CLASSaktuell

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CLASSaktuell
2010/2
C LASS
AKTUELL
CLASS a k t u e l l
Association of Classical Independents in Germany
CHRISTIAN THIELEMANN
ZUKÜNFTIGER CHEFDIRIGENT DER
STAATSKAPELLE DRESDEN
J.S. Bachs
Leipziger Choräle
Silbermann-Orgel,
Freiberg
Benjamin Godard
vorgestellt
vom Trio Parnassus
Frank Martin
Steven Sloane,
Stavanger Symphony
Orchestra
“The Romantic
Piano Concerto”
Hyperion präsentiert
Volume 50
FRÉDÉRIC CHOPIN
PORTRAIT EINES GENIES
GUDRUN SCHAUMANN
12:47 Uhr
Seite 1
Herzlichen Glückwunsch zum 60. Geburtstag!
04.05.2010
Foto: Marc Vanappelghem
CHRISTIAN ZACHARIAS
3010 Anzeige Zacharias CLASS040510:Layout 1
...der feine Unterschied!
KlangSinn nuanciert schnörkellos – schlichtweg begeisternd.
Robert Schumann
Piano Quintet op. 44
Complete String Quartets op. 41
Christian Zacharias, piano
Leipziger Streichquartett
MDG 307 1610-2 (CD)
Musikproduktion Dabringhaus und Grimm
Telefon 05231-93890
Vertrieb: Codaex Deutschland GmbH
Telefon 089-82000233 - Fax 089-82000093
Gramola Wien: [email protected]
MusiKontakt Zürich: [email protected]
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CLASS a k t u e l l
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Über Geschmack lässt sich streiten, heißt es. Manche sagen auch: Über Geschmack
CLASS aktuell 2 / 2010
lässt sich NICHT streiten. Gemeint ist natürlich dasselbe. Wo es um ästhetische Vorlieben
Inhalt
geht, enden Common Sense und gesellschaftliche Vernunft, hilft keine juristische Instanz
und keine Laboruntersuchung. Zwar können wir uns darüber verständigen, welche
4
Frequenz ein Ton hat und welches Obertonspektrum. Aber ob uns die Tonhöhe angenehm ist,
ob wir den Klang als kristallklar oder schon als schrill wahrnehmen, als „schön warm“
oder „ziemlich dumpf“, das bleibt eine subjektive Entscheidung. Manche empfinden
6
Mit Selmer Saxharmonic
auf symphonischen Pfaden
7
Der Thomanerchor
Klänge auch als „gelb“ oder „rot“.
Mit eigenen Ohren hören
Christian Thielemann
zukünftiger Chefdirigent der
Staatskapelle Dresden
erinnert an die Sprengung der
Universitätskirche zu Leipzig
Dass wir da nicht einer Meinung sind, hat zunächst anatomische Gründe. Sie kennen
8
das beliebte Partyspiel: Hast du angewachsene oder frei hängende Ohrläppchen? Diese
Gudrun Schaumann über ihre
große musikalische Liebe
fleischigen Anhängsel sind aber nicht einfach nur ein kurioser Kopfschmuck, sondern
dienen dem Ohr als Resonanzkörper. Jedes Ohrläppchen ist anders, jede Ohrmuschel
sowieso, jede Hörschnecke, jedes Trommelfell. Einem jeden Menschen sind die
10
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Erfahrung und Umwelt. Ein schönes Beispiel: Tierstimmen werden sehr unterschiedlich
deutsche Wau-Wau des Hundes wird im Französischen eindeutig jambisch (ouah-ouah),
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Serge Diaghilews „Balletts russes“
Eine umfangreiche Werkschau
im Russischen konsonantisch (gav) und im Türkischen, nun ja, türkisch (kuçukuçu).
Auch das Schwein sagt nur bei uns oink-oink, in den slawischen Sprachen hört man im
Sloane und Oliemanns
Orchesterwerke von Frank Martin
neu entdeckt mit dem
Stavanger Symphony Orchestra
Wichtiger noch als die anatomische Anlage jedoch ist die Prägung unseres Hörens durch
wahrgenommen, je nachdem, in welchem Sprachraum man aufgewachsen ist. Das
„The Romantic Piano Concerto“
Hyperion präsentiert Volume 50
Ohren anders an den Kopf gewachsen. Unmöglich, dass bei zwei Menschen dasselbe
Signal im Gehirn ankommt.
Faszination Schumann
13
Craig Frederick Humber: Bach
Wie ein Blitz aus heiterem Himmel
Grunzen dagegen kombinierte Konsonanten (chro-chro, kví-kví, xrju)
und in Skandinavien eindeutig ö-Töne (röh, nöff-nöff).
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Original und Fälschung
Es ist doch so: Wer lange Zeit im Ausland lebt, beginnt ein Hundebellen ganz neu zu
verstehen. Wer mehr hört, hört immer besser. Um einen historisierend gespielten Bach
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von einem romantisch aufgefassten zu unterscheiden, eine analytische Interpretation
weil sie von klein auf nur Wau-wau-Musik kennen.
Trio Parnassus
Sämtliche Klaviertrios von
Benjamin Godard
von einer gefühlvollen oder verspielten, muss man bereits eine Menge verschiedener
Hörerfahrungen mitbringen. Manche Mitmenschen sind dagegen völlig taub für Bach,
Pianoduo Trenkner Speidel
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Frédéric Chopin
Zum 200. Geburtstag eines Genies
Kurzum: Jeder und jede hört verschieden. Daher kann ich Ihnen nur raten:
22
Lassen Sie sich von den folgenden Seiten inspirieren, anregen und neugierig machen.
Aber entscheiden Sie dann mit Ihren eigenen Ohren. Es bleibt Ihnen auch gar nichts
CLASS-Blickpunkte
Neuheiten vorgestellt von
CLASS aktuell
anderes übrig.
Schöne, individuelle Hörerlebnisse
wünscht
Hans-Jürgen Schaal
Auflage: 135.000
Titelfoto: © Matthias Creutziger
Grafik: Ottilie Gaigl
CLASS
Association of Classical Independents in Germany e.V.
Bachstraße 35, 32756 Detmold, Telefon 05231-938922
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Alle Tonträger dieser Ausgabe finden Sie auch
unter www.bielekat.de
AUSGABE 2010/2
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Fotos: © Matthias Creutziger
Brautschau mit Folgen
Christian Thielemann dirigiert die Staatskapelle Dresden in Anton Bruckners achter Symphonie
Es war einer jener Momente, die sich zufällig ergeben und doch nicht besser hätten geplant
werden können: Im September 2009 musste der Generalmusikdirektor der Sächsischen
Staatsoper Dresden, Fabio Luisi, seine Mitwirkung am 2. Symphoniekonzert der Sächsischen
Staatskapelle in der Semperoper krankheitsbedingt kurzfristig absagen. Bereits im Juni
2009 hatte er bekannt gegeben, dass er seinen Vertrag in Dresden nicht über 2012 hinaus
verlängern werde und im gleichen Jahr als Generalmusikdirektor ans Opernhaus Zürich
wechseln wird. Als unverhoffter „Einspringer“ konnte Christian Thielemann gewonnen werden,
der sich nach dem Bayreuther „Ring“-Sommer gerade im Erholungsurlaub auf Sylt befand.
Thielemann hatte wenige Wochen zuvor ebenfalls erklärt, seinen Vertrag als Generalmusikdirektor der Münchner Philharmoniker nicht über 2011 hinaus verlängern zu wollen.
So kam es zu einem denkwürdigen Konzert, das nicht zuletzt auch durch die Programmänderung zu einem „überdimensionalen Probedirigat“ (Die Zeit) geriet: Thielemann dirigierte
auf eigenen Wunsch Anton Bruckners gewaltige achte Symphonie, einen der Gipfel
der abendländischen Symphonik. Wenig später kürten ihn die Musiker der Staatskapelle zu
ihrem neuen Chefdirigenten ab der Saison 2012/2013. Der Rundfunk-Mitschnitt dieses
Konzertereignisses liegt hiermit erstmals auf CD vor.
D
ie Bekanntschaft reicht zurück in das
Jahr 2003. Damals stand Christian
Thielemann zum ersten Mal am Pult
der Sächsischen Staatskapelle, jenes
ältesten deutschen Traditionsorchesters, mit dem
er nicht nur die Vorliebe zu Wagner und Strauss
teilt. Thielemann dirigierte damals die traditionellen Requiem-Konzerte am 13./14. Februar, in
denen das Orchester alljährlich der Zerstörung
Dresdens im Kriegswinter 1945 gedenkt. Mehrere
Jahre hatte man sich um den aufstrebenden
deutschen „Star“ unter den Dirigenten bemüht,
der aber immer anderweitige Verpflichtungen
hatte. Dann also die Konzerte mit Johannes
Brahms’ „Ein deutsches Requiem“ in der Semperoper, die den Dirigenten schlichtweg überwältigten: „Es war eine so außergewöhnliche
Atmosphäre, die ich mir nie hätte erträumen
lassen. Ein Konzert ganz ohne Applaus, und dann
zu diesem Anlass, der mich schon als Kind berührt hat. Beim Auf- und Abtreten hatte ich eine
Gänsehaut. Und anschließend, beim Verlassen
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AUSGABE 2010/2
des Theaters, läuteten die Glocken. Das alles
hat mich tief bewegt.“ Nach einer Wiederholung
des Konzertes am 15. Februar in der Berliner
Philharmonie (auf Einladung des damaligen Bundespräsidenten Johannes Rau) stand Thielemann
im Oktober 2003 im Rahmen einer kurzfristig
eingeschobenen „Wagner-Gala“ in der Semperoper erneut am Pult der Staatskapelle. Danach
verlor man sich ein wenig aus den Augen:
Thielemann wurde 2004 Generalmusikdirektor
der Münchner Philharmoniker. Die Sächsische
Staatskapelle entschied sich für den Italiener
Fabio Luisi, der 2007 sein Amt an der Elbe
antrat. Eine Rückkehr in die Semperoper ließ
sich mit Thielemanns Terminkalender nur schwer
vereinbaren. Erst für den Februar 2010 gelang
es, erneut ein Requiem-Konzert mit ihm in Dresden zu terminieren. Dann kam es jedoch zu der
unerwarteten Absage Luisis, so dass Thielemann
früher als geplant aus dem Urlaub und ans Pult
der Kapelle zurückkehrte. „So bin ich eben
etwas eher aus Sylt zurück und helfe Freunden
aus“, erklärte er in einem Gespräch mit Michael
Ernst in den Dresdner Neuesten Nachrichten.
„Wissen Sie, ich hab so viel zu tun gehabt, und
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es kommen immer so viele Anfragen, gerade aus
Dresden, wo ich auch schon zweimal absagen
musste, da bin ich doch froh, wenn es jetzt mal
geklappt hat.“
„Brautschau mit Bruckner“
Natürlich schlugen die Wellen hoch, als
Thielemann, der nicht gerade als Einspringer
bekannt ist, das Konzert der Staatskapelle kurzfristig übernahm. Sofort wurde über einen Weggang des Dirigenten aus München spekuliert,
dem sich mit der 2012 frei werdenden Dresdner
Chefstelle und der Doppelfunktion der Staatskapelle als Opern- und Konzertorchester eine
ideale Position bieten würde. Thielemann hielt
sich dazu in der Presse bedeckt. „Man darf sich
nie selbst ins Spiel bringen“, äußerte er in einem
Interview mit Julia Spinola in der Frankfurter
Allgemeinen Zeitung. Deren Sonntagszeitung titelte allerdings schon einen Tag zuvor mit „Brautschau mit Bruckner“ und sprach von einem
„historischen Konzert“, das so oder so „Folgen
haben wird“. Die Brisanz der Ereignisse lag also
in der Luft, zumal Thielemann vom Dresdner
Kapellklang im FAZ-Interview in höchsten Tönen
schwärmte: „Das Orchester liegt mir … Die
wechselnden Orchesterleiter haben den Klang in
Dresden nicht umgekrempelt. Das ist doch eigent-
Anton Bruckner: Symphonie Nr. 8
Live-Mitschnitt aus der Semperoper Dresden,
September 2009
Staatskapelle Dresden / Christian Thielemann, Ltg.
CD PH10031 / Profil Edition Günter Hänssler
lich irre, oder?“ Und im Gespräch mit Guido
Glaner für die Dresdner Morgenpost stellte er
der Staatskapelle einzig die Wiener Philharmoniker zur Seite, die ebenfalls „Opern- und Konzertorchester zugleich sind. Es gibt in dieser Art
nur diese beiden. … Es sind Bruder- und
Schwester-Orchester.“
Ähnlich wie bei den Wiener Philharmonikern
liegen die Stärken der Staatskapelle natürlich vor
allem im romantischen und spätromantischen
deutschen Repertoire – etwa in den Opern
Wagners, die von „Rienzi“ bis „Parsifal“ bereits
allesamt in Dresden konzipiert und teilweise
hier uraufgeführt wurden, und in denen von
Richard Strauss, der allein neun seiner Opern in
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Dresden herausbrachte und der Staatskapelle,
quasi zum Dank, seine gigantische „Alpensinfonie“ widmete. Und natürlich in der Symphonik
von Beethoven über Schumann und Brahms bis
hin zu Anton Bruckner. Dass das Orchester damit
auf mehr als einer Wellenlänge mit den Vorlieben
Christian Thielemanns liegt, der für genau dieses
Repertoire weltweit gefeiert wird, ist einleuchtend.
Kein Wunder also auch, dass sich Thielemann in
Abänderung des Programms für ein Bekenntniswerk entschied, das ihm besonders am Herzen
liegt: Bruckners achte Symphonie. „Dieses Werk
war Herrn Thielemanns ausdrücklicher Wunsch“,
erklärt Jan Nast, Orchesterdirektor der Staatskapelle, der mit dem Dirigenten ebenfalls seit
Jahren in engem Kontakt stand. „Das Ganze
musste innerhalb kürzester Zeit entschieden werden, und natürlich waren auch wir mit dieser
Programmwahl ausgesprochen glücklich.“
Thielemann knüpfte mit der Wahl an die
lange Bruckner-Tradition der Staatskapelle an,
die die achte Symphonie in Dresden zuletzt im
Dezember 2002 unter ihrem damaligen Chef
Bernard Haitink musiziert hatte. Es war – ähnlich geschichtsträchtig – das erste Konzert, das
nach der Flutkatastrophe des Sommers 2002
wieder in der Semperoper stattfinden konnte
(und ist im Rahmen der Edition Staatskapelle
Dresden als Volume 24 ebenfalls auf CD
erschienen PH07057).
Tobias Niederschlag
Mit Selmer Saxharmonic auf symphonischen Pfaden
www.selmer-saxharmonic.de
R
Sinfonie Nr. 1, f-Moll
Sinfonie Nr. 2, F-Dur
Sinfonie Orchester Osnabrück
Hermann Bäumer, Dirigent
MDG 632 1491-2
Sinfonie Nr. 3, D-Dur
Sinfonie Nr. 4, c-Moll
MDG 632 1492-2
Sinfonie Nr. 5, d-Moll
In den Bergen op. 7
MDG 632 1493-2
ussland, Frankreich, Böhmen und die Neue
Welt: Was für eine phantastische Reise…
Unter der renommierten Leitung von
Milan Turković präsentieren die zwölf Solisten
von „Selmer Saxharmonic“ erstmals diese faszinierenden Instrumentenfamilie in sinfonischer
Dimension des Saxophon-Klangs.
Erst Mitte des 19. Jahrhunderts von Adolphe
Sax erfunden, um im Orchester die Klanglücke
zwischen Holz- und Blechbläsern zu schließen,
entwickelte sich das Saxophon auf zwei Pfaden.
In der Jazz- und Unterhaltungsmusik ist der rauchige, kernig melancholische Klang kaum mehr
wegzudenken, daneben hat sich gerade in den vergangenen Jahren über eine grundierte Hochschulausbildung eine hervorragende klassische Szene
gebildet. Dass Sopranino, Sopran, Alt, Tenor, Bariton bis zum gewichtigen Bass-Saxophon eine
große Klangpalette mit riesigen dynamischen Mög-
Musikproduktion
Dabringhaus und Grimm
Tel. 05231-93890
Vertrieb: Codaex Deutschland GmbH
Tel. 089-82000233 - Fax 089-82000093
Gramola Wien: [email protected]
MusiKontakt Zürich: [email protected]
lichkeiten darstellen, mag dabei weniger überraschen, als die hochexpressive quirlige Virtuosität, die diesen Instrumenten hier entlockt wird.
Alle Arrangements, darunter Dvořáks Slawische Tänze, Milhauds „Scaramouche“ und
Schostakowitschs „Jazz-Suite“, scheinen den
Saxophonisten unmittelbar auf den Leib komponiert worden zu sein. Dazu noch ein gelungener
Ausflug in Gershwins Jazz-Welt und als besonderer Höhepunkt der „Devil’s Rag“ von Jean
Matitia: Hier machen höchste Virtuosität, aber
auch Geschmeidigkeit in der Tongebung bis hin
zu avangardistisch getupften Artikulationen das
Zuhören zu einem wahren Vergnügen.
Es ist sicher auch der Begeisterung des
Bläserspezialisten Milan Turković zu verdanken,
dass sich zwölf gefragte Solisten, internationale
Preisträger, Mitglieder der längst im Konzertleben etablierten Ensembles panta rhei, clairobscur, Alliage und Sax Allemande regelmäßig
in großer Besetzung zusammen finden und als
„Selmer Saxharmonic“ tatsächlich eine neue
Dimension des Saxophon-Klangs zu kreieren.
Fazit: Audiophil. Für alle Freunde feinster
Bläserkammermusik eine Super-Audio-CD mit
allerhöchstem Suchtpotential.
Lisa Eranos
„Flying Saxophone Circus“
Dvořák: 3 Slawische Tänze
Milhaud: Scaramouche
Schostakowitsch: Jazz-Suite Nr. 2
Gershwin: Suite American Stories
Matitia: Devil's Rag
Selmer Saxharmonic / Milan Turković, Ltg.
MDG 910 1625-6 (Hybrid-SACD)
6
AUSGABE 2010/2
Foto: © Werner Kmetitsch
Sämtliche Sinfonien
Josef Bohuslav Foerster
DEVIL’S SAX
around the world
Fotos: Fritz Tacke
Foto: Stadtgeschichtliches Museum Leipzig
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Sieben Jahrhunderte lang prägte die Paulinerkirche das Leipziger Stadtbild.
Im 13. Jahrhundert als Klosterkirche der Dominikaner erbaut,
weihte sie Martin Luther im Jahr 1545 als evangelische Universitätskirche.
1968 ordneten die Machthaber der damaligen DDR
die Sprengung der Universitätskirche an.
Zur mahnenden Erinnerung an die Sprengung am 30. Mai 1968
D
er Thomanerchor Leipzig würdigt mit
seiner neuen CD die 1968 zerstörte
Universitätskirche St. Pauli zu Leipzig.
Im 13. Jahrhundert erbaut, überdauerte
die Kirche die Völkerschlacht sowie den Ersten
und Zweiten Weltkrieg nahezu unbeschadet.
1968 jedoch beschlossen das Politbüro der SED,
der Leipziger Stadtrat sowie der Senat der Universität, die Kirche zu sprengen und den Leipziger
Augustusplatz im sozialistischen Sinne umzugestalten. Eine Kirche passte nicht in den Campus
der damaligen Karl-Marx-Universität. Die CD erscheint zum Jahrestag der Zerstörung am 30. Mai.
Gemeinsam mit dem Gewandhausorchester
und Solisten erinnert der Thomanerchor an die
Der Thomanerchor und die
Universitätskirche St. Pauli Leipzig
St Thomas’s Boys Choir and the
University Church St Pauli Leipzig
Johann Sebastian Bach · Dimitri Terzakis
Felix Mendelssohn Bartholdy · Max Reger
Heinz Werner Zimmermann
Thomanerchor Leipzig
Gewandhausorchester
Thomaskantor Georg Christoph Biller
Der Thomanerchor und die
Universitätskirche St. Pauli Leipzig
Thomanerchor Leipzig, Gewandhausorchester
Thomaskantor Georg Christoph Biller
CD ROP4032 / Rondeau Production © 2010
große historische und kulturelle Bedeutung der
Universitätskirche St. Pauli. Komponisten von
Johann Sebastian Bach über Felix Mendelssohn
Bartholdy bis zu Dimitri Terzakis beleuchten die
Jahrhunderte lange gemeinsame Geschichte und
die musikalische Beziehungen zwischen Universität und Thomanerchor Leipzig.
Bachs Motette „Der Geist hilft unser
Schwachheit auf “ BWV 226 erklang erstmals
im Oktober 1729 in der Universitätskirche
St. Pauli. Die Thomaner sangen zur Trauerfeier
ihres Schulrektors Johann Heinrich Ernesti.
Auch die Trauerode „Lass, Fürstin, lass noch
einen Strahl“ BWV 198 erlebte ihre Uraufführung in der Universitätskirche. Als Thomaskantor hatte Bach die
weltliche Kantate für den
Trauerakt der verstorbenen
Christiane Eberhardine
komponiert. Die beliebte
sächsische Fürstin und polnische Königin war Ehefrau
von August dem Starken.
Werke von drei weiteren Leipziger Musikerpersönlichkeiten sind auf der
neuen CD eingespielt: „Der
43. Psalm: Richte mich
Gott“ des einstigen Gewandhauskapellmeisters Felix
Mendelssohn Bartholdy
sowie Max Regers ChoralAUSGABE 2010/2
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kantate „O wie selig seid ihr doch, ihr Frommen“.
Reger war von 1907 bis 1908 Universitätsmusikdirektor in Leipzig. Sein heutiger Amtsnachfolger David Timm begleitet die Kantate an
der Sauer-Orgel der Thomaskirche zu Leipzig.
In der vorliegenden Einspielung wird gottesdienstliche Kirchenmusik lebendig: Thomaskantor
Georg Christoph Biller lässt einzelne Choralstrophen – wie von Reger vorgesehen – von der
Gemeinde der Thomaskirche mitsingen.
Anlässlich des 600-jährigen Bestehens der
Universität Leipzig sang der Thomanerchor im
Juni 2009 die Uraufführung der Motette „Wahrlich, ich sage euch“ von Heinz Werner Zimmermann (*1930) in der Thomaskirche. Die Komposition „Die Reden Gottes“ von Dimitri Terzakis
(*1938) trägt den Untertitel „Zur mahnenden
Erinnerung an die Sprengung der Leipziger Universitätskirche am 30. Mai 1968“ und bringt
damit das Konzept der neuen CD auf den Punkt.
Teres Feiertag
Foto: Gert Mothes
Der Thomanerchor
und die Universitätskirche
Die Thomaner singen vor dem
Paulineraltar aus dem 15. Jahrhundert.
Der wertvolle Altar konnte 1968 kurz
vor der Sprengung der Universitätskirche gerettet werden und steht heute
in der Leipziger Thomaskirche.
Gudrun Schaumann und Christoph Hammer spielen Violinkompositionen
von Robert und Clara Schumann und deren Weggefährten
„Es war, als hätt’ der Himmel die Erde still geküsst
dass sie im Blütenschimmer von ihm nur träumen müsst’...
Und meine Seele spannte weit ihre Flügel aus,
flog durch die stillen Lande, als flöge sie nach Haus.“
Joseph Freiherr von Eichendorff
‚‚D
ie Mondnacht, diese atmosphärische
Schumann-Vertonung eines Gedichtes
von Eichendorff, sagt alles über
Schumanns innere Welt, seinen schöpferischen Seelenursprung. Diese Stimmung durchwebt immer wieder seine Musik.“
Die große musikalische Liebe der Geigerin
Gudrun Schaumann gilt, neben Johann Sebastian
Bach, Robert Schumann. Ihm, seiner Frau Clara,
deren Halbbruder Woldemar Bargiel und Joseph
Joachim widmet sie zu Schumanns 200. Geburtstag eine Doppel-CD – als Auftakt zu einer ganzen
Reihe: „The Circle of Robert Schumann“.
„Schumann ist für mich ein Gratwanderer
zwischen Welten, zwischen Traum und Wirklichkeit, Metaphysischem und Irdischem, zwischen Tragik, Schlichtheit und Innigkeit. Arnold
Schönberg hat 1914 dem damals jungen Dirigenten Hermann Scherchen hinsichtlich seiner
eigenen Kammersymphonie einmal geschrieben:
,…seine Steigerung hat keinesfalls leidenschaftlich zu sein, sondern „gesteigerte Innigkeit“. Das
ist merkwürdig: Leidenschaft, das können alle!
Aber Innigkeit, die keusche, höhere Form der
Gefühle, scheint den meisten Menschen versagt
zu sein….’ Und kein anderer Romantiker hat
mit dieser Innigkeit komponiert wie Schumann,
den eine so tiefe Verbindung auch zur Literatur
prägte, dass er, der große Bach-Verehrer, sogar
sagte: ‚Ich habe mehr Kontrapunkt von Jean
Paul gelernt als irgendwo sonst.’ “
Schon sehr früh war Gudrun Schaumann von
Schumann fasziniert, diesem vielseitigsten aller
Komponisten, der nicht nur ein hervorragender
8
AUSGABE 2010/2
Musikkritiker war, sondern auch Dichter hätte
werden können. Dabei galt ihre erste Begeisterung Richard Wagner. Als Tochter des SoloOboisten der Komischen Oper Berlin wollte sie
zunächst sogar hochdramatischer Sopran werden, ehe sie sich für die Violine entschied. Aufgewachsen zunächst in Ost-Berlin und nach ihrer
Flucht in West-Berlin, studierte sie bei Dorothy
DeLay an der New Yorker Juilliard School. Früh
erhielt sie einen Ruf nach München an die
Musikhochschule – und setzte ihre Priorität
nicht auf eine große Konzertkarriere. Nun, nach
Jahren des Unterrichtens, der Kammermusik
und einer Familienpause, rückt das Konzertieren wieder in den Mittelpunkt ihrer Arbeit.
Dass sie für ihr CD-Projekt Schumann wählte,
ist naheliegend. Dass sie aber auch Schumanns
Umfeld einbezieht, ergibt ein ungewöhnliches
Programm. Den drei Violinsonaten von Robert
Schumann und seinen Romanzen op. 94 stellt
Gudrun Schaumann die Drei Romanzen op. 22
von Clara Schumann, die Romanze C-Dur von
Joseph Joachim und die Violinsonate von Woldemar Bargiel, Claras Halbbruder, zur Seite. „Claras
Romanzen sind einzigartig, die erste ist mit ihren
Fotos: © Angela & Lutz Stoess Fotografie
Faszination Schumann
CLASS a k t u e l l
ungewöhnlichen harmonischen Reibungen ein
Meisterwerk, das schon Brahms enthusiastisch
pries. Und die leider fast restlos vergessene
Bargiel-Sonate müsste zum Standard-Repertoire
eines jeden Geigers gehören.“ Bargiel komponierte sie unmittelbar, nachdem er von Roberts
Verbringung in die Heilanstalt Endenich bei Bonn
im März 1854 erfahren hatte. Schumann war nicht
nur sein Schwager, sondern auch sein Mentor
und Idol. Bargiel schrieb sie in f-moll – der Tonart von Beethovens „Appassionata“, Claras Lieblingsklaviersonate, die Ausdruck von Beethovens
Verzweiflung angesichts seiner Taubheit war.
Bei den Schumann-Sonaten zeigt Gudrun
Schaumann, die die von Ute Bär betreute NeuEdition benutzt, Facetten, die meist übersehen
werden. „Wie kaum ein anderer großer Komponist durfte Schumann durch seine Liebe zu
Clara eine künstlerisch so bereichernde, innige
Partnerschaft und die Nähe von sieben Kindern
erleben, und das spürt man besonders in seinen
Liedern, Klavierwerken und in der Kammermusik. „Im Kinde liegt eine wunderbare Tiefe“,
hatte er geschrieben. Das „Album für die
Jugend“ komponierte er 1848 als Vater von fünf
Kindern für seine älteste Tochter Marie, aber es
ist keine Musik „nur“ für die Jugend. Zugleich
war Schumann – neben Mozart und Schubert –
das ungeduldigste aller Genies, wie ein Vulkan.
Die ersten Themen in seinen Sonaten sind oft
leidenschaftlich, geheimnisvoll, hochdramatisch.
Dabei ist seine Musik nie äußerlich virtuos konzipiert. Ihm ging es immer um Wahres, um Tiefe.
Und wie er Stimmungen und Töne gefunden hat,
in denen sich Tragisch-Schwermütiges mit Lyrischem verbindet, ist für mich das Ergreifendste.“
Aufgenommen hat Gudrun Schaumann die
Doppel-CD mit einem originalen Hammerflügel
von Johann Baptist Streicher 1836, den sie in
einer Wiener Musikinstrumentensammlung
aufstöberte und für den sich auch ihr Partner
Christoph Hammer, der langjährige Leiter der
Neuen Hofkapelle München, sofort begeisterte.
„Es ist unbeschreiblich inspirierend, mit einem
historischen Hammerflügel zu spielen“, sagt sie.
Schon während ihres Studiums bei Nathan
Milstein in London faszinierte sie dessen „noch
von einer reinen Darm-A-Saite und fein dosiertem Vibrato geprägtes schlankes, hingebungsvolles Spiel“. Begegnungen mit Nikolaus
Harnoncourt brachten sie dann zur historisch
informierten Aufführungspraxis. Seitdem bezieht
sie immer wieder die von ihr gespielte Stradivari
von 1731 mit Darmsaiten und greift zu ihrem
The Circle of Robert Schumann
Robert Schumann:
Sonate Nr. 1 a-moll op. 105,
Sonate Nr. 2 d-moll op. 121,
Sonate Nr. 3 a-moll WoO,
Romanzen op. 94
Clara Schumann: Drei Romanzen op. 22
Joseph Joachim: Romanze C-Dur
Woldemar Bargiel: Sonate f-moll op. 10
Gudrun Schaumann, Violine
Christoph Hammer, Hammerflügel
CAPRICCIO C 5040 (2 SACDs)
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Léonard Tourte-Bogen von 1790; mehrfach hat
sie mit Harnoncourts engen Mitarbeitern, den
Hammerflügelspielern Johann Sonnleitner und
Anthony Spiri zusammengearbeitet.
Das Programm der nächsten „The Circle of
Robert Schumann“- CDs will Gudrun Schaumann
noch nicht verraten. Der große Weggefährte
Mendelssohn wird wohl dabei sein, vielleicht
später auch ihr „Traumstück“ aus Schumanns
„immer noch weit unterschätzter letzter Schaffenszeit, sein von ungewöhnlich tiefen Registern
und tragisch-dunklem Timbre geprägtes, an
Magie grenzendes Violinkonzert, das leider
immer noch zu wenig aufgeführt wird“. Es war
dieses Konzert, in einer Aufnahme von Henryk
Szeryng, an dem sie einst Feuer fing für
Schumann. „Diese tragische Seite mit ihrer
Schwermut, Zerrissenheit, Verzweiflung und
dann die unvergleichliche Innigkeit – das hat
meine ‚emotionalen Saiten‘ für immer ins
Schwingen gebracht.“
Arnt Cobbers
D
ass die Musikgeschichte zwischen
1850 und 1950 nicht nur aus großen
Namen wie Schumann, Chopin und
Liszt besteht, hat keine andere CDSerie je so eindrucksvoll bewiesen wie die Reihe
„The Romantic Piano Concerto“ des Labels
Hyperion. Und selbst wenn – wie nun beim
Volume 50 – ein prominenter Romantiker wie
Tschaikowsky auf der Verpackung steht, darf
man sicher sein, dass im Jubiläumsband manche Entdeckung zu machen ist.
Tschaikowskys erstes Klavierkonzert ist ein
„Schlager“. Es zählt nicht nur zu den bekanntesten
Stücken des Komponisten, sondern auch zu den
populärsten Klavierkonzerten überhaupt. Insofern ist es ein würdiges Werk für das Volume 50
einer Serie, die sich „The Romantic Concerto“
nennt. Wer nun aber weiß, dass die HyperionReihe vor allem solche Klavierkonzerte vorstellt,
die zuvor noch gar nicht oder nur sehr selten
auf Tonträgern zu finden waren, der wird mit
Tschaikowskys Erstem allein natürlich nicht ganz
glücklich sein. Doch der Raritäten-Freund wird
nicht enttäuscht: Denn Stephen Hough hat auch
die Konzerte Nr. 2 und 3 sowie Tschaikowskys
Konzertfantasie op. 56 eingespielt. Vor allem
aber präsentiert er den langsamen Satz des
zweiten Konzertes gleich in drei verschiedenen
Fassungen: zuerst in Tschaikowskys eigener, mit
der der Komponist aber nicht ganz zufrieden war,
dann in einer Kurzfassung von Alexander Siloti,
die ohne Tschaikowskys Einwilligung nach dessen Tod gedruckt worden war, und schließlich
in einem eigenen Arrangement, in dem er eine
wörtliche Reprise dadurch aufbrach, dass er die
Streichersoli in die Klavierstimme verlegte.
Typisch ist die Folge 50 auch insofern für
die Serie, als sie erneut mit einem außergewöhnlich hohen interpretatorischen Niveau glänzt:
Denn Hough und das Minnesota Orchestra unter
Osmo Vänskä spielen Tschaikowsky mit viel
Kraft und Virtuosität, mit Sinn für die hochdramatischen wie melancholisch-lyrischen Züge in
Tschaikowskys Musik.
Dass ausgerechnet Hough den Jubiläumsband mit einer Doppel-CD bestreiten durfte,
dürfte kein Zufall sein: Schließlich war dessen
Einspielungen von Franz Xaver Scharwenkas
viertem Klavierkonzert und Emil von Sauers
erstem bereits früh der Bestseller der Reihe.
Und Houghs Gesamteinspielung der Klavierkonzerte von Camille Saint-Saëns sowie dessen CD
mit Mendelssohns brillanten Werken für Klavier
und Orchester zählen ebenfalls zu den besten
Folgen dieser an Höhepunkten wahrlich reichen
CD-Serie. Dass Hyperion unter Experten heute
weltweit als das Pianisten-Label gilt, hat auch
mit den Romantic Piano Concertos zu tun, über
die Pianisten wie Stephen Hough, Marc-André
Hamlien oder Steven Osborne erstmals in Kontakt mit dem Label gekommen sind. Und neben
Hough sind etwa auch Piers Lane (6 Folgen),
Stephen Coombs (5), Marc-André Hamelin (4)
und Howard Shelley (9) gleich mehrfach mit
hervorragenden Aufnahmen in der verdienstvollen CD-Reihe vertreten.
Der Initiator der Serie heißt Mike Spring
und arbeitet seit 1988 als Sales Manager für
Hyperion. In einem kleinen Essay zum Jubiläums-Band berichtet der leidenschaftliche
Hobby-Pianist und Klavier-Enthusiast, wie die
Idee zur Reihe 1990 in einem Gespräch mit dem
BBC Scottish Symphony Orchestra entstanden
sei. Und mit 27 Folgen haben die Schotten auch
den größten Anteil an den nunmehr 50 Produktionen. 131 Werke für Klavier und Orchester
wurden bis jetzt verewigt, darunter 102 Klavierkonzerte. 59 Werke sind für die Serie erstmals
aufgenommen worden. Der zeitliche Rahmen
reicht von Frühromantikern wie Carl Maria von
Weber (1786-1826), Friedrich Kalkbrenner
(1785-1849) oder Ignaz Moscheles (1794-1870)
Peter Tschaikowsky
Sämtliche Werke
für Klavier und Orchester
Stephen Hough
CDA 67711
10
AUSGABE 2010/2
Foto: © Greg Helgeson
Romantischer Tastenzauber
Stephen Hough mit Osmo Vänskä,
Chefdirigent des Minnesota Orchestra
bis hin zu Spätromantikern wie Nikolai Medtner
(1880-1951), ErnŒ Dohnányi (1877-1960)
oder Sigismond Stojowski (1870-1946). Einen
Schwerpunk bilden Komponisten aus dem englischen Sprachraum wie Henry Holden Huss,
Donald Francis Tovey, Alexander Mackenzie,
Joseph Holbrooke, Haydn Wood, Frederick
Delius und John Ireland.
Natürlich besitzen nicht alle Gattungsbeiträge dieselben Qualitäten wie etwa die Konzerte
von Liszt, Chopin, Schumann, Grieg oder Tschaikowsky. „Aber es gibt augenscheinlich einige“,
so Mike Spring, „die besser bekannt oder sogar
Teil des Repertoires sein sollten“. Die Konzerte
von Medtner, Busoni, Moszkowski, Paderewski,
Scharwenka und d’Albert sind hier wohl zuerst
zu nennen. Doch selbst vermeintlich schwächere
Werke sind zumeist so unterhaltsam, dass es
sich lohnt, sie einem größeren Publikum zu
präsentieren. Und man darf sicher sein, dass
Mike Spring und seinen Pianisten die Ideen
nicht so schnell ausgehen werden. Howard
Shelley etwa wird in Folge 51 Klavierkonzerte
von Wilhelm Taubert und Jacob Rosenhein zur
Diskussion stellen. Und Marc-André Hamelin
hat in Berlin soeben das Reger-Konzert aufgenommen. Das Volume 50 mit den Klavierkonzerten
Tschaikowskys stellt so zwar einen markanten
Höhepunkt der Reihe dar, aber zum Glück keinen Endpunkt.
Gregor Willmes
Foto: © Christoph Fein
CLASS a k t u e l l
Aktuelle Konzerte:
Ausführliche Informationen über das
Stavanger Symphony Orchestra unter:
www.sso.no
Steven Sloane
17. Juni 2010: Stavanger
Steven Sloane
Weitere Konzerte:
12. | 13. Mai und 05. Juni 2010: Bochum
Weitere Informationen:
www.bochumer-symphonie.de/termine.php
Thomas Oliemans
09. | 12. | 14. | 15. | 16. | 18. Mai 2010:
Opéra Nancy
02. | 06. | 08. | 10. | 13. Juli 2010:
Festival d´art Lyrique Aix-en-Provence
Thomas Oliemans, Bariton
Weitere Informationen:
www.thomasoliemans.nl
Spätzünder, Luftgeister
und Schmankerl
Orchesterwerke von Frank Martin neu zu entdecken
M
it dieser Einspielung erweitert
MDG den facettenreichen Katalog
des Schweizer Komponisten Frank
Martin durch die groß besetzten
Orchesterwerke. Das Stavanger Symphony Orchestra unter der Leitung seines Chefdirigenten
Steven Sloane präsentiert sechs Monologe aus
dem „ Jedermann“, die Suite aus der Oper „Der
Sturm“ und die „Symphonie concertante“. Eine
weitere Entdeckung dieser in kräftigen Farben
und angenehmen Raumklang facettenreich und
tadellos ausgesteuerten Super-Audio-CD: die
klangvolle Baritonstimme von Thomas Oliemans.
Frank Martin schrieb erst mit dreißig sein
erstes (von ihm anerkanntes) Werk. Er wuchs
in einer Genfer Pfarrersfamilie auf und interessierte sich erst für Musik von Bach und Brahms,
später auch für Debussy und Ravel. Seit 1946
lebte er in den Niederlanden und war neben
seiner kompositorischen Tätigkeit Präsident des
Schweizerischen Tonkünstlervereins. Martins
Kompositionen beeindrucken durch manche
virtuose Wirkung, durch eine Heiterkeit und
Schwerelosigkeit der tonal gebundenen, aber
chromatisch äußerst differenzierten Harmonik
und durch weiche, fließende Melodik. Diese
nuancenreiche Musik in ihrer stilistischen Vielfalt und Kompetenz ist ein reiner Hörgenuss.
Auch zum Musiktheater hatte Frank Martin
stets eine enge Beziehung. Seine besondere Vorliebe galt dabei den Mysterienspielen. Es wundert
daher nicht, dass er sich auf dem Salzburger
Domplatz auf Anhieb vom „Jedermann“ verzaubern ließ. Er widmete der Hauptperson sechs
Monologe, zuerst in einer Version für Bariton
und Klavier, später kam die hier eingespielte
Orchesterfassung hinzu.
Die „Petite Symphonie concertante“ geht auf
eine Bitte des Basler Mäzens und Dirigenten
Paul Sacher zurück. Zunächst komponierte
Martin ein Werk für Kammerorchester mit solistischen Einlagen von Klavier, Harfe und Cembalo, später schuf er diese Fassung für großes
Orchester. Shakespeares Lustspiel „Der Sturm“
hat den Komponisten sehr fasziniert. Zuerst
verwandelte er fünf Gesänge des Luftgeistes
Ariel in eine zauberhafte Musik für A-CapellaChor, dann schuf er auf Basis des Lustspiels eine
Oper, um schließlich aus Teilen der Oper die
hier aufgenommene Suite für Bariton und
Orchester zusammenzustellen. Übrigens inklusive Bühnenmusik, welche die Klangregie als
audiophil willkommenes Schmankerl präzise
hinter die Zuhörer platziert.
Das Stavanger Sinfonieorchester macht bereits seit Jahrzehnten international von sich
reden. Seine beiden Schwerpunkte Alte und Zeitgenössische Musik sowie das große Repertoire
norwegischer Kompositionen aus dem 20. Jahrhundert und die hohe künstlerische Qualität des
Klangkörpers machen die Musiker aus Stavanger
zu einem unverzichtbaren Bestandteil des europäischen Konzertkalenders. Die Verpflichtung von
Steven Sloane als Chefdirigent, die deutliche Aufstockung der Musikerstellen und der Bau einer
neuen Konzerthalle haben dem Orchester zusätzlichen Schwung verliehen und setzen deutliche
kulturpolitische Akzente.
Lisa Eranos
AUSGABE 2010/2
11
Frank Martin
Sechs Monologe aus „Jedermann“
Suite aus der Oper „Der Sturm“
Symphonie Concertante
Thomas Oliemans, Bariton
Stavanger Symphony Orchestra
Steven Sloane, Ltg.
MDG 901 1614-6 (Hybrid-SACD)
Frank Martin
weitere Einspielungen:
Konzert für sieben Blasinstrumente,
Pauke, Schlagzeug & Streichorchester
Konzert für Violine und Orchester
Danse de la peur für zwei Klaviere
und kleines Orchester
Michael Erxleben, Violine
Klavierduo Adrienne Soós und Ivo Haag
Orchester Musikkollegium Winterthur
Jac van Steen, Ltg.
MDG 901 1280-6 (Hybrid-SACD)
„Die Weise von Liebe und Tod
des Cornets Christoph Rilke“
Christianne Stotijn, Mezzosopran
Orchester Musikkollegium Winterthur
Jac van Steen, Ltg.
MDG 901 1444-6 (Hybrid-SACD)
Polyptique / Passacaille
Konzert für Cembalo
Willi Zimmermann, Violine
Rudolf Scheidegger, Cembalo
Orchester Musikkollegium Winterthur
Jac van Steen, Ltg.
MDG 901 1539-6 (Hybrid-SACD)
Gesamtkunstwerke
Serge Diaghilews „Balletts russes“ auf CD bei SWR music / hänssler CLASSIC
D
ie 20 Jahre von 1909 bis 1929 sind
einzigartig in der Geschichte des
Balletts wie der Musik. In dieser Zeit
sorgte der Russe Serge Diaghilew für
eine Blüte des Balletts wie der Musik, die einzigartig dasteht. Das Label SWR Music / hänssler
CLASSIC in Zusammenarbeit mit der Stiftung
John Neumeier haben bereits 6 CDs einer geplanten kompletten Werkschau der „Les Ballets
russes“ herausgebracht.
Serge Diaghilew hatte eine spezielle Begabung: Er konnte außergewöhnliches Talent
und besondere künstlerische Strömungen erspüren, sein Urteil war unfehlbar. Aus den besten
Tänzern der Petersburger und Moskauer Hofballette stellte er eine Truppe zusammen, die ab
1909 die westeuropäische Ballettszene revolutionierte. Er nannte sie „Ballets russes“ und ver-
Les Ballets russes
Les Ballets russes Vol. 1 – Stravinsky: Le Sacre du
Printemps / Debussy: Jeux / Dukas: La Péri
SWR Sinfonieorchester Baden-Baden u. Freiburg, Sylvain Cambreling
Nr. 93.196 / SWR music / hänssler CLASSIC
Les Ballets russes Vol . 2 – Ravel: Daphnis et Chloé (vollst.) /
Poulenc: Les Biches
SWR Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg
EuropaChorAkademie, Michael Gielen; Marcello Viotti
Nr. 93.197 / SWR music / hänssler CLASSIC
Les Ballets russes Vol . 3 – Debussy: Prélude à l’après-midi
d’un faune / Florent Schmitt: La Tragédie de Salomé /
Stravinsky: Pétrouchka
SWR Vokalensemble Stuttgart; SWR Sinfonieorchester BadenBaden und Freiburg, Sylvain Cambreling
Nr. 93.223 / SWR music / hänssler CLASSIC
Les Ballets russes Vol . 4 – Tchaikovsky: Swan Lake (exc.),
Tchaikovsky / Strawinsky: Dornröschen / Strawinsky:
Le Chant du Rossignol
SWR Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg
Jurij Ahronowitsch, Hiroshi Wakasugi, Ernest Bour
Nr. 93.234 / SWR music / hänssler CLASSIC
Les Ballets russes Vol. 5 – de Falla: Der Dreispitz (vollst., mit
Gesang) / Prokofieff: Chout (The Buffoon / Der Hanswurst; Suite)
Ofelia Sala (Mezzosopran), Sinfonieorchester Baden-Baden und
Freiburg, Fabrice Bollon, Karabits
Nr. 93.253 / SWR music / hänssler CLASSIC
Les Ballets russes Vol. 6 – Igor Strawinsky: Pulcinella
(vollständige Fassung) / Feu d'artifice /
R. Strauss: Till Eulenspiegel / Ravel: La Valse
Nr. 93.237 / SWR music / hänssler CLASSIC
In Vorbereitung für Oktober 2010:
Les Ballets russes Vol. 7 – Georges Auric: Les Facheux,
La Pastorale
Deutsche Radio Philharmonie, Christoph Poppen (Ersteinspielung)
12
AUSGABE 2010/2
stand es, die aufregendsten, besten Komponisten,
Maler, Literaten und Choreographen zur Mitarbeit zu gewinnen. Das Resultat aus musikalischer Sicht sind zahlreiche Kompositionen, die
heute zu den ersten Meisterwerken des 20. Jahrhunderts gezählt werden. Doch waren es durch
die enge Verbindung von Musik, Choreographie,
Malerei und Text eigentlich Gesamtkunstwerke,
die er entstehen ließ.
Zu solchen epochal bedeutenden Musikstücken, die auf Bestellung Diaghilews entstanden, gehören u.a. Igor Strawinskys „Le sacre du
printemps“, „Der Feuervogel“, „Petruschka“,
„Pulcinella“, Debussys „L’après-midi d’un faune“
und „Jeux“, de Fallas „Der Dreispitz“ – um nur
einige zu nennen. Natürlich gibt es diese Werke
vielfach auf CD, meist jedoch ohne genauere
Hinweise auf den ballettgeschichtlichen Hintergrund. Ihr Gesamtkunstwerk-Charakter wird
heute kaum mehr wahrgenommen.
Dem steuert die CD-Reihe „Diaghilev – Les
Ballets russes“ des Labels SWR music / hänssler
CLASSIC entgegen. Sie ist ausgelegt auf eine
komplette Darstellung der in den 20 DiaghilewJahren entstandenen Kompositionen für die
„Balletts russes“ – ob nun bekannt oder unbekannt, oft aufgenommen oder noch niemals.
Dabei kommt im Beiheft der Produktionen auch
die ballettgeschichtliche Seite der Werke zur
Sprache, ihre Entstehungsumstände und die Absichten der Choreographen – hoch interessante
Umstände werden geschildert, die im allgemeinen
hinter den Deckeln tanzgeschichtlicher Bücher
verborgen bleiben.
Verantwortlich für diese Seite des einzigartigen
Vorhabens ist die Stiftung John Neumeier, mit
der das Label eng zusammen arbeitet. Denn ein
Schwerpunkt der Stiftung sind eben die „Ballets
russes“ und ein Lieblingsgebiet des Hamburger
Star-Choreographen ohnehin. Dabei stellt die
Stiftung dem Label aus ihrer umfangreichen
Sammlung Bilder, Entwürfe oder Zeichnungen
aus der Werkstatt der Ballets russes zur Verfügung.
Diese systematische Erschließung einer wesentlichen Zeit europäischer Ballett- und Musikgeschichte ist nur zu begrüßen, die fachliche Kompetenz der Reihe durch die Beteiligung der Stiftung
John Neumeier macht das Unternehmen noch zusätzlich zu etwas Besonderem.
Ernst Oder
CLASS a k t u e l l
WERGO
NEU BEI WERGO
Pēteris Vasks
Die Jahreszeiten
Zuerst studierte Craig Frederick Humber in Kanada Physik,
Mathematik und Chemie, dann schloss er in Leipzig,
Lübeck und Wien ein komplettes Orgel-Studium an. Seine
Vita ist prallvoll mit Stipendien und internationalen Preisen,
unter anderem beim Gottfried-Silbermann-Wettbewerb
in Freiberg. Seit 2006 hat Humber einen Lehrauftrag am
Franz-Schubert-Konservatorium in Wien.
Johann Sebastian Bach
Die Leipziger Choräle
Craig F. Humber
Silbermann-Orgel in Freiberg
MDG 906 1619-6
(2 SACDs)
Blitz aus heiterem Himmel
Bachs Leipziger Choräle mit Craig F. Humber
Foto Silbermann-Orgel: www.die- orgelseite.de; Foto C. F. Humber: © MDG
‚‚A
ls Jugendlicher hat mich eine Bach-Aufnahme, gespielt auf einer Silbermann-Orgel,
so sehr fasziniert, dass ich unbedingt das
Orgelspiel erlernen wollte…“ Wenn der kanadische Organist Craig F. Humber nun seine Version der „Leipziger Choräle“ auf der berühmten
Silbermann-Orgel in St. Petri Freiberg erklingen
lässt, dann hören wir auf diesen zwei SuperAudio-Scheiben ein faszinierendes musikalisches Erbe – in doppeltem Sinne.
Ein Blitzschlag zerstörte die Freiberger St. Petri
Kirche. Das Nebenhaus wurde aber verschont.
Zum Glück, denn hier lagerte Gottfried Silber-
mann drei bereits fertiggestellte Orgeln. Aus
„ewiger Dankbarkeit“ vermachte er der St. PetriGemeinde die große zweimanualige Orgel mit
32 Registern, deren abgrundtiefer 32-Fuß ein
bis heute faszinierendes Klangfundament bietet.
Das ist höchste barocke Handwerks- und
Konstruktionskunst – in einer der Bach’schen
Musik absolut ebenbürtigen Perfektion.
Die „Achtzehn Choräle“ stellte Bach in seinen letzten Lebensjahren zusammen. Er wählte
Sätze aus ganz verschiedenen Lebensperioden
aus – die meisten dürften bereits in Weimar
entstanden sein. Allerdings weichen manche
dieser reifen Spätfassungen erheblich von ihren Vorgängern ab. Das
Manuskript endet mit der legendären Choralbearbeitung „Vor deinen
Thron tret' ich hiermit“ BWV 668,
die Bach kurz vor seinem Tod noch
diktierte. Da auch klangtechnisch
alles zum Besten gelungen ist, bleibt
nur eine nachhaltige Empfehlung
sich mit dieser aufregenden Debuteinspielung eines symphatischen
Konzertorganisten zu befassen.
Lisa Eranos
AUSGABE 2010/2
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WER 67342 (CD)
Vestard Shimkus, Klavier
„Als ich Vestard Shimkus zum ersten Mal
spielen hörte, war mir sofort klar, dass er
genau der richtige Interpret ist: Die Töne
verwandelten sich in Farben, Gerüche, fingen an zu atmen. Die Uraufführung von
‚Gadalaiki – Die Jahreszeiten’ [auf dieser
CD zu hören!] – welche im März 2010 zu
Recht mit dem Großen lettischen Musikpreis, der höchsten staatlichen Auszeichnung auf dem Gebiet der Musik, in der
Kategorie ‘Konzert des Jahres’ ausgezeichnet wurde – war einer der großen Augenblicke in meinem Komponistenleben.“
(Peteris Vasks)
Vasks’ „Jahreszeiten“ kommen von Herzen
und gehen zu Herzen. – Hören Sie selbst!
Foto: Dzintra Geka
Vertriebe
Deutschland: Note 1, 06221/720351 · [email protected]
Österreich: Lotus Records, 06272/73175 · [email protected]
Schweiz: Tudor, 044/4052646 · [email protected]
WERGO
Weihergarten 5 · 55116 Mainz · Germany
[email protected] · www.wergo.de
Original und Fälschung
Pianoduo Trenkner Speidel
mit unerwarteten symphonischen Überraschungen
Maurice Ravel: Bolero
Arthur Honneger: Pacific 231
Nicolai Rimsky-Korsakov: Shéhérazade
Klavierduo Trenkner - Speidel
MDG 330 1616-2
auf das geschmeidig arbeitende Gestänge der
Lokomotive einläßt.
Orient und Okzident
V
on den meisten großen Werken existieren Klavierarrangements für den häuslichen Gebrauch. Was die „Scheherazade“,
„Pacific 231“ und den „Boléro“ von diesen meisten Bearbeitungen unterscheidet, ist
die Tatsache, dass die Komponisten ihre weltbekannten Meisterwerke höchst persönlich für
das Klavier zu vier Händen arrangiert haben.
Das Duo Trenkner und Speidel präsentiert
die Kompositionen in einer unverfälschten
Wiedergabe auf einem klangstarken Steinway
Konzertflügel von 1901.
Aktuelle Einspielungen:
J.S. Bach
Brandenburgische Konzerte
von J.S. Bach für Klavier
zu vier Händen bearbeitet
von Max Reger
MDG 330 0635-2 ( 2 CDs)
Anton Bruckner
Symphonie Nr. 3
arrangiert von Gustav Mahler
MDG 330 0591-2
Gustav Mahler
Symphonie Nr. 6 und 7
arrangiert für Klavier zu vier
Händen von A. v. Zemlinsky
bzw. Alfredo Casella
Schall und Rauch
Die Dampftechnik hatte es ihm angetan. Mit
„Pacific 231“ errichtete Arthur Honegger der
legendären US-Eilzug-Lok ein faszinierendes
und unmittelbar wirkendes Denkmal. Was für
ein kraftstrotzender Liebesbeweis – gerade
auch in dieser Fassung aus dem Jahr 1929, die
geradezu physisch den Genuss spüren lässt, wie
sich die Mechanik des Klaviers ungebremst
MDG 330 0837-2 ( 2 CDs)
Mozart /Grieg
„Claviersonaten von
W.A. Mozart mit frei
hinzucomponirter Begleitung
eines zweiten Claviers“
Peer Gynt Suiten Nr. 1 + 2
MDG 930 1382-6
( 2 Hybrid-SACDs)
14
AUSGABE 2010/2
Rimsky-Korsakow verzaubert seine Zuhörer mit den Wohlgerüchen des Orients. Seine
Scheherazade op. 35 greift Motive und Erzählungen aus 1001 Nacht auf. Wir begegnen
arabischen Prinzen, orientalischen Prinzessinnen, Sindbad dem Seefahrer und feiern rauschende Feste in Bagdad ... Was für eine farbenprächtige Vielfalt der Motive. Ravel hingegen
genügte ein einziges Thema, das mit unerbittlichem Rhythmus fast 20 Minuten lang wiederholt wird. Die Uraufführung des Balletts endete
in einem Desaster. Grund genug für den Komponisten eine Orchesterfassung zu schreiben und
schließlich auch noch eine Reduktion auf ein
vierhändiges Klavier, übrigens mit genauen Angaben zur Interpretation. Keine geringe Herausforderung für ein herausragendes Piano-Duo.
Trenkner und Speidel
Evelinde Trenkner und Sontraud Speidel
haben in perfekter Symbiose vierhändigen Klavierspiels bei MDG eine ganze Reihe CDs mit
lange vernachlässigten Fassungen bedeutender
Werke aufgenommen und damit so manchen
ungewohnten Blick auf längst Bekanntes vermittelt. Wir erinnern uns an Bachs Brandenburgische (Reger), Bruckners 3. (Mahler), Mahler
6. (Zemlinski) oder Mozart/Grieg…, die alle
einen musikalisch unverstellten Blick auf kompositorische Substanz freisetzen. Unbedingt
hörenswert – und – es lohnt sich!
Thomas Trappmann
CLASS a k t u e l l
Edition VIOLIN SOLO
R E N AT E E G G E B R E C H T VIOLINE
Vol. 1
TRO-CD 01424
Max Reger
Chaconne op. 117 (1910)
Johanna Senfter
Sonate op. 61 (1930)*
Nikos Skalkottas
Sonate (1925)
Arthur Honegger
Sonate (1940)
Foto: © Karl Krenkler
Vol. 2 TRO-SACD 01429
Erwin Schulhoff
Sonate (1927)
Béla Bartók
Sonate (1944)
www.trioparnassus.com
Grażyna Bacewicz
Sonate (1958)
Darius Milhaud
Sonatine (1960)*
Au gout français
Dimitri Nicolau
Sonate (2002)*
Vol. 3 TRO-SACD 01431
Mit der Wiederentdeckung des französischen Spätromantikers Benjamin Godard
hat das Trio Parnassus erneut einen wertvollen Schatz gehoben. Die Klaviertrios
des Komponisten waren zu Beginn des 20. Jahrhunderts in den europäischen
Salons äußerst populär und gefragt. Selbst der englische Kammermusik-Papst
W. W. Cobbett adelte die Werke vor 100 Jahren sogar als „entzückend und
ohne zu zögern empfehlenswert“.
Paul Hindemith
Studien (1916)*
Satz und Fragment (1925)*
Sonate op. 11 Nr. 6
(1918)
Sonate op. 31 Nr. 1 & 2
(1924)
Anatol Vieru
Capriccio (1997)*
Ü
ber Benjamin Godard ist selbst in der
einschlägigen Literatur wenig bekannt. Er
stammt aus gut situiertem Pariser Elternhaus und wurde als Wunderkind gerühmt. Schon
früh begann er mit dem Violinunterricht. Mit
16 Jahren schrieb er 1865 seine erste Sonate für
Geige und Klavier. Godard zählte zur Jeune
Académie Française, deren Mitglieder in ihre Werke einen französischen Tonfall einbringen wollten.
Europaweit hat sich Godard einen Namen als
Benjamin Godard
Sämtliche Klaviertrios: Trio op. 32, g-Moll
Trio op. 72, F-Dur; Berceuse des Jocelyn
Trio Parnassus
MDG 303 1615-2
hervorragender Sinfoniker und Opernkomponist
gemacht. Höchste Ehren wurden ihm zuteil, als er
1887 als Professor ans Pariser Conservatoire berufen wurde. Sicherlich würde er in der Musikgeschichte eine größere Rolle spielen, wenn er nicht
im frühen Alter von 45 Jahren gestorben wäre.
Godards Klaviertrios aus den Jahren 1880
und 1884 sind zur Aufführung in den bürgerlichen Salons gedacht und erfreuten sich einer
großen Beliebtheit. Lyrische Abschnitte wechseln in den Werken mit hochdramatischen Einfällen. Selbstverständlich werden die Virtuosität
und Klangsinn der Instrumentalisten aufs Höchste gefordert. Als hübsche Dreingabe enthält
diese Aufnahme die Berceuse aus der Oper
„Jocelyn“, ein so raffinierter Einfall, dass sie als
ständiges Repertoire in zahllosen Bearbeitungen
auch heute immer wieder zu hören ist.
Mit mehr als 30 Einspielungen im MDG-Katalog
haben der Pianist Chia Chou, Yamei Yu (Violine)
und Michael Groß (Cello) längst bewiesen, dass
sie mit dem Berg Parnaß im Namen ihres Trios
zurecht die Nähe zum Orakel von Delphi gesucht
haben: Ihre Vorahnungen erwiesen sich immer
wieder als Volltreffer, wenn sie bis dato unbekannte Komponisten oder in Vergessenheit geratene Musik in exzellenter Qualität und – wie in
diesem Fall – mit feinstem französischem Esprit
zubereiten. Bon appétit! Thomas Trappmann
AUSGABE 2010/2
15
Wladimir Martynow
Partita (1976)*
Vol. 4 TRO-SACD 01433
Ernest Bloch
Suite Nr. 1 & Nr. 2 (1958)
Igor Strawinsky
Élégie (1944)
Grażyna Bacewicz
Vier Capricen (1968)
Aram Chatschaturjan
Sonate-Monolog (1975)
Alfred Schnittke
a paganini (1982)
NEU! Vol. 5
TRO-SACD 01436
Sergej Prokofjew
Sonate op. 115 (1947)
Ljubica Marić
Sonata fantasia (1929)
Grażyna Bacewicz
Sonate (1941)*
Polnische Caprice (1949)
Caprice Nr. 2 (1952)*
Eduard Tubin
Sonate (1962), Suite (1979)
Edison Denissow
* WELTERSTEINSPIELUNG
Sonate (1978)*
“…eine kluge, abwechslungsreiche Zusammenstellung,
mit geradezu unendlicher Ausdruckspalette, tonschönes
Spiel, bewundernswert sauber intoniert und mit genau
Klassik heute
dosierter Intensität.“
Vertrieb: Klassik Center
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Hut ab, Ihr Herren, ein Genie …
… überschrieb Robert Schumann 1831 in der Leipziger
„Allgemeinen Musikalischen Zeitung“ seine Kritik eines jungen
polnischen komponierenden Pianisten – Frédéric Chopin.
Józef Elsner
F
Robert and Clara Schumann
rédéric Chopin wurde 1810 in Żelazowa Wola
geboren; sein zweihundertster Geburtstag ist
also dieses Jahr zu feiern. Ein willkommener
Anlass für Künstler und Label, Aufnahmen
seiner Werke neu zu produzieren oder wieder zu
veröffentlichen, und ein willkommener Anlass für
CLASS aktuell, den Künstler zu würdigen und diese
Veröffentlichungen auch vorzustellen.
Chopin war ein absolutes Wunderkind. Schon als
Achtjähriger trat er öffentlich auf und konzertierte in
den Folgejahren regelmäßig in den musikalischen
Salons des polnischen Adels.
Ab 1826 studierte er am Warschauer Konservatorium Kontrapunkt, Musiktheorie, Generalbass und
Komposition bei Józef Elsner. 1829 beendete er seine
Studien und begann eine internationale, sofort sehr
erfolgreiche Konzertkarriere. Neben Warschau waren
Wien und Paris seine bevorzugten Aufenthaltsorte.
1831 siedelte er schließlich endgültig nach Paris über;
er bezeichnete die Stadt als „die schönste aller Welten“.
Seinen Lebensunterhalt finanzierte er mit Konzerten
und zunehmend auch als Klavierlehrer und durch
Auftragskompositionen. Er konnte, für einen Musiker
ungewöhnlich, durchaus gut davon leben. Immerhin
konnte er sich eine Kutsche und Diener leisten.
In Paris machte er eine Vielzahl von Bekanntschaften; zu seinem Freundeskreis zählten Liszt, Hiller,
de Musset, de Balzac, Delacroix, Heine und – die SchriftPortrait Frédéric Chopins
von 1838; ursprünglich
mit abgebildet: George Sand
(dieser ebenso erhaltene
Teil wurde abgetrennt);
Gemälde von Eugène
Ferdinand Victor Delacroix,
Franz Liszt
Felix
Mendelssohn
Bartholdy
George Sand, langjährige
Lebensgefährtin Chopins;
Gemälde von
Auguste Charpentier
16
AUSGABE 2010/2
CLASS a k t u e l l
Frédéric Chopin, Radierung
Komponierender
Virtuose
Im 19. Jahrhundert war der Typ des komponierenden Virtuosen durchaus häufig, und natürlich
wurde vorwiegend für das eigene Instrument komponiert (wobei oft genug die Grenze zwischen
ausgearbeiteter Komposition und aufgezeichneter
Improvisation fließend ist). Aber kaum einer dieser
komponierenden Virtuosen war so einseitig auf sein
Instrument fixiert wie Chopin. Zwei Klavierkonzerte
und eine große Zahl von Werken für Klavier solo
hat er hinterlassen. Das Cello gehörte noch zu den
Instrumenten, die ihn interessierten; seine Werke für
Cello und Klavier vermögen immerhin eine CD zu füllen. Und dann gibt es noch eine Reihe von Liedern,
die er aber nicht veröffentlicht wissen wollte.
Das ungarische Label Hungaroton nimmt das
Chopin-Jubiläum zum Anlass für eine Neuausgabe
sämtlicher Werke. Stütze des Unternehmens ist
der ungarisch-italienische Pianist Alex Szilasi, der
bereits die Polonaisen und Mazurken ohne Opuszahl
(HCD 32471), die Mazurken (HCD 324569) und die
Walzer (HCD 32468) und damit drei bedeutende
Genres in Chopins Klavierschaffen eingespielt hat.
Sowohl die Polonaise wie die Mazurka wären
ohne Chopins grundlegende Beiträge wohl Randnotizen der Musikgeschichte geblieben, Tanzmusik auf
Hochzeiten und Volksfesten, wofür diese Formen Verwendung fanden. Chopin entwickelte die schlichten
Vorlagen zu kompositorischen Meisterwerken, indem
er keinen Parameter unangetastet ließ – Melodig,
Rhythmik, Dynamik, alles wurde zwar nicht umgekrempelt, aber im Sinne pianistischen Virtuosentums
weiter entwickelt.
Von seinen Walzern sind 19 erhalten, doch zu seinen
Lebzeiten erschienen nur acht im Druck. Es ist erstaunlich, wie viele Gestalten diese Gattung in der Werkstatt
des Meisters annahm: angefangen von der einfachen,
gleichmäßig pulsierenden Tanzmusik und der glänzenden Virtuosität über die tiefe Melancholie bis hin
zu den rhythmisch aufgelockerten, freieren Melodien
inspirierte der Walzer Chopin zur Komposition verschiedenster Stimmung. Gerade diese Stücke waren
es, die ihm die Hochachtung der Pariser Gesellschaft in
den nachmittäglichen Salons sicherte. Manche seiner
Werke erfreuten sich immenser Beliebtheit.
Die Hungaroton-Serie entfaltet besonderen Reiz
dadurch, dass Szilasi auf einem originalen Instrument
der Pariser Klavierbaufirma Pleyel spielt. Die Flügel
aus dem Hause Pleyel waren damals europaweit
berühmt für ihre leichtgängige Mechanik und ihren
warmen, samtigen Ton. Chopin war von den Instrumenten Pleyels so begeistert, dass er fast ausschließlich sie spielte. Das hier verwendete Instrument ist
zwar schon ein Flügel mit Gussrahmen und filzbezogenen Hämmern, während Chopin sicher noch auf
einem Hammerflügel gespielt haben dürfte – aber
immerhin: auch dieser spätere Pleyel erfordert piani-
200 Jahr Edition Chopin
Polonaisen op. 26, op. 61, op. 71 und
ohne op. / Marzuken ohne op.
Alex Szilasi, Pleyel-Fortepiano
HCD 32471 / Hungaroton
200 Jahr Edition Chopin
Mazurken opp. 6, 33, 41, 68
Alex Szilasi, Pleyel-Fortepianol
HCD 32469 / Hungaroton
Foto: © Peter Poradisch
stellerin George Sand, mit der er bis kurz vor seinem
Tod zusammenlebte. 1835 lernte er durch Vermittlung
Felix Mendelssohn Bartholdys in Leipzig Clara Wieck
und Robert Schumann kennen.
1838 bis 1839 hielt sich Chopin mit George Sand
und deren Kindern auf ärztlichen Rat in Mallorca auf.
Chopin hoffte auf Linderung im milden Klima (er litt
zeitlebens an Tuberkulose), die aber ausblieb – im
Gegenteil, im gar nicht so milden mallorcinischen
Winter fing er sich zusätzlich noch eine Lungenentzündung ein. Seine 24 Préludes op. 28 hat er
auf Mallorca komponiert. Das berühmt gewordene
„Regentropfen Prélude“ kann man also als durchaus
autobiographisch betrachten.
Ab 1847 wurde sein Gesundheitszustand immer
schlechter, die Trennung von George Sand, die in
diese Zeit fiel, dürfte nicht gerade hilfreich gewesen
sein, ihn zu stabilisieren. Zwei Jahre später starb
Chopin in seiner Wohnung in Paris, vermutlich an der
nie ausgeheilten Tuberkulose.
200 Jahr Edition Chopin
19 Walzer / 3 Ecossaisen
Alex Szilasi, Pleyel-Fortepiano
Frédéric Chopins Grab auf dem
Friedhof Pere Lachaise in Paris
AUSGABE 2010/2
HCD 32468 / Hungaroton
17
Ignaz Josef Pleyel war
ein österreichischer Komponist
und genialer Klavierfabrikant.
stisches Umdenken; so manche spieltechnischen
Angewohnheiten unserer Tage sind auf den alten
Instrumenten schlichtweg nicht ausführbar, und das
hat natürlich Einfluss auf die Interpretation (vom
Klang einmal ganz zu schweigen).
Ebenfalls auf einem Pleyel-Instrument hat das
ungarische Klavierduo Egri & Pertis Werke Chopins für
zwei Klaviere aufgenommen (Hungaroton HCD 31917).
Wobei auffällt, wie wenig Chopin für zwei Klaviere bzw.
vier Hände komponiert hat, obwohl ihm das Genre
alles andere als fremd war: Liszt, Moscheles und
Mendelssohn gehörten zu seinen Duopartnern. Die
wenigen überlieferten Werke werden hier eingespielt
auf einem Pleyel Double Grand, einer instrumentenbautechnischen Kuriosität, denn hier sind buchstäblich zwei Flügel mit je eigener Mechanik und eigenen
Saiten in ein gemeinsames Gehäuse eingebaut, was
erheblichen Einfluss auf den Klang hat. Durch die unmittelbare gegenseitige Anregung der Resonanzböden
entwickelt das Instrument einen umwerfend voluminösen Gesamtklang. Etwa 50 solcher Doppelflügel
hat Pleyel Mitte des 19. Jahrhunderts produziert, von
denen aber nur noch eine Handvoll erhalten ist.
Verbotene Lieder
Chopiniana
Duette und Klavierwerke
vierhändig gespielt auf dem
Pleyel Double Grand Piano
Egri & Pertis
Doch noch einmal zurück zur Chopin-Gesamtaufnahme auf Hungaroton: auch die Lieder liegen schon
vor (Hungaroton HCD32474). Szilasi begleitet hier
die Mezzosopranistin Alicja Wegorzewska-Whiskerd.
Wenn man der Einspielung lauscht, wird deutlich,
dass die Gattung des Liedes und Chopins eigentliche
Welt, seine Werke für Klavier, gar nicht so weit voneinander entfernt sind, wie man vielleicht denken
möchte. Denn Chopin denkt als Klavierkomponist
vokal: die volkstümlichen Mazurken, die Nocturnes,
Das ungarische Klavierduo Egri & Pertis
an einem Pleyel Double Grand
Julian Fontana, Schüler Chopins, veröffentlichte
Arbeiten Chopins
diese kleinen Formen, die vom „Poeten des Klaviers“
unsterblich gemacht wurden, können auch als Lieder
ohne Worte aufgefasst werden. Auch seine Lieder sind
geprägt von den Vorlagen der Volkstänze, die Chopin
immer wieder beschäftigten. Chopins Freund und Schüler Julian Fontana hat die wenigen Beiträge des Meisters zu diesem Genre 1859 im Druck herausgegeben.
Von der kleinen, intimen Form des Liedes ist es
ein großer Sprung zur Großform des Klavierkonzerts.
Zwei Beiträge hat Chopin zu diesem Genre geliefert.
Chopin schrieb seine Klavierkonzerte noch in
Warschau, 19- bzw. 20jährig selbstverständlich in erster Linie für sich selbst, wie es alle Virtuosen seiner
Zeit zu tun pflegten. Das Orchester ist in seinen Konzerten nicht mehr Dialogpartner, sondern Bühne.
Unmissverständlich tritt der Virtuose wie der Held
eines Dramas vor das Publikum...
Ist es in der Tat die „Poesie“ Chopins, die dafür
sorgte, dass seine Werke nicht im üblichen Tasten-
HCD 31917 / Hungaroton
200 Jahr Edition Chopin
Sämtliche Lieder
Alicja Wegorzewska-Whiskerd,
Mezzosopran
Alex Szilasi, Pleyel-Fortepiano
HCD 32474
18
AUSGABE 2010/2
CLASS a k t u e l l
geklingel der Zeit untergingen? Schumann hatte die bei ihren Aufnahmen für MDG mit leichter Hand
kommen sehen, dass sie jede Konkurrenz überleben die Sahnestücke der Klavierliteratur neu erfahrbar
würden – und er hatte sich auch in diesem Punkt macht. Hier sind es Scherzi und Nocturnes des großen
wieder einmal nicht geirrt...
polnischen Komponisten, die die Pianistin auf einem
Bei aller Grandezza seiner Konzerte versteckte Steinway-Flügel von 1901 in unnachahmlicher IntenChopin darin doch geheime, sublime Botschaften: Im sität präsentiert und dabei dem Instrument schier
f-Moll-Konzert bekennt er sich zu einer „Träumerei in unglaubliche Klangkaskaden entlockt, mit denen sie
einer schönen, mondbeglänzten Frühlingsnacht“ – einen weiteren Meilenstein ihrer steilen Karriere setzt.
eine unausgesprochene Widmung an die Sängerin
Frédéric Chopin hat seit jeher viele Bewunderer.
Konstantia Gladkowska, in die er noch in seiner Franz Liszt nannte ihn einst „epochemachend, kühn,
Warschauer Zeit unsterblich verliebt war.
glänzend und berückend“. Dieses Urteil gilt besonEine besondere Einspielung der oft aufgenommenen ders für die hochvirtuosen Scherzi Chopins: Mit den
Klavierkonzerte ist beim Detmolder Label Dabringhaus vier zwischen 1831 und 1843 entstandenen Stücken
& Grimm erschienen. Christian Zacharias leitet vom hat der Komponist ein Terrain betreten, das in dieser
Klavier aus das Orchestre de Chambre de Lausanne Form bislang unberührt war.
(MDG 340 1267-2). Die erfolgreiche Zusammenarbeit
Elisabeth Leonskaja nimmt diese Herausforderunzwischen dem Orchestre de Chambre de Lausanne gen mit Bravour. Einen brillanten Zugriff mit Freude
und MDG trägt hier besonders delikate Früchte: an der Subtilität der Melodien verbindend, stellt sie
Chopins Klavierkonzerte werden „nach Art des Hauses“ eine bestechende Fülle von spielerischen Nuancen zur
– meisterhaft, sensibel
Schau. Wilde forte-Ausund klangsinnig – aufbrüche etwa fügen sich
gelegt: eigenhändig und
glaubhaft in das Gesamtmit hörbarer Spielfreugeschehen ein. Andererde und kammermusiseits fehlt es ihr bei allem
kalischer Eleganz von
Sinn für den Liebreiz
Christian Zacharias.
perlender Passagen nicht
Fast eine Ergänan Energie für notwendizung zu dieser Einspieges motorisches Drängen
lung, deren besonderer
und Poesie. In solchen
klanglicher Reiz vom
Momenten weiß man, wakleinen Orchester lebt,
rum diese Pianistin wirkbildet die BIS-CD-847,
lich zu den besten zählt
vor nunmehr 14 Jahren
(MDG 943 1558-6).
Raum mit Chopins Klavier in Valldemossa, Mallorca
erschienen und seinerWie Frédéric Chopin
zeit ein großer Verkaufsvon großen Interpreten
erfolg. Chopin selbst schwebten zwei verschiedene noch vor etwa 100 Jahren aufgefasst wurde, dokuBesetzungsmöglichkeiten für diese Konzerte vor, mentiert eindrücklich ein bei Dabringhaus & Grimm
nämlich Klavier mit Orchester oder aber Klavier mit erschienener „Rollentausch“: Neun Pianisten spielen
Solostreichern, also einem Streichquintett. Solche Chopin (MDG 645 1402-2). Sie haben ihre AufnahKammermusikarrangements waren zu Zeiten, die men im ersten Viertel des 20. Jahrhunderts einer
noch keine mechanischen Musikkonserven kannten, Notenrolle anvertraut. Ein hervorragend restaurierter
unbedingte Voraussetzung dafür, sich großbesetzte Bösendorfer-Flügel mit Ampico-Selbstspielmechanik
Werke auch im häuslichen Kreis aneignen bzw. im lässt die Interpretationen erstmals wieder neu erklinräumlich kleinen musikalischen Salon adäquat auf- gen. Faszinierendes Ergebnis dieser Auferstehung
führen zu können. Fumiko Shiraga unternahm zu- längst verschollen geglaubter Klänge ist Vol. 2 der
sammen mit dem Yggdrasil Quartet seinerzeit erst- Player-Piano-Serie bei MDG, herausgegeben von dem
mals den Versuch, diese Kammermusikfassungen der unermüdlichen Jürgen Hocker. Es sind allesamt
Öffentlichkeit vorzustellen. Der virtuose Charakter Pianisten, die exklusiv für die amerikanische Firma
des Soloparts kommt hier noch dramatischer zum Ampico gespielt hatten und somit auf anderen SysteAusdruck als in der Orchesterversion.
men nicht zugänglich sind. Zu diesen „unerhörten“
Apropos virtuoser Charakter: natürlich sind Chopins Künstlern gehören Moriz Rosenthal, Mischa Levitzki,
Werke Prüfsteine für Pianisten und Pianistinnen mit Alfred Mirovitch, Mieczyslaw Münz und Leo Ornstein.
Ambition, das erklärt auch die Vielzahl der AufnahEugen d’Albert, Alfred Reisenauer und Ferruccio
men. Eine solch Ambitionierte ist Elisabeth Leonskaja, Busoni bilden die direkte Liszt-Nachfolge. Leopold
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Klavierkonzerte Nr. 1 + 2
Christian Zacharias, Klavier und Leitung
Orchestre de Chambre de Lausanne
MDG 340 1267-2
Die 2 Klavierkonzerte in Kammerversion
Fumiko Shiraga, Klavier
The Yggdrasil Quartet
Jank-Inge Haukås, Kontrabaß
BIS-CD-847 (Ersteinspielung)
Scherzi / Nocturnes
Fantaisie impromptu
Elisabeth Leonskaja, Klavier
MDG 943 1558-6 (Hybrid-SACD)
Player Piano 2
Chopin gespielt von berühmten
Pianisten um 1900;
Bösendorfer-Ampico-Selbstspielflügel
MDG 645 1402-2
Godowsky war besessen von der technischen Perfektion, die er als wichtige Voraussetzung für eine künstlerische Interpretation betrachtete. Während sein
Spiel in privatem Kreis „einmalig und überwältigend“
war, litt er bei öffentlichen Konzerten unter Lampenfieber – und es gelang ihm selten, das Publikum zu
begeistern. Die hier eingespielte Ballade op. 47 zeigt
ihn von seiner besten Seite…
Nicht ein einziges Mal hat Leo Ornstein fürs
Grammophon gespielt. Der aus Sankt Petersburg stammende und erst 2002 im Alter von 109 Jahren in den
USA verstorbene Pianist spielte sein langes Leben lang
ausschließlich Ampico-Notenrollen ein – seine oft ebenso eigenwilligen Interpretationen wären beinahe verschollen geblieben. Ornsteins Spiel zeigt alle Eigenarten
damaliger Interpretationen: sehr freier Umgang mit
den Tempi, ausgeprägte Rubati, Arpeggieren von BassAkkorden oder freies Hinzufügen von Füllstimmen…
Schelack-Schätze
Frédéric Chopin im Jahr 1849
– diese Fotografie soll die einzige
von ihm sein
Wilhelm Backhaus spielt Chopin
Sämtliche Etüden opp. 10 und 25
Sonate Nr. 2 op. 35
IDIS 6559
Wilhelm Kempff spielt Chopin
Ballade Nr. 3 / Fantasie f-moll op. 49 /
Impromptu As-dur op. 29 /
Berceuse Des-dur op. 57 u.a.
IDIS 6555
Historische Aufnahmen allerdings etwas jüngerer
Zeit finden sich im Programm des italienischen Labels
IDIS. Sämtliche Etüden mit Wilhelm Backhaus finden
sich auf IDIS 6559. Backhaus, 1884 in Leipzig geboren, war Zeitgenosse von Bartók und Stravinsky,
Picasso und Braque, Le Corbusier und Gropius, Joyce
und Kafka und ein sehr modern eingestellter Künstler.
Mit nur 20 Jahren gewann er den Rubinstein Preis
und bis zu seinem Tod war er weltweit auf Konzertpodien aktiv. Von der Kritik wurde er als kühl und
distanziert beschrieben, und sicherlich stimmt das
auch. Als erster Pianist nahm Backhaus 1928 das
Gesamtwerk Chopins auf; die CD verwendet Aufnahmen von 1928 und 1950 in neuem Remastering.
Ein anderer großer deutscher Pianist findet sich
auf IDIS 6555. Wilhelm Kempff, der über sechzig
Jahre lang immer wieder Aufnahmen machte, war vor
allem berühmt für seine Interpretationen der Werke
von Beethoven und Schubert. Seine Chopin-Einspielungen wurden weniger beachtet, dabei sind
insbesondere diejenigen aus den 50er Jahren exzellent – die hier vorgestellte mit einem bunten Programm quer durch Chopins Klaviermusik stammt
aus dem März 1958. Bei Kempff wird Chopin entromantisiert, seine klassischen Wurzeln freigelegt,
und daher klingen seine Interpretationen sehr frisch
und eigenständig.
Einer der großen Protagonisten der Musikszene
des 20. Jahrhunderts, der über fünfzig Jahre dominierende Pianist Vladimir Horowitz, war sehr wählerisch,
wenn er Chopin spielen sollte. So gibt es auch nur entsprechend wenig Einspielungen. Die auf IDIS 6495
zusammengetragenen stammen aus den Jahren 1932
bis 1951. Ein unvergessliches Hörerlebnis.
20
oben: Skizzenblatt und erste Seite von
Chopins Manuskript der Berceuse Des-Dur op. 57
Das gilt auch für die Live, Rundfunk- und Studioaufnahmen mit dem unvergessenen Dinu Lipatti
(IDIS 6397). In dieser aus drei CD bestehenden Sammlung findet sich das erste Klavierkonzert und ansonsten
vor allem Walzer, Walzer, Walzer. Der dokumentarische
Wert dieser Einspielung ist nicht gering zu schätzen,
denn sie enthält alle überhaupt bekannten Aufnahmen
des polnischen Komponisten durch den rumänischen
Pianisten. Ähnlich Kempff verfolgt er einen ganz unromantischen Ansatz, der den Werken und ihrer
Durchhörbarkeit letztlich zugute kommt.
Schatzgräber
Dass die Pianisten von der Kunstfertigkeit der
chopinschen Kompositionen am meisten profitierten,
ist hinlänglich bekannt und liegt auch – man verzeihe
das Wortspielchen – auf der Hand. Dass aber immer
wieder gerade die Geiger vom Genie Frédéric Chopins
Besitz ergriffen und dabei gern die Pianisten zu Statisten degradierten, ist eine Kuriosität der Musikgeschichte, auf einer Dabringhaus & Grimm-Produktion
(MDG 603 1296-2) eindrucksvoll dargestellt von
der polnischen Geigerin Joanna Madroszkiewicz und
ihrem Wiener Partner Paul Gulda.
Sarasate gilt in der Szene nicht gerade als zimperlich, was die Handhabung von Urheberrechten angeht:
Kritiker konnten ihm nachweisen, daß nur 24 Takte
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seiner berühmten „Zigeunerweisen“ auf ihn zurückgehen. Seine Bearbeitungskunst hatte nun wieder
geniale Züge – der Mann, der sich weigerte, Brahms’
Violinkonzert zu spielen (weil er sich nicht die einzige
Melodie in dieser Komposition von der Oboe vorblasen lassen wollte), „komponierte“ nach Herzenslust Chopins Walzer und Nocturnes...
Anders als Sarasate bereicherte Kreisler sein
Repertoire an Zugabestücken durch wirkliche Eigenkompositionen. Die jedoch schrieb er gern unbekannten Komponisten zu (Nicht selten dachte er sich
dabei auch schöne Namen aus). Als Chopin-Bearbeiter
hatte er den Schalk nicht minder im Nacken...
Ein breitgefächertes Repertoire macht die junge
polnische Künstlerin Joanna Madroszkiewicz zu
einer Ikone unter den Violinvirtuosen unserer Zeit.
1994 wurde ihr das Offizierskreuz für Verdienste
um die Republik Polen verliehen. Sie debutierte 1998
bei MDG mit vielbeachteten Einspielungen der virtuosesten Werke Wieniawskis. Paul Gulda steht in der
Nachfolge seines berühmten Vaters. Der hochbegabte
Pianist beschreitet gerne abgelegene Repertoirepfade
und belegt eins um andere Mal, dass er das ihm
zugeschriebene Bonmot beherzigt: „Es heißt Klavier-
spiel, nicht Klavierkampf.“
Chopin selbst hat die Streicher ja nicht gerade
verwöhnt. Wie bereits erwähnt, gibt es lediglich einige
Kammermusik für Cello (abseits eines Klaviertrios
und einem Variationszyklus für Flöte), der daher ein
besonderer Stellenwert im Gesamtwerk zukommt.
Was mag ihn, der doch eigentlich nur für den Eigenbedarf, also fürs Klavier, komponierte, an diesem
Instrument so fasziniert haben? War es der Umstand,
dass das Cello wie kaum ein anderes Instrument die
menschliche Stimme imitieren kann? Immerhin war
Chopin zeitlebens ein glühender Anhänger der belcanto-Oper. Antony Cooke, Cello, und Armin Watkins,
Klavier, haben auf Centaur CRC 2956 die drei
Originalwerke (Sonate, Introduction und Polonaise
Brillante, Grand Duo Concertante) eingespielt, die hier
ergänzt werden durch Adaptionen von Glazounov (zwei
Etüden) und Nocturnes (Taniev, Watkins, Heifetz).
Umfangreich wie Chopins Schaffen ist natürlich
auch die Zahl ihrer Einspielungen, nicht aber der zur
Verfügung stehende Platz – und so müssen wir unseren
kleinen Rundgang durch die Aufnahmen von Werken
eines der faszinierendsten Klavierkünstler des 19. Jahrhunderts an dieser Stelle beenden.
A. Rainer
Berceuse/Barcarolle
Stephen Hough
CDA 67764 / Hyperion
CDA 67706 / Hyperion
IDIS 6495
Die Chopin-Aufnahmen 1941-1950
Etüden, Mazurken, Walzer,
Nocturnes, Klavierkonzert Nr. 1
Dinu Lipatti, Klavier
Weitere empfehlenswerte Einspielungen:
Klaviersonaten 2 & 3, 2 Nocturnes,
Berceuse, u.a.
Marc-Andre Hamelin
Wladimir Horowitz spielt Chopin
Etüden, Mazurken,
Nocturne op. 15,2, Polonaisen,
Sonate Nr. 2 op. 35 u.a.
IDIS 6397
Vol.1: Nocturnes, Scherzi,
Sonate H-moll
Louis Lortie
Arrangements für Violine und Klavier
Joanna Madroszkiewicz, Violine
Paul Gulda, Klavier
CHAN 10588 / Chandos
MDG 603 1296-2
Homage to Chopin
Sämtliche Werke für Cello und Klavier
Antony Cooke, Violoncello
Armin Watkins, Klavier
Bolero, Allegro de Concert,
Polonaise
Nikolai Demidenko
6 polnische Lieder (Transkr. v. F. Liszt)
12 Etüden Op. 10 / 12 Etüden Op. 25
Luiza Borac, Klavier
Sonate 3, Fantasie op.49,
Fantasie Impromptu
Nikolai Lugansky
NIFCCD 014
AV 2161 / Avie Records
ONYX 4049
CRC 2956 / Centaur
Im Blickpunkt
Orchester und Konzert
Anton Dvořák
Requiem / Sinfonie Nr. 8
Thomas Quasthoff – Krassimira –
Stoyanova – Mihoko Fujimura –
Klaus Florian Vogt, Gesang
RCO / Mariss Jansons, Leitung
Franz Schubert (1797-1828)
Symphonie Nr. 8 h-Moll
„Unvollendete“
Symphonie Nr. 9 C-Dur „Große“
Swedish Chamber Orchstra
Thomas Dausgaard, Ltg.
RCO 10001 / RCO Live
BIS-SACD-1656
Neben seiner Tätigkeit als Chef des
Sinfonieorchesters des Bayerischen Rundfunks fungiert Mariss Jansons auch als
Chefdirigent des Concertgebouw Orchesters in Amsterdam. Viele seiner Aufführungen mit diesen Orchestern wurden
in den letzten Jahren als Meilensteine
bezeichnet. In den Jahren 2007 und 2008
widmete er sich gemeinsam mit dem
Concertgebouw Orchester dem Requiem
und der 8. Sinfonie von Anton Dvořák.
2008 haben Dausgaard und das
Swedish Chamber Orchestra mit großem
Zuspruch durch Kritik und Publikum
ihren Zyklus der Schumann-Symphonien
veröffentlicht. Auf klassik.com war zu lesen, dass es sich hierbei wohl um die neue
Referenzeinspielung handele, und der
Kritiker der International Record Review
meinte, dies sei der beste SchumannZyklus seit über 30 Jahren. Die Trauben
hängen also hoch für die Interpreten,
wenn sie nun auch Schubert ihrer (wohltuenden) Verschlankungskur unterziehen:
weg vom oft klebrigen, romantischen
Kleistersound großbesetzter Orchester,
hin dafür zu einer transparenten, mit kleiner Besetzung musizierten Interpretation,
die den Möglichkeiten und Intentionen
insbesondere der Frühromantiker weit
mehr entsprechen dürfte: das Schwedische
Kammerorchester in Örebro besteht
„nur“ aus 38 MusikerInnen.
Hochkarätig:
Thomas Quasthoff
Aus zwei Konzertzyklen stammen die
Mitschnitte zur neuen Live-CD, auf der
der eigens angereiste Wiener Singverein
und eine hochkarätig besetzte Sängerriege zu hören sind. Neben Krassimira
Stoyanova, Mihoko Fujimura und Klaus
Florian Vogt singt Thomas Quasthoff die
Basspartie in Dvořáks Requiem.
Seine Totenmesse teilte Dvořák in
zwei Teile: der erste, von leise klagender
Trauer geprägt, wird vom tröstenden
zweiten Teil abgelöst, aus dem Vertrauen
und Ergebenheit hervortreten.
Wieder sehr viel stärker von seiner
böhmischen Heimat geprägt, ist Dvořáks
8. Sinfonie. Hier lässt Dvořák eine volkstümlich anmutende Melodie der anderen
folgen. Dramatische Wendungen und
eigenwillige Rhythmen unterbrechen die
Idylle. Selbstbewusst und voller Inspirationen ver-arbeitete Anton Dvořák seine
Ideen. Mit den fabelhaften Interpreten
wurden die Konzertabende einmalige
Erlebnisse und setzen die Serie RCO-live
fort, die dem Hörer Sternstunden aus dem
Königlichen Concertgebouw präsentiert.
Auf Diät
1995 wurde es gegründet, und seit
1997 ist Thomas Dausgaard sein Chefdirigent. Neben Schubert und Schumann
hat dieses Team auch schon Beethoven
und Brahms seinen Entschlackungskuren
unterzogen. Nun also die beiden späten
Sinfonien Schuberts, die mit ihrer neuartigen Konzeption von Schumann und
Mendelssohn als legitime Nachfolger und
Weiterführungen des Beethovenschen
Erbes angesehen wurden.
22
Antonín Dvořák
Sinfonie Nr. 6 op. 60
Ouvertüren: In der Natur op. 91,
Carneval op. 92,
Othello op. 93
Dortmunder Philharmoniker
Jac van Steen, Ltg.
Igor Stravinsky
Monumentum, Mass,
Symphonie De Psaumes
Royal Flemish Philharmonic / Philippe
Herreweghe, Leitung
Collegium Vocale Gent / Christoph
Siebert, Leitung
MDG 601 1601-2
PTC 5186349 / Pentatone (SACD)
Dass nach mehr als 120-jähriger Tradition eines Orchesters die erste Schallplatte den Weltmarkt erreicht, ist schon
eine Besonderheit. Vielleicht liegt das an
dem erst vor wenigen Jahren bezogenen
Konzerthaus. Jedenfalls glänzen die Dortmunder Philharmoniker und ihr neuer
GMD Jac van Steen mit einer fabelhaften
6. Sinfonie von Antonin Dvořák, die ergänzt wird durch drei eher selten aufgeführte Konzertouvertüren op. 91 – 93 zu
einem mehr als 80-minüten Klangrausch.
Durch das Oeuvre Igor Strawinskys
zieht sich der rote Faden einer Rückbesinnung. Seine Beschäftigung mit Stilen
vorangegangener Jahrhunderte und seine
Begeisterung für diese Musik schlägt
sich bekanntermaßen in vielen seiner
Kompositionen nieder. Die drei Werke,
die Philippe Herreweghe auf seiner
neuesten SACD eingespielt hat, sind eben
durch diesen roten Faden miteinander
verbunden. An barocken und klassischen
Formen im Rahmen des Neoklassizismus
orientiert sich Strawinsky in seiner Psalmensinfonie. Hier sticht besonders die
Holzbläser-Fuge zu Beginn des zweiten
Satzes heraus. Die ungewöhnliche Besetzung mit ausschließlich tiefen Streichern,
Bläsern, Schlaginstrumenten und zwei
Klavieren erinnert in ihrem unverwechselbaren Klang an eine Orgel. Der individuelle Charakter des Chores geht auf
Strawinksys Kenntnisse geistlicher Musik
der orthodoxen Kirche zurück. Die
scheinbar einfach aufgebaute Messe ist
von einer ungewohnten, archaischen
Strenge und Gefasstheit.
Hier knüpft Strawinsky an die erste
Mehrstimmigkeit des frühen Mittelalters
an. Das „Monumentum pro Gesualdo
Venosa ad CD Annum“ ist eine freie
Adaption von drei fünfstimmigen Madrigalen des Venezianers Carlo Gesualdo.
Strawinsky schrieb das Monumentum
zum Gedenken an den 400. Geburtstag
Gesualdos. Nicht nur dessen Kompositionen, auch die Person Gesualdos faszinierte Strawinsky. Er setzte die Vokalwerke für kleines Orchester in moderne
Klangfarben um. Philippe Herreweghe
legt hier eine Weltersteinspielung vor!
Mutiges Debüt
Nach erfolgreicher Aufführung von
Dvořáks dritter „Slawischer Rhapsodie“ in
Wien sollte der Böhme für die folgende
Konzertsaison eine Sinfonie abliefern, die
dem Geschmack des von Beethoven- und
Brahms-Kompositionen verwöhnten Wiener Publikums entsprechen sollte. Dvořák
gelang das Kunststück. Er würzte seine
„Sechste“ mit Parallelen zu der 2. Sinfonie von Brahms und Anspielungen an die
Sinfonik Beethovens, gab ihr aber dennoch eine eigene musikalische Individualität. Zur Uraufführung in Wien reichte es
Ende 1880 aber nicht: Der beginnende
böhmische Nationalitätenstreit ließ es
doch nicht opportun erscheinen, die
Werke eines Tschechen in zwei aufeinander folgenden Spielzeiten zur Aufführung zu bringen...
Zehn Jahre später lässt Dvořák seiner
Vorliebe für die Poesie in der Musik
freien Lauf. In seiner KonzertouvertürenTriologie „Natur, Leben und Liebe“ schildert er eindrucksvoll die verschiedenen
Seiten menschlichen Daseins. Dass sie
endlich einmal zusammen erscheinen ist
ein weiteres Plus dieser Einspielung.
AUSGABE 2010/2
CLASS a k t u e l l
Orchester und Konzert
Ulrich Leyendecker gehört zu den wichtigsten deutschen Komponisten seiner Generation. Er nahm bereits als Jugendlicher
privaten Kompositionsunterricht. 1965-70
studierte er an der Musikhochschule Köln
bei Günter Ludwig Klavier und bei Rudolf
Petzold Komposition, nahm an den Darmstädter Ferienkursen für Neue Musik teil
und beschäftigte sich intensiv mit seriellen
Kompositionstechniken, ohne sich jedoch
damit nachhaltig zu identifizieren. 1971
erfolgte ein Ruf als Theorielehrer an die
Hochschule für Musik Hamburg, wo
Leyendecker 1981 Professor für Musiktheorie und Komposition wurde. Von 1994
bis 2005 war er in gleicher Position an
der Musikhochschule Mannheim-Heidelberg tätig und lebt seither als freier Komponist. Er erhielt zahlreiche Ehrungen:
u.a. Stipendien der „Villa Massimo“ in
Rom und der „Cité Internationale des
Arts“ in Paris, die Mitgliedschaft in der
freien Akademie der Künste in Hamburg
und den „Eduard van der Heydt-Preis“
seiner Heimatstadt Wuppertal.
Leyendeckers Œuvre beinhaltet Sinfonien und Solokonzerte, Kammermusik
und viele Werke für Soloinstrumente.
Leyendeckers Musik zeichnet sich
durch spannungsgeladene Lebendigkeit
und klangsinnliche Farbigkeit aus. Sie
bewahrt eine „Rest-Tonalität“ und entwickelt aus kurzen Grundgestalten großbögige Formverläufe. Seine stets polyphone Musik vollzieht sich in Metamorphosen dieser Grundgestalten. Eine sehr
eigene Stimme unserer Zeit.
CDA 67798 / Hyperion
In fast allen Werken von Henri Vieuxtemps spielt die Geige eine zentrale Rolle,
selbst in seinen Kammermusikwerken.
Dennoch lag es dem in Lüttich geborenen
Komponisten und Geiger nicht daran, mit
Virtuosität zu brillieren oder technische
Finessen in den Vordergrund zu stellen.
Sein 4. Violinkonzert, das Vieuxtemps
selber als sein Bestes beurteilte, wurde
von Hector Berlioz als „Sinfonie mit
Solovioline“ bezeichnet. Tatsächlich ist
Vieuxtemps’ Orchestersatz ebenso selbstbewusst und einfallsreich wie seine
Behandlung der Geige, obwohl es eindeutig bleibt, dass das Soloinstrument der
Protagonist des Dramas ist. Für das
Brüsseler Konservatorium komponierte
Vieuxtemps sein Violinkonzert Nr. 5.
Romantische
Studien
Es sollte als Prüfungsstück den bereits
fortgeschrittenen Studenten alle Fähigkeiten abverlangen. Das Violinkonzert wurde
so erfolgreich, dass es sich im Repertoire
gehalten hat und fast noch populärer ist,
als das vierte Violinkonzert. Es ist auch als
„Grétry-Konzert“ bekannt, da Vieuxtemps
eine Melodie dieses Komponisten im
langsamen Satz zitiert. Viviane Hagner
und das Royal Flemish Philharmonic
unter Martyn Brabbins fügen in ihrer
Einspielung diesen beiden Violinkonzerten außerdem die Fantasia appassionata
op. 35 hinzu. Die erfolgreiche Reihe
„The Romantic Violin Concerto“ des
Labels Hyperion erfährt damit eine weitere außergewöhnliche Bereicherung.
Die aus München stammende Geigerin
Viviane Hagner gehört zweifelsohne zu
den jungen, bereits etablierten Geigerinnen, die durch herausragendes Talent
und inspiriertes Spiel überzeugen.
AUSGABE 2010/2
23
Wenn Haydn für Oboe
geschrieben hätte..., Vol. 2:
Konzert für Violine, Oboe und
Orchester F-Dur; Quartett F-Dur
op. 50,5 („Der Traum“); Konzert
für Oboe und Orchester G-Dur
Alexej Utkin, Oboe
Hermitage Chamber Orchestra
CM 0012007 / Caro Mitis
(SACD hybrid)
In einem der auf dieser SACD enthaltenen Stücke (dem Doppelkonzert) wird
der Cembalo-Part von der Oboe übernommen, in den beiden anderen die Violinstimme. Die Idee, diese Stücke so zu vereinen, stammt vom dem hervorragenden
Oboisten Alexej Utkin. Er hat versucht, sich
vorzustellen, wie Haydn (von dem praktisch keine Werke für Oboe überliefert
sind) für dieses Instrument wohl komponiert haben würde. Übrigens waren
im 18. Jahrhundert Arrangements weit
verbreitet und Oboenvirtuosen sehr gefragt. So sind Utkins Bearbeitungen also
durchaus auch schon zwei Jahrhunderte
früher vorstellbar. Die beiden Konzerte
entstanden Ende der 1760er Jahre. Haydn
arbeitete damals am Hof der Fürsten
Eszterházy; 1766 wurde er Kapellmeister
und war damit für alle musikalischen
Ereignisse am Fürstenhof verantwortlich.
Cellosinfonie, Cellosuite Nr. 1
Flanders Symphony Orchestra
Seikyo Kim, Dirigent
ONYX 4049
M 55720 / Musicaphon
Henry Vieuxtemps
The Romantic Violin Concerto Vol. 8
Viviane Hagner, Geige
Royal Flemish Philharmonic
Martyn Brabbins, Leitung
Sonate Nr. 3, Fantasy Impromptu
Walzer c-moll, Prelude c-moll
Scherzo No. 4, Nocturne op. 15/1
Reizender
Morgensegen
Offenbar waren die Konzerte für die
„Hofakademien“ bestimmt. Das Quartett
F-Dur gehört zu den sogenannten
„Preußischen Quartetten“, die 1787 entstanden. Die Reife und Gestaltung dieser
Werke ist auch heute noch jeder Bewunderung wert – man muss ja vielleicht
nicht so weit gehen wie der Komponist,
Pianist und Dirigent Ferdinand Hiller, der
vor 130 Jahren schrieb: „Seit einiger Zeit
beginne ich mein Tagwerk mit einem reizenden Morgensegen – ich lese täglich
ein Quartett von Haydn, dem frommsten
Christen kann ein Capitel aus der Bibel
nicht wohler thun.“
ONYX 4051
Ulrich Leyendecker (*1946)
Konzert für Gitarre und Orchester
(2005); Evocazione (2006)
Sinfonie Nr. 4 (1997)
Maximilian Mangold, Gitarre
Nordwestdeutsche Philharmonie,
Romely Pfund
SWR Rundfunkorchester Kaiserslautern, Per Borin
Radio-Sinfonieorchester Stuttgart,
Johannes Kalitzke
ONYX 4058
WISPELWEY LIVE
Borodin, Strawinsky,
Myaskowski
Streichquartette, Concertino
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Orchester und Konzert
CHAN 0769
Tomaso Giovanni Albinoni
Homage an einen spanischen
Grande: Konzerte aus Op. 10
Simon Standage
Collegium Musicum 90
Caroline Boissier-Butini (1786-1836)
Konzert Nr. 6 „La Suisse“ für
Klavier, Flöte und Streicher /
Pièce pour orgue / Klaviersonate /
Divertissement für Klarinette,
Fagott und Klavier
Verschiedene Interpreten
DVD – Konzert
Dmitri Shostakovich (1906-1975)
Symphonie Nr. 11
„Das Jahr 1905“, op. 103
Netherlands Radio Philharmonic
Orchestra
Mark Wigglesworth
BIS-SACD-1583
EPRC 005 / EPR-Classic
GAL-CD-1277 / Gallo
CHSA 5077
Richard Wagner
Orchesterfassungen aus Parsifal,
Tannhäuser und Lohengrin
Royal Scottish National Orchestra
Neeme Järvi
CHAN 5078
Mieczyslaw Weinberg
Sinfonien Nr. 1 & 7
Gothenberg Symphony Orchestra
Thord Svedlund
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Caroline Butini wuchs in Genf als Tochter eines Arztes auf, der ihre musikalischen
Neigungen stark unterstützte, wie später
auch ihr Ehemann, Auguste Boissier. Das
war ungewöhnlich; eigentlich gab es im
Tagesablauf einer Genfer Bürgerin von
Stand keinen Platz für kreative, gestalterische Tätigkeit und schon gar nicht mit
der als anrüchig geltenden Musik. Dass
sie noch nach ihrer Heirat als Pianistin
auftrat und über Jahre viel und regelmäßig komponierte, ist also aller Achtung
wert. Sie war eine ausgezeichnete Pianistin;
im Winter 1831/32 erhielt sie bei Franz
Liszt Klavier- und bei Anton Reicha Kompositionsunterricht. Nach heutigem Forschungsstand gilt Boissier-Butini als eine
der vielseitigsten unter den Schweizer
Komponisten und Komponistinnen ihrer
Generation. In der Allgemeinen musikalischen Zeitung vom 1. März 1815 beschreibt der Korrespondent die „ungemeine Fertigkeit von Frau Boissier auf dem
Pianoforte“, insbesondere in einem Konzert aus ihrer Feder. Ihre Kompositionen,
darunter viel Instrumentalmusik, wurde
bei Leduc in Paris verlegt. Auffällig ist
die Vielzahl von Instrumentalwerken und
die frühe Beschäftigung mit der Volksmusik ihres eigenen Umfelds. Volkslieder,
die ihr vorgesungen wurden, fanden
z.B. Eingang in ihr 6. Klavierkonzert.
Die auf diesem Komponistinnenportrait
eingespielten Werke und die Umstände
der Musikpraxis von Caroline BoissierButini geben Einblick in die bis heute
unter dem musikalischen Aspekt kaum
erforschte Epoche der großen politischen, sozialen und kulturellen Umbrüche zu Beginn des 19. Jahrhunderts
in Genf und in der Schweiz.
Ludwig van Beethoven
Sinfonie Nr. 5 in c-Moll
Dokumentation
Jos van Immerseel
Anima Eterna
„Den besten Shostakovich-Interpreten
seiner Generation“ nannte BBC Music
Magazine Mark Wigglesworth. Zehn Symphonien sind mittlerweile auf BIS durch
Wigglesworth eingespielt, zunächst mit
dem BBC Orchestra of Wales, seit 2005
mit dem Netherlands Radio Philharmonic
Orchestra. Nun also die 11., ein Auftragswerk der Sowjetführung zur Erinnerung
an die Ereignisse des sogenannten „Blutsonntags“ im Januar 1905. Damals hatte
die Garde des Zaren unter friedlichen
Demonstranten ein Blutbad angerichtet
und somit die Revolution von 1905 weiter
angeheizt, die schließlich in die große
Oktoberrevolution 1917 münden sollte.
Den historischen Bezug macht Shostakovich in den Satztiteln deutlich wie auch
in der Verwendung revolutionärer Lieder
jener Zeit. Und doch wird man den Verdacht nicht los, dass der Komponist eher
an das Niederknüppeln des ungarischen
Aufstands durch russische Panzer in
Budapest 1956 dachte, als er ein Jahr
später diese Symphonie niederschrieb.
Subversiv?
Und der Verdacht ist begründet, denn
er schrieb selbst: „...ich komponierte sie
1957, und sie bezieht sich auf die Gegenwart, auch wenn sie den Titel ‚Das Jahr
1905‘ trägt. Sie handelt vom Volk, das den
Glauben verloren hat, weil der Kelch der
Missetaten übergelaufen war.“ Offenkundig
ist seine Identifikation mit denen, die gegen
die Tyrannei aufbegehren, sei es gegen
die Gewalt der Kosakenregimenter 1905
oder der roten Armee in Budapest 1956.
24
AUSGABE 2010/2
Der gebürtige Belgier Jos van Immerseel tritt als Pianist, Cembalist und Organist international auf und wird als vielseitiger Künstler hoch geschätzt. Als Dirigent
hat er sich stärker festgelegt und arbeitet
ausschließlich mit dem Orchester Anima
Eterna in Brügge zusammen, das auf
historischen Instrumenten spielt. Gemeinsam erarbeiteten das Ensemble und
Immerseel weltweit beachtete Projekte
und widmeten sich auch sämtlichen Sinfonien Ludwig van Beethovens. Bei diesen
Interpretationen überraschen vor allem
die recht schnellen Tempi. Immerseel hat
die Handschriften Beethovens eingängig
studiert und sich mit weiteren verfügbaren Quellen auseinandergesetzt. So
kam er zu dem Ergebnis, die Sinfonien in
ungewohnt raschen Tempi zu spielen und
damit völlig neue Einblicke in die Werke
zu geben. Tatsächlich faszinieren die
Interpretationen den Hörer auf unglaubliche Weise. Im Ballsaal des Concert Noble
in Brüssel wurde ein Konzert von Beethovens fünfter Sinfonie mit Anima Eterna
und Jos van Immerseel aufgezeichnet.
Concert noble
Im wunderschönen Ambiente des
Saals und unter Kerzenschein spielen die
Musiker die Sinfonie in der erfrischenden
Interpretation und von den Kameras
bestens eingefangen. Im zweiten Teil der
DVD gibt ein beeindruckender Film Auskunft über die sogenannte Wiederentdeckung der 5. Sinfonie von Beethoven.
Jos van Immerseel wurde auf den Spuren
Beethovens durch Wien begleitet sowie dort
und in Antwerpen zu seiner Arbeit befragt.
Das in holländisch geführte Interview ist
mit englischen Untertiteln versehen.
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Kammermusik
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Ludwig van Beethoven
Violinsonaten Nr. 3 & 9 ‚Kreutzer‘
Viktoria Mullova, Violine
Kristian Bezuidenhout, Hammerflügel
ONYX 4050
Das Label Onyx feiert sein 5-jähriges
Bestehen mit seiner 50. Aufnahme und
einer der größten Geigerinnen unserer
Zeit: Viktoria Mullova. Egal auf welcher
Violine, die 1959 geborene Russin hat in
ihrer gesamten Karriere seit Ende der
achtziger Jahre ein immenses Spektrum
unterschiedlicher Klangmöglichkeiten
und Stilistiken ihren Instrumenten entlockt. Die Bandbreite ihres Repertoires
hat sie stetig erweitert, heute reicht ihre
Interpretationskunst von der Barockzeit
über klassisches und romantisches Repertoire bis hin zu Crossover-Projekten
mit jazzigen Tönen. Sie vergibt Aufträge
an junge zeitgenössische Komponisten
und beschäftigt sich schon einige Jahre
mit der historischen Aufführungspraxis.
Auf der Jubiläums-Aufnahme bei Onyx
spielt sie eine historische Geige von
Guadagnini aus dem Jahre 1750 und
einen Barockbogen von Walter Barbiero.
Jubiläum
mit Starbesetzung
Viktoria Mullovas Klavierpartner ist
Kristian Bezuidenhout, der 1979 in Südafrika geboren wurde und als Cembalist
und Pianist vor allem aus der niederländischen Musikszene nicht mehr wegzudenken ist. Er begleitet Viktoria Mullova
auf einem restaurierten Wiener Hammerflügel von 1816. Beide Virtuosen verfügen
über eine makellose Technik und individuelle Ausdruckskraft, die sie in den Sonaten Nr. 3 op. 12,3 und Nr. 9 op. 47, der
Kreutzer-Sonate voll entfalten.
Nicolò Paganini
24 Caprices für Violine Solo op. 1
mit Klavierbegleitung
von Robert Schumann
Benjamin Schmid, Violine
Lisa Smirnova, Klavier
MDG 333 0674-2
Paganini, der Teufelsgeiger, exzentrisch wie eine Primadonna, ist der
eigentliche „Entdecker“ der Violine.
Dämonisch wirkt sein Spiel auf das biedermeierlich brave Publikum. So erschienen Karikaturen die Paganini drapiert mit
ermordeten Frauen, tanzenden Skeletten
und Nebelgeistern zeigen! Musikalisch
sind es besonders seine Capricen op. 1,
die die Welt in Atem halten.
Tanzende
Knochenmänner
„Paganini ist da!“, schreibt Schumann
begeistert in sein Tagebuch. Kurze Zeit
später beginnt er, die akrobatischen
Capricen für Violine mit einer Klavierbegleitung zu versehen: Der große Klavierkomponist Schumann kontrapunktiert die
ungebändigte Virtuosität Paganinis und
fügt den Werken mit einer schlichten
„Harmonisierung“ eine neue, tiefgründige Dimension hinzu.
Sensationelle Erfolge wie beim „Concours International Yehudi Menuhin“ in
Paris ebneten Benjamin Schmid den Weg
auf die internationalen Konzertpodien.
Seine Klavierbegleiterin, die Moskauerin
Lisa Smirnova, wurde als 14jährige(!) mit
dem 1. Preis beim Nationalwettbewerb
der UdSSR ausgezeichnet und konzertiert seither in allen Ländern Europas,
in Fernost und den USA. Nach „Bach /
Schumann“ nun der zweite geniale Wurf
dieses sympathischen Duos bei MDG.
Franz Schubert
Werke für Violine und Klavier Vol. 2
Julia Fischer, Violine
Martin Helmchen, Klavier
PTC 5186348 / Pentatone (SACD)
Julia Fischer und Martin Helmchen
widmeten sich im vergangenen Jahr Franz
Schubert. Seine Werke für Violine und
Klavier liegen mit dieser zweiten Folge
nun in ihrer Gesamtheit vor. Die erste
SACD der beiden Künstler wurde sogleich
ein großer Erfolg, kein Wunder daher,
dass Volume 2 mit Spannung erwartet
wurde. Die beiden jungen Musiker spielen die Sonate D 574 sowie die Fantasie
D 934 und rücken Schuberts kammermusikalische Kleinodien wieder einmal
ins Rampenlicht. Voll inniger Wärme und
gelegentlich spielerischer Anmut sind
die Werke sowohl für Interpreten als
auch für die Zuhörer immer wieder ein
Genuss und auch bei dieser Einspielung
mit dem aussdrucksstarken Duo FischerHelmchen entsteht beinahe Wehmut, dass
Schubert nicht noch mehr für dieses
Instrumenten-Paar komponiert hat. Julia
Fischer und Martin Helmchen kommen
hier dem Hörer mit einer fabelhaften Idee
entgegen. Sie spielen, damit die SACDLänge voll ausgeschöpft wird, die Fantasie
in f-moll D 940 für Klavierduo!
Eine Geigerin als
Pianistin
Julia Fischer ist damit erstmals auf
SACD als Pianistin verewigt. Sie begann
im Kindesalter sowohl Geige als auch
Klavier zu spielen und hatte mit zwölf
Jahren bereits Preise bei Jugend musiziert gewonnen und zehn BeethovenSonaten einstudiert. Beide Instrumente
gehörten zu Julia Fischers weiterer Ausbildung und ihr Klavierspiel auf hohem
Niveau wurde vielfach in Konzerten bejubelt. Schuberts Werke werden von
Julia Fischer und Martin Helmchen mit
makelloser Technik und phänomenaler
Musikalität dargeboten.
blog.codaex.de ist ein Musik-Blog
des europäischen unabhängigen
CD-Vertriebs Codaex. Das Angebot umfaßt schwerpunktmäßig
klassische Musik. Jazz- und Weltmusikveröffentlichungen, sowie
DVDs runden das Programm ab.
In diesem Blog sollen Neuerscheinungen aus dem Codaex-Kosmos
vorgestellt und besprochen werden, auf ältere Veröffentlichungen
aufmerksam gemacht werden,
Künstler und Labels porträtiert,
sowie TV-, Radio- und Linktipps
veröffentlicht werden.
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kritiklose Werbeplattform sein.
Deswegen wird das Blog auch von
einem freischaffenden Blogger
betextet, der fair und unabhängig
über die CDs berichten möchte.
Oberste Priorität der Besprechungen in diesem Blog soll daher die
Freude an der Musik
und die Neugierde auf
Neues sein. Dieses
Blog will nicht auf einer
akademischen Ebene
musiktheoretische Betrachtungen veröffentlichen, es will den
„ganz normalen“ und
den „ambitionierten“
Hörer zum Entdecken
verführen. Im
günstigsten Fall soll
blog.codaex.de dem
Leser als Richtschnur
für neue Entdeckungen
oder neue Betrachtungen in Sachen Musik
dienen. Dabei bedient
sich das Blog moderner Kommunikationsmethoden, um es dem
Leser so einfach wie möglich zu
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AUSGABE 2010/2
25
Kammermusik
John Cage
„Violin and Piano“
Andreas Seidel, Violine
Steffen Schleiermacher, Klavier
MDG 613 1607-2
Das früheste Stück dieser Sammlung, „Nocturne“,
stammt aus dem Jahr 1947. Cage hatte damals den französischen Komponisten Erik Satie für sich entdeckt und
widmete ihm posthum einige seiner Werke, darunter das
kurze, fast impressionistisch anmutende „Nocturne“. Eine
ganz andere Klangwelt eröffnet sich in den nur drei Jahre
später entstandenen „Six Melodies“. Cage beschränkt sich
im Klavierpart der sechs kurzen Stücke auf nur 25 verschiedene Töne, die er höchst kunstvoll in stets identischen
Kombinationen variiert.
4You
Zwei Spätwerke aus den Jahren 1991 und 1992
machen deutlich, welch enorme Wegstrecke John Cage
bis zu seinen „Number Pieces“ zurückgelegt hat: Statt
einer Partitur gibt Cage den Musikern nur Zeitvorgaben
an die Hand, in denen sie eine gewisse Anzahl von Tönen
spielen müssen. Die Stoppuhr wird für sie zum Maß
aller Dinge. Zusätzlich gibt Cage in der Komposition
Two4 minutiöse mikrotonale Abweichungen sowie die
jeweilige Klangfarbe bzw. ihre Veränderung vor. Mit
Two6 schließt sich der Kreis komplett: Cage greift auf die
„Vexation“ von Erik Satie zurück, nutzt dessen Basslinie,
verändert sie durch Zufallsoperationen und gibt dem
Interpreten ein abstraktes Zeitschema, das er nach
eigenem Geschmack ausfüllen kann...
Spätestens seit seiner fulminanten Cage-Gesamteinspielung hat Steffen Schleiermacher seinen internationalen Durchbruch als Pianist gefeiert. Sein Partner
bei dieser Aufnahme ist Andreas Seidel, der mit seiner
Spielfreude und technischer Brillanz heute wieder als
Konzertmeister das Gewandhausorchester Leipzig und
zwischenzeitig als Primarius das nicht minder berühmte
Leipziger Streichquartett bereichert.
26
The Vienna Connection
Hans Gál: Sonate op. 17
Egon Kornauth: Sonate D-Dur op. 15
Ernst Krenek: Sonate Nr. 1
fis-Moll op. 3
David Frühwirth, Violine
Florian Uhlig, Klavier
EDA 32
Es waren die Kulturhauptstädte Europas
in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts,
wo im wahrsten Sinne „die Musik spielte“.
Orte, an denen Verbindungen geknüpft und
diese Verknüpfungen über die Grenzen
von Nationalitäten, Schulen und Stilen
hinweg ein Musikleben bereicherten, das
fast alles tolerierte, vieles möglich machte
und manches erst zum Leben kommen
ließ. Auf der einen Seite stand das erwachende nationale Selbstbewusstsein,
eine politische Angelegenheit, ausgetragen
zwischen Restauration und sozialem, wenn
nicht sozialistischem Aufbruch; auf der
anderen Seite ließ das Bersten der
Grenzen der Tonalität, des harmonischen
Funktionierens und der Leitplanke des
klassisch-romantischen Formenkanons die
Feste der bis dahin gerade noch linear
verlaufenen Musikgeschichte erzittern.
Connections – Menschen trafen sich,
musikalisches Denken zwischen letzten
Ausläufern der Tradition und ausuferndem Modernismus prallte aufeinander
und gebar Großartiges hüben wie drüben.
Aus der Kulturhauptstadt
Wien, erste Station dieser „Connections“-Serie, war einer der viel beschriebenen Schmelzpunkte dieser Zeit. Die
vorliegende Aufnahme belegt eindrucksvoll, welche Vielfalt des kompositorischen
Ausdrucks auf höchstem Niveau nebeneinander existieren durfte und erweist Mut
und Selbstverständnis der Komponisten
die Reverenz, gleich ob sie damals – aus
unserer heutigen Sicht – über die Schulter zurück oder mit dem Fernglas weit
nach vorn blickten.
AUSGABE 2010/2
s
CLASS a k t u e l l
SU 4012
Kammermusik
In Bozen wird heute eine Handschriftensammlung aufbewahrt, die als
„Toggenburger Musiksammlung“ bekannt
ist. Begonnen hatte sie der reiche Kaufmann und Kunstmäzen Anton Melchior
von Menz (1757-1801). Um gedruckte
und handgeschriebene Werke erweitert
wurde sie durch seine Tochter Annette;
sie sammelte Werke, die sie selbst in
ihren musikalischen Soireen spielte oder
die bei den musikalischen Akademien
aufgeführt wurden, die in ihrem Salon
stattfanden. Um Annette bildete sich ein
Kreis von Musikern, die sich ihrer musikalischen Ausbildung annahmen, die an
den von ihr veranstalteten Akademien teilnahmen und ihr eigene Werke widmeten.
À votre plaisir
Darunter befinden sich viele Gesangsstücke mit Gitarren- oder Klavierbegleitung. Hier allerdings erklingen keine
Vokalwerke, sondern Serenaden oder
Variationssätze für die Anfang des 19. Jahrhunderts so beliebte, heute leider eher
vernachlässigte und klanglich so aparte
Kombination von Flöte und Gitarre. Und
die CD gibt einen Einblick in die Art und
Qualität der musikalischen Unterhaltung
des gebildeten Bürgertums Anfang des
19. Jahrhunderts.
MDG 304 1618-2
Seit mehr als 20 Jahren hat sich das
Ensemble Villa Musica die Entdeckung
kammermusikalischer Raritäten auf die
Fahne geschrieben. Die mehr als 30 CDAufnahmen wurden mit Preisen und
Höchstbewertungen der internationalen
Kritik förmlich überschüttet. Kein Wunder:
Die Namensliste der Musiker liest sich
wie ein „Who is who“ des Kammermusikadels: Andrea Lieberknecht und Claude
Gérard (Flöte), Yeon-Hee Kwak und Ingo
Goritzki (Oboe), Ulf Rodenhäuser (Klarinette), Dag Jensen (Fagott), Nicolas
Chumachenko (Geige) sowie die Pianisten Chia Chou und Kalle Randalu…
Jetzt folgt ein bläsermusikalisches
Porträt des italienischen Komponisten
Amilcare Ponchielli, der auch in der
Kammermusik seine Affinität zur Oper in
jedem Moment spüren lässt. So erscheinen Klarinette und Violine als Personifizierung von Paolo und Virginia direkt von
der Opernbühne inspiriert: Rezitativ, Kantilenen, heftige Stimmungswechsel und eine
passgenaue Stretta... Das ist große Oper.
Kammermusikalische
Rarität
Im Divertimento für zwei Klarinetten
und Klavier, mehr noch im Quartett für
Flöte, Oboe, Es-Klarinette und Klarinette
mit Klavierbegleitung zeigt Ponchielli, wie
passgenau er die Blasinstrumente nach
ihren Stärken und Möglichkeiten einsetzt
und sie sehr geschickt zu kombinieren
weiß. Als klangliches Bonbon präsentiert
das hervorragend aufgelegte Ensemble
Villa Musica eine Bearbeitung des berühmten „Danze delle ore“ („Tanz der
Stunden“) für Bläsernonett aus der Oper
La Gioconda.
AUSGABE 2010/2
27
Wiener Serenaden
Sonaten und Variationen von
Anton Diabelli, Mauro Giuliani und
Caspar Joseph Mertz
Maximilian Mangold, Gitarre
Kristian Nyquist, Fortepiano
DVOŘÁK
Sinfonische Dichtungen
Tschechische Philharmonie
Sir Charles Mackerras
M 56900 / Musicaphon
Anfang des 19. Jahrhunderts erlebte die
Gitarre in einigen europäischen Metropolen, besonders in Wien, Paris und London
eine wahre Blütezeit. Zahlreiche Gitarrenvirtuosen entfachten eine Begeisterungswelle für die Gitarre, unternahmen ausgedehnte Konzertreisen durch Europa und
waren zugleich äußerst produktive Komponisten. Die Gitarre, lange Zeit unbeachtet
und im Gegensatz zur Laute ohne Tradition
in der Kunstmusik, fand Einzug in das
Konzertleben und wurde zu einem Modeinstrument. Und als solches verschwand
sie dann auch bald wieder von den Konzertpodien; erst Andres Segovia verhalf ihr
Mitte des 20. Jahrhunderts zu einer neuen
Auferstehung als ernst genommenes
Musizierwerkzeug für Klassik.
Für die vorliegende Aufnahme wurde
die detailgenaue Rekonstruktion einer
sechssaitigen Gitarre nach Johann Anton
Stauffer, Wien um 1840, von Bernhard
Kresse, Köln, 2003 verwendet.
Bei dem hier erklingenden Fortepiano
handelt es sich um den Nachbau eines
Flügels der damals europaweit berühmten Wiener Klavierbaumeisterin Nannette
Streicher aus dem Jahre 1814. Das Instrument stammt aus der Werkstatt von
Michael Walker, Heidelberg, 2002.
Die hier eingespielten Komponisten sind
zwar nicht gebürtige Wiener, verbrachten
jedoch große Teile ihres Lebens in der
Habsburgermetropole und feierten dort
ihre größten Erfolge. Gerade in Wien besaß
die Gitarre eine erstaunliche Popularität.
Neben Diabelli, Giuliani und Mertz wirkten hier zeitweise auch Simon Molitor,
Leonhard von Call, Wenzeslav Matiegka,
Ivan Padovec und viele andere.
SU 4020
CDS 657 / Dynamic (Ersteinspielung)
Amilcare Ponchielli (1834-1886)
Kammermusik
Ensemble Villa Musica
BEETHOVEN
Klavierkonzerte Nr.1 & 3
Tschechische Philharmonie
Karel Ančerl
SU 4014
Der musikalische Salon
der Annette von Menz
Serenaden und Variationen von
Johann Baptist Gänsbacher,
Joseph Ewald Reiner,
Johann Nepomuk Huber und
Leonhard von Call
Giuseppe Carrer, Gitarre
Luigi Lupo, Traversflöte
TSCHAIKOWSKY
PROKOFIEFF / BACH
Klavierkonzerte Nr.1
Tschechische Philharmonie
Prager Symphoniker
Karel Ančerl, Václav Talich
SUPRAPHON a. s.
> www.supraphon.com > [email protected]
im Vertrieb von
CODAEX DEUTSCHLAND GmbH
> Landsberger Str. 492, 81241 München
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Im Blickpunkt
Tasteninstrumente
Jean Sibelius
Die Sibelius-Edition Vol. 10:
Klaviermusik, Vol. 2
Folke Gräsbeck, Klavier
BIS-CD-1927
Sibelius ist als großer Symphoniker
bekannt geworden, dabei war er zeitlebens auch ein großer Miniaturist mit
Spaß an kleinen Formen und aphoristischen Stückchen. Gerade für das Klavier
hat er eine große Zahl von Werken geschaffen. Während auf Folge 4 der Sibelius
Edition die Klavierwerke der frühen Jahre
und seiner national-romantischen Periode
veröffentlicht worden waren, sind hier die
Werke aus der Zeit zwischen 1905 und
1931 zu hören. Die Sammlung enthält
nicht weniger als 14 Ersteinspielungen,
und auch alle anderen Werke sind bisher
bei BIS noch nicht veröffentlicht worden.
Eine maßgeblich treibende Kraft nicht nur
hinter dieser Aufnahme der Klavierwerke,
sondern auch der Sibelius Edition insgesamt ist Folke Gräsbeck, der in
mühsamer detektivischer Arbeit Archive
durchpflügte, Fassungen miteinander
verglich und stets auf der Suche nach
bis dato unbekannten Werken war.
Zarte Blumen
„Wer glaubt, dass Sibelius in der Lage
war, mehr als ein gutes Dutzend ‚Greatest
Hits‘ zu schreiben, für den wird die Musik
auf diesen CDs viele lohnende, ja wunderbare neue Entdeckungen bereithalten.
Wohl wahr, dass die Symphonien die
gewaltigen Birken und Kiefern im
Sibelius-Wald sind; aber die Klaviermusik
stellt seine zartesten Blumen dar – und
das musikalische Ökosystem bietet genügend Platz für beide“ (Andrew Barnett
im Begleitheft zu dieser 5 CDs umfassenden Edition).
Ludwig van Beethoven
Klaviersonaten
Steven Osborne, Klavier
Domenico Alberti
(ca. 1717-1740)
VIII Sonate per clavicembalo, op. 1
Filippo Emanuele Ravizza
CDA 67662 / Hyperion
Der schottische Pianist Steven Osborne,
Jahrgang 1971, studierte bei Richard
Beauchamp in Edinburgh und bei Renna
Kellaway in Manchester. Der Gewinner
des internationalen Clara-Haskil-Wettbewerbes (1991) beeindruckt mit durchdachten Interpretationen bekannter
Werke und überrascht immer wieder
mit spannenden Entdeckungen aus der
Klavierliteratur des 20. Jahrhunderts.
Ernsthaft und
intensiv
Ob Wiener Klassik, Romantik oder
die Welt der Moderne, jedes der Werke,
die Steven Osborne für seine Konzertprogramme aussucht, wird von ihm mit
gleicher Ernsthaftigkeit und höchster
Intensität interpretiert. In zahlreichen
Konzerten spielte Steven Osborne mit
großem Erfolg aus dem Oeuvre von
Ludwig. Nun hat der schottische Pianist
zum ersten Mal bei Hyperion drei Beethoven-Sonaten auf CD aufgenommen. Für
sein Debüt wählte er drei der bekanntesten und schönsten Klavierwerke des
großen Meisters: die Pathetique, die
Waldstein- sowie die Mondschein-Sonate.
Beethovens Klavierwerke sind in der
Klavierliteratur bekanntermaßen von
epochaler Bedeutung. Mit seiner Sonate
op. 13, der Pathétique gelang Beethoven
der Durchbruch zu einem neuen Ausdrucksstil. Formale Freiheiten und starke
Emotionen machen die Sonate op. 27,2,
seine Mondschein-Sonate zum Vorläufer
der Romantik. Die Waldsteinsonate op. 53
sprengt in Umfang und modulatorischer
Kühnheit die bis dahin übliche Sonatenform. In allen drei Sonaten werden
höchste Anforderungen an den Pianisten
gestellt. Steven Osborne wird diesen
Ansprüchen mit absoluter musikalischer
Intelligenz und Subtilität gerecht.
28
Concerto CD 2067 (Ersteinspielung)
Domenico Alberti – der ist jedem Klavierschüler wohl bekannt als Erfinder der
Begleitfiguren aus gebrochenen Akkorden, den berühmt-berüchtigten AlbertiBässen. Aber über sein Leben weiß man
kaum etwas. In Venedig muss er eine Zeit
lang gelebt haben, denn er hatte dort
einen guten Namen als Komponist und
exzellenter Cembalist, wie der Musikhistoriker Charles Burney 1773 berichtete. In
Madrid soll er um 1736 beim venezianischen Botschafter in Spanien gewesen
sein, und von 1737 bis 1740 hat er wohl
in Rom gelebt, um seine Fertigkeiten zu
erweitern. Seine musikalische Ausbildung
erhielt er bei Antonio Lotti (Komposition)
und bei Antonio Biffi (Gesang), beides
Meister der venezianischen Schule. Obwohl seine Lebenszeit noch in die Epoche
des Spätbarock fällt, sind seine Werke
doch höchst modern, schon dem galanten
Stil verpflichtet. Die einfach harmonisierte Melodie erhält den Vorzug vor kontrapunktischer Arbeit, volkstümliche,
fröhliche Melodik hält Einzug, die Struktur des Satzes ist klar, einfach und
leicht überschaubar. Gleichzeitig werden
aber auch Albertis stilistische Wurzeln
deutlich: Domenico Scarlatti und Georg
Friedrich Händel haben ganz offensichtlich auf ihn Einfluss gehabt.
Mehr als nur
Bässe
Etwa 80 Kompositionen für Cembalo
aus seiner Feder sind bekannt; nur einige
erschienen zu Albertis Lebzeiten im
Druck. Die hier eingespielten Werke
beweisen jedenfalls, dass Alberti Unrecht tut, wer ihn lediglich auf seine
Bässe reduziert.
AUSGABE 2010/2
Gradus ad Parnassum
Süddeutsche Orgelkunst
Werke von Froberger, Kindermann,
Kerll, Murschhauser, Kayser,
Maichelbeck und Muffat
Christian Brembeck, Baumeister-Orgel
(1737) der Klosterkirche Maihingen
C 58042 / Cantate
Ein „Gradus ad Parnassum“, ein Aufstieg
zum Sitz der Götter, ist im übertragenen Sinne für das Portrait eines solch einzigartigen
Instrumentes sicherlich der rechte Titel.
In unserer Programmzusammenstellung wird dieser „Gradus“ musikalisch
durch die beiden „Eckpfeiler“, die einleitenden und abschließenden Werke von
Froberger und Muffat versinnbildlicht.
Gerade diesen beiden Tonschöpfungen
kann man eine qualitative Spitzenstellung in
der Musik des ausgehenden 17. Jahrhunderts zubilligen, die schnell ein gewisses
Vorurteil von angeblicher Unterlegenheit
süddeutscher Orgelmusik (im Vergleich
zu Werken mittel- und norddeutscher
Provenienz) obsolet erscheinen lässt. Im
Gegenteil: Der aufmerksame Hörer erlebt
hier einen in sich geschlossenen, äußerst
farbigen klanglichen Kosmos.
Bedeutendstes Ausstattungstück der
Maihinger Klosterkirche ist die Orgel des
Eichstätter Orgelbauers Johann Martin
Baumeister (1692-1780) aus dem Jahr
1737, die seit ihrer Versiegelung im Jahre
1803 kaum mehr benützt wurde und
fast völlig in Vergessenheit geriet. Eine
höchst umfangreiche wissenschaftliche
Bestandsaufnahme der Orgel sowie die
darauf folgende Restaurierung in den Jahren 1988-90 durch die Pfeifenwerkstatt
Hildebrand & Brede (Überlingen) und
die Orgelbauwerkstätte G. F. Steinmeyer
(Oettingen) brachte ein als sensationell
zu bewertendes Ergebnis: eine historische
süddeutsche Orgel, die über fast zwei
Jahrhunderte hinweg in ihrem Ursprungszustand gewissermaßen „eingefroren“ war! Diese Tatsache hebt die
Baumeister-Orgel in den höchsten Rang
historischer Orgeln.
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Überzeugende
Vielfalt
Tasteninstrumente
Divergénces
Jongen: Etude de concert /
Deux pièces
Reger: Träume am Kamin op. 143
Scirabin: Sonate Nr. 4 /
Quasi valse / Fueillet d‘album /
Sonate Nr. 7 / Deux danses
Joseph Moog, Klavier
CLA 50-1005 / Claves
Mit diesem Album schließt Moog an
seine 2008 bei Claves veröffentlichten
„Metamorphosen“ an. Diese Hommage
an eine Virtuosität voller Finesse findet
hier ihre Fortsetzung mit einem Programm, das der von starken Gegensätzen
geprägten musikalischen Welt der ersten
Hälfte des 20. Jahrhunderts gewidmet ist.
Die Klangwelten der Komponisten aus
Belgien, Deutschland und Russland könnten kaum verschiedener sein. Gegensätze,
die Moog in seiner zupackenden, gleichwohl feinfühligen Interpretation deutlich
hörbar werden lässt. Für diese CD wurde
der junge Interpret bereits zum zweiten
Mal mit dem SuperSonic des Luxemburger Magazins Pizzicato ausgezeichnet.
Joseph Moog, im Dezember 1987 in Neustadt an der Weinstrasse geboren, erhielt
er vierjährig den ersten Klavierunterricht
und begann bald darauf zu komponieren.
Von 2001 bis 2007 studierte er bei Prof.
Bernd Glemser an der Musikhochschule
Würzburg und setzt nun sein Studium an
der Staatlichen Hochschule für Musik und
Theater bei Prof. Arie Vardi fort. Eine
Deutschland-Tournee mit den Ungarischen Symphonikern führte Joseph Moog
2009 u.a. in die Kölner Philharmonie und
die Stuttgarter Liederhalle.
Stets erfolgreich
Joseph Moog zählt bereits 22-jährig zu
den herausragenden jungen Pianisten mit
internationaler Reputation. Besondere
Aufmerksamkeit erweckt er durch sein
hochvirtuoses Spiel, seine reife Künstlerpersönlichkeit und durch seine Kompositionen, die er regelmäßig im Rahmen
seiner Recitals vorstellt.
Robert Schumann
(1810-1856)
Sonate op. 14
Paganini-Studien op. 3
Paganini-Etüden op. 10
Mi-Joo Lee, Klavier
Carl Philipp Emanuel Bach
(1714-1788)
Sämtliche Werke für
Tasteninstrumente solo, Vol. 20:
Sonaten von 1760 bis 1766
Miklós Spányi, Clavichord
MDG 604 0941-2
BIS-CD-1623
Die vorliegenden Klavierwerke Schumanns sind ein Psychogramm seiner
frühen Schaffenszeit. Mi-Joo Lee präsentiert die große Phantasie-Sonate f-Moll in
einer selten zu hörenden Rekonstruktion,
welche aber einen perfekten Blick auf
die komplizierte Quellenlage dieses absoluten Meisterwerkes erlaubt.
In den fünf für diese Folge der Serie
ausgewählten Sonaten aus den 1760er
Jahren kulminieren Bachs bisherige
Erfahrungen in neuen stilistischen Elementen. Vorbei die ausschließliche Dramatik der Württembergischen Sonaten
(Vol. 16 und 17 dieser Serie), vorbei
auch die lyrische Intimität und Einfachheit der „leichten“ Sonaten. All dies wird
nun zusammengeführt in einem neuen
Stil, der deutlich „klassischer“ anmutet.
Entdeckung
Schumann setzte viel daran, seine
Werke spontan, wie „Phoenix aus der
Asche“ erscheinen zu lassen (Genies
arbeiten eben nicht, sie folgen plötzlichen
Eingebungen ...). Die Realität sah jedoch
anders aus: Gerade Schumanns Arbeit an
der Phantasie-Sonate op. 14 zeigt einen
mehrjährigen, aufwendigen Prozess der
Vervollkommnung – ungezählte Korrekturen markieren den Entstehungsweg des
monumentalen Klavierwerkes.
Die beiden Paganini-Studien sind in
demselben Zeitraum entstanden und
damit auch „von Clara besetzt“: Nach
Roberts Tod wich Clara jedoch gern
den anspruchsvollen Etüden ihres Gatten
aus und spielte lieber die effektvolleren
Paganini-Paraphrasen von Liszt...
Als Koreanerin in der Welt der abendländischen Musik Fuß zu fassen, ist nicht
leicht. Mi-Joo Lee ist eine der wenigen
jungen asiatischen Pianistinnen, die auf
dem steilen Weg nach oben sind: Klavierabende in Berlins Philharmonie, Recitals
in Europa, Japan und den USA, zahlreiche
Preise und Auszeichnungen pflastern den
steilen Weg in die Spitze der klassischen
Klaviermusik.
Auf neuen Wegen
Ein Stil, der Bachs vertraute Energie
und Lebhaftigkeit zeigt, wie Miklós Spányi
im Booklet anmerkt, aber eine größere
Ausgeglichenheit erzielt. Es sind Werke,
die in ein biographisch wichtiges Jahrzehnt fallen: 1768 nahm C. Ph. E. Bach
seinen Abschied vom preußischen Hof in
Potsdam, um in Hamburg als Musikdirektor der fünf Hauptkirchen die Nachfolge seines Patenonkels Georg Philipp
Telemann anzutreten. Spányi trägt wiederum auf einem Instrument vor, das ihn
durch diese Reihe begleitet: ein Clavichord, das 1999 von Joris Potvlieghe
nach dem Muster eines der schönsten
erhaltenen Instrumente der sächsischen
Clavichordbau-Schule gebaut wurde. 1785
von Gottfried Joseph Horn in Dresden
gefertigt, repräsentiert dieses herrliche,
resonanzreiche Instrument den mitteldeutschen Clavichordbau in der 2. Hälfte
des 18. Jahrhunderts, wie er von Gottfried
Silbermann begründet wurde.
KTC 1400
Johann Sebastian Bach
Goldberg Variationen
Kanonische Variationen
Pieter Dirksen,
Cembalo und Orgel
KTC 1404
W. A. Mozart, F. Petrini
Sonaten für Harfe
und Violine
Masumi Nagasawa
Ryo Terakado
KTC 1904
Ludwig van Beethoven
Sämtliche Sonaten für
Violine und Klavier
Sarah Kapustin
Jeannette Koekkoek
Codaex Deutschland GmbH
Landsberger Straße 492
81241 München
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AUSGABE 2010/2
29
Im Blickpunkt
Tasteninstrumente
Marcel Dupré (1886-1971)
Orgelwerke Vol. 11
Suite Bretonne op. 21
Les Nymphéas op. 54
Trois Esquisses op. 41
Chorales op. 78 (Auswahl)
Ben van Oosten, Casavant-Orgel
Brick Church, New York City
Streichinstrumente
Dietrich Buxtehude (1637-1707)
Toccaten in F und d
Ciacona in e
Präludium in a
Choralbearbeitungen
Magnificat Primi Toni
Masaaki Suzuki, Orgel
BIS-SACD-1809
MDG 316 1293-2
Marcel Dupré war sein Leben lang ein
gefragter Orgellehrer. Deshalb sind einige
seiner Werke musikpädagogisch motiviert.
Faszinierend seine 79 „leichten“ Choräle
für den elemantaren Orgelunterricht, die
als Vorspiele zu den Bachschen Chorälen
gedacht waren. Im Gegensatz dazu die
an Virtuosität kaum zu überbietenden
und deswegen so gefürchteten „Trios
Esquisses“ op. 41.
Niemals zuvor sind „Les Nymphéas,
op. 54“ außerhalb von Meudon erklungen, dem Heimatort von Marcel Dupré.
Ben van Oosten präsentiert diese außergewöhnliche Komposition allerdings nicht
auf der Hausorgel des Komponisten, sondern in der Brick Church von New York,
eine beeindruckende Synthese von französisch-symphonischen und amerikanisch-romantischem Orgelbau.
Die berühmten acht Seerosen-Gemälde von Claude Monet als Vorlage für
„Nymphéas“ inspirierten den Komponisten zu außergewöhnlichen musikalischen Impressionen, in denen sich seine
Liebe zur Malerei vereinte mit seiner
Vision der „Orgel der Zukunft“. Duprés
klangliche Vorstellungen gingen weit über
das hinaus, was der zeitgenössische Orgelbau zu bieten hatte, z. B. experimentierte
er mit geteilten Manualen, die es erlaubten,
oben und unten unterschiedliche Registrierungen zu realisieren. Das Ergebnis:
Sechs Stimmen in sechs verschiedenen
Registrierungen erklingen gleichzeitig.
Sicher keine leichte Herausforderung,
auch nicht für einen Ben van Oosten, der
mit dieser Edition im Begriff ist, seiner
diskografischen Hall of Fame einen weiteren Meilenstein hinzuzufügen.
Wenn selbst ein Johann Sebastian
Bach als Zwanzigjähriger sich aufmachte,
mehr als 400 Kilometer zu Fuß zurückzulegen, nur um Dietrich Buxtehude zu
hören, kann man ermessen, welche Bedeutung dem Lübecker Marienorganist
von seinen Zeitgenossen zugesprochen
wurde. Anders als dies bei vielen seiner
norddeutschen Kollegen der Fall war, hat
zum Glück ein Großteil seiner Manuskripte
die Jahrhunderte unversehrt überstanden.
Buxtehude war nicht nur ein Virtuose,
sondern auch ein profunder Orgelkenner.
Norddeutsche
Orgelkunst
Die besten Instrumente waren seinerzeit in Norddeutschland zu finden. Insbesondere die reichen Bauerndörfer in den
Elbmarschen brachten ihren Wohlstand
in großen, schön verzierten Kirchen zum
Ausdruck (oft despektierlich „Bauerndome“ genannt), die mit kostspieligen,
wertvollen Orgeln ausgestattet wurden.
Zwei besonders großartige Exemplare
finden sich noch heute, nur drei Kilometer voneinander entfernt, in Altenbruch
(Klapmeyer-Orgel in St. Nikolai) und in
Lüdingworth (Wilde-Schnitger-Orgel in
St. Jakobi), und an diesen beiden wunderbaren dreimanualigen Instrumenten
hat Suzuki eine bunte, in ihrer Verschiedenheit durchaus repräsentative Auswahl
von Orgelwerken Buxtehudes eingespielt.
30
Bedřich Smetana
Streichquartette Nr. 1 + 2
Bennewitz Quartet
COV 51004 / Coviello (Hybrid-SACD)
„Erster Satz: Die Liebe zur Kunst in
meiner Jugend, romantische Stimmung…
Gleichzeitig kündigt sich im Prolog das
künftige Unglück an… Der zweite Satz
entführt mich erneut in jugendlichen
Freudentaumel… Der dritte Satz erinnert
an meine erste Liebe, die später meine
geliebte Gattin wurde. Der vierte Satz:
…ich stelle voller Freude fest, dass der
eingeschlagene Weg zum Erfolg führt, bis
die Katastrophe allem brutal ein Ende
bereitet…“ Selten ist der autobiografische Bezug einer Komposition – oft genug
eine eher fragwürdige Spekulation – so
eindeutig wie hier: Bedřich Smetana
selbst schrieb diese Zeilen 1878 über sein
erstes Streichquartett „Aus meinem Leben“.
Explizit soll es zur Bewältigung seiner
Lebenskatastrophe beitragen; da wundert
es nicht, dass es zu seinen emotionalsten
Werken zählt. Im zweiten Quartett sah der
bereits von schwerer Krankheit Gezeichnete eine Art musikalisches Testament; es
gipfelt im letzten Satz mit dem Titelzusatz
„Sieg über das Schicksal“ – die Krönung
von Smetanas Lebenswerk einer Verbindung von anspruchsvoller Kunstmusik mit
einem unverwechselbaren tschechisch-nationalen Tonfall. Sehr persönliche Bekenntnisse des Komponisten sind also beide
Streichquartette; besonders spürbar wird
das in der intensiven Interpretation des
international vielfach ausgezeichneten
Bennewitz Quartetts. Der erste Preis beim
renommierten Borciani-Wettbewerb 2008
war nur der vorläufige Höhepunkt in der
langen Reihe seiner Erfolge. Dass die vier
jungen Streicher aus Tschechien die Musik
ihrer Landsleute besonders authentisch
wiedergeben können, daran ließ schon
ihre Einspielung mit den Quartetten Leoš
Janáčeks keinen Zweifel. Ihr neuestes
Werk stellt einmal mehr ihre musikalische Ausnahmeklasse unter Beweis.
AUSGABE 2010/2
Oper
Antonio Vivaldi (1678-1741)
Argippo
Fucikova, Stepnickova,
Binova-Koucka, Kapf
Hof-Musici Barockensemble
Ondrej Macek
Dynamic CDS 626 (Ersteinspielung)
Dies ist die Produktion der 2008
erfolgten Ersteinspielung eines 279 Jahre
lang verschollenen Werkes. Seit 2006
hatte der tschechische Cembalist und
Dirigent Ondrej Macek nach diesem
Dramma per musica aus der Feder des
„roten Priesters“ gesucht, von dem nur
bekannt war, dass es im Herbst des Jahres
1730 im Palast des Grafen Anton von
Sporck in Prag aufgeführt worden war
(diese Oper teilt also das Schicksal so
vieler Vivaldischer Bühnenwerke: Derzeit
sind rund 60 Bühnenkompositionen von
ihm bekannt, aber nur von 19 liegen vollständige Partituren vor). Macek fand nun
heraus, dass die Theatertruppe, die in
Prag diese Aufführung durchgeführt hatte,
nach Regensburg weiter gereist war. Also
forschte er dort im Archiv der Familie
Thurn und Taxis – und wurde fündig.
Gesucht und
gefunden
Fehlende Teile der Partitur (es haben
sich nur rund zwei Drittel der Musiknummern erhalten) wurden von Macek
behutsam ergänzt. Fehlende Rezitative
schrieb er komplett neu; für fehlende
Arien griff er auf andere Opern Vivaldis
aus demselben Entstehungszeitraum zurück – eine im Barock durchaus übliche
Praxis, musikalisches Material mehrfach
und somit ökonomisch zu verwerten;
man denke nur an Bachs Kantaten oder
Händels Konzerte und Opern. Hilfreich
bei der Rekonstruktion war der Umstand,
dass die Oper strukturell sehr einfach ist
und getreulich den Konventionen des
damaligen dramma serio folgt. Ein hochinteressanter Beitrag zum immer noch
recht wenig gewürdigten Opernschaffen
des großen Venezianers.
CLASS a k t u e l l
Geistliche Musik
Alte Musik
Lied
Franz Schubert
Streichquintettt C-Durr
Acies Quartett
David Geringas
Pierre Moulu
Messen
Stephen Rice
The Brabant Ensemble
Michel Corette (1707-1795)
„Les Delices de la Solitude op. 20“
Sechs Sonaten f. Violoncello und b.c.
Ensemble Bassorum Vox
CDA 67761 / Hyperion
COV 21001 / Coviello
Stephen Rice und das Brabant Ensemble haben eine echte Entdeckung gemacht: Messen des Renaissance-Komponisten Pierre Moulu (ca. 1484 - ca. 1550).
Moulu hatte verschiedene kirchliche
Ämter an der Kathedrale von Meaux inne
und war mindestens zwei Jahrzehnte lang
für die französische Hofkapelle tätig.
Angeblich studierte Pierre Moulu mit
Josquin Desprez, da ihm stilistische Nähe
zum berühmten Komponistenkollegen
attestiert wird. Seine Musik ist von konsequenter Imitation und Polyphonie mit
gleichberechtigten Stimmen gekennzeichnet. Er komponierte fast ausschließlich
liturgische Musik, deren Handschriften
unter anderem in Rom, Bologna und
s’Hertogenbosch zu finden sind. In seiner
„Missa Alma redemptoris mater“ notierte
Moulu die Stimmen wie in einer Art
Kanon. Die Sänger hatten so die Möglichkeit, die einzelnen Sätze an einer gekennzeichneten Stelle zu beenden, oder fortzusetzen. Stephen Rice entschied sich in
weiten Teilen der Messe für die kurze Version, die dennoch das imitatorische Element klar herausstellt. Die „Missa Missus
est Gabriel angelus“ basiert auf einer
Motette von Josquin, die das Brabant
Ensemble im Anschluss an die Messe
ebenfalls aufgenommen hat. Zwei kontrastierende Motetten von Pierre Moulu
ergänzen das Programm. In der Motette
„Mater floreat“ werden im Text zahlreiche
Komponisten der damaligen Zeit genannt,
inwieweit dies eine Hommage an die Zeitgenossen darstellt oder Moulu sich mit
ihnen auf eine Stufe stellen wollte, ist
nicht geklärt. Tatsächlich aber stehen
Moulus Klangfarben denen bekannter
Renaissance-Meister in nichts nach und
sind eine lohnenswerte Entdeckung.
Das Violoncello erlebte im 18. Jahrhundert besonders in Frankreich einen rasanten Aufstieg: Um 1700 noch weitgehend
unbekannt, war es nur wenige Jahrzehnte
später zum äußerst beliebten Soloinstrument geworden. Einer der ersten, die das
erkannten, war der Komponist, Musiker,
Pädagoge und Verleger Michel Corrette.
1741 veröffentlichte er das erste Lehrbuch
für das Cellospiel in Frankreich – seine
detaillierten Spielanweisungen und umfassenden Erklärungen klanglicher Wirkungen sind noch heute eine Fundgrube
für die Erforschung der Musikgeschichte
des 18. Jahrhunderts. Corrette wusste also
ganz genau, worüber er schrieb, und dieses
Wissen um die technischen Möglichkeiten
und den Klangcharakter des Cellos hat er
auch musikalisch umgesetzt: schon 1739
erschien seine Sammlung von sechs Sonaten „Les Délices de la Solitude“ (Die Wonnen der Einsamkeit), in der er die Klangfacetten des Instruments zum Strahlen
bringt. Ihren besonderen Reiz beziehen die
Kompositionen aus der Kombination italienischer und französischer Elemente, mit
der Corette einmal mehr stilbildend war.
Edvard Grieg (1843-1907)
Sämtliche Lieder
Monica Groop, Mezzosopran
Roger Vignoles, Ilmo Ranta,
Love Derwinger, Klavier
BIS-CD-1607
Wonnen, gar nicht
einsam
Das Spezialensemble Bassorum Vox hat
sie in einer beispielhaft lebendigen Interpretation neu eingespielt und dabei nicht
nur in Artikulation, Rhythmik und Phrasierung, sondern auch in der Ausgestaltung
des Continuo-Parts besonderen Wert auf
Farbigkeit gelegt. Heraus kam eine CD, die
so viel Spielwitz vermittelt, dass man sich
fragt, warum Corrette nicht längst zu den
Bestsellern der alten Musik gehört. „Eher
fröhlich und spielfreudig“ als „einsam“
findet Cellist Seung-Yeon Lee die Sonaten,
obwohl der Titel anderes suggeriert. Wer
sie hört, wird ihm nur zustimmen können.
Als Grieg einmal gefragt wurde, warum
das Lied in seinem Schaffen so einen
bedeutenden Platz einnähme, hat er
geantwortet: „Ich liebte ein Mädchen mit
einer wundervollen Stimme und einer genauso wundervollen Begabung als Interpretin“. Das besagte Mädchen war Nina
Hagerup, seine spätere Frau, mit der er
regelmäßig viele seiner Lieder aufführte
(wie auf dem Cover zu sehen, einem Bild
von C. S. Krøyer). Liedkomposition war
für Grieg also eine Liebeserklärung, doch
nicht nur an seine Frau Nina, sondern,
wie er betonte, ebenso an die Dichter der
Texte. Denn das Wort – der Text – war
entscheidend für ihn. Er sollte persönlichen Erfahrungen Ausdruck verleihen, und
daher hing die Wahl seiner Dichter mit seinem Erleben zusammen. Es ist ihm wichtig,
die Intentionen des Dichters herauszuarbeiten. „Ist diese Aufgabe gelöst, dann
ist auch die Musik gelungen“ schrieb er.
Liebeserklärungen
Die 172 Lieder auf sieben CDs werden
im begleitenden 184seitigen Booklet ausführlich dargestellt (u.a. sämtliche Liedtexte in Originalsprache mit Übersetzung
ins Englische). Die bisher nur einzeln
erhältlichen Einspielungen können ohne
Übertreibung in ihrer Auslotung all der
Tiefen und Höhen dieser Musik durch
Monica Groops als unwiderstehlich bezeichnet werden. Sie selbst sagt, dass sie
schon immer eine Art Seelenverwandtschaft zu Grieg und seiner Musik verspürt
habe, vielleicht deswegen, weil Griegs
Werke so stark im Volkstümlichen verwurzelt sind. Ich bewundere Griegs
Neigung zum Einfachen und Ungekünstelten, und dies im Ausdruck zu bewahren,
war mein Leitsatz.“
CD GRAM98840
Wenn Brahms vermutet, Schubert sei
„jeden Tag über sich selbst erschrocken“
gewesen, erscheint gerade hier der Tod
als das Thema der Romantik par excellence. Zugabe: die Ouvertüre c-Moll, ein dramatisches und aufwühlendes Jugendwerk.
W. A. Mozart
Violinkonzerte
e Nr.. 3,, 4,, 5
Thomas A. Irnberger
Spirit of Europe, Martin Sieghart
SACD GRAM98890
Eine Persönlichkeit mit Weit- und Durchblick,
ein denkender Virtuose – kurzum: eine
Persönlichkeit, wie sie nicht alle Tage die
Weltbühne des hochrangigen Musizierens
betritt.“ (Peter Cossé)
Johann Sebastian Bach
Die
e Motetten
Chorus sine nomine
CD GRAM98875
Die hier präsentierten sechs Motetten Bachs
gehören zum Schönsten und Erhebendsten,
was je für Chor geschrieben wurde. Diese
Musik sucht die Konfrontation mit den
Fragen, Abgründen und Widersprüchen
menschlichen Daseins.
www.gramola.at
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31
Landsbergerstrasse 492
81241 München
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