarchalische Struktur. Gegensätzlich zu der eher einheitlichen Lage der Frau in der traditionell geprägten Dorfgemeinschaft im Herkunftsland, ist die Migration mit Differenzierungen verbunden. Für einige Frauen hält die Migration nach Europa die Chance zur Erwerbstätigkeit und Selbständigkeit bereit (vgl. Skubsch, S. 242). Anderen fällt es wesentlich schwerer, in Deutschland Fuß zu fassen. In den Herkunftsländern hatten die Kurdinnen häufig qualifizierte Ausbildungen, eine Erwerbsarbeit und konnten Familie und Beruf vereinbaren. Diese Möglichkeiten fallen in 59 der Migration in Deutschland oft weg. Ausbildungen werden nicht anerkannt und es treten Probleme bei der Arbeitserlaubnis auf. Besonders für die Kurdinnen der ersten Generation hat sich, bedingt durch die Migration, eine gesellschaftliche Isolation ausgeprägt. Im Gegensatz zu den Zeiten der traditionellen Dorfgesellschaft, wo sie noch in die Frauengesellschaft integriert waren, ihre Pflichten gemeinsam erfüllten und sich kommunikativ einbringen konnten (vgl. 3.3), ist das Zusammensein mit Frauen in Deutschland, bedingt durch die räumliche Isolation, kaum möglich. Migrantinnen der zweiten und mittlerweile der dritten Generation sind junge Frauen und Mädchen, die entweder hier geboren wurden oder in jungen Jahren nach Deutschland eingereist sind. Sie haben hier ihren Lebensmittelpunkt gefunden und sind mit den Normen und Werten des Aufnahmelandes sozialisiert worden sind. Sie haben sich soziale Netzwerke aufgebaut und viele von ihnen haben qualifizierte Schul- und Berufsausbildungen absolviert. Zudem werden sie beeinflusst durch die patriarchalischen Traditionen ihrer Familien, in denen Gehorsam und Autorität der Väter das Zusammenleben bestimmt (vgl. Boos-Nünning, S. 96). Dadurch besteht, im Gegensatz zu deutschen Mädchen, wo sich ein aufgeklärtes und selbst bestimmtes Verhalten bzgl. Sexualität durchgesetzt hat, für Mädchen aus orientalischen Gesellschaften noch ein traditionelles Bild. In orientalischen Gesellschaften ist das Thema Sexualität tabuisiert. Ehre, Achtung, Scham und Jungfräulichkeit sind in der Migration entscheidende Werte, um soziale Anerkennung in der Gesellschaft zu erhalten. Noch immer herrschen in der westlichen Kultur bestimmte stereotype Vorstellungen über die Migrantinnen und so auch über die Kurdinnen. Hierzu zählen u.a., dass Migrantinnen bunte traditionelle Kleider tragen und ein einfaches Leben gewohnt sind. Auch herrscht das Vorurteil, dass sie unterdrückt und nicht gleichberechtigt in ihrer Kultur leben. Diese Bilder werden durch die Massenmedien noch verstärkt. 60 Mönch-Bucak beschreibt jedoch eine „widersprüchliche Vielfalt kurdischer Frauen“. Zu den Frauentypen zählen: − die Kurdin, die aufgrund ihrer Erwerbslosigkeit und Sprachdefizite isoliert und von ihrem Ehemann abhängig ist − die Kurdin, die einerseits außerhalb des Hauses selbständig arbeitet, zuhause allerdings die traditionelle Rollenverteilung annimmt − die selbstbewusste Kurdin, die es wagt eine Scheidung einzureichen − die Kurdin, die sich darum bemüht einen qualifizierten Beruf auszuüben − die Kurdin, die sich politisch einsetzt (Skubsch, S. 242) Ergänzend hierzu nennt Gierull noch folgende Typen: − die Migrantin, die sich im Herkunftsland qualifiziert hat und erwerbstätig war; im Aufnahmeland aber in den Familienbereich zurückgedrängt wurde − die Migrantin, die mit den Werten ihres islamischen Kulturkreises, gerade auch in Bezug auf die Ehe, sehr verbunden ist (vgl. Gierull, 2002) Daraus folgt, dass es weder die stereotype Kurdin noch eine festgelegte Rolle der Frau in der kurdischen Migrantenfamilie gibt. Zu beobachten ist eine langsam voranschreitende Entwicklung hin zu einem veränderten Selbstverständnis. Beispielweise sind die Zahlen der allein erziehenden Mütter und die Anzahl der Scheidungen gestiegen. Sowohl die Bildung der Töchter als auch die Bildung der Mütter und Väter der ersten Generation gewinnt an Bedeutung. Sie besuchen Deutsch- und Alphabetisierungskurse, die sie u.a. dazu nutzen, sich untereinander auszutauschen. Dadurch kommen gerade die Mütter aus ihrer Isolation heraus und die Selbstbehauptung und Selbstständigkeit nimmt zu. 61 4. Familienehre und Kulturkonflikt 4.1 Vergleich von Ehrvorstellungen in der deutschen und kurdischen Gesellschaft Ehre ist immer zu beschreiben in Relation zu einem bestimmten Bereich wie der Religion, der Gemeinschaft oder den Menschen. Im vorliegenden Kapitel werden deutsche und kurdische Vorstellungen von Ehre miteinander verglichen. 4.1.1 Ehre in der deutschen Kultur Im deutschsprachigen Raum ist in dem Wortstamm „Ehre“ folgendes inbegriffen: Würde, Ruhm, guter Ruf, Reputation, Ansehen, Achtung und Anerkennung. Das deutsche Wort „Ehre“ geht auf das althochdeutsche Wort „era“ zurück. „Era“ meint die Ehrerbietung, die der Mensch Gott entgegen zu bringen hat. Ehre bedeutet das individuelle Ansehen eines Menschen, welche von der Leistung und der sozialen Stellung dieser Person abhängig ist und ihr von ihrer Umwelt entgegen gebracht wird. Bestimmte Normen und Forderungen, die in der jeweiligen Gesellschaft herrschen, bestimmen was als ehrenhaft gilt. Kizilhan geht davon aus, „dass im westlichen Kulturkreis unter Ehre die Achtung verstanden wird, die jedem Menschen allein auf Grund seines Menschseins und der damit verbundenen Würde von Natur aus zukommt und die ihm im Rahmen der Menschen- und Grundrechte garantiert werden soll” (Kizilhan, 2006, S. 70). Schon in Artikel 1 des Grundgesetztes heißt es: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.” Der Begriff Würde ist hier gleichbedeutend mit Ehre. Zudem ist die Ehre in Deutschland ein Rechtsgut, dessen Verletzung bestraft wird (Vgl. §§185 – 188 StGB). Beleidigungen, üble Nachrede und Verleumdung können mit Freiheitsstrafen geahndet werden (vgl. 62 Stascheit, S. 1564). In der christlichen Religion stellt der Ehrbegriff hauptsächlich die Anerkennung Gottes dar und den Respekt vor ihm. Von Gott wiederum erhält der Mensch Gnade und Ehre, wenn er ein ehrbares gottgefälliges Leben führt. Geschichtlich gesehen wurde die Ehre bis in die 20er Jahre des 20. Jahrhunderts durch Duelle verteidigt. Dies beruhte auf der Vorstellung, dass eine verletzte Ehre nur durch das Vergießen von Blut gereinigt und gewaschen werden kann. Ehre war eng verknüpft mit der Menge an Besitz. Meist wurde die Ehre als ein Gut betrachtet, dass es zu erlangen und zu verteidigen galt. Zudem war es nicht selten, dies über das Gut des Lebens gestellt wurde (vgl. Ehre, veraltetes Konzept oder Schlüsselbegriff…, 1996, S. 24). Unter diesem „Gut” ist auch der gute Ruf zu verstehen. Der gute Ruf kann durch Tratsch, Gerüchte und Unwahrheiten, die sich unberechtigterweise über eine Person verbreiten, zerstört werden (Kizilhan, 2006, S. 96). Der Ehrverlust führte dazu, dass Männer vor allen Dingen wegen mangelnder Tapferkeit und Frauen wegen mangelnder sexueller Zurückhaltung aus der Gemeinschaft verstoßen wurden (vgl. Kizilhan, S. 70). Heute wird der Begriff der Ehre in der westlichen Kultur, im Gegenteil zur kurdischen, nicht mehr so sehr sexualisiert und hat sich von den Geschlechtsidentitäten losgelöst. 4.1.2 Ehre in der kurdischen Kultur Ehre, kurdisch Namûs, betrifft in der kurdischen Gesellschaft ein zu schützendes Inneres. Hier ist die Ehre ein Bereich der Familie. Das Äußere wird durch die männliche Öffentlichkeit des Dorfes oder der Stadt dargestellt. Dazwischen besteht eine klare Grenze, die 63 überschritten wird, wenn jemand von außen einen Angehörigen der Familie, insbesondere die Frauen, belästigt. Die Ehre des Mannes ist dann beschmutzt, wenn er die Angehörige nicht konsequent verteidigt und beschützt (vgl. Atabay, S. 28). Er ist dann ehrloskurdisch: bênamûs. Der Begriff Ehre (namûs) lässt sich in die zwei voneinander untrennbare Werte „Ansehen“ (şeref) und „Respekt“ (rêz)” unterteilen (vgl. Toprak, 2005, S. 149). Der Begriff “Şeref” lässt sich folgendermaßen definieren: Die Gewichtung des Serefs ist abhängig von guten und schlechten Taten. Şeref kann durch das Erfüllen guter Taten erzielt werden, wobei Şeref sowohl für Männer als auch für Frauen bedeutend ist, denn beide Geschlechter haben gleichermaßen Şeref. Auf der anderen Seite nimmt der Respekt bzw. die Achtung (rêz) in der Familienhierarchie eine wichtige Rolle ein (vgl. ebd., S. 151). Jedem kurdischen Mann weist das Ehrkonzept einen Bereich persönlicher Integrität und Würde zu, der die eigene körperliche Unversehrtheit wie die der Familienangehörigen umfasst. Die Ehre des Mannes hängt von seiner Ehefrau und seinen Schwestern ab. Der Mann muss im äußersten Fall seine Frau verstoßen, um seine Ehre wieder herzustellen (vgl. Atabay, S. 28f). Umgekehrt hat das Fehlverhalten der Männer nicht so gravierende Auswirkungen. Jedoch können Männer, im Falle eines eigenen Verschuldens, wie z.B. trotz einer bestehenden Ehe nach weiteren Frauen Ausschau zu halten, ihre Ehre verlieren (vgl. Toprak, S. 151). Die kurdischen Frauen sind einem pflicht- und traditions- übergreifendem Leben ausgesetzt, denn bereits in ihrem frühen Lebensalter werden sie mit vielen Arbeitsbereichen konfrontiert – sowohl innerhalb als auch außerhalb des Hauses (vgl. Kizilhan, S. 103). Die kurdischen Frauen sind die eigentlichen Trägerinnen der Ehre, des Rufes und der Familienstellung; ihr Verhalten ist gänzlich durch die Ehre bestimmt. Die Frau zeigt ihre Ehrenhaftigkeit überwiegend durch ihre Keuschheit. Eine Frau, die einen Ehebruch beginnt, 64 befleckt nicht nur ihre eigene Ehre, sondern auch die des Ehemanns (vgl. Schiffauer, 1988, S. 74). Um die Unannehmlichkeiten einer Ehrverletzung zu vermeiden, wird die Frau ständig in ihr Handeln und Tun kontrolliert und überwacht. Um die Ehre nicht zu verletzen sind bestimmte Regeln vorgegeben, die Frauen strikt zu befolgen haben. Eine dieser Regeln ist zum Beispiel, dass die Frau sich möglichst unauffällig und geschlechtslos verhält, damit sie keine Männerblicke auf sich zieht. Zudem sollte die Frau möglichst den kürzesten Weg nach Hause nehmen und nicht auf den Straßen bummeln, nicht mit fremden Männern sprechen, in der Öffentlichkeit in Begleitung auftreten und keine auffällige Kleidung tragen. Frauen, die diese Regeln nicht einhalten, werden rasch mit Unterstellungen konfrontiert. Ihnen wird vorgeworfen, dass sie nach Männerbekanntschaften suchen (vgl. König, 1990, S. 248f). Wie bereits erwähnt, wird im Kontext von Ehre in der kurdischen Gesellschaft der Jungfräulichkeit der Frau besondere Bedeutung beigemessen. Jungfräulichkeit bedeutet nicht nur die Enthaltsamkeit vor der Ehe, sondern beinhaltet auch, dass die Frau ihre Eltern, die Schwiegereltern und die Ältren in der Familie achtet und sich in Sittsamkeit übt (vgl. Boos-Nünning, S. 285). Die Frau ist ehrenhaft, wenn sie keusch und rein bleibt. Hierzu gibt es drei Kategorien: Die Jungfrau /das Mädchen (keç), die Ehefrau (jin) und im Gegensatz dazu die ehrlose und schmutzige Frau (jina nebaş), die außerhalb der Ehe Beziehungen zu Männern eingeht. Darüber hinaus bestimmt der Ehrbegriff das Verhältnis zwischen Männern und Frauen. Wenn die Frau ihren Mann betrügt, befleckt sie zu ihrer Ehre auch die des Mannes, denn der Mann gilt als schwach, weil er seine Frau nicht vom Ehebruch abgehalten hat. Die Frau gilt als schwaches Wesen, weil sie nicht selbst ihre Ehre verteidigen kann. Bezüglich der Ehre ist bei den Frauen entscheidend, ob sie rein oder unrein sind, bei den Männern jedoch ob sie als stark oder schwach gelten. Da der Mann mit seiner Stärke dafür zu sorgen hat, 65 dass die Frauen seines Hauses rein bleiben und andernfalls seine soziale Position ruiniert wäre, sind männliche und weibliche Ehre aufeinander bezogen und voneinander abhängig. „Während die persönliche Ehre des Mannes im nichtsexuellen Bereich von seinen eigenen Taten und Handlungen abhängt, ist die Frau zum Nichthandeln verurteilt“ (vgl. König, S. 248). Die Beziehung zwischen Vater und Tochter nimmt auf Grund der Ehre eine zwiespältige Rolle ein (vgl. Kizilhan, S. 100). Aus Furcht des Vaters, dass die Tochter ihm Schande bereiten könnte, verändert sich sein Verhalten ihr gegenüber mit zunehmendem Alter; je älter sie wird, desto kühler und distanzierter wird das Verhältnis. Der Vater lässt erst wieder vertrauenswürdige Gefühle zu, sobald sie verheiratet ist. Denn durch die Verheiratung hat der Vater die Verantwortung sozusagen seinem Schwiegersohn übertragen (vgl. Schiffauer, S. 75). Zudem wird der Begriff der Ehre nicht nur im familiären, sondern auch im politischen und gesellschaftlichen Kontext verwendet. Besonders im Mittleren und Nahen Osten ist beobachtbar, dass die Ehre als ein bedeutendes Herrschaftsinstrument fungiert. Das auf eine archaisch-patriarchalische Denkweise gegründete Gedankengut soll den Menschen sowohl in seinem Denken als auch in seinem Handeln lenken und bestimmen (vgl. Schiffauer, S. 75). Im politischen und militärischen Bereich wird der Begriff „Ehre” zur Motivation der Kämpfer verwendet. In diesem Sinne soll die „Nationalehre” den Betroffenen dazu befähigen, in den Krieg zu ziehen und im schlimmsten Fall sogar den Tod in Betracht ziehen. Im Kontext der politischen und militärischen Position nimmt auch die Frau eine wesentliche Rolle ein. Es gibt eine Vielzahl von Frauen, die sich an ethnisch orientierten Kämpfen beteiligen. In der Migration spielt die Ehre bei den Kurden eine entscheidende Rolle. In Deutschland halten sie besonders intensiv an Traditionen 66 und Ehre fest, denn sie haben Angst vor Überfremdung und davor, ihre Identität zu verlieren. Ebenso befürchten sie, dass ihre Kinder zu sehr von der westlichen Welt beeinflusst werden. Deswegen kommt es zu Frühverheiratungen und arrangierten Ehen, die in eine Zwangsheirat münden können. Und so sind sie in einem ständigen Konflikt zwischen zwei Wünschen, dem Wunsch nach Integration ihrer Kinder im Bildungs- und Berufswesen und dem Wunsch, dass die Kinder den kurdischen Ehrbegriff übernehmen und diesem gerecht werden. Um letzteren zu realisieren, wird durch ein starkes Mitspracherecht der Eltern Einfluss auf das Leben der Kinder genommen. Ein Beispiel dafür ist die Entscheidung darüber, ob ein Sohn oder eine Tochter ein Studium in einer anderen Stadt aufnehmen darf. Die folgende Tabelle stellt die Ergebnisse der Befragung in Bezug auf diese Fragestellung dar. Tabelle: Dürfen Sie von Ihren Eltern aus zum Studieren in eine andere Stadt ziehen? Kurdisch (weiblich) Kurdisch (männlich) Deutsch (weiblich) Deutsch (männlich) 2 (ja) 7 (ja) 8 (ja) 10 (ja) 8 (nein) 0 (nein) 2 (nein) 0 (nein) (Quelle: Eigene Interviews, Bochum Januar-April 2007, siehe Anhang) Es wird deutlich, dass dem Begriff der Ehre in der kurdischen Gesellschaft eine stärkere Bedeutung zukommt als in der deutschen. Das Verhalten der einzelnen Familienmitglieder, insbesondere das der Frauen, hat in der kurdischen Gesellschaft einen Einfluss auf die Ehre der gesamten Familie. Anhand der nachfolgenden Tabelle wird dieses unterschiedliche Verständnis von Ehre in der kurdischen und deutschen Gesellschaft dargestellt. Die Ergebnisse wurden mittels der durchgeführten Interviews gewonnen. Tabelle: Sind die Töchter für die Ehre der Familie verantwortlich? 67 Antwort in % deutsch Kurdisch Gesamt Ja 0 55,6 35,7 Nein 100 44,4 64,3 100 100 100 (Quelle: Eigene Interviews, Bochum Januar-April 2007, siehe Anhang) Tabelle: Sind die verantwortlich? Jugendlichen für die Ehre der Familie Kurden (weiblich) Kurden (männlich) Deutsch (weiblich) Deutsch (männlich) 9 (ja) 10 (ja) 9 (nein) 10 (nein) (Quelle: Eigene Interviews, Bochum Januar-April 2007, siehe Anhang) Die Ergebnisse in Bezug auf die Frage nach dem Verständnis von Ehre in den beiden unterschiedlichen Kulturen, machen deutlich, dass der Begriff der Ehre in beiden Kulturen eine unterschiedliche Bedeutung hat und mit unterschiedlichen Assoziationen verbunden ist. Auch variiert die Vorstellung darüber, welches Verhalten der Aufrechterhaltung der Ehre dienlich ist. Im Folgenden werden die häufigsten Antworten auf die Frage nach dem Verständnis von Ehre dargestellt, wobei die Aussagen der Mitglieder beider Kulturen gegenübergestellt werden. Tabelle: Verständnis von Ehre im deutsch-kurdischen Vergleich kurdisch Deutsch Das Umfeld und die Nichts Gesellschaft sollen nicht Aufrechterhaltung der schlecht über einen reden Familie Ehrlichkeit, Vertrauen Respekt den Eltern und der Zusammenhalt Verwandtschaft gegenüber den gegebenen Traditionen gerecht werden können keine Schande über die Familie bringen/ Verantwortlichkeit nichts tun, was die Familie nicht möchte Respekt, Akzeptanz (Quelle: Eigene Interviews, Bochum Januar-April 2007, siehe Anhang) 68 4.2 Zwangsheirat: Mythos oder Realität? In der kurdischen Sprache existiert kein passendes Synonym zu dem Wort „Zwangsheirat“. Es wird vergleichsweise harmlos davon gesprochen, dass man die Töchter weggibt oder eine Frau für den Sohn gefunden hat (Ma te keça xwe ne daye / Ma te ji kurê xwe re yek ne dîtiye). Der Begriff Zwangsheirat wird aber sehr wohl in Europa verwendet und es wird in den Medien verbreitet, dass in den betroffenen Ländern Zwangsheiraten tabuisiert werden. In der kurdischen Kultur wird sich weder öffentlich noch innerfamiliär mit dem Thema Zwangsheirat auseinandergesetzt. Selbst der Begriff „arrangierte Ehen“ taucht nicht auf. Aus den erstellten Biographien und den Ergebnissen der Befragung geht hervor, dass fast alle die Zwangsheirat als sehr negativ bewerten. Dabei fällt jedoch auf, dass auf Fragen, die auf eine arrangierte Ehe hindeuten, häufig mit „Ja“ geantwortet wurde. Boos-Nünning bestätigt dies: „Die Tradition der arrangierten Ehe und der Zwangsheirat wird allgemein vor allem in Hinblick auf islamische Kulturen als nach wie vor gültig betrachtet“ (Boos-Nünning, S. 225). Es lässt sich jedoch nicht genau klären, wo die Übergänge zwischen freiwilliger Heirat, arrangierter Ehe und Zwangsheirat sind. Deswegen wird im Folgenden der Begriff „verheiratete Mädchen“ verwendet. „Obwohl die meisten Staaten das Menschenrechtsabkommen der Vereinten Nationen, in dem die freie Wahl des Ehegatten garantiert ist, unterzeichnet haben, konnten Zwangsverheiratungen bis heute nicht ausgemerzt werden“ (Lehnhoff, 2002, S. 11). Häufig wird die Zwangsheirat religiös begründet. Dies entspricht jedoch nicht den Lehren der Weltreligionen wie Christentum, Judentum und Islam. Diese bestehen auf das Einverständnis beider Ehegatten. Dies wird von den o.g. Religionen als die wichtigste 69 Voraussetzung für die Eheschließung verstanden (vgl. ebd.). Die tatsächlichen Ursachen für Zwangsverheiratungen liegen in den patriarchalischen Strukturen und Traditionen der Männer, Väter und Söhne. Bereits dem Artikel 16 Absatz 2 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948, der für alle Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen gilt, ist folgendes zu entnehmen: „Eine Ehe darf nur im freien und vollem Einverständnis der künftigen Ehegatten geschlossen werden“ (vgl. Art.16 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte vom 10. Dezember. In: Bundeszentrale für politische Bildung, 1995, S. 37f). Dem o.g. Artikel zufolge liegt eine Zwangsverheiratung dann vor, wenn einer der beiden Ehegatten keine eigenständige und freie Zustimmung zur Ehe gegeben hat. Viele Mädchen werden besonders jung (zwangs-)verheiratet. Nach Artikel 1 der UN-Konvention über die Rechte des Kindes, sind alle Menschen unter 18 Jahren noch Kinder, und somit nicht ehemündig (vgl. Art.1 des Übereinkommens über die Rechte des Kindes vom 20.11.1989. In: Bundeszentrale für politische Bildung, 1995, S. 187ff). Ergänzend steht im Artikel 16 der UN - Konvention, dass jede Form von Diskriminierung der Frau zu beseitigen ist, und dass Verlobung und Eheschließung eines Kindes keine Rechtswirkung haben (vgl. Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau vom 18.12.1979. In: Bundeszentrale für politische Bildung, 1995, S. 135ff). Das bedeutet, dass Personen, die eine Ehe eingehen wollen, volljährig sein müssen und eine anderweitige Handlung gegen dieses Gesetzt stößt. „Bildung für Mädchen gilt in traditionellen, ländlichen Regionen auch heute noch bei vielen Eltern als überflüssig. Oft sind Mutter und Vater selbst Analphabeten: In der Türkei kann jede vierte Frau nicht Lesen und Schreiben, bei den Männern ist es jeder fünfzehnte. Jedes sechste Mädchen wird vor seinem 19. Geburtstag verheiratet, die meisten bekommen schnell mehrere Kinder“ (Zitat, UNICEF: Türkei: Auf in die Schule, Mädchen!, www.unicef.de). 70 Wenn kurdische Eltern ihre Tochter sehr früh oder gegen ihren Willen verheiraten, sind sie davon überzeugt, dass sie es zum Nutzen und zum Wohl ihrer Tochter tun. Die Frühehe soll eine eventuelle „Schande“ verhindern (vgl. 5.2). Zudem erleichtert eine frühzeitige Heirat die Kontrolle der Eltern, denn „je jünger ein Mädchen ist, umso geringer ist die Gefahr, dass sie keine Jungfrau mehr ist (vgl. TERRE DES FEMMES e.V., 2002, S. 14). So ist auch das Risiko einer unehelichen Schwangerschaft, das bei den Kurden als eine tief greifende Schande und eine hochgradige Verschmutzung der Familienehre bedeutet, sehr gering. Einige Eltern, die ansatzweise versuchen, ihre Kinder in die Entscheidung mit einzubeziehen, sind einem hohen Druck von der Verwandtschaft ausgesetzt und müssen fest stellen, dass Traditionen und Bräuche als erheblich wichtiger bewertet werden als eine frei gewählte Ehe. Die Folgen einer Zwangsheirat sind vor allem negative sexuelle und emotionale Erfahrungen, die sich nachteilig auf den Körper und die Psyche auswirken und die Persönlichkeit negativ beeinträchtigen können. Laut einer analytischen Forschung sind Frauen, die zwangsverheiratet wurden, einem viel größerem Gewaltpotential ausgesetzt, erfahren kaum emotionale Zugehörigkeit und haben Minderwertigkeitskomplexe (vgl. TERRE DES FEMMES e.V., S. 19). Ein Grossteil junger verheirateter Mädchen hat nicht einmal ein Mitbestimmungsrecht auf Anzahl und Abstand von Schwangerschaften. Junge Mütter, die selber noch Kinder sind, bekommen Kinder, eine Tatsache, die zu vielen medizinischen und psychischen Schwierigkeiten während der Schwangerschaft und Geburt führt (vgl. ebd., S. 15). Ein Ausbruch aus der Ehe ist mit gravierenden Konflikten verbunden (vgl. TERRE DES FEMMES, S. 16). Betroffene schaffen einen Ausbruch nur mit der Unterstützung entsprechender Hilfsorganisationen, zumal sie auch von der eigenen Familie keine Hilfe erwarten können. Viele Frauen wagen nicht sich zu trennen und 71 fürchten um große Verluste, weil eine von Frauen eingeleitete Scheidung in vielen Fällen mit der Trennung von ihren Kindern bestraft wird. Wie aus den Biographien kurdischer Frauen hervorgeht, könnte dies auch einen Verstoß durch die eigene Familie zur Folge haben. Zudem muss die Frau befürchten, in der Gesellschaft stigmatisiert zu werden. Jedoch lassen sich diese Fälle nicht verallgemeinern. Inzwischen werden durchaus Ehescheidungen vollzogen, die nicht zu einem Verstoß der eigenen Tochter führen. Das tragische Phänomen der Zwangsheirat wird seit Jahren vermehrt auch in Deutschland unter den Migranten beobachtet (vgl. ebd., S. 55f). Kelek berichtet in Ihrem Buch „die fremde Braut“, dass Frauen als „Importbräute“ aus dem Ausland nach Deutschland (Europa) verheiratet werden. „Die typische Importbraut ist meist eben 18 Jahre alt, stammt aus einem Dorf und hat in vier oder sechs Jahren notdürftig lesen und schreiben gelernt. Sie wird von ihren Eltern mit einem ihr unbekannten, vielleicht verwandten Mann türkischer Herkunft aus Deutschland verheiratet“ (Kelek, 2005, S. 171). Kelek führt weiter aus, dass die Importbräute fast ausnahmslos von verstörenden Geschichten und Erfahrungen berichtet haben. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Kultur und die Tradition, in die man hineingeboren wird, von ganz entscheidender Bedeutung sind. Ganz gleich in welchem Land man lebt, begleiten einen diese prägenden Erfahrungen. Im Folgenden werden die Ergebnisse der Interviews zum Thema arrangierte Ehe und Zwangsheirat anhand verschiedener Tabellen verdeutlicht. Tabelle: Was versteht man unter Zwangsheirat? Kurdisch Deutsch 72 Wenn ich von Jemanden gezwungen werde irgend jemand bestimmtes zu heiraten Jemanden heiraten zu müssen, den man nicht heiraten möchte Mit jemandem das Leben verbringen, den man nicht möchte Heirat unter Zwang Das dümmste überhaupt. Heiraten, ohne es zu wollen. Eigene Entscheidung zählt nicht Eine alte, in der Tradition verankerte und nicht mit dem Islam übereinstimmende, sogar verbotene Institution, die durch Medien und Gesellschaft aufgepuscht wird Wenn meine Familie bestimmt, wen ich zu heiraten habe Nicht das Recht haben, sich für jemanden zu entscheiden Ist für mich so zu verstehen, dass ich einen Mann, ohne ihn zu kennen, heiraten muss Man wird gezwungen, ein Mädchen zu heiraten, das man nicht heiraten möchte Die Heirat mit einer Frau, die man nicht möchte und nicht liebt Einen Menschen lebendig begraben Die Eltern bestimmen eine Heirat Die Kinder werden von ihren Eltern gezwungen, Fremde zu heiraten Ist eine Sache mit der ich mich niemals beschäftigen muss und ich alle Menschen verachte, die andere zur Ehe zwingen Dass mich jemand zwingt, zu heiraten. Eine Heirat, die aufgezwungen wird Dass jemand verschenkt wird Frauen verprügeln Wenn man jemanden heiraten muss, den man nicht liebt, es aber von den Eltern so gefordert wird Eine Heirat, die beide nicht wollen aber dazu gezwungen werden Wie lebendig begraben zu werden (Quelle: Eigene Interviews, Bochum Januar-April 2007, siehe Anhang) Die Aussagen der Befragten beider Kulturen decken sich weites gehend, was bedeutet, dass die Vorstellung und Definition von Zwangsheirat sich in beiden Kulturen nicht unterscheidet. In beiden Kulturen wird unter Zwangsheirat eine Eheschließung verstanden, die unter Zwang zustande kommt und unter Umständen auch durch Ausübung von Gewalt gekennzeichnet ist. Es wird deutlich, dass in beiden Kulturen der Begriff der Zwangsehe sehr negativ belegt ist. Im Widerspruch dazu stehen die Ergebnisse zum Thema arrangierte Ehe, die in der nachfolgenden Tabelle dargestellt sind. 44% der kurdischen Befragten geben an, dass sie eine arrangierte Ehe für sinnvoll halten. Es 73 gibt die Tendenz, dass etwas mehr Frauen als Männer eine arrangierte Ehe ablehnen. Wie oben beschrieben, gibt es jedoch keine scharfe Trennung zwischen den Begriffen „Zwangsehe“ und „arrangierte Ehe“, in der Realität sind beide Begriffe gleichzusetzen. Trotz der negativen Bewertung von erzwungenen Ehen scheint in der Praxis die Tradition der arrangierten Ehen weiterhin aktuell zu sein. Tabelle: Halten Eltern arrangierte Ehen für sinnvoll? (gesamt) Antworten Deutsch Kurdisch Ja 0 44,4 22,2 Nein 100 55,6 77,8 100 100 100 (Quelle: Eigene Interviews, Bochum Januar-April 2007, siehe Anhang) Tabelle: Halten Eltern arrangierte Ehen für sinnvoll? (weiblich) Antworten Deutsch Kurdisch Ja 0 40 20 Nein 100 60 80 100 100 100 (Quelle: Eigene Interviews, Bochum Januar-April 2007, siehe Anhang) Tabelle: Halten Eltern arrangierte Ehen für sinnvoll? (männlich) Antworten Deutsch Kurdisch Ja 0 50 25 Nein 100 50 75 100 100 100 (Quelle: Eigene Interviews, Bochum Januar-April 2007, siehe Anhang) 4.2.1 Gewalt im Namen der Ehre: Ehrenmorde „Das ich ein ehrenvoller Mörder sei; Denn nichts tat ich aus Hass, für die Ehre alles.“ (Shakespeare) 74 Der Begriff der Ehre hat einen tiefen Ursprung, so verdeutlicht auch Shakespeares Ausspruch, dass man die Ehre zu schützen hat. Die Beschützung der Ehre kann sogar bis zur Tötung eines anderen Menschen gehen. Das Opfer ist meistens aus dem unmittelbaren Familienkreis. Hierfür gibt es zahlreiche Beispiele, wie die Ermordung von Hatun Sürücü durch den jüngeren Bruder (vgl. www.heise.de, 20.03.07). Auch ist aus dem o.g. Zitat von Shakespeare zu entnehmen, dass die Handlung zum Schutz der Ehre nicht aus Hass geführt wird, sondern überwiegend für die Beibehaltung der Ehre. Das Dilemma der Frau besteht darin, dass auch ohne ihr Zutun ihre Ehrenhaftigkeit zerstört werden kann. Wenn ihr zum Beispiel ohne „eigenes Verschulden“ eine Entführung oder eine Vergewaltigung widerfährt, bedeutet dieses ebenfalls eine Entehrung der Frau. Das bedeutet für die Familie dasselbe wie ein unkeusches Verhalten seitens der Frau. In solch einem Fall ist die Familienehre zerstört. Die entehrte Frau kann durch keine Handlung ihrerseits die Familienehre wiederherstellen. Die Ehre der Familie kann hier lediglich durch ihren Tod wiederhergestellt werden (vgl. König, S. 248). 4.2.2 Maßnahmen gegen Zwangsheirat und Unterstützungsmaßnahmen für die Betroffenen Anfang des Jahres wurde eine Unterarbeitsgruppe der Interministeriellen Arbeitsgruppe „Integration“ eingerichtet und damit beauftragt, ein Handlungskonzept zur Bekämpfung von Zwangsheirat zu erstellen. Der Zwischenbericht der Unterarbeitsgruppe „Zwangsheirat“ (Ministerium für Generationen, Familie, Frauen und Integration des Landes Nordrhein-Westfalen: Zwischenbericht zum Handlungskonzept der Landesregierung zur Bekämpfung von Zwangsheirat) enthält eine Vielzahl von Gesetzesänderungen, sowie Maßnahmen zur Beratung von Betroffenen, zur Prävention und zur 75 Aufklärung der Öffentlichkeit. Einige wichtige Maßnahmen, die im Zwischenbericht Erwähnung finden, sollen im Folgenden aufgeführt werden. Die Landesregierung unterstützt den Gesetzesantrag des Deutschen Bundestages Zwangsheirat „Entwurf und eines zum Gesetzes besseren zur Schutz Bekämpfung der der von Opfer Zwangsheirat“. Der Entwurf sieht bei den einschlägigen Begehungsarten der Zwangsheirat eine Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu acht Jahren vor. Unabhängig vom Wohnort der Antragstellerin bzw. ihrer Kinder kann das Verfahren bei Gericht anhängig gemacht werden, um die Anonymität der Betroffenen zu wahren und ihnen Schutz vor Nachstellung und Bedrohung durch den Ehepartner zu bieten. Eine bereits bestehende Maßnahme zum Schutz der Opfer von Zwangsheirat ist die getrennte Anhörung der Ehegatten in Ehesachen. Vielfach wird eine Änderung des Ausländerrechts gefordert, damit die Betroffenen mehr rechtliche Unterstützung erhalten. Es handelt sich zum einen um das in Härtefällen eigenständige Aufenthaltsrecht auch innerhalb der ersten 24 Monate der Ehe in Deutschland. Zum anderen geht es um die Widereinreisemöglichkeit für Frauen, die unter dem Vorwand „Familienurlaub im Heimatland“ im Ausland zwangsverheiratet wurden und danach nicht sofort nach Deutschland zurückkehren konnten. In der Diskussion um Zwangsheirat werden auch Gesetzesänderungen im Kinder- und Jugendbereich gefordert. Als zweiter Schwerpunkt soll die Aufklärung und Beratung ausgeweitet werden. Es besteht in NRW bereits eine gute Infrastruktur gegen Gewalt durch ein großes Angebot an Frauenhilfeeinrichtungen. Dieser Bereich soll auch in Zukunft von Einsparungen verschont bleiben. Darüber hinaus gibt es Mädchenund Frauenberatungsstellen, die von der Landesregierung gefördert werden. Auch in der Jugendhilfe ist das Thema „Zwangsheirat“ 76 präsent. In Wahrnehmung den Jugendämtern, ihrer die Rechte junge Frauen unterstützen, bei gibt der es Fortbildungsangebote zum Thema „Migration“. Auch Ärzte sollen für das Thema häusliche Gewalt sensibilisiert werden. Es gibt Forderungen nach Vernetzung von verschiedenen Institutionen, um die Betroffenen effektiver unterstützen zu können und Informationsverluste zu vermeiden. In Bezug auf die präventive Arbeit ist geplant, an Schulen das Thema Zwangsheirat zum Unterrichtsgegenstand zu machen. Zwangsheirat soll Thema im Fach Islamkunde werden. Darüber hinaus soll es auch im Rahmen der gesellschaftswissenschaftlichen Fächer behandelt werden. Ein weiteres Anliegen ist es, die Öffentlichkeit über das Thema Zwangsheirat zu informieren und das Thema zu enttabuisieren. Dies geschieht z.B. durch die Integrationsagenturen und durch die Fortbildung von Mitarbeitern der Jugendeinrichtungen und der Aufklärung an Schulen. Ein Beispiel für die Öffentlichkeitsarbeit zum Thema Zwangsheirat ist die Kampagne „Ihre Freiheit – seine Ehre“ des Aktionsbündnisses der Arbeitsgemeinschaft gegen internationale sexuelle und rassistische Ausbeutung Köln e.V., des Forums Multi-Kulti Lünen, der IFAK e.V., des Bundesverbands der Migrantinnen e.V. und des Vorsitzenden der LAGA NRW. Das Ziel dieser Kampagne ist, „die immer noch anhaltenden Tabuisierung und Tolerierung der Gewalt im Namen der Ehre zu durchbrechen.“ Als Mittel für die Informationsverbreitung dienen der Kampagne Postkarten und Plakate, die weitläufig verteilt werden. Die wichtigste und beste Prävention vor Zwangsheirat ist in erster Linie die Durchsetzung der existierenden Menschenrechte, das Einhalten und Beachten der entsprechenden Gesetze und dem Vorhandensein entsprechender Schutzeinrichtungen (beispielsweise Frauenhäuser) in allen Ländern (vgl. TERRE DES FEMMES, S. 15). 77 Es ist dringlich, in allen Gesellschaften publik zu machen, dass Zwangsehen weder durch kulturelle noch durch religiöse Begründungen gerechtfertigt werden können. Es muss eine definitive Aufklärung sowohl für Eltern als auch für Kinder stattfinden. Aufklärung ist auch in der Hinsicht nötig, dass nicht nur internationale Konventionen die Wahlfreiheit bei der Eheschließung vorschreiben, sondern dass diese „Wahlfreiheit zur Eheschließung“ auch von allen Religionsrichtungen gefordert wird. Menschen, die Opfer einer bevorstehenden oder bereits erfolgten Zwangsheirat sind, brauchen ein hohes Maß an Schutz, Unterstützung und vor allen Dingen muss diesen Personen eine Ersatzmöglichkeit zur Zwangsheirat gegeben werden. Insbesondere müssen spezielle Maßnahmen gegen Frühehen entwickelt und durchgesetzt werden. Damit betroffene Frauen eine Scheidung einreichen können, ohne mit Sanktionen wie dem Verlust der Kinder o.ä. konfrontiert zu werden, wäre es hilfreich die entsprechende Rechtssprechung über die Familie zu überdenken und neu aufzulegen. Es ist eine große Notwendigkeit, ein kontinuierliches Verbot von Frühehen und Zwangsverheiratungen in allen Ländern einzuführen (vgl. ebd., S. 16). Als eine weitere Verlängerung der wichtige Schutzmaßnahme Schulpflicht für Mädchen lässt sich die formulieren. Die Verlängerung der Schulpflicht könnte eventuelle Frühehen verhindern und gar aus dem Weg räumen, denn je mehr Bildungschancen vorhanden sind, desto aufgeklärter wären sie über ihre eigenen Rechte. Der Aufklärung und Bildung zufolge kann es einerseits zu einer späteren Heirat kommen. Andererseits kann Bildung dem Individuum zu einem Selbstbestimmtem und Selbstgeregeltem Leben verhelfen (vgl. ebd.). Demnach muss das Problem der Zwangsehen vermehrt an die Öffentlichkeit gelangen, mit Untersuchungen, die das Ausmaß an praktischen Beispielen verdeutlichen. Einen kleinen Beitrag dazu kann die durchgeführte Befragung leisten. Während 100% der 78 Deutschen ihren Töchtern eigene Entscheidungen zusprechen, sind es bei den kurdischen Befragten nur 40%. Tabelle: Dürfen Töchter eigene Entscheidungen treffen bezüglich der Partnerwahl? Antworten Deutsch Kurdisch Ja 100 60 66,7 Nein 0 40 33,3 100 100 100 (Quelle: Eigene Interviews, Bochum Januar-April 2007, siehe Anhang) 4.3 Exkurs: Beitrag des Gender Mainstreaming zur Migrationsforschung Parallel zu den bereits erwähnten Unterstützungsmaßnahmen, gibt es eine neuere Richtung in der Forschung, die die Situation der Frauen im Allgemeinen und im Besonderen auch die Situation der Migrantinnen verbessern soll. Gender Mainstreaming ist ein gleichstellungspolitisches Konzept, das auf eine strukturelle Veränderung von Organisationen abzielt (vgl. Meuser / Neusüß, S. 11). Geschlechterpolitik wird hier als Querschnittsaufgabe verstanden, Geschlechterverhältnisse und mit dem Ziel, männerorientierte verfestigte Strukturen aufzuweichen (vgl. ebd., S. 34). Gender Mainstreaming ist eine Ergänzung zur traditionellen Frauenförderung, dabei gibt es eine entscheidende Neuerung in der Vorgehensweise: „Statt des Ansatzes der Integration, bei dem Fraueninteressen in Gefahr liefen, in Frauenkomponenten marginalisiert zu werden, sollten nunmehr der Hauptstrom und seine für Frauen ausschließenden Mechanismen verändert werden, indem Frauenbelage in die Planungsverfahren und Entscheidungsprozesse gebracht wurden“ (Frey, 2004, S. 27). Das Konzept des Gender Mainstreaming wurde erstmals auf der dritten und vierten Weltfrauenkonferenz der Vereinten Nationen, 1985 in Nairobi bzw. 1995 in Peking, diskutiert und 1997 im Amsterdamer 79 Vertrag als verbindliche Strategie für die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union festgelegt. In einem Abschlussdokument der Konferenz in Peking verpflichteten sich die unterzeichnenden Staaten zur Umsetzung von verschiedenen Maßnahmen, die die Situation der Frauen verbessern sollten. In dem Dokument heißt es: „Regierung und andere Akteure sollten eine aktive und sichtbare Politik der konsequenten Perspektive in Einbeziehung einer alle und Politiken geschlechtsbezogenen Programmen fördern...“ (Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, 1996). Heute ist das Thema Gender Mainstreaming in der geschlechterpolitischen Diskussion, in Forschung und Praxis so weit präsent, dass eine erste Bilanz gezogen werden kann. Dabei „präsentiert sich Gender Mainstreaming auf den ersten Blick als eine Erfolgsgeschichte“ (Meuser / Neusüß, 2004, S. 9). „Ein Vorteil von Gender Mainstreaming wird ... vielfach darin gesehen, dass es eine win-win-Perspektive beinhaltet, von der auch Männer profitieren können“ (Meuser / Neusüß, S. 11). Es geht nicht alleine um die Durchsetzung der Interessen der Frauen. Vielmehr sollen die Belange beider Geschlechter berücksichtigt werden, um eine optimale Verteilung und Nutzung der Ressourcen zu gewährleisten. Das Ziel ist es, die Chancengleichheit von Männern und Frauen bei politischen Entscheidungen zu berücksichtigen (Frey, S. 33). Das Konzept des Gender Mainstreamings findet mittlerweile auch in der Migrationsforschung zunehmend Berücksichtigung. Neue Zusammenhänge wie geschlechterabhängige Migrationsbewältigung, Familiendynamik und Geschlechterbeziehungen, werden erschlossen. Im Interesse der Forschung stehen gemeinsame und unterschiedliche migrationsspezifische Muster von Männern und Frauen im Umgang mit Herausforderungen in der Aufnahmegesellschaft (vgl. Herwartz-Emden, 2000). Eine Erkenntnis der Forschung des Gender Mainstreaming ist, dass 80 sich das Bild der Migrantin in den letzten Jahren gewandelt hat. Galt die Frau früher nur als Anhängsel des auswandernden Mannes, gibt es in der Forschung heute eine differenziertere Sichtweise. Vor allem die englischsprachige feministische Forschung legte dar, dass Frauen als Arbeitsmigrantinnen einen großen Anteil an der internationalen Migration hatten (vgl. Hahn). Insgesamt wird den Frauen in der neueren Forschung mehr eigene Handlungskompetenz zugesprochen. Zu berücksichtigen ist dabei, dass mit steigendem Bildungsniveau, der Beteiligung am Erwerbsleben, einer längeren Aufenthaltsdauer und besseren Deutschkenntnissen der Einfluss der Frauen auf Familienentscheidungen deutlich sind der zunimmt (vgl. Westphal). Migrantinnen zunehmend mit Notwendigkeit der Neudefinition ihrer Geschlechterrolle konfrontiert (vgl. ebd.). Es werden neue Weiblichkeits- und Männlichkeitsbilder konstruiert, die abhängig von der Kultur des Herkunftslandes, der Migrationsnetzwerke und der Kultur im Aufnahmeland sind. Die Frauen müssen sich mit den dominanten Konzepten im Herkunftsland auseinandersetzen, übernehmen diese jedoch nicht unmodifiziert. Die Bildung der Geschlechtsidentität ist durch Bildung und Alter noch stärker beeinflusst als durch die nationale oder ethnische Herkunft (vgl. Westphal). Junge Migrantinnen der zweiten und dritten Generation scheinen insgesamt flexibler auf die Migrationsanforderungen zu reagieren als die jungen Männer, insgesamt haben sie meist bessere und höhere Schulabschlüsse als diese (Granato, 2003, S. 113ff). Es zeigt sich eine Orientierung an Religiosität und Selbstbestimmung, die keinen Widerspruch bedeuten muss. Oft sind es bildungserfolgreiche junge Frauen, die selbstbewusst religiöse Werte mit denen der Aufnahmekultur verbinden. Die widersprüchlichen Erwartungen der verschiedenen Kulturen werden in die eigenen Lebenskonzepte selbstbewusst eingebaut und kreativ erweitert. 81 4.4 Warum Familie? Ehe und Familie sind in Deutschland, trotz Individualisierung und neuer Gesetzesgrundlage immer noch aktuell. Ein Grund dafür liegt in der Vermittlung der Wichtigkeit von Familie durch die „Normsetzer“. „Eine Durchsicht der Parteiprogramme hat bestätigt, dass das politische Wollen der politisch Verantwortlichen – bis auf SPD und Grüne – in Richtung traditionelle Kern- und Kleinfamilie geht“ (Henke, S.16). Die Politik fördert also die Aufrechterhaltung des Systems der Familie und favorisiert diese gegenüber anderen Formen des Zusammenlebens. Weitere Impulse zur Aufrechterhaltung des Bilds der Familie werden durch die Medien gegeben. Ob in der Werbung oder in allabendlichen Serien – es wird immer wieder das Ideal einer klassischen Familie vermittelt, wenn dieses System auch nicht immer als frei von Konflikten dargestellt wird (vgl. ebd). Selbst in den heutigen Schulbüchern ist noch ein fast klassisches Rollendenken zu finden. Im Gegensatz zu den Männern müssen jungen Frauen sich oft zwischen Beruf und Familie entscheiden. Sind die Kinder da, nimmt der Vater immer noch häufig die Rolle des instrumentellen Führers und Versorgers ein, während die Mutter zu Hause bleibt. Aufgrund dieser Situation, wachsen die meisten Kinder immer noch in der traditionellen Kleinfamilie auf (Hradil). Trotz aller feministischer Strömungen und Pluralisierungen der Lebensformen, gibt es in der Gesellschaft immer noch vielerorts eine Konstruktion von Weiblichkeit und Männlichkeit, die bis ins 18. bzw. 19. Jahrhundert zurückreicht (vgl. Hausen) und ursächlich dafür ist, dass das System der Kleinfamilie weiterhin aufrechterhalten wird. Aus der nachfolgenden Tabelle wird ersichtlich, dass die Mehrzahl der Befragten das Familienleben für sehr wichtig erachtet. 82 Tabelle: Wie wichtig ist für Sie das Familienleben? Sehr wichtig 34 Wichtig 3 Nicht so wichtig 1 unwichtig 0 Summe 38 (Quelle: Eigene Interviews, Bochum Januar-April 2007, siehe Anhang) 5. Fazit: Ehe und Familie im Kulturvergleich Je länger und intensiver ich mich in Laufe der vergangenen Monate mit den verschiedenen Konzeptionen von Ehe und Familie auseinander setzte, desto mehr stellte ich fest, wie umfang- und facettenreich dieser Themenkomplex ist. Bereits im Vorfeld hatte ich ausgiebig recherchiert und Literatur zur rechtlichen Situation in den kurdischen Gebieten, zur historischen Entwicklung und zur aktuellen politischen Situation gesammelt und eingesehen. Relativ schnell stellte sich heraus, dass es kaum wissenschaftliche Arbeiten zu kurdischen Familien und zur Stellung der kurdischen Frau gibt. Auf diese Weise entstand die Idee, selbständig eine Befragung durchzuführen. Im Folgenden möchte ich auf einige Punkte zurückkommen, die mir als Ergebnisse der Befragung besonders bedeutsam erscheinen. Deutsche und kurdische Familien und Frauen zwischen Tradition und Moderne Im Verlauf der Erhebung stellte ich fest, dass von den deutschen Befragten teilweise Rollenvorstellungen sehr vertreten traditionelle werden. Verhaltens- Obwohl Begriffe und wie 83 Emanzipation, Gleichberechtigung und Gleichstellung in aller Munde sind, sind gerade bezüglich Kindererziehung und Arbeitsteilung erstaunlich häufig veraltete Rollenmuster zu finden. Nach jahrelangen Bemühungen um Anerkennung im Beruf und Selbstverantwortlichkeit ist es für deutsche Frauen im europäischen Ländervergleich sehr schwer, Familie und Beruf unter einen Hut zu bekommen. Wiedereinstieg in den Beruf, zu wenig Kita-Plätze für unter Dreijährige, niedrigere Gehälter in gleichen Positionen wie männliche Kollegen und wenige Frauen in Spitzenpositionen sind kein gutes Vorbild für eine gelungene Emanzipation. Mitunter hat man den Eindruck, die Entwicklung stehe still oder sei gar rückläufig, da für viele deutsche Frauen die traditionelle Rollenverteilung gelebte Realität ist und sie finanziell häufig genauso abhängig vom Mann sind wie vor fünfzig Jahren. Die derzeitige intensive Beschäftigung der medialen und politischen Öffentlichkeit mit dem Thema Familie, bei der angesichts sinkender Geburtenraten das konservative Familienmodell der hausfraulichen Mutter wieder Hochsaison hat, ist ein anschauliches Beispiel für die ambivalente Situation deutscher Frauen und Familien zwischen Tradition und Moderne. Noch stärker sind traditionelle Rollenvorstellungen bei den kurdischen Migrantinnen zu finden, wenngleich sich auch hier immer stärkere Emanzipationsbemühungen abzeichnen. Besonders Kurdinnen der jüngeren Generation, versuchen ihre vielfach benachteiligte Lebenssituationen aufzubrechen und sich von zwanghaften traditionellen Rollenmustern zu befreien. In diesem Zusammenhang habe ich oft das Bild eines galoppierenden Pferdes in Richtung Eigenständigkeit vor Augen. Wichtig bei der Neudefinition von Werten und Lebensplänen sind die Orientierungspunkte. Insbesondere junge Kurden müssen ihre Position zwischen denen in vieler Hinsicht konfligierenden Vorstellungen der eigenen Familie und denen der deutschen Gesellschaft finden, die sich zudem in ständigem Wandel befinden. 84 Verkomplizierend kommt hinzu, dass es auf beiden Seiten keine Eindeutigkeiten gibt, sondern eine Vielzahl von Lebensrealitäten, die mit zahlreichen Widersprüchen kaum eindeutige Vorbilder bieten können. Sehr deutlich wurde die innerkulturelle Zerrissenheit auch am Beispiel kurdischer Mütter. Während viele sich für fortschrittlich und offen halten, stellt man bei näherer Betrachtung fest, dass sie doch stark in ihren alten Traditionen verhaftet sind. Nachdem sie große Verluste (z.B. des Heimatlandes) hinnehmen mussten, haben einige von ihnen nun Angst, auch noch ihre Kinder an die moderne Welt zu verlieren. Sie verfolgen noch immer einen strengen Erziehungsstil, zum Teil sogar einen strengeren als die Kurdinnen im Heimatland. Im Gegensatz dazu hat für kurdische Mädchen und Frauen Bildung ebenso wie Freiheit im privaten Bereich enorm an Bedeutung gewonnen. Viele kurdische Mädchen dürfen und wollen ihren zukünftigen Partner frei wählen. Die Frage, ob sie auch einen Mann anderer Nationalität oder Religion wählen würden, haben die meisten allerdings verneint, ein Zeichen dafür, dass die Freiheit im Geiste sich noch nicht durchgesetzt hat. Die kurdischen Mütter befürworten eine gute Schulausbildung und auch einen Hochschulabschluss ihrer Töchter, was diese aber konkret damit anfangen sollen, ist nicht klar. An diesem Punkt kommen dann oft wieder alte Rollenerwartungen zum tragen, was zu weiteren Konflikten führt. Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen beiden Kulturen Auf den ersten Blick ist vielen Deutschen das traditionelle moslemische oder islamische Gedankengut fremd. Es erscheint bedrohlich und in scheinbarem Widerspruch zur eigenen vermeintlich emanzipierten Sicht der Dinge. Für einen Großteil der Deutschen, die keine ausländischen Nachbarn, Berufskollegen oder Freunde haben, bleiben die türkischen, iranischen und kurdischen Mitbürger schlichtweg Fremde. Wenngleich es vielerorts inzwischen 85 intensive Bemühungen um Verbesserungen im Bildungssektor und informative und sachliche Berichterstattung in den Medien gibt, bleiben die Berührungspunkte zwischen beiden Kulturen gering, und trennende Faktoren erfahren mehr Aufmerksamkeit als verbindende. Als Beispiel für unterschiedliche Auffassungen in beiden Kulturen wurden die jeweiligen Konzepte von Ehre miteinander verglichen. Im Verlauf dieses Buches wurde aufgezeigt, dass in der kurdischen Kultur die Vorgaben für ehrenhaftes Verhalten für alle Mitglieder der Gesellschaft gelten, wenngleich auf unterschiedliche Weise, je nach Geschlechtszugehörigkeit. Für Frauen stehen beim Thema Ehre die Jungfräulichkeit und ihre Rolle als Tochter im Vordergrund, während sich die Ehre der Männer an ihrer Fähigkeit die Familie zu ernähren oder das Land zu verteidigen misst. Auf entgegen gesetzte Weise, aber nicht minder eindeutig, fielen die Antworten der deutschen Befragten aus. Vielen Deutschen erschienen die Fragen zum Thema Ehre überflüssig, beziehungsweise nicht eindeutig zu beantworten. Obwohl nicht näher drauf eingegangen wurde, muss an dieser Stelle erwähnt werden, dass die Schichtzugehörigkeit bei der Debatte um Ehre eine nicht unbedeutende Rolle spielt. Je geringer das Bildungsniveau und das finanzielle Einkommen, desto größer ist in der Regel die Bedeutung der Ehre. Was die Gemeinsamkeiten zwischen beiden Kulturen betrifft, so wurde im Rahmen dieses Buches gezeigt, dass es sowohl historisch als auch gegenwärtig viel mehr Ähnlichkeiten und Überschneidungen gibt als allgemein hin vermutet. Aus dem unmittelbaren Vergleich der traditionellen kurdischen Familie mit der historischen Familie im Deutschland des 19. Jahrhunderts wurde deutlich, dass beiden Familienkonzepten ähnliche Werte zu Grunde liegen. Diese Erkenntnis ist insofern bedeutsam, als dass in der Rückbesinnung von Deutschen auf die eigene Vergangenheit ein großes Potential zum gegenseitigen Verständnis liegt. 86 Auch die Ergebnisse der Befragung haben gezeigt, dass es immer mehr Angleichungen zwischen beiden Kulturen gibt. Bezüglich der Fragen zum Thema Ehe und Glück innerhalb der Ehe waren sich deutsche und kurdische Jugendliche relativ einig, und die Antworten unterschieden sich nur wenig. Ausblick Denjenigen, die sich mit den Problemen und dem Alltag von Migranten beschäftigen, sind viele dieser historischen und kulturellen Hintergründe bekannt. Das Ziel der Migrationsarbeit bleibt es, einen Beitrag zur Aufklärung und Vermittlung zwischen beiden Kulturen zu leisten. Es gibt nach wie vor einen großen Bedarf an Stärkung und Unterstützung kurdischer Frauen. Ihr Selbstbewusstsein muss gefördert werden, ebenso wie ihre Sprachkompetenz und die Kenntnis über die Kultur, in der sie leben. Wenngleich bei weitem nicht erschöpfend behandelt, soll mit diesem Buch ein Schritt getan werden, um Informationen und Erkenntnisse über kurdische Frauen in der deutschen und der kurdischen Gesellschaft zusammenzutragen. Für mich persönlich ist es wichtig, diese Informationen auch den Frauen zugänglich zu machen, die der deutschen Sprache nicht mächtig sind oder die Analphabetinnen sind. Aus diesem Grund beabsichtige ich in naher Zukunft, die wesentlichen Inhalte auf Kassette und auf Video zu übertragen. Somit hoffe ich, einen kleinen Annäherung leisten zu können. Beitrag zur gegenseitigen 87 6. Literaturverzeichnis Aboueldahab, B. (2006): Ohnmacht oder Macht? Frauen in Ägypten. In: Kalka, C. / Klocke-Daffa, S. (Hrsg.): Weiblich – Männlich – Anders. Geschlechterbeziehungen im Kulturvergleich. (Gegenbilder Bd. 5) Münster: Waxmann-Verlag. Allison, F. C. (2002): Volksdichtung und Phantasie: Die Darstellung von Frauen in der kurdischen mündlichen Überlieferung, In: Skubsch, S., Kurdische Migration und kurdische (Bildungs-) Politik (Kurdologie: Bd. Nr.5), Münster: Unrast – Verlag, S. 33 – 50. As-Samit, A. / Bubenheim, F. / Elyas, N. (2002): Der edle Qur`an und die Übersetzung seiner Bedeutung in die deutsche Sprache, König – Fahd – Komplex zum Druck und Qur`an, P.O. Box 6262 Madina al-Munauwara, Königreich Saudi – Arabien. Asim, U. (1999): Evlillikve cinsel hayat. 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Die Mutter des Mädchens war bei mir in Diyabakir zu Besuch und ich bat sie, mir noch einmal genau zu schildern, was passiert war. Sie erzählte, dass sie am Fluss zum Wäschewaschen war. Durch Zufall war das Mädchen gerade in dem Moment allein zu hause, als ihr Verlobter kam. Sie bat ihn, sofort zu gehen, weil sie alleine wäre. Aber zu spät, genau in diesem Moment kam der Vater nach hause. So waren die Sitten und Gebräuche damals. Seine Tochter mit einem jungen Mann alleine anzutreffen, hatte die Ehre der Familie verletzt. Der junge Mann hätte das Haus nicht betreten dürfen. Allerdings gab es auch damals darüber Meinungsverschiedenheiten. Manche Männer fanden, dass er einen Unschuldigen erschossen hatte. Es gab laute Kritik, obwohl der Vater überall als „merek bu“ (ein tapferer Mann, der auch dem Tod nicht ausweicht) geachtet wurde. Er war aus dem Gefängnis in der Türkei geflohen, nachdem er wegen kurdischer Widerstandsarbeit mehrfach verhaftete worden war. Er floh nach Syrien und wurde dort von unserer Familie aufgenommen. Später ging er mit syrisch-kurdischen Partisanenverbänden nach Südkurdistan/Irak, in die Befreiungsfront von M. Barzani. In der KDP allerdings holte ihn seine Tat wieder ein. Er wurde verurteilt und 97 erschossen. Seine Ehefrau galt ebenfalls als tapfere Frau, als „jeneke merani“ (eine Frau, die stark ist wie ein Mann, sich Respekt verschaffen kann, ihre Gäste persönlich willkommen heißt und eine gesuchte Gesprächspartnerin ist). Nach dem Tod ihres Mannes eröffnete sie ein Geschäft und sorgte selbst für den Unterhalt ihrer Familie. Nun erzähle ich von meiner Verlobung. Kennen gelernt? Kennen gelernt hat man sich nicht vor der Hochzeit. Alles wurde arrangiert. Ein junger Mann allerdings konnte in etwa seine Wünsche zu seiner zukünftigen Frau äußern. Die Wünsche bezogen sich allein auf das äußerliche. Außerdem musste sie auf jeden Fall aus einer standesgemäßen Familie sein. Wichtig war auch ein gutes Benehmen und eine gute Erziehung. Bildung wurde nicht verlangt. Wie denn auch? Mädchen besuchten keine Schule. Die Wünsche des jungen Mannes wurden allerdings nicht immer ernst genommen. Mein Cousin z.B. hatte gehört, dass in einer Familie heiratsfähige Mädchen wären. Er bat meine Stiefmütter sich dort umzusehen, allerdings müsse seine zukünftige Braut groß und schlank sein und vor allem schöne Augen haben. Die Mutter ging mit ein paar Verwandten zu der Familie und fand ein Mädchen. Sie war schön, hatte eine gute Erziehung und kam aus einer feinen Familie, aber sie war sehr, sehr klein. So klein wie meine Schwiegermutter. Man handelte den Brautpreis aus und wurde sich einig. Als die Schwiegermutter nach hause kam, bestätigte sie die Erwartungen des Cousins. „Allah“, sagte sie, „das Mädchen ist sehr, sehr hübsch und so groß wie ich.“ Da war der Cousin zwar enttäuscht, aber er musste zustimmen. Wenn ein junger Mann verheiratet werden soll, erkundigen sich Vertraute aus der Familie bei den herrschenden Familien in der Umgebung nach jungen Töchtern. Das angestrebte Heiratsalter lag so zwischen 12 und 14 Jahren. Wenn ein entsprechendes Mädchen gefunden worden war, reiste eine Gruppe von Männern und Frauen, die „xelvani“, zu der Familie der jungen Frau und bat um die Hand der Tochter. Sie verhandelten auch den Brautpreis und die Organisation der Hochzeit. Der Bräutigam durfte nicht mit. In meinem Fall sollte eigentlich meine Schwester verlobt werden. Nur nebenbei wurde ich für den Bruder meines zukünftigen Schwagers ausgesucht. Ich war allerdings als kleines Mädchen - so wie es üblich war - dem Sohn meiner Tante versprochen worden. Dieser lebte aber noch in Nordkurdistan. Wir waren mittlerweile „ben xete“ (unterhalb der Grenze) nach Syrien geflohen. Meine „xelvani“ waren ein Neffe und eine Nichte des Bräutigams. Sie waren beauftragt worden, in meiner Familie herum zu schnüffeln, ob noch andere geeignete Mädchen aufzutreiben wären. Dabei wurde ich entdeckt. Die Nichte- sie war viel älter als ich, bereits verheiratet und Mutterversuchte mich aus dem Haus zu locken: “Komm, wir gehen schwimmen“. „Wieso“, sagte ich, „es ist doch noch viel zu früh am Tag.“ Die Nichte wollte mich ihrem Onkel unbemerkt zeigen. Was für eine mutige Nichte! So etwas war streng verboten. Aber Allah, was waren die Frauen damals schön! Wir trugen breite goldene Gürtel um die Taille und schwarze Zöpfe bis unter`s Knie. Ich bin auf jeden Fall nicht schwimmen gegangen. Natürlich sind wir immer nur dort schwimmen gegangen, wo die Männer nicht hin gingen. 98 In unserem Dorf gab es einen großen See, einen „ava mezin“. In unserem Uferbereich gingen die Frauen täglich schwimmen, aber nicht nackt, sondern in Unterwäsche. Wir Frauen aus den großen bekannten Familien durften nicht das Haus verlassen. So gehörte sich das damals. Im Unterschied zu anderen Frauen aus dem Dorf, gehörte es sich nicht für Mädchen aus diesen Familien, sich auf den Straßen des Dorfes zu zeigen, Einkäufe zu erledigen oder auf den Feldern zu arbeiten. Wir durften nur zu einzelnen Unternehmungen aus dem Haus, z.B. zum Schwimmen oder mal zum Picknicken oder natürlich zu „Newroz“. Das hieß damals nicht so, sondern es hieß: „Am 21.03. musst du aus dem Haus gehen, sonst passiert ein Unglück“. Auch am „carsembe res“, dem schwarzen Mittwoch, mussten wir das Haus verlassen. Zurück zu dem Tag von dem ich gesprochen habe. Es kehrten die „xelvani“ wieder zurück. Mein Vater konnte noch nicht zustimmen. Erst musste er das Einverständnis seiner Schwester und seines Bruders einholen, denn die Töchter werden der nächsten Verwandtschaft zuerst angeboten. Und tatsächlich sagten sowohl mein Onkel als auch mein ältester Bruder nein zu den Plänen meines Vaters. Wenige Tage später meldetet unser Diener, dass eine größere Gruppe von Menschen auf unser Haus zu kämen. Mein Vater war ein weiser Mann, er wusste sofort, das ist der Cousin, der von der Ablehnung der Heirat durch die Verwandtschaft erfahren hatte. Damals reisten reiche Leute immer mit Gefolge, umgeben von Dienern und einigen engsten Vertrauten. Das repräsentierte ihre Macht und unterstrich ihre Bedeutung. Er hatte sich selber auf den Weg gemacht. Das war sehr außergewöhnlich. Ach, das gehörte sich eigentlich damals nicht. Das verminderte das Ansehen des Bräutigams. Aber meine Nichte hatte mich so beschrieben, dass mein Onkel und mein zukünftiger Ehemann, ganz verrückt vor Sehnsucht nach mir war. Er appellierte an meinen Vater: „Wir sind doch alle mirove (Verwandtschaft)“. Und der erzählte uns später: „Allah, dieser Mann war wie ein Magnet, er ließ nicht locker. Ich hatte mir geschworen, die Heirat abzulehnen, aber er hat mit seinen Bitten so mein Herz gerührt, dass ich zustimmen musste.“ Irgendwann also war die Sache bewilligt, aber ich habe das gar nicht erfahren. Erst als mir das „xalat“ (Hochzeitsgeschenk, meist Geld oder Gold, das ein Mädchen zur Heirat erhält und das ihr im Falle einer Scheidung, Verwitwen oder anderen Schicksalsschlägen als Reserve zur Verfügung steht) ausgehändigt wurde, wusste ich, dass ich verlobt worden war. Ich hatte keine Ahnung, wer mein Verlobter war. Ich hätte jeden genommen, der mit vorgestellt worden wäre. Man durfte nicht einmal fragen. Man schämte sich auch zu fragen. Ein Mädchen, das fragt oder das störrisch ist und seine Meinung äußern will, das ist so gut wie tot. Man wird es töten. Was soll man mit einem solchen Mädchen anfangen? Er gab damals nur „(ja) libé“ und „belé“ (ein herzliches oder ein wohlerzogenes „Ja“). Mein Verlobter ließ nicht mehr locker. Sofort und zusammen mit der Hochzeit meiner Schwester sollten auch wir heiraten. Wir wurden also beide, meine Schwester und ich, an einem Tag zu der Familie unserer zukünftigen Ehemänner gebracht. Man fuhr uns zu einem Dorf, unser Bruder begleitete uns. Er war nicht mehr gegen 99 meine Verheiratung, denn als wir in der Familie abgegeben wurden, erhielt er die Tochter der Tante, die Nichte unserer beiden Bräutigams, als zukünftige Frau. Diese Tausche nennt man „berdeli“. So etwas war üblich. Auch ein Neffe unserer Bräutigams hatte uns begleitet. Ihm gefiel die Umgebung des Dorfes so gut. Da bot ihm der jüngere Bruder aus der Familie an: „Bleib doch noch ein paar Tage.“ Darauf erwiderte der Neffe: „Wenn ich eine Frau bekomme, bleibe ich.“ Ich wusste vorher nicht, ob ich die Erstfrau meines zukünftigen Mannes sein würde. Das war aber alles vorher besprochen worden. Mein Vater wusste, dass mein Verlobter bereits verheiratet war. Es war alles arrangiert. Auch meine Schwester wurde mit einem verheirateten Mann verehelicht. Allerdings hatte der Bräutigam meiner Schwester die Frau seines Bruders geheiratet, als dieser plötzlich starb. Das waren Versorgungsehen. Die wurden von den Männern in den Familien verlangt, das war üblich. Verwitwete Frauen wurden so in der Obhut der Familie gehalten. Manchmal kam es dabei zu krassen Altersunterschieden. In einem Fall weiß ich, dass der älteste Sohn seine Tante, die Frau seines verstorbenen Onkels heiratete. Altersunterschiede spielten keine Rolle. Meine Mutter war sehr traurig über die Heirat. Als mein Vater zu ihr kam und ihr erzählte, dass ich vergeben wäre, klagte sie: „Sie ist meine letzte Tochter. Ich habe mir nie vorgestellt, sie jemals aus den Augen verlieren zu müssen. Nun soll sie so weit wegziehen. Ich werde sterben.“ Auch wollte sie mich nicht an einen bereits verheirateten Mann geben. Aber da es sich um eine bedeutende Familie handelte, war nichts zu machen. Mein Vater fragte wütend: „Soll ich meine Töchter etwa an einen „muxtar hassina“ (Dorfvorsteher) geben? Und so sind wir zwei Schwestern in die Familie eines „aghas“ und meine vier oder fünf anderen Schwestern in die Familie eines „paschas“ verheiratet worden. Ich habe es nicht bereut, einen verheirateten Mann zu haben. Es war das damals übliche Zwangsverhältnis. Anfangs ist es bitter, aber man muss da durch und man passt sich nach einiger Zeit dieser Situation an, in schlechten und in guten Zeiten. Schön oder nicht schön, so war es. Man muss es hinunterschlucken. Jede von uns hatte ein Zimmer und unser Mann war jeden Abend in einem der Zimmer. So haben wir unser Leben verbracht. Das ist anders als Euer Leben. Euer Leben ist schöner. Wie konnte unser Leben schön sein. Wenn wir z.B. irgendwo hingehen wollten, mussten wir eine Erlaubnis bei unserem Ehemann einholen. Es gibt aber doch Frauen in meiner Generation, die sagen, früher wäre alles schöner gewesen als heute. Mehr Schutz, mehr Respekt, mehr Ordnung und Ansehen. Ja, ja viel mehr Respekt! Vor allem gegenüber Frauen und Mädchen! Meine Tochter, erinnere Dich doch. Dein Vater hatte vier Frauen, dein Onkel zwei Frauen, dein anderer Onkel drei Frauen. Ist das Respekt, heute in ein Zimmer, morgen in das andere? Das ist bitter. Zwischen mir und den anderen Frauen gab es nicht viel Streit. Anfangs gab es Spannungen, später haben wir uns sehr gut verstanden. Kein Mensch hat zwischen unseren Kindern unterscheiden können. So 100 gemeinschaftlich haben wir sie erzogen. Ein Bekannter wohnte sieben Jahre auf unserem Hof. Er stritt sich immer mit uns, welche Töchter zu mir und welche zu der anderen Mutter gehörten. Mann sagt, der Mann ist verantwortlich für die Beziehung der Frauen untereinander. Es gab aber z.B. einen Schwager. Keiner konnte so gut Frieden unter den Dorfbewohnern stiften wie er, aber unter seinen Frauen konnte er keinen Frieden schaffen, zumindest nicht in seinem eigenen Haushalt. Also lag es wohl an uns. Ich denke, es liegt immer an den Frauen. Allerdings war der Vater unserer Kinder sehr gerecht und wir haben uns auch geschämt, wenn die Leute unsere kleinen Streitereien mitbekommen haben. Das wollten wir beide vermeiden. Ich bin in Cem Sharaf in Botan geboren, wir haben einen besonderen kurdischen Dialekt, "Boti" genannt. Mein Geburtsort war sehr schön und fruchtbar und reich an Geschichte. Die großen Kurdenfürsten stammen aus diesem Gebiet. Ein Gebiet der Dichtung „mem u zin“, diese Geschichte der romantischen Liebe. Ich kenne die Liebesgeschichten und war,wie die anderen, stolz darauf. Ja, die Liebe ist etwas Schönes. Es war schön, davon zu hören. Aber erlebt haben wir so etwas nicht. Ob ich meinen Mann geliebt hätte oder nicht, wen hätte das gekümmert. Was hätte ich tun können?, „testek ned hate milé me“. Es gab Liebende, die tauschten Blicke durch Wandspalten und Türlöcher. Und es gab auch Menschen, die diese Liebe trotz aller Verbote gelebt haben. Trotz aller Gesetze gab es „revandin“ (Flucht aus Liebe). Die Liebe war stärker als der Verstand und die Liebe war stärker als die Angst. „Revandin“ war „àcêb u adat“, die Flucht war ungehörig, aber zugleich auch verständlich. Wenn eine solche Sache passiert ist, wurde der „agah“ oder ein anderer angesehener Mann eingeschaltet, um Frieden zwischen den Familien zu bringen. War die Tochter durch den jungen Mann entführt und entehrt worden? War sie freiwillig mitgegangen oder hatte sie ihn gar verführt? Oft vergingen Jahre bis die Familien wieder zusammengeführt wurden. In einem Fall wurde das junge Paar 23 Jahre verstoßen, aber dann wurde ein großes Versöhnungsfest gefeiert. Ich habe auch von Fällen gehört, in denen die Söhne ihren Vätern nicht gehorcht hatten und eine von ihnen gewählte Frau, mit der sie nicht verwandt waren, heirateten. Aber so etwas kam in 1000 oder 2000 Fällen einmal vor. Es war so gefährlich! Es hieß: „gotie bawêxe naskînen“ (das Wort des Vaters darf nicht gebrochen werden). Einmal gab es in meinem Dorf einen jungen Mann, der war verliebt in eine sehr hübsche Zigeunerin. Er hatte ihr, ohne Wissen der Familie, ein Haus gegeben, in dem sie sich regelmäßig und heimlich trafen. Er wurde natürlich geschützt durch seine Diener. Die wussten Bescheid, anders wäre alles gar nicht möglich gewesen. Dieser Mann war aber schon als Kleinkind für seine Cousine versprochen worden. Die Hochzeit sollte bald stattfinden. Die schöne Geliebte war mittlerweile schwanger. Er wollte diese Frau um jeden Preis behalten und weigerte sich standhaft, sie aufzugeben und die Zwangsehe einzugehen. Daraufhin beschloss die Familie, die Geliebte zu beseitigen. Einen grausamen Weg wählte man dafür! Man band die Frau an einen Jeep und schleifte sie zu Tode. Damit zeigte man dem Ungehorsamen, dass 101 diese Frau nichts wert war, und dass man sich an das Wort seines Vaters zu halten habe. Wie sollte er sich verhalten? Er fügte sich dem Druck und heiratete seine Cousine. Früher habe ich gedacht, dass meine Töchter denselben Weg gehen sollten. Früher haben wir immer gedacht, dass wir die besten Sitten haben, die besten Methoden, die besten Gebräuche. Egal welche es waren, bessere gab es nicht. Heute würde ich mir wünschen, dass meine Töchter einen Cousin heiraten und wir den Mädchen eine gute Erziehung geben. Respektvoll sollten sie sein. Aber ich würde ihnen eine monogame Ehe wünschen. Ich hatte eine Schwägerin, als sie krebskrank im Sterbebett lag, rief sie meinen ältesten Schwager zu sich und sagte zu ihm: „Ich habe eine große Bitte. Ich habe eine junge Tochter im heiratsfähigem Alter, gebt sie niemandem gegen ihren Willen.“ So konnte die Tochter ihren Verlobten ablehnen, dem sie schon fest versprochen worden war. Trotzdem sollten sich Frauen ihre Ehemänner nicht selbst aussuchen, das gehört nicht zu unserem „resama“, zu unserem Lebensverständnis. Eine junge Frau kann doch nicht herum gucken und sagen, ich will den nicht und den nicht und den nicht. Dann werden sich die anderen Leute fragen, was ist denn mit der los? Ist sie in einen anderen verliebt? Aber so etwas war in unserer Zeit kein Problem. So etwas wie Verlieben gab es eigentlich nicht und deshalb auch nicht solche Gerüchte. Aber es gab Scheidungen. Vor allem bei Bardeli z.B. wenn mein Mann mich wie einen Hund behandelt, wird über kurz oder lang mein Bruder anfangen, seine Frau, die ja die Schwester meines Mannes ist, schlecht zu behandeln - nicht weil er sich mit ihr nicht mehr verstehen würde, sondern weil die Familie von ihm erwartet, dass er seine Schwester unterstützt. So kommt es zu unlösbaren Konflikten. Aber für mich waren Scheidungen immer schreckliche Ereignisse. Verlobungen waren nicht so schwer zu lösen, aber leicht war das auch nicht.. Manchmal entstanden dann diese Gerüchte über heimliche und verbotene Bindungen. Verliebt zu sein, das entwertete nämlich ein junges Mädchen. Auch das Herz muss jungfräulich bleiben. Obwohl die Liebe ein edles Gefühl in unserer Kultur ist, außerhalb der vorgesehenen Verbindungen ist sie unanständig. Eine Verliebtheit außerhalb der Familienentscheidungen musste also streng geheim bleiben. Innerhalb der vorgesehenen Beziehungen war allerdings viel erlaubt. Hat das Mädchen das Glück, sich in den ausgewählten jungen Mann zu verlieben, werden erotische Beziehungen zugelassen, auch wenn beide noch sehr jung waren. Natürlich nicht in der Öffentlichkeit. Aber niemand sagt etwas, wenn das 14-jährige Mädchen und der 27jährige Junge stundenlang in einem Zimmer alleine zusammen sind. Allerdings muss das Mädchen bis zu ihrer Hochzeit Jungfrau bleiben. Während meines Aufenthalts in Europa habe ich gesehen, dass Frauen 102 ihren Ehemann selbst auswählen. Paare können 1,2 Jahre zusammenleben, sich kennen lernen und dann entscheiden, ob sie für immer zusammen bleiben wollen. Das ist entsetzlich. So etwas wollen wir nicht haben. Ich wundere mich über die heutigen Mädchen sehr. Darüber wundere ich mich wirklich! Meine Kinder sind alle von Südwestkurdistan nach Europa und Amerika geflohen. Ich lebe bei meinen Kindern in Deutschland und pendle hin und wieder. Ich darf hier nur leben, so lange meine Kinder finanziell für mich aufkommen. Ich sorge mich darum, krank zu werden, da die Kosten vielleicht zu hoch sind. Oft wünsche ich mir bald zu sterben. Das Schicksal hat es mit uns nicht gut gemeint. Ich verstehe nicht, warum so viele Menschen in Deutschland finanzielle Unterstützung bekommen und in meinem Fall die Gesetze so streng sind, dass ich nicht einmal kranken versichert bin. Aus der gewohnten Umgebung gerissen zu werden, ist für uns alte Leute schon schwer genug. Für alte Menschen in Deutschland gibt es Möglichkeiten z.B. Altenheim oder ähnliches. Für Menschen wie mich gibt es noch keine Planung. Auch die Wohnverhältnisse meiner Kinder sind so eng. Traditionell müsste ich bei meinen Söhnen leben, aber ich sehe immer mehr ältere Kurden, die wie ich bei ihren Töchtern leben. Ich fühle mich wie in einem offenen Gefängnis, ich verstehe weder die Sprache noch die Kultur, noch kann ich mich alleine auf der Straße bewegen. Trotzdem danke ich Allah, dass ich wenigstens in der Nähe meiner Kinder bin. 7.1.2 Biographie Dilxwaz Dilxwaz 55 Jahre alt, lebt mit ihrer Familie seit 22 Jahren in Deutschland, hat 6 Kinder. Ich bin 55 Jahre alt und die älteste von 9 Geschwistern. Ich habe 4 Schwestern und 5 Brüder. Ich bin in Bingöl geboren, eine östliche Stadt der Türkei, wo ausschließlich nur Kurden leben. Das Leben in Bingöl, (Bingöl übersetzt: Tausend Seen) weckt in mir tausend Erinnerungen auf. Meine Heimat, die meine Kindheit einst so sehr mitgestaltet hat. Ich möchte gerne von meiner Kindheit beginnen. Meine Kindheit ist sehr friedlich und glücklich verlaufen. Ich erinnere mich sehr gerne an diese Zeit zurück. Ich glaube es gibt nichts worüber ich lieber nachdenke als an diese Zeit. Mein Tagesablauf war geprägt von Spielen und manchmal Arbeiten. Wenn ich von Arbeit rede, heißt dass nicht schwere und belastende Arbeit, sondern Arbeit die mir Spaß machte. Ich habe regelrecht dafür gekämpft, dass ich die Arbeit verrichten durfte. Zum Beispiel, habe ich Kaugummi (Leim ähnliches Material) von den Bäumen gesammelt, 103 was mein Vater dann anschließend in der Stadt verkaufte. Von dem Geld hat er mir immer schöne Dinge gekauft. Dinge wie Haarspangen, Kleider und Schuhe. Er hatte einen sehr guten Geschmack. Er brachte mit seinen Einkäufen sogar meine Mutter zum staunen. Ich habe immer von meinem Vater zu spüren bekommen, dass er mich innig liebte. Mein Vater nannte mich als Kind nicht beim Vornamen, sondern rief mich immer mit dem Namen „sisîka mîn“ (meine helle), weil ich eine helle Hautfarbe hatte. Dieses verdeutlichte seine Liebe zu mir noch mehr. Aber auch ich liebte ihn sehr. Ich erinnere mich sehr gut daran, dass ich wegen der harmonischen Beziehung zu meinem Vater sogar von meinen Dorffreundinnen beneidet wurde, da mein Vater der einzige war, der das Geld von den Kaugummis für mich verbrauchte und nicht für den eigenen Haushalt. Ich war immer unendlich stolz auf seine Geschenke und habe sie gepflegt und gehegt wie mein Augapfel. Trotz so vieler schöner Erinnerungen muss ich gestehen, dass das Leben auf dem Dorf nicht immer leicht war. Unsere Häuser die aus einfachen Steinen und Lehm bestanden, waren sehr labil und hatten wenige Räume. Es war nicht selten der Fall, dass es rein regnete und wir unter die Dachrille einen Auffangeimer stellen mussten. Über solche Umstände waren besonders meine Eltern sehr traurig. Aber sie bemühten sich sehr darum, dass es uns Kindern gut ging. Und ich glaube im Vergleich zu den anderen Dorfbewohnern, ging es meinen Geschwistern und mir sehr gut. Wenn ich das heutige mit damals vergleiche, bleibt mir oft die Sprache weg. Wir kamen mit so wenig Mitteln so lange aus. Und heute kommen wir mit so viel so wenig aus. Ich glaube, dass keines meiner materiellen Dinge, die ich heute besitze, meine damalige innere Ruhe, Heile und Zufriedenheit ersetzen kann. Als ich circa 12 Jahre alt wurde, lehrte mich meine Mutter langsam zum Kochen, Backen und zur Handarbeit. Wie alle Mädchen aus dem Dorf, lernte auch ich diese Tätigkeiten sehr schnell. Es war sehr wichtig, dass die Mädchen diese Tätigkeiten konnten, denn sie benötigten diese Fertigkeit für die spätere Heirat, es war eine Art „Aussteuer des Mädchens“. Wenn ein Mädchen handlich geschickt war (häkeln, stricken, sticken, nähen etc.), hat man gut über sie gesprochen. Aber diese Fähigkeit diente natürlich auch dafür, die eigene Mutter zu unterstützen. Eine Tochter, die ihre Mutter unterstützte wurde in der damaligen Gesellschaft besonders hervorgehoben. Um meine Mutter zu unterstützen, habe ich sehr häufig meine jüngeren Geschwister gehütet. Ich war wie eine zweite Mutter für meine Geschwister. Im Dorf hatten wir sehr viele Bekannte und Verwandte mit denen wir uns sehr gut verstanden. Heute ist noch kaum einer im Dorf geblieben, viele sind in die Städte ausgewandert Ausland geflüchtet. Als ich 16 Jahre alt war, wurde mir zum ersten Mal eine Heirat angeboten. Es war eine Bekannte, die einen jungen Mann vorstellte, der aus dem Nachbardorf war. Ich kannte diesen Mann nicht und auch er kannte mich nicht. Ich wusste nur, dass er 8 Jahre älter war als ich. Das Angebot wurde an meinem Vater getragen. Mein Vater wollte erst die Familie und den jungen Mann näher kennen lernen, bevor er etwas sagen wollte. Nach einiger Zeit kam es zu diesem kennen lernen. 104 Die Familien lernten sich gegenseitig kennen. Da die Tradition vorschreibt, dass die Kinder vor allem die Tochter über eine Heirat nicht mit dem Vater sprechen kann. Ansonsten würde es die Schamgrenze überschreiten. So war das nun mal damals. Heute hat sich vieles verändert, die Mädchen haben es heute viel besser, denn das Thema Heirat kann auch mit dem Vater besprochen werden. Zu der Zeit wollte ich nicht heiraten, weil ich mich noch nicht bereit fühlte und auch diesen Menschen nicht ausführlich kannte. Das habe ich versucht meiner Mutter nahe zu legen. Meine Mutter hat dieses meinem Vater weiter getragen. Nun wusste auch mein Vater, dass ich bezogen auf das Thema „Heirat“ sehr unsicher war. Ich erinnere mich sehr gut daran, als mein Vater mit mir darüber sprach. Es war ein Nachmittag ich war draußen vor der Tür von unserem Haus und habe dort fegen wollen. Mein Vater kam zu mir und setzte sich auf eine Treppenstufe der Eingangstür. Er sagte mir: „Sisîka mîn, deine Mutter hat mir erzählt, dass du mit der Heirat nicht einverstanden bist. Bedenke jedoch, dass ich immer das Beste für dich wollte und will. Ich bin der Überzeugung, dass diese Familie und auch dieser Mann dich gut auffangen werden. Ich habe lange über sie recherchiert und sie auch näher kennen gelernt. Das alles bringt mich zu dieser Überzeugung. Ich als dein Vater bin für diese Ehe, aber solltest du sehr streng dagegen sein, werde ich dieses der Familie mitteilen. Jedoch denke an meine Worte“. Ich habe nur meinem Vater zugehört und nichts dazu gesagt. Die Wörter meines Vaters sind mir im Kopf hängen geblieben und somit habe ich das Heiratsangebot akzeptiert. Mein Vater hat für mich 7.000 Lira Brautgeld verlangt, was auch die Familie akzeptiert hat. Das war damals sehr viel Geld. Den größten Teil des Brautgeldes hat mein Vater für mich investiert, indem er mir Aussteuer kaufte. Neben dem Brautgeld hat die Familie meines Ehemannes für meine Familie Geschenke gemacht. So war nun mal damals die Tradition und Gebräuche in der wir lebten. Meine Heirat hat 1968 statt gefunden. Zu meiner Zeit, auf dem Dorf, gab es keine weißen Brautkleider. Stattdessen habe ich ein geschmücktes langes Kleid getragen. Jedes, Mädchen, dass heiratete hatte an diesem Tag ein rotes Taillenband zu tragen. Das Band war ein wichtiges Zeichen der Jungfräulichkeit. Ich wurde auf einem Pferd zu meiner „neuen Familie“ gebracht. So haben alle auf dem Dorf geheiratet. Auf der Hochzeit gab es Musik und Tanz. Vor allem den Folklestanz Es wurde auch gespeist. Es war sehr schwierig mich von meiner Familie zu trennen, auch meiner Familie fiel diese Trennung sehr schwer. An diesem Tag sind sehr viele Tränen geflossen. Es war sehr traurig. Nun war ich in der neuen Familie, alles war mir ganz fremd und nicht vertraut. Aber ich hatte das große Glück, dass mich die Familie von Anfang an gut aufgenommen hat. Es lebten sehr viele Mitglieder in der Familie, denn auch mein Ehemann hatte weitere 8 Geschwister. Ich hatte viele Schwager und Schwägerinnen. Zudem waren die beiden älteren Brüder verheiratet und lebten mit ihren Kindern und Ehefrauen im selben Haushalt. 105 Allerdings waren hier die Häuser größer als bei uns und sie hatten auch viel mehr Räume. Die Familie war den Dorfumständen entsprechend wohlhabend. Vor allem hatten sie viele Nutztiere und Ackeranbau, was wiederum viel Arbeit bedeutete. Hier haben nicht nur die Männer draußen gearbeitet, sondern bei Bedarf auch die Frauen des Hauses. Somit waren die Frauen im Haushalt und Draußen Beschäftigt. Um uns die Arbeit zu vereinfachen, haben wir Frauen die Arbeit aufgeteilt. Zum Beispiel, haben einige Frauen die Arbeit im Haushalt und einige die Arbeit Draußen vollzogen. Das war für uns einfacher. Meine Schwiegermutter hat genauestens darauf geachtet, dass die Dinge im Haushalt und auch Draußen seinen richtigen Lauf nahmen. Sie hat im Grunde genommen alles geleitet. In ihrer Person war sie nicht hart oder unfreundlich, aber sie versuchte auf eine weiche Art zu dominieren. Sollte man aus ihrer Sicht die Sache betrachten, denke ich, dass sie mit ihrer Art das richtige gemacht hat, denn ansonsten wäre es nicht möglich so viele Menschen zu leiten und alles unter einem Hut zu bekommen. Die Familie, und auch meine Schwiegermutter waren sehr religiös. Ich habe nie mitbekommen, dass meine Schwiegermutter über uns Schwiegertöchter gelästert hat oder uns in der Dorfgesellschaft schlecht darstellte. Ganz im Gegenteil. Mein Schwiegervater hat sich nie in die Sachen der Frauen eingemischt. Er verfolgte seinen eigenen Weg und versuchte die Söhne zu leiten. Auch er war immer sehr freundlich und nett zu uns Schwiegertöchtern. Ich war sehr darum bemüht, den erwünschten Anforderungen der Familie gerecht zu werden. Nach einer kurzen Zeit fielen mein Fleiß und meine Mühe meiner neuen Familie auf. Ich versuchte meine Arbeit immer mit bestem Wissen und Gewissen zu vollziehen und ihnen bei jedem Problem behilflich zu sein. Das war ich von Zu hause aus gewöhnt. Ich habe versucht diese Familie zu meiner Familie zu zählen und keine großen Unterschiede zu meiner Herkunftsfamilie zu machen. Außerdem lag mir viel daran, dass es keine Beschwerde über mich gab, die meine Eltern hätten kränken oder verletzen können. Das hätte mich wahrscheinlich sehr zu schaffen gemacht. Ich wollte einfach nicht, dass mein Vater seine Entscheidung bereut und habe sehr viel Wert darauf gelegt, mich mit all den neuen Menschen meiner neuen Umgebung zu verstehen. Dieses fiel auf und ich nahm hierdurch eine sehr beliebte und anerkannte Rolle ein. Meine Schwiegermutter und auch meine anderen Schwägerinnen vertrauten mir viele Dinge an. Das war normalerweise in der damaligen Kultur nicht üblich. Man sah die Schwiegertochter oft als eine „Fremde“. Ich habe 5 Kinder auf dem Dorf zu Welt gebracht, allerdings starben ein Junge und ein Mädchen. Die Todesursache war nicht klar, denn sie starben mit 9 und 3 Monaten Das war nicht einfach den Tod eines Kindes zu akzeptieren, und schon gar nicht den Tod des eigenen Kindes. Aber der liebe Allah gibt sabr (Geduld), und so gewöhnt man sich an so manche schlimme Dinge und lernt es zu ertragen. So verbrachte ich gemeinsam mit meiner neuen Familie einige Jahre auf dem Dorf. Mein Mann hatte im Jahre 1965, bevor er mich überhaupt kannte, einen Antrag als Gastarbeiter in Deutschland gestellt. Wie Allah es wollte, wurde der Antrag im Jahre 1972 genehmigt. Ich kann mich noch sehr gut an diesen Tag erinnern, so als ob es gestern wäre. 106 Als mir mein Mann mitteilte, dass er nun nach Deutschland geht, damit er arbeitet und uns mehr Sachen bieten kann wollte ich am liebsten los schreien. Ich fühlte mich sehr aufgeschmissen. Ich war sehr traurig und habe heimlich viel geweint. Ich konnte mit dem Begriff Deutschland überhaupt nichts anfangen, es war mir ein Fremdwort. Diese Ungewissheit über Deutschland hat mir sehr viele Sorgen bereitet, da ich nicht wusste wohin ich meinen Mann gehen lasse. Ich hätte es sagen können, aber zu der Zeit war es ein Traum nach Deutschland gehen zu können. Obwohl keiner richtig wusste, wie es in Deutschland aussieht, haben alle (vor allem Männer) davon geträumt. Mein Mann hatte viele Jahre auf die Genehmigung seines Antrages gewartet, ich glaube auch wenn ich dagegen gesprochen hätte, wäre er einfach gegangen. Ich durfte seinen Traum nicht platzen lassen und habe viele meiner Sorgen für mich behalten. Aber mein Mann hat mir meine Sorgen angemerkt und versuchte mich zu beruhigen. Er sagte immer, ich gehe doch nicht für mich, ich gehe für euch. Einmal haben wir uns sogar gestritten, weil ich ihm sagte: „Für uns brauchst du nicht gehen, wir leben hier gut“. Er versuchte immer viele Gründe zu nennen, das Einkommen sei mit der Türkei gar nicht gleich zusetzen und sobald er eine gute Arbeit hat würde er uns nachkommen lassen. Im Jahre 1972 ist mein Mann nach Deutschland gegangen um zu arbeiten. Die Zeit verging schnell. Auch in der Abwesenheit meines Mannes war das Zusammenleben mit seinen Eltern und Geschwistern sehr gut. Meine Eltern kamen oft zu Besuch und auch wir haben meine Eltern besucht. Das war damals kein Problem, weil unsere Dörfer nicht so weit voneinander entfernt waren. Wir haben uns gegenseitig viel unterstützt. Es war ein Geben und Nehmen. Mein Mann teilte uns mit, dass er hier und da arbeitet aber noch keine feste Arbeit besitzt. Es war so, als ob er sich bei uns entschuldigen wollte. Dabei war das gar nicht nötig. Nach einigen Monaten teilte er uns eine erfreuliche Nachricht mit. Er hatte eine vorübergehende Arbeit in Frankfurt gefunden. Er ging mit seinem Verdienst sehr sparsam um und schickte uns viel Geld zum Leben. Seine Eltern haben das Geld verwaltet und legten den größten Teil des Geldes für uns an. Nach ungefähr einem Jahr, im Jahre 1973 kam er für 2 Monate wieder in die Türkei und machte Urlaub. Ich wurde Schwanger und habe im Jahre 1974 meinen zweiten Sohn zur Welt gebracht. Die Geburt verlief in Abwesenheit meines Mannes. Der Abschied war wie immer sehr schwer. Seine Rückkehr nach Deutschland war sehr erfreulich, denn er hat kurz darauf eine Arbeit als Straßenbauer gefunden und war 10 Jahre dort beschäftigt. Das war eine sehr gute Arbeit. Er hat jedes Jahr regelmäßig Urlaub bekommen und konnte uns demnach 1975 erneut besuchen. Wir haben uns immer sehr auf das Wiedersehen gefreut. Ich liebte meinen Mann sehr, ich war richtig stolz auf ihn. Er kam nie mit leeren Händen und brachte für jeden ein Geschenk mit. Wenn er zu Urlaub kam haben wir immer viel unternommen. 107 Meine Schwiegereltern sorgten in dieser Zeit oft dafür, dass ich mit meinem Mann oft alleine war. Es war zu der zeit nicht möglich, meinen Mann öffentlich zu umarmen oder schöne Worte zu sagen. Solche Sachen teilte man sich nur, wenn man alleine war. Es war meinem Mann lange Zeit sogar unangenehm, seine eigenen Kinder vor seinem Vater auf den Schoß zu nehmen oder zu küssen. Auch diese Sachen wurden meistens heimlich gemacht. Das war eine Art Respekt vor dem Älteren. So zu denken und so zu handeln war damals kein Problem, denn man war es einfach nicht anders gewohnt. Es war so. Als mein Mann im Jahre 1976 wieder zu Urlaub kam, sagte er, dass er sich dazu entschieden hat, nach Elazig aus zuwandern. Er überzeugte seine ganze Familie. Mein Mann hatte nun genug Geld um uns dort ein Haus bauen zu lassen. Wir hatten ja auch noch das Geld, was meine Schwiegereltern für uns verwaltet hatten. Meine Schwiegereltern haben seine Idee befürwortet, sie waren nicht dagegen. Ganz im Gegenteil. Der Urlaub meines Mannes im Jahre 1978 verlief nur mit organisatorischen Dingen. Es war nicht einfach, ein Haus für eine große Familie bauen zu lassen. Sein Plan verwirklichte sich im Jahre 1979. Das Jahr 1979 war sehr anstrengend, ich war hoch schwanger. Kurz nach der Geburt meiner ersten Tochter sind wir ausgewandert. Ich lebte nun mit der Familie meines Mannes und meinen 3 Kindern in unserem neuen Haus in Elazig. Elazig ist ungefähr 300 Kilometer vom Dorf entfernt und ist auch eine östliche Stadt der Türkei. Allerdings war Elazig eine weitaus moderne Stadt als Bingöl. Ganz anders wie auf dem Dorf. Obwohl es auch hier viel zu tun gab, war das Leben hier viel befreiender. Es waren kaum 4 Monate vergangen, da holte uns in einer Nacht die Nachricht ein, dass mein Vater schwer krank sei. Diese Nachricht war ein Schock für mich. Ich konnte in dieser Nacht kein Auge zu drücken. Mein Schwiegervater und ich sind am nächsten Tag sofort nach Bingöl gefahren. Als ich dort ankam, war alles anormal, das Haus war überfüllt mir vielen Menschen. Dieser eine Blick hat ausgereicht. Es wurde für mich sofort klar, dass mein Vater bereits verstorben war. Er lebte nicht mehr. Das war eines der schlimmsten Nachrichten meines Lebens. Ich habe geschrien und geweint. Es war so, als ob man mir plötzlich das Herz aus dem Leib raubt. Es dauerte sehr lange bis ich diesen Schmerz überwunden hatte. Das schlimmste ist, dass ich mich bei ihm nie bedanken konnte. Ich hätte mich für alles bedankt. Besonders dafür, dass er mich in gute Hände gegeben hat. Ich weiß, dass viele Ehen, die von den Eltern organisiert werden nicht gut laufen. Solche Beispiele gibt es zu genüge. Diese Tatsache bedrückt mich heute noch. Er war ein Vater, den man sich nur wünschen konnte. Möge er in Frieden ruhen. Der nächste Urlaub meines Mannes im Jahre 1981 war schon ein wenig anders. Wir hatten unseren eigenen Bereich und konnten uns viel besser austauschen. Kurz darauf habe ich in Elazig eine weitere Tochter zur Welt gebracht und war nun die Mutter von 4 Kindern (2 Söhne u. 2 Töchter). Ich konnte mich sehr auf meinen Mann verlassen und habe es nie bereut ihn geheiratet zu haben. Er war sehr 108 fürsorglich und nannte mich immer „Hasret dîl“ (die Sehnsucht meines Herzens). Diese Worte haben mich immer sehr geschmeichelt. Ich war stolz darauf, diese Worte hören zu dürfen und habe meiner jüngeren Tochter den Namen „Hasret“ (Sehnsucht) gegeben. Obwohl ich meinen Mann vor der Heirat kaum kannte, haben sich nach und nach Gefühle entwickelt. Ich konnte mir ein Leben ohne ihn nicht mehr vorstellen. Mein Mann und ich hatten mittlerweile eine richtige Familie gegründet. In Elazig ging es uns finanziell sehr gut. Es gab wirklich nichts, worüber wir hätte klagen können. Alles hatte sich eingespielt. Wir haben zuerst alle in unser Haus aufgenommen. Das Ganze verlief so ungefähr 2 Jahre, bis sich meine Schwager, für ihre Familien nach und nach eigene Häuser bauen ließen. Mein Mann hat seinen Geschwistern geholfen wo es nur ging. Er hat viel dazu beigetragen, dass es auch seinen anderen Geschwistern gut ging. Meine Schwiegereltern und die Geschwister meines Mannes, die noch nicht verheiratet waren, blieben jedoch weiterhin bei uns. Ich habe sie nie als eine Last empfunden, weil sie wirklich herzensgute Menschen waren. Sie waren mir immer eine große Hilfe. Unser Haus hatte einen umfangreichen Garten. Wir hatten viel Obst und Gemüse. Das war aber auch eine Gefahr, denn es kam häufig vor, dass Jugendliche über unseren Zaun kletterten und Obst klauten. Nach 4 Jahren in Elazig erhielten wir eine Nachricht von meinem Mann. Er teilte uns mit, dass ich mit unseren 4 Kindern nachziehen sollte. Das war für mich keine besonders schöne Nachricht. Ich hatte mich gerade in Elazig eingelebt und eingefunden und sollte schon bald alles liegen lassen. Das war nicht einfach sich von einem gewohnten und vertrauten Ort trennen zu können. Im Jahre 1985 sind wir dann nach Deutschland eingereist. Die ersten Monate in Deutschland waren furchtbar. Ich konnte die Sprache nicht, ich wusste nicht wie ich mich zu benehmen hatte ich wusste gar nichts. Ich habe meinen Mann sehr bewundert. Ich habe mich gefragt wie er es hier alleine so viele Jahre ausgehalten hat. Nun war er aber nicht mehr alleine. Er hatte für uns eine 3,5 Zimmer Wohnung eingerichtet. In diesem Haus wohnten keine Ausländer. Wir hatten nur deutsche Nachbarn. Sie schienen aller nett zu sein. Wenn wir uns auf dem Balkon begegneten haben die uns immer begrüßt. Ich habe immer nur mit dem Kopf genickt, weil ich nicht wusste wie man richtig grüßt. Bis mein Mann mir sagte, dass es reicht wenn ich „Tag“ sage. Ich glaube das war das erste was ich auf Deutsch sprechen konnte. Als mein Mann nach unserer Eingewöhnungsphase wieder arbeiten ging, war ich den ganzen Tag alleine mit meinen Kindern. Mein Mann hat alle Werktage hart durch gearbeitet. Aber auch ich habe hart gearbeitet. Ich habe meine Kinder nach und nach zur Schule geschickt, bin einkaufen gegangen, habe den Haushalt geregelt, gekocht, habe Arztbesuche erledigt und was sonst noch so im normalen Leben aufkommt. Ein Jahr später (1986) erfuhr ich, dass meine Schwägerin (die 109 Schwester von meinem Mann, zugleich auch meine beste Freundin) auch nach Deutschland, zu ihrem Mann, ziehen wird. Ich kann gar nicht beschreiben wie sehr ich mich gefreut hatte. Mit dieser Schwägerin habe ich mich besonders gut verstanden. Wir sind bis heute noch wie Schwestern. Der Kontakt ist bis heute noch sehr harmonisch. Wir wohnen jetzt seit ca. 21 Jahren gemeinsam in Deutschland und seit 3 Jahren sogar auf derselben Straße. Sie ist meine Schwägerin, meine beste Freundin und gleichzeitig auch meine Nachbarin. In diesem Jahr (1986) habe ich auch mein 5.Kind zur Welt gebracht, unseren dritten Sohn. Nun hatte ich nicht nur 4 schulpflichtige Kinder, sondern auch noch einen Säugling. Ich musste viele Dinge alleine machen. Das war nicht einfach. Und schon gar nicht, wenn man kein Wort Deutsch sprechen konnte. Aber es hat geklappt, man beißt sich mit allen Mitteln durch. Es blieb mir ja auch nichts Weiteres übrig, wenn man muss dann muss man eben. Mein 6.Kind ist 1988 geboren. Das war das erste Mal, dass mein Mann bei einer Geburt dabei war. Es war ein Junge. Unser 4. Sohn. Kurz darauf haben wir unseren ersten gemeinsamen Urlaub in der Türkei verbracht. Das Wiedersehen war groß, und die Sehnsucht umso mehr. Wir sind fast alle 2 Jahre mit der ganzen Familie in den Urlaub geflogen. Obwohl das immer sehr teuer war, hat es sich gelohnt. Kurz nach unserem ersten gemeinsamen Urlaub, im Jahre1989 habe ich den ersten großen Schicksalsschlag meiner Ehe erlebt. Ich weiß noch jede Einzelheit. Es war ein ganz gewöhnlicher Tag. Mein Mann war arbeiten. Wir haben das Abendbrot immer gemeinsam gegessen. Ich hatte gekocht und wartete mit den Kindern auf meinen Mann. Es wurde immer später, er kam und kam nicht. Wenn manchmal etwas passiert, dann spürt man das irgendwie. Ich wusste, dass diese Verspätung kein gutes Zeichen war, denn er war immer pünktlich und zuverlässig. Ich wurde immer unruhiger und meine Kinder mit mir. Irgendwann liefen mir einfach die Tränen, die Ungewissheit machte mich zu schaffen. Ich habe ihn in meiner Verzweiflung sogar beschimpft, weil ich das verantwortungslos fand, dass er uns nicht benachrichtigte. Ich wurde immer ungeduldiger. Mein ältester Sohn versuchte mich zu beruhigen und auf mich einzureden. Aber es brachte nichts, es war so als ob mir 100 Stimmen sagten, dass etwas Schlimmes passiert sei. Und so war es dann auch. Nach etwa 2 Stunden vergeblichen Wartens haben wir einen schrecklichen Anruf bekommen. Die Polizei benachrichtigte uns über einen tragischen Verkehrsunfall. Die Angehörigen sollten bitte zum Krankenhaus kommen. Es war so als ob mir die Decke auf den Kopf fällt. Es war nicht möglich zu reden, ich war nur am schreien. Ich hatte mich richtig verloren. Mein Sohn hat meine Schwägerin benachrichtigt. Wir sind sofort ins Krankenhaus gefahren. 110 Als wir dort ankamen merkten wir schnell, dass es mehr war als nur ein Verkehrsunfall. Die Ärzte versuchten uns schonend beizubringen, dass mein Mann klinisch Tod sei. Er befand sich im Koma. Ich habe die Ärzte angefleht, damit sie mich zu ihm ließen. Mein ältester Sohn und ich durften ihn kurz sehen. Er lag auf der Intensivstation, es waren sehr viele Ärzte dort. Als ich ihn da mit den unzähligen Kabeln so liegen sah, brach meine heile Welt zusammen. Ich glaubte ihn verloren zu haben. Ich sah meinen Sohn an und mein Sohn sah mich an. Die Tränen flossen so dahin. Mein Mann lag 8 Tage in Koma. Danach lag er 4 Monate im Krankenhaus und hat sich in dieser Zeit vielen Operationen unterziehen müssen. Sein Gesicht war wie entstellt. Er hat viele Brüche erlitten. Sein Gehör- und Geruchssinn sind seitdem geschädigt. Man konnte viele Dinge nicht mehr wiederherstellen. Mein Mann ist nach diesem Unfall 60% behindert. Die Ärzte haben ihn nach diesem Unfall als erwerbsunfähig attestiert. Es wurde ihm verboten arbeiten zu gehen. Dieser Unfall hat unser Leben sehr beeinträchtigt. Man kann es kaum in Worte fassen, dass er heute noch lebt. Es ist ein Wunder von Allah. Mit dem Unfall hat sich aber auch sein Wesen verändert. Er ist nicht mehr so geduldig. Man kann ihn schnell reizen. Er fährt schnell aus der Haut und wird schnell wütend. Er war Jahre lang ein wunderbarer Ehemann und ein sehr fürsorglicher Vater. Meine Kinder und ich sind über jeden Tag froh, wo er bei uns ist. Wir versuchen das große Geschenk zu schätzen und bemühen uns darum, ihn nicht unnötig zu belasten. Mittlerweile (seitdem ich geheiratet habe) sind etwa 38 Jahre vergangen. Meine 2 älteren Söhne (32 u. 37) sind verheiratet und haben ihre eigenen Familien gegründet. Sie leben sehr glücklich. Ich bin eine fünffache Großmutter. Mein 6.Enkelkind ist unterwegs. Meine 2 Töchter (25 u. 27) haben nach einer Ausbildung zur Erzieherin ein Studium begonnen. Meine Jüngsten Söhne (18 u. 20) machen zurzeit Abitur. Ich kann mit einem guten Gefühl behaupten, dass die Jugend meiner älteren Söhne im Großen und den recht friedlich verlaufen ist. Die haben sich gut eingefunden. Mein Mann und ich wurden nie Zeugen davon, dass sie sich unachtsam benahmen. Sie haben nicht getrunken und sind auch nicht in Discos oder so besucht. Wo sie sehr gerne waren, war „Intercent“. Das war ein Jugendfreizeittreff in Marl. Fast alle Jungen gingen dort hin. Die haben mich immer beruhigt und sagten: „Mama da gibt es nichts schlimmes“. Wir spielen da Billard oder andere Spiele. Das war für mich in Ordnung. Mittlerweile sind meine beiden älteren Söhne verheiratet. Beide haben freiwillig geheiratet. Mein Mann und ich halten uns aus solchen Dingen raus. Natürlich möchte man wissen, aus welchen Kreisen Sie kommen, 111 aber wenn von Liebe gesprochen wird, sind wir meistens stumm. Wir haben viel für die Hochzeit beider Söhne investiert und auch bei der eigenen Wohnung beigesteuert. Wenn Eltern ihren Kindern nicht beistehen, wer soll es dann tun? Man hat ja schon den Wunsch, dass die ausgewählte Person zu der eigenen Familie passt. Wir sind eine sehr fromme Familie und versuchen uns an die Vorschriften des Islams zu halten. Was wir wahrscheinlich schwer akzeptieren könnten wäre eine Christin oder ein Christ. Wir glauben an Allah und das Muhammed (s.a.v.) unser Prophet und Allah`s Gesandter ist. Wir bemühen uns um die Erfüllung der 5 Säulen des Islams. Wir Beten, Fasten, geben jedes Jahr unsere Armensteuer (Zekat →Almosen). Im Jahre 1994 haben mein Mann und ich die 5. Säule des Islams erfüllt, das heißt, dass wir eine Wallfahrt nach Mekka (Hac) gemacht haben. Seitdem sind wir Haci`s. Wir trinken kein Alkohol und essen kein Schweinefleisch. Das sind Dinge, die uns der Islam zu unseren Gunsten strikt verbietet. Außerdem kleide ich mich nach den Vorschriften, d.h. lange saubere Kleidung, Kopftuch, keine Betonung des Körpers. Meine beiden Töchter kleiden sich den Vorgaben entsprechend. Beide Tragen ein Kopftuch. Wir haben nicht nur unseren Töchtern, sondern auch unseren Söhnen häufig mitgeteilt, wie ein Muslim leben sollte. Ein Muslim muss nett und aufrichtig sein, er sollte seine Mitmenschen achten und sollte nicht lügen. Wir haben uns darum bemüht, den Islam schmackhaft zu machen. Es ist aber wichtig, keinen Menschen zu etwas zu zwingen. Das verbietet der Islam. Etwas kann nur schön sein, wenn man es freiwillig macht. Ich habe besonders meinen Töchtern immer wieder gesagt: „Wenn ihr euch für ein Kopftuch entscheiden solltet, dann macht es weil Allah das möchte und nicht weil ich oder euer Vater das sagt!“ Meine jüngere Tochter hat bis zu ihrem 19.Lebensjahr noch kein Kopftuch getragen. Ganz im Gegenteil, sie hat sich immer sehr eng und freizügig gekleidet. Am schlimmsten fand ich ihre Schminke, aber sie hat nichts daran geändert. Bis unsere Nachbarin verstorben ist. Diese Nachbarin war auch eine Kurdin, sie war zu lieb für diese Welt. Eine unglaubliche Frau. Dieser Tod hat viel in meiner Tochter ausgelöst. Das war der erste Tod, den sie live miterlebt hat. Seit diesem Tag hat sie sich ganz plötzlich dazu entschieden, ein Kopftuch zu tragen und ihre Lebensform zu ändern. Seitdem betet sie auch. Das hat mir bewiesen, dass jeder Mensch einen emotionalen Anstoß braucht. Ich finde es sehr wichtig, dass sich Menschen bilden. Gerade heutzutage hat man ohne Bildung keine Chance. Egal ob männlich oder weiblich. 112 Die Schule kennt kein Geschlecht. Ich habe nie Unterschiede gemacht. Ich liebe alle meine Kinder und da ich sie alle liebe, möchte ich für alle das Gute. Die Schule ist etwas Gutes. Obwohl ich selbst keine Schule besucht habe, finde ich es wichtig, dass jeder Mensch eine Schule besucht. Mein Mann und ich haben immer sehr viel Wert darauf gelegt, dass unsere Kinder ordentlich zur Schule gehen und sich beruflich bilden. Ich kann mich nicht damit anfreunden, wenn man sagt, dass Mädchen die Schule verboten wird. Menschen die so etwas behaupten sind „Tönedî“ (zurück gebliebene Leute). Ich habe selbst gesehen und gespürt was es heißt nicht lesen und schreiben zu können. Meine Kinder haben bis vor kurzem noch einige Male dafür gekämpft, mir das Lesen und Schreiben beizubringen. Allerdings fehlt mir jetzt die Motivation, ich habe es einfach verpasst. Heutzutage weiß ich, dass ich mich nie richtig integriert habe. Ich war meistens den ganzen Tag Zuhause und war mit allen möglichen Aufgaben beschäftigt. Da wir nach und nach auch viele türkische und vereinzelt auch kurdische Nachbarn bekamen, war ich somit von der deutschen Gesellschaft förmlich isoliert. Ich habe mich lieber mit Menschen angefreundet, dessen Sprache ich auch beherrschen konnte. Allerdings war das mit großen Nachteilen verbunden. Das habe ich aber leider viele Jahre später bemerkt. Ich finde es sehr schlimm, dass in meiner Kultur oft Töchter unerwünscht sind. Die Menschen wollen lieber einen Jungen, aber ich empfinde, dass die Töchter genau so viel Wert sind wie die Jungen. Als ich meine Töchter bekam war ich sehr glücklich darüber und bin es immer noch. Ich habe zwei wunderbare Töchter, die ich nie missen möchte. Ohne meine Töchter wäre das Leben eintönig. Sie sind beide sehr intelligent und voller Lebensfreude. Ich finde jede Mutter braucht Töchter. Ich kann alles mit ihnen teilen, sowohl Freude, als auch Kummer. Sie zeigen mir oft in meiner Verzweiflung den Weg. Hierfür bin ich ihnen sehr dankbar. Natürlich gibt es auch Konflikte mit ihnen. Beide sind sehr Selbstbewusste junge Frauen, die viele Dinge im Leben vor allem in unserer Kultur in Frage stellen. Z.B. haben wir oft Meinungsverschiedenheiten, was unsere Kultur betrifft. Die regen sich oft auf, wenn kulturelle Dinge religiös begründet werden, oder wenn über Frauen schlecht gesprochen wird und Männer mehr Freizüge genießen als die Frauen. Hierbei kommt es manchmal zwischen uns zu Reibereien. Jedoch denke ich sie sollen so leben wie sie zu richtig wissen und ich so wie ich es richtig denke. Obwohl sie in vielen Dingen anders denken und handeln, haben sie trotz dessen, einen sehr guten Stellenwert und Ruf innerhalb meiner Familie-, Bekannten-, Verwandtenund Gesellschaftskreisen. Ich bin sehr stolz auf meine Töchter. Auch mein Mann liebt seine beiden Töchter sehr. Er hat viel Spaß mit beiden. Für ihn waren Töchter oder Söhne nie ein Thema. Er hat mich dieses nie spüren lassen. Auch er ist sehr stolz auf beide Töchter. Im Grunde genommen kann man sogar sagen, dass er zu seinen Töchtern eine engere Beziehung hat, als zu seinen Söhnen. Ich denke, wenn sie mal heiraten sollten, wird er sehr darunter leiden, 113 bis er sich daran gewöhnt hat. Heirat ist ein sehr persönliches Thema. Sie sollen entscheiden wann sie diesen Weg gehen wollen und nicht wir Eltern. Auch wenn dieses zu meiner Zeit anders war. Mein Mann und ich lassen ihnen diese Freiheit. Außerdem würden sie sich ehe von uns sich nicht vorschreiben lassen wann und mit wem sie zu heiraten haben. Beide stecken noch in der Bildung und sie sollen sich von mir aus für eine Ehe Zeit lassen. Ich sage immer, sie sollen heiraten und nicht ich, somit sollen sie entscheiden und nicht ich. Ich möchte später nie für die Entscheidung verantwortlich gemacht werden, demnach halte ich mich gänzlich raus. Es haben viele ihre Hand angehalten. Allerdings haben sie andere Erwartungen und Wünsche von einer Ehe, als wir sie vielleicht hatten. Sie sind sehr gut in die Deutsche Gesellschaft integriert, sie sprechen beide perfekt deutsch und kennen sich gut mit dem deutschen Gesetzen aus. Wahrscheinlich ist das auch ein Grund dafür, dass sie sich viele Dinge zutrauen, was viele Mädchen nicht tun würden. Ich wünsche mir von Allah, dass sie all ihre Ziele und Wünsche im Leben erreichen und wenn es irgendwann mit der Heirat soweit ist, dass sie in der Ehe glücklich und zufrieden werden. Ich hoffe, dass sie eines Tages so gute Töchter bekommen, wie ich sie habe. 7.1.3 Biographie Ster Ster 28 Jahre alt, geboren in Mardin Nusaybin, hat 2 Töchter, lebt in Trennung. I ch heiße Ster bin 1978 in Mardin Nusaybin geboren habe noch weitere fünf Geschwister, zwei ältere Brüder, zwei ältere und eine jüngere Schwester. Mein Vater war ein Beamter und meine Mutter eine Hausfrau. Meine ersten neun Lebensjahre habe ich in der Türkei/Kurdistan verlebt. An die neuen Jahre kann ich mich nur noch sehr wage erinnern. Aufgrund der Tätigkeit meines Vaters mussten wir unseren Wohnsitz mehrfach wechseln. Dadurch konnte ich viele neue Bereiche und Städte kennen lernen. Ich habe es aber nie als eine Bereicherung empfunden, da es sehr belastend war, sich ständig an neue Orte und neue Menschen zu gewöhnen. Das war nicht einfach. Meine ältere Schwester hat im Jahre 1987 mit 18 Jahren geheiratet. Kurz nach ihrer Hochzeit beschloss mein Vater aus politischen Hintergründen nach Deutschland zu fliehen. 114 Es ist bei uns Tradition, dass die verheiratetet Tochter nach einem Monat das Elternhaus besucht. Allerdings hatte mein Vater seinen Entschluss bereits beschlossen. Er wollte nach Deutschland fliehen. Meine verheiratete Schwester kam mit diesem Entschluss überhaupt nicht zurecht und ihm das sehr übel genommen und bis heute noch nicht verziehen. Sie war erst frisch veheiratet und konnte es innerlich nicht vereinbaren, dass die Familie ohne sie gehen möchte. Meine Schwester hat meinem Vater viele üble Dinge vorgeworfen. Sie sagte sogar, dass er sie mit böser Absicht verheiratete um sie los zu werden. Mein Vater hielt es für sinnvoller die ersten vier Kinder im voraus nach Deutschland zu schicken. Wir waren im Alter von 17, 15,10 und 9 Jahren. Nach unserer Einreise wollten meine Eltern ursprünglich mit meiner jüngeren Schwester sofort nach ziehen. Doch das war gar nicht so einfach. Der Plan hat sich nicht so umsetzen lassen, wie man es sich vorgestellt hatte. Wir vier Kinder waren nun ohne meine Eltern in Deutschland. Wir befanden uns in einem fremden Land. Wir kannten niemanden und waren völlig auf uns alleine eingestellt. Die Einreise von meinen Eltern bereitete ihnen einige extreme Schwierigkeiten. Die Einreise meiner Eltern sollte ursprünglich ein paar Tage in Anspruch nehmen. Aber es hat sich viel zu lange hinausgezögert. Es dauerte sechs bis sieben Monate. Während dieser Zeit waren vor allem meine Schwester und ich auf uns so ziemlich allein. Wir Kinder wurden in einem Asylantenheim untergebracht. Diese Unterbringung hat nicht lange gedauert, da sich nach kurzer Zeit das Jugendamt einschaltete. Das Jugendamt hat für uns beide Mädchen eine Pflegefamilie vermittelt. Die Pflegeeltern waren kurdischer Herkunft. Das war eine Zeit der Ungewissheit, un war nicht bekannt, wo sich unsere Eltern aufhielten oder ob sie überhaupt noch nach Deutschland zu uns Kindern kommen würden. Wir sind dort untergebracht worden bis meine Eltern nach kamen. Ich erinnere mich ungern an diese Zeit. Das Leben in der Pflegefamilie war nicht schön. Wir fühlten uns wie Menschen zweiter Klasse. Wir haben fast drei Monate bei der Pflegefamilie gelebt, bis dann endlich meine Eltern kamen. Das Wiedersehen mit meinen Eltern war besondern für uns Mädchen überwältigend. Endlich waren wir wieder zusammen. Wir waren wieder eine Familie wie früher. Nachdem meine Eltern einen Asylantrag stellten, wurden wir gemeinsam in einenm unterkunftsheim untergebracht. Die Wohnverhältnisse nicht besonders gut. Die Räumlichkeiten waren viel zu eng. Aber wir bemühten uns um eine Zufriedenheit, denn es stand im Vordergrund, dass wir alle zusammen waren. Kurz nach dem Einzug in das 115 Unterkunftsheim wurden wir vier jüngeren Kinder auch schon eingeschult. Ich hatte zuvor in der Türkei zwei Jahre eine Schule besucht und bin dann hier in Deutschland direkt in die dritte Klasse gekommen. Die Schule bereitete mir am Anfang große Schwierigkeiten. Obwohl mir die deutsche Sprache nicht mehr so fremd war wie am Anfang, war mir dennoch bewusst, dass ich mich in der Sprache noch erweitern musste. Das habe ich dann auch getan. Das Deutschsprechen bereitete mir mit der Zeit große Freude. Es machte mir Spaß. Irgendwann hatte ich die besten Deutschkenntnisse und wurde oft als Übersetzerin eingesetzt. Besonders mein Vater schätzte diese Fähigkeit von mir. Ich war kaum elf Jahre alt, da habe ich mich schon selbständig um die bürokratischen Angelegenheiten meiner Familie gekümmert. Damals war mir die Höhe dieser Verantwortung noch nicht bewusst. Ich habe es einfach erledigt. Mit der Zeit flohen auch einige unserer Verwandte nach Deutschland. Meine Eltern haben anfänglich viele Menschen bei uns aufgenommen. Das löste bei uns ein großes Durcheinander aus. Die Räume waren für so viele Menschen einfach nicht ausreichend. Die Enge war schwer erträglich und besonders für den privaten Bereich einschränkend. Es ließ sich nicht vermeiden, dass wir Töchter im Haushalt eingesetzt wurden. Die meisten Auseinandersetzungen zwischen mir und meiner Schwester basierte auf die Aufteilung des Haushaltes. Meine Schwester war eher die ruhige und gelassen Person. Im Gegensatz zu ihr hatte ich eine laute und aufgewägte Persönlichkeit. Aufgrund meiner Art wurde sie öfters von meinen Eltern in Schutz genommen. Dieses ärgerte mich sehr, weil ich nicht verstehen konnte, warum sie sich nicht selbst verteidigen konnte.. Da meine Mutter krank war hatten wir eine doppelte Belastung. Wir besorgten uns sehr um unsere Mutter. Unsere Kindheit hat unter der Krankheit meiner Mutter so ziemlich gelitten. Bedingt durch die Krankheit meiner Mutter war es ihr auch nicht möglich, die Rolle einer Mutter zu erfüllen. Sie floh immer wieder in ihre Krankheit und war somit für uns nicht ansprechbar. Die eigentliche Rolle meiner Mutter hat somit mein Vater übernommen. Er hate beide Rollen eingenommen, er war sowohl unsere Mutter als auch unser Vater. Es wurde fast zur Gewohnheit, sie bekam die Rolle einer Mutter inicht mehr zustande, bis heute nicht. Sie hat überwiegend 116 vermittelt, gehandelt hat sie kaum. Mein Vater ist sehr gläubig und sich immer darum bemüht, uns (vor allem uns Töchter) religiös zu erziehen. Die Beziehung zwischen uns Töchtern und unserem Vater war viel intensiver als zu unseren Brüdern. Das ist bis heute noch so geblieben. Mein Vater hatte die Befürchtung, dass wir Töchter die eigentliche Herkunft vergessen würden. Das waren seine Bedenken. Er war schon der Meinung, dass wir uns hier in Deutschland zurecht finden sollten. Allerdings mit der Voraussetzung, die eigene Kultur beizubehalten. Durch die religiöse Erziehung meines Vaters wurden wir sehr geprägt. Ich persönlich lebe in vielen Situationen nach diesen Richtlinien. Im Jahre 1990 haben wir durch einen Zufall eine pensionierte Lehrerin kennen gelernt. Sie war alleinstehend und kinderlos. Wir haben uns von Anfang an sehr lieb gewonnen. Diese Sypmpathier beruhte auf Gegenseitigkeit. Wir sollten sie mal Zuhause besuchen, was wir dann auch taten. Nach diesem Tag waren wir täglich bei ihr Zuhause. Da sie alleinstehend war, waren meine Eltern beruhigt und ließen uns mit gutem Herzen dorthin. Sie hat schnell für uns eine Oma Rolle eingenommen. Bei dieser Dame haben wir sehr viel Anerkennung, Aufmerksamkeit und Ruhe genossen. Das hat unserer Kinderseele sehr wohl getan. Sie hat auch innerhalb unserer Familie einen besonderen Platz eingenommen und wurde uns in vielen Angelegenheiten behilflich. Im Grunde genommen ist mein Vater gegen Zwangsehen, aber er hat meine Schwester damals mehr oder minder zwangsverheiratet.. Der Onkel von ihm wollte unbedingt meine damals 15 jährige Schwester als Schwiegertochter haben. Mein Vater liebte diesen Onkel sehr und wollte ihn nicht verletzen. Obwohl mein Schwester mit dieser Heirat einverstanden war, hat er sie mit diesem Cousin verheiratet. Meine Schwester hatte damals einen Freund. Das hat aber niemanden gekümmert. Sie hatte keinen anderen Ausweg als diese Ehe einzugehen. Nach und nach habe ich häufig mitbekommen, wie sich mein Vater Vorwürfe machte. Mit der Zeit hat er das bereut, vor allem in Situationen, wo es meiner Schwester nicht gut ging. Er ärgert sich darüber, dass er nicht gegen den Willen seines Onkels angegangen war. Die Mutter von meinem Vater ist früh verstorben. Hierdurch hat mein Vater seinen Onkel an ihre Stelle getan. Mit der Zeit häuften sich die Nachfragen, ob ich auch nicht 117 heiraten wolle.Nun war ich gefragt. Mir wurden einige Heiratsangebote zugestellt. Allerdings wussten meine Eltern, dass ich mich noch nicht zur einer Heirat entscheiden wollte und haben die Angebote abgelehnt. Es war ihnen auch bewusst, dass ich anders war als die anderen Töchter.Ich Interessierte mich viel für Bildung und ging gerne zur Schule. Das war meinen Eltern bewusst. Ich habe eher die Rolle eines Sohnes eingenommen, als die einer Tochter. Da ich einen Führerschein hatte, musste ich ihn fast immer begleiten. Mein Vater hatte keinen eigenen Führerschein und war mir immer besonders Dankbar für meine Hilfe. 1996 war ich auf der Berufsschule und habe den Bildungsgang zu Pharmazeutisch-Technischen Assistentin angefangen. Im zweiten Lehrjahr habe ich meinen Ehemann kennen gelernt. Er hatte mich auf einer Hochzeit gesehen. Wir hatten uns zuvor noch nie gesehen. Nur unsere Familien kannten sich ein wenig. Meinem Ehemann war es wichtig eine Frau zu heiraten, die aus einer angesehenen Familie stamm. Mein Vater erfüllte diesen Wunsch von ihm. Die Familie trat mit einem Heiratsangebot an meine Eltern. Ich wurde im Vorfeld darüber informiert und hatte mich innerlich auch ein wenig darauf vorbereitet. Es fiel mir auf, dass das nun die erste Heiratsanfrage war, die meine Eltern ernst nahmen. Das war sehr verwunderlich. Die Familien untereinander haben sich von Beginn an gut verstanden und beide haben für ihre Vorstellungen in der gegenseitigen Familie Bestätigung erfahren. Wir haben beide nicht mit dem Herzen (sprich Liebe) geheiratet, sondern viel mehr mit dem Verstand. Ich hatte die Befürchtung, dass ich meine Familie sehr enttäuschen würde, wenn ich das Angebot nicht annehmen würde Dieses wollte ich vermeiden und auch mir schien er am Anfang der passende Partner zu sein. Ich legte einen großen Wert auf Bildung. Mein Mann war an der Akademie und ich noch in der Ausbildung. Mein Mann gab mir mit seinem Auftreten Sicherheit und Ruhe Es war ursprünglich vorgesehen, dass wir erst unsere Bildung abschließen, ehe wir heirateten. Das war eine erfreuliche Nachricht für mich, denn ich wolle mir der Heirat mindestens ein bis zwei Jahre warten. Außerdem sollte diese Zeit dazu dienen, dass wir uns näher kennen lernten. Leider hat mich die Realität des Besseren belehrt. Alles ging sehr schnell ich habe innerhalb von circa vier Monaten geheiratet. Mein Vater hatte mit mir im Vorfeld über die Familie und meinem Benehmen gesprochen. Er sagte mir, dass nun die Familie 118 meines Ehemannes meine Familie sei. Ich sollte auf meinem Benehmen Acht geben und sie mit Würde und Respekt behandeln. Außerdem sollte ich den guten Namen meines Vaters gerecht werden. Einige Abmachungen wurden von meinen Schwiegereltern nicht eingehalten. Zum Beispiel war es vorgesehen, dass ich eine eigene Wohnung mit meinem Mann beziehen würde. Obwohl das vorher so abgemacht war, wurde es nicht eingehalten. Ich habe ein Jahr lang bei meinen Schwiegereltern leben müssen. Im Grunde genommen habe ich mich mit meinen Schwiegereltern gut verstanden, aber mir meiner Weltanschauung und Religiosität kamn sie schwer zu recht. Die Familie war anders eingestellt als meine Ursprungsfamilie. Die Familie meines Ehemannes war eine Großfamilie. Ich hatte eine Schwägerin und vier Schwager. Sie alle lebten mit uns in der Wohnung. Mir wurde der Haushalt übertragen. Ich habe mich darum bemüht, alles zu regeln. Das war sehr belastend. Hinzu kamen noch die ewigen Auseinandersetzungen mit meiner 15 jährigen Schwägerin. Sie ging mit mir ständige Konflikte ein, denn sie war der Auffassung, dass ich ihre Stelle eingenommen hatte. Dieses machte mich oft sehr traurig und brachte mich zum nachdenken. Mit meinem Ehemann konnte ich nur abends Kontakt schließen, denn tagsüber war dieses nicht möglich. Ich fragte mich häufig mit wem ich geheiratet hatte, mit ihm oder mit seiner Familieß Trotz der schwierigen Situation versuchte ich mein Benehmen nicht negativ zu verändern. Ich wurde bereits in den ersten Monaten Schwanger. Bis auf meinen Mann, war die ganze Familie über diese Nachricht sehr erfreut. Mein Mann, wollte unbedingt, dass ich diese Schwangerschaft unterbrechen sollte. Ich hätte mich nie mit einer Abtreibung vereinbaren können. Das wäre für mich keine richtige Entscheidung. Aber auch unsere Familien hätten eine Abtreibung nicht zu gelassen. Je fortgeschrittener die Schwangerschaft wurde, desto mehr wendete sich mein Mann von mir ab. Auch während der Schwangerschaft habe ich die Aufgaben die von mir erwartet wurden vollbracht. Ich mit der Hoffnung gelebt, dass er sich mit der Zeit schon daran gewöhnen würde. Ich dachte mir, spätestens wenn das Kind da ist, wird er sich schon ändern. Meine Familie erfuhr schnell von meiner beschwerlichen Situation Ich habe ihnen von meinen Problemen nie etwas erzählt, denn bevor ich heiratete hatte ich mir versprochen, 119 dass ich niemals in einem Streit zu meiner Familie gehen würde. Ich fand das schon unangenehm, als meine Schwester wegen Streitigkeiten zu uns kam. Es war mir wichtig auf eigenen Beinen stehen zu können. Ich wollte meine Eltern nicht zusätzlich und unnötig belasten. Im Jahre 1999 bis 2000 habe ich in der Ifak (Bochum) eine Dame kennen gelernt. Innerhalb dieser Zeit wurde mir vollkommen bewusst, dass ich mein Leben anders gestalten musste als es momentan der Fall war. Mir wurde richtig bewusst, dass ich total von dem abgewichen war, was ich eigentlich immer seien wollte. Ich war vielmehr eine Hausfrau und nicht eine Ehefrau. Ich musste etwas ändern. Kurz darauf habe ich eine Ausbildung im Bereich sozialpädagogische Familienhilfe absolviert. Ich verfolgte meinen Beruf sehr aufmerksam und war sehr aktiv. Durch die Arbeit und die Dame die ich vorher in der Ifak kennen gelernt hatte, fand ich meine Persönlichkeit wieder. Das hatte aber auch eine Schattenseite, denn je erfolgreicher ich innerhalb meines Berufes wurde, desto negativ beeinflusster verlief meine Ehe. Durch die Arbeit wurde ich wieder selbstbewusster. Das hat meinem Mann gar nicht gefallen. Obwohl er meine Ausbildung anfänglich befürworte, merkte ich nach und nach eine Veränderung an ihm. Ich glaube, dass er mit meiner Entwicklung nicht zufrieden war. Er wollte, dass ich wie früher als eine Hausfrau fungiere und nicht als eine selbstbewusste und berufstätige Frau. Ich war bis 2003 bei der SPFH in Bochum beschäftigt. Durch die Seminarbesuche war ich öfters unterwegs und lernte immer wieder neue Menschen kennen. Nach einer eingelegten Pause wurde ich 2004 erneut schwanger. Diese Schwangerschaft führte erneut zu Konflikten zwischen meinem Mann und mir. Diese Schwangerschaft brachte unsere Ehe fast zum Endpunkt. Bei dieser zweiten Schwangerschaft war er auf jeden Fall für eine Abtreibung. Er gab mir eine bestimmte Frist vor. Ich sollte nach denken und mich entweder für das Kind oder für ihn entscheiden. Das war eines der schlimmsten Erfahrungen für mich. Ich habe viele Tage nachgedacht. Meine erste Entscheidung war für meinen Mann und gegen meinem Kind. Allerdings haben sich die Probleme mit ihm gehäuft, ich habe somit keinen Sinn mehr in meiner Ehe gefunden. Die Entscheidung stand für mich fest, ich wollte auf alle Fälle das Kind gebären. Mein Mann bemerkte meine feste Entschlossenheit und gab nach. Wir wollten erneut gemeinsam versuchen diese Ehe auf die richtige Bahn zu lenken. Auch unsere Familien waren für diese Ehe. Nach vielen Versuchen sind wir doch gescheitert. Ich hatte keine Kraft mehr für seine Wünsche. Somit haben wir uns ende 2005 getrennt und leben in Trennung. Meine Eltern haben meine Entscheidung 120 akzeptiert. Seit dem lebe ich mit meinen beiden Töchtern alleine und habe die Unterstützung von meiner Familie. Auch der Vater meiner Kinder hat täglich Kontakt zu den Kindern. Ich habe es nie für richtig gehalten einen so genannten „Krieg“ mit ihm zu führen. Zu Zeit versuche ich Familie und Beruf zu vereinbaren. 7.1.4 Biographie Assos Assos 26 Jahre alt, in Südkurdistan geboren. aufgewachsen in der Bundesrepublik Deutschland, hat einen Sohn. Mein Name ist der Name eines Berges in unserem Land Kurdistan, der sehr schön und gewaltig ist. Ich glaube mein Vater hat mir diesen Namen gegeben, er hat auch allen meinen Geschwister exotische Namen mit Bedeutung gegeben. Ich habe sechs Schwestern und zwei Brüder, sieben von uns sind in Kurdistan in der kleinen Stadt Halabja geboren, die anderen zwei in Sylemania. Ich bin die jüngste, 1977 geboren. Meine älteste Schwester ist jetzt 38 Jahre alt. Auch sie und ein Teil meiner anderen Geschwister leben seit vielen Jahren in Deutschland. Einerseits sind wir zufrieden, weil wir hier in Ruhe leben können, andererseits sind wir traurig, weil wir unsere Eltern und unsere Heimat verlassen haben. Jeden Tag hat man Heimweh und es wird immer größer. Bis zu meinen 10. Lebensjahr hatte ich eine sehr glückliche Kindheit. Mein Vater hatte ein Schuhgeschäft, alle von uns Mädchen haben in seinem Geschäft gearbeitet, wir haben Schuhe verkauft. Als mein Vater seine zwei Jungen bekam, hat er kein Fest gegeben, nur bei uns Mädchen. Er hat oft gesagt, ich wünschte die Jungen wären auch Mädchen, weil er von seinen Mädchen immer sehr geliebt wurde. Sie arbeiteten mit ihm in seinem Geschäft. Natürlich hat er auch seine Söhne gemocht, aber alle Verwandten erzählten immer, dass mein Vater nur bei der Geburt seiner Töchter lange gefeiert hat. Mein ältester Bruder hat in der Heimat Kunst studiert. Er hat später auch in Deutschland seine Kunst gezeigt und ging dann nach Holland und wollte dort seine Werke veröffentlichen. Allerdings hat das nicht so ganz geklappt. Vor sieben Jahren ist er nach England gezogen, wo er auch geheiratet hat. Sein Ehrgeiz hat ihn weit gebracht, denn er hat geschafft was er immer wollte. Er ist berühmt; hat viele Ausstellungen gemacht und Bücher veröffentlicht. Außerdem spielt er bei öffentlichen Konzerten Geige. Meine älteste Schwester hat Bankkauffrau im Irak gelernt, sie hat auch in einer Bank gearbeitet. In der BRD konnte sie es aber leider nicht weit bringen. Meine andere Schwester ist Schneiderin und drei meiner 121 Schwestern haben die Schule leider nicht zu Ende gemacht. Sie waren in dem Alter, wo man bei uns normalerweise heiratet. Meine zweitjüngste Schwester Ala studiert seit 1996 in Deutschland und möchte Journalistin werden. Sie macht im nächsten Jahr ihr Diplom schreiben. Die Älteste, Tanja, hat spät geheiratet, mit 25. Sie hat jemanden geliebt, war aber nicht so weit ihn zu heiraten. Beide hatten erst einmal eine Beziehung und haben erst später geheiratet. Eigentlich macht man ein großes Fest und lädt alle Leute ein, aber die beiden haben mit dem Geld jede Stadt im Irak bereist. So etwas war gesellschaftlich nicht erlaubt, die beiden hatten heimlich eine Beziehung. Allerdings wusste unser Vater davon , weil er und die Schwester eine sehr gute Beziehung hatten. Er hat ihr sehr vertraut. Sie ist die älteste, wir alle haben, obwohl wir inzwischen selbst verheiratet sind, noch immer großen Respekt vor ihr. Sie wusste was sie tat und hat es meinem Vater von Anfang an erzählt. Mein Vater war ein sehr offener Mann. In der Stadt wo wir lebten, durften wir uns sehr frei kleiden. Als ich ein Kind war, vielleicht acht Jahre alt, hat mir meine Mutter einen Rock und einen Top mit Spaghettiträgern angezogen. Ich wollte zu meinem Vater ins Geschäft laufen und ihm meine Sachen zeigen. Das ist eine sehr schöne Erinnerung. Obwohl die anderen Eltern ihren Kindern etwas gesagt hatten, denn wir wurden oft von anderen Kindern mit Steinen beworfen und beschimpft. Sie sagten, dass wir keine richtigen Moslems sind. Ich fragte meine Mutter immer wieder, aber sie sagte nur: "Höre nicht auf das, was die Leute sagen, wir haben unser Leben und die ihres." Meine Großeltern habe ich nicht kennen gelernt, weil sie früh gestorben sind. Nur meine Geschwister haben sie kennen gelernt. Ich habe gehört, dass sie zu meiner Mutter sehr streng waren, aber die Kinder meines Vaters haben sie über alles gelobt. Mein Vater hat nur einen Bruder, aber der hat nur für sich und seine eigene Familie gelebt. Mein Vater war anders, er hat für seine Familie und seine Eltern gelebt. Meine Mutter war nicht in der Schule, denn zu ihrer Zeit war das Leben im Irak anders als heute. Er ist zwar auch jetzt nicht so fortschrittlich wie Deutschland, aber die Bevölkerung dort gibt sich Mühe. Leider ist unsere Heimat eine Kleinstadt und dort ist es wie auf einem Dorf. Der Fortschritt geht dort langsam voran. Mein Vater war ein Patriot, er hat nicht nur die Freiheit für Kurdistan gewollt, sondern auch, dass seine Mädchen ihre Freiheit kriegen. Er hat immer gesagt: "Auch wenn meine Mädchen zu einer Horde Soldaten gehen, ich werde ihnen immer vertrauen. Er hat uns so erzogen und diese Erziehung trage ich immer noch in mir. Ich vermisse ihn sehr. Ich bin mit zehn Jahren nach Deutschland gekommen, meine Eltern sind nicht mitgekommen und ich habe bei meiner ältesten Schwester gelebt. Mein Vater wollte die Heimat nicht verlassen und meine Mutter wollte meinen Vater nicht verlassen. Aber sie waren sicher, dass ich bei meiner Schwester in guten Händen war. Er wollte, dass wir fliehen, weil wir wenig Chancen gehabt hätten. Am 16.03 1988 schien die Sonne, es war ein wunderschöner Tag. Unsere kleine Stadt war sehr ländlich, es gab wenige Häuser. Wir Kinder spielten draußen. Auf einmal hörte ich ein Geräusch, dass ich nie vergessen werde. Überall wo ich hinguckte, in der Stadt und am Himmel, überall war Staub. Dann ergriff mich mein Bruder und brachte 122 mich in einen Bunker unter unserem Haus, wo auch meine restliche Familie war. Ich sah an ihren Augen, wie traurig sie waren. Obwohl ich so jung war, verstand ich, dass etwas Schreckliches passierte. Mein Vater liebte uns sehr. Er wollte immer, dass wir über alles Bescheid wissen. Wir setzten uns zusammen und er erzählte, dass wir von Saddam bombardiert werden. Mein Vater war eine politisch aktive Persönlichkeit. Obwohl er keiner Partei angehörte, sympathisierte er mit den Kommunisten. Er konnte ahnen, dass es unsere einzige Möglichkeit war, in Richtung Iran zu fliehen, weil wir sonst nirgendwo durch kommen konnten. Er hat Saddams Unberechenbarkeit nicht unterschätzt, er ahnte, dass wir sonst noch einmal mit Giftgas bombardiert werden und vielleicht daran sterben würden. Wir haben unseren Vater sehr geehrt und respektiert. Er war wie ein Führer. Er hat mit der Politik aufgehört, als ich zur Welt kam. Ich kann mich erinnern, dass wir erst dachten, dass das nur ein normaler Bombenangriff ist. Aber wir konnten hören, dass sie immer weiter hin und her flogen. Mein Vater sagte, dass wir nicht bleiben können. Wir hatten alle große Angst. Ich, als kleines Kind, sagte immer: "Ich schaffe es nicht, ich schaffe es nicht!" Er schüttelte mich und sagte: "Ich weiß, was für eine Tochter ich habe, ich weiß du schaffst es !" Er sagte, wir alle sollen uns warm anziehen und ein feuchtes Tuch für die Nase legen, damit wir uns unterwegs vor dem Giftgas schützen können. Im Bunker konnte er von dem Giftgas nichts wissen, aber er hat uns vorbereitet, als ob er es geahnt hätte. Er war zum Teil gelähmt, er konnte natürlich laufen, aber nicht sehr gut. Mein Vater wollte, dass wir gehen und ihn zurück lassen, aber das wollten wir natürlich nicht. Wir trugen ihn und die Nachbarn halfen uns. Den Anblick, der sich bot als wir den Bunker verließen, werde ich niemals vergessen. Die Kinder, mit denen ich zuvor noch gespielt hatte, lagen auf der Straße. Sie waren tot. Ich konnte das nicht begreifen. In dem Moment riefen meine Eltern, wir sollten die Tücher vor unser Gesicht halten. Viele konnten sich nicht schützen, sie hatten keine Bunker und mussten erst zum Nachbarn laufen, andere haben nicht mal ihr Eigenes Haus erreicht. Es ging alles zu schnell und es passierte so viel. Als wir immer weiter Richtung Iran flüchteten, sah ich viele Mädchen um ihre Eltern und Mütter und um ihre Söhne weinen. Ich kann diesen Anblick nicht vergessen! Ich wünsche meinen schlimmsten Feinden nicht, das zu sehen. Wer so etwas selber miterlebt, weiß was Schmerz ist. Wir waren drei Tage in Richtung Iran unterwegs. Ich habe mich zu Hause bei meiner Familie nicht sicher gefühlt, auch im Bunker nicht. Für den Weg hatte mein Vater mir einen Wintermantel gegeben, damit ich mich nicht erkälte. Auf unserer Flucht waren nur Berge und Wiesen. Immer wenn die Flieger kamen, legte ich mich auf die Wiese und zog den Mantel meines Vaters über den Kopf und fühlte mich sicher. Wir erreichten den Iran und meine älteren Schwestern, die bereits in Deutschland lebten, schickten Geld dort hin. Mein Vater entschied, dass er mit meiner Mutter zurück gehen wollte. Er sagte, ihnen kann Saddam Hussein nichts anhaben. Sie waren alt , außerdem wollte mein Vater lieber selbst alles erleiden, als es seinen Kindern 123 zuzumuten. Es war bekannt, dass mein Vater politisch aktiv war, man hätte seine Familie verfolgt, vielleicht sogar hingerichtet. Mit jungen kurdischen Frauen wurde oft Menschenhandel getrieben, und so entschied mein Vater uns zu unserer Schwester nach Deutschland zu schicken. Im iranischen Flüchtlingslager haben wir uns anfänglich untereinander verloren. Ich weiß nicht, wie wir uns wieder gefunden haben, aber ich hatte große Angst. Dann wurden wir in Zelte untergebracht. Die hygienischen Bedingungen in dem Lager waren schrecklich. Es gab keine Dusche und wir haben auf dem Boden geschlafen. Ameisen und Insekten waren überall, aber wir wollten und konnten das aushalten, nichts war so schlimm wie Giftgas. Meine zweitjüngste Schwester, meine beiden Brüder und ich flohen zu Fuß in die Türkei. Dort versteckten wir uns für fünf Monate in einem Hotel, bis wir mit Schleppern weiter nach Rumänien fuhren, wo wir uns neun Monate aufhielten. Die Schlepper waren sehr teuer und obwohl wir Geld von meiner Schwester und meinem Vater bekommen hatten, war es sehr schwierig einen Transport nach Deutschland zu bekommen. schließlich ist es uns mit Hilfe unserer angereisten Schwester gelungen. In den ersten drei Jahren habe ich nur geweint. Zum einschlafen drückte ich die Bilder meiner Eltern solange an die Brust, bis meine Schwester sie mir immer weg nahm. Ich lebte in einer neuen Welt, ich hatte keine Worte und verstand nicht einmal die Kinder, mit denen ich auf der Straße spielte. Eine neue Schule - ohne Wissen, ohne Freunde . Ich war sehr auf mich gestellt und musste schnell selbstständig werden. Ich versuchte mein Bestes und lernte schnell die Sprache. So kam ich gleich in die siebte Klasse, dann war ich so gut, dass ich auch die achte überspringen konnte. Erst war ich auf der Haupt-, dann auf der Gesamt- und zuletzt auf der Realschule. Ich merkte, dass ich mehr wollte. Meine jüngste Schwester und ich wurden auf unsere beiden größten Schwestern aufgeteilt. Ich lebte bei Tanja. Auch wenn sie mich sehr liebte, merkte ich, dass kein Mensch wie die eigenen Eltern ist. Meine Schwester hat einen eigenen Sohn (18) und eine Tochter (14). Von meinem Vater war ich gewohnt, dass er alle gleich behandelt, nie habe ich Unterschiede gemerkt. Erst bei meiner Schwester lernte ich Unterschiede kennen. Sie sagte: "Jetzt bin ich erziehungsberechtigt und du musst mir gehorchen." Ich durfte zwar raus, musste aber um sechs wieder da sein, obwohl der Sohn von Tanja bis zehn Uhr weg blieb. Es tat weh, anders behandelt zu werden als ein eigenes Kind. Damals, als ich in der Pubertät war und mich immer schön machte, war ich oft böse und traurig. Ich wünschte mir, dass ich alles machen darf was ich will und was die Mädchen in der Schule machten. Danke Allah, dass meine Schwester mich so behütet hat! Früher war ich wütend, heute verstehe ich meine Schwester. Wir Kurden haben eben eine andere Mentalität und einen anderen Alltag. Tanja wollte mich vor schlechten Einflüssen schützen. Zu ihren Kindern war sie deshalb nicht so streng, weil sie bei mir, die nicht ihre eigene Tochter war, größere Angst hatte etwas falsch zu machen. Meine Schwester lebt schon seit 25 Jahren in Deutschland und sie ist 124 sehr modern, aber in vielen Dingen war sie streng. In einigen Dingen hatte sie Recht, aber in vielen anderen ist sie auf ihre Kultur so sehr fixiert, dass sie vergisst, das Leben zu genießen. Ich hätte bei dem Giftgasanschlag sterben können, jetzt werde ich mein Leben genießen. Aber in Bezug auf meine Ausbildung hat mich meine Schwester immer unterstützt. Ich machte eine Ausbildung zur Frisörin, die ich aber gegen den Willen meiner Familie abbrach. Ich fühlte mich gezwungen die Ausbildung zu machen und wollte nichts unter Zwang tun. Außerdem lernte ich meinen Mann kennen, ich wollte alles an Liebe nachholen, auf was ich die letzten Jahre verzichtet hatte. Mein Mann erfuhr als erster, dass ich die Ausbildung abgebrochen hatte, meine Schwestern erst drei Monate später. Ich habe meinen Mann mit 18 Jahren geheiratet. Meine Schwester und ich hatten einen guten Ruf, viele wollten mich heiraten. Aber ich habe abgelehnt und abgelehnt, bis ich meinen Traummann bei einem kurdischen Fest kennen lernte. Sonst ging ich nie auf solche Feste, aber diesmal habe ich wohl geahnt, dass es mein Schicksal ist. Wir waren zwei Monate zusammen bevor wir uns verlobten und einen Monat später haben wir dann auch schon geheiratet. Ich bereue es nicht. Erst haben alle wegen unserer unehelichen Beziehung geschimpft, doch ich habe es ihnen bewiesen und bin jetzt stolz darauf, mit einem Kurden verheiratet zusein. Er kommt aus einer guten Familie und nur weil ich ihn kenne, bereue ich es, dass ich mir zuvor gewünscht hatte keine Kurdin zu sein. Zu meiner Pubertätszeit hätte ich gerne meine erste große Liebe geheiratet. Er war Marokkaner und brachte mir in der Schule französisch bei. So eine Ehe wäre nie gegangen, die kurdische Gesellschaft, die hier weiter existiert, hätte das nicht toleriert und meine Familie hätte mich verstoßen müssen, um ihre Ehre zu bewahren. Sie ist wichtiger als jeder Mann. Mein Mann ist jetzt 30 Jahre alt. Im Gegensatz zu mir ist er im Irak aufgewachsen. Als wir uns kennen lernten, war er gerade erst drei Monate hier. Ich habe nicht aus Liebe zu meinen Geschwistern geheiratet, sondern weil ich wollte. Mein Ehemann behandelt mich wie einen guten Freund, ich kann mit ihm alles besprechen, was ich will. Wir streiten und diskutieren, aber wir vertragen uns wieder. Meine Schwiegereltern lieben mich, aber sie können nicht verstehen, dass eine Frau ihre Meinung sagt. Mein Mann verteidigt mich, "Sie ist jung und in Deutschland aufgewachsen". Mein Mann und ich lachen viel zusammen. Einmal wollte er mir verbieten, einen Rock anzuziehen. Ich habe den Rock aus Zorn zerrissen und gesagt, er soll mich so lassen, wie er mich kennen gelernt hat. Ich habe ihm klar gemacht, dass ich mich, wenn er mir etwas antun oder meine Freiheit einschränken würde, auch scheiden lassen würde. Es ist für mich zwar schade, aber auch wenn ich eine Scheidung schlimm finde, wäre ich dazu bereit. Obwohl mein Mann älter ist als ich und er auch derjenige ist, der arbeitet, bestehe ich darauf, dass nichts ohne meine Zustimmung geschieht. Mein größter Wunsch wäre es, meinen Vater noch einmal zu sehen. 125 Leider starb er zwei Jahre nach dem wir nach Deutschland geflohen waren. Meine Mutter lebt noch, ich besuche sie oft und liebe sie sehr. Sie ist nicht einsam, sagt sie, weil sie ein wunderschönes Haus hat, sich mit den Nachbarn gut versteht und außerdem eine meiner Schwestern mit ihren fünf Kindern in der Nähe lebt. Als wir geflohen sind, hatte Kajal schon Kinder und war sehr verwurzelt, deshalb ist sie damals nicht mit uns geflohen. Meine Mutter vermisst alle ihre Kinder, aber sie ist freiwillig in der Heimat geblieben. Mein Vater hat meine Mutter über alles geliebt und hat das auch weiter gegeben, Frauen waren bei ihm die Chefinnen. Meine Mutter war traditionell, aber intelligent, sie hat für die Familie gekämpft. Sie durfte nicht einmal die Schule besuchen, aber wir Töchter haben ihr lesen und schreiben beigebracht. Ich werde meinen Kindern Freiheit geben und ich werde mir Freiheit geben zu reden, mich zu kleiden, auszugehen - aber es gibt Grenzen. Zum Beispiel werde ich nie fremdgehen. Ich lebe beide Kulturen, ich probiere vieles aus, was andere Kurden nicht machen. Ich denke die verpassen etwas, ich will das nicht verpassen. Ich werde meinen Kindern alles anbieten, sie sollen mit jedem Problem zu mir kommen. Sie sollen den Weg gehen, den sie wollen. Ich will meinen Söhnen und Töchtern eine Freundin sein. Ich will sie zu nichts zwingen, ich werde sie lehren, was richtig und falsch ist, und dann sollen sie selbst entscheiden. Ich werde vertrauen. Meine Hoffnung für die Zukunft ist, dass unser Land frei wird, damit wir alle zurück gehen können und unser Leben dort genießen. Es ist unsere Heimat, man hat jeden Tag Heimweh. Aber wir wollen keine Diktatur, sondern ein gutes Regime Deutschland ist ein Stück Heimat für mich, trotzdem komme ich mir manchmal vor wie ein Mensch zweiter Klasse. Ich kann mich nicht zu 100 Prozent ausdrücken und nicht gut verteidigen. Ich lebe im Spagat zwischen den Kulturen, ich muss bei jeder Seite aufpassen, nichts falsch zu machen. Bei uns hat man immer gute Laune, in Deutschland ist das jedem selbst überlassen. Beide Seiten haben etwas Gutes. Ich fühle mich als Ausländerin, ich wurde zu Hause „gezwungen“ eine zu bleiben. Die eine Kultur versteht die andere nicht. Ich habe immer mehr mit deutschen Kindern gespielt, aber wenn ich nach Hause kam, musste ich wieder unsere Kultur spielen. Ich wünsche mir, dass die Deutschen unsere Kultur akzeptieren, aber auch, dass wir etwas aus der deutschen und europäischen Kultur übernehmen. Ohne Freiheit werden Menschen krank. Solange ich hier bin, möchte ich mich anpassen und dafür sorgen, dass man mich nicht für dumm hält. Sobald meine Kinder älter sind, werde ich eine neue Ausbildung anfangen. Ich werde etwas aus meinem Leben machen. 126 7.2 Fragebögen 7.2.1 Umfrage zum Thema Gleichberechtigung der Frauen Heirat und Fragebogen Thema Heirat und Gleichberechtigung der Frauen 1. Sind Sie weiblich 2. a) Sind Sie verheiratet ledig verwitwet geschieden feste Beziehung verlobt versprochen getrennt 2. b) Wie haben Sie Ihren Ehepartner kennen gelernt? selbst kennen gelernt durch die Familie durch Freunde 2. c) Kannten Sie Ihren Ehepartner vor der Eheschließung? nein 2. d) Wie fand die Eheschließung statt? freie Wahl auf Vermittlung 2. e) Sind Sie innerhalb Ihrer Verwandtschaft verheiratet? 127 nein 2. f) Sind Sie mit jmd. einer anderen Nationalität verheiratet? nein Wenn ja, haben Sie Kontakt zum Rest Ihrer Familie? nein 2. g) Sind Sie mit jmd. einer anderen Religion verheiratet? nein Wenn ja, haben Sie Kontakt zum Rest Ihrer Familie? nein 3. Wie viele Mitglieder hat Ihre Familie? ________________________________________________ 4. Welche Nationalität haben Sie? ________________________________________________ 5. Was ist Ihre Abstammung? ________________________________________________ 6. Wie alt sind Sie? ________________________________________________ 7. Wie alt ist Ihr Ehepartner? ________________________________________________ 8. Zu welcher Religionsgemeinschaft gehören Sie? ________________________________________________ 9. Was machen Sie beruflich? ________________________________________________ 10. Wie viele Kinder haben Sie? ________________ Jungen 11. Wie alt sind Ihre Kinder? Jungen:_____________________ 12. Wie viele Ihrer Kinder sind verheiratet? Jungen:_____________________ 13. Wohnen die verheirateten Kinder bei Ihnen? 128 nein 14. Sind Ihre Kinder innerhalb Ihrer Verwandtschaft verheiratet? nein 15. Ist eines Ihre Kinder mit jmd. einer anderen Nationalität verheiratet? ja nein Wenn ja, haben Sie Kontakt zu ihm? nein 16. Ist eines Ihrer Kinder mit jmd. einer anderen Religion verheiratet? ja nein Wenn ja, haben Sie Kontakt zu ihm? nein 17. Wie fand die Eheschließung statt bei den Mädchen? bei den Jungen? auf Vermittlung auf Vermittlung 18. Was halten Sie davon, dass ein Mann mehrere Frauen heiratet (Bigamie)? ________________________________________________ ________________________________________________ 19. Darf Ihre Tochter einen Freund haben? nein 20. Darf Ihre Tochter allein ausgehen? nein 21. Darf Ihre Tochter einen Freund aus einem anderen Kulturkreis haben? ja nein 129 22. Darf Ihr Sohn eine Freundin haben? nein 23. Darf Ihr Sohn eine Freundin aus einem anderen Kulturkreis haben? ja nein 24. Wer bestimmt über die Schwester in Abwesenheit des Vaters? sie selbst ihre Mutter älterer Bruder ältere Schwester 25. Wenn der Bruder jünger ist, darf er über die Schwester bestimmen? ja nein 26. Darf Ihre Tochter studieren bzw. eine Ausbildung machen? nein 27. Muss Ihre Tochter heiraten? nein 28. Halten Sie arrangierte Ehen für sinnvoll? nein Wenn ja, warum? ________________________________________________ ________________________________________________ ________________________________________________ 130 29. Darf Ihre Tochter eigene Entscheidungen treffen bezüglich Partnerwahl Ausbildung Freunde 30. Was bedeutet für Sie der Begriff „Ehre“? ________________________________________________ ________________________________________________ ________________________________________________ ________________________________________________ 31. Was bedeutet für Sie die Ehre Ihrer Tochter? ________________________________________________ ________________________________________________ ________________________________________________ ________________________________________________ 32. Sind die Töchter für die Ehre der Familie verantwortlich? nein 33. Wie beurteilen Sie Zwangsheirat? ________________________________________________ ________________________________________________ ________________________________________________ ________________________________________________ 34. Was ist Ihnen für Ihre Töchter wichtig? ________________________________________________ ________________________________________________ ________________________________________________ ________________________________________________ 35. Was verstehen Sie unter einer glücklichen Ehe? ________________________________________________ 131 ________________________________________________ ________________________________________________ ________________________________________________ 36. Ist eine Ehescheidung für Sie denkbar? nein Wenn ja, aus folgendem Grund: Gewalt in der Ehe Wunsch nach anderem Partner Krankheit Untreue Andere Gründe: ________________________________________________ ________________________________________________ ________________________________________________ ________________________________________________ 7.2.2 Umfrage zum Thema Heirat, Gleichberechtigung und Emanzipation Fragebogen Thema Heirat, Gleichberechtigung und Emanzipation 1. Sind Sie weiblich männlich 2. a) Sind Sie verheiratet verwitwet 132 ledig geschieden in einer Beziehung verlobt versprochen getrennt 2. b) Wie fand die Eheschließung statt? freie Wahl auf Vermittlung unter Zwang 2. c) Sind Sie innerhalb der Verwandtschaft verheiratet? nein 2. d) Sind Sie mit jmd. einer anderen Nationalität verheiratet? nein Wenn ja, haben Sie Kontakt zu Ihren Eltern behalten? nein 2. e) Sind Sie mit jmd. einer anderen Religion verheiratet? nein Wenn ja, haben Sie Kontakt zu Ihren Eltern behalten? nein 3. Wie viele Geschwister haben Sie? ________________________________________________ 4. Wie viele Mitglieder hat Ihre Familie? ________________________________________________ 5. Welche Nationalität haben Sie? ________________________________________________ 6. Was ist Ihre Abstammung? ________________________________________________ 7. Wie alt sind Sie? 133 ________________________________________________ 8. Wie alt ist Ihr Mann/Verlobter/Partner? ________________________________________________ 9. Was machen Sie zur Zeit beruflich? Schule Ausbildung Studium Arbeit Sonstiges: ________________________________________________ 10. Würden Sie unverheiratet eine Partnerschaft eingehen? nein 11. Würden Sie Ihre Eltern von dieser Partnerschaft informieren? nein 12. Wenn Sie nicht verheiratet sind, möchten Sie überhaupt heiraten? nein müssen Sie von ihren Eltern aus heiraten? nein müssen Sie innerhalb der Verwandtschaft heiraten? nein würden Sie jmd. mit einer anderen Nationalität heiraten? nein würden Sie jmd. mit einer anderen Religion heiraten? nein 13. Wenn Sie verlobt sind, wie fand die Verlobung statt? freie Wahl auf Vermittlung unter Zwang 134 14. Wenn Sie verlobt sind, sind Sie innerhalb der Verwandtschaft verlobt? nein sind Sie mit jmd. aus einem anderen Kulturkreis verlobt? nein sind Sie mit jmd. mit einer anderen Religion verlobt? nein 15. Wie wichtig ist für Sie das Familienleben? sehr wichtig wichtig nicht so wichtig unwichtig 16. Dürfen Sie alleine ausgehen? nein 17. Dürfen Sie von ihren Eltern aus für die Ausbildung oder das Studium in eine andere Stadt ziehen? nein 18. Dürfen Sie eigene Entscheidungen treffen in Bezug auf die Partnerwahl? ja nein 19. Wenn ja, werden alle Entscheidungen von Ihrer Familie akzeptiert? ja nein 20. Können Sie in Ihrer Familie alles offen diskutieren? 135 nein 21. Was verstehen Sie unter dem Begriff Ehre / Ehre der Familie? ________________________________________________ ________________________________________________ ________________________________________________ ________________________________________________ 22. Sind Sie für die Ehre der Familie verantwortlich? nein 23. Was verstehen Sie unter Zwangsheirat? ________________________________________________ ________________________________________________ ________________________________________________ ________________________________________________ 24. Sind Sie von einer Zwangsheirat betroffen? nein 25. Halten Sie arrangierte Ehen für sinnvoll? nein 26. Was verstehen Sie unter einer glücklichen Ehe? ________________________________________________ ________________________________________________ ________________________________________________ ________________________________________________ 136 7.3 Auswertung der Fragebögen 7.3.1 Auswertung des Fragebogens zum Thema Heirat und Gleichberechtigung der Frauen 7.3.1.1 Graphische Auswertung Erklärung: Rosa = Deutsche Blau = Kurden Einige der Fragen sind für Männern und Frauen getrennt ausgewertet worden. Die Geschlechtsangabe männlich/weiblich befindet sich jeweils am unteren Rand des Bildes. 137 138 139 140 141 142 143 144 145 7.3.1.2 Offene Fragen Die Meinung der „kurdischen Männer“ zum Thema: Bigamie: Wird generell abgelehnt Wird nur in Einzelfällen befürwortet (z.B. wenn die Frau unfähig ist, Kinder zu gebären) Ehre: → Ehrlichkeit, das Einhalten wichtiger Normen einer Gesellschaft Das wichtigste und wertvollste im Leben Die Familie nicht durch schlechtes Verhalten/ schlechte Taten beschmutzen Ehre der Tochter wird gleichgesetzt mit der Jungfräulichkeit → → Zwangsehe: Bildung: Glückliche Ehe: Wird abgelehnt, ist sehr schlimm und wird immer zu Unrecht erklärt Bildung der Töchter ist gewollt und soll gefordert werden Einigkeit, Respekt, Gleichberechtigung, Vertrauen und ewige Liebe Die allgemeine Meinung der „deutschen Männer“ zum Thema: 146 Bigamie: Ehre: → Zwangsehe: Wird abgelehnt und findet keine Zustimmung Hat viel mit einem Selbst zu tun und wenig mit der Gesellschaft die Töchter sind Eigenständig, Respekt. Wird abgelehnt und verabscheut Glückliche Ehe: Freiheit, Bildung, Persönlichkeit, Respekt, Vertrauen und Liebe Die Meinung der „kurdischen Frauen“ zum Thema Bigamie:→ Wird abgelehnt Ehre: → Sauberkeit, Stolz, Moral, Normen und Werte der Gesellschaft Zwangsehe: → Ist schwachsinnig, wird abgelehnt Glückliche Ehe: → Verständnis, Liebe, Zusammenhalt, Gleichberechtigung und Respekt Die Meinung der „deutschen Frauen“ zum Thema: Bigamie: → Sind sehr dagegen und lehnen es ab Ehre: → Ehrlichkeit, Toleranz, Verantwortung, Recht, Gewinn steht nicht über den Menschen Zwangsehe: → Findet keine Zustimmung, wird abgelehnt Glückliche Ehe: → Liebe, gleiche Ziele, Toleranz, Gleichberechtigung, Harmonie 7.3.2 Auswertung des Fragebogens zum Thema Heirat, Gleichberechtigung und Emanzipation Auswertung des Fragebogens zum Thema Heirat, Gleichberechtigung und Emanzipation 147 1) Fragebogen Nr. Antworten ohne Antwort 40 0 2) Sind Sie weiblich männlich 20 20 Summe ohne Antwort 40 0 (50,00%) (50,00%) 3) Sind Sie verheiratet verwitwet ledig geschieden in einer Beziehung verlobt versprochen getrennt 1 0 29 0 7 1 1 0 Summe ohne Antwort 39 1 4) Wie fand die Eheschließung statt? freie Wahl auf Vermittlung unter Zwang 0 (0,00%) 0 (0,00%) 1 (100,00%) Summe ohne Antwort 1 39 5) Sind Sie innerhalb der Verwandschaft verheiratet? ja 1 (100,00%) nein 0 (0,00%) Summe ohne Antwort 1 39 6) Sind Sie mit jmd. einer anderen Nationalität verheiratet? ja 0 (0,00%) nein 1 (100,00%) Summe ohne Antwort 1 39 7) Wenn ja, haben Sie Kontakt zu Ihren Eltern behalten? ja 0 (0,00%) nein 0 (0,00%) Summe ohne Antwort 0 40 8) Sind Sie mit jmd. einer anderen Religion verheiratet? 148 ja nein 0 (0,00%) 1 (100,00%) Summe ohne Antwort 1 39 9) Wenn ja, haben Sie Kontakt zu Ihren Eltern behalten? ja 0 (0,00%) nein 0 (0,00%) Summe ohne Antwort 10) Wie viele Geschwister haben Sie? Antworten ohne Antwort Minimum Maximum Mittelwert 0 40 38 2 0 16 3,222 Anzahl der Geschwister Deutsche Kurden 0 – 3 Geschwister 4 – 16 Geschwister 11) Seit wann leben Sie in Deutschland Antworten ohne Antwort Minimum Maximum Mittelwert 20 20 4 18 10,159 12) Was ist Ihre Abstammung? Deutsch Kurdisch Nationali Abstammu tät ng Deutsch (4) Irak (3) Iran (3) Türkei (5) Syrien (5) Kurdisch 20 20 149 14) Wie alt sind Sie? Antworten ohne Antwort Minimum Maximum Mittelwert 40 0 16 22 18,617 15) Wie alt ist Ihr Verlobter/Partner? Antworten ohne Antwort Minimum Maximum Mittelwert 16) Was machen Sie zur Zeit beruflich? Schule Ausbildung Summe ohne Antwort 3 37 16 25 22,154 40 0 (100,00%) (0,00%) 40 0 17) Würden Sie unverheiratet eine Partnerschaft eingehen? ja 27 nein 13 Summe ohne Antwort 40 0 Kurden (weiblich) Kurden (männlich) Deutsch (weiblich) Deutsch (männlich) 2 (ja) 8 (nein) 8 (ja) 2 (nein) 9 (ja) 1 (nein) 8 (ja) 2 (nein) 18) Würden Sie Ihre Eltern von dieser Partnerschaft informieren? ja 22 nein 5 Summe ohne Antwort 27 13 Kurden (weiblich) Kurden (männlich) Deutsch (weiblich) Deutsch (männlich) 2 (ja) 0 (nein) 7 (ja) 1 (nein) 7 (ja) 2 (nein) 6 (ja) 2 (nein) 19) Wenn Sie nicht verheiratet sind, möchten Sie überhaupt heiraten? 150 ja nein 37 2 Summe ohne Antwort 39 1 20) Wenn Sie nicht verheiratet sind, müssen Sie von ihren Eltern aus heiraten? ja 5 nein 32 Summe ohne Antwort 37 3 21) Wenn Sie nicht verheiratet sind, müssen Sie innerhalb der Verwandtschaft heiraten? ja 2 nein 36 Summe ohne Antwort 38 2 22) Wenn Sie nicht verheiratet sind, würden Sie jmd. mit einer anderen Nationalität heiraten? ja 25 nein 14 Summe ohne Antwort 39 1 Kurdisch (weiblich) Kurdisch (männlich) Deutsch (weiblich) Deutsch (männlich) 1 (ja) 4 (ja) 10 (ja) 10 (ja) 9 (nein) 5 (nein) 0 (nein) 0 (nein) 23) Wenn Sie nicht verheiratet sind, würden Sie jmd. mit einer anderen Religion heiraten? ja 21 nein 18 Summe ohne Antwort 39 1 Kurdisch (weiblich) Kurdisch (männlich) Deutsch (weiblich) Deutsch (männlich) 0 3 (ja) 9 (ja) 7 (ja) 7 (nein) 1 (nein) 3 (nein) (ja) 9 (nein) 24) Wenn Sie verlobt sind, sind Sie innerhalb der 151 Verwandtschaft verlobt? ja nein Summe ohne Antwort 1 0 1 39 25) Wenn Sie verlobt sind, sind Sie mit jmd. aus einem anderen Kulturkreis verlobt? Ja 0 nein 0 Summe ohne Antwort 0 40 26) Wenn Sie verlobt sind, sind Sie mit jmd. mit einer anderen Religion verlobt? Ja 0 nein 0 Summe ohne Antwort 27) Wie wichtig ist für Sie das Familienleben? sehr wichtig wichtig nicht so wichtig unwichtig Summe ohne Antwort 28) Dürfen Sie alleine ausgehen? ja nein Summe ohne Antwort 0 40 34 3 1 0 38 2 36 3 39 1 29) Dürfen Sie von Ihren Eltern aus für die Ausbildung oder das Studium in eine andere Stadt ziehen? ja 27 nein 10 Summe ohne Antwort 37 3 152 Kurdisch (weiblich) Kurdisch (männlich) Deutsch (weiblich) Deutsch (männlich) 2 (ja) 7 (ja) 8 (ja) 10 (ja) 8 (nein) 0 (nein) 2 (nein) 0 (nein) 30) Dürfen Sie eigene Entscheidungen treffen in Bezug auf die Partnerwahl? ja 34 nein 5 Summe 39 ohne Antwort 1 ( bei nein: 3 kurdische Mädchen/2 kurdische Jungen ) 31) Wenn ja, werden alle Entscheidungen von Ihrer Familie akzeptiert? ja 24 nein 14 Summe ohne Antwort 38 2 Kurdisch (weiblich) Kurdisch (männlich) Deutsch (weiblich) Deutsch (männlich) 2 (ja) 7 (ja) 7 (ja 8 (ja) 8 (nein) 3 (nein) 1 (nein) 2 (nein) 32) Können Sie in Ihrer Familie alles offen diskutieren? ja 28 (68,09%) nein 12 (31,91%) Summe 40 ohne Antwort 0 Kurdisch (weiblich) Kurdisch (männlich) Deutsch (weiblich) 5 (ja) 6 (ja) 8 5 (nein) 4 (nein) 2 (nein) (ja) Deutsch (männlich) 9 (ja) 1 (nein) 153 33) Was verstehen Sie unter dem Begriff Ehre / Ehre der Familie? kurdisch Dass das Umfeld und die Gesellschaft nicht schlecht über einen redet Ehrlichkeit,Vertrauen ,Zusammenhalt den gegebenen Traditionen gerecht werden zu können keine Schande über die Familie bringen/Verantwortlic hkeit nichts tun was die Familie nicht möchte Respekt Akzeptanz deutsch Aufrechterhaltung der Familie Respekt vor den Eltern und der Verwandtschaft Keine Schande über die Familie bringen ,Vorbild darstellen nichts Familie aufrecht erhalten Respekt den Eltern und der Verwandtschaft gegenüber 34) Sind Sie für die Ehre der Familie verantwortlich? ja 20 nein 20 Summe ohne Antwort 38 2 Kurden (weiblich) Kurden (männlich) Deutsch (weiblich) Deutsch (männlich) 9 (ja) 10 (ja) 9 (nein) 10 (nein) 154 35) Was verstehen Sie unter Zwangsheirat? kurdisch Wenn ich von Jemanden gezwungen werde irgend jemand bestimmtes zu heiraten Jemanden heiraten zu müssen, den man nicht heiraten möchte Mit Jemanden das Leben verbringen, den man nicht möchte. Heirat unter Zwang Das dümmste überhaupt. Heiraten ohne es zu wollen. Eigene Entscheidung zählt nicht. Eine alte in der Tradition verankerte und nicht mit dem Islam übereinstimmende,sogar verbotene Institution, die durch Medien und Gesellschaft auf gepuscht wird. Wenn meine Familie bestimmt,mit wen ich zu heiraten habe. Nicht das Recht haben, sich für jemanden zu entscheiden. Ist für mich so zu verstehen,dass ich einen Mann ohne ihn zu kennen, heiraten muss. Unter Druck Heiraten. Man wird gezwungen ein Mädchen zu heiraten, die man nicht heiraten möchte. Die Heirat mit einer Frau, die man nicht möchte und nicht liebt. Einen Menschen lebendig begraben. deutsch Die Eltern bestimmen eine Heirat Die Kinder werden von ihren Eltern gezwungen Fremde zu heiraten. Ist eine Sache mit der ich mich niemals beschäftigen muss und ich alle Menschen verachte die andere zur Ehe zwingen. Das mich jemand zwingt zu heiraten. Eine Heirat die aufgezwungen wird Wenn man gezwungen wird jemanden zu heiraten. Dass jemand verschenkt wird Frau verprügeln Wenn man jemanden heiraten muss, den man nicht liebt, es aber von den Eltern so gefordert wird Zwang zu Heiraten Eine Heirat, die beide nicht wollen aber dazu gezwungen werden Wie lebendig begraben zu werden. 155 36) Sind Sie von einer Zwangsheirat betroffen? ja nein Summe ohne Antwort 37) Halten Sie arrangierte Ehen für sinnvoll? ja nein Summe ohne Antwort 3 36 39 1 15 24 39 1 Kurden (weiblich) Kurden (männlich) Deutsch (weiblich) Deutsch (männlich) 6 (ja) 4 (nein) 6 (ja) 4 (nein) 1 (ja) 8 (nein) 2 (ja) 8 (nein) 156 38) Was verstehen Sie unter einer glücklichen Ehe? kurdisch Demokratie, aber auch Mitverantwortung für den jeweiligen Partner, Verständnis, gegenseitiges Vertrauen, sich gegenseitig unterstützen, lieben, Entscheidungen akzeptieren, den Partner so nehmen wie er ist wenig Streit, Gutes Miteinander Zusammenhalt Wenig Streit, Gutes Miteinander Zusammenhalt. Sich lieben,diskutieren können. Harmonie.. gemeinsames ziel. Gute Familie,gute Arbeit,verständnisvol ler Mann. Mit dem Mann und Kinder Glück erleben Liebe, vertrauen und Mitverantwortung für den jeweiligen Partner. Liebe,Freude, Zusammenhalt. Gerechte Aufgabenverteilung, keine starren Rollen der Partner, Zufriedenheit,Glück,A kzeptanz und Verständnis. deutsch Wenig Streit, Gutes Miteinander. Zusammenhalt. Freiraum,Spaß,Problem e. Dass man sich seinen Partner selber aussucht. Dass sich beide Eheleute verstehen und glücklich sind. Ohne zwang jemanden aussuchen/ keine Gewalt. Wenn man sich liebt und mit liebe heiratet und dem Partner zuhören kann/vertrauen. Liebe, Vertrauen, Ehrlichkeit, guter Sex und Spaß. Dass das Zusammenleben gut funktioniert. Zusammen etwas unternehmen. Frei entscheiden zu können . Freiheiten.