Volltext - Herbert-Quandt

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Volltext - Herbert-Quandt
Sinclair-Haus-Gespräche
18
Brücken in die Zukunft –
Museen, Musik und
darstellende Künste
im 21. Jahrhundert
© Herbert-Quandt-Stiftung
Bad Homburg v. d. Höhe
September 2002
ISSN 1438 -7875
ISBN 3-00-009922-0
18. Sinclair-Haus-Gespräch
Brücken in die Zukunft –
Museen, Musik
und darstellende Künste
im 21. Jahrhundert
Bad Homburg v. d. Höhe
19.–20. April 2002
Inhalt
Editorial
7
Wolfgang R. Assmann
Geschäftsführender Vorstand
Herbert-Quandt-Stiftung
Auftakt
10
Hans Graf von der Goltz
Ehrenvorsitzender des Stiftungsrates
Herbert-Quandt-Stiftung
Seismografen der Veränderung:
Vom Nutzen künstlerischer Arbeit
für die Gesellschaft
14
Prof. Dr. Hilmar Hoffmann
Ehemaliger Präsident
des Goethe-Instituts
Mäzene, Sponsoren oder staatliche
Subventionskultur?
Rahmenbedingungen für die
künstlerische Avantgarde
19
The Rt. Hon. the Baroness Blackstone
Britische Staatsministerin
für Kunst und Musik
PODIUMSGESPRÄCH:
Kultur im 21. Jahrhundert –
Chancen und Zwänge
24
The Rt. Hon. the Baroness Blackstone
William Forsythe
Sir Peter Jonas
Prof. Dr. h.c. Klaus-Dieter Lehmann
Prof. Dr. Friedhelm Mennekes SJ
Jenseits des kulturellen Gedächtnisses:
Neue Perspektiven für Museen im
beginnenden Jahrhundert
40
Norman Rosenthal
Ausstellungsdirektor
Royal Academy of Arts
Jenseits des Etablierten:
Neue Perspektiven für die Musik
im beginnenden Jahrhundert
45
Prof. Dr. Enjott Schneider
Komponist, Hochschule für
Musik und Theater München
Jenseits der Eventkultur:
Neue Perspektiven für die darstellenden
Künste im beginnenden Jahrhundert
57
Patrick Guinand
Regisseur
Interview
Sir Peter Jonas
Staatsintendant
Bayerische Staatsoper
62
Dr. Thomas Gauly
Mitglied des Vorstandes
Herbert-Quandt-Stiftung
Teilnehmer
70
80
Biografien
Übersicht
Rückblick
82
Sinclair-Haus-Gespräche
Hintergrund
86
Herbert Quandt und Isaak von Sinclair
Impressum
Achtzehntes Gespräch
Maler in der Schirn, Frankfurt a. M.
„Muss Kunst
eine gesellschaftliche Funktion
haben oder
liegt in dieser
Annahme schon
eine unzulässige
Vereinnahmung
und Instrumentalisierung
der Kunst?“
6
Editorial
Wolfgang R. Assmann
Künstler –
Therapeuten
der Wirklichkeit?
„Kunst und Therapie haben ein Ziel: Befähigung zum eigenen Leben (…) Beide arbeiten am
Gleichgewichtssinn einer sich selbst bedrohenden
Menschheit.“ So beschrieb Adolf Muschg 1980 im
Rahmen seiner Frankfurter Poetikvorlesung die gesellschaftliche Funktion der Künste. Das leuchtet
auf den ersten Blick ebenso ein wie Julian NidaRümelins Feststellung, künstlerische Arbeit sei Teil
der Selbstreflexion einer Gesellschaft. Und doch sei
die Vorfrage erlaubt: Muss Kunst eine gesellschaftliche Funktion haben oder liegt in dieser Annahme
schon eine unzulässige Vereinnahmung und Instrumentalisierung der Kunst? 1 Nur wenn man der
Kunst eine gesamtgesellschaftliche Bedeutung zuspricht, ist es gerechtfertigt, sie mit öffentlichen
Mitteln zu fördern. Und wenn man dies tut, stellen
sich neue Fragen: Zum Beispiel nach welchen Kriterien das Geld verteilt werden soll – nach den Vorlieben einer demokratischen Mehrheitsgesellschaft,
nach wissenschaftlich untermauerten Erkenntnissen von Experten, nach vorab (von wem ausgearbeiteten und verabschiedeten?) Förderrichtlinien?
Die Themen, mit denen sich die Teilnehmer des
18. Sinclair-Haus-Gespräches beschäftigten, sind
sperriger, als man auf den ersten Blick vermutet. Denn rasante technische, wirtschaftliche und politische Veränderungen haben lange Zeit sicher Geglaubtes infrage gestellt.
Kultur im 21. Jahrhundert wird erlebt im Spannungsfeld
• zwischen Globalisierung 2 und der Suche nach kultureller Identität,
• zwischen Bewahrung des Ererbten und der notwendigen Offenheit für das Neue und
ganz Andere,
• zwischen der „Ernsthaftigkeit“ der Kunst und dem Unterhaltungsbedürfnis des Publikums,
• zwischen der Verlockung des Geldes und der Freiheit der Gedanken und
• zwischen dem professionellen Anspruch des Künstlers und der Aufnahmefähigkeit
des Publikums.
1 So nachdenklich Graf Goltz bei seiner Begrüßung, S. 10
2 Vertiefend dazu Hilmar Hoffmann: „Seismografen der Veränderung: Vom Nutzen künstlerischer Arbeit für die
Gesellschaft“, S. 14
7
Editorial
Wolfgang R. Assmann
Hilmar Hoffmann 3 sieht den gesellschaftlichen Nutzen künstlerischer Arbeit darin,
dass die Künste „Möglichkeitsräume“ für die Überwindung von Denkblockaden und
gesellschaftspolitischen Sackgassen schaffen. Dies geschieht, indem die Künstler ganz
unterschiedliche Möglichkeiten der Interpretation von Welt und Mensch durchspielen
und vorleben, es stellvertretend für alle wagen, Spielräume auszuloten und die Wirklichkeit neu zu interpretieren. Sie machen so öffentlich eine veränderte Welt begreiflich und erlebbar. Diese Rolle eines aktiven gesellschaftlichen Seismografen können
die Künstler nur spielen, wenn ihnen die Gesellschaft Freiräume gibt und sie ohne
Vorgaben experimentieren lässt. Die Freiheit der ergebnisoffenen Recherche und künstlerischen Reflexion ist Grundvoraussetzung für eine gesellschaftlich nützliche künstlerische Arbeit. Würden Geldgeber, gleichgültig ob öffentliche Hand oder private Unternehmen, versuchen, die Künste für ihre Interessen zu instrumentalisieren, wären die
„seismografischen Messergebnisse“ verfälscht und für die Gesellschaft wertlos. Gottlob
sind in der Praxis solche Versuche der Einflussnahme von öffentlichen oder privaten
Förderern kein Problem.4
Wie die Kultur vor sachfremder Einflussnahme im politischen Alltag geschützt werden kann, schildert Baroness Tessa Blackstone am „arm’s-length priniciple“, an das sich
alle britischen Kulturminister – unabhängig von ihrer politischen Überzeugung – gehalten hätten. Mit dem Finanzminister ringe der jeweilige Kulturminister um einen möglichst großen Anteil am Budget; die so erstrittenen Mittel gebe er dann, versehen mit
einigen allgemeinen Zielvorgaben, weiter an ein Expertengremium (zurzeit das „Arts
Council of England), das sachverständig und ohne politische Einflüsse entscheide, in
welchem Umfang welche Theater, Orchester, Schriftsteller usw. unterstützt werden.
Eine ebensolche Selbstbeschränkung und Zurückhaltung erwarte man auch vom privaten Sektor. Die Motive, warum ein Unternehmen, ein Mäzen oder ein Sponsor die
Künste fördere, seien gleichgültig, solange es keine Einmischung in die künstlerische
Arbeit gebe. Eine ausgewogene Partnerschaft bei der Förderung der Kultur zwischen
öffentlichem und privatem Sektor diene der Freiheit und
der Entwicklung der Kunst am besten. Aufgabe des Staates
„Nur wenn man
sei es, durch attraktive Rahmenbedingungen (z. B. steuerlider Kunst eine
cher Art) Unternehmen und Privatpersonen zur Förderung
gesamtgesellschaftder Künste anzureizen. Die britischen Unternehmen würden
liche Bedeutung
sich zunehmend auch ihrer Verantwortung für das Gemeinzuspricht, ist es
wesen bewusst, der „Corporate Social Responsibility (CSR)“.
gerechtfertigt,
Und je enger Wirtschaftsunternehmen und künstlerische Ins i e m i t ö f f e n tstitutionen zusammenarbeiteten, umso stärker erkenne man,
lichen Mitteln
dass jede Seite über Fertigkeiten und Potenziale verfüge,
zu fördern.“
die der anderen Seite nützlich seien.
Nach solch grundsätzlichen Überlegungen werden anhand praktischer Erfahrungen in Museen, Theatern und im Musikbetrieb Spannungen
und Kräfte beschrieben, die zu Beginn des 21. Jahrhunderts auf die Kultur einwirken.
Norman Rosenthal 5 zeigt am Beispiel des Guggenheim Museums in Bilbao, dass
Museen heute nicht nur Lagerhäuser eines kulturellen Gedächtnisses, Orte der Bildung
und Besinnung sind, sondern zunehmend auch Stätten des Entertainments, der Regionalpolitik, der städtischen Selbstdarstellung. Seit die Politik erkennt, dass ein Museum
ein Standortvorteil sein kann, ein Touristenmagnet, ein Imagefaktor, lässt sich öffent-
3 Hoffmann, S. 14 ff.
4 So Sir Peter, im Interview mit Dr. Thomas Gauly, S. 62
5 Norman Rosenthal: „Jenseits des kulturellen Gedächtnisses: Neue Perspektiven für Museen im beginnenden
Jahrhundert“, S. 40
8
Wolfgang R. Assmann
liches Geld für den Bau von Museen leicht beschaffen. Gleichzeitig wird es immer
schwieriger, das für die Deckung der laufenden Kosten notwendige Geld zu bekommen. Deshalb müssten die Museen immer wieder beweisen, dass sie trotz aller technischen Errungenschaften wie Internet, DVD und CD ihre Existenzberechtigung behalten
haben. Die Aura des Realen und Gegenwärtigen fasziniere die Menschen nach wie vor.
Aufgabe von Museumsleitern sei es, den Menschen diese Faszination zu vermitteln, sie
erleben zu lassen, wie Vergangenes mit der Gegenwart verknüpft ist, ihnen zu zeigen,
dass eine Welt mit Kultur besser ist als eine Welt ohne Kultur.
Auch in der zeitgenössischen Musik sollten die Künstler
sich auf den Empfängerhorizont der Menschen besinnen,
„Die Freiheit der
für die sie arbeiten. Für Enjott Schneider 6 ist die vor allem
ergebnisoffenen
in Deutschland gebräuchliche strenge Trennung zwischen
Recherche und
der meist öffentlich subventionierten, intellektuell anspruchskünstlerischen
vollen Musik für ein Bildungsbürgertum („E-Musik“) und
Reflexion ist
der kommerziellen, unterhaltsamen Musik für die Massen
Grundvoraus(„U-Musik“) ein Irrweg, der im Musikleben einen Zug zum
setzung für eine
Musealen und Restaurativen verursachte. Der „Kundenferne“
gesellschaftlich
moderner Komponisten begegnen viele Konzertveranstalter
n ü t z l i c h e k ü n s t l emit der Programmentscheidung, die Musiker lieber weiter
rische Arbeit.“
alte Meister spielen zu lassen, als einen modernen Komponisten, den die meisten Abonnenten nicht hören wollen.
Das Ergebnis ist, dass die neue zeitgenössische Musik unpopulär bleibt und im etablierten Konzertbetrieb nur einen marginalen Stellenwert hat. Wollen die heutigen Komponisten aus diesem selbstgewählten Ghetto heraus, müssen die Qualitätsbefunde von
„U-“ und „E“-Musik integriert und zu einer zeitgemäßen „Neuen Musik“ zusammengeführt werden, die durchaus tänzerische, sangliche, folkloristische Elemente enthalten
kann, ohne in Massen-Ästhetik und Kitsch abzugleiten. 7 Als Perspektive des 21. Jahrhunderts sieht Schneider 8 eine Visualisierung von Musik, durch die eine weit größere
Hörerschaft angesprochen werden kann als durch die Form der „reinen Musik“, deren
Rezeption dem musikalischen Laien zunehmend schwerer fällt. Es versteht sich von
selbst, dass solche Visionen bei Musikkennern, die von Theodor W. Adorno und Arnold
Schönberg geprägt wurden, auf heftigen Widerstand stoßen.
Passend zum Veranstaltungsort, dem Bad Homburger Landgrafenschloss, dessen
Bibliothekar Friedrich Hölderlin einst war, fragt Patrick Guinand ein Wort des Dichters
abwandelnd: „Wozu Theater in dürftiger Zeit?“ Seine Antwort: Das Theater solle sich
auf seine heilende Kraft besinnen, sich in die Politik einmischen, gegen das Vergessen
kämpfen und dem Rückzug auf die eigene Identität den Imperativ der Internationalität
entgegensetzen.
Der am Abend um ca. 100 Gäste erweiterte Kreis des Sinclair-Haus-Gespräches
erlebte unter der souveränen und zugleich fordernd fragenden Leitung von Sir Peter
Jonas ein anregendes, erhellendes und unterhaltsames Podiumsgespräch zum Thema
„Kultur im 21. Jahrhundert – Chancen und Zwänge“. 9 Auch wenn dabei nicht alle Probleme gelöst werden konnten, eines wurde deutlich: Zwänge fördern die Kreativität
und schaffen Chancen. Für Verzagtheit besteht kein Anlass. William Forsythe, der Frankfurter Ballettchef, brachte dies so auf den Punkt: „Selbst wenn alle Theater der Welt
schlössen, gäbe es immer noch genug Tanz für die gesamte Menschheit.“ J
6
7
8
9
Enjott Schneider: „Jenseits des Etablierten: Neue Perspektiven für die Musik im beginnenden Jahrhundert“, S. 45
Interessant ist in diesem Zusammenhang auch die Antwort von Sir Peter im Interview, S. 62 ff.
Schneider, S. 45 ff.
Podiumsgespräch, S. 24
9
Auftakt
Diskussionsrunde zum 18. Sinclair-Haus-Gespräch im Landgrafensaal
des Bad Homburger Schlosses
„W a s v e r b i n d e t F ö r d e r e r
und Künstler heute,
ein Zweckbündnis mit
Kosten-Nutzen-Analyse?
Oder ist es auch noch
immer die Lust an dem
ganz und gar Zwecklosen
eines Schöpfungsprozesses, der heimliche
Wunsch, den Erben des
Prometheus anzugehören?“
10
Hans Graf von der Goltz
Achtzehntes
Sinclair-HausGespräch
Meine sehr verehrten Damen und Herren,
im Namen des Stiftungsrats der HerbertQuandt-Stiftung darf ich Sie sehr herzlich
zum 18. Sinclair-Haus-Gespräch im Bad
Homburger Landgrafenschloss begrüßen.
Gerne hätte ich dies im Sinclair-Haus selbst
getan, doch leider haben uns notwendig gewordene Umbaumaßnahmen gezwungen,
den Tagungsort kurzfristig zu wechseln.
Isaak von Sinclair, dem Freund und Förderer Friedrich Hölderlins, entfremden wir
uns damit aber keineswegs. Sinclair wirkte
am Hofe der Landgrafen von Hessen-Homburg nicht nur als Erster Minister, sondern
wurde, wie wir durch neuere Forschungen
wissen, auch hier im Schloss geboren. An
seine dem freien Gedankenaustausch verpflichteten Gesprächsrunden mit führenden
Denkern der Aufklärung wie Hegel, Schelling
und Fichte knüpfen unsere Sinclair-HausGespräche an. Auch hier im landgräflichen
Schloss dürfen wir also auf den von Sinclair
begründeten genius loci hoffen.
Für das uns gestellte Thema „Brücken in die Zukunft – Museen, Musik und darstellende Künste im 21. Jahrhundert“ wird uns eine solche Inspiration sicherlich hilfreich sein. Hinter der selbstbewusst herausgestellten Brückenfunktion der Künste
verbergen sich nämlich einige sperrige Fragen, denen wir nicht ausweichen sollten.
Der Titel unserer Tagung geht von der Vorstellung aus, dass uns der neue, überraschende, vielleicht auch schockierende Blick der Künste auf ihre Wirklichkeit dabei helfen könnte, ausgetretene Pfade des Denkens, Sehens, Hörens und Wahrnehmens hinter uns zu lassen und damit zukunftsfähiger zu werden. Indem die Künste
über die Grenzen unserer eigenen Lebenswelt hinauswiesen – oft als inszenierte Regelverletzung des Konventionellen – zwängen sie uns zur Auseinandersetzung mit
11
Auftakt
Hans Graf von der Goltz
dem Neuen. So oder ähnlich heißt es jedenfalls regelmäßig bei Ausstellungseröffnungen, Preisverleihungen und anderen Veranstaltungen.
Es stellt sich die Frage, ob die bildenden und darstellenden Künste oder die Musik tatsächlich diese für die gesellschaftliche Entwicklung wichtige Funktion wahrnehmen können, und ob sie sich zu diesem Zweck instrumentalisieren lassen wollen. Diese Frage betrifft die Kunst ebenso wie die Auseinandersetzung mit ihr in
Museum, Oper oder Konzertsaal. Ideologische Mauern, die einzureißen Kunst sich
anschickt, oder Tabus, die sie brechen könnte, existieren in den westlichen Gesellschaften kaum noch.
Zukunftsprogrammatische Absichten, die Künstler in der Vergangenheit dazu gebracht haben, sich zu Bündnissen und Zirkeln zusammenzuschließen, um Manifeste
eines gemeinsamen Gestaltungswillens zu produzieren, werden kaum noch artikuliert.
Auch die Rezeption des Publikums hat sich verändert. Was früher noch ein „Choc“
gewesen sein mag, ist heute vielfach „chic“; die Bejahung des Progressiven wird zum
Ausweis der Aufgeschlossenheit für das Neue. Das gilt für Individuen ebenso wie für
Unternehmen und die öffentliche Hand. Durch die Förderung der so genannten oder
tatsächlichen Avantgarde, des scheinbar Progressiven in Kunst und Musik stellt man
die eigene Modernität unter Beweis, zeigt, dass man der Zukunft zugewandt ist. Dafür ist man bereit, einiges zu erdulden. Grenzen oder Tabus werden erst erreicht,
wenn der Kern des eigenen Selbstverständnisses berührt ist.
Insgesamt scheint es für das künstlerisch Neue einfacher geworden zu sein, Beachtung und Anerkennung zu finden. Die Frage nach der Qualität wirkt altertümlich
oder gar anmaßend. Eine andere Frage schließt sich zwingend an: Führt diese wachsende Beachtung, die progressive Kunst und Musik sowie der neue Umgang mit alten Stoffen finden, auch zu einer Stärkung der gesellschaftlichen Rolle von Kunst
und Musik? Sind wir also, indem wir uns bereitwilliger auf die künstlerische Avantgarde einlassen, eher in der Lage ausgetretene Pfade des Denkens zu verlassen und
uns der Zukunft zuzuwenden? Oder sind auch die progressiven Künste durch die
Vereinnahmung in individuellen „Lifestyle“ und unternehmerische Imagekonzepte
Teil einer „Eventkultur“ geworden, wie wir sie heute überall beobachten? Eine Anpassung an die Regeln des Unterhaltungsbetriebes muss nicht anstößig sein. Vielleicht
ist es auf diese Weise sogar einfacher, eine breitere Auseinandersetzung mit dem
Neuen in Kunst und Musik zu initiieren. Sicher ist das aber nicht.
Um seine kulturpolitisch gewollte Unterstützung des Neuen in den Künsten und
der Musik zu rechtfertigen, muss der Staat die gesamtgesellschaftliche Bedeutung der
Avantgarde begründen. Gelingt ihm das nicht, könnte danach gefragt werden, warum
sich staatliche Förderpolitik nicht auf die Vorlieben der demokratischen Mehrheits-
Podiumsgespräch bei der
Abendveranstaltung zum
18. Sinclair-Haus-Gespräch:
Prof. Dr. h.c. Klaus-Dieter Lehmann,
The Rt. Hon. the Baroness Blackstone,
Sir Peter Jonas,
William Forsythe,
Prof. Dr. Friedhelm Mennekes SJ
12
Hans Graf von der Goltz
Lord Weidenfeld (M.) im Gespräch mit Norman Rosenthal und Baroness Blackstone
gesellschaft konzentriert. Die Förderung des Progressiven bliebe dann den Privaten
überlassen – vielleicht mit Folgen für die Autonomie der Künste.
Das aber muss nicht so sein. Sind nicht oft schon große Werke aus geglückter
Symbiose von Förderer und Künstler hervorgegangen? „Brückenschläge“ in eine
Zukunft also, oft erst nach Jahrhunderten erkannt? Der Definition eines „Brückenschlages“ als Ziel und Zweck künstlerischen Gestaltens bedurfte es damals kaum,
galt doch das gemeinsame Streben einer Vollkommenheit, einem Stück Unsterblichkeit vielleicht, einer anderen, von der Zeit gelösten Dimension.
Und wir? Wovon reden wir, wenn wir von Zukunft sprechen? Wo sind die Horizonte unserer Vorstellungen? Was verbindet Förderer und Künstler heute, ein Zweckbündnis mit Kosten-Nutzen-Analyse? Oder ist es auch noch immer die Lust an dem
ganz und gar Zwecklosen eines Schöpfungsprozesses, der heimliche Wunsch, den
Erben des Prometheus anzugehören?
Nur zu behaupten, dass Museen, darstellende Künste und Musik Brücken in die
Zukunft seien, reicht nicht aus, um deren gesellschaftliche Bedeutung zu begründen.
Wir werden vielmehr bekennen müssen, was wir wollen, was wir erwarten und
welchen Preis wir zu zahlen bereit sind. Kunst, als schöpferischer Prozess, geschieht
– so oder so – auch ohne uns. Wir werden deshalb zu klären haben, ob sich die
Künste so selbstverständlich wie im Titel unserer Tagung erwartet, auf den gemeinsamen Nenner unserer Vorstellungen bringen lassen.
Ich bin sehr dankbar, dass wir mit Sir Peter Jonas, dem Staatsintendanten der
Bayerischen Staatsoper, einen ungemein kundigen Moderator für unsere Tagung
gewonnen haben. Er wird uns mit sicherer Hand und seinem im angelsächsischen
und deutschen Kulturraum geschärften Blick durch das schwierige Terrain unseres
Themas führen.
Das 18. Sinclair-Haus-Gespräch ist hiermit eröffnet.
J
13
Beiträge
Hilmar Hoffmann
Seismografen
der Veränderung
Vom Nutzen künstlerischer Arbeit
für die Gesellschaft
Einleitung:
„Brücken in die Zukunft“ lautet nicht nur das
Oberthema dieser Veranstaltung, es ist auch der
deutsche Titel eines von UN-Generalsekretär Kofi
Annan herausgegebenen, vom iranischen Staatspräsidenten Chatami angeregten Buches, das für
den interkulturellen Dialog weltweit wirbt.
Ich erwähne dies eingangs, um auf die Weite
des Kulturverständnisses hinzuweisen:
Künstlerische Arbeit ist Teil der ständigen Selbstreflexion einer Gesellschaft (Nida-Rümelin), und
als solche wird sie in meinem Beitrag verstanden.
Der Titel meines Statements enthält eine Reihe
von Schlüsselbegriffen, die in den folgenden vier
Thesen abgehandelt werden. Ich werde zunächst
über die von mir verwendete Interpretation des
Begriffs „Veränderung“ reden, dann über den
„Seismografen-Begriff“ und schließlich darüber,
wie wir das Wort „Nutzen“ verstehen wollen. Aus
all dem finde ich eine Umschreibung für das Verständnis von künstlerischer Arbeit in der Gesellschaft (und spare mir wegen der Kürze der Zeit
ein näheres Eingehen auf den fünften Begriff, den
der „Gesellschaft“).
1
Als Seismografen der Veränderung gelten die
Künste, wird unterstellt.
Was aber ist „Veränderung“?
Eine gängige Interpretation sieht uns Veränderungen ausgesetzt, auf die wir kaum Einfluss haben. Globalisierung beispielsweise wird als ein
Prozess angesehen, der mit gleichsam naturwüchsiger Dynamik abläuft und auf den durch Anpas14
sung zu reagieren geraten ist. In der Tat gibt es
Großveränderungen, auf die wenig direkter Einfluss auszuüben ist.
Die „reziproke Globalisierung“, wie Ernst Otto
Czempiel die Ereignisse des 11. September 2001
genannt hat, ist eine nicht intendierte, aber unvermeidliche Nebenfolge eines Prozesses, der gleichwohl wissentlich und willentlich in Gang gesetzt
wurde:
Die gewollte und durch gezielte Einflussnahme
aktiv bewirkte Öffnung der Märkte und die Entwicklung der weltweiten Kommunikation liefert
allen, nicht nur den erwünschten Kräften, neue
Mittel und Möglichkeiten – vom staatenlosen Terror und der organisierten Kriminalität bis hin zur
Währungsspekulation.
Um eine bedeutende Veränderung handelt es
sich auch, wenn der europäisch-atlantische Block
nicht mehr eindeutig und offen im Zentrum der
Welt und als Gipfel der globalen Entwicklung gesehen wird.
Europa und das so genannte westliche Bündnis
müssen sich damit abfinden, dass die Reiche des
Ostmeeres und des Südwindes eine eigene Stimme
in der Weltgeschichte erheben.
Es muss für die atlantische Wertegemeinschaft
als Provokation wirken, wenn islamisch geprägte Staaten eine eigene
Reformdynamik entwi„Die Akteure
ckeln, wie der Iran mit
der Kunst präseinen inneren Reforsentieren ihre
men und der eingangs
eigenen, eigenerwähnten Politik des
w i l l i g e n V o rinterkulturellen Dialogs
stellungen der
von Chatami.
kulturellen
Es handelt sich bei
Öffentlichkeit.
der Dezentrierung EuWie diese daropas weniger um eine
rauf reagiert,
unbeabsichtigte Nebenist eine andere
folge eines gezielten
Frage.“
Prozesses, als vielmehr
um die überfällige Revision eines unhaltbar gewordenen Anspruchs.
Die Problematisierung aller Konzepte von Fortschritt, Entwicklung und Evolution, auf die wir uns
ferner einzustellen haben, ist ebenfalls eine unvermeidbare Folge der bisherigen Geschichte Europas und der USA.
Museum für Moderne Kunst, Frankfurt a. M.: „Sleeping by the Lion Carpet“, Gemälde von Lucien Freud
Beiträge
Hilmar Hoffmann
Im Inneren unseres Landes haben Veränderungen der Arbeitswelt, des Altersaufbaus der Bevölkerung, der Familienstruktur, der ethnisch-kulturellen Traditionen und religiösen Prägungen in der
Einwohnerschaft weitere Veränderungen zur Folge, die als gravierend interpretiert werden können
und auf die auch im kulturellen Bereich zu reagieren ist.
Schon diese kurze Auflistung von Problemfeldern zeigt, dass es gar nicht so einfach ist, die entscheidenden Aspekte der „Veränderung“ einvernehmlich zu bestimmen.
Es wird diesbezüglich sehr unterschiedliche Ansichten geben. Das wirkt sich aus auf unsere Definition des Bildes vom „Seismografen“.
2
Zunächst denken wir beim „Seismografen“ an
das Bild eines passiven Anzeigeapparates:
Schon die alten Chinesen benutzten mit Quecksilber gefüllte Becken, um Erdbeben auch in größter Entfernung durch wellenförmige Veränderungen ihrer Oberfläche wahrzunehmen.
Der Seismograf dokumentiert in seiner technischen Bedeutung und Verwendung monokausal
verursachte Veränderungen in linearer Abhängigkeit von Anzeige und Angezeigtem.
Wenn wir das Bild
vom Seismografen auf
„Europa und
die künstlerische und
das so genannte
kulturelle Sphäre überwestliche Bündnis
tragen, dann geht es
müssen sich
dabei um plurikausale
damit abfinden,
Prozesse und um Interdass die Reiche
pretationen, statt um
des Ostmeeres
das einfache Anzeigen
u n d d e s S ü d w i nvon Veränderungen.
des eine eigene
Wenn der Geist, wie
Stimme in der
Schiller es beschrieb,
Weltgeschichte
auf mannigfache Beerheben.“
rührungen mit Wirklichkeit mit größter Unabhängigkeit der Vernunft und Empfindung zu
reagieren bereit und in der Lage sein muss, dann
hat das folgende Konsequenz:
Der Intellekt klopft diese „Wirklichkeit“ mit seinen Mitteln in eigener Kompetenz daraufhin ab,
wo er denn spannende Veränderungen festzustellen meint. Die aufgegriffenen Aspekte können sich
so deutlich unterscheiden von denen, die im offiziellen Trend wahrgenommen werden.
16
Der Seismograf wird Subjekt, er darf und muss
selber auswählen, was ihm wichtig erscheint und
was er anzeigen will.
Nur so können sich die Akteure der Künste untereinander verständigen: In subjektiver Verantwortung und eigener Kompetenz interpretieren und
werten sie, was sie vorfinden und beobachten.
Von niemandem dürfen sie sich vorschreiben
lassen, was sie als wichtige Veränderung einschätzen und worauf sie warum reagieren wollen.
Sie präsentieren ihre eigenen, eigenwilligen
Vorstellungen der kulturellen Öffentlichkeit.
Wie diese darauf reagiert, ist eine andere Frage.
3
Aus dieser aktiven Rolle des Seismografen ergibt sich für unsere Überlegungen eine Präzisierung des „Nutzens“:
Nutzen ist ohnehin ein höchst problematischer
Begriff, wenn er auf die Künste angewandt wird.
Niemand in diesem Kreis dürfte darunter etwas
verstehen wollen, was die künstlerischen Akteure
in den Dienst vordergründiger ökonomischer oder
politischer Interessen rücken möchte.
So wenig wir verkennen, dass immer und zu allen Zeiten Künste auch mit Herrschaft und Ökonomie verbandelt waren, so wenig ließe sich tolerieren, dass daraus eine Abhängigkeit entsteht. Die
Rolle der Künste und des kulturellen Systems ist
viel komplexer zu verstehen.
Der Lohn der Kultur ist die Kontingenz, sagt der
Kulturphilosoph Ralf Konersmann. Möglichkeitsräume, Spielräume, Korridore der Zukunft, ja Brücken in die Zukunft vermögen sie zu konstruieren,
indem sie Spielräume ausloten und neue Interpretationen wagen.
Sind ihre Konstruktionsvorschläge überzeugend, deren Idee die Massen ergreifen soll, dann
können daraus tragfähige Strukturen für zukunftsfähige Organisationsformen des gemeinschaftlichen Lebens entstehen.
Begriffe und Symbole für die veränderte Welt
zu entwickeln, darin beschreibt sich die anstehende Aufgabe für die kulturellen Kräfte.
Wenn mit Begriffen, Symbolen und Worten
Welt konstituiert und konstruiert wird (mindestens
handlungsleitende Standards daraus abgeleitet werden), dann werden die angemessenen Worte und
Begriffe umso wichtiger.
Wer zum Beispiel „Amerika“ sagt und die USA
meint, legitimiert damit automatisch den Vorherr-
Hilmar Hoffmann
schaftsanspruch eines Staates über einen ganzen
Kontinent.
Statt das universalisierende Paradigma der westlichen Moderne der ganzen Welt überzustülpen,
sind Begriffe, Symbole und Metaphern für eine polyzentrische Welt gefragt.
Die Begriffsarbeit des 19. Jahrhunderts verankerte einst die Selbstverständlichkeit des Imperiums und der geografischen Arbeitsteilung in den
Köpfen der Menschen.
Die Symbolarbeit der Kunst war dafür, wie Edward W. Said (Kultur und Imperialismus, Frankfurt
am Main 1994) herausarbeitet, unerlässlich. Die intellektuelle Arbeit des aufklärerischen Impulses,
des Evolutionismus und des Fortschrittsdenkens
schufen lange Zeit nicht hinwegzudenkende Weltsichten (denen beispielsweise die ausgeprägt zyklischen Geschichtsvorstellungen der chinesischen
Welt gegenüberstehen).
Ich illustriere die heute für die Künste anstehende Aufgabe mit einem historischen Beispiel:
Für die Bürgerschaft von Athen, der in der Antike mächtigsten Stadt der mittelmeerischen Welt,
war das klassische Theater ein unentbehrliches Forum der kulturellen Öffentlichkeit.
Der Münchener Althistoriker Christian Meier erläutert in seinem Athen-Buch, wie die Bürger dieser
hellenischen Stadt einst in historisch jeweils neuer
Situation mit Hilfe des Theaters in der Lage waren,
„jenen ganzen umfassenden Apparat von Institutionen und Vorstellungen, jene Weltbilder, jenen
Glauben, jenen Sinn auszubilden, ohne den eine
höhere, differenziertere Zivilisation nicht sein kann,
und sie mussten auch formulieren, wer sie sind“.
Das Theater der alten Athener war vitaler Faktor beim Aufbau der ethischen Ausstattung und
der mentalen Infrastruktur für die Bürger der auch
dadurch berühmt gewordenen athenischen Stadtrepublik, der es gelang, die Menschen in diesem
geistigen Humus zu beheimaten. In aussichtsloser
Lage halfen den Athenern schließlich ihre Künste
mehr als dicke Mauern. Die Athener zehrten nach
politischen Fehlentscheidungen ebenso wie in Zeiten der Not von dem Glanz und der Attraktivität
ihrer kulturellen Tradition. Diese Wechselbeziehungen setzten sich bis ins 19. Jahrhundert fort.
Daraus ließen sich, und damit komme ich zu einem letzten Beispiel, auch für die Diskussionen
über die Bewerbung der Rhein-Main-Region um
den Titel der Europäischen Kulturhauptstadt Anregungen gewinnen.
Wer dieser Region helfen und ihre Stärke und
Attraktivität steigern wollte, der müsste sich danach
fragen lassen, wie denn die künstlerischen und
kulturellen Kräfte sich dabei aktiv einbringen könnten. Wenn sie sich nicht nur anschließen wollen an
die Wirtschaftsinitiativen und regionalpolitischen
Aktivitäten, wäre es angemessen, ihrerseits selbst
Impulse zu geben.
In einer Stadt wie
„Statt das uniFrankfurt bündeln sich
versalisierende
heute die größten WiParadigma
dersprüche, angesichts
der westlichen
derer wie im alten
Moderne der
Athen eine neue mentaganzen Welt
le Infrastruktur zu entüberzustülpen,
wickeln wäre: Wachssind Begriffe,
tumshoffnungen stehen
Symbole und Meneben den Ansprüchen
taphern für eine
auf Nachhaltigkeit, und
polyzentrische
der Luxus hat sich den
W e l t g e f r a g t .“
Klagen der Armut zu
stellen.
Gerechtigkeitsstreben konkurriert mit Gewinnmaximierung, während humane Standards des
klassischen Erbes konkurrieren mit dem Versuch
des Re-engineering (der Neuerfindung) des genetisch optimierten Menschen.
Angesichts des raschen Verfalls von einst als
vielversprechend gehandelten Innovationen bestehen auch angesichts des rasanten Wechsels von
Paradigmen außerordentliche Herausforderungen
für das Selbstverständnis und die Kultur unserer
Gesellschaft.
Mit Blick auf die verschiedensten Krisenszenarien oder auch nur Unsicherheiten besteht ein
neuer Bedarf an Nachdenken über Grundfragen
des Seins.
Nicht nur in der Rhein-Main-Region, sondern in
einer Prosperitätsregion wie Europa stellt sich heute
die alt-neue Frage nach dem richtigen Leben angesichts des Zustandes der Welt.
Diese Frage wurde nach dem schrecklichen
„Angriff auf unsere Lebensweise“ (George W.
Bush jr.) vom 11. September 2001 brisant aktuell:
„Die Globalisierung hat vielen ungeahnten Wohlstand gebracht, zugleich aber auch neue Armut
und politische Brüchigkeit“ (Kissinger).
Den einstigen US-amerikanischen Außenminister Henry Kissinger ängstigt die Legitimationskrise,
die er für den Fall für unausweichlich hält, wenn
im Globalisierungsprozess der Ausgleich zwischen
17
Beiträge
Hilmar Hoffmann
„Die Frage nach
dem richtigen
Leben angesichts
des Zustandes der
Welt […] wurde
nach dem schrecklichen ,Angriff
a u f u n s e r e L e b e n sweise‘ (George
W. Bush jr.) vom
1 1. S e p t e m b e r 2 0 0 1
brisant aktuell.“
4
Trauer um die Opfer der Terroranschläge in den USA vor
dem amerikanischen Generalkonsulat in Frankfurt a. M.
den Begünstigten und den Benachteiligten misslänge (Theo Sommer in einer Rezension von Kissingers Buch „Does America Need a Foreign Policy?“
In: Die Zeit v. 23.08.01).
Wir sind schon inmitten dieser Legitimationskrise, und die Antwort lässt sich reduzieren auf
neue Sicherheitssysteme und Waffentechnologien
oder hilflose Entwicklungsprogramme.
„Zukunft ist ein kulturelles Programm“, lässt
sich gut und gern behaupten: Macht, Einfluss und
Politik können die anstehenden Probleme allein
nicht lösen, wenn ihnen nicht Werte und Ziele zugeordnet sind. Diese müssen in demokratischen
Verhältnissen erkennbar sein als auf Lebensqualität und Wohlbefinden gerichtet.
Gewiss, alle großen Pläne stehen unter dem
tröstenden Vorbehalt der „Disproportion des Talents mit dem Leben“ – so Goethe über seinen
„Tasso“. Aber dieser Spannung zwischen Gewolltem und Realisiertem, zwischen großen Visionen
und kleinen Kräften müssen sich die Kunst und
die kulturellen Akteure immer wieder stellen.
18
Abschließend fasse ich noch einmal zusammen:
Unveräußerliche Charakteristika künstlerischer Arbeit als Seismografen der Veränderung bestehen
darin, aus der Erfahrung des sich wandelnden Lebens symbolische Formen der deutenden, wertenden und erkennenden Aneignung von Welt zu generieren.
Indem die Künste kulturspezifisch Möglichkeiten der Interpretation von Welt und Mensch
durchspielen und vorleben, öffnen sie innerhalb
einer Gesellschaft Chancen des Wandels und der
Entwicklung. Sie erschließen „Möglichkeitsräume“
für die Überwindung von Denkblockaden und gesellschaftspolitischen Sackgassen.
Bezogen auf die Beziehungen zwischen Gesellschaften und kulturell geprägten Räumen erlauben
sie es, mit Hilfe nachempfindender Kommunikation die Barrieren der Wortlosigkeit zu durchbrechen und die schwarzen Löcher des Unverständnisses zu überwinden.
Wenn all dies mit der Professionalität der Künste
und in ihrer Zeitgenossenschaft geschieht, und
wenn sie die Ergebnisse ihrer Arbeit der kulturellen Öffentlichkeit präsentieren, helfen sie Gesellschaften, sich neu kulturell zu justieren. So lässt
sich vielleicht besser verstehen, was als ihr „Nutzen“ bezeichnet wird.
Es ist der Job von Museen sowie der Institutionen der Pflege von Musik und darstellenden Künsten im 21. Jahrhundert, die Öffentlichkeit für solche kulturelle Aktivität herzustellen.
Die Freiheit der ergebnisoffenen Recherche und
Reflexion, die sich nicht für fremdgesetzte Ziele
instrumentalisieren lässt, ist die Voraussetzung für
solche nützliche Tätigkeit. J
Beiträge
Tessa Blackstone
Mäzene, Sponsoren
oder staatliche
Subventionskultur?
Rahmenbedingungen für die
künstlerische Avantgarde
Diese Gespräche bieten eine willkommene Gelegenheit, einige Fragen zu erörtern, um deren Beantwortung die Staaten und ihre Regierungen in
ganz Europa ringen. Wie lassen sich Kunst und
Kultur im neuen Jahrtausend am besten fördern?
Wie können wir der künstlerischen Kreativität Anstöße geben, während wir uns gleichzeitig mit einer
Vielzahl anderer gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Herausforderungen auf lokaler, nationaler
und internationaler Ebene auseinandersetzen müssen? Welche Rolle sollte der private Sektor spielen,
wenn die staatliche Förderung an ihre Grenzen
stößt? Und gibt es ein bestimmtes Modell der Kunstförderung, das sich auf unterschiedliche Länder
übertragen lässt?
Traditionell liegt die Position Großbritanniens
zwischen dem liberalistischen Modell der Vereinigten Staaten, wo die
Künste seit jeher von
„Wir werden
einem privaten, durch
immer wieder
steuerliche Anreize undaran erinnert,
terstützten Mäzenatendass jedes Pfund
tum gefördert werden,
für die Kunst ein
und dem eher dirigisPfund weniger
tischen europäischen
für Bildung und
Modell. Vielleicht könG e s u n d h e i t […]
nen wir das britische
bedeutet.“
Modell den „Dritten
Weg“ nennen.
Während die politische Ausrichtung britischer
Regierungen während der vergangenen fünfzig
Jahre immer wieder zwischen Rechts und Links
gewechselt hat, haben sich die jeweiligen Kultur-
minister mit erstaunlicher Kontinuität an das „arm’slength principle“, den Grundsatz einer „vermittelten“ Förderung, gehalten. Sie beschaffen sich beim
Finanzminister so viele Mittel, wie sie bekommen
können, und geben sie dann, mit einigen allgemeinen Zielvorgaben versehen, an ein Expertengremium weiter, zurzeit das „Arts Council of England“,
das sachverständig darüber entscheidet, in welchem Umfang welche Theater, Orchester, Schriftsteller und andere Künstler unterstützt werden sollen. Als amtierende Kunstministerin kann ich sagen,
dass dieses „arm’s-length principle“ bisweilen außerordentlich frustrierend sein kann. Trotzdem
glaube ich, dass es uns (von einigen Ausnahmefällen abgesehen) in Großbritannien gute Dienste
geleistet hat.
Bei unseren Gesprächen mit Kollegen im Finanzministerium werden wir immer wieder daran
erinnert, dass jedes Pfund für die Kunst ein Pfund
weniger für Bildung, Gesundheit, Verkehr oder
Verbrechensbekämpfung bedeutet. Selbstverständlich lässt sich dem entgegenhalten, dass öffentliche
Ausgaben für die Kunst oft auch diesen allgemeineren Belangen zugute kommen, und so argumentieren wir auch. Ich bin darauf gespannt, wie
diese Diskussion in Deutschland und anderen Ländern geführt wird und ob dabei Argumente zur
Sprache kommen, die auch uns nützlich sein könnten. Dennoch müssen wir vor dem Hintergrund
unserer gemeinsamen politischen Verantwortung
erkennen, dass Prioritäten zu setzen sind und dass
die Mittel, die sich zur Förderung der Künste und
für den Unterhalt unserer großen staatlichen Sammlungen aus dem Staatshaushalt abzweigen lassen,
immer begrenzt sein werden.
Welche Rolle sollte nun der private Sektor bei
der Kulturförderung spielen, wenn man berücksichtigt, dass sich allein mit staatlichen Geldern
niemals genug für die Künste tun lassen wird? Das
private Mäzenatentum kann auf eine ehrwürdige,
eindrucksvolle Geschichte zurückblicken, die bis
in die Tage des alten Maecenas selbst reicht. Ich
glaube nicht, dass der individuelle Mäzen durch
das Anwachsen der staatlichen Kunstförderung an
Bedeutung verloren hat. Ich glaube vielmehr, dass
heute, am Beginn eines neuen Jahrtausends, dem
kulturellen Sektor mit einer Partnerschaft zwischen
19
Beiträge
Tessa Blackstone
öffentlichem und privatem Sektor am besten gedient ist.
Das Klima für Kunst und Kultur ist in Großbritannien – trotz einiger Probleme – zurzeit recht
günstig, und ich glaube, dass die Stellung der Künste und Museen im ganzen Land in den kommenden Jahren noch weiter gestärkt werden wird.
Vielleicht klingt es etwas selbstgefällig, wenn ich
als Mitglied der jetzigen Regierung eine solche
Voraussage mache. Aber auch wenn ich natürlich
der Meinung bin, dass unsere Politik tatsächlich
dem Wohle der Künste und der Künstler dient, bin
ich doch ebenso fest davon überzeugt, dass all unsere Maßnahmen nicht ausreichen würden ohne
eine konsequente und weitsichtige Unterstützung
von Seiten des privaten Sektors, sei es durch private Mäzene und Stiftungen, sei es durch Unternehmen und andere Organisationen.
Die Finanzierung der Kunst lässt sich mit einem
Auto vergleichen. Seine vier Räder sind: die staatlichen Mittel, die privaten Mittel, die kommunalen
Mittel und die Kasseneinnahmen. Wenn eines dieser Räder ausfällt, wird das Fahren außerordentlich
schwierig. Um vorwärts zu kommen, müssen alle
vier Räder fest sitzen und sich in die gleiche Richtung drehen.
An dieser Stelle möchte ich kurz die Ziele umreißen, die die britische Regierung im Hinblick auf
die Künste verfolgt.
• Zunächst und vor allem wollen wir herausragende Leistungen – excellence – fördern, und
zwar nicht nur bei den großen nationalen Institutionen wie der National Gallery, der Royal
Shakespeare Company und der English National Opera (die Peter Jonas, als er nach München ging, kerngesund hinterlassen hat), sondern auch bei den vielen hundert kleineren
Einrichtungen, die den Lebensnerv von Kunst
und Kultur in Großbritannien bilden.
• Wir wollen die Beziehung zwischen Kultur und
Bildungswesen intensivieren, indem wir Kindern und Jugendlichen einen besseren Zugang
zum kulturellen und sportlichen Leben verschaffen und ihnen Gelegenheit bieten, den
ganzen Reichtum ihrer Talente durch aktive
Teilnahme zu entfalten.
• Wir wollen unsere nationalen Sammlungen und
Institutionen der breiten Öffentlichkeit noch
besser zugänglich machen und damit den ge20
sellschaftlichen Zusammenhalt und das lebenslange Lernen fördern. Einer der größten Erfolge
während der letzten Jahre war die Rückkehr
zum freien Eintritt in allen nationalen Museen
und Galerien. Diese Sammlungen gehören der
Nation, und jeder kann sie nun kostenlos besuchen. Diese Initiative fand allgemein großen
Beifall, aber wir können uns auf unseren Lorbeeren nicht ausruhen, denn in einem nächsten
Schritt wollen wir auch den Reichtum der örtlichen und regionalen Museen und Galerien für
ein breiteres Publikum öffnen.
• Wir wollen den Beitrag der kreativen Branchen
zur Gesamtwirtschaft maximieren.
Diesen Zielen können wir durch die Bereitstellung öffentlicher Mittel um einiges näher kommen.
Und tatsächlich haben wir eine Aufstockung der
staatlichen Mittel für den Kunstbereich um 40 Prozent während der kommenden drei Jahre beschlossen. Damit soll die chronische Unterfinanzierung
während der achtziger und eines großen Teils der
neunziger Jahre ausgeglichen und die kulturelle
Infrastruktur gestärkt werden. Aber wie gesagt:
Gleichgültig, wie viel öffentliche Mittel wir für die
Kunst aufbringen können, werden diese Gelder allein niemals ausreichen, eine Umgebung zu schaffen, in der die Künste wirklich gedeihen können.
Private Kunstförderung ist und bleibt unverzichtbar.
Der Einfluss der National Lottery auf den britischen Kultursektor während der letzten zehn Jahre
kann nicht hoch genug bewertet werden. Daran
lässt sich die Partnerschaft zwischen privatem und
öffentlichem Sektor in Großbritannien am besten
veranschaulichen. Aus der Lotterie sind mehr als
13 Milliarden Euro direkt in sinnvolle Projekte im
ganzen Land geflossen, und aufgrund der „matching fund“-Richtlinien bei der Finanzierung der
durch die Lotterie unterstützten Kapitalbildungsprojekte sind darüber hinaus weitere acht Milliarden Euro aus dem privaten Sektor hinzugekommen. Und diese Zahl umfasst nur die Mittel, die in
die Projekte selbst geflossen sind. Die breitere Wirkung im Sinne einer Stärkung oder Erneuerung
des urbanen Lebens ist jeder größeren Kommune
im Land zugute kommen und hat vielerorts den
Stolz der Bürger auf ihre Städte wiederhergestellt,
von dem jahrzehntelang nichts zu spüren war.
Eine interessante Folge dieser Entwicklung ist der
leidenschaftliche Wettbewerb, der nun zwischen
jenen zwölf Städten entbrannt ist, die sich für das
Theater in einer Seitenstraße des Trafalgar Square, London
„Wir wollen
auch die vielen
hundert kleineren
Einrichtungen
fördern, die den
Lebensnerv von
Kunst und Kultur
in Großbritannien bilden.“
Jahr 2008 offiziell als „Europäische Kulturhauptstadt“ beworben haben.
Von welchen Motiven lassen sich private Stifter
leiten? Und kommt es darauf an, wie diese Motive
beschaffen sind? Gibt es eine moralische Hierarchie, derzufolge bestimmte Stiftungen eine höhere
Wertschätzung verdienen als andere? Ich glaube
nicht, dass diese Fragen wirklich wichtig sind. Michelangelo und Leonardo da Vinci wurden von
den Borgias gefördert. In seinem Buch „Culture of
Complaint“ befasst sich der australische Autor und
Fernsehjournalist Robert Hughes ausführlicher mit
diesem Thema. Er zitiert das Beispiel des Sigis-
mondo da Malatesta, eines ebenso verrufenen wie
kunstbegeisterten Renaissancefürsten, der den Architekten Alberti und den Maler Piero della Francesca in seine Dienste nahm und sie zum Andenken an seine Frau eine Kathedrale bauen ließ.
Gleichzeitig wurde dieser Sigismondo, der den Bischof von Fano auf dem größten Platz von Rimini
vergewaltigt hatte, „nach seinem Tod allgemein so
verabscheut, dass die katholische Kirche ihn (eine
Zeit lang) offiziell neben Judas Ischariot als einzigen
Menschen aufführte, der sich in der Hölle aufhalte.“
Viele große Sammlungen des Abendlandes, die
heute den Grundstock unserer nationalen Museen
und Galerien bilden, gehen auf die Initiative einzelner Mäzene zurück. Oft beruht die Vergabe von
Aufträgen an bestimmte Künstler auf Eitelkeit oder
noch weniger ehrenhaften Motiven. Für manche
Leute war die Förderung der Kunst schon immer
ein Mittel, sich Ansehen zu erkaufen, und selbst die
amerikanischen Industriemagnaten des 19. Jahrhunderts entschlossen sich zu ihren großen philanthropischen Stiftungen erst, als die Regierung ihnen
mit der Verhängung von Strafsteuern drohte.
Fairerweise muss man allerdings sagen, dass
solches Mäzenatentum oft aus echter Begeisterung
21
Beiträge
Tessa Blackstone
(wenn auch nicht immer aus wirklichem Verständnis) für die Kunst erwächst. Man denke an die Geschichte, wie sich Peggy Guggenheim zu Jackson
Pollock und seinen „drip paintings“ bekehren ließ:
Sie zeigte eines dieser Bilder Piet Mondrian, dem
Meister der reinen, abgeklärten Form, in der Erwartung, er werde ihr in ihrer Geringschätzung beipflichten. Doch Mondrians überraschende Bewunderung für Pollock hatte zur Folge, dass es auch
Peggy Guggenheim plötzlich wie Schuppen von
den Augen fiel. Und man muss es ihr hoch anrechnen, dass sie an ihrem Enthusiasmus festhielt. Solcher Enthusiasmus hat die westliche Kunst oft nachhaltig bereichert.
Eine gewisse Ahnungslosigkeit auf Seiten des
Mäzens ist vielleicht sogar wünschenswert. Zumindest sollte er bereit sein, den Künstler „machen zu
lassen“. Schließlich bewegt sich dieser hier auf seinem ureigenen Feld, und man kann nur hoffen,
dass jeder Mäzen auch an dem Element der Überraschung Gefallen findet, wenn er mit dem
vollendeten Werk kon„Ich glaube
frontiert wird. Bei Sigisnicht, dass dem
mondo war das so, und
Gönner durch
indem er Alberti freie
s e i n M ä z e n aHand ließ, hat er die
tentum ein
Entwicklung der ArchiRecht zuwächst,
tektur in der Renaissich in den
sance stark beeinflusst.
schöpferischen
Andererseits blieb eines
Prozess einder größten Meisterzumischen.“
werke der abendländischen Kultur durchaus
nicht allein den künstlerischen Absichten seines
Schöpfers überlassen. Als die Mitglieder des Kardinalskollegiums Michelangelos Version der Heilsgeschichte in der Sixtinischen Kapelle zum ersten
Mal zu Gesicht bekamen, waren sie entrüstet und
verlangten Änderungen. Ich glaube allerdings
nicht, dass dem Gönner durch sein Mäzenatentum
ein Recht zuwächst, sich in den schöpferischen
Prozess einzumischen. Das gilt auch, wenn nicht
sogar in noch stärkerem Maße, beim Kultursponsoring von Unternehmen.
Es gibt wohl fast so viele Gründe, die Künste zu
fördern, wie es Förderer gibt. Viele Einzelpersonen,
die sich mäzenatisch betätigen, äußern sich nur
ungern über ihre Beweggründe, und wir müssen
ihre Haltung natürlich respektieren. Andere sind in
dieser Frage offener. Viele treibt der Wunsch, etwas
22
für die Allgemeinheit zu tun oder sich für die
Freude erkenntlich zu zeigen, die ihnen die Künste
über Jahre hin bereitet haben. Anderen geht es um
ihr eigenes dauerhaftes Andenken – sie wünschen
sich etwas, das sie selbst überleben wird. Zahlreiche Schenkungen zugunsten der Kunst sind zustande gekommen, weil im Gegenzug Gebäude
oder Institutionen nach dem Stifter benannt wurden. Meiner Ansicht nach sollten wir bei diesem
Recht auf Namensvergabe nicht allzu empfindlich
reagieren. Wenn es auf diese Weise möglich wird,
Neues zu schaffen oder vorhandene Sammlungen
zu erhalten, scheint mir der Preis nicht zu hoch. In
jedem Fall sollten diese Fragen jedoch zwischen
Künstler und Gönner geklärt werden, der Staat
sollte sich nicht einmischen.
Ich meine, die Motive eines Stifters sind weitgehend seine Privatangelegenheit, und im Grunde
möchte ich die verschiedenen Gründe für private
Schenkungen im Bereich der Kunst gar nicht so
genau kennen. Eine solche Kenntnis kann jedoch
hilfreich sein, wenn es um die steuerpolitische
Ausgestaltung der individuellen Spendenpraxis
geht. Im Jahre 2000 haben wir die Richtlinien für
gemeinnützige Spenden in Großbritannien geändert. Die meisten britischen Kunstinstitutionen
(bis auf die allerkleinsten) sind nun als gemeinnützige Einrichtungen eingetragen. Es ist natürlich
schwierig, die Auswirkungen einer solchen Änderung zu messen. Wir haben jedoch den Eindruck,
dass sich die individuellen Spenden für diese Einrichtungen seither deutlich erhöht haben.
Spenden von Unternehmen lassen sich leichter
erfassen. In Großbritannien haben wir eine Organisation namens „Arts & Business“. Sie arbeitet
wie ein Heiratsvermittler zwischen Kunst und
Wirtschaft, macht geeignete Partner ausfindig,
hilft dabei, starke, haltbare Beziehungen zwischen
einzelnen Organisationen zu stiften und bewirkt
tatsächlich, dass private Spenden in erheblichem
Umfang ihren Weg in den Bereich der Kunst finden. Unabhängige Berater erstellen alljährlich einen
Bericht über die Sponsorentätigkeit von Unternehmen in der Kunst; im Berichtszeitraum 2000/2001
betrug die Summe der in Großbritannien von Unternehmen an die Künste geflossenen Sponsorengelder 150 Millionen Euro. Soweit ich weiß, gibt es
in Deutschland eine ähnliche Körperschaft, den Arbeitskreis Kultursponsoring (AKS), der aber, wie es
scheint, in der deutschen Geschäftswelt noch nicht
so etabliert ist wie sein britisches Pendant.
Tessa Blackstone
Jenseits der traditionellen, eher paternalistischen
Beziehungen zwischen Wirtschaft und Kunst konnte man in den letzten Jahren einige andere interessante Entwicklungen beobachten. Wirtschaftsunternehmen und künstlerische Institutionen haben
erkannt, dass jede Seite über Fertigkeiten und Potenziale verfügt, die sich weitergeben lassen und
die der anderen Seite nützlich sein können. Künstlerische Einrichtungen können den Unternehmen
bestimmte Formen von Kreativität vermitteln, die
zur Stärkung ihrer Wettbewerbsfähigkeit beitragen. Umgekehrt verfügt die Wirtschaft in Managementfragen, in Fragen der Finanzverwaltung und
in anderen Bereichen über ein Know-how, das im
Kunstbereich während der vergangenen Jahre eher
vernachlässigt wurde.
Ein weiterer wichtiger Ansporn zur stärkeren
Förderung der Kunst ist der Wunsch vieler Unternehmen, ihre unternehmerische Verantwortung
für das Gemeinwesen, die „Corporate Social Responsibility“ (CSR), zu demonstrieren. Der elementare Nutzen der CSR ist seit langem bekannt. Viele
Unternehmen haben ihre Verantwortung für das
Gemeinwesen unter Beweis zu stellen versucht,
indem sie Projekte im Bereich von Bildung, Umweltschutz oder Gemeinde- und Stadtteilarbeit unterstützten – und wenn sie die Wahl hatten, haben
sie ihre Mittel tatsächlich eher in solche Projekte
als in den künstlerischen Bereich gesteckt. Bei
manchen Unternehmen galten die Künste zu Unrecht als elitär und „zu weit weg“ von den allgemeinen Belangen, für die diese Unternehmen sich
einsetzen wollten. Mit Unterstützung meines Mi-
nisteriums bemüht sich „Arts & Business“ darum,
den Unternehmen zu verdeutlichen, dass sie viele
dieser allgemeinen gesellschaftlichen Anliegen,
wenn nicht alle, sehr wohl auch durch eine Unterstützung der Künste fördern können.
Ich habe hier einige Herausforderungen genannt, die uns auch weiterhin Probleme bereiten
werden. Zwar sind die Mittel, die die Unternehmen für die Kunstförderung aufgewendet haben,
seit 1977 Jahr für Jahr gestiegen, aber die jüngsten
Zahlen von „Arts & Business“ deuten an, dass im
Jahr 2000 ein Scheitelpunkt überschritten wurde,
zum Teil auch weil in diesem Jahr eine Reihe kostspieliger öffentlicher Projekte rechtzeitig zu den
Jahrtausendfeiern fertiggestellt wurden. Vielleicht
zeigt die unternehmerische Kunstförderung momentan auch gewisse Ermüdungserscheinungen –
jedenfalls schrumpft der Anteil von Projekten, die
durch privates Kapital gefördert werden, gegenüber
den Projekten, die aus Steuermitteln gefördert werden. Hier ergibt sich eine ernste Herausforderung
für einige unserer großen kulturellen Einrichtungen,
deren Finanzplanung auf kühnen Zielsetzungen ihrer Spendenaktionen beruhten, die sowohl mit der
Unterstützung setens wohlhabender Privatpersonen als auch seitens der Unternehmen rechneten.
Partnerschaften mit Wirtschaftsunternehmen sind
zu einem wichtigen Element der Existenzgrundlage
der Künste geworden, und die kulturellen Einrichtungen werden sich wieder an den Staat halten, falls
die privaten Quellen versiegen. Unter solchen Umständen werden wir nach wie vor auf die Kraft der
Volkswirtschaft als ganzer angewiesen sein. J
„Wir wollen […]
Kindern und
Jugendlichen
Gelegenheit bieten, den ganzen
Reichtum ihrer
Talente durch
aktive Teilnahme
zu entfalten.“
Kinder malen, kneten und schnitzen in der Hamburger Kunsthalle
23
Beiträge
Abendveranstaltung anlässlich des 18. Sinclair-Haus-Gesprächs. Auf dem Podium: Prof. Dr. h.c. Klaus-Dieter Lehmann,
The Rt. Hon. the Baroness Blackstone, Sir Peter Jonas, William Forsythe und Prof. Dr. Friedhelm Mennekes SJ
Kultur im 21. Jahrhundert –
Chancen und Zwänge
Podiumsgespräch während der Abendveranstaltung zum
18. Sinclair-Haus-Gespräch – Moderation Sir Peter Jonas
Sir Peter: Vielleicht darf ich mich zunächst an Sie wenden, Pater Mennekes. Ich
kenne Sie bislang nicht, weiß aber, dass Sie bedeutender sind als wir alle. Denn mit
Ihrer Arbeit versuchen Sie ja das umzusetzen, was Tessa Blackstone am Nachmittag
in ihrem Vortrag angemahnt hat, nämlich dass Kunst und Kultur auch die Verantwortung haben, unsere Welt lebenswerter zu machen – „to make it a better place“. Dazu
müssen wir Kunst für alle Schichten der Gesellschaft öffnen, ja sie sogar in unsere
Gefängnisse bringen. Am Nachmittag haben wir auch diskutiert, dass das alte kollektive Ritual der Religion ersetzt worden ist durch zwei neue Arten kollektiver Rituale,
zum einen durch das hyperaktive, hyperkommerzialisierte kollektive Ritual des Sports
und zum anderen durch das Ritual der darstellenden Kunst. Sie haben ganz in dem
von Tessa Blackstone angesprochenen Sinne Kunst in das alte Forum des kollektiven
24
Rituals des Menschen – der Kirche – hineingebracht. Bitte berichten Sie uns, warum
und wie Sie das getan haben und welchen Widerständen Sie dabei begegnet sind.
Professor Mennekes: Ich muss gestehen, dass ich eigentlich immer ein Lieblingskind linker Kulturpolitiker war und meinen eigentlichen Ziehvater in Hilmar Hoffmann gefunden habe. Es begann damals in Frankfurt, als ich in Nied, einem wirklichen Arbeiterviertel, Pfarrer war und erlebte, dass sich das Ruhrgebiet auch nach
Süden verpflanzen lässt. Hier habe ich erstmals entdeckt, dass Kunst wichtig ist. Zwei
Dinge muss ich allerdings vorausschicken: Ich komme erstens aus dem Ruhrgebiet
und habe nur den zweiten Bildungsweg, also „Kultur nix“, und zweitens komme ich
aus dem Jesuiten-Orden, das sind diese calvinistischen Rationalisten, also wieder
„Kultur nix“. Und insofern war ich wirklich völlig ungebildet in Sachen Kunst; ich
wurde nur auf einmal ganz eifersüchtig gewahr, dass Kunst einen unglaublichen Eindruck auf Menschen macht, und vor allem auf Menschen, die ich über das System
der Religion nicht erreiche. Und so beschloss ich, Ausstellungen in Kirchen zu machen. Das Problem war jedoch, dass es in den katholischen Kirchen überall dort, wo
ich meine Ausstellungen zeigen wollte, Beichtstühle gab. Zwar wusste ich natürlich
als Pfarrer, dass die Menschen nicht mehr beichten gehen, aber ich kenne meine
Katholiken: Wenn es ans Eingemachte geht, also an das Beichten, dann heißt es, die
25
Beiträge
Podiumsgespräch
Beichtstühle müssen bleiben. Als die Gemeindemitglieder mir sagten, der Beichtstuhl
darf auf keinen Fall weg, sagte ich ihnen: „Wenn einer von Ihnen im letzten Jahr
beichten war, bleibt der Beichtstuhl stehen. Aber Sie melden sich jetzt.“ Es hat sich
natürlich niemand gemeldet, und so kamen die Beichtstühle weg. Der zweite Widerstand auf den ich traf, kam von bestimmten Kunstmanagern. Ich wollte, weil ich aus
Bottrop komme, mit einer Ausstellung eines Künstlers aus Bottrop beginnen, nämlich
Josef Albers. Aber der Vertreter des Museums in Bottrop war der Auffassung, dass es
unmöglich sei, Albers in einer katholischen Kirche und dazu noch in Frankfurt zu
zeigen. Der Mann konnte die Bottroper nicht verstehen, als es mir gelang, über die
SPD- und CDU-Beziehungen in meiner Familie einen Stadtratsbeschluss in meinem
Sinne herbeizuführen. Um seine Ehre zu retten, machte der Museumsmanager sein
Einverständnis dann von der Forderung abhängig, dass Hilmar Hoffmann die Ausstellung eröffnete – aber der hatte mich ohnehin schon längst unterstützt. Gewichtiger jedoch als die individuellen Widerstände sind Widerstände des Milieus, eines Milieus, dass sich den Fragen gegenüber nicht öffnet. Auch den Schöpfer kann man nie
wissen, sondern allenfalls ahnen und ins Ahnen sowie in die Imagination komme ich
immer nur über das Fragen. Insofern muss man Religion parallel zur Kunst begreifen,
eben nicht als ein Wissenssystem, sondern ein System, das sich wesentlich in der
Logik des Fragens bewegt. Mir ging es darum, ein altes Pathos, keines der Inhalte,
sondern ein Pathos des Spürens, Zweifelns und Ahnens,
zu vermitteln und so kam mir die Kunst ins Haus. Ich
„Mir ging es
habe sie immer als eine Schule des Zweifels verstanden.
darum, ein altes
Zum einen versuche ich also, mich für die Kunst zu öffPathos, keines der
nen, zum anderen aber auch von der Kunst her einen
Inhalte, sondern
Rückblick oder auch einen Hinblick in die Religion zu
ein Pathos des
wagen. Es gibt ständig und permanent Hindernisse, aber
Spürens, Zweies ist eben das Schöne, dass die Hindernisse ständig auch
felns und Ahnens,
wie in einem Slalom zu nehmen sind. Die Kreativität
zu vermitteln und
besteht darin, permanent Möglichkeiten der Öffnung
so kam mir die
beider Kultursysteme füreinander zu finden. Das bindet
Kunst ins Haus.“
und führt zu Zwängen, schafft aber auch unglaubliche
Professor Mennekes
neue Möglichkeiten.
Sir Peter: Baroness Blackstone, Sie steuern das Schiff der Kulturpolitik durch ein
ungemein kompliziertes finanzielles System aus Subventionen, Sponsorengeldern sowie Kasseneinnahmen. In vielem ähnelt dieses System eher dem amerikanischen als
dem kontinentaleuropäischen System. Besonders fasziniert hat mich, dass die LabourRegierung unter Tony Blair nach vielen, vielen Jahren die Eintrittspreise für Museen
abgeschafft hat. Damit hat sich die allgemein verbreitete Auffassung durchgesetzt, dass
Museen, in denen gewisserweise das Erbe der Nation bewahrt wird, frei zugänglich
für jedermann sein sollten. Sie haben uns davon mit Stolz berichtet und viel Zustimmung gefunden. Aber ich möchte Ihnen hierzu eine kurze Geschichte erzählen: Ich
war neulich in London und besuchte die National Gallery, um mir die alten Meister
und insbesondere die von mir besonders geschätzten Bilder Zurbaráns anzuschauen.
Es war ein wunderbarer Aufenthalt, die National Gallery war in einem hervorragenden Zustand, die Bilder waren gut präsentiert, und das Museum war voller Menschen.
Am Abend des gleichen Tages begab ich mich zum Royal Opera House, um eine Eintrittskarte für die Oper zu erstehen. Hier musste ich die Erfahrung machen, dass eine
Opernkarte für das Parkett an einem Dienstagabend für 300 Euro verkauft wird. Baroness Blackstone, wie lassen sich diese beiden Erfahrungen miteinander vereinbaren?
26
Podiumsgespräch
Baroness Blackstone: Ich sollte vorausschicken, dass für die staatlichen Museen
auch früher nie Eintrittspreise erhoben worden sind. Was die Labour-Regierung getan hat, war also, einen alten Zustand wieder herzustellen. Es sollte wieder möglich
werden, dass jemand in London oder in den anderen großen Städten des Landes in
der Lage sein würde, ein Museum vielleicht für 10 Minuten in der Mittagspause oder
eine halbe Stunde nach der Arbeit zu besuchen, vielleicht in einen einzigen Raum hineinzugehen und nur
„Ich bin schon
ganz bestimmte Kunstwerke zu betrachten. Bezahlt man
der Auffassung,
nämlich für den Eintritt in ein Museum, ist damit oft das
dass wir sehr viel
Gefühl verbunden, nun auch länger bleiben zu müssen,
härter daran zu
um sich möglichst viel anzuschauen. Der eher instinktive,
arbeiten haben,
einer Laune des Augenblicks folgende Museumsbesuch
das Beste in
bleibt damit aus. Die Situation von Oper und Theater
Oper, Ballett
stellt sich insofern etwas anders dar, als eine Aufführung
und Theater für
immer nur von einer kleinen Zahl von Menschen gesehen
mehr Menschen
werden kann, während ein Museum täglich große Menzu öffnen.“
schenmengen aufzunehmen vermag. Die WiederherstelBaroness Blackstone
lung des freien Eintritts in Museen hat zu einem Anstieg
des Besuchs um über 100 Prozent geführt. Zu den Besuchern zählen jetzt auch viele Familien, die mit ihren Kindern kommen, was bei
Aufführungen in Oper und Theater sicher sehr viel schwieriger zu verwirklichen
wäre. Aber ich bin schon der Auffassung, dass wir sehr viel härter daran zu arbeiten
haben, das Beste in Oper, Ballett und Theater für mehr Menschen zu öffnen. So haben wir zum Beispiel in Covent Garden eine große Leinwand auf dem Platz hinter
dem Opernhaus installiert, auf der Tausende Menschen im Sommer die Aufführungen im Opernhaus verfolgen können. Mit der Modernisierung und dem Umbau des
Opernhauses wurden zudem zwei weitere kleinere Theater eingerichtet, wo zum
Beispiel in der Mittagspause kostenlose Konzerte angeboten werden. Ich denke also,
dass wir uns tatsächlich ein wenig in die Richtung bewegen, die Sie mit Ihrer Frage
anzudeuten scheinen.
Sir Peter: Nur eine kleine Anmerkung hierzu. Die Politiker, in England ebenso
wie in Deutschland und auch in Bayern, sollten sich darüber klar werden, dass kein
Kunstwerk und kein Künstler subventioniert wird, kein einziger. Subventioniert wird
ausschließlich die Eintrittskarte. Das was wir auf der Bühne aufführen, tun wir auf
der Grundlage verdienten, erbettelten, geborgten oder gestohlenen Geldes.
Ich will jetzt aber zu den Chancen und Zwängen der Kunst zurückkommen, ein
Thema, das in der neuen Hauptstadt der Nation – als Engländer darf ich mir diesen
Ausdruck erlauben – besonders intensiv diskutiert wird. Wenn wir Kunstmacher in
einer Kneipe sitzen und über Berliner Kulturpolitik sprechen, dann sprechen wir
über Bordelle, wir sprechen über Minister und Kultursenatoren, die eine Lebensdauer von ungefähr drei Tagen bis drei Monaten oder unter glücklichen Umständen
auch von vier Monaten haben. Wir sprechen über politische Opportunisten, wir
sprechen über rücksichtslose Korruption und über gegebene und nicht gehaltene
Versprechen. Außerdem sprechen wir über Zerstörungstendenzen und wir sprechen
über künstlerischen Selbstmord. Herr Professor Lehmann, Sie sind eines Tages nach
Berlin gegangen. Welchen Zwängen sehen Sie sich gegenüber?
Professor Lehmann: Also zunächst sehen Sie, dass ich noch lebe – und gar nicht
schlecht. Ich habe natürlich auch eine gute Schule absolviert: Ich habe zwanzig Jahre
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Beiträge
Podiumsgespräch
Auf dem Podium: Professor Lehmann, Baroness Blackstone, am Mikrofon Sir Peter Jonas,
Moderator des 18. Sinclair-Haus-Gesprächs, William Forsythe und Professor Mennekes
in Frankfurt gearbeitet und wer in einer liberalen Handelsstadt groß geworden ist und dort sein Handwerk
gelernt hat, der kann in Berlin sehr gut überleben und
vielleicht hat ja auch dieser schnelle Wechsel in der Politik – ich habe in den dreieinhalb Jahren, die ich in Berlin
bin, sechs Kultursenatoren und zwei föderale Kulturminister erlebt – seine Vorteile. Denn den Kulturmanagern
verschafft dieser schnelle Wechsel eine gewisse Kontinuität und Einflussmöglichkeit und damit durchaus einen
Gestaltungsrahmen, der aus der Innenansicht gar nicht
so schlecht ist. Mit der von Ihnen geschilderten Außenansicht werde ich außerhalb Berlins oft konfrontiert, aber
in Berlin selbst ist die Stimmung sehr viel besser, weil in
Berlin etwas passiert, was nicht durch die Politik beeinSir Peter Jonas
flusst wird. Nach der Einheit haben wir in Berlin die große
Chance gehabt, die großen Reichtümer der Museen, für
die ich verantwortlich bin, wieder zu vereinen und in den wunderbaren Gebäuden
in einer neuen Präsentation wieder auszustellen. Das ist eine große Chance und ich
glaube, das begreift auch jeder, der auf der Museumsinsel ist. Jetzt im Dezember haben wir das erste Museum rekonstruiert und wieder eröffnet, die alte Nationalgalerie
mit der Kunst des 19. Jahrhunderts. Dieses Museum wird hervorragend angenommen,
was sich nicht zuletzt darin zeigt, dass wir pro Monat 100 000 Besucher registrieren
können. Das macht deutlich, dass wir mit diesem Museum offensichtlich einen Nerv
getroffen haben und dass die weißen Boxen, die wir bislang immer als Ausstellungsgebäude genutzt haben, wohl nicht die einzige Form der Präsentation sein können.
Hin und wieder darf vielleicht auch etwas öffentlicher Luxus sein. Wer durch den
renovierten Kollonadenhof geht und diesen Eindruck auf sich wirken lässt, ist wie
„Die Politiker
[…] sollten sich
darüber klar
werden, dass kein
Kunstwerk und
kein Künstler subventioniert wird,
kein einziger.
Subventioniert
wird ausschließl i c h d i e E i ntrittskarte.“
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Podiumsgespräch
verzaubert – auch mir geht das noch immer so, wenn ich Führungen anbiete. Ich
erlebe die Chance, bei der Hektik, bei der Überladung mit Information plötzlich die
Möglichkeit zu haben, mein Tempo zu verlangsamen. Plötzlich hat man etwas mehr
Zeit, man bleibt vor Bildern stehen, man geht vielleicht noch einmal zurück, man
lässt sich wirklich faszinieren von diesen Dingen. Berlins Chance besteht darin, hier
eine Art urbanen Gegenpols zu den Beschleunigungstendenzen unserer Zeit zu besitzen. Trotz all dieser Wandlungen, die nun mit den Umbrüchen in Berlin einhergehen, muss aber auch die Politik Verantwortung übernehmen. Und ich glaube, diese
Verantwortung darf nicht nur in Berlin übernommen werden. Das große Thema, das
mich in den letzten Wochen bewegt hat, ist die Frage, inwieweit diese Reichtümer in
den Museen und in der Staatsbibliothek nur in Berlin eine Bedeutung haben, oder ob
es nicht darüber hinausgehend eine bundesstaatliche Bedeutung gibt, die auch eine
Einbeziehung der anderen Länder rechtfertigt. Zurzeit gibt es die große Diskussion
um den Ausstieg der Länder, den ich fatal fände. Sollten die Länder tatsächlich aussteigen, führt das im Grunde mit Zustimmung der Länder zu einer Zentralisierung
der Kulturpolitik, die an die Grundfesten unserer bundesstaatlichen Verfassung rührt.
Was uns in Berlin natürlich freut, ist der Zuzug vor allem ausgesprochen junger
Leute, die kleine Unternehmen und zahlreiche Galerien gründen. Erfreulich ist, dass
zahlreiche der Neu-Berliner auch aus dem Ausland kommen. Das heißt, Berlin ist
ein Magnet für viele mittel- und osteuropäische Länder, für Amerikaner, für Italiener,
für Franzosen und auf diese Weise erreichen wir das, was eine Metropole ausmacht,
nämlich einen Dialog von Menschen unterschiedlicher Kulturen und Sozialisierungen – und damit wird es spannend. Und diese Spannung brauchen wir auch. Sollte
es uns gelingen, die großen Kultureinrichtungen so einzusetzen, dass sich die Aufbruchstimmung der Stadt auch im kulturellen Klima wieder findet und Kultur nicht
nur als dekoratives Beiwerk wahrgenommen wird, dann wäre meine Aufgabe so
reizvoll, wie ich sie mir immer vorgestellt habe.
Sir Peter: Es sieht in Berlin also sehr viel besser aus, als wir denken – und das
trotz der Politik. Aber ich habe Ihre Antwort auch als Plädoyer für den langen Atem
in der Kunst verstanden, ein, wie ich finde, sehr wichtiger Punkt. Wir wissen, dass wir
in der Kunst- und Kulturpolitik in Fünf- oder Zehnjahreszeiträumen zu denken haben.
Immer – auch wenn Politiker nicht über die Dauer einer Legislaturperiode hinaus
denken können.
Nun aber zu William Forsythe. Bill, wenn Berlin das Bordell der Kulturpolitik
ist, zumindest im politischen Sinne, nicht im kulturellen oder künstlerischen Sinne,
dann könnte man sagen, dass Frankfurt zumindest zeitweise in den vergangenen
zehn Jahren die Hölle auf Erden der Kulturpolitik gewesen ist. Von außen betrachtet
ist die Situation in Frankfurt auch sehr viel schwieriger zu diagnostizieren als etwa
in Berlin. Das Berliner Problem des Zusammenwachsens zweier völlig antagonistischer Gesellschaften gibt es in Frankfurt nicht, dafür gibt es dort andere Probleme,
beispielsweise das dramatische Zurückgehen von Steuereinnahmen – ein simples
mathematisches Problem, für das es leider keine simplen Lösungen gibt. Nun gibt es
eine Person, die aus Amerika, also aus einem Land mit einem völlig anderen kulturellen Hintergrund, in eine Stadt gekommen ist und sich in einer Kunstform bewegt
hat, die in finanzieller Hinsicht früher, und auch heute noch, stiefmütterlich behandelt wurde. Dieser Mann entschied sich, seinen eigenen Weg zu gehen – künstlerisch, politisch, vom Management her und auch in der Art und Weise, wie er seine
Tanzkompanie geführt hat. Seit 1984 ist Bill Forsythe in Frankfurt, für einen Politiker
ist das nahezu undenkbar.
29
Beiträge
Podiumsgespräch
Baroness Blackstone: Außer in China…
Sir Peter: …außer in China. Für einen Künstler ist es sehr, sehr schwer. Für einen
künstlerischen Direktor bedeutet es, dass Sie, Bill, möglicherweise mehr als neun
Leben haben. Sind Sie ein Gangster? Werden Sie durch den CIA unterstützt? Sind Sie
Fu Man Chu? Sind Sie ganz einfach ein Monster? Haben Sie ein Ego, das so groß ist,
dass niemand Sie anzurühren wagt? Oder haben Sie so unbeirrbar und streng ein Ziel
verfolgt, dass Sie es irgendwie mit Glück und Genie geschafft haben, daran festzuhalten. Bitte sagen Sie uns die Wahrheit.
William Forsythe: Die Antwort auf all Ihre Fragen ist
natürlich „Nein“. Die Situation ist so enorm kompliziert,
„Frau Roth
dass sie sich nicht anhand einer einzelnen Person erkläund die anderen
ren lässt. Es ist so, dass die Leute, die über mich verfügen,
Verantwortlichen
bislang an mich geglaubt haben und, so denke ich, auch
gaben mir, woan meine Arbeit geglaubt haben. Sie gaben mir die Freinach ich gefragt
heit, meine Vorstellungen zu verwirklichen. Basta. Komhatte, weil sie
plizierter ist es nicht. Frau Roth und die anderen Verantgeglaubt haben,
wortlichen gaben mir, wonach ich gefragt hatte, weil sie
dass ich wusste,
geglaubt haben, dass ich wusste, worüber ich sprach. Ich
worüber ich
glaubte ebenfalls zu wissen, worüber ich sprach. Ich
sprach.“
habe die Irrungen und Wirrungen der letzten paar Jahre
William Forsythe
überlebt, weil ich daran festgehalten habe, mich auf das
der Gegenwart Eigene zu konzentrieren. Und dieses Eigene ist sehr umfangreich. Er lässt sich nicht auf Geld, Aufmerksamkeit oder was auch
immer reduzieren. Die Gegenwart ist für Künstler eine hochkomplexe Gegebenheit
und ich glaube, dass wir uns grundsätzlich auf die Frage konzentrieren oder zu konzentrieren versuchen, was das Proprium der Gegenwart ist, und welche Formen der
Aufmerksamkeit uns helfen, dieses bis zu einem gewissen Grade wahrzunehmen. Vom Publikum erwarten wir absolute Aufmerksamkeit. Ich glaube, das tut
jeder Künstler. Ganz unabhängig davon, in welchem
Bereich der Künstler arbeitet, wünscht er sich, dass
sich das Publikum hinsetzt und tatsächlich den Versuch macht, das was sich vorne abspielt, zu verstehen
oder zumindest nach besten Kräften zu verfolgen.
Aber natürlich gibt es auch die andere Seite des Vertrages. Das Publikum erwartet nämlich von uns ebenfalls so etwas wie absolute Aufmerksamkeit, eine der
künstlerischen Arbeit gewidmete absolute Aufmerksamkeit. Die für mich geschaffenen Bedingungen in
Frankfurt haben mir in der Tat erlaubt, meine ganze
Aufmerksamkeit der künstlerischen Arbeit zu widmen.
Petra Roth, Oberbürgermeisterin der Stadt Frankfurt a. M.,
Selbst als es einmal hinsichtlich des Theaters eine krizu Gast bei der Abendverantische Situation gab, ist sie von den Verantwortlichen
staltung zum 18. SinclairHaus-Gespräch
so bereinigt worden, dass ich mich wieder auf meine
Arbeit konzentrieren konnte. Ich habe dies als Vertrauensbeweis und Bekenntnis zu meiner Arbeit verstanden. So hat Frankfurt mir vor
allen Dingen eine Arbeitsumgebung ohne Ablenkungen geschaffen. Ich kann das tun,
wozu ich in erster Linie hier bin, nämlich Kunst und nichts anderes. Es ist manchmal
insofern etwas schwierig, als ich künstlerischer Direktor und das Produkt der Kunst
30
Podiumsgespräch
in einer Person bin. Aber immer hat man mir vertraut, dass ich am besten wüsste, wie
damit umzugehen ist. Ich konnte die mir zur Verfügung stehenden Mittel einsetzen,
um eine optimale Situation sowohl für die Frankfurter Bürger als auch für das gesamte
Publikum, das in unserem Fall global ist, zu schaffen. So finden wir hier eine ganz außergewöhnliche Situation vor und 18 Jahre später kann ich sagen: Danke Frankfurt!
Sir Peter: Nachdem ich jeden unserer Podiumsteilnehmer zu einem persönlichen
Statement gezwungen habe, möchte ich mich nun an die im Publikum sitzende Intendantin des Frankfurter Schauspiels, Frau Elisabeth Schweeger, wenden. Liebe Elisabeth
Schweeger, wie sieht denn Ihre Vision von der Zukunft aus? Welche Möglichkeiten
eröffnet die Zukunft dem Sprechtheater?
Elisabeth Schweeger: Ich möchte das, was ich sage, nicht nur auf das Theater
beziehen. Ich finde es wunderbar, wie es Ihnen, Herr Mennekes, gelingt, effektive
Dialoge herzustellen. Und Herr Lehmann, ich finde es toll, dass Sie der Meinung sind,
dass es in Berlin noch immer eine hoffnungsvolle Situation gibt. Ich glaube nicht,
dass wir in einer hoffnungslosen Situation sind, aber ich denke, dass wir in einer sehr
kritischen Situation sind, in der nicht nur die Politiker sich fragen müssen, was für
einen Stellenwert Kultur im gesellschaftlichen und auch im urbanen Zusammenhang
hat. In dieser Situation müssen auch die Künstler gefragt werden, was sie überhaupt
noch bewirken können. Es kann ja nicht nur darum gehen, Kulturgut zu bewahren.
Selbstverständlich brauchen wir das, das ist unsere Geschichte. Damit definieren wir
uns. Das ist unser Leben. So lachen wir, so weinen wir, so trauern wir. Aber wir wollen ja auch etwas für die Zukunft schaffen, und das Bewusstsein, dass Kultur das Fundament von Gesellschaft ist, geht langsam verloren. Vielleicht ist das ja ein positiver
Verlust. Wenn man diesen Verlust aber nicht unbedingt negativ sieht, muss man sich
fragen, wohin diese reflexive Ebene wandert. Damit meine ich das Nachdenken über
uns und das Festhalten an Handlungsmodellen, auch ethischer Natur, die wir brauchen, um in einer Gesellschaft human zusammenleben zu können. Für mich ist dies
das Fundament kultureller Arbeit. Es kann ja sein, dass wir die Elfenbeintürme nicht
mehr brauchen, dass wir diese Isolationsanstalten, kulturelle Institutionen genannt,
vielleicht nicht mehr brauchen, dass wir also das dort Geleistete anderswo finden.
Kultur ist oft die Clubsituation, Kultur ist auch Disco, Kultur findet überall statt und
wird vielleicht nicht immer wahrgenommen, weil sie nicht überall subventioniert
wird, daher nicht Tagesthema in den Zeitungen ist. Aber sie ist da. Und es ist die Zukunft. Und sie ist nicht schlecht. Und bei diesen kulturellen Erscheinungsformen findet auch Dialog statt und Auseinandersetzung, da findet Reflexion statt und da lassen
sich auch neue ästhetische Formen finden. Ich frage mich, ob die kulturellen Hochburgen, die sich das Bürgertum des 19. Jahrhunderts geschaffen hat, noch die Orte
zur Identitätsfindung des Menschen im 21. Jahrhundert sind. Möglicherweise ist die
Bürokratie zu wichtig geworden oder der ganze Apparat, sodass der Freiraum in diesen Institutionen immer kleiner geworden ist. Als Künstler müssen wir darüber nachdenken, ob diese Institutionen uns noch den positiv-anarchistischen Raum bieten, in
denen wir Utopien entwickeln können. Meiner Auffassung nach müssen Politik und
Kunst engstens miteinander kooperieren, um neue Wege zu finden und um herauszufinden, wie die bestehenden kulturellen Institutionen richtig nutzbar werden für
einen gesamten urbanen und damit auch einen globalen Zusammenhang.
Sir Peter: Ich würde diese Frage gerne direkt an Tessa Blackstone weiterleiten. Die
Ausführungen von Frau Schweeger und auch das, was Bill Forsythe gesagt hat, stellen eine große Herausforderung dar. Mich würde es interessieren, Tessa Blackstone,
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Beiträge
Podiumsgespräch
Kunststudium im Pergamon Museum auf der Berliner Museumsinsel
„Berlins Chance
besteht darin,
eine Art urbanen
Gegenpols zu
den Beschleunigungstendenzen
unserer Zeit
zu besitzen.“
Professor Lehmann
wie Sie die von Frau Schweeger gestellte Frage beantworten würden – und zwar unter der Voraussetzung eines
Geschenkes, des Geschenkes nämlich, dass Sie sich keinen Wahlen mehr stellen müssten und den Posten, den
Sie jetzt inne haben, noch für 20 Jahre behalten könnten.
Ich weiß, das ist eine politische Unmöglichkeit, aber mich
würde interessieren, was Sie unter diesen Voraussetzungen tun würden?
Baroness Blackstone: Abgesehen davon, dass es
auch eine Strafe sein könnte, mein Amt noch für 20 Jahre
auszuüben, möchte ich feststellen, dass alles, was Frau
Schweeger gesagt hat, absolut mit den Zielen übereinstimmt, die eine Kulturministerin
der Labour-Partei verfolgt und an die sie glaubt. Und ebenso stimme ich hundertprozentig zu, wenn Sie sagen, dass wir nicht nur die Politiker, sondern auch die Künstler
zu fragen haben, welche Werte sie mit Kunst in unserer Gesellschaft verbinden. Ich
stelle diese Frage Künstlern sehr häufig. Die Tatsache, dass Kultur in England nicht
unmittelbar durch die Politik, sondern mittelbar gefördert wird – wir nennen dies
das „arm’s-length principle“ – hat keineswegs zu bedeuten, dass ich oder meine Vorgänger als Kultusminister sich dem Dialog mit den Vertretern in der kreativen und
kulturellen Welt verweigern würden. Ich war vorher Bildungsministerin und ich vermute, dass die beiden Bereiche, die ich am leidenschaftlichsten verfolge, Bildung
und Künste sind. Mein Anliegen ist es, beide Bereiche sehr viel enger zusammenzubringen. Daher lautet die Frage, die ich Künstlern, ob bildenden oder darstellenden
Künstlern, ob Musikern oder Architekten, am häufigsten stelle, ob sie sich vorstellen
können, der Gesellschaft etwas zurückzugeben, etwa indem sie mit jungen Menschen
arbeiten. Die Künstler sollten sich nämlich nicht einfach in die grandiosen öffentlichen
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Podiumsgespräch
Institutionen und großen Gebäuden des 19. Jahrhunderts zurückziehen. Künste sollten nach draußen gehen, sich in der Gesellschaft verbreiten. Eines der Programme,
das die Labour-Regierung umzusetzen versucht, trägt den Titel „Kreative Partnerschaften“. Im Rahmen dieses Programms fördern wir mit etwa 40 Millionen Pfund Pilotprojekte in 16 benachteiligten Gegenden, in denen wir Beziehungen zwischen der
Welt der Kunst und unseren Schulen und Colleges zu schaffen versuchen. Und hier
geht es nicht einfach um einen Gast-Schriftsteller, der sich für eine Woche, oder einen Gast-Künstler, der sich für drei Tage im College aufhält, sondern um ein wirklich nachhaltiges Arbeitsprogramm, in dessen Rahmen junge Tänzer, Schriftsteller,
Dichter, Schauspieler usw. in die Schulen gehen und mit den jungen Menschen arbeiten. Insofern verankern wir Kreativität als einen zentralen Baustein des Curriculums und fördern auf diese Weise einen Lernansatz, der stärker kreativ, fragend ist.
Außerdem helfen wir den Schülern ihr schauspielerisches oder kommunikatives Talent zu verbessern, indem sie mit lebenden Künstlern arbeiten. Das ist nur ein Beispiel für eine Entwicklung, wie ich sie mir noch sehr viel umfangreicher vorstelle.
Auf diese Weise verbessern wir die Zugänglichkeit der Kunst für jedermann und aus
der Perspektive der Künstler schaffen wir neue Öffentlichkeiten.
Professor Lehmann: Ich würde gern noch einmal auf den Begriff der Kultur eingehen, weil Frau Schweeger ja gesagt hat, wir sollten nicht nur Kultur bewahren,
sondern auch nach neuen künstlerischen Ansätzen suchen. Wenn wir uns mit Kultur
befassen, die nicht zeitgenössisch entsteht, sondern die aus früheren Jahrtausenden,
Jahrhunderten oder Jahrzehnten stammt, würde ich vor allem unsere Vermittlerfunktion hervorheben. Ich habe mich eigentlich Zeit meines Lebens als Kulturvermittler,
nie als Kulturbewahrer verstanden. Es ist eine dringende Notwendigkeit, zeitgenössische Kunst zu fördern und neue Formen zu finden, die Jugend anzusprechen, auch
die Jugendkultur wahrzunehmen. Aber ich glaube, es wäre ganz schlecht, wenn wir
das, was wir mit dem 19. Jahrhundert, mit dem Begriff des Bildungsbürgertums verbinden, einfach abschnitten. Auch das 19. Jahrhundert müssen wir wieder für uns
entdecken und ich glaube auch, dass eine solche Entdeckung von den Menschen
durchaus gewollt und akzeptiert wird. Tatsächlich haben die Museen für Kunst, für
Archäologie, für Ethnologie ausgesprochen erfreuliche Besucherzuwächse. Auf solchen Erfolgen darf man sich nicht ausruhen. Es wäre beispielsweise völlig falsch,
wenn wir die Veränderungen der Museumsinsel als Musealisierung oder als Verkapseln hinter preußischen Tempelmauern verstehen würden. Daher versuchen wir
auch, auf der Museumsinsel verschiedene Kunstformen zu kombinieren, beispielsweise in einem Museumsinsel-Festival mit Film, Theater, Musik, das aber immer auch
Bezug hat zu unseren Sammlungen. Auf diese Weise versuchen wir, neue Zugänge
zu schaffen. Hier geht es also weniger um neue Kunst, sondern vielmehr um andere,
um neue Vermittlungsformen. Die Museen selbst können zeitgenössische Kunst nicht
hervorbringen, das ist auch nicht ihre Aufgabe. Museen müssen das, was in ihrer
Verantwortung steht, immer wieder in einen gesellschaftlichen Dialog einbinden.
Dann müssen sich die Kuratoren allerdings auch von ihrer kunstwissenschaftlichen
Betrachtungsweise lösen und den Kontakt mit jungen Künstlern, mit Galeristen, also
mit der Szene, suchen. Nur eines, so glaube ich, ist falsch: Wir sollten nicht den
Fehler machen, die neuen Vermittlungsformen der schnellen Schnitte und schnellen
Veränderungen auf alles übertragen zu wollen.
Elisabeth Schweeger: Dann genügt es auch nicht, immer nur Events zu machen.
Das ist kontraproduktiv.
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Beiträge
Podiumsgespräch
Professor Lehmann: Das ist klar. Auch mir geht es nicht um Events, sondern um
das Verlangsamen der Zeit.
Elisabeth Schweeger: In einem solchen antipodischen Verhalten zur Gesellschaftsentwicklung sehe auch ich eine Chance von Kunst: Kunst kann formulieren, einmal
still zu halten und zu schauen, aber nicht nur rückwärts gewandt, sondern eben
auch nach vorne. Wenn wir die neuen Formen aber nicht vermitteln und sie in einen
Dialog stellen – vielleicht mit dem Vergangenen –, dann passiert gar nichts. Ohne die
Medicis, die einfach Kunst gemacht haben, weil sie es für wichtig gehalten haben,
würde Italien heute so nicht existieren. Davon lebt eine ganze Nation und übrigens
auch eine Wirtschaftsbranche. Wenn wir das aber arretieren und nur noch sagen, wir
bewahren und fördern nicht massiv das Neue, dann haben wir übermorgen gar keine
Kultur mehr. Natürlich wird es auch immer schwieriger, der Kunst Aufmerksamkeit
zu verschaffen; zum einen weil es so viel anderes gibt,
zum anderen weil unglaublich viel Aufregung im Alltag
„Ohne die
ist. Die Momente der Ruhe, die Kunst so notwendig
Medicis, die
braucht, findet man immer weniger, weil jeder sozusagen
einfach Kunst
nur noch gerade mit seiner Erschöpfung so weit zurecht
gemacht haben,
kommt, dass er nach Hause geht und sich hinlegt, aber
weil sie es für
nicht noch einmal hinaus geht, um etwas aufzunehmen.
wichtig gehalten
Insofern müssen wir uns als Vertreter von Kulturinstituhaben, würde
tionen auch fragen, ob Museumsfeste oder lange KunstItalien heute so
nächte nicht möglicherweise kontraproduktiv sind, weil
nicht existieren.“
sie der Kunst nicht verschaffen, was diese braucht, nämElisabeth Schweeger
lich den Moment der Ruhe, der Besinnung, der Reflexion, die Zeit braucht.
Sir Peter: Baroness Blackstone, Sie haben heute Vormittag von der Notwendigkeit gesprochen, dass Kunst auch die Ränder einer Gesellschaft erreichen muss, gewissermaßen also auch die Sünder. Lassen Sie mich dazu Pater Mennekes fragen.
Wir sind alle Sünder hier in diesem Raum, sonst wären wir nicht hier. Hilft Kunst
dem Sünder? Wenn Sie einen Baselitz oder ein großes Gemälde von Zurbarán oder
Josef Beuys in ihre Kirche bringen, hilft dies dem Sünder? Hilft ihm dies, ein besserer
Mensch zu werden? Kann ein Gemälde den verschwundenen Beichtstuhl ersetzen?
Professor Mennekes: Das ist eine schöne Frage. Vielleicht darf ich auf einen
wunderbaren Ritus hinweisen. Bevor der Priester beginnt, die Messe zu lesen, muss
er sich zur Seite begeben und bekommt dort die Hände gewaschen. Das heißt, er
wird vorgeführt als einer, der eine Messe zu lesen eigentlich nicht würdig ist. Und
das macht ihn demütig. Hier liegt die Beziehung zur Kunst, denn auch Kunst macht
demütig. Ich versuche in der Kirche, und hier wiederum liegt die Verbindung zu
dem, was Frau Schweeger gesagt hat, einen Ort zu schaffen, der verschiedenen Dimensionen zeitgenössischer Kunst, zeitgenössischer Musik und, wie ich hoffe, zeitgenössischer Religion eine Bühne bietet. Religion kann sich nur öffnen, wenn sie sich
als Sünderin und als umkehrbereit begreift. Dass man sich ständig selbst hinterfragt,
gehört zum Kern des Religiösen. In meiner Kirche in Köln habe ich alles entfernt,
was in irgendeiner Weise noch nach Religion oder Konfession riecht. Es gibt keine
Bänke mehr, es gibt keinen Altar mehr, der auf irgendeiner Art von Podium steht.
Der Altar ist eine Skulptur des Künstlers Chillida. Natürlich gibt es ein riesiges Bild
von Rubens, der hier in St. Peter getauft worden ist, aber dieses Bild entziehe ich der
34
Podiumsgespräch
Gemeinde ein halbes Jahr. Ich möchte nämlich nicht nur immer einfach das zeigen,
was da ist, sondern ich möchte einen Raum kreieren als einen Raum der Frage, und
die provozierende Leere des Raumes wird dann gefüllt durch Musik, Kunst und Religion. Alle drei Systeme besitzen autonom mit eigenen organisierten Gemeinden
diesen Ort und wir sind von der Andersartigkeit der anderen Erscheinungsformen,
des anderen Denkens verunsichert. Immer wenn ich mich in Kunstakademien begebe, spüre ich, es tut mir leid das zu sagen, dass Religion Künstler unsicher macht.
Unsicher, weil sie in irgendeiner Weise spüren, dass es bestimmte Dinge gibt, die
wir mit unserer Kunst nicht erreichen. Sie denken Religion als etwas Größeres. Ich
aber denke Religion nicht als das Größere, sondern denke, ohne die Religion aufzugeben, die Kunst als das Größere und die Musik als das vielleicht noch Größere. So
sind wir, die Vertreter der Religion, nicht weniger unsicher als die Vertreter der Kunst
oder die der Musik. Daher ist es so wichtig, Räume zu schaffen, in denen der Dialog
zwischen Kunst, Musik und Religion möglich wird. Und in solchen Räumen soll Kunst
nicht nur vermittelt werden, sondern sie soll sich in solchen Räumen ereignen, entstehen. Es ist schön zu sehen, dass das Programm, das ich in einer kleinen Kirche
in Köln entwickelt habe, bereits Nachahmer in anderen Kirchen und Konfessionen
findet. Aber diese Nachahmung ist nur möglich, wenn man sich als Priester als eigentlich ungeeignet und allein zur Sache nicht fähig begreift. Sollte sich das als neue
Logik durchsetzen, dann glaube ich, gibt es auch eine neue Zukunft für Kunst und
Musik und das, was ich eigentlich vertrete.
Sir Peter: Bill Forsythe, wenn Musik und bildende Kunst, bitte verzeihen Sie mir
diese blasphemische Bemerkung, die Sprache Gottes sind, könnte man dann sagen,
dass der Tanz die Sprache der Menschen ist, so wie man auch beim Vergleich von
Bach und Händel gesagt hat, dass Bach die Musik Gottes, Händel aber die Musik
des Menschen komponiert habe. Sollte Tanz also die Sprache des Menschen sein,
eröffnete dies dem Tanz vielleicht eine großartige Zukunft, denn vielleicht liegt
darin ja der Weg zur Wahrheit, um einmal diese sehr jesuitische Terminologie zu
gebrauchen.
William Forsythe: Vielleicht sollte ich an dieser Stelle
etwas
über meinen eigenen Hintergrund sagen. Aufge„Niemand von
wachsen
bin ich in einer Sekte, genauer genommen einer
Ihnen hat je ein
religiösen
Sekte von Gesundbetern. Dabei ging es auch
Ballett gesehen,
darum,
sich
durch die Lektüre und Interpretation der Bibel
weil es nichts ist,
einen
Zustand
der Reinigung des Geistes vorzustellen,
was gesehen werder
auch
den
Körper
heilen würde. So bin ich mit einer
den kann. Ballett
sehr
ungewöhnlichen
Vorstellung von Geist und Körper
ist etwas, dem
aufgewachsen.
Es
war
also ein Idealismus, der das Credo
man sich nur
dieser
Sekte
bildete,
und
ich erinnere mich, wie es in meiannähern kann.“
ner Kindheit hieß, dass es kein Leben, keine Wahrheit,
William Forsythe
keine Substanz oder Intelligenz in der Materie gäbe, alles
sei unendlicher Geist und seine unendlichen Manifestationen. Prägend, schon. Für mich war es in jedem Fall prägend. Daher war ich vermutlich auch von einem Betätigungsfeld angezogen, das aristotelische Strukturen hat.
Man ist gezwungen, sich unsichtbare Dinge vorzustellen, Ballett existiert nicht, Ballett ist eine gänzlich erdachte Fiktion, es ist nur eine Methode, eine Art, sich Dingen
zu nähern, die sich nur vorstellen, aber niemals realisieren lassen. Niemand von Ihnen hat je ein Ballett gesehen, weil es nichts ist, was gesehen werden kann. Ballett
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Beiträge
Podiumsgespräch
Diskussion während des Podiumsgespräches: Dr. Rüdiger Volhard, Dr. Andrea Firmenich und
Prof. Georg Baselitz; am Mikrofon Elisabeth Schweeger, Intendantin des Frankfurter Schauspiels
ist etwas, dem man sich nur annähern kann und an dem
man, so arrogant ist das Ballett, nur scheitern kann. Aus
Expertensicht kann man gar kein erfolgreiches Ballett
machen. Wenn wir von Sünde sprechen, haben wir nach
Maßstäben des Balletts alle verloren, oder? Vielleicht lässt
sich auf diese Weise ja die Kirche paraphrasieren. In einer Tanzdarstellung aber gibt es nur die Gegenwart, man
hat nichts anderes. Ich kann gut verstehen, warum Elisabeth Schweeger versucht hat, einen Weg in die Zukunft
Elisabeth Schweeger
zu finden, doch für uns Tänzer gibt es keine Zukunft, für
uns gibt es nur die Gegenwart. Wenn ich weg bin, gibt
es keinen Bill Forsythe mehr, nichts bleibt übrig. Wenn
Herr Baselitz für immer geht, bleibt einiges von ihm da, einige wenige Zeichen seiner
Gegenwart, aber bei mir sehen die Dinge ganz anders aus, ich habe es mit einer
anderen Ontologie zu tun und daher ist auch meine Beziehung zur Gegenwart ganz
anders, möglicherweise sehr viel akkurater, insofern ich mir meiner Sterblichkeit
sehr viel stärker bewusst bin. So ist jede meiner Darbietungen, ja sogar jeder Moment
meiner Darbietung zugleich eine kleine Geburt und ein kleiner Tod, die in ihrer Erinnerung als Lebenszeit oder als Ballett zusammengehalten werden, ja es gibt so
etwas wie die Lebenszeit des Balletts. Doch dann verlassen sie das Theater und haben nichts, sie haben wirklich nichts. Sie haben nichts, um zu beweisen, dass sie es
tatsächlich gesehen haben, außer dass sie sagen könnten: Ich war auch da. Darüber
könnten sie sich verständigen, aber alles andere ist vergänglich und ephemer. Da
wir jedoch alle ephemer und vergänglich sind, könnte man vermutlich tatsächlich
sagen, dass der Tanz eng verbunden ist mit der Idee des Menschen.
„Kultur findet
überall statt und
wird vielleicht
nicht immer
wahrgenommen,
weil sie nicht
überall subventioniert wird.“
36
Podiumsgespräch
Dr. Oliver Scheytt: Ich möchte noch einmal an unser General-Thema erinnern,
Brücken in die Zukunft, und versuchen eine Brücke zu schlagen zwischen Frau
Schweeger, Baroness Blackstone und dem nicht anwesenden Jack Lang. Herr Lehmann hat ja gesagt, dass Kulturpolitik und Kulturmanager Zugänge schaffen müssen,
Zugänge zum Erbe, zum Vorhandenen, zum Neuen, aber auch zum Anderen, zu den
anderen Kulturen. Beim Erbe haben wir zweifellos sehr viel zu bieten in Deutschland,
beim Anderen müssen wir Bewusstsein und Wachheit schaffen, das Andere wirklich
wahr zu nehmen; und beim Neuen brauchen wir das Neue. Herr Baselitz und Herr
Forsythe gehören längst zum Erbe, aber das, was sie auszeichnet, ist, dass sie immer
wieder etwas Neues schaffen. Was wir brauchen, ist nicht so viel Reproduktion, wir
brauchen vor allen Dingen auch Produktion. Wo kommt diese Produktion her? Sie
kommt nur von jungen, neuen Künstlern. Mich hat beeindruckt, Baroness Blackstone,
dass Sie erhebliche Mittel dafür aufwenden, Künstlerinnen und Künstler an die Schulen zu bringen. Jack Lang verfolgt in Frankreich ähnliche Ziele. Aber was tun wir in
Deutschland auf diesem Feld? Wir schließen Musikschulen. In Hessen und NordrheinWestfalen gibt es kein Musikschul-Gesetz, Brandenburg
hat gerade eines erlassen. Der Osten ist uns hier in
„Es kann doch
Deutschland voraus. Wir haben sehr darum zu kämpfen,
nicht sein, dass
dass die kulturelle Bildungsarbeit wirklich als schulische
wir den Kindern
und öffentliche Aufgabe anerkannt wird. Wir geben erschon mit 6 Jahhebliche Summen dafür aus, Grundschulen ans Internet
ren beibringen,
zu bringen, aber versäumen es, die kreativen und künsteinen Computer
lerischen Talente der Schüler zu fördern. Es kann doch
zu benutzen, aber
nicht sein, dass wir den Kindern schon mit 7, 6 oder 5
darauf verzichten,
Jahren beibringen, einen Computer zu benutzen, aber
ihre kreativen
darauf verzichten, ihre kreativen Fähigkeiten zu ermutiFähigkeiten zu
gen. Mit 40 oder 50 bekommen diese Schüler dann als
ermutigen.“
Manager Kreativitätsseminare mit Künstlern angeboten,
Dr. Oliver Scheytt
um sich dann wieder kreativ zu verhalten.
Sir Peter: Eine kurze Schlussrunde. Herr Professor Lehmann, Zwänge als Chance?
In Berlin geht diese Rechnung nicht auf. Brandenburg und Berlin, beide pleite. Was
sollte Berlin aufgeben?
Professor Lehmann: Möglichst wenig. Ich glaube, die Möglichkeiten liegen darin,
Überbürokratisierung, Hierarchien und alte Strukturen aufzugeben. Die kreativen Teile
sollten gerade nicht aufgegeben werden und ich glaube auch, dass für diese Potenziale
zu gewinnen sind, wenn man die Eigenverantwortlichkeit der Institute und Institutionen stärkt, wenn man also die Infrastruktur stärkt. Das wäre dann die Gewinnerseite.
Die Verliererseite ist die Verbürokratisierung. Das würde ich Berlin sagen.
Sir Peter: Baroness Blackstone, gestern oder vorgestern hat der britische Finanzminister ein Budget eingebracht, in dem 10 Milliarden Pfund für die Überholung des
National Health Service vorgesehen sind. Tessa Blackstone, Ministerin für Kunst und
Musik, wenn Sie die Wahl hätten, wäre es nicht besser, darauf zu verzichten, das
Leben mancher 70- oder 80-Jährigen künstlich zu verlängern, und das Geld stattdessen dafür zu verwenden, kulturelle Arbeit, ästhetische Provokation, gesellschaftliche
Provokation und die gesellschaftliche Diskussion überhaupt zugänglicher für breite
Bevölkerungsschichten zu machen. Auf diese Weise könnten die Künste wichtiger,
37
Beiträge
Podiumsgespräch
stärker, konfliktstimulierender und möglicherweise relevanter für unsere zukünftige
Gesellschaft werden.
Baroness Blackstone: Je mehr ich auf die 70 zugehe, desto mehr hoffe ich, dass
der National Health Service mich noch eine Weile am Leben hält. Spaß beiseite: Der
Anteil am Brutto-Sozialprodukt, der in Großbritannien für den National Health Service aufgewandt wird, liegt etwa drei Prozent unter dem europäischen Durchschnitt,
sodass es in der Tat eine enorme Lücke zu schließen gilt. Insofern kann ich nicht
guten Gewissens behaupten, dass der Haushaltsentwurf von Gordon Brown falsch
war. Ich denke auch, dass die britische Bevölkerung hinter einem aus Steueraufkommen finanzierten National Health Service steht. Aber auch wenn die Milliardensummen, die für das Gesundheitssystem aufgewandt werden,
nicht der Kunst zur Verfügung gestellt werden können,
„Ich muss den
denke ich doch, dass zumindest noch Luft für einige 100
Finanzminister
Millionen bleibt. Dazu muss ich den Finanzminister davon
davon überzeuüberzeugen, dass wir eine bessere Gesellschaft hätten,
gen, dass wir
als wir sie im Moment haben, wenn wir das Geld für die
eine bessere
Künste einsetzen könnten. Wenn etwa jedes Kind in jeGesellschaft
der britischen Grundschule die Möglichkeit hätte, ein
hätten, wenn
Musikinstrument zu erlernen. Früher einmal war Großbriwir das Geld für
tannien bekannt als das Land ohne Musik. Heute wäre
die Künste eindas eine unfaire Beschreibung. Aber wenn wir in dieser
setzen könnten.“
Hinsicht zu den Besten in Europa zählen wollen, dann
Baroness Blackstone
müssen wir investieren. Aber dies ist nur ein Beispiel.
Sir Peter: Bill Forsythe, Sie haben den Tanz aus einer bestimmten Zwangsjacke
befreit. Ist es möglich, ihn noch weiter zu befreien, dass er nicht nur den Geist, sondern auch die Körper junger Menschen erreicht, sodass sich ihr Bild vom Tanz erweitert mit der Folge, dass der Tanz selbst eine längere, lebendigere und breitere Zukunft
in der Gesellschaft haben wird?
William Forsythe: Ich würde sagen, dass die Reichweite des Tanzes in unserer
Gesellschaft, in unserer westlichen Gesellschaft, sehr viel größer ist als alles andere,
was wir in unseren Theatern aufführen oder wiederzugeben vorgeben. In dieser
Hinsicht ist der Tanz wirklich privilegiert, weil er in der Lage ist, Entwicklungen der
Wirklichkeit zu assimilieren und damit meine ich Entwicklungen von hoher Authentizität, die wir bei unseren Arbeitsbedingungen selbst nicht hervorbringen können.
Wir können diesen Erscheinungen, die wir außerhalb unserer Institutionen wahrnehmen, aber eine breitere Sichtbarkeit geben, wir sind in der Lage, sie in einen anderen
Kontext hineinzustellen und auf diese Weise Kultur zu verbreiten, die weder subventioniert noch sanktioniert worden ist. Wir können diese Kunst in der ganzen Welt
verbreiten und ihr einen neuen Wert geben, wenn Sie so wollen. Damit möchte ich
kein Qualitätsurteil über ihren alten Wert abgeben, aber Kunst erhält dann schlichtweg einen neuen Wert. Ich glaube, dass Tanz in keiner Weise von Institutionen abhängt. Selbst wenn sie morgen alle Theater der Welt schließen, gäbe es immer noch
genug Tanz der unterschiedlichsten Art für die gesamte Menschheit.
Sir Peter: Pater Mennekes, das Christentum und insbesondere die katholische
Kirche waren in den vergangenen letzten 2000 Jahren verantwortlich für Kriege,
38
Podiumsgespräch
Konflikte und Totschlag. Ab und zu hat die Kirche auch etwas Gutes getan und die
Kunst gefördert. Welche Zukunft hat Religion als kollektives Ritual? Wird sie sich
zurückentwickeln zum Kriegstreiber oder wird sie sich gegen den Trend behaupten
und versuchen, die Kirche menschlicher zu gestalten? Eine zugegebenermaßen ketzerische Frage, aber das muss sein.
Professor Mennekes: Eine solche Frage kann wohl nur von einem Katholiken
kommen. Kirchen stehen immer in der Versuchung, das was sie reizt, nämlich das
Chaos des Menschen, zu fördern, Lust zu wecken, den Menschen also freizusetzen,
auch von den tiefsten Antrieben: Eros, Sexualität, Macht. Auf der einen Seite bringt
Kirche Menschen dazu, diese Dimensionen zuzulassen und zu realisieren, auf der
anderen Seite will Kirche diese Dimensionen sofort beherrschen. Letzteres ist womöglich eine große Überschätzung ihrer Fähigkeiten. Im Moment wird die Kirche sehr
schwer gedemütigt, sie fällt auf sich selbst zurück. Sie ist so sehr das Opfer ihrer eigenen Instinkte als institutionalisierte Religion, dass ich ihr neben vielen Abschieden
aus der Gesellschaft auch den Abschied aus der Kultur und Kunst bescheinigen muss.
Viele Freundinnen und Freunde, übrigens in allen Konfessionen, träumen von einer
neuen Chance, von der Chance, mit der Kirche noch einmal neu ansetzen zu können.
Dies sage ich jetzt fast unkirchlich, das heißt, nicht aus der Institution heraus, obwohl
ich ein Jesuit bin und weiß, dass jeder Geist auch in einer bestimmten Weise einen
Körper braucht. Man hat jedoch nur einen Körper und mein Körper ist der römische
Körper. Momentan ist die Verunsicherung so stark, so
breit, und auch die Verfasstheit ist so aufgeweicht, dass
„Momentan ist
wir als Priester, wir also, die an der Front arbeiten, von
die Verunsicheuns selbst sagen, dass wir schizophrene Tänzer sind, die
rung so stark,
zwar ihren Oberbau haben, aber unten neu und ganz
so breit, dass wir
anders fragend ansetzen. So lange ich in Gemeinden bin,
als Priester, wir
habe ich als Katholik und Theologe einen aufrechten
also, die an der
Gang. Ohne Gemeinde hätte ich das nicht und wäre also
Front arbeiten,
längst weg. Es sind die Menschen, die kommen und fravon uns selbst
gen, und die einen selbst – ob Kinder oder Alte – immer
sagen, dass wir
wieder zwingen, dass man zu sich selbst kommt. Und
schizophrene
man kommt nur zu sich selbst, wenn man zweifelt, sich
Tänzer sind.“
bezweifelt, und wenn man anfängt, trotz einer schreckliProfessor Mennekes
chen blutigen Spur, die man hinter sich hat, demütig neu
anzufangen. Die Kirche, die wie ich eben bereits sagte,
aufhört, sich als Sünderin und Sünder zu begreifen, das heißt im Grunde also als
unfähig, als schwach, geht den falschen Weg. Die Kirche hat viel Schlimmes hinter
sich, aber sie wusste immer noch, innerhalb des Schlimmen eine andere Melodie
oder einen anderen Ton anzuschlagen und vielleicht kommt dieser Ton von dem,
was man Respekt nennt vor dem Schöpfer. Man könnte von dem Dank oder der
Bitte an den Schöpfer sprechen. Nur wer so aufbricht und in diesem Sinn also mystisch wird, jenseits der Credos, jenseits der Ideologien, der so wirklich versucht,
Gespräche zu beginnen, der kann diesen anderen Ton treffen. Für mich heißt dies
auch, dass die interkulturellen Gespräche interreligiös befruchtet werden müssen.
Das heißt im Moment sicher auch, dass wir uns dem Islam im Gespräch öffnen. Nur
das Gespräch, nur die Öffnung aus der Erfahrung und auch aus dem einzigen Bekenntnis, nämlich dem der Ohnmacht, lässt Zukunft neu entstehen. Ich schließe
nicht mit einem Amen. J
39
Beiträge
Norman Rosenthal
Jenseits des
kulturellen
Gedächtnisses
Neue Perspektiven
für Museen
im beginnenden
Jahrhundert
Betrachtet man die Entstehungsgeschichte
und die Aufgaben der Museen in der heutigen
Welt, so ergibt sich ein komplexes Bild. Jedes Museum, ob groß oder klein, steht in einer spezifischen Beziehung zu seiner Zeit und zu seinem
geographischen Ort. Es gibt die großen, enzyklopädischen Museen – das Metropolitan Museum in
New York, den Louvre in Paris, das Britische Museum, die Eremitage in St. Petersburg, die Staatlichen Museen Preußischer Kulturbesitz – mit ihren
umfangreichen und vielfältigen Aufgaben, mit ihrer schwierigen Gegenwart und ihrer ungewissen
Zukunft, vor allem bedingt durch zunehmende finanzielle und administrative Probleme. Aber auch
für die kleineren Museen – und von diesen gibt
es Tausende, städtische
Museen, Museen an
„Es muss letztlich
kleineren Orten zu speein freier Markt
ziellen Themen, zum
erhalten bleiben,
Beispiel das Soane Mua u f d e m u nseum in London, das
terschiedliche
Keats Museum in Rom
Vorstellungen
oder das Beethovenzur Präsentation
haus in Bonn – stellt
von Kunst
sich das Problem des
frei diskutiert
Überlebens und die
werden können.“
Frage nach der eigenen
Relevanz.
Wir sollten auch die naturwissenschaftlichen
und technischen Museen nicht vergessen. Die ältesten Museen, wie beispielsweise das im 17. Jahrhundert gegründete Ashmolean Museum in Oxford, waren mit den Naturwissenschaften genauso
40
eng verbunden wie mit der Kunst. Museen sind im
Grunde genommen Lagerhäuser oder Magazine eines kulturellen Gedächtnisses, das von jenen Eliten vermittelt wird, die mit einem mehr oder minder fundierten, aber auch ständig sich wandelnden
Verantwortungsbewusstsein die aufzubewahrenden Werte für die Gesellschaft ausgewählt haben.
Welche Erinnerungen wollen wir an die nachfolgenden Generationen weitergeben? In den letzten dreißig Jahren haben viele Museen, und vor allem die bekanntesten unter ihnen, erstaunliche
Wandlungen durchgemacht. Vor dem Hintergrund
des wachsenden Tourismus, der Erleichterung und
Verbilligung von Reisen aller Art, und nicht zuletzt
auch im Wettbewerb mit immer komplexeren und
raffinierteren Formen von Unterhaltung haben die
Museen Geld und Ideen in ihre Präsentation gesteckt. Die Pavillons, Seitenflügel und Außenanlagen der Museen wachsen kontinuierlich. Museen
mögen Zentren der Bildung und Besinnung sein,
aber sie sind – worüber sich manche Leute inzwischen beklagen – auch zu Stätten des Entertainments für ein breiteres Publikum geworden. Für
Großstädte wie Paris, London, New York, Berlin,
München, Tokio oder Washington sind die Museen immer mehr zu maßgeblichen Faktoren der
städtischen Selbstdarstellung geworden – zu einem
politischen Ausdruck von Zuversicht –, manche
würden sagen: von übertriebener Zuversicht und
Hybris.
Betrachten wir den Fall des Guggenheim Museums in Bilbao. Wie könnte man dieses bemerkenswerte Beispiel unerwähnt lassen, das in aller
Welt Bewunderung, aber auch Neid erregt hat?
Vor allem jedoch ist dieses Museum das Produkt
einer hochpolitischen Konstellation, und es wäre
gewiss nicht gebaut worden, hätte im Baskenland
nicht das Bedürfnis bestanden, einerseits eine gewisse Selbstständigkeit gegenüber Madrid zu bekunden und andererseits Besucher und Investoren
anzulocken, um der Destabilisierung der Region
durch den Terrorismus entgegenzuwirken. Auf
kurze und mittlere Sicht war dies ein unglaublich
erfolgreicher Public-Relations-Coup, durch den
sich das Image eines der unattraktivsten Ballungsräume Europas politisch und wirtschaftlich auf einen Schlag verändert hat. Aus englischer Perspek-
Museum für Moderne Kunst, Frankfurt a. M.: Gemälde von Franz Gertsch „Johanna I“
„Wir alle sollten
g e l e g e n t l i c h d aran denken, dass
es die schöpferischen Werke der
Künstler sind,
derer man sich
auch dann noch
erinnern wird,
wenn wir alle
längst tot und
begraben sind.“
tive könnte man sagen: Hier wurde in kürzester
Zeit aus einem zweiten Belfast ein bedeutendes
Tourismuszentrum gemacht.
Aber schon der Name „Guggenheim“ und der
seines bemerkenswerten Direktors Thomas Krens
lösen unweigerlich Kontroversen aus. Ist das Guggenheim mit seiner globalen Expansionsstrategie
und den exklusiven, formalisierten Allianzen, die
es mit anderen Museen eingeht, wirklich ein Mo-
dell für die Zukunft? Sollen Museen wie multinationale Unternehmen geführt werden – aus der
Perspektive gnadenloser Konkurrenz, ein Spiegelbild jener Welt, in der sich Kirch und Murdoch bekriegen? Kann es darum überhaupt gehen? Ich persönlich würde unternehmerisches Denken auch in
der Welt der Museen nicht kritisieren. Gleichzeitig
muss jedoch eine bestimmte elementare Würde
gewahrt und letztlich ein freier Markt erhalten bleiben, auf dem unterschiedliche Vorstellungen zur
Präsentation von Kunst frei diskutiert und unbeschränkt ausgetauscht werden können.
Mit welchen Aufgaben und welchen Realitäten
haben es unsere Museen heute und in Zukunft zu
tun? Zunächst einmal scheint es mir ziemlich klar,
dass infolge der gewaltigen Erweiterungen, die
vorgenommen wurden und werden, immer mehr
öffentliche und private Finanzmittel aufgebracht
werden müssen, um alles das am Laufen zu halten.
Bauen ist einfach. Die Fotos von der Eröffnung in
Zeitungen und Zeitschriften, auf denen Staatsoberhäupter und Politiker bedeutende Gesichter machen, die Architekturzeitschriften, die wieder einmal einen Stararchitekten feiern – das alles kennen
41
Beiträge
Norman Rosenthal
wir. Aber hier ein typischer Fall: In den letzten
zwei oder drei Jahren habe ich den Grand Louvre
nicht weniger als dreimal aufgesucht, um ein Lieblingsbild von mir zu sehen – ein Gemälde des
wichtigsten französischen Klassikers, Nicolas
Poussin, dessen Werke, wie man annehmen sollte,
immer zugänglich sein müssten. Aber jedes Mal
war die betreffende Abteilung wegen Mangels an
Aufsichtspersonal geschlossen. Eine Verdoppelung
der Ausstellungsfläche führt eben zumindest auch
zu einer Verdoppelung der Betriebskosten auf allen Ebenen – und viele der größten Museen auf
der Welt stellen heute fest, dass sie sich, um es
vorsichtig auszudrücken, übernommen haben.
Geld für Bauvorhaben lässt sich vergleichsweise leicht beschaffen – Geld zur Deckung der
laufenden Kosten nicht. Wie können wir in Zeiten
wachsender Finanzprobleme die aktuelle Funktion
von Museen bestimmen, die ein immer breiteres
Publikum anzulocken
versuchen, um sich ge„Wie viele
genüber öffentlichen
Teller, Tassen,
und privaten GeldgeUntertassen
bern zu rechtfertigen?
und wie viele
Gewiss, Museen müs,nutzlose‘ Kunstsen viele verschiedene
werke kümmern
Funktionen erfüllen,
für teures Geld in
von denen manche auf
den Magazinen
den ersten Blick einander Museen vor
der zu widersprechen
sich hin?“
scheinen. Museumsdirektoren haben es heute mit der Quadratur von mehr als einem Kreis zu
tun – und diese Aufgabe dürfte in der absehbaren
Zukunft eher noch schwieriger werden. Vor diesem Hintergrund möchte ich hier einige Thesen
aufstellen und ein paar Fragen aufwerfen, die vielleicht auch für andere Kunstformen relevant sind,
vor allem für solche, die unweigerlich große Geldsummen verschlingen.
1. Museen sind offenbar Plattformen für die
Darstellung sowohl der Vergangenheit als auch
bestimmter Aspekte der Gegenwart. Heute setzt
sich immer mehr die Auffassung durch, Museen als
Orte, die dem Visuellen gewidmet sind, seien der
wichtigste Schauplatz für die zeitgenössische visuelle Kunst. Woher wissen wir, ob die Gegenwart
in ihren Urteilen von der Zukunft bestätigt wird?
Welche Rolle spielt der lebende Künstler im Mu-
42
seum? Künstler nehmen gegenüber dem Museum
fast immer eine zwiespältige Haltung ein. Ihre Reaktionen reichen vom heftigen Verlangen nach
Wertschätzung bis zu tiefem Misstrauen und noch
darüber hinaus. Gehört die Gegenwart ins Museum? Es gibt heute eine Tendenz, fast alles zu
„musealisieren“. Nehmen wir uns da, etwa im Bereich der Bewahrung des nationalen Kulturerbes,
nicht oft mehr vor, als wir wirklich bewältigen
können? Sollten wir nicht manches dem allgemeinen Zutritt entziehen oder begraben oder manchmal sogar zerstören? Vielleicht sind einige alte Kulturen mit ihrer eigenen Vergangenheit besser
umgegangen, indem sie sich tatsächlich für das
Begraben entschieden. Heute klingt das noch ketzerisch. Aber wie viele Teller, Tassen, Untertassen
und wie viele „nutzlose“ Kunstwerke kümmern für
teures Geld in den Magazinen der Museen vor sich
hin? Das dicht verwobene Ineinander von Alt und
Neu in unseren Städten stellt uns vor das gleiche
Dilemma. Sind Museen so etwas wie ein Mikrokosmos unserer Gesellschaft?
2. Werden die Museen in dem Maße, wie in
weiten Bereichen der Gesellschaft die Bedeutung
der Religion schwindet, immer mehr zu neuen
Tempeln, die allem Guten gewidmet sind, für das
der Mensch und seine Werke stehen? Die Tate
Modern wird zur Herausforderung für die St. Pauls
Kathedrale und zieht gewiss erheblich mehr Besucher an als diese. Wird das von nun an immer so
sein? Was erlebt der Besucher eines Museums eigentlich? Erlebt er eine relativ günstige oder kostenlose Form von Unterhaltung oder macht er eine
notwendige Erfahrung in allen erdenklichen Abstufungen zwischen Tiefsinn und Absurdität? Ich
frage mich oft, wie Museumsbesucher auf die hochgradig komplexe Sprache der Kunst eigentlich reagieren. Die Gemälde alter Meister zum Beispiel
sind ohne einen gewissen Überblick über die europäische Geschichte, die Antike, die Bibel schwer
zu begreifen – aber mit all diesen Themen befasst
sich der Unterricht an unseren Schulen, zumindest
in Großbritannien, nicht mehr systematisch. Und
die moderne und zeitgenössische Kunst hat, wie
mir scheint, eine sehr spezialisierte Sprache entwickelt, deren Entschlüsselung ein hohes Maß an Engagement und Zeit verlangt. Mit anderen Worten,
sie ist zur Sache einer Elite geworden – allerdings
einer Elite, der jeder beitreten kann.
Norman Rosenthal
3. Unsere amtlichen Pädagogen und Minister
rechtfertigen die beträchtlichen und dennoch nie
ausreichenden Mittel für den Unterhalt der Museen, indem sie das Lied vom Bildungsauftrag anstimmen. In ihren Augen ist das Museum ein Hort
der Gelehrsamkeit, eine Institution, die Zugangschancen bietet, die Maßstäbe von Vortrefflichkeit
verkörpert und außerdem identitätsstiftend wirken
kann, ein Faktor des sozialen Wandels, ein Instrument zur Förderung neuer Technologien, etwa des
Internets, und sogar ein Instrument zum Bruch mit
der Vergangenheit. Hier wird also versucht, die
zeitgenössische Relevanz des Museums so zu bestimmen, als wäre das Museum vor allem ein ohne
weiteres zugänglicher, unproblematischer Ort. In
Wirklichkeit jedoch müssen sich die Museen des
21. Jahrhunderts vor allem klar machen, dass sie
ein wesentliches Element des Zivilisationsprozesses sind und dass sie deshalb ihre Funktion als
kulturelles Gedächtnis auf keinen Fall vernachlässigen dürfen. Vielleicht weiß der eine oder andere,
dass ich, wie Professor Jean-Christophe Ammann,
ein Freund und Förderer der zeitgenössischen
Kunst bin, und ich bin mir sicher, er wird mir darin zustimmen, dass auch heute und selbst unter
den jüngsten Künstlern, so bilderstürmerisch oder
anarchisch ihre Arbeiten der etablierten Kunstwelt
auf den ersten Blick erscheinen mögen, ein Bewusstsein dafür vorhanden ist, dass die Gegenwart in einer Beziehung ständiger Erneuerung und
ständigen Wandels mit der Vergangenheit und,
wie man wohl annehmen darf, auch mit der Zukunft verbunden ist.
Wenn ich das, was ich in meinem eigenen begrenzten Bereich an der Royal Academy tue, in
wenigen Worten umreißen sollte, würde ich sagen: Ich versuche, unterstützt von anderen, die
Vergangenheit mit der Gegenwart und die Gegenwart mit der Vergangenheit zu verknüpfen. Museen und Kunsthallen sind letztlich Bühnen, und
ich bin mir sicher, dass Sir Peter Jonas in der manchen Leuten so archaisch anmutenden Welt der
Oper im Wesentlichen das gleiche Ziel verfolgt.
Die Kunst ist Teil des Zivilisationsprozesses, und
die Welt steht mit Kunst besser da als ohne Kunst.
Die Kunst bildet ein Gegengewicht zu den Kriegen
und all den anderen Schrecken der menschlichen
Existenz, und die Künstler sind innerhalb dieses
Beziehungsgeflechts imstande, ein Licht auf diese
Schrecken zu werfen, das oft zwar schwach ist, die
Umrisse aber dennoch deutlich erkennbar macht.
Wenn wir dies im Auge behalten (und die politisch korrekten intellektuellen Verrenkungen im
Hinblick auf Bildungschancen und dergleichen
einmal weglassen), wie können wir dann unser
Publikum für die vielfältigen, unendlich reichen
Themen der Museen interessieren? Wie können
die Museen mehr sein
als Orte der Unterhal„Vielleicht
tung (auch wenn an
sind einige alte
Unterhaltung als solKulturen mit
cher nichts auszusetzen
ihrer eigenen
ist) – wie können sie
Vergangenheit
mehr sein als Orte für
besser umgeganflanierende Zeitgenosgen, indem sie
sen (auch daran ist
sich tatsächlich
nichts auszusetzen) –
für das Begraben
wie können sie mehr
entschieden.“
sein als Orte, an denen
sich die Eitelkeit der
Politiker, der Reichen, der Großunternehmen zur
Schau stellt (was alles durchaus mehr oder weniger legitim und sogar nützlich sein kann) – wie
können sie bei alledem gleichzeitig dafür sorgen,
dass die Kultur lebendig bleibt und gedeiht und
dass sie vor allem die Mitte der Bühne einnimmt?
Wir alle sollten gelegentlich daran denken, dass es
die schöpferischen Werke der Künstler, Schriftsteller und Musiker sind, derer man sich auch dann
noch erinnern, die man auch dann noch hochschätzen wird, wenn wir alle längst tot und begraben sind. Die Frage lautet also: Wie können wir
das kulturelle Gedächtnis, das niemals statisch ist,
im 21. Jahrhundert lebendig erhalten? Diese Frage
ist für Theater, Konzerthäuser, Verlage und für öffentliche Radio- und Fernsehstationen – die im
Idealfall frei von den Abgeschmacktheiten der allgegenwärtigen Reklame sind – genauso relevant
wie für Museen, die es mit einer zusehends ungewisser werdenden Zukunft zu tun haben und die
sich auch ihres künftigen Publikums nicht sicher
sein können.
Einfache Antworten habe ich nicht zu bieten.
Letztlich hängt das Überleben der einzelnen Einrichtungen von der Initiative und den Führungsqualitäten ab, die diese Einrichtungen bzw. ihre
Leiter auf dem Kunst- und Kulturmarkt entfalten.
Meistens geht es dabei um ein Leben von der
Hand in den Mund – und das ist nichts Neues. Der
43
Beiträge
Norman Rosenthal
künstlerischen Integrität und dem künstlerischen
Stil müssen politischer und finanzieller Sachverstand zur Seite stehen – das eine schließt das andere nicht aus. Es ist gerade die Verbindung von
beidem, die das Überleben sichert. Ich persönlich
bin, was die Kultur betrifft, gleichzeitig Optimist
und Pessimist, aber eine wesentliche Voraussetzung ist und bleibt das Verständnis dafür, dass in
der Kultur, die die Museen umgibt, immer alles im
Fluss ist.
Ich kann nicht sagen – und niemand von uns
kann das –, ob die Welt in zehn, fünfzig oder hundert Jahren mit unserem gegenwärtigen memento
mori noch etwas anfangen kann – vielleicht werden unsere Leonardos, unsere van Goghs, unsere
Monets und unsere Baselitz’, ähnlich wie es jetzt
der Religion ergeht, einer Skepsis weichen, die
sich aus heute noch unvorstellbaren Technologien speist. Können Technologien der Zukunft mit
Werten der Vergangenheit verknüpft werden? Bis
zu einem gewissen Grade vielleicht – wenngleich
ich als einer jener Dinosaurier, denen das Fernsehen und selbst die CD-Scheiben ziemlich gleichgültig geblieben sind, in diesem Punkt eher skeptisch bin. Die Aura des Realen und Gegenwärtigen
fasziniert die Menschen auch weiterhin, und ich
versuche, diese Faszination zu vermitteln. Ich bin
mir einigermaßen sicher, dass die Museen zumindest in der allernächsten Zukunft eine wichtige
Rolle zu spielen haben – oder, wie ich angedeutet
habe, so viele Rollen zu spielen haben, wie sie
schon immer gespielt haben. Trotz der magischen
Zeitenwende des Jahres 2000 und trotz des 11. Septembers habe ich nicht den Eindruck, die Zeit, in
der wir jetzt leben, sei so neu, dass wir das Kind
mit dem Bade ausschütten müssten. Die Enthusiasten unter uns genießen das Bewusstsein, an dem
lebhaften Kampf um ihr Überleben teilzunehmen
und teilnehmen zu dürfen, auch wenn die Welt da
draußen manchmal ziemlich feindselig wirkt. J
„Ich frage
m i c h o f t, w i e
Museumsbesucher
auf die
hochgradig
komplexe
Sprache
der Kunst
eigentlich
reagieren.“
Darmstädter Sezession 1997 auf der Mathildenhöhe
44
Beiträge
Enjott Schneider
Jenseits des
Etablierten
Neue Perspektiven
für die Musik
im beginnenden
Jahrhundert
Zwei Prämissen sind vor dem Skizzieren neuer
Perspektiven aufzuzeigen. Zum einen: Welche
Funktion besitzt heute „Kunst“? Zum anderen: Was
ist das „Etablierte“?
1. „Kunst“ beinhaltet auch im 21. Jahrhundert
das, was seit jeher ihre Funktion ist: Kunst ist Vision des Menschlichen, ist Entwurf einer (individuellen wie kollektiven) Utopie, ist Entgrenzung
(immer höher, weiter – ein Fliegen-Können), ist
das Imaginieren von Immateriellem mittels Phantasie, ist das Suchen nach dem Geistigen oder gar
Spirituellen hinter den Sinneseindrücken, Kunst
sieht hinter das Stofflich-Materielle und ist damit
Gegenpol zur funktional-nützlichen Arbeits„In unserer
welt. Die Funktion von
jetzigen Zeit
„Kunst“ oder „Künstler“
d e s H o c h k a p iist für mich am treftalismus und
fendsten in der bekannMaterialismus,
ten Kindergeschichte
[…] ist ,Kunst‘
von der Maus „Fredemehr denn je
rick“1 gefasst: Während
eine existenzielle
alle anderen Mäuse in
Notwendigkeit
rastloser Arbeit Körner
geworden.“
und Stroh zusammentragen, sitzt Frederick
anscheinend nutzlos
da. Er ist aber nicht faul, sondern sammelt Sonnenstrahlen und Farben für die kalten Wintertage.
Und im grauen Winter, als die Vorräte der anderen erschöpft waren und düstere Stimmung die
Mäusegesellschaft umklammerte – dann kam seine
Stunde: „Macht die Augen zu“ sagte Frederick,
und er schickte ihnen Sonnenstrahlen, erzählte
von blauen Kornblumen und vom roten Mohn…
und allen Mäusen wurde es wie von Zauberhand
sonnig und warm.
In unserer jetzigen Zeit des Hochkapitalismus
und Materialismus, in der kleinliches Spekulieren,
Kalkulieren, Krämer-Mentalität, das Anbiedern der
Kaufleute, das Feilschen um Prozente bei Börsengeschäften zum offiziellen Gesellschaftsspiel
geworden sind, ist „Kunst“ mehr denn je eine existenzielle Notwendigkeit geworden. Auch als Gegenkraft zur Körperfixierung und zum „Äußerlichen“ des Materialismus (fassbar in unserer
derzeitigen „Body & Beauty“-Manie und im Fetischieren der Sportkämpfe) ist die Frage um den
Stellenwert von „Kunst“ als dem Reservat des „Innerlichen“, Geistigen und Phantasiehaften mit der
Frage der Überlebenschancen westlicher Zivilisation eng verknüpft und zu einer in ihrer Brisanz
noch verkannten Grundsatzfrage geworden.
2. Um das „Etablierte“ des derzeitigen Musikbetriebs zu skizzieren, sei eine Bestandsaufnahme in
grobem Raster erlaubt.
• Da ist zum einen der Antagonismus von öffentlich subventionierter Musik und kommerzieller
Musik. Dieser Antagonismus ist weitgehend
kongruent mit dem Gegensatz von „Musik für
ein Bildungsbürgertum“ (intellektueller und elitärer Kunstanspruch) und „Musik für die Massen“ (Unterhaltungsfunktion mit Aberkennung
eines Kunstanspruchs). Während die öffentlich
subventionierte Musik eng mit Institutionen wie
Musikkritik, Musikwissenschaft, Feuilleton und
Rundfunk verbunden ist und dadurch in öffentliches Bewusstsein erhoben wird, wird die
kommerziell-unterhaltende Musik von keinem
kulturellen Gedächtnis registriert. Abgesehen
von der plakativ genannten „front person“ des
Showbusiness (oft fiktiver Art) bleiben Instrumentalisten und Komponisten anonym.
• Zum anderen ist das Musikleben durch einen
Zug zum Musealen und Restaurativen geprägt.
1 Leo Lionni, Frederick, deutsch von Fredrik Vahle, 1967 und 1968 (G. Middelhauve Verlag) München
45
Beiträge
Enjott Schneider
Es wird viel alte Musik gespielt. Etablierte Namen wie Bach, Händel, Mozart, Beethoven dominieren die Spielpläne und Programme von
Opernhäusern und Konzertsälen. Zu diesen
musealen Namen kommt zwar die Aktualität
der zeitgenössischen Interpreten, doch ist die
merkwürdige Tendenz unverkennbar, dass mit
wachsendem Renommee sich Interpreten durch
zunehmend restaurative Programme charakterisieren: Kaum ein Jetset-Sänger oder -Pianist
zeigt Interesse an zeitgenössischer Musik.
• Unter allen Künsten war die Musik (sozusagen
als die unmittelbarste „Vibration“ oder „Schwingungsform“ des Menschen) stets der sensibelste
Seismograf einer Gesellschaft: …an ihren Liedern und Tänzen sollt ihr sie erkennen! Deshalb sind die hier aufgeworfenen Fragen besonders bedrückend: Warum gibt es diese
antagonistische Zersplitterung und keine „gemeinsamen Lieder“ mehr? Warum hat die Neue
Musik oder zeitgenössische Musik im etablierten Musikbetrieb so marginalen Stellenwert?
Anhand von zwei Symptomkomplexen soll aus
der Fülle möglicher Orientierungen eine Beantwortung versucht werden:
I. Die Rolle der Differenzierung von „E“- und
„U“-Musik (ist der Gegensatz „Ernste Musik“ contra
„Unterhaltende Musik“ heute noch produktiv?).
II. Das Konzept „Musik visuell“ als Re-Konkretisierung der in der „l’art pour l’art“-Ästhetik abstrakt
gewordenen Musik (Schaffen integrativer Kontexte
beim Musikhören).
I. „E“-Musik contra „U“-Musik
Die Unterscheidung von „E”- und „U”-Musik ist
typischerweise in Deutschland sanktioniert worden 2 – vom Volk der „Dichter und Denker“, das in
seinem Hang zum Idealismus schon immer zu einer
verklärten „Hochkultur“ (einige Politiker sagen neuerdings auch: „Leitkultur“) tendierte – und mit dem
„hoch“ auch das Abgrundtiefe eines Faschismus
aktivierte. Ideologischer Hintergrund der „E“- und
„U“-Differenzierung ist die „Körper-Geist“-Trennung
des christlichen Abendlandes, die als roter Faden
die Zeit vom paulinischen Denken bis heute durchzieht: Der „Geist“ gilt als das Hohe und Eigentliche des Menschen, der „Körper“ ist demgegenüber
das Niedere und oft Verdammenswerte. Eine Kette
ähnlicher Antinomien ist damit verbunden. Sie
reicht von allgemeinen Gegensatzpaaren wie „Logik – Emotion“ bis zu speziell musikalischen Dualismen wie „tonal – atonal“ oder „Oper – Musical“.
Beispielsweise war für Jahrzehnte die Ästhetik der
Neuen Musik von Theodor W. Adornos „Philosophie der Neuen Musik“ mit der Glorifizierung musikalischer Logik 3 und des strukturellen Denkens
(verbunden mit einer Abwertung des emotionalen
Hörens) geprägt gewesen.
Im holistischen Weltbild der Neuzeit sind solche Gegensatzpaare obsolet geworden: Integration statt Dissoziierung ist angesagt. Man hat die
Zusammengehörigkeit von Körper und Geist erkannt, weiß um die Einheit von Denken und Fühlen und hat die „emotionale Intelligenz“ 4 als integratives Movens entdeckt. Die Geschichte der
Neuen Musik hat inzwischen durch die Konzertpraxis selbst einiges zurechtgerückt: Die als eminent geschichtsträchtig deklarierten logisch-strukturellen Ansätze der Musik (Arnold Schönberg,
Anton Webern oder die Serielle Musik der fünfziger Jahre) sind längst von denjenigen Namen in
den Hintergrund gedrängt worden, die von Adorno noch als unbedeutend (weil bloß stimmungshaft, vitalistisch, folkloristisch, nicht-reflexiv) herabgesetzt wurden – Strawinsky, Bartók, Prokofieff,
Schostakowitsch, de Falla, Sibelius, Orff und andere. Einst belächelte (oder schlicht ignorierte) Werke wie Barbers „Adagio“, Weills „Sieben Todsünden“ oder Holsts „Planeten“ sind inzwischen zu
weltweit beliebten Evergreens geworden.
Das Festhalten (vor allem in Musikkritik, Feuilleton, Rundfunk und Musikwissenschaft) an der
etablierten Kategorisierung nach „E“ und „U“
scheint für eine perspektivenreiche Entwicklung
der Musik, die auf kulturelle Verständigung (statt
Zersplitterung) zielt, hinderlich zu sein. Das soll im
Folgenden anhand von sieben Facetten aufgezeigt
werden.
2 Die deutsche GEMA ist weltweit die einzige Verwertungsgesellschaft, die diese „E“-„U“-Differenzierung kategorisch eingeführt hat.
3 Die Kategorie der „Logik“ ist in der Kunstmusik natürlich weit über Theodor W. Adorno hinaus konstitutiv gewesen: Man findet sie
bei richtungsweisenden Musikwissenschaftlern wie Hugo Riemann („Musikalische Logik“), Hans-Heinrich Eggebrecht („Musikalisches
Denken“) wie in der Technik der „Durchführung“ als Inbegriff abendländischen Komponierens.
4 Vgl. hierzu Daniel Goleman, Emotionale Intelligenz, München-Wien 1996
46
Enjott Schneider
Tangotänzer in San José de la Esquina, Argentinien
„In der Vielzahl tanzbarer
Musik findet
man ungebrochen
das menschliche
Grundbedürfnis
nach rhythmischer Bewegung.“
1. Der Tanz in der Musik
Die etablierte Neue Musik meidet den „Tanz“
und damit jede körperhaft-konkrete Rhythmik nahezu systematisch.5 Tanzmusik wird der kulturellen
Anonymität der „U“-Musik überlassen. In der Vielzahl tanzbarer Musik (von afroamerikanischen Tänzen wie Rock ‘n’ Roll und Swing, von lateinamerikanischen Tänzen von Salsa, Tango bis Samba, den
Standardtänzen von Walzer bis Foxtrott, den neu-
esten Tänzen wie Techno, Hiphop, Drum ‘n’ Bass)
findet man ungebrochen das menschliche Grundbedürfnis nach rhythmischer Bewegung – in ihrer
lustvollen Körperhaftigkeit und Monotonie den
Bewegungsabläufen der Sexualität eng verwandt.
Diese Lustfeindlichkeit neuer „E“-Komponisten ist
bei den älteren Vertretern der Klassik – als „E“ und
„U“ noch nicht getrennt waren – nicht zu finden:
von Monteverdi, Bach, Händel, Schubert bis Chopin (man vergleiche dessen Walzer, Mazurken,
Polonaisen) oder Ravel („Boléro“, „La Valse“ und
„Pavane pour une infante défunte“ sind die Evergreens seines Schaffens geworden) waren „Tänze“
Ingredienz des kompositorischen Könnens. In Gattungen wie „Sinfonie“ und „Sonate“ war die Tanzform „Menuett“ als obligatorischer dritter Satz
musikalische Achse. Die Nähe zum Tanz und die
daraus resultierende lustvolle Körperlichkeit der
älteren Musik dürfte ein wichtiger Grund für die
Musealisierung des Musiklebens sein: Die Musik
vergangener Jahrhunderte gestattet jenes Ausleben
5 Es ist auffallend, dass an den Opernhäusern die Musik zu Ballett-Abenden meistens als Tonkonserve erklingt und vor allem zeitge-
nössische Live-Musik (womöglich Uraufführungen, Kompositionsaufträge) zu den Raritäten zählt.
47
Beiträge
Enjott Schneider
motorischer Elemente (sei es als ausübender Spieler wie als Zuhörer), die in der modernen „E“-Musik
wenig zu finden ist.6
2. Vitalität, Optimismus, Harmonie
als musikalischer Gehalt
Der harmonische Dur-Akkord, das optimistische Weltbild oder das „Happy End“ als Lösung der
Finalproblematik scheint zur ausschließlichen Domäne der „U“-Musik geworden zu sein. Die in dem
„E“ indizierte Ernsthaftigkeit ist demgegenüber zur
eindimensionalen Programmatik geworden: Die
Neue Musik gibt sich weitgehend larmoyant, entsagend, negierend, dissonant und katastrophen- wie
klageorientiert. Das Argument nach Auschwitz
darf man nicht mehr… ist zum einen von vielen
kulturellen Produktivitäten auf mehreren Ebenen
längst entkräftet worden, zum anderen gibt es ein
existenzielles Bedürfnis nach positivem Denken
und ein Recht auf Harmonie – ansonsten droht
Krankheit (im individuellen wie kollektiven Rahmen) als Konsequenz. Gemäß des holistischen
Denkens wäre auch hier eine Verbindung dringend notwendig: So zusammengehörend wie Licht
und Schatten, Berg und
Tal oder Yin und Yang,
„Neue Musik
so dringlich müssen in
zieht meistens
einer Musik der ZuEnergie ab:
kunft das Ernste des
Töne und Laut„E“ und das Unproblestärken dürfen
matisch-Unterhaltsame
sich nicht
des „U“ zusammengeentfalten, es
führt werden. Die Sogwird gekratzt
wirkung, die im museaund geschabt,
len Konzertleben von
psychische Enge
der älteren Musik ausstatt Weite.“
geht, hat in solcher Janusköpfigkeit eine der
Wurzeln: Ein Bach schrieb sowohl die „Matthäuspassion“ wie die „Kaffeekantate“, ein Mozart schrieb
ein “Requiem” und ein „Dorfmusikantensextett“,
ein Beethoven schrieb seine enigmatischen letzten
Quartette und „Die Wut über den verlorenen Groschen“. Solche serenità fehlt der Neuen Musik
weitgehend. Dazu kommt, dass sowohl die ältere
Musik wie die „U“-Musik über eine inhaltlich positive Programmatik hinaus durch ihre Machart Lust
an Kraftentfaltung, Spieltrieb und Vitalität beinhaltet: Beim Erklingen einer symphonischen Musik
(ob Mozart oder Tschaikowsky), einer BigbandKomposition von Duke Ellington oder eines Operettenmarsches von Franz von Suppé wird im Hörer
durch die opulente Klangentfaltung Kraft freigesetzt. Er wird von Energie durchzogen – provoziert
von einer aus dem Zusammenspiel von fünfzig
sich synchron bewegender Musiker resultierenden
Energetik. Simple Parameter wie Lautstärke und
rhythmischer Drive bewirken bereits einen Adrenalinausstoß. Puls, Atmung und Durchblutung
werden positiv angeregt. Im Gegensatz dazu zieht
Neue Musik meistens Energie ab: Töne und Lautstärken dürfen sich nicht entfalten, es wird gekratzt und geschabt, psychische Enge statt Weite.
Wohlklang wird vermieden. Pausen und ständiges
Innehalten verhindern oft das vegetativ wirksame
Zustandekommen von Drive und Flow.
3. „L’art pour l’art“ als soziale Isolation
Die hermetische Ästhetik jener Kunstmusik seit
dem ausgehenden 19. Jahrhundert, die materialimmanent nur ihren eigenen Gesetzen gehorchen will
und sich damit jeder funktionalen wie gesellschaftlichen Ortung entzieht, kennzeichnet nach wie vor
das Selbstverständnis der Neuen Musik. „Funktionale Musik“ gilt dagegen als minderwertig und
wird der „U“-Ebene zugeordnet. Das derzeitige Musikleben kennt eine Fülle funktional determinierter
Musik, die nicht nur in ihrem materiell-gesellschaftlichen Stellenwert (Sicherung von Arbeitsplätzen,
als Wirtschaftsfaktor), sondern auch sozialhygienisch als Selbstausdruck einer Menschengemeinschaft von großer Bedeutung ist: Musik in Film,
Fernsehen oder Internet, Musik zum Tanzen, Meditationsmusik, Musik für den Gottesdienst, für
Kirchentage, für den Zirkus, für die Diashow, für
Yogaübungen oder Jogging, für Sportveranstaltungen, für Telefonanlagen, Hörspielmusik, Marschmusik, Schauspielmusik, Hintergrundmusik, Chill
Out-Musik, Aerobicmusik, Musik für Industriepräsentationen, Musik für Kinder, den Instrumentalunterricht, pädagogische Musik – das alles sind
Musikformen, die in obsoleter „E/U“-Kategorisierung aus dem Blickfeld der „E“-Musik gerückt
sind. Die nach 1900 verloren gegangene Wieder-
6 Bezeichnenderweise hat mit Beginn der 70er Jahre die Minimal Music (Phil Glass und Steve Reich waren die Exponenten der ersten
Stunde) aufgrund ihrer körperhaften Rhythmik blitzartig eine weltweite Akzeptanz erfahren und stellt momentan die kohärenteste Stilistik innerhalb der Neuen Musik dar.
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Enjott Schneider
einbindung des Komponisten in gesellschaftliche
Funktionen dürfte eines der wichtigsten Ziele einer Musik des 21. Jahrhunderts sein. Der Impuls
dazu muss vor allem vom „E“-Komponisten ausgehen, der sein Selbstverständnis als „Schöpfer
nur autonomer Werke“ weitet und sich vorurteilslos dem Feld funktional-musikalischer Aufgaben
stellt.
4. „Ethno“ als der Weg „back to the roots“
Jene Neue Musik, die sich betont strukturell
und konstruktivistisch versteht (beispielsweise die
Derivate der dodekaphonen und seriellen Musik)
zeichnet sich durch Komplexität und Distanz zu
volksmusikalischen Archetypen aus. Besonders
die mitteleuropäischen Komponisten (ich denke
an Namen wie Max Reger, Arnold Schönberg, Anton Webern, Paul Hindemith, Hans Pfitzner bis zu
Luigi Nono, Pierre Boulez, Olivier Messiaen, Luciano Berio, Karlheinz Stockhausen, Wolfgang Rihm,
Brian Ferneyhough) tendieren zu einer „intellektuellen Musik“, zu deren Rezeption die Materialreflexion, Werkreflexion und Geschichtsreflexion
unabdingbar gehören. Diese intellektuelle Distanz
ist bei denjenigen Komponisten, die unmittelbar
aus den Quellen der Volksmusik (musikethnologische Musik) schöpfen, weniger zu spüren. Es ist
erstaunlich zu sehen, wie befruchtend im Laufe
der Musikgeschichte die Rand-europäischen Komponisten (die ursprünglicher in der Folklore wurzelten) immer wieder entscheidende Impulse gegeben haben: zu denken ist beispielsweise an die
„böhmischen Musiker“, die gegen 1800 den Wiener
klassischen Stil und die Mannheimer Schule prägten, an die Einflüsse aus Russland (Mussorgsky,
Rimsky-Korssakoff, Scrijabin, Rachmaninoff, Strawinsky, Prokofieff, Schostakowitsch), aus Ungarn
(Bartók, Kodály), aus Finnland (Sibelius), Spanien
(de Falla), Brasilien (Villa-Lobos), an Debussy,
dessen Stilistik sogar auf asiatische Elementen beruhte. Das breite Konzertpublikum (sozusagen der
musikalische Laie) schätzt gerade diese aus ethnologischen Quellen gespeiste Musik. Dasselbe Charakteristikum zeigt die neueste Rezeption der letz-
ten Jahrzehnte: Ins Repertoire gekommen sind
Komponisten aus Polen (Penderecki, Lutoslawski,
Gorecki), aus dem Baltikum (Arvo Pärt), aus Ungarn (Ligeti, Kurtág), aus Griechenland (Xenakis)
und die in außereuropäischer Folklore wurzelnden
Minimalisten. Man vergleiche die afrikanischen
Einflüsse bei Steve Reich, die indischen bei Terry
Riley, die tibetanischen
bei Phil Glass. Nahe„In der Abkehr
zu ein Sonderfall stellt
von einem euro7
Carl Orff dar , der jezentristischen
nes „back to the roots“
Musikverständnis
kategorisch vollzogen
zeigen sich
hat. Dass seine „Carmidie v i e l l e i c h t
na Burana“ das weltz u k u n f t s t r ä c hweit am häufigsten auftigsten Pergeführte Musikwerk ist
spektiven einer
(vor Beethovens IX.
,Neuen Musik‘.“
Symphonie), darf deshalb nicht verwundern.
Die Musik der ethnologischen Traditionen ist die
Musik, die dem „E“ der Kunstmusik am deutlichsten opponiert – und ist gerade deshalb so bedeutsam.
Der Trend zur Archaisierung von Musik (weg
vom formalen Konstruktivismus hin zu einer genuinen Lautlichkeit) durch Integration der ethnologischen Stilmittel ist bis heute ungebrochen (Stichworte: Weltmusik, crossover). In der Abkehr von
einem eurozentristischen Musikverständnis zeigen
sich die vielleicht zukunftsträchtigsten Perspektiven
einer „Neuen Musik“. Machen wir ein Gedankenexperiment und stellen uns ein Musikgeschichtsbuch aus dem Jahre 2400 vor, in dem wir uns über
die musikgeschichtliche Leistung des 20. Jahrhunderts informieren wollen. Wir dürften darin die
Überschrift „Archaisierung“ und Sätze finden wie:
„Die geschichtsträchtigste Leistung des 20. Jahrhunderts war die Rückkehr zu den ethnologischen
Wurzeln, wobei vor allem die Rückbesinnung auf
die afrikanischen Ursprünge in Blues, Rock’n’Roll,
Jazz (die afroamerikanische Musik) zu einem globalen Musikidiom führte, das in allen Erdteilen
verständlich war.“ 8
7 Vgl. dazu von N. J. Schneider, Carl Orff und die repetitive Musik nach 1960, in: Jahrbuch II der bayerischen Akademie der Schönen
Künste, München 1988, S. 354 –374
8 Nicht nur bei Komponisten, sondern auch bei ausübenden Musikern führt die Integration von Kunstmusik und Folklore zu profilier-
terem Stellenwert im Musikleben: Beispielsweise sind amerikanische Sänger/innen, die neben der klassischen Gesangsausbildung
auch in der Jazz-, Blues- und Gospeltradition wurzeln, beliebt und von einer konkurrenzlosen „Robustheit“ an deutschen Opernhäusern; gleiches gilt für die amerikanischen Blechbläser/innen, die unbekümmert zwischen Konzertsaal und Jazzband beheimatet sind
und in ihrer stilistischen Vielfalt eine ähnlich gelagerte „Robustheit“ aufweisen.
49
Beiträge
Enjott Schneider
Konzert der portugiesischen Gruppe Madredeus mit der Sängerin Teresa Sagueiro in der Centralstation, Darmstadt
„So zusammengehörend wie Licht
und Schatten,
Yin und Yang, so
dringlich müssen
in einer Musik der
Zukunft das Ernste
des „E“ und das
Unterhaltsame des
„U“ zusammengeführt werden.
5. Einfachheit
Kunstvolle, komplexe und künstliche Werke zu
schaffen gelingt leicht. Weitaus schwieriger ist es,
eine durch die Unmittelbarkeit des Einfachen beeindruckende Aussage künstlerisch zu formulieren. Dass die Werke Neuer Musik sich durch Hyperkomplexität auszeichnen und von höchstem
Schwierigkeitsgrad für Interpreten sind (das Rundfunkorchester wird’s schon spielen können!) ist
symptomatisch. Auch hier fasziniert der Blick auf
die Altvorderen, die immer wieder auch kleine
und einfach spielbare Werke schrieben – etwa
Bachs „Inventionen“, Mozarts „Sonata facile“, Beethovens „Sonatinen“, Schuberts „Tänze“. Dass moderne Komponisten, die „einfach“ schreiben (etwa
Erik Satie, Morton Feldman oder Arvo Pärt), sich
großer Hörerakzeptanz erfreuen, sollte programmatisch verstanden werden: Das Suchen von Einfachheit zeigt eine bedeutsame Perspektive einer
Musik des 21. Jahrhunderts.
In Rainer Maria Rilkes Wort von „Kunst ist Kindheit nämlich“ 9 liegt der Schlüssel für die Relevanz
von „Einfachheit“ im ästhetischen Prozess. Der
Kinderarchetyp (wie C. G. Jung 1941 darlegte)
stellt für den Menschen die Brücke zur KollektivSeele und zu den intuitiven, gleichsam prähistorischen Wahrheiten dar. Nie waren die Sinne des
Menschen so wach wie in seiner Kindheit. Dort
9 Vgl. dazu das gleichnamige Kapitel in N. J. Schneider, Komponieren für Film und Fernsehen. Ein Handbuch, Mainz (Schott Verlag)
1997, Seite 91ff.
50
Enjott Schneider
war unsere Phantasie am größten, die Kombinationsgabe am schnellsten, die Emotionen (Angst,
Lachen, Weinen, Freude) am unmittelbarsten. Vor
allem in der Bildenden Kunst ist deutlich geworden, welche Kraft (verbunden mit einer generellen
Akzeptanz der Kunstwerke) von der Orientierung
am Einfach-Kindlichen und Primitiven ausgeht:
Paul Klee, Pablo Picasso, Joan Miró haben davon
deutlichst Zeugnis abgelegt.
Für die Musik gibt es Bedenkenswertes: „Große“
Komponisten konnten immer dann mit erstaunlicher Popularität rechnen, wenn sie „für Kinder“
komponierten. „Genialität“ hatte man schon in der
Romantik als „wiedergefundene Kindheit“ begriffen. Fragen wir – sozusagen auf der Straße – den
Durchschnittshörer nach den Evergreens: „Was
kennst Du von Prokofieff?“ – „Peter und der Wolf “.
„Was kennst Du von Camille Saint-Saëns?“ – „Karneval der Tiere“. „Was kennst Du von Engelbert
Humperdinck?“ – „Hänsel und Gretel“. „Was kennst
Du von Robert Schumann, was von Brahms, von
Beethoven…?“ – „Die Träumerei aus den Kinderszenen, Guten Abend, Gute Nacht und Albumblatt
für Elise“… Es scheint, als würden die Komponisten in dem Moment, in dem sie sich auf das Thema
„Kind“ einlassen, ihr Faible für Kunstfertigkeit und
Künsteleien vergessen und sich einfacher Grundstrukturen bedienen – und erreichen eine unerhört
breite Zuhörerschaft.
6. Sanglichkeit und Singbarkeit
Wer vermag heute eine Melodie von Stockhausen, Rihm, Nono oder Boulez vorzusingen, zu
pfeifen oder gar absichtslos zu trällern? Weitaus
mehr gelingt dies im Bereich der „E“-Musik mit
Melodien jener Komponisten, die in ethnologischer Musik wurzeln – wie bei den schon erwähnten Namen Strawinsky, Bartók, Orff und anderen.
Den gesunden Menschenverstand müsste es eigentlich irritieren, dass „Ohrwürmer“ (als Inbegriff
der nachsingbaren Melodie) schon seit Jahrzehnten fast nur noch im Bereich der „U“-Musik komponiert werden. Das an dieser Stelle von „E“-Komponisten eingebrachte Argument, dass heute nicht
mehr gesungen, sondern nur noch Musik aus Konserven konsumiert werde (also keine neukomponierten Melodien mehr benötigt werden), ist durch
gröbste Inaugenscheinnahme widerlegt: Das internationale Repertoire von Songs, Balladen, und
Liedern (vom „Yesterday“ der Beatles bis zu Bob
Dylans „Blowin’ in the wind“) ist von einer verblüffenden Kohärenz. Wenn sich Jugendliche aller
Erdteile in Zeltlagern, Interrail-Bahnhöfen und
Youth Hostels treffen, dann wird gesummt und gesungen wie nie zuvor – nur eben aus dem Repertoire der (unzutreffend so benannten) „U“-Musik.
Zur Perspektive einer „Neuen Musik“ im beginnenden Jahrhundert sollte der Ehrgeiz zu gelegentlicher Melodiosität von Kompositionen unbedingt
gehören.
7. Lösung des Werkbegriffs von der Schriftform
Viele Komponisten der „E“-Musik sind „Schreibtisch-Täter“ – und als solche oft vom realen Leben
der Töne und Klänge abgeschnitten. Das Notieren,
Ordnen und Rationalisieren bedingt meist eine Reduktion des musikalischen Materials und eine Beschneidung des faszinierenden Wildwuchses und
Eigenlebens von „Klang“. In vielen Formen der
„U“-Musik hingegen wird auf Notation weitgehend
verzichtet oder zumindest die Schriftform nur als
Zwischenstadium (als
Hilfsskizze der musika„Archaischem
lischen Verständigung),
und allseits-benicht aber als Endform
kanntem Material
einer Komposition anden Stempel der
gesehen: Im Jazz beiIndividualität
spielsweise mag ein
aufzudrücken,
Hauptthema bisweilen
ist mühevoll und
in Schriftform existiebenötigt eine
ren, die zigtausenden
intensive Subjekvon LPs und CDs aber
t i v i t ä t d e s A u t o r s .“
sind ohne Notentext
auf Basis der Improvisation eingespielt worden. Chartsongs und Dance
Music werden in den Musikstudios seit vielen Jahren ohne den Umweg einer Verschriftlichung Spur
für Spur (der al fresco-Technik der Malerei vergleichbar) auf die Mehrspur-Bandmaschine gespielt
und gesungen. Gleiches gilt für viele Filmscores
(mit Ausnahme der immer seltener werdenden orchestralen Filmmusiken), wobei die hier vorzugsweise eingesetzten gesampelten Klänge und Geräusche sich ohnehin jeder Notation widersetzen.
Im Zeitalter der digitalen Speicherung und Programmierung von Audiosignalen jeder Art (ob Ton
oder Geräusch) hat Komponieren als ein Zusammenfügen (componere) solchen Klangmaterials
eine vormals unbekannte Direktheit erreicht: Alles
Auditive (ob Klavierklang, Windpfeifen, Eskimo-
51
Beiträge
Enjott Schneider
flöte oder Klappern einer Kokosnuss) ist inzwischen digital abrufbar, in jedem Parameter veränderbar und kann in beliebigen Relationen zu
Neuem zusammengefügt werden. In der musique
concrète der fünfziger Jahre geschah dieses Zusammenfügen oft in strukturell-konstruktivistischem
Kontext (sozusagen nach einem abstrakt entwickelten „Plan“), in den Filmscores, Songs, HiphopTracks und Remixes geschieht dies heute spontan,
intuitiv als Improvisation.
Für Komponisten der „E“-Musik wäre es perspektivenreich, ihre Notenpartitur in herkömmlicher Notenschrift (wobei ein Notensymbol bekanntlich ja nur den einen Parameter des Grundtons
bezeichnet und nichts über die wirkliche Klangstruktur aussagt) um die „digitale Partitur“ der „U“Musik zu erweitern.
Conclusio: Es wäre zu einfach, wenn eine ins
21. Jahrhundert perspektivierte Musik nun ausschließlich diesen sieben gezeigten Akzentuierungen genügen sollte: Tänzerisch, vital/optimistisch,
funktional, folkloristisch, einfach, sanglich und improvisativ zu sein garantiert einem Musikstück
noch keineswegs den
Weg ins Repertoire. Im
„Kunst, die
Gegenteil – ein AbgleiKlischees
ten in Trivialität und
verwendet,
Kitsch ist gefährlich naist affirmativ.
he. Der Grund: ArchaiSie bestätigt
schem und allseits-benur, was schon
kanntem Material den
alle wissen.
Stempel der IndividuWirkliche
alität und Einmaligkeit
Kunst ist aber
aufzudrücken, ist müheunberechenbar.“
voll und benötigt eine
intensive Subjektivität
des Autors. In seinem „Kunst ist schön, aber
macht Arbeit! “ brachte Karl Valentin diesen unabdingbaren Prozess auf eine knappe Formel. Wenn
musikalische Charakteristika in der Praxis von „E“und „U“- Musik sich bisweilen polar entgegenstehen, so darf davon ausgegangen werden, dass die
Wahrheit am ehesten in der Mitte liegt.10 Gerade
deshalb müssen die Qualitätsbefunde von „U“ und
„E“ integriert und zu einer zeitgemäßen „Neuen
Musik“ zusammengeführt werden.
Das Komponieren einer „Neuen Musik“ zwischen „U“ und „E“ benötigt eminentes Fingerspitzengefühl und bleibt eine Gratwanderung. Mit zuviel „U“ droht das Abgleiten in Massen-Ästhetik,
Klischee und Kitsch. Mit zuviel „E“ drohen Hyperindividualismus und Vereinzelung. „Kunst“ – damit
sie als Sprache fungieren kann und ihre Adressaten erreicht – braucht immer ein Zeichenrepertoire, das ästhetisch verabredet und bekannt ist.
Diese Stereotypen sind jedoch lebendig und bleiben einem ständigen Prozess der Neudefinition
unterworfen. Wird ein ästhetisches Zeichen jedoch
auf eine formelhafte Bedeutung verengt, so entstehen Klischees, „tote Zeichen“. Diese Klischees
bilden ein der lebendigen Kommunikation vorgeschaltetes Begriffssystem, das man sprachtheoretisch als „Zwischencode“ oder (umgangssprachlicher) als „Ideologie“ bezeichnet. Kunst, die Klischees
verwendet, ist affirmativ. Sie bestätigt nur, was
schon alle wissen. Wirkliche Kunst ist aber unberechenbar. Dabei hat der Künstler einen schmerzhaften Spagat zu machen: Um verständlich zu sein,
benutzt er vorhandene Ordnungen. Um seine eigene Wahrheit auszudrücken, muss er diese Ordnungen jedoch in Frage stellen.
II. Das Konzept „Musik visuell“ als
Re-Konkretisierung der Musik
Seit ihren Ursprüngen ereignete sich Musik immer in situativem und damit visuellem Kontext.
Mit der „L’art-pour-l’art“-Ästhetik seit etwa 1900
und durch die Technologien der Schallaufzeichnung (Rundfunksendung, LP, CD usw.) hat sich
jedoch eine Form der „reinen Musik“ herausgebildet, deren Rezeption besonders dem musikalischen Laien zunehmend schwer fällt. Vor allem
die instrumentale Musik hat in den letzten Jahren
an Bedeutung verloren. Das Interesse an Kammermusik ist drastisch gesunken. Der ungebrochene
Boom des Musikkonsums (noch nie in der Ge-
10 So soll nicht jede Musik „Tanzmusik“ sein, aber der „Tanz“ sollte wieder als potenzielles Medium der Erdung von komplex-rhyth-
mischer Musik zugelassen sein. Ebenso soll nicht jede künftige Musik vital, optimistisch und harmonisch sein (das käme einer diktatorischen Kulturreglementierung gleich), vielmehr sollten diese Qualitäten die eine Seite eines Spannungsfeldes darstellen, in
dem sich Neues Komponieren ereignet. Auch geht es nicht darum, nur noch funktionale und gesellschaftlich determinierte Musik
zu schreiben, sondern die Ausschließlichkeit einer hermetischen Ästhetik (und damit die vorurteilshafte Minderbewertung funktionaler Musik) zu reduzieren.
52
Enjott Schneider
schichte der Menschheit wurde so viel Musik gehört) täuscht über das Faktum hinweg, dass weltweit zu etwa 96 Prozent Vokalmusik gehört (und
als Tonträger gekauft) wird – egal ob Hitsong,
Blues, Volkslied oder Opernarie. Das stimmliche
Element der Vokalmusik hat jedoch etwas Personifizierbares, etwas Materielles und Psychisch-Konkretes, das die Rezeption erleichtert. Viele „Musikliebhaber“ – sei es im Bereich des Schlagers oder
der Oper – reduzieren ihr Interesse auf den psycho-physischen Gehalt des Stimmlichen („Wie ist
das Timbre?“, „Wie laut, wie hoch, wie tief?“, „Hat
die Stimme Kraft, Magie, Sex?“11) und haben keinerlei Ahnung von musikalischer Form, von Musikinstrumenten, von harmonischen, rhythmischen
oder motivischen Vorgängen. Diese „Musikliebhaber“ stehen der abstrakteren Instrumentalmusik oft
hilflos gegenüber.
Erklingt Instrumentalmusik jedoch im visuellen
Kontext, dann zeigen Hörer mehr Toleranz und
Interesse. Schüler, die beispielsweise in der Oper
eine inszenierte Ouvertüre erlebt haben, akzeptieren plötzlich diese vormals „trockene“ Musik als
Unterrichtsgegenstand. Besucher eines Stanley Kubrick-Films kaufen sich plötzlich die CD zu „Also
sprach Zarathustra“ von Richard Strauss, Ligetis
„Requiem“, Bartóks „Musik für Saiteninstrumente“
oder Pendereckis „Jakobs Erwachen“, weil sie diese Musik im Kontext von „Shining“ oder „Odyssee
2001“ so aufregend empfanden. Musikpädagogische Untersuchungen weisen nach, dass in unserem Videozeitalter „Musik“ nicht mehr pur, sondern zu fast 90 Prozent im Kontext von Bildern
rezipiert wird: als TV-Aufzeichnung, im Spielfilm,
in der Werbung, im Videoclip, am Computermonitor. „Multimedia“ ist das Schlüsselwort für die
Zukunft geworden und setzt den mit Richard Wagner oder Alexander Scrjabin initiierten Trend zum
„Gesamtkunstwerk“ folgerichtig fort. Grundlage
sind die neuesten technologischen Entwicklungen.
War bislang im privaten Consumer-Bereich nur die
Musik in HiFi-Qualität genießbar und dem Bild
vorgeordnet, so hat inzwischen mit der DVD-Technologie und dem digitalen Fernsehen auch die
Bildebene letztmögliche Qualität erreicht. Durch
den technologisch hohen Standard audiovisueller
Reproduktionstechniken ist auch die vormals ent-
scheidende Frage „Live-Erlebnis“ oder „Konserve“
hinfällig geworden: Das Erleben einer konservierten Musikaufzeichnung mit großem Bild und großem Ton kann einen schlechten Sitzplatz in der
Philharmonie oder in der Pop-Arena durchaus
wettmachen. Hinzu kommt, dass gerade bei großen Musikevents (vom Open-Air-Festival bis zur
Luxusinszenierung einer Oper oder eines
„Schüler, die
Musicals) ohnehin mit
beispielsweise
tontechnischer Übertrain der Oper
gung (Mikrophonvereine inszenierte
stärkung und Livemix)
Ouvertüre erlebt
und Monitorleinwand
haben, akzepgearbeitet wird.
tieren plötzlich
In der Videoclip-Kuldiese vormals
tur der Popszene ist die
,trockene‘ Musik
multimediale Entität bea l s U n t e r r i c h t sreits vorgelebt: Entscheigegenstand.“
dend für die Verbreitung eines Poptitels ist
die Durchschlagskraft, die vom (dem Tonträger
vorgeschalteten) Videoclip ausgeht. Für den rotstiftgewohnten und subventionsbedürftigen Musiker sind die Produktionskosten solcher Videos unvorstellbar. David Dorell (Bandmanager von Bush)
bezifferte die Kosten für eine Minute Videoclip im
Popbusiness 2000 auf etwa eine Million Dollar –
und schätzte beispielsweise die Herstellungskosten eines Clips wie „Scream“ (1995) von Michael
und Janet Jackson (Regie: Mark Romanek) mit einem Minutenwert von zwei Millionen Dollar ein.
Hat ein Popsong durch die Videoclipproduktion
eine visuelle Semantik erhalten, so wird bei LiveAuftritten mittels Bühnenshow und Multimediaprojektion diese Visualität in die Konzertsäle übernommen.
Übernimmt man mit einem vorurteilslosen Blick
diese Entwicklungen der populären Musik für den
Bereich der Klassik, so zeigen sich hier in der neuen Konjunktion von Bild und Ton neue Märkte,
neue Inhalte, neue Leitbilder, neue Lust am Singen
und Musizieren. Salopp verkürzt: Das Classic-Video muss her! – Dass sich Musik in einem visuellen Kontext ereignet, ist nicht neu und hat lange
Tradition. Es ist umgekehrt so, dass der Gedanke
der puren Musik – „L’art pour l’art“ – einen Sonder-
11 Die bei vielen Liebhabern „schöner Stimmen“ zu beobachtende Reduktion der musikalischen Wahrnehmung auf die dem Stimm-
klang innewohnende „nackte Psyche“ (die stimmlichen Regungen sind bekanntlich das Privateste, was eine Person nach außen
kehren kann) darf nahezu als „musikalische Pornographie“ bezeichnet werden.
53
Beiträge
Enjott Schneider
fall der mitteleuropäischen Ästhetik des 19. Jahrhunderts darstellt. Musik war zuvor immer optisch
situiert: in den feudalen oder klerikalen Prunkzügen, beim Musizieren in opulent ausstaffierten
Kirchen, vor wertvollen Gemälden, in aufwändig
ausgestatteten Bühnen eines über 700 Jahren alten
Musiktheaters. Bei den Plakaten zu Wolfgang Amadeus Mozarts Opern war beispielsweise der „Maschinist“ (der für visuelle Effekte Zuständige) namentlich in großen Buchstaben genannt, während
nur eine kleine Notiz „die Musik ist von Herrn Mozart“ erwähnte. Denken wir an das optische Ambiente von Händels „Feuerwerkmusik“ und „Wassermusik“, an die Gattungen der Ballettmusik, der
Melodramen, der Filmmusik (ob live zur Leinwand
oder mechanisch verkoppelt auf der Tonspur).
In fünf „Visionen“ – als greifbar gewordenen
Wunschbildern – will ich nachfolgend einige
Perspektiven des Konzeptes „Musik visuell“ aufzeigen.12
Vision I: Wo vormals in der Wohnung TV, Radio, MC- und CD-Player und Computer getrennt
standen, steht jetzt eine „Multimedia“-Station (mit
bestem Surroundton), die Musik und Bilder aus
Kabelfernsehen, Kabelradio, Internet, Telefon oder
von der DVD wiedergibt. Das Speichermedium
DVD (inzwischen bespielbar) hat CD, MC,
„Vorrangig
VHS-Video abgelöst und
gilt es, nach
wird neutral für akustider Methode
sche wie optische Aufdes ,trial and
zeichnung/Wiedergabe
error‘ immer
verwandt. Hören und
n e u e K o n f i g uSehen gehören alternarationen des
tiv zum Angebot: Wer
Visuellen und
eine Brahmssinfonie
Musikalischen
„erleben“ will, hat die
zu finden.“
Möglichkeit nur den
Ton zu hören oder eine
visuelle Version – von der bloß dokumentarischen
Aufzeichnung des ausführenden Orchesters bis
hin zur fantasievollen Bebilderung. Das kann
spannend sein: Das neueste „Klavierstück“ von
Wolfgang Rihm könnte – da beispielsweise von
der Regisseurin Floria Sigismond bebildert, die
schon in Marylin Mansons Videoclips „Beautiful
People“ (1995) und „Tourniquet“ (1996) eine obsessive Bilderwelt gefunden hat – von einer breiten
Hörerschaft erwartet werden. Dieser neuen Hörerschaft kann Rihms Musik kaum „crazy“ oder „abgefahren“ genug sein. – Oder: Das Kronos Quartet
hat das neueste Streichquartett von Aulis Sallinen
eingespielt, wozu ein inspirierter Regisseur narkotisch-schöne Bilder vom Jahreszeitenablauf der unberührten Natur Finnlands gefunden hat – und in
dieser authentischen Koppelung von Streicherklang und Seelenlandschaft das neue Publikum in
ungeahnte Welten entführt. A propos „Publikum“
– sind das jetzt Hörer oder Zuschauer?
Vision II: Der „Classic Clip“ hat auch den Konzertbetrieb verändert. So wie in der Popbranche
die Musiker auf dem Podium die originale Visualität ihres Videoclips in die Bühnenshow übernehmen, so musiziert beispielsweise unser Kronos
Quartet im Konzertsaal der Zukunft (wo vielfältigste Projektionsflächen zum Standard geworden
sind 13 ) sein Sallinen-Quartett vor den Aufnahmen
der finnischen Natur – in bester Bildqualität von
der „originalen“ DVD als „Nurbild“ projiziert. Es
entstehen Konzerterlebnisse mit der Intensität
existenziellster Traumwelten, die noch Tage nachwirken können. Liveaufführungen von Instrumentalmusik haben physisch-konkreten Gehalt bekommen. Musik wird zum Anfassen plastisch und
vermag sich in neuen Hörerkreisen Sympathie zu
erwerben.
Vorrangig gilt es, nach der Methode des „trial
and error“ immer neue Konfigurationen des Visuellen und Musikalischen zu finden. Dabei kann
man sich auch von historischen Vorbildern inspirieren lassen – seien es Pater Athanasius Kircher
(1602–1680) mit seinem okkulten Wissen um geheime audiovisuelle Instrumente, die Farblichtprojektionen von Leonardo da Vinci um 1500, das
„Orchestre Chromophonique“ von Charles BlancGatti (1933/34 in Paris patentiert). Wer aufmerksam für „Musik visuell“ sensibilisiert ist, wird immer wieder Überraschendes entdecken. Da war
beispielsweise 1999 die „Philharmonische Nacht
12 Eine ausführliche Darstellung findet sich bei Enjott Schneider, Die andere Musikförderung: Der Rezeptionsansatz „Musik Visuell“,
in: Musikforum (herausgegeben vom Deutschen Musikrat), 36. Jahrgang, Heft 93, Dezember 2000 (Schott Verlag Mainz), S. 26 –33
13 Viele moderne Veranstaltungsgebäude (z. B. der „BMW-Pavillon“ am Münchner Lenbachplatz) besitzen bereits jetzt aufwändige
integrierte Projektions-, Übertragungs- und Beschallungstechnologie.
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Enjott Schneider
Ticketverkauf im Londoner West End
„In unserer
Zeit, in der Medienkonzerne,
Musical-Produktionen und
Konzertmanagements an die
Börse gehen, sind
,echte Kunst‘ und
Kommerz keine
Gegenpole mehr.“
Erfurt“, in der GMD Wolfgang Rögner Dvoráks
ˇ
Symphonie e-moll „Aus der Neuen Welt“ vor einer
überdimensionalen Leinwand dirigierte, auf der
ein eigens dazu von dem Amerikaner Titus Leber
(aus unveröffentlichtem NASA-Material) kompilierter Film mit Aufnahmen aus dem Weltall gezeigt
wurde: Mich hat das Englischhorn-Solo des II. Sat-
zes noch nie so erschüttert wie hier vor dem Hintergrund der in der Schwärze des Alls schwebenden Erdkugel – als hätte Dvoráks
Musik nur auf
ˇ
diesen Moment der Visualisierung gewartet.
Vision III : Vom kürzeren „Classic Videoclip“
(3 –15 Minuten) führt der Weg zur großen abendfüllenden Musikvisualisierung – etwa in Anlehnung an Walt Disneys legendären Film „Fantasia“
(1939/1940) und den Nachfolger „Fantasia II“
(2000), an Godfrey Reggios Film „Koyaansiqatsi“
(1983) mit Musik von Phil Glass. Solche überdimensionierten „Classic Clips“ könnten gewaltige
neue Kunstwerke darstellen. Ich stelle mir jetzt all
die großen Sinfonien und sinfonischen Dichtunˇ
gen von Liszt, Rachmaninoff, Dvorák,
Smetana
oder Strauss in suggestiven Bilderkaskaden vor –
sei es abstrakt oder mit narrativer Rahmenhandlung. Hier könnten existenzielle Aussagen formuliert werden und seelische Tiefen erreicht werden,
wie man es vom derzeitigen Kino- oder TV-Pro-
55
Beiträge
Enjott Schneider
gramm (mit ihrer Quoten- und Popcorn-Kultur)
nicht mehr erwarten kann.
Das Fernsehen, dessen Programme mit den
„Big Brother“-Konzepten, Talkshows, InflationärKrimis und seichten Melodramen zunehmend verflachen, würde solche Sendeangebote, die visuelle
Innovation mit existenzieller Emotionalität verbinden, mit Handkuss und Dank für diese Qualitätszufuhr sicher aufnehmen. Finanzielle Risiken würden
Sender mit solchen Produktionen kaum eingehen,
denn die ein bis zwei Millionen Euro, welche die
Produktion eines durchschnittlichen GroschenMelodrams von 90 Minuten verschlingt, stellen für
die low-budget-gewohnte Klassikindustrie bereits
eine unerhörte Summe dar, die ein freies und phantasievolles Produzieren erlauben würde.
Vision IV: Der Stein ist ins Rollen gekommen –
der „Classic Clip“ und die audiovisuelle Live-Performance (der Konzertsaal mit Leinwand – die inszenierte Musik) sind erfolgreich eingeführt. Die
Kombinationen von Musik und Bild werden gewagter und experimenteller – und alle sind glücklich: Die Labels, die noch vor kurzem ihre Klassikabteilungen schließen mussten, können wieder
produzieren und verkaufen, Interpreten werden
wieder benötigt. Neue multimediale Berufsbilder
entstehen. Neue – vor allem jüngere – Publikumsschichten werden gewonnen, denen vormals klassische Musik unzugänglich war. Durch die Bilderwelt kommt neben der Konkretisierung auch eine
erfrischende Aktualität der Produktion ins Spiel.14
Dass die Visualisierung von klassischer Musik (in
Analogie zum Videoclip der Popmusik) primär ein
kommerzielles Produkt ist, kann kein Stigma mehr
sein. In unserer Zeit, in der Medienkonzerne, Musical-Produktionen und Konzertmanagements an
die Börse gehen, sind „echte Kunst“ und Kommerz
keine Gegenpole mehr.
Vision V : Für das dramaturgische und rezeptionspsychologische Ineinanderspiel von Musik
und Bild gibt es noch wenig wissenschaftliche Reflexion und Theorie. Für die sich in philologischer
Detailarbeit verzettelnde und immer mehr die gesellschaftliche Anbindung verlierende Musikwissenschaft könnte „Musik visuell“ eine große Herausforderung sein. Schon im 19. Jahrhundert fragte sich
der Dichter Adalbert Stifter: „Könnte man nicht
auch durch Gleichzeitigkeit und Aufeinanderfolge
von Lichtern und Farben ebenso gut eine Musik
für das Auge wie durch die Töne für das Ohr ersinnen?“ In Symposien und Seminaren wäre eine Bestandsaufnahme vieler solcher Dokumente wie eine
Theoriebildung notwendig. Beispielsweise steht
die Analyse von fast 150 Jahren dokumentierter
Bild-Musik-Geschichte an.15 Die Zusammenarbeit
von Musikwissenschaft und Filmwissenschaft und
ein immenses Stoffgebiet stehen an. Um nur (fast
zufällig) einige Namen zu nennen: Die Höhepunkte des abstrakten Kinos der zwanziger Jahre mit
Walther Ruttmann und Viking Eggeling, dann die
Meisterschaft von Oskar Fischinger, der von 1921
bis 1953 dreißig visuelle Musikfilme drehte und
von Walt Disney folgerichtig für sein „Fantasia“Projekt ausgebeutet wurde. Das Schaffen von audiovisuellen Künstlern wie (alphabetisch genannt)
Bruce Conner, Maya Deren, Charles Dockum,
Mary Hallock Greenewalt, Curtis Harrington, Harry
Smith, Thomas Wilfried. J
14 Die Pop-, TV-, Film- und Videoclipbranchen zeichnen sich durch eine Aktualität aus (oft liegen hier nur drei bis vier Wochen zwi-
schen Konzeption und Auslieferung eines Medienprodukts), die der „E“-Musik fremd ist: Bei den Hörfunkanstalten liegen Musikbänder oft drei bis vier Jahre, bis sie geschnitten werden, dann vergehen bisweilen ein bis zwei Jahre, bis die CD produziert und gepresst ist… verbunden mit der permanenten Verwunderung, dass die Klassikbranche dem Zeitgeist nicht so recht zu folgen vermag.
15 Eine sehr gute Übersicht findet sich in: Clip, Klapp, Bum. Von der visuellen Musik zum Musikvideo, hg. v. Veruschka Bódy und
Peter Weibel, Köln (DuMont-Verlag) 1987
56
Beiträge
Patrick Guinand
Jenseits
der Eventkultur
Neue Perspektiven
für die darstellenden
Künste im beginnenden
Jahrhundert
Wie wird es sein, das Theater für morgen? Tollkühn, wer hierauf eine Antwort wagte. Wie man
diesbezüglich weiß – und Thomas Bernhard in seiner unendlichen Rede wurde nicht müde, es uns
immer aufs Neue zu sagen –, ist das Geschlecht
der Propheten erloschen. Hier will ich Bernhard
nicht widersprechen. Nur gibt es einige offene Fragen, die uns künftige Verschiebungen auf dem
Regler der Theatergeschichte erwarten lassen, zwischen Bilderstrudel hier und Sinnsuche dort.
Das Politische erfassen
Die Grenzziehung ist bekannt: Was kann Theater heute, in einer Zeit der (moralischen, symbolischen, demokratischen) Dürftigkeit?
Wolfgang Gasser, der erste Professor Schuster
in dem berühmten letzten Stück Thomas Bernhards (immer noch er!) – einem skandalträchtigen
und ahnungsvollen Stück –, hat in einem Gespräch
im Jahr 2000 mit einer großen österreichischen
Zeitschrift mit dem gebotenen, ganz Bernhardschen Pessimismus daran erinnert, dass 120 praktisch ausverkaufte Vorführungen von „Heldenplatz“
am Wiener Burgtheater seit 1988 den Machtantritt
der ÖVP-FPÖ-Koalition nicht verhindert haben,
die dann den Zorn Europas erregte. Und erst recht
nicht verhindern konnten, dass sie überhaupt
denkbar war und angezettelt wurde. Ein Beispiel
von vielen, dessen wir uns im Hinblick auf die Politik der Bescheidenheit zu befleißigen haben.
Was kann also das Theater heute – jenseits des
Spektakulären, in einer Welt der Konflikte, der
ethnischen und religiösen Fundamentalismen, der
zunehmenden Fremdenfeindlichkeit, des Rückzugs auf Identität, in der die Negation des Anderen
gewaltsam wiederkehrt –, was kann es anderes, als
gegen das Vergessen zu kämpfen und die alten
Mythen zu wiederholen? Das ist schon einmal etwas, nämlich heilsam, gewissermaßen kathartisch.
Dank seines reichen Erbes und seiner heilenden
Kraft wird das Theater immer etwas haben, um
den Köpfen und den Herzen Nahrung zu geben.
Und wenn das Theater darüber hinaus, trotz
des Rückzugs auf Identität, trotz der (realen und
symbolischen) Grenzschließungen, bekräftigt, nicht
die Politik des Sichzurückziehens, sondern die Politik des Sicheinmischens betreiben zu wollen
(wenn nötig so lange, bis es davongejagt wird),
und unerschütterlich, sagen wir auf eine Kantische
Weise, auf den Imperativ der Internationalität zu
pochen – dann wird es einen Teil seiner Rolle gespielt haben.
Trotzdem fehlt heute etwas: ein starker Gedanke, eine Handschrift, eine Sprache für unsere Zeit,
eine Ästhetik des Theaters im Gemeinwesen in einem Augenblick, da dieses Gemeinwesen auch
ein globales Dorf geworden ist. Denn wir spüren
undeutlich, dass die Werkzeuge des 20. Jahrhunderts, Wörter und Formen, Bilder und Theorien
der Bühne, die das Politische zu erfassen erlaubten, heute Mühe haben, es nur zu streifen, es darzustellen. Ich meine das tägliche Grauen der Welt,
das Chaos vor unseren Augen, eine Lesbarkeit, die
sich uns entzieht und die auszusprechen die Bühne
sich doch verpflichten müsste.
Werden wir also die Rückkehr zum politischen
Theater erleben, womöglich in (alter oder neu erfundener) militanter Form? Oder einfach die Perpetuierung der zwei Tendenzen, die sich seit einigen Jahren um das Etikett „modern“ streiten: des
Trash-Theaters und des multimedialen Theaters?
Das Theater der letzten Jahrhundertwende (nennen wir es das postmoderne) ist nämlich entweder
technologisiert, dank seiner vielfältigen Unterstützung durch Bilder, oder es ist dekomponiert: ein
Theater der so genannten „Dekonstruktion“, worin
Sinn aufscheint, indem er zu Stücken zerspringt,
57
Beiträge
Patrick Guinand
Wien im Februar 2000: Kundgebung am Heldenplatz gegen Jörg Haider
„Wolfgang Gasser
hat daran erinnert, dass 120
p r a k t i s c h a u s v e rk a u f t e V o r f ü h r u ngen von ,Heldenplatz‘ am Wiener
Burgtheater den
Machtantritt der
Ö V P - F P Ö - K o a l it i o n n i c h t v e rhindert haben.“
worin der Text explodiert, sich mischt und mengt,
quer liegt und das Bild, Träger ironischen Sinnes,
zumeist den Willen zu Schmutz und Müll bekundet. Trash, nun ja. Vemeintliches Unterpfand der
Moderne. Aber wie lange noch?
Bleibt der Mangel einer neuen Sprache. Heute
dringen die Schreie ans Ohr, die das Theater hier
oder da ausstößt, der existenzielle Schrei der Sarah
Kane, der Biljana-Srbljanovic-Schrei nach Identität in Zeiten des Krieges, der stumme Schrei à la
58
Munch des Norwegers Jon Fosse, um nur einige
zeichenhafte Vorläufer zu nennen, die in den letzten Jahren aufgetaucht sind und sofort von allen
europäischen Bühnen übernommen wurden. Aber
eine Strömung, eine Theorie gibt es nicht. Fern der
gestern verkündeten Gewissheiten besteht der
Fortschritt des Theaters in der Atomisierung, im
punktuellen Auftreten von Befindlichkeiten und
Persönlichkeiten, die plötzlich exemplarischen
Wert bekommen, ohne doch Vorbild zu sein oder
Schule zu machen.
Mehr denn je zuvor drängt sich die Frage Hölderlins auf: „Wozu Dichter in dürftiger Zeit?“ Diese
„Dürftigkeit“ ist von ungebrochener Aktualität.
Was kann das Theater sagen in Zeiten der Dürftigkeit, der Enttäuschung, der Unvollkommenheit der
Gegenwart, des Scheiterns der Vernunft? Ja: wozu
Dichter, wozu Theater?
Ganz einfach: zur Rückeroberung der Sprache.
Die Wiederkehr des Wortes
Manche glauben nämlich, dass das im letzten
Vierteljahrhundert auf den Bühnen der Welt herr-
Patrick Guinand
schende Theater der (zusammenhängenden oder
zerrissenen) Bilder, die wie eine Weltanschauung
die Welt bedeuten oder uns traumartig hypnotisieren, heute vor seinem Ende steht. Dass es gewissermaßen seine Köder verbraucht hat. Und
dass das nackte Wort, des Bildes entkleidet, aufs
Neue verdient, sich durchzusetzen. Wie wenn die
Produktion von Bildern nur mehr Bedeutungsverschmutzung, Autorenverachtung, Machtmissbrauch sein könne. Es ist das berühmte Verdikt
über das, was man auf Deutsch „Regietheater“
nennt.
So erinnere ich mich einer in vieler Hinsicht
symptomatischen Erklärung bei der im schwedischen Norrköping stattfindenden letzten Session
des Nordic Theatre Meeting, das (vermittelt durch
den literarischen Berater des Royal Court in London) die skandinavische Theaterwelt vereinigt.
Darin hieß es, dass dieses Theater – bekanntlich
zur Avantgarde des Wort- und Autorentheaters
gehörend – sich entschlossen habe, eine „Werktreue“-Klausel in seine Inszenierungsverträge aufzunehmen. Überflüssig zu erwähnen, dass die
anschließende Debatte den Vergleich mit dem theologischen Gezänk zwischen Ikonophilen und
Ikonoklasten beim Zweiten Konzil von Nicäa anno
787 nicht zu scheuen brauchte …
Trotzdem ist diese Polemik bekannt und kehrt
in der Geschichte des Theaters mit schöner Regelmäßigkeit wieder. Und das Thema der Werktreue,
und damit der Monosemie oder der Polysemie, ist
unerschöpflich. Schon Kierkegaard weigert sich in
„Entweder – Oder“ einer Aufführung des (wie man
damals sagte) “Don Juan” beizuwohnen, und erklärt, sich lieber in die Korridore des Opernhauses
zurückzuziehen, um die gleichzeitig nahe und ferne Musik desto besser genießen zu können und
nicht den aufsaugenden Bildern ausgesetzt zu
sein, dem optischen Köder der Aufführung zu verfallen: „Sobald das Auge abgelenkt ist, trübt sich
der Eindruck“, schreibt er.
In der Tat hat die Produktion eines Bildes
nichts Unschuldiges. Den Vorhang öffnen heißt,
das Unzeigbare zeigen. Hier wäre zurückzukommen auf den Schautrieb, den Wunsch zu sehen,
und dessen Verbot, auf Medusa, Aktäon oder Orpheus und natürlich auf Lacan und seine Theorie
des „gebändigten Blicks“: Vor dem Bild, man
könnte sagen vor der Bühne, schlägt der Sehende
den Blick nieder wie man die Waffen niederlegt.
Und Lacan (der letzte Besitzer von Courbets Gemälde „Der Ursprung der Welt“, das er vor seinen
Gästen hinter einem von Masson gemalten Trugbild verbarg), er wusste davon so allerlei… Doch
würde uns die Vertiefung dieses Themas hier zu
weit führen.
Gewiss, das Bild enthüllt, entblößt, offenbart.
Aber es verschlingt auch. Und es kann den Kopf
entleeren. Wer zu viel sieht, vergisst zu denken.
Und so kehrt das Wort zurück. Das 20. Jahrhundert, das (von Wittgenstein bis Adorno) die Ohnmacht oder die Lüge
des Wortes konstatiert
„Gewiss, das
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ück.“
nähme, das wir Zuschauer nennen, seines
potenziell beunruhigten oder bestohlenen Geistes, und seiner Probleme mit Auge und Blick. Und das sich dabei mit
den Alten bewusst bliebe, dass ein gutes Schweißtuch der Veronika manchmal mehr sagt als ein langer Evangeliendiskurs.
So sieht man überall in Europa Experimente mit
einem Theater ohne Bild oder mit gereinigtem
Bild, in dem der Schauspieler mit dem nackten
Wort, der nackten, köderlosen Bühne allein ist
und versucht, den Sinn zurückzugewinnen.
Übrigens kann die Rückkehr des Wortes zur
Macht nicht an der Elle der Bedeutung analysiert
werden, die es angeblich hervorbringt: Regression
der Theaterkunst? Illusion des Denkens? Oder
neue Unschuld? Es sind gewissermaßen Erstlinge
einer neuen Sprache, die wir billigerweise näher
betrachten müssen.
Denn noch immer ist hier von der Bühne die
Rede. An uns also, den Regisseuren, den Bändigern des Blicks, liegt es, herauszufinden, ob wir
diesem Theater des nackten Worts seine Bilder erfinden können. Natürlich in der heimlichen Hoffnung, Kierkegaard in den Saal zurückzuholen…
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Beiträge
Patrick Guinand
Ort(e)
Trotz aller Kassandren und anderer Sänger einer virtuellen, globalisierten, verkabelten InternetWelt, die regelmäßig seinen Tod verkünden*, hört
das Theater, das sich Zeit nimmt (will sagen: die
Zeit, die ihm zusteht, die Zeit der Bühne und des
Reifens) nicht auf, sich hervorzubringen, jenseits
wirtschaftlicher Zwänge und auch jenseits der Politik, und sich neu zu erfinden. Sich auch den
Raum zu teilen. Und – man muss es zugeben –
den Markt.
Das noch vorherrschende so genannte Bildertheater bleibt unbestreitbar ein Unterpfand der Eroberung des besagten Theater-Weltmarkts (oder
der Anpassung an ihn). Mit seinen unbestreitbaren
Schönheiten, seinen Erfolgen und seinen Ködern.
Freilich auch mit dem Risiko einer Formatierung
der Bühne, einer grenzüberschreitenden Uniformierung, einer Art von höherem Esperanto für die
globale Konsumgesellschaft. Das Worttheater seinerseits, das wieder mit Sprachen und Idiomen arbeitet, ist mehr an den Ort, an das Territorium gebunden. An die Identität. Naturgemäß schafft es
sich selbst seine Grenzen. Auf die Gefahr hin, sich
vom Markt zu isolieren. Trotz der Vermittlungsmechanismen, die man ihm erfinden kann.
Nun habe ich es gerade gesagt: Das Gegengift
gegen den Rückzug auf Identität (ich dachte vor
allem an die Politik der Ausschließung) ist der Imperativ der Internationalität. Das gilt auch für
„Der wahre Ort,
das (womöglich postdas eigentliche
narkotische) WorttheTerritorium ist
ater, das trotz seines
die Erzählung,
scheinbaren sprachlidie man stiftet
chen Autismus zugleich
(oder wieder stifdrinnen wie draußen
tet), die Sprache,
wird sein müssen: eine
d i e m a n s i c h e rSprache der Territorialifindet, die Wörter,
tät wie der Extraterritod i e m a n n e u e rrialität gleichermaßen.
findet, um sich
Denn der wahre Ort,
darzustellen.“
das eigentliche Territorium ist die Erzählung,
die man stiftet (oder wieder stiftet), die Sprache,
die man sich erfindet, die Wörter, die man neu erfindet, um sich darzustellen. Und dieser Ort wird
sich trotz der ungerechten Marktgesetze unvermeidlich den Weg zu seiner Hörbarkeit und Sichtbarkeit erzwingen.
60
Die bereits erwähnte Biljana Srbljanovic begann
ihre Rede anlässlich der Verleihung des ErnstToller-Preises 1999 in Neuburg an der Donau mit
den Worten: „Erlauben Sie mir, mich vorzustellen:
Ich bin ein Mensch, dem seine Identität gestohlen
wurde (…) ein Mensch ohne nationale Zugehörigkeit, Bewohnerin eines Staates, der ethnisch sauber zu werden droht (…) Meine Identität kann ich
nicht ausdrücken, ich kann mich selbst nicht ausdrücken.“
Um die Rekonstruktion dieser Identität, dieser
Sprache wird es im Theater von morgen wahrscheinlich gehen.
* EXKURS
Dies war passenderweise das Thema des im
Juni 2001 in Philadelphia abgehaltenen Bundeskongresses der amerikanischen Theaterzunft unter
der Ägide der „Theater Communication Group“
(TCG), in der 450 „not-for-profit theaters“ der USA
zusammengeschlossen sind. Das Thema lautete:
„The role of live theater in a digital culture.“ Der
Pulitzer-Preisträger Thomas Friedman, ein ehemaliger Berater des Weißen Hauses unter Präsident
Clinton, beschrieb dabei „the future as Cultural
Darwinism on steroids, with massive genocide to
those of us who face it without a strategy“, und
rief zum Widerstand auf. Der Kampf zwischen
dem Lebendigen und dem Virtuellen steckt trotzdem erst in seinen Anfängen – wenn es überhaupt
einen Kampf geben wird. Denn auch dort sind die
umkämpften Territorien nicht zwangsläufig dieselben. Auch nicht die Betätigungsfelder des Gedankens und des Vergnügens.
Trotzdem habe ich es schon in Philadelphia konstatieren können: Das amerikanische Theater zeigte
sich von einer besorgniserregenden programmatischen Enge. Rückzug allein auf die angelsächsische, hauptsächlich vom Fernsehen inspirierte
Schreibweise, fast völliges Fehlen der zeitgenössischen europäischen Dramaturgie außer der britischen, Vergessen oder Marginalisierung des großen Weltrepertoires, Musicals als kommerzielle
Grundlage. Und aller Augen auf den Broadway gerichtet, wobei nicht wenige Produzenten dieser
angeblich nicht-gewinnorientierten Theater tatsächlich darauf hoffen, eine ihrer Inszenierungen
in diesen Tempel des Theater-Business verlegen
zu können. Die Shubert Foundation (rund vierzig
Broadway-Theater) kofinanziert sogar bestimmte
Patrick Guinand
„Wir spüren
undeutlich, dass
die Werkzeuge des
20. Jahrhunderts,
die das Politische
zu erfassen erlaubten, heute
Mühe haben,
es darzustellen.
Ich meine das
tägliche Grauen
der Welt, das
Chaos vor unseren
Augen, eine
Lesbarkeit, die
sich uns entzieht
und die auszusprechen die
Bühne sich doch
verpflichten
müsste.“
Proben zu einer Choreografie von Andris Plucis am Staatstheater Darmstadt
Inszenierungen im öffentlichen Theater, um sie
dort zu testen, bevor sie schließlich nach New
York kommen. Das öffentliche Theater als Prüfstand und Lieferant für das gewinnorientierte
Theater – die Neuerfinder der Sprache können
hoffen.
Nach dem 11. September, als das Wirkliche das
Virtuelle verdrängte, hat das amerikanische Theater
(bei allem Festhalten an der Unterhaltung als einem notwendigen Ventil) plötzlich geglaubt, dass
es vielleicht gut wäre, die Mythen neu zu befragen, indem man zum Beispiel nach Anknüpfungs-
punkten bei den Griechen suchte, womöglich mit
dem Ergebnis einer Sinnfindung bei diesen Verkörperern der „Stimme der Vernunft“, wie es im
November 2001 der Geschäftsführer des TCG, Ben
Cameron, in seinem Leitartikel für die amerikanische Zeitschrift „American Theater“ formulierte:
gewissermaßen die Rückkehr des Inhalts. Der Ort
des Theaters in einer digitalen Kultur, vor dem
Entsetzen des realen Massakers, gewann so auf
grausame Art seinen Evidenzcharakter zurück. J
61
Interview
Auf dem Balkon des Bad Homburger Schlosses: Sir Peter Jonas und Dr. Thomas Gauly
Interview
Dr. Thomas Gauly sprach mit Sir Peter Jonas anlässlich
des 18. Sinclair-Haus-Gespräches
Gauly: In London geboren und aufgewachsen, sind Sie inzwischen international
als Kulturschaffender tätig. Stationen wie New York, Chicago und München markieren Ihren Weg. Was ist das verbindende Band westlicher Kultur, welches sind die
Unterschiede zwischen Europa und den USA im Verständnis von Kunst und Kultur?
Sir Peter: In den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg, in der Zeit meines
Lebens also, sind Kunst und Kultur ohne Frage zu einer Art Esperanto der Menschlichkeit in der westlichen Welt geworden. Wir alle haben in dieser Zeit politische
wie auch menschliche Krisen durchlebt; eine weltweite und allumfassende Katastrophe jedoch, deren Auswirkungen sich niemand entziehen kann, hat uns nach
1945 nicht mehr ereilt. Dennoch herrschte in den späten 1990ern ein Gefühl, dass,
wie George Steiner es ausdrückte, „die Party vorüber und die Tafel aufgehoben“ sei.
Irgendwie haben wir seit damals den Eindruck, dem Abend unserer Existenz entge-
62
genzublicken. In diesem Sinne scheint die Katastrophe des 11. Septembers, im Nachhinein gesehen, unvermeidbar gewesen zu sein. Wenn wir objektiv zurückschauen,
wird uns klar, wie weit sich Europa kulturell von den USA entfernt hat, verglichen
mit der guten Beziehung der beiden Kontinente zueinander vor etwa dreißig Jahren,
als ich meine Tätigkeit beim Chicago Symphony Orchestra begann. Die Ereignisse
des vergangenen Jahres haben uns gezeigt, dass es für unsere Gesellschaft viel zu
tun gibt und dass unsere Werte sich nicht automatisch an denen jenseits des Atlantiks ausrichten.
Gauly: Dies gilt doch auch mit Blick auf die Kulturen des Mittleren und Nahen
Ostens.
Sir Peter: Das empfinde ich als noch viel wichtiger. Nach dem 11. September ist
uns erschreckend klar geworden, wie wenig wir die Kultur des Ostens, den Islam
und unsere Mitmenschen in Richtung Pazifik verstehen. Vielleicht vermag Kultur uns
zu helfen, die Werte von Verstehen und Toleranz wiederzuentdecken; ich glaube jedoch, und da bin ich sicher nicht der Einzige, dass wir es mit einer weitaus größeren
Auseinandersetzung und einem viel komplexeren Problem zu tun haben, als wir ursprünglich dachten.
Gauly: Stichwort Europa: Insbesondere hinsichtlich der staatlichen Kulturförderung scheiden sich die Geister. Während der Staat beispielsweise in Großbritannien
Kunst und Kultur großzügig fördert, tut man sich in anderen Ländern schwer damit.
In Zeiten leerer öffentlicher Kassen wird die staatliche Subvention immer stärker in
Frage gestellt. Ist es überhaupt Aufgabe des Staates, Kunst und Kultur zu fördern?
Sir Peter: Ja, und sie wird von allen europäischen Staaten ebenso erfüllt wie von
den USA – im Gegensatz zu allgemein verbreiteten Ansichten. Auch in den USA profitieren die Künste von staatlicher Unterstützung, und zwar durch Steuerbefreiungen
als Teil des Steuersystems, wodurch viele Gelder künstlerischen Institutionen zufließen als Samenkorn für privates und selbsterwirtschaftetes Einkommen. In Deutschland dagegen kommt dieses Geld in gewisser Weise direkt vom Steuerzahler, und
die Entscheidungen darüber, was mit wie viel Geld finanziert wird, sind ein unmittelbarer Bestandteil des demokratischen Prozesses. Zwei unterschiedliche Systeme
führen also zu dem gleichen Ergebnis: Geld. Nur der Weg, auf dem es die Taschen
des Einzelnen verlässt und den Künstler bzw. die Institution erreicht, ist verschieden.
Das europäische System allerdings ist das demokratischere, denn die Subventionen
wirken sich letztlich auf den Eintrittspreis aus. Ich betone immer wieder, dass nicht
die Sänger, Dirigenten, Regisseure, Bühnenbilder oder Kostüme subventioniert werden, sondern die Preise für die Eintrittskarten, damit die kulturellen Reichtümer unserer Gesellschaft, unser wertvollster gemeinsamer Besitz, für jedermann zugänglich
sind. Das gilt für jedes Theater, für jedes Museum, für jedes Ballett-Ensemble, für jedes Orchester; kurz: für jede kulturelle Institution.
Gauly: Was gibt uns die Kunst, worauf die Gesellschaft nicht verzichten kann?
Sir Peter: Kunst gibt uns die Gelegenheit, wie durch ein Fenster in unsere individuelle und kollektive Seele zu blicken. Dadurch werden wir mit etwas konfrontiert,
wofür uns in unserem Alltag nur selten Zeit bleibt: unser inneres Selbst zu sondieren,
63
Interview
zu entdecken, infrage zu stellen und kennen zu lernen. Die Kunst eröffnet uns die
Möglichkeit dazu. Kunst erforscht das Unbekannte, das Unentdeckte, das Geheimgehaltene. Kunst dringt in die entlegensten Tiefen unserer Phantasie. Sie offenbart unsere Stärken ebenso wie unsere Schwächen. Die Erinnerung späterer Generationen
an eine Gesellschaft wird stets auf dem basieren, was diese durch die Kunst hervorgebracht hat.
Gauly: Wie ist es um die viel gepriesene Public-Private-Partnership bestellt, wie
um das zunehmende Sponsoring? Es gibt Fälle, bei denen sich die vermeintlichen Förderer von Künstlern als knallharte Vertreter eigener Interessen entpuppen und Künstler mit der Alternative konfrontieren: Entweder Du gestaltest Dein Programm nach
meinen Vorgaben oder ich entziehe Dir meine finanzielle Unterstützung. Vorausgesetzt, das Modell einer Public-Private- oder Art-Private-Partnership wird in Zukunft
einer der Garanten für die Belebung der Kultur sein, wie kann man die notwendige
Balance von Nähe und Distanz zwischen Förderern und Geförderten schaffen?
Sir Peter: Ich halte den Einfluss von Förderern oder Sponsoren auf programmatische Entscheidungen für kein so ernsthaftes Problem, wie viele denken. Mir persönlich hat dieses Thema bislang eher selten Probleme bereitet. Wenn die Welt der
Künste sich ihre Integrität bewahrt und sich nicht „kaufen“ lässt, ist dies das beste
Hindernis, das man einer Ausweitung besagten Problems in den Weg legen kann.
Und genau hier kann eine ausgewogene Synergie von staatlicher Subvention und
privater Unterstützung hilfreich sein. Jede vom Staat subventionierte Institution trägt
allem voran die öffentliche Verantwortung, die künstlerische Ausdrucksfreiheit und
Unabhängigkeit zu bewahren. Es ist Aufgabe, ja moralische Pflicht eines Künstlers,
auch Unbequemes zur Sprache zu bringen.
Gauly: Welche Erfahrung haben Sie mit privaten Sponsoren gemacht?
Sir Peter: Die meisten Sponsoren respektieren die Freiheit der Künstler. In den
USA wurde diese Ansicht in jüngster Zeit allerdings infrage gestellt, und dadurch
wurde denn doch der eine oder andere Sprung im amerikanischen System sichtbar,
besonders in Bezug auf die darstellenden Künste. Aber wahrscheinlich ist das eher
eine Folge innenpolitischer Spannungen und einer zunehmenden political correctness in den USA als ein willkürliches Muskelspiel seitens individueller Sponsoren.
Gauly: In Deutschland gibt es ein altes Sprichwort, es lautet: Was nichts kostet,
ist nichts wert. Also: Weg mit den Millionen Subventionen für teure Opernhäuser,
hochbezahlte Intendanten und leere Schauspielbühnen und Platz frei für den Markt?
Warum sollen nicht Angebot und Nachfrage über die Zukunft von Theaterbühnen
und Künstlerszenen entscheiden?
Sir Peter: Halten zu Gnaden, aber diese Frage ist nicht logisch. Es hat noch keine
Gesellschaft gegeben, in der sich die kostenaufwändige Kunstform Oper (um das
nahe liegende Beispiel zu verwenden) allein über den Verkaufspreis der Eintrittskarten finanziert hat. Das war in der gesamten Geschichte dieser Kunstform noch nie
anders. Der Staat übernimmt heute ganz einfach die Funktion, die früher Könige,
Fürsten, Herzöge und Erzbischöfe ausgeübt haben; und wenn ich das noch hinzufügen darf: Der Staat macht das entschieden demokratischer.
64
Gauly: Bei allem Respekt. Plädieren Sie für eine Oper, deren Existenz auf Subventionen und nicht auf vollen Zuschauerrängen fußt?
Sir Peter: Opernhäuser sind heute sehr viel produktiver als vor hundert oder
zweihundert Jahren, trotz Verträgen, die dafür sorgen, dass die Menschen, die dort
arbeiten, dafür bezahlt werden. Und ich sage es noch einmal: Es ist der Eintrittspreis,
der subventioniert wird, nicht das Haus selbst oder das Bühnenbild, der Sänger oder
der Intendant. Gerechterweise sollte man auch betonen, dass Intendanten und Theaterpersonal, zumindest in diesem Land, im Allgemeinen nicht so viel verdienen wie
Leute in entsprechenden Positionen in der Industrie; da könnte man Vergleiche anstellen, die für so manchen Industriekonzern äußerst unangenehm wären. Aber natürlich spielen Angebot und Nachfrage eine Rolle in der Kunst; jeder andere Gedanke
wäre naiv. Wenn ein Intendant nicht verhindert, dass in seinem Theater vor leeren
Rängen gespielt wird, dann wird entweder sein Vertrag nicht verlängert, oder er wird
gleich gefeuert. Das ist nicht ungewöhnlich und kann sehr heilsam sein. Trotzdem
sollte der verärgerte Steuerzahler nicht immer unterstellen, man brauche doch nur
die populären Werke mit dem kleinsten gemeinsamen Publikumsgeschmacksnenner
aufzuführen, um die Häuser zu füllen.
Gauly: Wo also liegt das Problem?
Sir Peter: Die wahre Crux ist: Kunst kostet Geld, soll aber für weniger Geld als
diese Kosten dem breitest möglichen Spektrum der Gesellschaft zugänglich sein.
Jedem Mitglied unserer Gesellschaft ist es dadurch möglich, die Früchte unserer
Kreativität zu genießen, und jeder macht auf seine Weise davon Gebrauch.
Gauly: Seit der Erfindung des Kinos hat sich die Macht der Bilder ausgeweitet.
Die Verbreitung des Fernsehens und die Globalisierung des Internets verändern zumindest in den westlichen Mediengesellschaften nachdrücklich die Sehgewohnheiten
des Publikums. Inwiefern werden Theater und Oper durch die Bilder der Massenmedien beeinflusst?
Sir Peter: Die visuelle Kraft der elektronischen und der Internet-Medien haben
nur dazu beigetragen, die Künste zu stärken. Dank der brillanten Bilder auf den Monitoren ist uns mehr denn je klar, dass Realismus auf der Bühne fehl am Platze ist.
Das Theater muss bleiben, was es immer war: ein Forum für Illusionen, für geistige
und emotionale Metaphern. Meiner Meinung nach haben die modernen Massenmedien das Theater dazu provoziert, radikaler zu werden und die Komponisten, Maler
und Autoren dazu gebracht, ihr Augenmerk mehr auf die Seele zu richten. In diesem
neuen Jahrhundert sind wir, die wir im Bereich der Kunst tätig sind, uns der Rolle
der darstellenden Künste als der eines kollektiven Rituals für die Menschen bewusster
denn je, und so muss es auch sein.
Gauly: Dank der elektronischen Medien nimmt die Popularisierung der Kunst
zu. Wir erleben dies insbesondere in der Musik, wo in Teilen der Musikszene eine
strenge Unterscheidung zwischen „U“- und „E“-Musik („Unterhaltungsmusik“ beziehungsweise „Ernster Musik“) getroffen wird. Werden sich in absehbarer Zeit zu den
traditionellen Formen der Kunst neue gesellen?
65
Interview
Sir Peter: Ja. Gerade die Musik ist dafür ein gutes Beispiel. Die Geschichte des
20. Jahrhunderts hat die Musikwelt in zwei Teile mit zwei verschiedenen musikalischen Sprachen gespalten – in eine, die vom Durchschnittspublikum sofort verstanden wurde, und in eine, bei der das nicht der Fall war. Dafür gibt es zahlreiche
Gründe, komplex, tiefschürfend und stark beeinflusst von der Welt- und der europäischen Geschichte. Das „Dritte Reich”, die Emigration vieler Komponisten aus
Europa nach Amerika in den zwanziger und dreißiger Jahren, selbst Hollywood und
die Darmstädter Schule nach dem Zweiten Weltkrieg haben dabei eine Rolle gespielt.
Es gab Mitte und Ende des 20. Jahrhunderts Komponisten, die gegen den Strom geschwommen sind, zum Beispiel Benjamin Britten oder Hans Werner Henze. Dmitri
Schostakowitsch wiederum hätte, allein durch seine Oper „Lady Macbeth of Mzensk“
(und viele seiner Orchesterwerke), in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts die
große populäre Stimme des Musiktheaters in unseren Opernhäusern werden können,
wenn Stalin ihn nicht so gründlich zum Schweigen gebracht hätte.
Aber es hat keinen Sinn, über verschüttete Milch zu jammern. Die Randbezirke
der Pop- und Rockmusikwelt sowie der etwas extremere Avantgarde-Jazz lassen mich
wirklich hoffen. Einige Entwicklungen in
diesen Bereichen deuten auf eine leichte
Bewegung in Richtung Wiedervereinigung
des schwerer und des leichter Verständlichen hin. Und schon solch eine leichte
Bewegung vermag die Ohren zu öffnen
für Töne, die unvertraut scheinen, sich
aber dennoch als verführerisch oder zumindest als fesselnd erweisen. Vielleicht
bin ich ein Idealist, aber ich gebe die
Hoffnung nie auf. Beim Sprechtheater ist
das Problem nicht so extrem; das gesprochene Wort verfügt noch immer über
Kraft gepaart mit Verständlichkeit. Man
möchte meinen, das sei selbstverständlich;
doch viele Sprachen werden heutzutage
von der Erosion ihrer Struktur bedroht,
und die Globalisierung wirkt sich nicht
unbedingt positiv auf die verschiedenen
Sprachen aus, da sich über die Computer
weltweit ein simplifizierender MicrosoftSlang verbreitet.
Sir Peter Jonas
Gauly: In den unterschiedlichsten Winkeln der Welt haben sich Kulturen herausgebildet, deren Wurzeln zum Teil Jahrtausende alt sind. Kann Kunst ein vermittelndes
Element sein oder gar friedenstiftende Funktionen beispielsweise zwischen so unterschiedlichen Kulturen wie der christlich-jüdischen und der islamischen ausüben?
Oder ist es nur eine Phrase, wenn man behauptet, dass zum Beispiel die Musik als
„Weltsprache“ Kulturen miteinander verbindet?
Sir Peter: Ich persönlich möchte die Rolle der Musik als mögliche „Weltsprache“
oder der Kunst als Friedenstifterin nicht überbewerten. Alle Kunstformen können
Verständnis hervorrufen oder in unserer Gesellschaft das Bedürfnis nach Höherem
66
wecken. Mit ihrer Hilfe streben wir nach den besten Elementen unseres Geistes. Dies
wiederum kann zu einem stärkeren Sinn für Toleranz führen sowie dazu, dass wir
uns der vielen Facetten der Menschheit auf dem ganzen Erdball intensiver bewusst
werden. Zu leicht vergisst man seit dem 11. September, dass der Islam eine der großen zivilisierenden Kräfte der europäischen Geschichte war oder dass die religiöse
Vielfalt des Paganismus im antiken Rom eine liberalisierende und ebenfalls zivilisierende Wirkung hatte. In diesem Sinne kann das Studium und die Wertschätzung der
Kunst, sei sie modern, klassisch oder antik, uns helfen, andere Kulturen zu begreifen. Die größte Gefahr, mit der wir uns heutzutage auseinandersetzen müssen, ist
mangelndes Verständnis für andere und das Fehlen eines offenen Geistes in jeder
Beziehung.
Gauly: Kommen wir noch einmal zu Ihrer Person zurück: Seit September 1993
sind Sie der Staatsintendant der Bayerischen Staatsoper in München. Nach der Wiedervereinigung Deutschlands war viel von der „Hauptstadt-Kultur“ die Rede. Was
bedeutet Ihnen der Föderalismus in Deutschland?
Sir Peter: Die föderale Struktur Deutschlands hat sich in den vergangenen fünfzig
Jahren als ein Segen für Künstler und Kunstinstitutionen erwiesen. Das sollten wir
nie aus den Augen verlieren. Zugleich jedoch müssen wir uns mit den individuellen
und außergewöhnlichen Problemen der Stadt Berlin und ihrer kulturellen Einrichtungen an diesem Punkt der Geschichte befassen. Es ist ganz einfach unrealistisch zu
erwarten, dass Berlin – eine wieder eingesetzte Hauptstadt in einem wieder vereinigten Land – seine neuen Kleider ebenso selbstbewusst trägt und sich in ihnen ebenso
wohl fühlt wie London oder Paris. Um diese Probleme zu lösen, braucht es Zeit, und
die beste Qualität, die Politiker in dieser Situation beweisen können, ist eine, die sie
leider nur sehr selten zeigen: Geduld.
Gauly: Und was wird aus Berlin als neuem melting pot ?
Sir Peter: Ich persönlich glaube, dass Berlins soziale und ökonomische Probleme
erst in der nächsten Generation gelöst werden können. Die Narben einer geteilten
Stadt und Nation sind zu tief; sie müssen respektiert und mit viel Liebe behandelt
werden.
Gauly: Welchen Rat geben Sie jungen Kulturschaffenden, die am Beginn ihres
Weges als Musiker, Schauspieler, Bildhauer, Maler – oder als Intendanten – stehen?
Sir Peter: Da kann ich nur zwei Ratschläge geben: Habt Mut – in der Kunst wie
auch im Leben – und unterstützt diesen Mut durch Arbeit, Arbeit und noch einmal
Arbeit! Was immer auch geschieht: Redet, schreibt, spielt, malt, präsentiert die Wahrheit, wie ihr sie seht, und lasst euch dabei von niemandem aufhalten!
Gauly: Vielen Dank für das Gespräch.
J
67
Das Theater muss bleiben, was es immer war: ein Forum für Illusionen,
für geistige und emotionale Metaphern.
Sir Peter Jonas
Multimedia-Aufführung in „Ferropolis“, der Stadt aus Eisen:
Einst Braunkohlentagebau, heute Kulturzentrum bei Leipzig
Biografien
Kurzbiografien der Teilnehmer
Jean-Christophe Ammann
Geboren 1939 in Berlin. 1966 Dr. phil. an der Universität Fribourg/Schweiz (Kunstgeschichte, christliche Archäologie,
deutsche Literatur). 1967–1968 Assistent an der Kunsthalle
Bern und kunstkritische Tätigkeit. Von 1968–1977 Leiter des
Kunstmuseums Luzern. 1971 Schweizer Kommissar für die
Biennale Paris. 1972 Mitorganisator der „documenta 5“ in
Kassel. 1973 –1975 Mitglied der internationalen Kommission
der Biennale Paris. 1976 Berufung an die Kunsthalle Basel.
1978 –1988 Leiter der Kunsthalle Basel. 1978 Mitorganisator
der ARTE NATURA im internationalen Pavillon der Biennale Venedig. Von 1978 bis
1980 Mitorganisator der internationalen Kunstkritikerkongresse in Montecatini. Seit
1981 Mitglied der Emanuel Hoffmann-Stiftung, Basel. 1987 Berufung zum Direktor des
Museums für Moderne Kunst, Frankfurt a. M., von 1989 bis 2001 dessen Leiter. 1988
Mitorganisator von „Carnegie International“, Pittsburgh. Seit 1992 Lehrbeauftragter
der Universitäten Frankfurt und Gießen. 1995 Biennale Venedig, Kommissar des
Deutschen Pavillons. Seit 1998 Professur an der Johann Wolfgang Goethe-Universität
Frankfurt a. M. 2001/2002 Gastprofessur Wintersemester, Universität Heidelberg.
2002 Kulturpreis der Wormlandstiftung. Zahlreiche Buchveröffentlichungen.
Wolfgang R. Assmann
Geboren 1944. Studium der Rechts- und Staatswissenschaften an den Universitäten Göttingen, Berlin und Bonn. Referendarzeit in NRW und Studium an der Hochschule für Verwaltungswissenschaften in Speyer. Nach Zweiter Juristischer
Staatsprüfung 1972–1980 Beamter im Bundesministerium
der Finanzen, Bonn; zunächst zuständig für die Durchführung
des Londoner Schuldenabkommens; später Grundsatzreferent
für Bankenfragen. 1980 bis Juni 1998 Oberbürgermeister
und Verwaltungschef der Stadt Bad Homburg v. d. Höhe.
Auf Landes- und Bundesebene Mitglied, z. T. Vorsitzender von Führungs- und Aufsichtsgremien verschiedener Unternehmen, Verbände und Stiftungen. Seit Oktober
1998 geschäftsführendes Mitglied im Vorstand der Herbert-Quandt-Stiftung.
70
Georg Baselitz
Geboren 1938 als Hans-Georg Kern in Deutschbaselitz,
Sachsen. 1956 –1962 Studium der Malerei an den Kunsthochschulen in Ost- und Westberlin mit dem Abschluss des Meisterschülers. 1965 Stipendiat der Villa Romana in Florenz; 1966
„Warum das Bild ‚Die großen Freunde‘ ein gutes Bild ist“,
Ausstellung und Manifest in der Galerie Springer in Berlin.
1968 Stipendiat des Kulturkreises im Bundesverband der
deutschen Industrie. 1972 Teilnahme an der „documenta 5“ in
Kassel. 1975 Teilnahme an der XIII. Biennale in São Paulo.
1978 Professur an der Staatlichen Akademie der Künste, Karlsruhe. Zeigt 1980 im deutschen Pavillon der Biennale von Venedig seine erste Plastik „Modell für eine Skulptur“.
1982 Teilnahme an der „documenta 7“ in Kassel. 1983–1988 und 1992 Professur an
der Hochschule der Künste, Berlin. 1986 Kaiserringpreisträger der Stadt Goslar. 1999
Rhenus Kunstpreisträger, Mönchengladbach. 2000 Ehrenprofessur der Akademie der
Bildenden Künste, Krakau. 2001 Julio González Preisträger, Valencia. 2002 Commandeur de l’Ordre des Arts et des Lettres. Seit 1970 größere Einzelausstellungen.
Herbert Beck
Geboren 1941. 1961–1967 Studium der Kunstwissenschaft,
der Klassischen Archäologie und Neuren Literaturwissenschaft in München und Frankfurt a. M. 1967 Promotion in
Kunstwissenschaft. Seit 1969 Leitung der Skulpturensammlung im Liebieghaus-Museum alter Plastik und seit 1994 des
Städelschen Kunstinstituts in Frankfurt a. M. Veröffentlichungen, insbesondere zur mittelalterlichen Skulptur und zum
Neoklassizismus. Herausgebertätigkeit für Schriftenreihen,
Städel-Jahrbuch und wissenschaftliche Bestandskataloge.
Organisation von Forschungsprojekten, insbesondere zur Antikenrezeption; Konzeption von Sonderausstellungen. Lehrtätigkeit an den Universitäten Frankfurt a. M.,
Marburg und Tübingen. Seit 1991 Honorarprofessor an der Johann Wolfgang GoetheUniversität in Frankfurt a. M.
Baroness Blackstone
Schulausbildung an der Ware Grammar School und Studium
an der London School of Economics. 1987 in den Adelsstand
erhoben und zunächst Oppositionssprecherin für Bildung
und Wissenschaft im House of Lords (1988–1992), finanzpolitische Sprecherin (1990–1991), Sprecherin für Handel und
Industrie (1992 –1997) und außenpolitische Sprecherin der
Opposition (1992 –1997). Von 1997 bis 2001 Staatsministerin
im Ministerium für Bildung und Arbeit. 2001 wurde sie zum
Privy Councillor ernannt. Seit Juni 2001 Staatsministerin für
Kunst und Musik im Ministerium für Kultur, Medien und Sport.
71
Biografien
Andrea Firmenich
Geboren 1959 in Köln. Studium der Kunstgeschichte, Geschichte, Philosophie und Pädagogik in Bonn; 1989 BrückeMuseum, Berlin; 1990 –1995 Wissenschaftliche Leitung der
Kunsthalle in Emden; 1996 –1998 Leitung des Ausstellungsmanagements in der Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland in Bonn; seit 1999 Direktorin des
Sinclair-Hauses und Leiterin des Kulturforums ALTANA in
Bad Homburg v. d. Höhe sowie freie Ausstellungskuratorin
und Autorin in Köln.
William Forsythe
Geboren 1949 in den USA. Absolvierte seine Tanzausbildung an der Jacksonville University und an der Joffrey Ballet
School. Kam 1973 als Tänzer zum Stuttgarter Ballett, wo er
seine ersten Choreografien zeigte. Auf Einladungen führender Ensembles schuf er Choreografien für das Baseler
Ballett, das Bayerische Staatsballett, das Ballett der Komischen Oper Berlin, für das Joffrey Ballett und das Nederlands Dance Theater. 1983 hatte seine Produktion „Gänge“
in Frankfurt Premiere, 1984 wurde er zum künstlerischen Direktor des Ballett Frankfurt ernannt. Zu seinen Hauptwerken gehören „Artifact“
(1984), „Impressing the Czar“ (1988), „Limb’s Theorem (1991), „The Loss of Small
Detail“ (1991), Alie/n A(c)tion“ (1992), „Eidos:Telos“ (1995), „Endless House“ (1999)
und „Kammer/Kammer“ (2000). Seit 1999 ist William Forsythe Intendant sowohl des
Ballett Frankfurt als auch des TAT/Bockenheimer Depot. Seine Arbeit wurde mit
zahlreichen Preisen, wie dem hessischen Kulturpreis, dem Bundesverdienstkreuz
und mehrmals dem Lawrence Olivier Award sowie der Wahl zum Ballett des Jahres
ausgezeichnet.
Thomas Gauly
Geboren 1960 in Bad Neustadt/Saale. 1980 –1986 Studium
der Politischen Wissenschaften, der Katholischen Theologie,
der Mittleren und Neueren Geschichte an den Universitäten
Mainz und Bonn; Promotion bei Karl-Dietrich Bracher zum
Dr. phil. Beruflicher Werdegang: Tätigkeit als Journalist bei
Tageszeitungen und Fernsehen (ZDF). 1986 –1987 Wissenschaftlicher Referent Katholische Akademie. 1989–1991 Referent Studienförderung Cusanuswerk, Bonn. 1991–1994 Geschäftsführer Grundsatzprogramm-Kommission der CDU,
Leiter der Stabsstelle „Politische Beratung und Sonderaufgaben“. 1994–1998 Visiting
Lecturer für Politische Wissenschaften an Trinity Hall, Cambridge. 1996 –1998 Geschäftsführer und seit 1998 Vorstandsmitglied der Herbert-Quandt-Stiftung; Generalbevollmächtigter der ALTANA AG und Leiter Unternehmenskommunikation.
72
Hans Graf von der Goltz
Geboren 1926 in Stettin (Szczecin). 1946–1948 Studium der
Rechte an der Universität München, 1948 Erste Juristische
Staatsprüfung in München, 1949 –1952 Referendariat in
München und Düsseldorf; 1952 Große Juristische Staatsprüfung; 1952–1956 Deutsche Kreditsicherung KG, Düsseldorf;
1956 –1959 International Finance Corporation, Washington,
D.C.; 1959 –1971 Tätigkeit bei Klöckner & Co. Duisburg, zuletzt als Vorsitzender der Gesamtleitung mit Generalvollmacht. 1971 Eintritt in den Interessenbereich Dr. Herbert
Quandt, Bad Homburg v. d. Höhe. 1982–1992 Testamentsvollstrecker nach Dr. Herbert Quandt zusammen mit Frau Johanna Quandt. Ehrenvorsitzender des Stiftungsrates der Herbert-Quandt-Stiftung. Autor von Romanen und Essays.
Patrick Guinand
Geboren 1947 in Lyon. Regisseur. 1965 –1971 Studium und
Studententheater in Dijon. Diplom in Wirtschaftswissenschaft und Literatur. Seit 1972 in Paris. Gründer und Leiter
seines eigenen Theaterensembles. 1981–1983 Intendant des
Jeune Théâtre National (Sitz im Théâtre National de l’Odéon).
1988 –1991 Präsident des französischen Intendantenverbandes. Gründer, Sekretär, dann Präsident des Dramatic Theatre
Committee (DTC) des International Theatre Institute (ITIUnesco) seit 1991. Seit 2001 künstlerischer Berater der Internationalen Thomas Bernhard-Gesellschaft (ITGB). Rund 50 Schauspiel- und Operninszenierungen in Frankreich und europaweit, insbesondere in Deutschland (Berlin,
Nürnberg, Karlsruhe, Heilbronn, Bad Hersfeld) und Österreich (Salzburg, Wien).
Hilmar Hoffmann
Geboren 1925 in Bremen. 1953–1970 Direktor Westdeutsche
Kurzfilmtage Oberhausen; 1965 –1970 Sozial- und Kulturdezernent der Stadt Oberhausen; 1970 –1990 Kulturdezernent der Stadt Frankfurt a. M.; Initiator des Frankfurter Museumsufers. 1990 –1994 Leitung der Stiftung Lesen, Mainz;
1993–2002 Präsident des Goethe-Instituts, München; Honorarprofessuren an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst, Frankfurt a.M. (seit 1984), und der Universität
Marburg (seit 1989); u. a. Vorsitzender des Verwaltungsrats
des Deutschen Filminstituts, Frankfurt a. M.; zahlreiche Buchveröffentlichungen sowie
Auszeichnungen und Ehrungen: u. a. Großes Bundesverdienstkreuz der Bundesrepublik Deutschland, Ehrensenator der Goethe-Universität Frankfurt, Ehrenbürger der
Universität Tel Aviv, Dr. h.c. der Universitäten Bamberg und Hildesheim; Chevalier
de l’Ordre des Arts et des Lettres der Französischen Republik, Ehrenmitglied der
Bayerischen Akademie der Schönen Künste.
73
Biografien
Sir Peter Jonas
Geboren 1946 in London. Nach dem Besuch der Benedictine Worth School Studium der Englischen Literatur an der
University of Sussex. Postgraduiertenstudium in Oper und
Musikgeschichte am Royal Northern College of Music in
Manchester und später am Royal College of Music in London. Anschließend studierte er noch ein Jahr an der Eastman
School of Music, Rochester, New York. 1974 Assistent von
Musikdirektor Sir George Solti am Chicago Symphony Orchestra. 1976 künstlerischer Betriebsdirektor dieser Institution. 1984 Generaldirektor der English National Opera. Seit September 1993 Staatsintendant der Bayerischen Staatsoper in München. Fellow of the Royal Society of Arts
und Fellow of the Royal College of Music. Seit dem Jahr 2000 ist er außerdem Fellow
of the Royal Northern College of Music und seit Mai 2001 Erster Vorsitzender der
Deutschen Opernkonferenz (dem Verein der Intendanten der deutschsprachigen
Opernhäuser). Für seine Verdienste um die Oper verlieh ihm Königin Elizabeth II.
1991 den Titel eines Commander of the British Empire. Am 1. Januar 2000 hat ihn die
Königin für seine künstlerischen Verdienste in den Ritterstand erhoben.
Susanne Klatten
Geboren 1962 in Bad Homburg v. d. Höhe. Ausbildung zur
Werbekauffrau in Frankfurt a. M. Studium der Betriebswirtschaft an der University of Buckingham. Abschluss mit dem
Bachelor of Science. 1988 Studium der Unternehmensführung am International Institute for Management Development (IMD), Lausanne. Abschluss mit dem MBA. Während
des Studiums Praktika bei Banken, Industrie- und Beratungsunternehmen. 1989 –1990 Assistentin der Geschäftsführung
der Burda GmbH. Nach einjährigem USA-Aufenthalt seit 1991
selbständige Unternehmerin. Aufsichtsratsmandate in familiennahen Unternehmen:
Stellvertretende Aufsichtsratsvorsitzende der ALTANA AG. Aufsichtsratsmitglied der
BMW AG, der ALTANA Pharma AG und der UnternehmerTUM GmbH, Garching.
Vorsitzende des Stiftungsrates der Herbert-Quandt-Stiftung. Mitglied des Kuratoriums
der Technischen Universität München.
Michael Klett
Geboren 1938 in Stuttgart. Abitur, Militärdienst, Verlagslehre,
Schauspielausbildung, Studium der Germanistik und Philosophie. Verlagserfahrung in ausländischen Verlagen (USA,
England). 1965 Eintritt in den Ernst Klett Verlag. Seit 1973
Mitglied der Geschäftsleitung (geschäftsführender Gesellschafter), ab 1989 in der Holding der neu geordneten KlettGruppe, ab 1996 Vorsitzender des Vorstands der Ernst Klett
Aktiengesellschaft. Ehrenamtlich in kulturellen Einrichtungen und Stiftungen im In- und Ausland, insbesondere im
74
Rahmen deutsch-französischer Beziehungen, tätig. Seit 1986 schwedischer Honorarkonsul. 1994 –1996 Mitglied des Regionalparlaments Stuttgart. Seit 1999 Dr. phil. h.c.
Universität Würzburg, a.o. Professor an der St. Kliment Ohridski Universität Sofia
und Träger des Bundesverdienstkreuzes am Bande. Mitglied des Stiftungsrates der
Herbert-Quandt-Stiftung.
Gerhard R. Koch
Geboren 1939 in Bonn. Studium in Frankfurt a. M. Seit den
sechziger Jahren hauptsächlich Musikkritiker bei der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, seit 1976 deren Musikredakteur.
Seine besonderen Interessen sind Neue Musik, Musiktheater,
Kulturpolitik, Vernetzung der Künste (Film, bildende Kunst,
Theater, Musik), Grenzbereiche zwischen „hoher“ und „niederer“ Kultur. Träger des Johann-Heinrich-Merck-Preises für
Essayistik und literarische Kritik der Deutschen Akademie
für Sprache und Dichtung.
Klaus-Dieter Lehmann
Geboren 1940 in Breslau (Wroclaw). 1967 Diplom in Physik
und Mathematik. Nach dem Staatesexamen in Bibliothekswissenschaft begann er 1970 als Fachreferent an der Hochschulbibliothek Darmstadt. 1973 wurde er stellvertretender
Direktor und 1978 leitender Bibliotheksdirektor der Universitätsbibliothek Frankfurt am Main. Gleichzeitig war er
Direktor der Fachhochschule für Bibliothekswesen. 1986 erhielt er eine Honorarprofessur für Wirtschaftsinformatik an
der Universität Frankfurt am Main. 1988 Generaldirektor der
Deutschen Bibliothek Frankfurt am Main, 1990 auch der Deutschen Bücherei Leipzig
(Die Deutsche Bibliothek). Seit 1999 Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz
in Berlin. Ausgezeichnet u. a. mit dem Bundesverdienstkreuz 1. Klasse. Er ist Vorsitzender bzw. Mitglied in zahlreichen nationalen und internationalen Gremien und
Herausgeber wissenschaftlicher Zeitschriften.
Friedhelm Mennekes SJ
Geboren 1940 in Bottrop. 1961 Eintritt in den Jesuitenorden;
Studien in Philosophie, Politikwissenschaft und Theologie,
1972 Promotion zum Dr. phil.; Studium der kath. Theologie
in Bonn und Frankfurt, 1979 Habilitation. Seit 1980 Professor
für Praktische Theologie und Religionssoziologie an der
Phil.-Theol. Hochschule Sankt Georgen in Frankfurt a. M.
1979 –1985 Pfarrer an Sankt Markus in Frankfurt-Nied; seit
1987 Pfarrer an Sankt Peter in Köln. Seit 1997 Honorarprofessor an der Hochschule der Bildenden Künste in Braun-
75
Biografien
schweig, seit 1998 Honorarprofessor am Fachbereich Bildende Kunst der JohannesGutenberg-Universität in Mainz. Begann seine Ausstellungstätigkeit in der Frankfurter
Vorortkirche Sankt Markus in Nied (bis 1985), dann in der Hauptverwaltung der
Deutschen Bundesbahn und schließlich in der Kunst-Station Frankfurt (M) Hbf
(1985 –1989). 1987 Gründung der Kunst-Station Sankt Peter Köln in der gotischen
Stadtpfarrkirche Sankt Peter. Gastvorträge und Gastprofessuren an verschiedenen
kunstgeschichtlichen Fakultäten und Kunstakademien u. a. in Berlin, Wien, Bloomington/Indiana und Savannah/Georgia. 1999 Verleihung des Corporate Art Preises
der Burda-Stiftung für herausragendes Engagement auf dem Gebiet der Kunst- und
Kulturförderung.
Norman Rosenthal
Geboren 1944 in Cambridge. Besuch der Westminster City
Grammar School und der Universität von Leicester, 1966 Diplom in Geschichte. Anschließend Studium an der School of
Slavonic and East European Studies und an der Freien Universität Berlin. Organisierte seine erste Ausstellung 1965 am
Leicester Museum and Art Gallery in Verbindung mit dem
University of Arts Festival. 1966 –1970 Tätigkeit als Bibliothekar und wissenschaftlicher Mitarbeiter bei Thomas
Agnew & Sons. 1970–1971 Ausstellungskurator am Brighton
Museum and Art Gallery. Gemeinsam mit Vera Russell Organisator des Artists’ Market,
einer gemeinnützigen Galerie in Covent Garden; 1973–1976 Ausstellungskurator am
Institut für zeitgenössische Kunst in London. Seit 1977 Ausstellungsdirektor an der
Royal Academy of Arts in London, wo er für alle Leihausstellungen verantwortlich
ist. Sein Name ist vor allem mit einer Reihe von Ausstellungen an der Royal Academy
verbunden, die die Kunst des 20. Jahrhunderts verkörpern. Norman Rosenthal ist
Mitglied namhafter Kulturgremien und Träger internationaler Auszeichnungen. Er
veröffentlichte zahlreiche Artikel in Katalogen und Fachzeitschriften sowie Beiträge
in Fernseh- und Radiosendungen.
Hermann Schäfer
Geboren 1942. Er studierte u.a. Geschichte und Englisch in
Frankfurt a. M., Bonn und Freiburg. Ab 1971 wissenschaftlicher Assistent am Lehrstuhl für Wirtschafts- und Sozialgeschichte der Universität Freiburg. 1977 Promotion in Freiburg. 1986 Habilitation und Venia Legendi für Wirtschaftsund Sozialgeschichte in Freiburg. 1986 als Leiter des Amtes
für Kultur und Öffentlichkeitsarbeit im Landkreis Waldshut
tätig; Abteilungsleiter „Sammlungen“ am Landesmuseum für
Technik und Arbeit in Mannheim. Seit 1987 Direktor und
seit 1990 Präsident der Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Museumspreis 1995 des Europarates sowie weitere Auszeichnungen. Mitglied
zahlreicher Beiräte, darunter auch Mitglied des Stiftungsrates der Herbert-QuandtStiftung. Seit Mai 2000 Professor an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg. Veröffentlichungen zu Themen der Wirtschafts- und Sozialgeschichte des 19. und 20.
Jahrhunderts sowie zu Museumsfragen.
76
Oliver Scheytt
Musik- und Jurastudium, Dissertation zum Musikschulrecht;
von 1983 bis 1988 Management von Kulturprojekten bei der
Stadt Essen und beim Kultursekretariat NRW; 1986–1993 Referent beim Deutschen Städtetag, zunächst Büroleiter des
Hauptgeschäftsführers, ab 1990 Beauftragter für die neuen
Länder und Leiter der Berlin-Vertretung; seit 1993 Kulturdezernent der Stadt Essen, 1997 erweitert um das Bildungsressort, seit 1993 Mitglied des Bundesvorstandes des Verbandes
deutscher Musikschulen; seit 1995 Vorsitzender des NRWKultursekretariats; seit 1997 Präsident der Kulturpolitischen Gesellschaft e.V. Bonn;
Autor zahlreicher Publikationen zu den Bereichen Kommunalpolitik, Kulturpolitik,
Kulturmanagement, Kulturrecht, Personal- und Organisationsentwicklung.
Frank Schirrmacher
Geboren 1959 in Wiesbaden. Studium der Germanistik und
Anglistik in Heidelberg, der Philosophie und Literatur am
Clare College in Cambridge. Von 1989 bis 1993 als Nachfolger von Marcel Reich-Ranicki Leiter der Redaktion „Literatur
und literarisches Leben“ der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Seit 1. Januar 1994 einer der Herausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Mitglied des Goethe-Instituts.
Stellvertretender Vorsitzender des Stiftungsrates der HerbertQuandt-Stiftung, Bad Homburg. Zuletzt erschien „Der westliche Kreuzzug“. 41 Positionen zum Kosovokrieg (Hrsg.), 1999; „Die Walser-BubisDebatte“ (Hrsg.), 1999; „Marcel Reich-Ranicki. Sein Leben in Bildern“ (Hrsg.), 2000;
„Die Darwin AG. Wie Nanotechnologie, Biotechnologie und Computer den neuen
Menschen träumen“ (Hrsg.), 2001.
Enjott Schneider
Geboren 1950 in Weil am Rhein als Norbert J. Schneider.
Studium der Musik, Musikwissenschaft, Germanistik, Linguistik in Feiburg i. Br. 1977 Promotion zum Dr. phil. Lehrt seit
1979 an der Musikhochschule München (Professur für Musiktheorie/Komposition). Tätigkeiten als Schriftsteller (u. a. „Die
Kunst des Teilens. Zeit-Rhythmus-Zahl“, 1991; „Handbuch
Filmmusik I und II“, 1986 und 1989; „Komponieren für Film
und Fernsehen“, 1997); als Komponist für Konzert und Oper
(Glockensinfonie „Lied an das Leben“ nach Texten aus dem
KZ Buchenwald zu den Domstufenfestspielen Erfurt, 1999; Sinfonie „Sisyphos“, München, 2001; Oper „Albert – Warum“, Regensburg, 1999; Oper „Das Salome-Prinzip“,
Gelsenkirchen, 2002; Songoper „Diana – Cry for Love“, Görlitz, 2002); als Komponist
von über 500 Filmmusiken (u. a. zu „Herbstmilch“, „Stalingrad“, „Das Mädchen Rosemarie“, „Schlafes Bruder“). Seine Soundtracks wurden mehrfach ausgezeichnet:
Bayerischer Filmpreis für „Rama Dama“, Bundesfilmband in Gold für Musik zu
„Wildfeuer“, Bundesfilmband für „Leise Schatten“ und den „Fipa d’or (Filmfestival
Biarritz) für Verfilmung von Johnsons „Jahrestage“ (Beste europäische Filmmusik“).
77
Biografien
Nikolaus Schweickart
Geboren 1943 in Kamp/Rhein Bezirk Koblenz, nach Militärdienst (Reserveoffizier) von 1966–1970 Studium der Rechtsund Politischen Wissenschaften in München und Bonn; Referendarzeit in NRW, gleichzeitig Assistent im Deutschen
Bundestag, Rechtsanwalt; 1973–1976 politischer Referent in
Bonn; seit 1977 im Günther-Quandt-Haus, Bad Homburg
v. d. Höhe, u. a. persönlicher Mitarbeiter von Herbert Quandt;
seit 1987 Mitglied des Vorstandes der ALTANA AG; seit 1990
Vorstandsvorsitzender der ALTANA AG; Vorsitzender des
Vorstandes der Herbert-Quandt-Stiftung, Bad Homburg v. d. Höhe; Vorsitzender des
Kuratoriums des Frankfurter Instituts, Berlin; Vorsitzender der Administration StädelMuseum, Frankfurt; stellvertretender Vorsitzender Wirtschaftsrat der CDU, Berlin.
Mark Speich
Geboren 1970 in Bonn. 1989 Abitur am Collegium Josephinum, Bonn, Wehrdienst, 1990 –1994 Studium der Wissenschaft von der Politik, der Neueren Geschichte sowie des
Staats- und Europarechts an den Universitäten Bonn und
Cambridge (Pembroke College). 1994 Master of Philosophy.
Nach dem Studium wissenschaftlicher Mitarbeiter der Stabsstelle „Politische Beratung und Sonderaufgaben“ im KonradAdenauer-Haus. Von Anfang 1997 bis Ende 1998 Persönlicher Referent des Rektors der Universität Bonn. Seit Anfang
1999 als Wissenschaftlicher Referent für die Herbert-Quandt-Stiftung tätig. 2001 Promotion zum Dr. phil. bei Professor Hans-Peter Schwarz, Universität Bonn.
Christoph Vitali
Geboren 1940 in Zürich. 1959–1960 Studium der amerikanischen und englischen Literatur, der Geschichte, Kunstgeschichte und der Politischen Wissenschaft an der Universität
Princeton, New Jersey. Herbst 1960 Aufnahme des Jurastudiums an der Universität Zürich. 1962–1963 Studium der
spanischen Sprache, Literaturgeschichte und Kunstgeschichte
an der Universität Granada. Herbst 1963 Wiederaufnahme
des Jurastudiums in Zürich. Januar 1968 Promotion an der
Universität Zürich. April 1968 Anwaltsprüfung am Obergericht des Kantons Zürich. Januar 1969 Übertritt ins Kulturreferat der Stadt Zürich, ab
Herbst 1971 verantwortlicher Leiter. Tätigkeit in allen Gebieten der Kulturförderung
und Kulturpolitik. Vertreter der Stadt in den Aufsichtsgremien der großen Kulturinstitute. Leiter mehrerer Theater und Museen der Stadt Zürich sowie des kommunalen
Kinos. 1979 –1984 Verwaltungsdirektor der Städtischen Bühnen Frankfurt a. M.
1985 –1993 Direktor und Geschäftsführer des Theaters am Turm, des Künstlerhauses
Mousonturm, der kulturellen Aktivitäten OFF-TAT und der Schirn Kunsthalle Frankfurt m.b.H. Seit 1.1.1994 Direktor des Hauses der Kunst, München.
78
Lord Weidenfeld of Chelsea
Geboren in Wien. 1938 Emigration nach England. Während
des Krieges Mitarbeiter des BBC Overseas Service. 1945
gründete er zusammen mit Nigel Nicolson den Verlag Weidenfeld & Nicolson. 1949 politischer Berater und Chef des
Kabinetts des israelischen Präsidenten Dr. Chaim Weizmann.
Danach Rückkehr nach England und Wiederaufnahme der
Verlegertätigkeit. Lord Weidenfeld hat die Werke zahlreicher
herausragender internationaler Historiker und Biografen sowie die Memoiren der angesehensten Politiker seiner Generation publiziert. Seit 1946 britischer Staatsbürger, wurde er zweimal für seine Verdienste für England geehrt: zunächst wurde er in den Ritterstand und 1976 in den
Adelsstand erhoben. Honorary Fellow des St. Peter’s College und des St. Anne’s College, beide Oxford. 1996 Ehrensenator der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn. 1999 Magister der Diplomatischen Akademie Wien. U. a. Vorsitzender im
Board of Governors der Ben-Gurion Universität/Beer Sheva, Mitglied des Rates des
Weizmann Institute und Mitglied des Stiftungsrates der Herbert-Quandt-Stiftung.
Klaus Zehelein
Studium der Germanistik, Musikwissenschaft und der Philosophie in Frankfurt und Hamburg. 1959 –1966 Ferienkurse
für Neue Musik in Darmstadt. 1967–1970 Erstes Engagement
als Dramaturg an den Bühnen der Landeshauptstadt Kiel.
1970–1977 Chefdramaturg am Staatstheater Oldenburg. Lehrtätigkeit als Dozent an der Universität Oldenburg (Musiksoziologie). 1977–1987 Chefdramaturg und später koordinierter Operndirektor der Städtischen Bühnen Frankfurt a. M.
Während dieser Zeit Lehrtätigkeit als Dozent an der State
University of Minnesota, Minneapolis und am Collège International de Philosophie
in Paris; Gastprofessor an der Universität Gießen (Institut für angewandte Theaterwissenschaft). 1986 –1992 Gastprofessor an der Hochschule für angewandte Kunst in
Wien (Bühnen- und Filmgestaltung). 1989 –1991 Künstlerischer Direktor des ThaliaTheaters in Hamburg; Dramaturgie (Schauspiel und Oper) in Berlin, Frankfurt, Brüssel und Wien. Seit 1991 Direktor bzw. Intendant der Staatsoper Stuttgart. 1983 Deutscher Kritikerpreis für die Dramaturgie an der Oper Frankfurt a. M. Publikationen im
Musik- und Theaterbereich.
79
Überblick
Teilnehmer
Prof. Dr. Jean-Christophe Ammann
Ehemaliger Direktor
Museum für Moderne Kunst
Frankfurt am Main
Wolfgang R. Assmann
Geschäftsführender Vorstand
Herbert-Quandt-Stiftung
Bad Homburg v. d. Höhe
Prof. Georg Baselitz
Künstler
Universität der Künste
Berlin
Prof. Dr. Herbert Beck
Museums-Direktor
Städelsches Kunstinstitut und
Liebieghaus - Museum alter Plastik
Frankfurt am Main
The Rt. Hon. the Baroness Blackstone
Britische Staatsministerin
für Kunst und Musik
London
Dr. Andrea Firmenich
Leiterin
Kulturforum ALTANA
Bad Homburg v. d. Höhe
William Forsythe
Intendant
Ballett Frankfurt und
TAT (Theater am Turm)
Frankfurt am Main
80
Dr. Thomas Gauly
Generalbevollmächtigter
Leiter Unternehmenskommunikation ALTANA AG
Mitglied des Vorstandes
Herbert-Quandt-Stiftung
Bad Homburg v. d. Höhe
Hans Graf von der Goltz
Ehrenvorsitzender des Stiftungsrates
Herbert-Quandt-Stiftung
Bad Homburg v. d. Höhe
Patrick Guinand
Regisseur
Paris
Prof. Dr. Hilmar Hoffmann
Ehemaliger Präsident des
Goethe-Instituts, München
Initiator des Frankfurter Museumsufers
Frankfurt am Main
Sir Peter Jonas
Staatsintendant
Bayerische Staatsoper
München
Susanne Klatten
Vorsitzende des Stiftungsrates
Herbert-Quandt-Stiftung
Bad Homburg v. d. Höhe
Dr. h.c. Michael Klett
Vorstandsvorsitzender
Ernst Klett AG
Stuttgart
Gerhard R. Koch
Redakteur Feuilleton
Frankfurter Allgemeine Zeitung
Frankfurt am Main
Prof. Dr. Enjott Schneider
Komponist
Hochschule für Musik und Theater
München
Prof. Dr. h.c. Klaus-Dieter Lehmann
Präsident
Stiftung Preußischer Kulturbesitz
Berlin
Nikolaus Schweickart
Vorstandsvorsitzender
ALTANA AG und
Herbert-Quandt-Stiftung
Bad Homburg v. d. Höhe
Prof. Dr. Friedhelm Mennekes SJ
Kunst-Station Sankt Peter
Zentrum für zeitgenössische
Kunst und Musik
Köln
Dr. Mark Speich
Wissenschaftlicher Referent
Herbert-Quandt-Stiftung
Bad Homburg v. d. Höhe
Norman Rosenthal
Ausstellungsdirektor
Royal Academy of Arts
London
Dr. Christoph Vitali
Direktor
Haus der Kunst
München
Prof. Dr. Hermann Schäfer
Präsident, Stiftung Haus der Geschichte
der Bundesrepublik Deutschland
Bonn
Lord Weidenfeld of Chelsea
Verleger
London
Dr. Oliver Scheytt
Beigeordneter für Bildung und Kultur
der Stadt Essen und Präsident der
Kulturpolitischen Gesellschaft e.V. Bonn
Essen
Klaus Zehelein
Intendant
Staatsoper Stuttgart
Dr. Frank Schirrmacher
Herausgeber
Frankfurter Allgemeine Zeitung
Frankfurt am Main
81
Rückblick
Sinclair-Haus-Gespräche
Themen und Teilnehmer
1. Welt im Umbruch: Können Demokratie
und Marktwirtschaft überleben?
November 1993
2. Verwildert der Mensch?
Voraussetzungen gesellschaftlicher Ordnung
April 1994
3. Quo vadis? Deutschland nach einem
besonderen Wahljahr
Dezember 1994
4. Kulturen im Konflikt –
Die Bestimmung Europas
März/April 1995
5. Kultur als Machtinstrument
Dezember 1995
6. Globale Wirtschaft – nationale Sozialpolitik:
Wie lange geht das noch gut?
April 1996
7. Löst sich die Industriegesellschaft auf?
November 1996
10. Leben – um welchen Preis?
April 1998
11. Trialog der Kulturen im Zeitalter
der Globalisierung
Dezember 1998
12. Vom christlichen Abendland zum
multikulturellen Einwanderungsland?
April 1999
13. Die Zukunft des Gewesenen –
Erinnern und Vergessen an der
Schwelle des neuen Millenniums
November 1999
14. Die stille Revolution –
Geschlechterrollen verändern sich
April 2000
15. Kapitalismus ohne Moral?
Ethische Grundlagen einer
globalen Wirtschaft
November 2000
8. Europa nach der Wirtschaftsund Währungsunion
April 1997
16. Europas Verfassung –
Eine Ordnung für die
Zukunft der Union
Mai 2001
9. Russland – wohin?
Dezember 1997
17. Wem gehört der Mensch?
November 2001
Abassi, Mahmoud; 11
Abdul Hadi, Mahdi; 11
Adam, Konrad; 2, 4
Adam, Werner; 1, 9
Adomeit, Hannes; 9
Albert, Michel; 3
Alexander, Lord of Weedon; 8
Angst, Kenneth; 7
Arbatov, Alexej; 4
Arnon, Aryeh; 11
82
Assmann, Wolfgang R.; 11–17
Avineri, Shlomo; 2, 5
Awartani, Hisham; 11
Badura, Bernhard; 10
Benda, Ernst; 17
Badura, Peter; 3
Bär, Hans J.; 8
Barth, Hermann; 6
Bartoszewski, Wladyslaw; 13
Beckstein, Günther; 12
Ben-Ari, Jitzhak; 1
Bergsdorf, Wolfgang; 5
Berthoin, Georges; 16
Betti, Claudio Mario; 11
Bitterlich, Joachim; 9
Blech, Jörg; 17
Böckelmann, Frank; 12
Bourkov, Sergei; 9
Bovkoun, Evgueni; 9
Brannen, Julia; 14
Braverman, Avishay; 11
Bremer, Jörg; 11
Bresson, Henri de; 16
Brock, Lothar; 15
Brok, Elmar; 8, 16
Brunner, Georg; 9
Buchanan, James; 7
Busek, Erhard; 3
Caligaris, Luigi; 4
Catarivas, Dan; 11
Chenaux-Repond, Dieter; 4, 5, 8
Cohen, Amnon; 4
Collange, Jean-François; 17
Commaille, Jacques; 14
Cozens, Clare; 14
Dahlmanns, Gert; 1–11
Dahrendorf, Lord Ralf; 7
Daune-Richard, Anne-Marie; 14
Deckers, Daniel; 7
Deech, Ruth; 17
Dettling, Warnfried; 3
Dichgans, Johannes; 10
Dönhoff, Marion Gräfin; 12
Dshanibekow, Wladimir; 9
Duve, Freimut; 1
Dyba, Johannes; 12
Eddin Ibrahim, Saad; 11
Eekhoff, Johann; 6
Elkana, Yehuda; 5
Elyas, Nadeem A.; 12
Froment-Meurice, Henri; 1
Frye, Alton; 4
Gablentz, Otto von der; 16
Galliner, Peter; 11
Ganten, Detlev; 17
Gasteyger, Curt; 3
Gauck, Joachim; 13
Gauly, Thomas; 5–17
Gerhardt, Wolfgang; 3
Gerster, Johannes; 11
Gillessen, Günther; 3
Goltz, Hans Graf von der; 1–17
Gowrie, Lord; 8
Graf, Friedrich Wilhelm; 12
Gräf, Hermann; 15
Graff, Ehoud; 11
Grant, Charles; 16
Groen, Joost in’t; 6
Gronkiewicz-Waltz, Hanna; 14
Grunewald, Heike; 11
Grusa, Jiri; 3
Guerrand-Hermès, Xavier; 11
Habibie, Bacharuddin Jusuf; 4
Hadas, Shmuel; 11
Hank, Rainer; 15
Hänsch, Klaus; 8
Haverich, Axel; 10
Helmchen, Hanfried; 10
Henzler, Herbert; 7
Hepp, Hermann; 10
Herzog, Christiane; 10
Herzog, Roman; 1, 16
Heuser, Uwe Jean; 15
Heydt, Peter von der; 7
Hirsch, Günter; 16
Hirsch Ballin, Ernst; 10
Hirschfeld, Yair; 4
Hodges, John R.; 13
Höffe, Otfried; 15
Honnefelder, Ludger; 10, 12
Huber, Wolfgang; 10
Isensee, Josef; 16
Ferraris, Luigi Vittorio Conte; 2
Field, Frank; 6
François-Poncet, Jean; 8
Frankenberger, Klaus-Dieter; 16
Freeman, Clara; 14
Friedlander, Shaul; 11
Jansen, Thomas; 11, 16
Jay of Paddington, Baroness; 14
Joffe, Josef; 1, 9
John, Barbara; 12
Jowell, Tessa; 14
83
Rückblick
Kamer, Hansrudolf; 9
Kamphaus, Franz; 2
Keil, Siegfried; 14
Kennedy, Paul; 6
Kirchhof, Paul; 7
Kirsch, Guy; 7
Klatten, Susanne; 12, 14–17
Kleinschmidt, Sebastian; 12
Klett, Michael; 12 –15, 17
Klotz, Heinrich; 5
Kluxen, Wolfgang; 12
Kney-Tal, Dorit; 2
Koch, Roland; 6
Köcher, Renate; 3, 12, 13, 14
Koerber, Eberhard von; 6, 11
Kohl, Helmut; 8
Kolonko, Petra; 14
Kondrusiewicz, Tadeusz; 9
Kuchinke, Norbert; 9
Kuenheim, Eberhard von; 1
Maleki, Abbas; 5
Markl, Hubert; 1–5, 7–10
Maron, Monika; 2, 14
Marsh, David; 3
Masri, Said Baha Al-; 11
Mathes, Richard; 11
Matwejew, Wladimir P.; 15
McElvoy, Anne; 14
Mellor, Julie; 14
Merz, Friedrich; 16
Metspalu, Andres; 17
Michalski, Krzysztof; 8
Michnik, Adam; 5
Miegel, Meinhard; 7
Mittelstraß, Jürgen; 1
Moïsi, Dominique; 8
Möller, Gerald; 10
Müller-Jung, Joachim; 17
Müller-Stutzer, Gabriele; 10
Muschg, Adolf; 5
Lakaschus, Carmen; 2
Lassner, Jacob; 11
Lauder, Ron; 11
Lautmann, Dov; 11
Lehmann, Karl; 10
Lehmann, Klaus-Dieter; 13
Leibinger, Berthold; 6
Lendvai, Paul; 2
Lepage, Henri; 6
Leysen, André; 1, 6, 13
Liberles, Robert; 11
Link, Christoph; 12
Lohmann, Martin; 2, 5
Lohse, Eckart; 2
Lorz, Stephan; 15
Louis, Jean-Victor; 16
Löwe, Hartmut; 12
Lübbe, Hermann; 2
Ludewig, Johannes; 3
Naumann, Klaus; 3
Naumer, Hans-Jörg; 15
Nef, Robert; 7
Nemirovskaya, Elena; 7, 9
Neville-Jones, Pauline; 1
Nora, Pierre; 13
Prof. Georg Baselitz im Gespräch mit
Prof. Dr. Jean-Christophe Ammann
84
Oberndörfer, Dieter; 12
Osten, Manfred; 5
Oz, Amos; 11
Özdemir, Cem; 12
Pataki, István; 3
Peel, Quentin; 8, 16
Pernice, Ingolf; 16
Pfeiffer, Christian; 2
Pinto, Diana; 14
Piromya, Kasit; 15
Plaut, Timothy C.; 15
Pohl, Manfred; 13
Radtke, Heinz W.; 10, 17
Raulff, Ulrich; 13
Rees-Mogg, William; 4
Reiter, Janusz; 3, 8, 13–15, 17
Rekhess, Elie; 11
Reynolds, Fiona; 14
Riesenhuber, Heinz; 1
Röller, Wolfgang; 2
Rothschild, Emma; 7
Rubinstein, Danny; 11
Rubner, Jeanne; 10
Rübsamen-Waigmann, Helga; 14
Rüthers, Bernd; 6
Safdie, Moshe; 5
Said, Edward W.; 5
Salmin, Alexei; 9
Savir, Uriel; 11
Sayigh, Yezid; 4
Schäfer, Egon; 6
Schäfer, Hermann; 12 –17
Schalch, Beatrice; 11
Schauerte, Hartmut; 15
Schellhorn, Kai M.; 13
Schily, Konrad; 2, 10
Schily, Otto; 12
Schips, Bernd; 6
Schirrmacher, Frank; 12, 13, 16, 17
Schlösser, Gernot; 10
Scholl-Latour, Peter; 4, 5
Scholz, Rupert; 2
Schotsmans, Paul T.; 17
Schreiber, Hans-Ludwig; 10
Schuchardt, Erika; 13
Schwan, Gesine; 14
Schwarzenberg, Karl Fürst von; 2
Schweickart, Nikolaus; 1–10, 12, 13, 15–17
Seide, Rochelle K.; 17
Seixas da Costa, Francisco; 16
Seizinger, Bernd R.; 17
¸
Sen,
Faruk; 12
Senghaas, Dieter; 4
Senokossov, Yuri; 9
Shtauber, Zvi; 11
Shtayyeh, Mohammad; 11
Sicard, Didier; 17
Siebel, Rudolf; 15
Silbereisen, Rainer K.; 2
Siniora, Hanna; 11
Sobtschak, Anatolij; 1
Solms, Hermann Otto; 15
Speich, Mark; 12 –17
Stark, Jürgen; 15
Steinbach, Udo; 4
Steinberg, Jonathan; 7
Stern, Frank; 11
Stock, Günter; 10
Stone, Norman; 1
Strauss-Lahat, Ofra; 11
Studnitz, Ernst-Jörg von; 9
William Forsythe im Gespräch mit Susanne Klatten
Stürmer, Michael; 1–6, 8–11
Suchanov, Alexander; 9
Suchocka, Hanna; 1
Tarr-Whelan, Linda; 14
Teltschik, Horst; 3–9
Thoben, Christa; 8
Tibi, Bassam; 4
Tiefensee, Eberhard; 12
Tietmeyer, Hans; 6, 15
Tosato, Massimo; 15
Trabant, Jürgen; 5
Troen, S. Ilan; 11
Trotha, Ulrich Ivo von; 12
Vasata, Vilim; 7
Veremis, Thanos; 4
Vibert, Frank; 16
Viermetz, Kurt F.; 4
Vollmer, Antje; 3
Vrba, Tomás; 2
Walker, Michael; 7
Wallraff, Arnold; 6, 9
Wegerhoff, Susanne; 14
Weidenfeld, Lord of Chelsea; 11–16
Weinrich, Harald; 13
Weisenhorn, Elisabeth Gertrud; 15
Welzig, Werner; 5
Werner, Kurt; 1
Wertheimer, Stef; 11, 13
Winnacker, Ernst-Ludwig; 17
Wulff, Christian; 6
Yavlinsky, Grigory A.; 3
Zakaria, Fareed; 9
Zeitler, Franziska; 9, 10
85
Hintergrund
Herbert Quandt
Dr. Herbert Quandt (1910 –1982), einer märkischen Unternehmerfamilie entstammend, gehörte zu den markantesten Persönlichkeiten der deutschen Nachkriegswirtschaft. Seinen dezentral organisierten Unternehmen überließ er große Entscheidungsräume, um Eigeninitiative und Innovationsgeist zu stärken. Die Verantwortung des
Unternehmers ging für ihn über das rein Ökonomische hinaus.
Herbert Quandt war der erste Vorstandsvorsitzende der ALTANA AG, die im Jahre
1977 im Wege der Realteilung aus dem VartaKonzern hervorgegangen ist. Die ALTANA AG
ist eine strategische Managementholding.
Die Unternehmensgruppe beschäftigt rund
9500 Mitarbeiter und ist weltweit auf den
Geschäftsfeldern Pharmazeutik und Spezialchemie tätig.
Herbert-Quandt-Stiftung
Aus Anlass des 70. Geburtstages von
Herbert Quandt hat die ALTANA AG im November 1980 zum Dank für die langjährige
Führung der in ihr zusammengeschlossenen
Unternehmen die Herbert-Quandt-Stiftung
errichtet. Diese fördert in Projekten und durch
finanzielle Zuwendungen den nationalen und
internationalen Dialog sowie Wissenschaft,
Forschung und Bildung in Deutschland. Neben den Sinclair-Haus-Gesprächen führt die
Herbert-Quandt-Stiftung das international angelegte Projekt „Trialog der Kulturen“ durch.
In Kooperation mit der Universität Konstanz
wird jährlich der Byk-Preis für drei herausragende Forschungsarbeiten in den Naturwissenschaften vergeben. Neben der Einrichtung von Herbert-Quandt-Förderprogrammen
an den Universitäten Konstanz und Dresden für den internationalen Austausch junger
Wissenschaftler aus Mittel- und Osteuropa leistet die Stiftung Unterstützung bei der Umsetzung von Forschungsprojekten an der Technischen Universität Dresden. Mit der
„Initiative Bürgersinn“ fördert die Herbert-Quandt-Stiftung beispielhafte Vorhaben bürgerschaftlichen Engagements und leistet auch mit eigenen Projekten einen Beitrag zur
Stärkung von Eigeninitiative und selbstverantworteter Solidarität in unserer Gesellschaft.
86
Der Vorstand der Herbert-Quandt-Stiftung setzt sich wie folgt zusammen: Nikolaus
Schweickart (Vorstandsvorsitzender), Wolfgang R. Assmann (Geschäftsführender Vorstand), Dr. Thomas Gauly.
Dem Stiftungsrat gehören an: Hans Graf von der Goltz (Ehrenvorsitzender), Susanne
Klatten (Vorsitzende), Dr. h.c. Michael Klett, Janusz Reiter, Prof. Dr. Hermann Schäfer,
Dr. Frank Schirrmacher, Lord Weidenfeld of Chelsea, Prof. Dr. Ernst-Ludwig Winnacker.
Isaak von Sinclair
Isaak von Sinclair (1775 –1815) war Berater und enger Vertrauter des Landgrafen
von Hessen-Homburg, dessen Interessen
Sinclair u. a. auf dem Wiener Kongress vertrat. Sinclair war aber nicht nur Beamter und
Diplomat, sondern auch Intellektueller und
Poet. Seine idealistische Philosophie und die
seines Freundeskreises, dem Hegel, Schelling
und Hölderlin angehörten, waren von der
geistigen und politischen Auseinandersetzung im Gefolge der Aufklärung und der
Französischen Revolution geprägt.
Sinclair war Hölderlin insbesondere während dessen schwierigen Lebensphasen ein
hilfreicher Freund. Als „edler Freund des
Freundes“ gewährte Sinclair dem Dichter
Zuflucht, finanzierte seinen Lebensunterhalt
und kümmerte sich um den Kranken.
Sinclair-Haus-Gespräche
1978 erwarb die ALTANA AG das Haus, das den Namen Isaak von Sinclairs trägt.
Das dem Bad Homburger Schloss gegenüber gelegene Haus wurde in der Schönheit
seiner ursprünglichen Barockform restauriert. Das Sinclair-Haus ist Sitz des Kulturforums der ALTANA AG und dient der Herbert-Quandt-Stiftung als Tagungsort. Seit
1993 finden hier zweimal im Jahr die Sinclair-Haus-Gespräche statt.
87
Impressum
Herausgeber
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61352 Bad Homburg v. d. Höhe
Tel. +49 (0)61 72 94 41-2 60
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Gestaltung
Gesa Emde
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Darmstadt
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Jan van der Most
Düsseldorf
Fotografie
Mirko Krizanovic
S. 86, 87: Herbert-Quandt-Stiftung
Übersetzung
aus dem Englischen:
Reinhard Kaiser
aus dem Französischen:
Dr. Holger Fliessbach
© Herbert-Quandt-Stiftung
September 2002
ISSN 1438 -7875
ISBN 3-00-009922-0