Sparen ist ungesund

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Sparen ist ungesund
MEINUNG
Tages-Anzeiger · Dienstag, 24. Februar 2009
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JADE GOODY, STAR DES BRITISCHEN REALITY-FERNSEHENS, WILL IN ALLER ÖFFENTLICHKEIT STERBEN
Diese Braut trug Schwarz
Von Peter Nonnenmacher, London
hr Sterben wenigstens soll nicht im Fernsehen gesendet werden. Das hat der von
ihr engagierte PR-Experte Max Clifford
der Welt versichert. Sie selbst hatte zuvor
offen gelassen, wie weit sie gehen wolle bei ihrem Wunsch, «in aller Öffentlichkeit zu sterben».
Sie habe immerhin ihr ganzes Leben zur Schau
gestellt: «Ich habe vor den Kameras gelebt.
Vielleicht werde ich jetzt vor den Kameras
sterben.»
So lang wie möglich will Jade Goody im
Rampenlicht stehen. Lang wird es nicht
mehr sein. Die Ärzte haben der 27-jährigen britischen Reality-TV-Darstellerin eröffnet, dass sie nur noch wenige Wochen zu
leben hat. Der Krebs, der im August vorigen
Jahres in ihrer Gebärmutter entdeckt
wurde, hat sich fatal schnell ausgebreitet. Also hat sich Jade Goody in diesem Monat zu einer Reihe letzter
spektakulärer Auftritte ent-
I
schlossen – zu Hochzeit, Kindstaufe und grossem
Fernsehinterview in einem Aufwasch.
Jemanden wie Goody hat das britische Fernsehpublikum (noch) nicht gesehen. Wahrscheinlich, vermuten viele Briten, werde man jemanden wie sie so bald auch nicht mehr zu sehen bekommen. Im Jahr 2002 machte sich die
Arzthelferin ohne Schulabschluss in «Big
Brother» von Channel 4 einen Namen als Underdog, der die Nation unterhielt. Sie sorgte für
Skandale aller Art, hielt Cambridge für einen Stadtteil Londons und Portugal
für eine Region in Spanien, sparte
nicht mit derben Ausdrücken und
faszinierte mit ihrer Verstörtheit und
ihrer gleichzeitigen Direktheit ihre
Landsleute endlos.
Ihre über Nacht gewonnene Popularität verhalf ihr zu einem TopPlatz im öffentlichen Leben der Insel
– und zu einem schnellen Vermögen.
Sie warf zwei Autobiografien auf den
Markt, schrieb Klatschkolumnen,
veröffentlichte Kochbücher und
eine DVD. Ihr Parfüm «Shh . . . Jade Goody»
wurde zum Bestseller. Zwischen zwei und acht
Millionen Pfund soll sie seit 2002 eingenommen haben. Die Tochter eines drogenabhängigen Ganoven, der seinen Revolver unterm Babybett zu verstecken pflegte, konnte sich ein millionenteures Anwesen in der Grafschaft Essex
leisten und einen Bentley, der allein 130 000
Pfund kostete.
In eine Krise schlitterte Goody, als sie sich
2007 – diesmal schon als Celebrity – erneut ins
«Big Brother»-Haus einschliessen liess und die
indische Schauspielerin Shilpa Shetty durch
rassistische Bemerkungen provozierte. Nach
dem Fiasko, das von London bis Delhi Schlagzeilen machte, leistete sie Abbitte und suchte
ihre Karriere wieder aufzubauen. Die Krebsdiagnose änderte alles, von einem Tag auf den
andern: aber nicht den festen Willen, auch an
dieser Entwicklung die Öffentlichkeit teilhaben
zu lassen. Das, sagte Jade Goody, sei sie ihren
beiden Buben schuldig. Für die müsse sie nochmals viel Geld verdienen. Ihre eilig organisierte Hochzeit mit dem just aus dem Knast ent-
lassenen Liebhaber Jack Tweedy am vergangenen Wochenende, in einem Luxushotel auf dem
Lande, sollte ihr «einen lebenslangen Traum
erfüllen» und gleichzeitig die Gebühren für eine
Privatschule für Bobby und Freddie einspielen.
Von Justizminister Jack Straw erhielt der unter
nächtlichem Hausarrest stehende Bräutigam
Sondererlaubnis für eine Hochzeitsnacht ausser
Haus – und die Braut vom Magazin «OK!» und
dem Satellitensender Living TV fast eine Million
Pfund für die Exklusivrechte an den Feierlichkeiten. Mehr hatten die Beckhams vor zehn Jahren auch nicht eingestrichen.
Die Totalvermarktung ihres Lebens und Sterbens hat Jade Goody neben Verständnis auch
Kritik der Medien eingetragen. Wenn Sterben
zur Fernsehunterhaltung werde, sei eine Zivilisation schon tief gesunken, klagen manche
Kommentatoren. Dank wird Goody dafür aus
der medizinischen Ecke zuteil. Seit sie ihre
Krankheit an die grosse Glocke gehängt hat, ist
die Zahl der Britinnen, die sich zu Tests auf Gebärmutterkrebs anmelden, um ein Fünftel gestiegen.
DROHT MIT DER VERSTAATLICHUNG VON BANKEN EINE GEFÄHRLICHE ÜBERSCHULDUNG DES STAATES?
Sparen ist ungesund
ist alles andere als rosig. Trotzdem ist
nicht die absolute Schuldenhöhe entscheidend, auch die Grösse des Landes
und der Modus, in dem sich die Wirtschaft befindet, spielt eine Rolle.
Von Philipp Löpfe
ie mögliche Verstaatlichung des Bankensystems
hat starke Emotionen ausgelöst. Viele befürchten
eine gefährliche Überschuldung des
Staates, die zwangsläufig in einer Inflation ende. Die Angst ist verständlich,
doch sie beruht auf einem Missverständnis, Der Staat muss sich in der aktuellen Situation verschulden, um
noch mehr Schulden zu verhindern.
Das ist kein Widerspruch, wie es zunächst scheint. Ein Familienvater beginnt zu sparen, wenn seine Ausgaben
die Einnahmen übersteigen. Er verzichtet auf Luxus und geht nicht mehr
in die Ferien. Dieses Verhalten ist
nicht nur moralisch lobenswert, sondern auch ökonomisch sinnvoll. Das
Einkommen eines Arbeitnehmers ist
nicht von seinen Ausgaben abhängig.
Wer spart, saniert seinen Haushalt.
D
Katastrophe verhindern
Eigene Logik der Staatsfinanzen
Bei den Staatsfinanzen herrscht eine
ganz andere Logik. Anders als der Familienvater hat der Staat kein fixes Einkommen, sondern finanziert sich primär über Steuern. Steuereinnahmen
sind abhängig vom Zustand der Volkswirtschaft. Und deren Zustand kann
der Staat entscheidend beeinflussen,
denn er ist der wichtigste Akteur im
Markt. In der Schweiz beträgt der Anteil des Staates am Bruttoinlandprodukt, die sogenannte Staatsquote, gegen 40 Prozent. Wenn der Staat im falschen Moment spart, dann kann er eine
gefährliche Deflationsspirale in Gang
setzen: Menschen verlieren ihren Arbeitsplatz oder müssen mit Lohneinbussen hinnehmen. Das vermindert die
Einnahmen des Staates (weniger Steu-
KARIKATUR JOHN COLE/CAGLECARTOONS.COM
«Das ist jetzt wohl, was sie mit ‹tief gefallen› meinen.»
ern) und erhöht seine Ausgaben (Arbeitslosengeld, Sozialhilfe etc.).
Wer glaubt, das sei bloss ein akademisches Gedankenspiel, der irrt. Genau dies hat sich in den 90er-Jahren in
Japan abgespielt. Das Land befand sich
damals in einer sogenannten Bilanzrezession. Das heisst: Banken und Unternehmen waren so überschuldet,
dass sie nicht mehr investieren konnten. Deshalb musste der Staat eingreifen und die Nachfragelücke schliessen.
Jedes Mal, wenn der Staat zu sparen
versuchte, geschah etwas scheinbar
Paradoxes: Seine Schulden nahmen zu.
Wer nun glaubt, Japan sei ein Sonderfall, irrt ein zweites Mal. Als Schröders rot-grüne Regierung in Deutschland zwischen 2000 und 2005 einen
harten Sparkurs einschlug, verbesserte
sich die Lage der Staatsfinanzen keineswegs. Im Gegenteil, die Defizite
nahmen stetig zu und überschritten
schliesslich die für den Euro-Raum
festgelegte Obergrenze der jährlichen
Neuverschuldung von drei Prozent.
Kann sich der Staat demnach hemmungslos verschulden? Kann er nicht
auch pleite gehen, wie der «Spiegel»
kürzlich in einer Titelgeschichte besorgt fragte. Er kann. Island beispielsweise ist de facto bankrott und auf die
Unterstützung des Internationalen
Währungsfonds angewiesen. Auch die
Lage von Irland, Spanien, Italien, Griechenland, Portugal und den Oststaaten
Auch heute befindet sich die Weltwirtschaft in einer Bilanzrezession.
Zahlreiche Unternehmen und Private
sind faktisch bankrott und können
nicht investieren, obwohl die Notenbanken das Geld nach Zinssenkungen
gratis zur Verfügung stellen. Diese Art
von Rezession ist viel bösartiger als
eine normale zyklische Rezession.
Wenn rund um den Globus eine Deflationsspirale in Gang kommt – und genau das droht gegenwärtig –, dann sind
die Folgen katastrophal. In der Grossen Depression der 30er-Jahre beispielsweise ist das amerikanische
Bruttoinlandprodukt (BIP) um fast die
Hälfte geschrumpft, die Arbeitslosenzahl auf gegen 30 Prozent angeschwollen. Wer kann eine solche wirtschaftliche Entwicklung und die nicht abschätzbaren politischen Konsequenzen verantworten?
Der Staat muss sich verschulden,
um die ganz grosse Katastrophe zu
verhindern. Nach dem Zweiten Weltkrieg haben die amerikanischen
Staatsschulden weit mehr als 100 Prozent des BIP betragen, in Grossbritannien erreichten sie sogar rund 250 Prozent des BIP. Im Boom der Nachkriegszeiten konnten diese Schulden
relativ rasch und schmerzfrei abgebaut werden, weil die Wirtschaft sich
wieder im Normalzustand befand.
Schulden sind unschön, kein Zweifel. Aber wer in einer Bilanzrezession
spart, schadet der Heimat.
Die neue Rolle des Staates, Seite 25
MODERNES ARBEITEN
Sind die Kinder krank, sollen Eltern zu Hause bleiben
Von Romeo Regennass
in krankes Kind braucht
Ruhe, es braucht Pflege, und
es braucht die Mutter oder
den Vater – im Idealfall. Das
sieht auch der Gesetzgeber so. Deshalb
dürfen Eltern gemäss Arbeitsrecht bis
zu drei Tagen der Arbeit fernbleiben,
wenn die kleine Melanie oder der
kleine Luca krank im Bett liegen und
ein Arztzeugnis vorliegt (TA vom
Montag). Besonders wichtig ist dieses
Recht für Alleinerziehende und für
Eltern, die beide einer Arbeit ausser
Haus nachgehen.
So weit die Theorie. Die Praxis sieht
E
anders aus. Der Druck an den meisten
Arbeitsplätzen ist mittlerweile so
hoch, dass sich viele nicht getrauen,
auch nur einen Tag der Arbeit fernzubleiben, wenn der Nachwuchs krank
ist. Geschweige denn zwei oder gar
drei Tage. Eher gibt man den Kleinen
ein Zäpfchen, als dass man der Chefin
mitteilt, sie müsse allein auf Kundenbesuch. Ausbaden müssen das dann
die Kinderkrippen und Schulen: Sie haben Kinder zu betreuen und zu unterrichten, die ins Bett gehörten.
Damit das auch gesagt ist: Viele
Chefs und Kollegen sind durchaus verständnisvoll. Aber allzu oft herrscht
die Meinung vor, man könne nur bei
der eigenen Grippe mit einem guten
Gewissen zu Hause bleiben. Ist das
Kind krank, fürchten deshalb viele die
schiefen Blicke der Kolleginnen und
Kollegen fast ebenso sehr wie die Reaktion der Vorgesetzten. Unerledigte
Aufgaben bleiben ja dann oft auch an
ihnen hängen.
Kein Grund zu reklamieren
Doch erstens haben weder der Arbeitgeber, der Chef noch die Kollegen
Grund zu reklamieren, wenn eine Absenz rechtens ist. Zweitens erbringen
Eltern, die ihr Kind krank in der Krippe
oder Schule wissen, kaum eine gute
Leistung. Und drittens hat ein grippiges Kind das Recht auf Betreuung
durch eine ihm nahestehende Person.
Das kann auch die Oma oder der Opa
sein, aber nicht immer sind die frei.
Wie oft stellt sich auch hier die
Frage des Masses: Bleibt jemand im
Winter jede zweite oder dritte Woche
zu Hause, ist der Unmut von Chefs und
Kollegen verständlich. Und da ist dann
vielleicht auch mal ein Gespräch unter
vier Augen angesagt.
Aber grundsätzlich hat der Arbeitgeber bei der Personalplanung zu
berücksichtigen, dass Mitarbeitende
(oder eben ihre Kinder) auch mal
krank sind. Es darf nicht sein, dass die
Personaldecke so dünn ist, dass keine
ungeplanten Absenzen mehr drinliegen. Der Arbeitgeber muss mit seinem
Stellenplan dafür sorgen, dass Arbeitnehmer, wenn nötig, ohne schlechtes
Gewissen zu Hause bleiben können
und die Kollegen keinen Grund haben,
jemanden schief anzublicken.
Doch auch die Eltern sind in der
Pflicht. Allzu oft bleibt die Pflege kranker Kinder heute an der Mutter hängen. Zumindest dort, wo beide Eltern
sich um die Kinder kümmern, sind
zwei Personen da, um im Notfall einzuspringen. Anders als bei Alleinerziehenden, die es auch in diesem Fall
schwerer haben, trifft die Absenz so
nicht immer den gleichen Arbeitgeber.
Und wetten, dass das Kind sich beim
Vater nicht weniger schnell erholt als
bei der Mutter?