Ansehen - bei der Zeitschrift für Sozialreform (ZSR)

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Ansehen - bei der Zeitschrift für Sozialreform (ZSR)
II. Teilhabe am Arbeitsleben als
betriebliche Aufgabe
Mathilde Niehaus
Chancen und Barrieren der Teilhabe gesundheitlich beeinträchtigter und behinderter Menschen im Betrieb
Personen mit Behinderungen und gesundheitlichen Einschränkungen haben
Probleme am Arbeitsmarkt. Diese Problemgruppe ist allerdings sehr heterogen. Ihre Chancen zur Teilhabe werden vorwiegend in der Vermeidung von
Entlassungen gesehen. Diese präventive Strategie findet in der deutschen
Sozialgesetzgebung ihren Niederschlag. Chancen und Barrieren der Teilhabe
am Erwerbsleben sind nicht nur durch gesetzliche Rahmenbestimmungen
geprägt, sondern mehrdimensional verankert. Die betriebliche Teilhabe wird
ermöglicht oder erschwert durch die Art der Unternehmenskultur und der
betrieblichen Kontrakte (Integrationsvereinbarungen, betriebliches Eingliederungsmanagement) sowie auf der sozialen Ebene durch individuelle Merkmale und Vorurteile der Kollegen und Vorgesetzten. Ein Forschungsinteresse,
das den Blick auf diese Prozesse lenkt, ist lohnend und notwendig.
1. Personenkreis der gesundheitlich beeinträchtigten und behinderten
Mitarbeiter
Fortgeschrittenes Alter, Behinderungen und gesundheitliche Einschränkungen
verringern die Chancen am Arbeitsmarkt, so dass von einer Problemgruppe
gesprochen wird. Diese Problemgruppe ist sehr heterogen. Ihre Chancen
werden vorwiegend in der Beschäftigungssicherung durch Vermeidung von
Entlassungen gesehen, damit es erst gar nicht zur Arbeitslosigkeit kommt.
Insofern steht im Folgenden nicht die Situation auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt im Mittelpunkt (vgl. hierzu Niehaus 1997; Schröder/Steinwede
2004). Es geht vielmehr um die Sicherung der Teilhabe am Arbeitsleben im
ZSR, 51. Jahrgang (2005), Sonderheft 2005, S. 73-86
Mathilde Niehaus
Betrieb und um die Vermeidung der Ausgrenzung von Menschen, die bereits
im jeweiligen Unternehmen beschäftigt sind. Es geht nicht um Neueinstellungen, sondern es geht um interne Rekrutierung, um die Chancen der Weiterbeschäftigung und um Aufstiegschancen von Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen
mit gesundheitlichen Einschränkungen und Behinderungen. Wer gehört zum
Personenkreis der gesundheitlich beeinträchtigten und behinderten Mitarbeiter?
Um den Personenkreis der „gesundheitlich beeinträchtigten“ und „behinderten“ Menschen einzugrenzen und beschreiben zu können, sind vielfältige
wissenschaftliche Zugänge möglich. In Nachschlagewerken und Lehrbüchern
wird darauf verwiesen, dass „Krankheit“, „Gesundheit“ und „Behinderung“
verwandte Begriffe sind, die nicht trennscharf definiert werden und große
Überschneidungsbereiche aufweisen. Die unterschiedlichen Zugänge gehen
auf der einen Seite von salutogenetischen und auf der anderen Seite von pathogenetischen Grundannahmen aus. Im biomedizinischen Modell wird Gesundheit als Norm gewertet und Krankheit als Abweichung von der Norm. Im
salutogenetischen Modell stehen die Fragen im Vordergrund, warum Individuen trotz vielfältiger Belastungen gesund bleiben bzw. welche situativen und
personalen Ressourcen schützen. Zu dieser Modellentwicklung leistete in den
achtziger Jahren Antonovsky Pionierarbeit, der in seinen Arbeiten verdeutlichte, dass die Annahme eines dichotomen Denkansatzes unweigerlich zu
einer eingeschränkten Sicht führt, die den Menschen auf sein medizinisches
Problem reduziert und die Komplexität der Lebensgeschichte außer Acht lässt
(1997: 23). Salutogenese meint, „alle Menschen als mehr oder weniger gesund und gleichzeitig mehr oder weniger krank zu betrachten“ (Bengel et al.
1998: 24). In vielen sozialwissenschaftlich orientierten Theorieansätzen dominieren gegenwärtig die Abkehr von der dichotomen Denkweise und die
Präferenz eines multidimensionalen Kontinuum-Modells. Danach sind Menschen nicht krank oder gesund, sondern sowohl als auch. Die Mehrdimensionalität steht ebenso in modernen Auseinandersetzungen um den Behinderungsbegriff im Vordergrund und auch hier zeichnet sich international eine
Abkehr von einem biomedizinisch orientierten Verständnis ab (Europäische
Kommission 2002; WHO 2001).
Was bedeuten diese theoretischen Auseinandersetzungen für den betrieblichen Kontext? Im betrieblichen Alltag begegnet uns die Vorstellung, dass es
sich bei Krankheit um die Abweichung von der Norm Gesundheit handelt. Es
werden leistungsgewandelte, langzeitkranke, schwerbehinderte und gleichge74
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stellte Mitarbeiter/innen differenziert. Die Differenzierung ist im Hinblick auf
die sozialrechtlichen Ansprüche und Verantwortlichkeiten von Interesse.
Unter dem besonderen Schutz des Gesetzes stehen Schwerbehinderte und
ihnen „Gleichgestellte“. Im Sozialrecht (Sozialgesetzbuch IX, § 2) wird Behinderung folgendermaßen definiert: „Menschen sind behindert, wenn ihre
körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher
Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter
typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist.“ Die Auswirkung der Funktionsbeeinträchtigung
wird als Grad der Behinderung (GdB) festgestellt und in Zehnergraden bis
100 abgestuft. Ab einem Grad der Behinderung von 50 wird von einer
„Schwerbehinderung“ gesprochen. Schwerbehinderte Menschen haben Anspruch auf verschiedene Leistungen und bestimmte Rechte zum Ausgleich
behinderungsbedingter Nachteile, die im betrieblichen Kontext z.B. den Urlaubsanspruch oder den Kündigungsschutz betreffen. Menschen mit einem
Grad der Behinderung zwischen 30 und 50 können auf Antrag hin schwerbehinderten Menschen gleichgestellt werden.
Im betrieblichen Kontext ist die kategoriale Einteilung in gesunde, kranke
und schwerbehinderte bzw. gleichgestellte Mitarbeiter/innen jedoch problematisch. Zum einen gilt es zu berücksichtigen, dass ein gesetzlich als schwerbehindert anerkannter Mitarbeiter nicht zwangsläufig auch eine eingeschränkte berufliche Leistungsfähigkeit besitzen muss. Zum anderen erfordert
der Begriff der „leistungsgewandelten Mitarbeiter“ besondere Beachtung.
Nach Wieland (1995) werden Mitarbeiter/innen als leistungsgewandelt bezeichnet, wenn eine für die Arbeitstätigkeit bedeutsame gesundheitliche Einschränkung oder Beeinträchtigung vorliegt und die Ausführung der bisherigen
Arbeitstätigkeit nicht mehr ohne Weiteres möglich ist. Leistungsgewandelte
Mitarbeiter/innen sind aber nicht immer auch anerkannt schwerbehindert oder
gleichgestellt und haben somit zunächst keine Ansprüche nach den Regelungen für Schwerbehinderte. Dies gilt ebenso für die so genannten langzeitkranken Mitarbeiter/innen und anderen gesundheitlich gefährdeten Mitarbeiter/innen.
Zusammenfassend wird deutlich, dass der Personenkreis der gesundheitlich
eingeschränkten und behinderten Mitarbeiter/innen, um deren Chancen und
Barrieren im Betrieb es geht, sehr heterogen und kategorial nicht fassbar ist.
Diese Vielfalt drückt sich auch in der Abschätzung der Größenordnung des
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Personenkreises aus. Wie viele sind im Betrieb betroffen? Insgesamt kann
trotz des schwierigen Datenmaterials (leistungsgewandelte Mitarbeiter/innen
werden von Unternehmen zu Unternehmen teilweise unterschiedlich ermittelt
und definiert und in den offiziellen Arbeitsmarktstatistiken nicht ausgewiesen) von einer nicht unerheblichen Zahl betroffener Mitarbeiter/innen ausgegangen werden. Der Anteil lag in den von uns untersuchten Werken in der
deutschen Automobilindustrie je nach Definition zwischen knapp 10 % bis zu
25 % bezogen auf die Gesamtbeschäftigten (Schmal/Niehaus 2004). Welche
Chancen haben sie, weiterbeschäftigt zu werden, und mit welchen Barrieren
werden sie konfrontiert?
2. Chancen und Barrieren der betrieblichen Teilhabe
Die Größenordnung des Personenkreises, der von gesundheitlichen Einschränkungen und Behinderungen betroffen ist, und die damit zusammenhängenden
betrieblichen Herausforderungen sind beachtlich. Im betrieblichen Kontext
wächst der Problemdruck im Sinne einer „Scherenentwicklung“. Einerseits
steigt die Zahl anerkannt schwerbehinderter Menschen und gesundheitlich
Eingeschränkter an, andererseits geht die Zahl geeigneter Arbeitsplätze im
Sinne von „Leichtarbeitsplätzen“ im Zuge von Rationalisierungsmaßnahmen,
Outsourcing und „schlanken“ Strukturen zurück. Weitere gesellschaftliche und
politische Entwicklungen verschärfen den Druck zur betrieblichen Integration
zusätzlich: So ist zu bedenken, dass die überwiegende Mehrzahl der in Unternehmen beschäftigen schwerbehinderten Mitarbeiter nicht extern rekrutiert
wurde, sondern ihre Behinderung im Laufe des Berufslebens, oft auch durch
eine belastende Arbeitstätigkeit selbst, erworben hat. Im Zuge der allgemeinen
demographischen Entwicklungen werden Belegschaften im Durchschnitt älter,
was auch erwarten lässt, dass Behinderungen und gesundheitliche Einschränkungen bei Mitarbeitern zunehmen. Wenn nun Aktualität und Dringlichkeit
von betrieblichen Integrationsbemühungen als gegeben anzusehen sind, stellt
sich die Frage nach Realisierungsmöglichkeiten und -strategien. Die förderlichen und hinderlichen Strategien werden im Folgenden auf der Ebene der
sozialen Interaktion (siehe Kapitel 2.1) und auf der Ebene des Managements in
der betrieblichen Organisation (siehe Kapitel 2.2) angesprochen. Für die Ebene
der sozialen Interaktionen bedeutet dies, dass die Suche und Zuweisung eines
Arbeitsplatzes für den betroffenen Mitarbeiter entsprechend seiner Qualifikati76
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on sowie die Aufnahme als vollwertiges Mitglied der Arbeitsgruppe bzw.
Abteilung auch von den Einstellungen der jeweiligen beteiligten Akteure abhängt. Wie sehen diese Einstellungen aus?
2.1 Soziale Einstellungen und individuelle Merkmale
Einstellungen können auf der Ebene (1) der gefühlsmäßigen Wertschätzung,
(2) in Ansichten und Meinungen über behinderte Menschen und (3) im Verhalten ihnen gegenüber zum Ausdruck kommen (Tröster 1990). Nach Seifert
und Stangl (1981) können negative Einstellungen die betriebliche Integration
stärker einschränken als die gesundheitliche Einschränkung selbst. Auch die
Weltgesundheitsorganisation räumt den sozialen Einstellungen einen konstitutiven Stellenwert ein und betont, dass die Teilhabe am Erwerbsleben durch
Umweltfaktoren wie Einstellungen, Werte und Überzeugungen beeinträchtigt
oder unterstützt wird (WHO 2001). In der sozialpsychologischen Forschung
zur sozialen Einstellung gegenüber Behinderten werden die individuellen
Merkmale und damit einhergehenden Zuschreibungsprozesse differenziert
beschrieben. Anknüpfend an unsere alltäglichen Bilder haben diejenigen
Personen mit „klassischen Behinderungen“ wie Sehbehinderungen oder Mobilitätseinschränkungen grundsätzlich größere Chancen zur Teilhabe am Arbeitsleben als geistig Behinderte oder psychisch Behinderte. Darin spiegeln
sich die Unterschiede in der sozialen Akzeptanz der Arten der Behinderung
und der Zuschreibung der Verantwortlichkeit für die Behinderung wider.
Auch die Nichtsichtbarkeit von gesundheitlicher Einschränkung kann zu
Verhaltensunsicherheit und negativen sozialen Einstellungen führen. Die
betrieblichen Akteure sind in der Regeln mit Personen mit Auswirkungen von
Herz-Kreislauferkrankungen sowie Funktionseinschränkungen der Atemwege
und der Wirbelsäule konfrontiert, mit Einschränkungen und Beeinträchtigungen also, die für die Umwelt äußerlich kaum oder gar nicht erkennbar sind.
Die Mitarbeiter müssen sich mit dem Vorwurf des „Drückebergertums“ auseinander setzen. In den von uns durchgeführten Befragungen in den produzierenden Werken der Automobilindustrie (vgl. Simbrig et al. 2002) berichten
verschiedene Unternehmensbeteiligte, dass Beschimpfungen und diskriminierende Bezeichnungen, Mobbing bzw. Ausüben von psychischem Druck, soziale Ausgrenzung sowie Handgreiflichkeiten in Arbeitsgruppen ausgeübt
werden. Es wird außerdem von zusätzlichem innerbetrieblichen Wettbewerb
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gesprochen, dem sich Arbeitsgruppen stellen müssen. Dieser Wettbewerbsdruck übertrage sich dann auf direkte Vorgesetzte und andere Gruppenmitglieder. Die genannten Faktoren tragen dazu bei, dass Mitarbeiter/innen mit
Einschränkungen oder Behinderungen aufgrund einer tatsächlichen oder
zugeschriebenen geringeren Leistungsfähigkeit als Belastung wahrgenommen
werden. Wie können diese Barrieren abgebaut werden?
Ein als gerecht empfundenes Entlohnungssystem zur Verminderung von
Neid und Konkurrenzdenken wird als ein wichtiges Instrument gesehen, um
die Akzeptanz in der Arbeitsgruppe zu gewährleisten. Akzeptanz von eingeschränkter Leistung scheint am ehesten gewährleistet, wenn der Mitarbeiter
mit Behinderung oder gesundheitlicher Einschränkung bereits länger zu der
betreffenden Gruppe gehört und wenn es keine erhöhte Anzahl von Mitarbeitern mit Handicaps in einem Bereich gibt, sondern eine ungefähre Gleichverteilung über verschiedene Arbeitsgruppen gegeben ist. Als eine Voraussetzung
für das Entstehen von Verständnis werden Informationen und Schulungen für
Kollegen und Vorgesetzte von Mitarbeitern mit Behinderungen im Sinne von
Sensibilisierungsmaßnahmen genannt (vgl. Niehaus et al. 2002).
Neben den sozialen Einstellungen sind auch die individuellen Merkmale
des Menschen mit Behinderung hinsichtlich seiner Beruflichkeit von entscheidender Bedeutung. Hier spielen Alter, Geschlecht und Qualifikation eine
Rolle. Die Suche nach leistungsadäquaten Arbeitsplätzen verläuft erfolgreicher, wenn Betroffene entsprechend qualifiziert sind. Somit hängen Chancen
zur Teilhabe mit der Qualifizierung bzw. mit Angeboten zum „lebenslangen
Lernen“ zusammen. Neben der Mehrfachqualifizierung im Arbeitsbereich als
präventive Strategie (erweiterter Tätigkeitsspielraum, Bildungsgewöhnung,
Schlüsselqualifikationen) gilt es auch, Betroffenen spezifische Qualifizierungen anzubieten und zu ermöglichen. In eigenen Untersuchungen in der Automobilindustrie wird deutlich, dass vorgeschlagene Qualifizierungsmaßnahmen in der Regel von den betroffenen Mitarbeitern sehr gut akzeptiert und als
Wertschätzung erlebt werden. Darüber hinaus wächst die Bedeutung lebensbegleitenden Lernens für jeden Einzelnen zur Bewältigung der vielseitigen
Veränderungen im Prozess der Erwerbsarbeit, Wirtschaft und im Übergang
zur Wissensgesellschaft. Entsprechende Rahmenbedingungen sind durch die
europäische Politik gegeben. Die europäische Kommission hat dem lebenslangen Lernen einen herausragenden Stellenwert eingeräumt und es als Querschnittziel definiert (Kommission der Europäischen Gemeinschaft 2003a).
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2.2 Unternehmenskultur und Managementaufgaben
Neben sozialen Einstellungen und individuellen Merkmalen haben die Unternehmenskultur und betriebliche Vereinbarungen Einfluss auf die Teilhabechancen und -barrieren. Chancen der Teilhabe zu eröffnen und Barrieren zu
beseitigen, kann als eine Managementaufgabe diskutiert werden.
Diversity Management beschreibt einen neuen Ansatz, mit dessen Hilfe eine positive Atmosphäre der Vielfalt im betrieblichen Alltag gefördert werden
soll. Dabei setzt dieses Prinzip vor allem auf die Wertschätzung von Unterschiedlichkeit unter den Mitarbeiter/innen – Unterschiede zwischen Menschen hinsichtlich ihrer Nationalität, Sprache, Religion, Sexualität, physischen
Konstitution oder ihres Geschlechts. In der europäischen Politik zur Beschäftigungsförderung behinderter Menschern wird Diversity Management als
Leitidee aufgegriffen (Kommission der Europäischen Gemeinschaft 2003b).
Der Grundgedanke von Diversity Management geht davon aus, dass ein Unternehmen dann erfolgreich sein kann, wenn die Potenziale aller Mitarbeiter/innen im Unternehmen erkannt werden. Mitarbeiter/innen werden somit
als Kapital gesehen und nicht als Kostenfaktor. Diversity Management betrifft
die gesamte Belegschaft eines Unternehmens. Es handelt sich allerdings gerade bei der Implementation um eine klassische Top-down-Methode, das bedeutet, dass die Managementspitze Diversity Management als Unternehmensziel uneingeschränkt unterstützen muss, damit in der Folge bei allen Mitarbeiter/innen eine Akzeptanz entstehen kann. Auf der Ebene der Unternehmenskultur kann Diversity Management als Chance zur Teilhabe behinderter
Mitarbeiter/innen im Betrieb gesehen werden. Zahlreiche Unternehmen haben
dies längst erkannt. So haben sich in einer bundesweiten Initiative nach dem
britischen Vorbild des Employers’ Forum on Disability große Unternehmen
zusammengeschlossen, um die Situation der Arbeitnehmer/innen mit gesundheitlichen Einschränkungen und Behinderungen gezielt zu verbessern. Zusätzlich hält in Deutschland, u.a. durch den Hauptverband der Berufsgenossenschaften vorangetrieben, der aus Kanada stammende Ansatz des Disability
Management Einzug (Zimmermann 2004; Mehrhoff 2004). Hier steht die
Rückkehr an den Arbeitsplatz nach Krankheit oder behinderungsbedingter
Fehlzeit im Vordergrund. Die Mitarbeiter/innen mit Behinderungen und gesundheitlichen Einschränkungen sollen so im Betrieb gehalten werden, sie
sollen möglichst schnell wieder an den Arbeitsplatz zurückkehren. Auf diese
Weise werden Kosten für den Arbeitgeber reduziert und es wird das Arbeits79
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platzrisiko des Einzelnen minimiert. Diese Ansätze stehen im Einklang mit
den Regelungen des Sozialgesetzbuches IX (Novelle 23.4.2004), insbesondere mit den Bestimmungen im § 83 („Integrationsvereinbarungen“) und § 84
(„betriebliches Eingliederungsmanagement“).
Das Sozialgesetzbuch IX regelt im § 84, dass der Arbeitgeber bei Eintreten
von personen-, verhaltens- oder betriebsbedingten Schwierigkeiten, die zur
Gefährdung des Beschäftigungsverhältnisses führen können, möglichst frühzeitig die Interessenvertretungen und das zuständige Amt, das Integrationsamt, einschaltet, um mit ihnen alle Möglichkeiten und alle zur Verfügung
stehenden Hilfen zur Beratung und mögliche finanzielle Leistungen zu erörtern. Im Fall einer länger als sechs Wochen ununterbrochen oder wiederholten
Arbeitsunfähigkeit, hat der Arbeitgeber mit der zuständigen Interessenvertretung und mit Zustimmung und Beteiligung der betroffenen Person Leistungen
oder Hilfen zur Vorbeugung erneuter Arbeitsunfähigkeit und zum Erhalt des
Arbeitsplatzes im Sinne eines betrieblichen Eingliederungsmanagements zu
klären. Die Rehabilitationsträger und die Integrationsämter können Arbeitgeber, die ein Eingliederungsmanagement im Unternehmen einführen, durch
Prämien oder einen Bonus fördern.
Der Teilhabe als Managementaufgabe und der sozialen Verantwortung der
Unternehmen wird im Gesetz ein besonderer Stellenwert eingeräumt. Dies
wird einerseits deutlich bei den Absprachen zum betrieblichen Eingliederungsmanagement und andererseits bei Vereinbarungen zur Integration
schwerbehinderter Mitarbeiter im Unternehmen (SGB IX §83). Der Arbeitgeber ist entsprechend § 83 SGB IX verpflichtet, mit der Schwerbehindertenvertretung und weiteren Interessenvertretungen verbindliche Regelungen zur
Integration Schwerbehinderter zu vereinbaren und zwar zur Personalplanung,
Arbeitsplatzgestaltung, Gestaltung des Arbeitsumfelds, Arbeitsorganisation,
Arbeitszeit sowie Regelungen über die Durchführung in den Betrieben und
Dienststellen. Bei der Personalplanung sind besondere Regelungen zur Beschäftigung eines angemessenen Anteils von schwerbehinderten Frauen vorzusehen. Zusätzlich soll die betriebliche Prävention dadurch ausgebaut werden, dass die Arbeitgeber zusammen mit der Schwerbehindertenvertretung
und den betrieblichen Interessenvertretungen verpflichtet werden, alle Möglichkeiten und alle zur Verfügung stehenden Hilfen zu erörtern, mit denen
Schwierigkeiten im Arbeitsverhältnis beseitigt werden können und das Arbeitsverhältnis möglichst dauerhaft fortgesetzt werden kann. Als Kernstück
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und Funktionsprinzip von Integrationsvereinbarungen wird immer wieder das
Managementprinzip „Führen durch Zielvereinbarungen“ angeführt (vgl.
Düwell 2002; Seel 2001).
Welche empirischen Ergebnisse liegen zu den genannten Managementstrategien vor, die Aufschluss geben über ihre fördernde oder hindernde Wirkung
hinsichtlich der betrieblichen Teilhabe gesundheitlich eingeschränkter und
behinderter Mitarbeiter/innen? Das Instrument der Integrationsvereinbarung
hat der Gesetzgeber erstmalig im Jahr 2000 eingeführt und das „betriebliche
Eingliederungsmanagement“ erst mit der Novellierung im Jahr 2004. Zum
betrieblichen Eingliederungsmanagement liegen noch keine empirischen
Erkenntnisse vor. Der Grundgedanke wird in der Regel als Teilhabechance
gewertet, allerdings mit der seitens der Gewerkschaften geäußerten Befürchtung, dass mit der Regelung, wenn der Arbeitgeber alle Möglichkeiten genutzt hat, die Kündigung leichter wird und damit das Gegenteil erreicht wird
(Feldes 2004: 274). Zu dem Instrument der Integrationsvereinbarung liegen
vereinzelt wissenschaftliche Ergebnisse vor.1
Im Folgenden wird der Frage nachgegangen, inwieweit der Charakter abgeschlossener Integrationsvereinbarungen (am Beispiel von abgeschlossenen
Integrationsvereinbarungen in der Automobilbranche) den klassischen Merkmalen von Zielvereinbarungen entspricht, da Zielvereinbarungen als Kernstück bzw. Funktionsprinzip von Integrationsvereinbarungen gesehen werden.
Zielvereinbarungen werden in der Wirtschaft häufig auf das Führungskonzept
MbO („Management by Objectives“, Führen durch Zielvereinbarung) bezogen. Erreicht werden soll mit dem Konzept MbO vor allem eine Ausrichtung
und Konzentration der Kräfte auf transparente und konkrete Ziele hin. Zielvereinbarungen sollen entsprechend über eine vertiefte kontinuierliche Kommunikation über Erwartungen und Interessen zu einer zunehmend kooperati1
Die vom Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung finanzierte und in Kooperation mit dem Vorstand des Arbeitskreises der Schwerbehindertenvertretungen der
Deutschen Automobilindustrie durchgeführte Begleitforschung gibt Aufschluss über
die Akzeptanz von Integrationsvereinbarungen in der betrieblichen Praxis, über die
Einbindung der Schwerbehindertenvertretung in den Erarbeitungs- und Umsetzungsprozess von Integrationsvereinbarungen sowie über Inhalte, Form und Zielvereinbarungscharakter von Integrationsvereinbarungen (Niehaus et al. 2001; Schmal et al.
2002). Zur Bearbeitung dieser Forschungsfragen wurden verschiedene qualitative und
quantitative Erhebungs- und Auswertungsmethoden gewählt.
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ven, vertrauensgestützten und konfliktfähigen Zusammenarbeitskultur der
beteiligten Seiten im Unternehmen führen (Steiger 1999). Insofern können
Integrationsvereinbarungen als ein Beitrag zur „Corporate Social Responsibility“ angesehen werden. Für die Zielformulierung gilt, dass Messkriterien
festgelegt werden, die klarstellen, wie und aufgrund welcher Indikatoren der
Erfolg beurteilt wird. Schaut man sich diesbezüglich die bisher in der Automobilindustrie abgeschlossenen Integrationsvereinbarungen an, ist festzustellen, dass insbesondere Spezifität und Messbarkeit in den meisten Vereinbarungen zu kurz kommen, was die Steuerung, Kontrolle und Bewertung der
angestrebten Ziele erheblich erschweren dürfte. Stattdessen überwiegt in den
Integrationsvereinbarungen die Wiedergabe von Gesetzespassagen oder es
werden allgemeine Leitlinien einer innerbetrieblichen Integrationspolitik
deklariert. Konkrete, betriebsspezifische und im Ergebnis überprüfbare Zielvereinbarungen finden sich kaum (vgl. Niehaus et al. 2001). Insgesamt deuten
die Ergebnisse darauf hin, dass sowohl für die Bildung von Integrationsteams
als auch für die Planung, Verabschiedung und Umsetzung von Integrationsvereinbarungen mit Zielvereinbarungscharakter externe Anstöße und Beratung förderlich sind. Die Integrationsämter (Fankhaenel/Ihme 2003: 179)
haben auf diese Ergebnisse bereits reagiert und bieten Beratungen an, damit
Integrationsvereinbarungen wie Zielvereinbarungen SMART (S spezifisch, M
messbar, A akzeptiert, R realistisch, T terminiert) werden können und damit
zu einer Chance der Teilhabe am Arbeitsleben im Betrieb werden.
Ob die neuen Instrumente, die der Gesetzgeber eingeführt hat, die Teilhabe
von Menschen mit Behinderungen und gesundheitlichen Einschränkungen im
Betrieb eher unterstützen oder verhindern, kann angesichts fehlender Erfahrenswerte oder nur vereinzelter empirischer Untersuchungsergebnisse nicht
abschließend bewertet werden.
3. Ausblick
Die mehrdimensionale Betrachtung von fördernden und hindernden Faktoren
hat gezeigt, dass Strategien auf der Managementebene sowie auf der Ebene
der sozialen Einstellungen (Stigma/Sensibilisierungsmaßnahmen) und der
individuellen Merkmale (z.B. Alter und fehlende Qualifikation/Weiterbildung) ansetzen müssen, um die Chancen zur Teilhabe gesundheitlich beeinträchtigter und behinderter Menschen im Betrieb zu erhöhen. Im Kontext der
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beruflichen Teilhabe spielen die Einstellungen der betrieblichen Akteure (z.B.
Vorgesetzte, Kollegen, Personaler) im Sinne von affektiv-emotionalen und
kognitiven Reaktionen und Verhaltensbereitschaften gegenüber der Gruppe
von Mitarbeitern mit Behinderungen eine wichtige Rolle. Denken wir an
Chancen und Barrieren der Teilhabe gesundheitlich beeinträchtigter und behinderter Menschen im Betrieb, dann werden zunächst Bilder und soziale
Einstellungen aktiviert, die mit Krankheit und Einschränkung zu tun haben.
Die Bilder sind nicht von Kompetenzen, sondern von Defiziten geprägt. Hier
gilt es Vorurteile abzubauen, angemessene Bilder zu entwickeln und eine
Strategie im gesamten Unternehmen zu implementieren, die Vielfalt als Ressource begreift. Auf der Ebene der Unternehmenskultur sollen über so genannte Diversity-Management-Strategien und über betriebliche Kontrakte im
Sinne von Integrationsvereinbarungen und betrieblichem Eingliederungsmanagement die Ressourcen aktiviert und die soziale Verantwortung der Unternehmen gefördert werden. Aus Sicht der Betriebe geht es um einen möglichst
leistungsadäquaten Einsatz von Mitarbeitern mit Handicap und um die Wahrnehmung der sozialen Verantwortung als Unternehmen. Für die betroffenen
Mitarbeiter/innen ist neben dem Erhalt ihres Arbeitsplatzes vor allem auch
das Gefühl, leistungsfähig zu sein, und einen produktiven Beitrag für das
Unternehmen zu leisten sowie die soziale Integration im Sinne des Erhaltes
von sozialen Kontakten zu den Kollegen statt sozialer Ausgrenzung wichtig.
Die unterschiedlichen Interessen auszugleichen und einen optimalen Einsatz
im Unternehmen zu ermöglichen, hat sich das Internationale Arbeitsamt
(2004) mit der Verabschiedung einer Richtlinie zum Umgang mit Behinderungen am Arbeitsplatz zum Ziel gesetzt. Die Bewährungsproben der neuen
Ansätze und Vorgaben wissenschaftlich zu begleiten, wird eine zukunftsträchtige Forschungsaufgabe sein. Ein Forschungsinteresse, das den Blick auf
innerbetriebliche Strukturen und Prozesse lenkt, ist lohnend und notwendig,
da sich u.a. aufgrund demographischer, gesellschaftlicher und politischer
Veränderungen ein Perspektivenwechsel von den genannten einrichtungsbezogenen außerbetrieblichen Maßnahmen hin zu betrieblichen Maßnahmen
vollzogen hat. In den europäischen Strategiepapieren wird dieser Perspektivwechsel begleitet und in der deutschen Sozialgesetzgebung findet er seinen
Niederschlag.
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Mathilde Niehaus
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Mathilde Niehaus
Anschrift der Autorin: Prof. Dr. Dr. Mathilde Niehaus
Universität zu Köln
Lehrstuhl für Arbeit und berufliche Rehabilitation
Herbert-Lewin-Straße 2
50931 Köln
E-Mail:
[email protected]
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