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INFORMATION Deutsche Wissenschaftliche Gesellschaft für Erdöl, Erdgas und Kohle e.V. Hamburg, Juni 2007 07/2007 DGMK-Projekt 688 Empfehlungen für Ab- und Anfahren von Prozessanlagen Projektbegleitung: P. Baier, MiRO Mineraloelraffinerie Oberrhein GmbH & Co. KG C. Frank, PCK Raffinerie GmbH U. Grossmann, Shell Deutschland Oil GmbH Raffinerie Heide G. Hansen, Shell Deutschland Oil GmbH Raffinerie Harburg H.-J. Kalb, TOTAL Raffinerie Mitteldeutschland GmbH B. Muchan, OMV Deutschland GmbH H. Pätschinsky, Petroplus Raffinerie Ingolstadt H. Rassmann, OMV Deutschland GmbH H. Sass, Shell Deutschland Oil GmbH Raffinerie Harburg S. Schüler, Holborn Europa Raffinerie GmbH J. Stapleford, Bayernoil Raffineriegesellschaft mbH L. Staudigl, OMV Refining & Marketing GmbH M. Tarnow, TOTAL Raffinerie Mitteldeutschland GmbH D. Wösten, H&R ChemPharm GmbH 1 Überseering 40 x D-22297 Hamburg x Amtsgericht Hamburg, 69VR6898 x USt-IdNr. DE 118712841 Telefon 040 639004 0 x Telefax 040 639004 50 x www.dgmk.de x email: [email protected] 1. Einleitung Es gibt eine Vielzahl unterschiedlicher Anlagen, die sehr unterschiedliche Gefahrenpotenziale aufweisen. Diese sind z. B. abhängig von den in den Anlagen verarbeiteten / eingesetzten Produkten, den technischen und örtlichen Gegebenheiten und vom Betriebszustand. Risikobewertungen sollten daher mit genauer Kenntnis der spezifischen Gegebenheiten erfolgen. Eine pauschale Bewertung der Gefährdung für bestimmte Anlagentypen ist insbesondere für die sehr komplexen Anlagen nicht möglich. Das sich ergebende Gefährdungspotenzial einer Anlage ist in hohem Maße von den angenommenen Szenarien abhängig. Die Szenarien sind daher in jedem Fall hinreichend zu definieren. 2. Definition von Betriebszuständen (Normalbetrieb, Abfahren, KW-frei, Anfahren) Eine Vielzahl der Vorfälle finden außerhalb des Normalbetriebes statt. Rein schematisch lassen sich die Risiken der verschiedenen Betriebszustände wie folgt darstellen: Risiko Autofahrer Risiko bestimmungsgemäßer Betrieb Normalbetrieb Im Normalbetrieb herrscht eine stabile Anlagenfahrweise. Das in der Anlage erzeugte Produkt entspricht hinsichtlich Qualität und Menge den gesetzten Anforderungen. Die einzelnen Teilanlagen werden aufeinander abgestimmt betrieben; die Energie- und Stoffströme zwischen den einzelnen Teilanlagen sind so eingestellt, dass sich entsprechend der Auslegung und Detailplanung keine Über- oder Unterversorgungen ergeben. Sämtliche Prozessparameter (Druck, Temperatur und Durchfluss) bewegen sich innerhalb der zulässigen Betriebsparameter. 2 Überseering 40 x D-22297 Hamburg x Amtsgericht Hamburg, 69VR6898 x USt-IdNr. DE 118712841 Telefon 040 639004 0 x Telefax 040 639004 50 x www.dgmk.de x email: [email protected] Ab- und Anfahren Beim Abfahren wird die betroffene Anlage auf ihre Außerbetriebnahme mit nachfolgendem Stillstand vorbereitet. Beim Anfahren wird die außer Betrieb befindliche Anlage auf einen Betrieb in ihrem Normalzustand vorbereitet. Die betroffenen Anlagen verlassen ihre im Normalbetrieb bzw. Stillstand vorliegenden Betriebszustände hinsichtlich Druck, Temperatur und Durchfluss. Dabei kann es zu Belastungen durch Druck und/oder thermische Spannungen kommen. KW-frei/Stillstand Die außer Betrieb genommenen Teilanlagen sind entleert, gedämpft und der Instandhaltungsabteilung kohlenwasserstofffrei (außer Restmengen und Wandanhaftungen) übergeben worden. Das durch die im bestimmungsgemäßen Betrieb verarbeiteten Medien sowie durch die Betriebsbedingungen herrschende Risiko besteht nicht. Die betroffenen Anlagen sind von eventuell noch in Betrieb befindlichen Anlagen separiert. 3. Ermittlung von Risiken beim An- und Abfahren Warum ist das Risiko in Abfahrsituationen gegenüber Normalbetrieb erhöht, u.a.: • höchster Verschleiß im Laufzyklus, längster Lauf nach letzter Inspektion • Belastungen durch thermische Spannungen möglich • Nutzung von selten genutzten Systemen / selten genutzte Prozeduren • Veränderung von Produkt- und Hilfsstoffstellungen (z. B. Spülungen) • Wahrscheinlichkeit von Verwechslungen steigt • Entleerungssysteme werden nach Jahren erstmalig bis an die Design-Grenzen genutzt • Wahrscheinlichkeit von o Verlegungen o Wasseransammlungen und Spontanverdampfung o Versagen von Messeinrichtungen (Dichte und Temperatur) o Versagen von Stelleinrichtungen (gelöste Ablagerungen) erhöht sich Warum ist das Risiko in Anfahrsituationen gegenüber Normalbetrieb erhöht, u.a.: • Frühausfälle möglich • Belastungen durch thermische Spannungen möglich • Qualitätsmängel (Dichtsystem etc.) möglich • Veränderung von Produkt- und Hilfsstoffstellungen (z. B. Spülungen) • selten genutzte Prozeduren • Wahrscheinlichkeit von Verwechslungen steigt • Wahrscheinlichkeit von o Wasseransammlungen und Spontanverdampfung o Versagen von Messeinrichtungen (Dichte und Temperatur) o Versagen von Stelleinrichtungen (Erstausfälle) erhöht sich 3 Überseering 40 x D-22297 Hamburg x Amtsgericht Hamburg, 69VR6898 x USt-IdNr. DE 118712841 Telefon 040 639004 0 x Telefax 040 639004 50 x www.dgmk.de x email: [email protected] 4. Bewertung der Risiken Definition Risiko (R): • Wahrscheinlichkeit bzw. Eintrittshäufigkeit des Schadens (H) X Schadensumfang (S) • Es gibt kein NULL-Risiko! Aufgrund der weniger konstanten Anlagen-Betriebsparameter bei An- und Abfahrvorgängen (im Rahmen des bestimmungsgemäßen Betriebs häufiger Zustände im zulässigen Fehlbereich anstatt Gutbereich) ist hier die Wahrscheinlichkeit eines Vorfalls größer als im Normalbetrieb. Es ergibt sich hierbei ein erhöhtes Risiko. Aufgrund der unterschiedlichen Bedingungen an den Standorten (Technik, Organisation, Örtlichkeit, usw.) ist auf Basis von Erfahrungen und Gegebenheiten individuell in jedem Standort eine Risiko-Abwägung durchzuführen. Folgende Methoden sind dabei beispielsweise einsetzbar: Ermittlung der Gefährdung aus Explosions-, Brand bzw. toxische Leckagen-Szenarien für den Raffineriekomplex und der sich daraus ergebenden Konturen für Druckwellen-, Strahlungshitze- bzw. toxischen Grenzwertbelastungen. Anschließend sind die Auswirkungen zu bewerten und ggf. Maßnahmen zur Risikominimierung zu definieren. - Ermittlung des individuellen Grenzrisikos von Anlagen/Teilanlagen (z.B. Destillation, Hydrieranlage usw.) durch LOPA (Layer of Protection Analysis). Externe Experten aus dem Bereich Risikomanagement können ggf. unterstützen. Das ermittelte Risiko ist mit anderen Risiko-Szenarien zu vergleichen und in Relation zu den Risiken in alltäglichen Lebenssituationen zu setzen, wie z.B. Autofahren. Handlungsbedarf zur Risikominimierung besteht, wenn Risiken größer eines definieren Grenzrisikos erkannt wurden. 5. Maßnahmen zur Risikominimierung Zusammenstellung möglicher Maßnahmen, mit denen eine Risikominimierung beim Ab- und Anfahren erfolgen kann (Beispiele, ohne Anspruch auf Vollständigkeit) Generell • • • • • regelmäßige Sicherheitsgespräche oder Sicherheitsaudits Meldesysteme für Beinaheunfälle und kritische Situationen mit anschließender Problembeseitigung durch die verantwortlichen Abteilungen Qualifizierung der Anlagenbediener: beginnend mit einer Ausbildung, dann stetige Weiterqualifizierung über die Bedienung der Anlage vor Ort bis zur Bedienung vom Prozessleitsystem Rotationssystem: Anlagenbediener wechseln zwischen Messwarte und Außen-Anlage Vollkontinuierliche Schulung im Rahmen der vollständigen Unterweisung (relevanter Themenbereich des IMS bzw. QSU) 4 Überseering 40 x D-22297 Hamburg x Amtsgericht Hamburg, 69VR6898 x USt-IdNr. DE 118712841 Telefon 040 639004 0 x Telefax 040 639004 50 x www.dgmk.de x email: [email protected] Organisatorisch • • • • • • • • • • • • Nur Anlagenpersonal und unterstützendes Personal von Kontraktorfirmen hält sich während des Ab- und Anfahrens in der betreffenden Anlage auf Organisation aller Unternehmensaktivitäten im Rahmen eines Integrierten Management Systems, dazu gehören u.a. o Vorhalten aller erforderlichen Anweisungen (z.B. An- und Abfahranweisungen) in einem Dokumenten-Management-System und vor Ort in Papierform o Dokumentation des Anlagenbetriebes in Schichtberichten, diese werden bei Schichtübergabe besprochen und unterschrieben o Individuelle Freigabe von Arbeiten durch Erlaubnisscheine o Benennung eines Koordinators bei umfangreichen oder sich gegenseitig beeinflussenden Arbeiten o Sicherheitsmanagement im Rahmen eines betrieblichen Alarm- und Gefahrenabwehrplans, u.a. durch Vorhaltung einer anerkannten nebenberuflichen Werkfeuerwehr, Organisation von Kommunikationsstrukturen zur externen Unterstützung im Schadensfall, Notfallübungen, usw. Überprüfung der Funktionsfähigkeit aller maßgebenden Sicherheitseinrichtungen (z.B. Fluchtwege, Feuerlöscheinrichtungen, EMR-Equipment, Sicherheitsventile) Straßensperrungen um die betreffenden Anlagen Andere Arbeiten sind während Ab- und Anfahren nicht zulässig Schriftliche Übergaben Instandhaltung / Projekt an Betrieb dokumentierte Checklisten mit geprüftem Revisionsstand Generelles Verbot für Kraftfahrzeuge in den Prozessanlagen während Ab- und Anfahrvorgängen (Einfahrt nur nach schriftlicher Genehmigung) Eine einsatzbereite Werkfeuerwehr ist auf dem Gelände interdisziplinäre Sicherheitsbetrachtungen speziell für Ab- und Anfahren von Anlagen durchführen mit anschließender Umsetzung der gefundenen Sicherheitslücken (z. B. HAZOP HAZard OPerations) Keine Lagerung von brennbaren Stoffen in temporären Gebäuden oder freistehend; von gelagerten Materialien darf keinerlei Gefährdung ausgehen Minimierung von Ausrüstungen (z.B. Bündelziehgeräte, LkW) auf das Notwendige; diese Ausrüstungen erst nach Übergabe der Anlage in die Anlage einbringen Schulung / Training • • • • • Regelmäßiges Operator-Training mit Simulationsübungen Mitarbeiter über spezifische Stillstandgefährdungen schulen bzw. Arbeitsvorbereitungsgespräch führen Projektvorhaben schulen Ab- und Anfahrprogramme vor dem Stillstand durchsprechen Unterweisung aller betroffenen Personen (eigene und Kontraktoren) über potentielle Gefährdungen und die daraus abgeleiteten Abwehrmaßnahmen Technisch • • • • Berücksichtigung vom Stand der Technik bei Anlagenum- und Neubauten Führung von Projekt-Vorschriften, Bau- und Werkstoff-Vorschriften und Technischen Beschaffungs-Vorschriften zur Berücksichtigung von standort- und anlagenspezifischen Anforderungen Einbau von Sicherheitstechnik, wie z.B. Überwachungseinrichtungen, Schutzeinrichtungen und Schadensbegrenzungseinrichtungen Durchführung der Instandhaltung nach dem Stand der Technik bzw. DIN 31051 durch qualifiziertes Personal 5 Überseering 40 x D-22297 Hamburg x Amtsgericht Hamburg, 69VR6898 x USt-IdNr. DE 118712841 Telefon 040 639004 0 x Telefax 040 639004 50 x www.dgmk.de x email: [email protected] • • Gaswarneinrichtungen in betroffenen Anlagen; bei Bedarf Installation zusätzlicher mobiler Gaswarn- und Alarmierungseinrichtungen Sprinklersystem zur Niederschlagung von Gaswolken Persönlich • • • • • Festlegung der allgemein erforderlichen PSA (Persönliche Schutzausrüstung) in den jeweiligen Anlagenbereichen in einer Anweisung Bei Arbeiten, insbesondere Stillstandsarbeiten, wird über den normalen Umfang hinaus erforderliche PSA festgelegt Grundsatz: „Zuerst denken, dann handeln“ / Einstellung jedes Mitarbeiters zu seiner Arbeit Anwesenheit des Führungspersonals beim An- und Abfahren Bewertung vorhandener Programme bzgl. Einhaltung, Effizienz, Sicherheit durch verantwortliches Führungspersonal (Audit) Kommunikation • • • • • • Verständnis für die Maßnahmen bei den Mitarbeitern erzeugen Kommunikation an alle beteiligten Funktionen (z.B. Werkfeuerwehr) Betroffene Nachbaranlagen informieren; übergreifende koordinierende Funktion Eindeutige Kennzeichnung von abgearbeiteten Maßnahmen durch Datum, Uhrzeit und Namenskürzel Vollständige und korrekte Übergabe beim Schichtwechsel nach Durchführung festgelegter Checks, Anfahren nach schriftlicher Genehmigung oder auf Anweisung des Anlagenleiters bzw. Betriebsverantwortlichen Ab-/Anfahrprogramme • • • • • • Für die jeweiligen Ab- und Anfahrvorgänge gibt es entsprechende schriftliche Programme Klare Ab- und Anfahrpläne gemäß abgestimmter Standards erstellen; Pläne enthalten vorbereitende Arbeiten, zu informierende Stellen; Aufbau gemäß einer Checkliste Kritische Aktivitäten in Form von Prozeduren oder Ab-/Anfahrprogrammen detailliert beschreiben und vom Anlagenleiter freigeben Ab- und Anfahrprogramme vor jedem Stillstand überprüfen und gegebenenfalls anpassen; Überprüfung auch auf ausreichende Plausibilität Definition des Zeitpunktes, an dem Maßnahmen zur Risikoreduzierung aufgehoben werden können; gegebenenfalls durch Einzelbetrachtungen Abweichungen vom Plan nur nach Genehmigung des Anlagenleiters 6 Überseering 40 x D-22297 Hamburg x Amtsgericht Hamburg, 69VR6898 x USt-IdNr. DE 118712841 Telefon 040 639004 0 x Telefax 040 639004 50 x www.dgmk.de x email: [email protected] Temporäre Gebäude • • • • • Aufstellung von temporären Gebäuden mit entsprechenden Sicherheitsabständen (basierend zum Beispiel auf möglichen Explosionsstärken oder Konzentrationen toxischer Substanzen) Temporäre Gebäude mit Alarm- und Evakuierungsplänen ausstatten Aufstellung von temporären Gebäuden nur mit schriftlicher Genehmigung und Freigabe Verwaltung von temporären Gebäuden mittels Übersichtsliste und -plan Temporäre Gebäude in und nahe der betroffenen Anlagen während Ab- und Anfahrvorgängen nicht besetzen; Freigabe erst nach Übergabe der Anlage an die Instandhaltungsabteilung 6. Fazit Ab- und Anfahren sind Perioden mit erhöhtem Risiko-Potenzial. Durch entsprechende Vorsorge/sorgfältige Beachtung der Prozeduren etc. kann das Ab-/Anfahren sicher gestaltet werden. Entsprechende Maßnahmen sind mit entsprechender Sorgfalt zu bewerten und umzusetzen. Die Auswahl geeigneter Maßnahmen zur Risikominimierung erfolgt durch die einzelnen Betriebsstätten auf der Basis einer den jeweiligen Anforderungen entsprechenden eingehenden Analyse. Auf diese Weise wird das eventuell vorhandene Risiko in jedem Fall auf ein akzeptables und sicher zu handhabendes Niveau reduziert. Hamburg, 04.07.2007 Lu/za 7 Überseering 40 x D-22297 Hamburg x Amtsgericht Hamburg, 69VR6898 x USt-IdNr. DE 118712841 Telefon 040 639004 0 x Telefax 040 639004 50 x www.dgmk.de x email: [email protected]