Wieder nur Betroffenheit?
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Wieder nur Betroffenheit?
. Wieder nur Betroffenheit? Von Wilfried Hub Die Spur jugendlicher Gewalttäter in Deutschland setzt sich fort. Zwei Jahre nach dem Blutbad von Emsdetten, sieben Jahre nach dem Schulmassaker von Erfurt, zehn Jahre nach den Morden von Bad Reichenhall – der Amoklauf von Winnenden. Wieder sind unschuldige Kinder und Erwachsene erschossen worden. 15 Menschen wurden getötet, nur weil sie zufällig in die Schusslinie eines wahnsinnigen Jugendlichen gerieten. Jetzt ist wieder Betroffenheit angesagt. Aber für wie lange? Es gibt wieder Fahnen auf Halbmast und Gedenkgottesdienste in den Kirchen. Wie lange werden sie anhalten, die Bekenntnisse, dass sich was ändern muss. Drei Wochen? Vier Wochen? Oder gar einige Monate? Sind wir nach Erfurt und Emsdetten nicht viel zu schnell zur Tagesordnung übergegangen? Längst hatten wir uns wieder an die ganz alltägliche Gewalt junger Menschen gewöhnt. Wir haben wieder weggehört und weggeschaut, obwohl wir doch versprochen hatten, einzugreifen, wenn Jugendliche gewalttätig werden, Schwächere schlagen, treten und quälen. Waren wir uns nicht längst wieder sicher, dass solche Schulmassaker nur ganz weit weg in Amerika oder sonst irgendwo auf der Welt vorkommen? Gewiss, die Trauer ist ehrlich. Die Opfer und deren Angehörige tun uns Leid. Aber am meisten tun wir Deutschen uns selber Leid. Nach den schwierigen Aufgaben und Problemen, die wir zu lösen haben, empfinden wir Jugendgewalt, aber auch zunehmenden Rechtsextremismus und Ausländerfeindlichkeit als große Last, die wir zu tragen haben. Neben der Anteilnahme für die Opfer und der Abscheu vor der Tat, beunruhigen vor allem zwei Dinge: Da ist zunächst die Ohnmacht und offensichtliche Unfähigkeit, unsere Kinder vor solcher Gewalt zu schützen. Muss es nach Erfurt, Emsdetten und Winnenden nicht endlich eine Diskussion über erhöhte Sicherheitsvorkehrungen in Schulen geben? Hoffnungslos stimmt die völlige Ahnungslosigkeit der Politiker. Die meisten haben keine Vorstellung, was sich in vielen unserer Schulen, aber auch daheim in den Kinderzimmern abspielt. Wie üblich gibt es nach der Tat ergriffene Mienen. Wie üblich brachte die Polit-Prominenz am Tatort tiefe Abneigung zum Ausdruck. Doch die wortreichen Stellungnahmen dokumentieren vor allem deren Hilflosigkeit. Beteuerungen in den letzten Tagen, es werde alles getan, damit so etwas nicht mehr vorkommt, gab es auch schon nach Erfurt. Glauben die Politiker denn wirklich, der Gewalt an Schulen mit einem verschärften Waffengesetz begegnen zu können? Wann werden sie begreifen, dass es diesmal nicht allein um neue Gesetze geht. Dass es nicht allein darum geht, für jede Schule einen Psychologen zu fordern. In der Albertville-Schule in Winnenden gab es einen… Der Alltag in den Schulen, oft geprägt von großem Leistungsdruck und Anonymität, muss sich verändern. Jenseits von Wissensvermittlung und Noten muss es den Lehrern möglich sein, Vertrauen zu ihren Schülerinnen und Schülern aufzubauen. Dazu braucht es Zeit, aber auch eine entsprechende Ausbildung. Die Lehrer müssen wissen, wie es in den Elternhäuser ihrer Schützlinge aussieht, müssen Gesprächspartner für die Eltern sein. Nur in einer Atmosphäre von Geborgenheit und Gemeinschaft in der Schule fällt es auf, wenn ein Schüler keine Freunde hat, zum Einzelgänger wird und sich abkapselt. Jemand muss sich um diesen Jugendlichen kümmern, wenn es schon die Eltern nicht tun. Und zwar bevor sich Hass aufbaut und – motiviert durch Ballerspiele am PC und Gewaltvideos – brutal zugeschlagen wird oder einer zur Waffe greift. Es genügt nicht, wenn sich die Politiker für ein paar Minuten von ihren Plätzen erheben. Handeln ist gefragt. Jugendlicher Gewalt muss viel entschiedener begegnet werden. Ja, die Aufbewahrung von Schusswaffen in Privathäusern sollte verboten werden. Ja, der Verkauf von Gewaltspielen sollte massiv eingeschränkt, deren Nutzung am PC zeitlich begrenzt werden. Vielleicht kann so auch die Suchtgefahr, die von diesen Ballerspielen ausgeht, eingedämmt werden. In der Bildungspolitik müssen ganz neue Wege gegangen werden. Der Alltag in unseren Schulen muss menschlicher werden. Und dazu müssen neue Bedingungen geschaffen werden, die genau dies auch befördern. Positive Beispiele gibt's genug. Im Ausland. Gottlob aber auch bei uns. Gewiss, alle Bemühungen und Veränderungen können letztlich nicht verhindern, dass ein wahnsinnig gewordener Jugendlicher wahllos auf Menschen schießt. Unwahrscheinlicher werden solche Massaker durch ein neues Klima an unseren Schulen aber schon. Das muss geschaffen werden – und zwar nicht nur für die nächsten drei, vier Wochen.