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Dieter Gräbner
Die van Imhoff –
das Totenschiff
Geschichte und Mythos
einer Weltkriegstragödie
CONTE
libri vitae
Libri Vitae Band XVIII
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ISBN 978-3-941657-34-2
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Lektorat:
Simon Scharf
Umschlag & Satz:
Markus Dawo
Druck und Bindung: PRISMA Verlagsdruckerei GmbH, Saarbrücken
Inhaltsverzeichnis
Prolog . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7
1. Als Baron van Imhoff nach Ostindien kam . . . . . . . . 13
2. Das Codewort hieß Berlijn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33
3. Frauen und Kinder nach Japan,
die Männer nach Indien. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41
4. Die van Imhoff läuft aus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47
5. »Wer den Stacheldraht berührt, wird erschossen« . . . 53
6. Nias wird deutsch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69
7. Vier Millionen Gulden »Sühnegeld« erpresst . . . . . . 83
8. War die van Imhoff-Tragödie
ein Kriegsverbrechen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95
9. Kein hinreichender Verdacht
einer strafbaren Handlung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105
10. Nachtrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119
Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127
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Prolog
Die Recherchen zu diesem Buch beginnen mit dem Brief des Polizeihauptkommissars Christoph Missy an die Saarbrücker Zeitung.
Christoph Missy schlägt vor, über den Untergang des niederländischen Südseefrachters van Imhoff vor Sumatra im Jahr 1942
zu berichten, bei dem 408 deutsche Internierte ums Leben kamen.
In dem Brief heißt es weiter, dass ein gewisser Hermann Reiter,
Jahrgang 1896, aus Höchen im Saarland stammend und einstmals
Missionar der Basler Missionsgesellschaft auf Borneo, mit der van
Imhoff unterging.
Ich rief Missy an, wir verabredeten uns Spätnachmittags bei
ihm zu Hause in Höchen. Es ist ein malerisch gelegenes Dorf mit
etwa 1 700 Einwohnern auf über 500 Metern Höhe und liegt an
der Grenze zu Rheinland-Pfalz. Christoph Missy ist stolz auf sein
Dorf: »Das 750-jährige Jubiläum wollen wir 2012 richtig feiern
und in diesem Zusammenhang eine Ortschronik herausgeben, in
der die Geschichte des Dorfes erzählt werden soll. Mich haben vor
allem die Lebensgeschichten der Menschen im Dorf interessiert.
Und die wollen wir auch erzählen. Das ist erlebte Geschichte.«
Bei seinen Recherchen nach den Schicksalen der Menschen, die mal
hier wohnten und irgendwann weg gingen, traf er Hasso Lehmann,
einen Dorfbewohner. Der brachte ihm ein Foto, das einen Soldaten
aus dem Ersten Weltkrieg zeigte und erklärte: »Das war Hermann
Reiter aus Höchen. Er war Missionar und ist im Zweiten Weltkrieg
bei einem Luftangriff im Indischen Ozean umgekommen.«
Hasso Lehmann wusste auch, dass Leni Sorg, eine Nichte von
Hermann Reiter, im Dorf lebte. Sie hatte Fotos aufbewahrt, die
Hermann Reiter aus Borneo nach Höchen zu seinen Eltern und
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Hermann und Emilie Reiter mit Hausjungen
Geschwistern geschickt hatte. Von ihr erhielt Christoph Missy
später auch die Adressen der fünf Kinder von Hermann Reiter,
die in Deutschland und Frankreich leben. Bald begann ein reger
Briefwechsel zwischen Missy und zwei Söhnen des Missionars. Sie
erzählten, dass Hermann Reiter und seine Frau Emilie zwei Mal
in Indonesien waren. Das erste Mal von 1925 bis 1932. Zwischen
1932 und 1935 arbeitete Hermann Reiter als Pfarrer in Landau in
der Pfalz. 1936 brachen die Eheleute zu ihrer zweiten Missionsreise nach Niederländisch-Indien auf und bauten in der kleinen
Stadt Muara Teweh in der Provinz Zentral-Kalimantan auf Borneo
eine Missionsstation auf.
Hermann Reiter unternahm mehrere Expeditionen ins Land. Er
übersetzte Teile des Neuen Testaments und einige Kirchenlieder in
die Sprache der Siang-Dayaks, eines Kopfjägerstammes. In Muara
Teweh wurde am 8. August 1937 Werner, das fünfte Kind des
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»Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben«
Missionarspaares, geboren. Emilie und Hermann Reiter schrieben
Briefe nach Hause an ihre Kinder, die – wie der jüngste Sohn
Werner Reiter später in einer Familienchronik aufschrieb – sehr
unter der Trennung litten.
1940 erreichte der Zweite Weltkrieg Niederländisch-Indien. Die
Deutschen, die hier seit Jahrhunderten mit den Niederländern
freundschaftlich zusammenlebten, waren nun Feinde. Hermann
Reiter wurde wie alle anderen deutschen Männer festgenommen.
Die Familie war fortan getrennt, seine Frau und sein Sohn Werner
wurden vom Internationalen Roten Kreuz nach Japan gebracht.
Hermann Reiter gehörte zu den 473 deutschen Gefangenen, die
am 19. Januar 1942 mit dem niederländischen Südseefrachter van
Imhoff nach Bombay gebracht werden sollten. Die van Imhoff
wurde jedoch von einem japanischen Bomber angegriffen und
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Einweihung der Kirche in Poerek-Tjahoe
sank. 412 deutsche Gefangene ertranken. Einer von ihnen war
Hermann Reiter. Soweit der Bericht von Christoph Missy.
Ich war neugierig geworden und recherchierte weiter: In
alten Zeitungsberichten, vor allem im Nachrichtenmagazin Der
Spiegel1 war nachzulesen, der japanische Bomberpilot habe das
Schiff, das ohne Rot-Kreuz-Flagge fuhr und deshalb nicht als
ziviles Gefangenentransportschiff zu erkennen war, für einen
Truppentransporter gehalten. Der Kapitän der van Imhoff hätte
sich geweigert, die deutschen Gefangenen mit in die Rettungsboote zu nehmen. Es habe sogar eine Anweisung der niederländischen Marine gegeben, dass deutsche Schiffbrüchige nicht
gerettet werden sollten.
Was war wirklich passiert an Bord der van Imhoff? Was waren
die Hintergründe? Was war die Vorgeschichte? Im Archiv des Aus-
1 Der Spiegel, Ausgabe 52/1965, Seite 42, und Ausgabe 7/1966, Seite 62
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Die van Imhoff auf Reede
wärtigen Amtes fand ich authentische Berichte von Überlebenden
sowie Akten, in denen den niederländischen Behörden vorgeworfen
wird, die Wahrheit über den Untergang der van Imhoff bewusst
zu vertuschen. Ich fand auch Akten über ein Ermittlungsverfahren
der Oberstaatsanwaltschaft Düsseldorf gegen den Kapitän der
van Imhoff, das allerdings eingestellt worden war. Und mit Hilfe
des Historikers Jens Bappert in s’Hertogenbosch in den Niederlanden konnte ich Dokumente aus niederländischen Archiven einsehen, die offenbar belegen, dass die Weigerung des Kapitäns, die
deutschen Internierten zu retten, ein Kriegsverbrechen gewesen
sei. Zu diesem Schluss kommt zumindest der niederländische
Historiker Bert Röling, ein anerkannter Völkerrechtsexperte,
der 1946 Richter bei den Kriegsverbrecherprozessen des Internationalen Militärgerichtshofes in Tokio war.
Der Untergang der van Imhoff ist ein ganz dunkles Kapitel
niederländisch-deutscher Beziehungen in Niederländisch-Indien.
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Die Geschichte dieser Beziehungen reicht weit zurück. Sie beginnt
vor über fünfhundert Jahren im heutigen Staat Indonesien mit
einem Deutschen, der van Imhoff hieß und endet als Tragödie auf
einem Schiff, das seinen Namen trug.
Dieter Gräbner, im Februar 2012
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1. Als Baron van Imhoff nach Ostindien kam
Jahrhunderte lang lebten in Niederländisch-Indien,
dem heutigen Indonesien, Niederländer und Deutsche
freundschaftlich miteinander. Die deutschen Bewohner
waren Kaufleute, Ärzte, Ingenieure, Pflanzer oder Missionare.
Sie dienten als Soldaten in der KNIL, in der KöniglichNiederländisch-Indischen Kolonialarmee oder arbeiteten
in der niederländischen Kolonialverwaltung. Die Deutschen
waren die zweitgrößte europäische Bevölkerungsgruppe und
gehörten zur Oberschicht. In der Kolonie gab es deutsche
Vereine, Handelsvertretungen, Kinos, Telefone und Autos.
Bevor die Niederländer im 16. Jahrhundert nach NiederländischIndien kamen, war Portugal die beherrschende Kolonialmacht im
Archipel Südostasiens. Mit den Portugiesen beginnt in Indonesien
auch die Geschichte der Deutschen. Im Jahr 1505 lief Francesco
de Almeida, der zuvor von König Emanuel I. zum Vizekönig von
Indien ernannt worden war, mit einer Flotte von 22 Schiffen, einer
tausendköpfigen Besatzung und 1 500 Fußsoldaten Richtung Südostasien aus. Seine wichtigste Aufgabe war es, den Gewürzhandel
in Ostindien unter portugiesische Kontrolle zu bringen. Drei Schiffe
der Expedition unterstanden dem Kommando des deutschen Kaufmanns Andreas »Endres« Imhoff. Mit an Bord waren außerdem
die Vertreter der großen deutschen Handelshäuser Fugger, Hirschvogel, Hochstetter, Imhoff und Welser. Balthasar Sprenger vom
Augsburger Handelshaus der Welser schrieb auf, was sie auf der
abenteuerlichen Expeditionsreise erlebten. 1509 erschienen seine
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Aufzeichnungen als Buch unter dem Titel Meerfahrt, illustriert mit
Holzschnitten, die der Augsburger Zeichner Hans Burgkmair nach
den Erzählungen Sprengers angefertigt hatte. Die Meerfahrt war
der erste authentische Bericht über die Lebenswelt der Menschen
im fernen Ostindien.
Die Reise war ein Erfolg, da Portugal seine Vormachtstellung
vorerst noch behaupten konnte. Angelockt von den Verdienstmöglichkeiten im Gewürzhandel kamen seit dem Ende des 16. Jahrhunderts immer mehr Niederländer in die tropische Inselwelt Ostindiens und versuchten, die portugiesische Vormachtstellung zu
unterlaufen.
Portugal galt im Europa des 16. und 17. Jahrhunderts als das
politische Anhängsel Spaniens. Als die Niederlande mit ihrem Sieg
im so genannten Achtzigjährigen Krieg von 1568 bis 1648 ihre
Unabhängigkeit von der Spanischen Krone erkämpft hatten, bedeutete dies zugleich das Ende der portugiesischen Kolonialherrschaft in Südostasien: Die Niederländer übernahmen nicht nur
den Gewürzhandel, sie waren fortan auch die alleinigen Kolonialherren.
Bereits 1602 wurde in diesem Zusammenhang die VOC, Vereinigte Niederländische Ostindien-Companie, mit Hauptsitz in
Batavia, dem heutigen Jakarta, eingerichtet. Die VOC war eine
privatrechtliche Handelsgesellschaft und verfügte im Namen der
Niederlande über quasi hoheitlich-staatliche Rechte. Sie konnte
Verträge mit fremden Herrschern schließen, Land und Stützpunkte erwerben und ihre Interessen auch militärisch durchsetzen.
Das tat sie auch rücksichtslos mit ihrer Armee, in der Söldner aus
vielen europäischen Ländern Dienst taten. Etwa die Hälfte des
militärischen Personals kam aus Deutschland.
Im 18. Jahrhundert prägte ein Deutscher, ein Nachfahre jenes
Andreas Imhoff vom gleichnamigen Handelshaus, die Geschichte
der niederländischen Kolonie entscheidend: Gustaaf Wilhelm
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Baron van Imhoff, geboren am 9. August 1705 in Leer, Ostfriesland.
Er stammte aus der ostfriesischen Linie der auch in Holland hoch
angesehenen Familie van Imhoff. Sein Großvater mütterlicherseits war Bürgermeister von Amsterdam und zugleich Mitglied des
Direktoriums der Ostindischen Companie. Als Neunzehnjähriger
ging Gustaaf Wilhelm Baron van Imhoff am 19. Januar 1725 als
Untercommies nach Batavia. Er war ein Mann mit christlichen
Grundsätzen, diplomatischem Geschick und Durchsetzungsvermögen. 1727 heiratete er Katarina Magdalena Huysmann, die
Tochter des damaligen Generalgouverneurs, was zum einen seine
Position innerhalb der VOC stärkte und ihm außerdem eine ansehnliche Mitgift seiner Braut sicherte. 1730 wurde er Sekretär
der Regierung Indiens, zwei Jahre später schickte man ihn in das
damalige Ceylon, das heutige Sri Lanka. Sein dortiger Auftrag: Er
sollte im Wesentlichen die Vetternwirtschaft und Kungelei unter
den VOC-Beamten beenden. Eine schwierige Aufgabe, die er mit
Geschick und Durchsetzungsvermögen löste. Gleichzeitig unterstützte er die ansässigen christlichen Missionare: 1738 ließ er in
Colombo auf eigene Kosten einen Katechismus und eine Bibel in
singhalesischer Sprache drucken und unter der Bevölkerung verteilen.2
Im Jahre 1740 wurde er zum Generalgouverneur von Niederländisch-Ostindien ernannt: 1743 lockerte er in dieser Funktion
die Bedingungen, unter denen die Chinesen in Batavia lebten,
vor allem die für die Chinesen geltenden Einschränkungen im
Handel. Er gründete die Stadt Bogor, in Jawa Barat, Westjava, in
Indonesien, die heute über 750 000 Einwohner zählt. Sie liegt etwa
sechzig Kilometer südlich von Jakarta. Im Sommer war Bogor der
bevorzugte Aufenthaltsort der niederländischen Colonial-Society,
die das Städtchen Buitenzorg – auf Deutsch etwa Sorglos – nannte.
2 Nach de.wikisource.org/wiki/ADB:Imhoff,_Gustav_Wilhelm_Baron_van, am
22.1.2012
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