13. März, 5. Fastensonntag: Pirmin Spiegel, MISEREOR

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13. März, 5. Fastensonntag: Pirmin Spiegel, MISEREOR
„Das Recht ströme wie Wasser“ – Predigt im Dom zu Hildesheim
(5. Fastensonntag - Misereorsonntag)
In der portugiesischen Übersetzung dieses Amossatzes heißt es: „ich will sehen – das Recht sprudeln
wie eine Quelle“
Und der Textzusammenhang macht deutlich, dass dieser Wunsch des Propheten eine Alterative ist,
genauer eine doppelte Alternative:
In einer doppelten, ausführlichen und harten Anklage benennt er klar, was er nicht sehen will:
Das sind erstens die sozialen Ungerechtigkeiten seiner Zeit: „das Recht in Wermut verwandeln und
die Gerechtigkeit zu Boden schlagen (5,7), von Hilflosen Pachtgeld annehmen und Getreide mit
Steuern belegen (5,11), die Unschuldigen in Not bringen, sich bestechen lassen und den Armen bei
Gericht abweisen (5,12b)
Und zweitens wendet er sich gegen die religiöse Praxis seiner Landsleute: „Ich hasse eure Feste(…)
eure fetten Heilsopfer will ich nicht sehen. Weg mit dem Lärm Eurer Lieder (…) (Am 5,21ff)
Und dann, gleichsam als abschließende, alternative Konsequenz kommt unser Leitwort: Ich aber will
sehen: „Das Recht ströme wie Wasser und die Gerechtigkeit wie ein nie versiegender Bach.“
Diese doppelte Alternative existiert bis heute:
Auf der einen Seite: Unrecht gibt es weltweit, in Brasilien, dem Partnerland unserer diesjährigen
Fastenaktion, und in Deutschland und an unzähligen Stellen in der Welt.
Die Beispiele des Amos klingen so aktuell. Wie oft habe ich das erlebt im brasilianischen Nordosten.
Unschuldige in Not bringen; den Hunger von Bauern instrumentalisieren und ausnutzen, gerade vor
der Ernte ... Und kennen wir das nicht auch in anderer Form aus unserem Land?
Dagegen steht der alte Traum Gottes von Recht und Gerechtigkeit, damals wie heute.
Und auf der anderen Seite: Große religiöse Feiern, mit schöner Ästhetik und großem Aufwand und
doch ohne die Sehnsucht nach der Gerechtigkeit für alle. Auch diese Frage wird uns bis heute
gestellt: an unsere großen Gottesdienste in den meist schön renovierten Domen unseres Landes. Ist
darin noch etwas spürbar von der Verheißung des großen Gastmahls der Geschwisterlichkeit?
Diese Fragen und Klagen des Amos in Herz und Kopf haben wir uns für die Fastenzeit in diesem Jahr
vorgenommen näher hinzusehen in Brasilien und haben zwei Menschenrechtsprojekte in den Blick
genommen: Das Menschenrechtszentrum Gaspar Garcia und seinen Kampf um würdiges Wohnen in
Sao Paulo und die CPT, die Landpastoral in Itaituba im Amazonasbecken, die gegen einen riesigen
Staudamm am Tapajós kämpft.
In Sao Paulo stellt sich die Frage, wie Menschen mit unsicheren Arbeitsverhältnissen unter würdigen
Bedingungen und bezahlbar in einer Großstadt leben können. Haben die, die als Busfahrer,
Reinigungskräfte, Verkäuferinnen, Hausangestellte eine Stadt am Laufen halten, die Möglichkeit und
das Recht in ihrer Mitte zu wohnen. Und wie steht es mit den Tausenden Obdachlosen,
Müllsammlern und Straßenkindern, die keinen Ort haben, wo sie ihr Haupt hinlegen können?
Am Tapajos, einem bisher noch fast unberührtem Nebenfluss des Amazonas, soll ein riesiger
Staudamm gebaut werden: 7608m lang, 53m hoch mit einer Staufläche von 726km². Das ist die
Größe des Bodensees, der Mürritzsees und des Chiemsees zusammen. Dort leben etwa 12.000
Munduruku, ein indigenes Volk, das dort seit Generationen ansässig ist. Und viele Flussanrainer, die
alle ihre Heimat verlieren würden. Und auch die Tausenden Bewohner der kleinen Städte, deren
Situation mit einem Staudammbau sich dramatisch verändern und meist verschlechtern würde.
Wer achtet die Rechte der Menschen in Sao Paulo und am Tapajós, die in der brasilianischen
Verfassung und in internationalen Abkommen festgehalten sind? Welche Rolle spielen sie, wenn es
um Immobilienspekulation im großen Stil geht oder um das Regierungsprogramm beschleunigten
Wachstums, das den Städten und der Industrie des brasilianischen Südens Wachstum und Energie
bringen soll?
Und im Nachdenken erkennen wir leicht, was das alles mit uns zu tun hat:
Die Frage nach bezahlbarem Wohnraum gibt es in allen Großstädten der Welt: In Sao Paulo, in Lagos,
in Neu Dehli, in Manila, aber eben auch in Berlin, in Hamburg, München und Frankfurt. Vielleicht
auch in Hildesheim? Wer kann sein Recht auf Wohnen durchsetzen, auch hier bei uns und wem wird
das „Recht auf Stadt“ verwehrt, in der alle leben können sollen?
Auch vom Staudammbau im Amazonasbecken gibt es direkte Linien in unser Leben hinein: Der
aufgestaute See wird eine Wasserstraße schaffen, über die Sojaschrot für die Fütterung von
Schweinen bei uns leichter aus Brasilien exportiert werden kann. Und die Umweltfolgen der
Abholzung des Amazonaswaldes werden mittelfristig das brasilianische Klima und auch das in der
ganzen Welt gegen die Menschen verändern. Die Dürre in Sao Paulo in den letzten beiden Jahren ist
eine unmittelbare Folge der Zerstörung des tropischen Waldes und die Konsequenzen der
Vernichtung dieser Lunge der Welt werden nicht an den Grenzen Brasiliens halt machen.
„Alles hängt mit allem zusammen“, diese Einsicht des Papstes aus der Enzyklika Laudato Si
bewahrheitet sich immer mehr. Auch deshalb haben wir in diesem Jahr mit den brasilianischen
Kirchen eine gemeinsame Fastenaktion begonnen. Die großen Themen der Erde können nur
gemeinsam angegangen werden. Wir Kirchen haben dazu die besten Voraussetzungen. Uns gibt es
überall und Gott sei Dank besonders an den Rändern der Welt. Diese globale Verankerung, die
gekoppelt ist mit lokaler Verantwortung können, ja müssen wir nur nutzen.
Kommen wir noch mal zu Amos. Was geben wir Gott zu sehen? Recht und Gerechtigkeit, besonders
für die Armen und Bedrängten aller Art, wie es das Konzil sagt?
Wie verhalten wir uns als seine Kinder, damit er Freude an uns hat?
Was ist der wahre Gottesdienst, der Gott durch unser Leben die Ehre gibt?
Amos meint, dass im Angesicht all des Unrechts, die ganze Erde beben müsste, alle ihre Bewohner
voll Trauer sein sollten, ja sogar der Nil aufgewühlt sein müsste. (Am 8,8)
Kann Gott das an uns sehen, dass wir alle voll Trauer sind, wenn die Rechte auf Wohnen, auf
wirtschaftliche, soziale und kulturelle Selbstbestimmung verletzt werden. Kann Gott sehen, dass uns
der Schmerz der anderen uns nicht gleichgültig ist, wie es Mercedes Sosa in ihrem berühmten Lied
besingt (solo le pido a Dios, que el dolor no mi sea indifirente ).
Kann Gott sehen, dass wir uns verhalten wie der barmherzige Samariter, der aufgewühlt ist bis in
seine Eingeweide, der seinen Weg verlässt und der dem namenlosen Menschen am Rand des Weges
seine Solidarität anbietet. Nicht um seiner selbst willen, sondern allein um des Menschen willen, der
unter die Räuber gefallen ist und der uns bis heute millionenfach begegnet.
Und kann Gott sehen, dass wir nicht nur dem einzelnen helfen, dass wir uns ihm zum Nächsten
machen, sondern dass wir gegen die Strukturen der Räuberei kämpfen, dass wir dafür sorgen, dass
Menschen erst gar nicht unter die Räuber fallen?
Gott ist es nicht gleichgültig ob wir leiden und wie wir leben. Das ist seine Barmherzigkeit. Das ist sein
Wesensmerkmal. Er kann gar nicht anders und das sollte für uns alle, für uns Gottgläubige deshalb
auch gelten.
Sicher würde Amos heute in Namen Gottes sagen: Ich hasse Eure globalisierte Gleichgültigkeit. Ich
will nicht sehen Eure feierlichen Gottesdienste und Eure aufwändigen Feierlichkeiten, wenn Ihr den
Armen nicht ihr Recht verschafft.
Was geben wir Gott zu sehen? Was geben wir den Menschen zu sehen als Christen, als Kirchen?
Sind Recht und Gerechtigkeit unsere Markenzeichen, die uns auszeichnen und an denen die
Menschen in Brasilien und in Deutschland erkennen können, wer unser Gott ist?
Das Recht ströme wie Wasser, das ist das Leit-Wort dieser Fastenaktion, ein Wort das uns leitet.
Lassen wir uns leiten von Amos auf den Weg der Gerechtigkeit, auf den Weg der Barmherzigkeit, der
Compaixao. Verlassen wir mit dem Samariter den eingelaufenen Weg. Suchen wir die, die am Rand
liegen und bleiben bei Ihnen. Als Papst Franziskus auf den Philippinen war, hat Kardinal Tagle von
Manila sich von ihm so verabschiedet: „Heiliger Vater, wir würden gerne mit Ihnen gehen. Aber nicht
nach Rom, sondern an die Ränder der Welt.“ Der Papst nennt das „una iglesia en salida“, eine Kirche,
die aus sich selbst herausgeht.
Lassen wir uns leiten von der Mahnung Jesu, dass zuerst die Sorge um das Reich Gottes und seine
Gerechtigkeit steht und alles andere uns dazugegeben wird.
Zeigen wir Gott, was er sehen will: Das Recht ströme wie Wasser und die Gerechtigkeit wie ein nie
versiegender Bach.
Mons. Pirmin Spiegel, MISEREOR