Steinkohle - Extra Ausgabe Kulturhauptstadt 2010
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Steinkohle - Extra Ausgabe Kulturhauptstadt 2010
Ex tra z urh um -Aus au Jah gab pts e tad r der t2 01 0 Ku lt Steinkohle D A S M I TA R B E I T E R M A G A Z I N D E R R A G A K T I E N G E S E L L S C H A F T Bergbau macht Geschichte Lebendige Historie in Museen und Sammlungen Tradition und Werte Knappenvereine pflegen das Brauchtum Gelebter Alltag Das Ruhr-Revier zwischen Kittel und Kult Kultur Bergbau Die facettenreichen Beiträge einer Werte schaffenden Kraft 01_Titel.indd_002 2 07.12.2009 9:39:50 Uhr In h a lt Steinkohle K u l t u r Ku lt Architektur Geschichte Theater Mode FOTOS: LOOK-FOTO, OLAF ZIEGLER / LICHTBLICK, CLAUDIA DREYSSE, © PRO SIEBEN / OLIVER SCHULZE 2 Ex tra urh zum -Aus au Jah gab pts e tad r der t2 01 0 Steinkohle D A S M I TA R B E I T E R M A G A Z I N D E R R A G A K T I E N G E S E L L S C H A F T Bergbau macht Geschichte Lebendige Historie in Museen und Sammlungen Tradition und Werte Knappenvereine pflegen das Brauchtum Gelebter Alltag Das Ruhr-Revier zwischen Kittel und Kult Kultur Bergbau Die facettenreichen Beiträge einer Werte schaffenden Kraft 01_Titel.indd_002 2 07.12.2009 9:39:50 Uhr Zu dieser Ausgabe Die Zeichen stehen auf Kultur im Ruhrgebiet des Jahres 2010. Eine Kultur, die sich in zahlreichen Veranstaltungen, Ausstellungen, Aktionen, Inszenierungen präsentiert. Schauplätze im Überblick Strukturwandel Kultur – die wuchs im Ruhrgebiet mit sei- Bergbau: Motor der Entwicklung im Revier Seite 3 Die Karte mit allen Highlights dieser Ausgabe Seite 17–20 nem Werden. Die Kultur zwischen Rhein, Ruhr und Lippe verfügt über vielfältige Wurzeln. Unternehmenskultur Fußballstadion Ruhrgebiet Und die gründen zu einem Gutteil im Bergbau. Solidarität und Mitbestimmung sind die Fundamente für ein wegweisendes Miteinander Seite 4 An jedem Wochenende feiern die Fans die untrennbare Einheit von Bergbau, Fußball und dem Revier Seite 22 zeug des Bergmanns, stehen als das Symbol für Industriearchitektur Tradition und Werte die Arbeit unter Tage und einen ganzen Indus- Als Ausdruck ihres Zeitgeistes sind viele Arbeitsstätten des Bergbaus denkmalgeschützt Seite 6 Knappenvereine pflegen bergmännisches Brauchtum – und geben seine Werte weiter Seite 23 Wohnen im Ruhrgebiet Private Sammlungen Bergmannssiedlungen bieten heute Lebensqualität dank Tradition und behutsamer Erneuerung Seite 8 Zahlreiche Privatpersonen und Initiativen bewahren Zeugnisse der Bergbau-Geschichte Seite 24 fenden Kultursinne. Das beginnt bei der Unter- Bergbau macht Geschichte Bergbau als Kunstobjekt nehmenskultur, weitet sich über Industrie- Lebendige Historie im Deutschen Bergbau-Museum und in den Geschichtskreisen der REVAG Seite 10 Kohle inspiriert – immer wieder lassen sich Künstler vom Bergbau und seinen Menschen faszinieren Seite 26 Forschung und Lehre Kultur rund um den Bergbau Wissenschaft rund um den Bergbau erforscht die Vergangenheit und investiert in die Zukunft Seite 12 Der Bergbau und seine Anlagen sind Bühne und Schauplatz für Literatur, Film, Musik und Theater Seite 28 Namensgeber Bergbau Bergbau und Kirche Bergbau ist nicht nur Namenspate für Straßen und Plätze – er prägt auch die Alltagssprache Seite 14 Nicht nur die heilige Barbara steht für die enge Verbindung von Glaube und Arbeitswelt Seite 30 heute nicht zu denken wäre. Dabei geht es um Chöre und Orchester Neues Leben auf alten Flächen fassbare, materielle Dinge ebenso wie ideelle Bergmannschöre und -orchester pflegen das traditionelle Liedgut – und spielen auch Modernes Seite 15 Sieben Beispiele für frühere Bergwerksstandorte, die eine neue Bestimmung gefunden haben Seite 32 schen in dieser Region ausmachen: vom Einste- Route der Industriekultur Gelebter Alltag hen für den anderen bis hin zur Sprache. Diese Über 500 Industriedenkmäler, Landschaftsbauwerke und Veranstaltungsorte locken Besucher Seite 16+21 Brieftauben, Buden, Bergmannskühe: die ganz normale Revier-Kultur zwischen Kittel und Kult Seite 34 Schlägel und Eisen, das ursprüngliche Werk- triezweig. Es war und ist der Bergbau, der oftmals die Basis für technische wie gesellschaftliche Entwicklungen legte und legt. Und das in vielerlei Hinsicht in einem umfassenden und übergrei- und Wohnkultur und reicht bis zu einer Alltagskultur, die ihresgleichen sucht. Die Montanindustrie prägte und prägt das Ruhrgebiet wie kein anderer Industriezweig. Sie gibt ihm ein Gesicht, ein Image. Diese ExtraAusgabe der „Steinkohle” widmet sich dem Facettenreichtum an kulturellen Beiträgen und Entwicklungen, der ohne den Bergbau so bis Werte, etwa die, die das Miteinander der Men- Extra-Ausgabe gibt einen Einblick in die umfassenden Themen, in denen sich der Bergbau mit seiner kulturschaffenden Kraft widerspiegelt. Chefredakteur: Jost Beckebaum, Tel. (023 23) 15-3671 struktur, Plätze zum Arbeiten und Wohnen und einen Gruß, den jedermann versteht: Glück auf! Jost Beckebaum, Chefredakteur 02_Editorial+Inhalt.indd_002 2 TITELILLUSTRATION: PICFOUR Der Bergbau steht für Infra- und Sozial- Impressum Herausgeber: RAG Aktiengesellschaft Verantwortlich: Erich Kometz, Leiter Bereich Interne Kommunikation, RAG Aktiengesellschaft Zentralredaktion: Stefanie Kurkamp, Tel. (02323) 15-3059; Ralf Pahl, Tel. (023 23) 15-40 48; Uwe Reichow, Tel. (023 23) 15-2148; André Walter-Leifeld, Tel. (023 23) 15-22 95; Shamrockring 1, 44623 Herne, Tel. (023 23) 15-3205, Fax (02323) 15-3759, E-Mail: [email protected] Leserservice: Bettina Kopp, Tel. (023 23 ) 15-32 05 Verlag: HOFFMANN UND CAMPE VERLAG GmbH, ein Unternehmen der GANSKE VERLAGSGRUPPE, Harvestehuder Weg 42, 20149 Hamburg, Tel. (040) 441 88-457, Fax (040) 441 88-236 Druck: Neef & Stumme, Wittingen 07.12.2009 10:05:18 Uhr S t r u k t u r wa n del K u l t u r Steinkohle 3 Nichts ist so beständig wie der Wandel Der Steinkohlenbergbau prägt die Entwicklung des Ruhrgebiets maßgeblich – als Gestalter und Teil des Strukturwandels. O 03_Wandel.indd_003 3 Wohnraum zu schaffen, weitere Krankenhäuser und Schulen zu errichten. Zudem mussten die Verantwortlichen Verkehrswege ausbauen sowie die Versorgung mit Wasser und die Entsorgung des Schmutzwassers an die neue Situation anpassen. Bergbau und Stahlindustrie errichteten für ihre Beschäftigten eigene Wohnsiedlungen, förderten Sport und Kultur. Der Bergbau gestaltete den erneuten Strukturwandel, der Anfang der 1960er Jahre begann, maßgeblich mit – und sieht sich auch heute noch in der Verantwortung, Impulse für eine sozial- und umweltverträgliche Entwicklung der Region zu geben. Ebenso wie das Ruhrgebiet modernisierte er sich. So erfolgreich, dass das deutsche Bergbau-Know-how weltweit gefragt ist – von moderner Abbautechnik bis zum Arbeitsschutz. Jährlich bildet die RAG viele Hundert neue junge Menschen zu spezialisierten Facharbeitern aus, die als gefragte Arbeitskräfte problemlos auch in Industriezweigen jenseits der Bergwerkstore zum Einsatz kommen. Nicht zu vergessen: die Entwicklung ehemaliger Zechenareale zu Standorten „Die kulturelle Formkraft des Bergbaus ist einzigartig.” Prof. Dr. Klaus Tenfelde für Kultur, Wirtschaft und Freizeit – wie das Gelände der ehemaligen Zeche Ewald und eine Vielzahl von Halden, die der Natur ein neues Zuhause gaben und Menschen als außergewöhnliche Erholungsorte dienen. Wer heute das Ruhrgebiet von Sonsbeck nach Hamm, von Haltern nach Schwelm durchfährt, sieht eine Region, die sich von der Erwerbsstruktur kaum noch vom übrigen Nordrhein-Westfalen und von Deutschland insgesamt unterscheidet. Viel mehr noch: Das Revier wandelte sich vom reinen „Kohlenpott“ auch zu einer Freizeit- und Kulturregion, die allein im vergangenen Jahr etwa 3,1 Millionen Touristen besuchten. Auf sie warteten rund 200 Museen, 100 Kulturzentren, 100 Konzertsäle, 120 Theater, 3500 Industriedenkmäler und drei große Musicaltheater. Aber auch über 40 Technologie-, Innovations- und Gründerzentren prägen heute das Bild des Reviers. Die Zentralen von zwölf der 100 umsatzstärksten deutschen Konzerne befinden sich hier, sechs Universitäten und neun weitere Hochschulen formen die dichteste Bildungslandschaft Europas. FOTO: KLAUS SANNEMANN b Frühzeit, Mittelalter oder Gegenwart – das Ruhrgebiet wechselte vielfach sein Gesicht. Vom lockeren Siedlungsgebiet germanischer Stämme entwickelte es sich zur Metropole Ruhr, einem modernen europäischen Zentrum für Industrie, Dienstleistung und Kultur mit zurzeit rund 5,3 Millionen Einwohnern. Seit über 150 Jahren einer der kräftigsten Motoren der Entwicklung: der Ruhrbergbau. Heute Arbeitgeber und Ausbilder vieler Tausend Menschen, Exporteur von weltweit gefragtem Know-how und Hightech-Equipment sowie Entwickler von Flächen für Wirtschaft, Freizeit und Kultur. „Der Strukturwandel ist ein Dauerphänomen und begleitet diese Region seit ihren Anfängen.“ Das sagt einer der besten Kenner des Reviers, der Bochumer Professor für Sozialgeschichte Dr. Klaus Tenfelde. Mit der Industrialisierung Mitte des 19. Jahrhunderts erlebte das Ruhrgebiet in den folgenden Jahrzehnten den bis dahin einschneidendsten Strukturwandel. Mit Kohle und Stahl als Triebfeder stieg die Region zunächst zum wichtigsten deutschen Montangebiet und schließlich zur Industrieregion mit weltweiter Bedeutung auf. Die rasant wachsende Kohle- und Stahlindustrie verlangte nach vielen neuen Arbeitskräften. Die Zuwanderer kamen zu Hunderttausenden – aus Schlesien, Pommern, Ostpreußen und Masuren. Die Bevölkerungsstruktur veränderte sich gravierend. Ebenso die Städte selbst, die förmlich explodierten. Zählten sie zu Beginn des 19. Jahrhunderts jeweils gerade einmal zwischen 2000 und 5000 Einwohner, entstanden in der Folgezeit Großstädte. Beispiel Essen: Um 1850 mit rund 9000 Bewohnern ein eher verschlafenes Nest, stieg die Bevölkerungszahl schon zur Jahrhundertwende auf circa 185.000 Menschen an, ehe sie im Jahr 1917 auf 470.000 hochschnellte. Oder Bochum: im Jahr 1800 nur 2200 Bewohner, zur Jahrhundertwende schon 65.000 und 1905 117.000. Der heutige Duisburger Stadtteil Homberg galt ob verwehrter Stadtrechte zu Beginn des 20. Jahrhunderts mit über 100.000 Einwohnern gar als das „größte Dorf Deutschlands“. Insgesamt mehr als drei Millionen Menschen nannten gegen Ende des deutschen Kaiserreichs das Revier ihr Zuhause. Innerhalb nur weniger Generationen formten Kohle und Stahl das einst ländliche Ruhrgebiet zu einer Industriemetropole. Allein auf den Bergwerken arbeiteten 1920 über 470.000 Menschen. Als Folge des Bevölkerungswachstums mussten die Städte ihre Infrastruktur im großen Umfang weiterentwickeln. Es galt beispielsweise, neuen Bildhafter Wandel: Auf dem Gelände des ehemaligen Bergwerks Consolidation in Gelsenkirchen entstand unter anderem ein Einkaufszentrum. 04.12.2009 15:39:32 Uhr 4 U nte rnehmenskultur Steinkohle K u l t u r Solidarität – mehr als ein W Die Kultur des Miteinander prägt den Bergbau seit Jahrhunderten – und mit ihm das Ruhrgebiet. Hier sucht und findet man den A ergbau gründet auf Solidarität. Auf den Verlass, dass der eine für den anderen einsteht. Eine Kultur, die ihresgleichen sucht und zusammenschweißt. Die Verbindung von Bergbau und Solidarität kommt nicht von ungefähr. Die Arbeit unter Tage war gerade in den Anfängen ein harter und besonders gefährlicher Job. Seit Jahrhunderten mussten Kumpel sich aufeinander verlassen können und ihre Familie versorgt wissen – für den Fall, dass dem Brotverdiener etwas zustößt. Zu diesem Zweck entstanden schon früh die ersten BergbauBruderschaften. Erstmals belegt sie eine Goslarer Urkunde von 1260. Sie erwähnt aus- B 04-05_Unternehmenskultur.indd_004 4 drücklich Fürsorge für bedürftige Bergleute. Die Knappschaften, wie sie später hießen, kümmerten sich um die finanzielle Unterstützung von verarmten und invaliden Bergleuten und Hinterbliebenen. Nach und nach kamen weitere Aufgaben hinzu, wie zum Beispiel die medizinische Versorgung. Dabei wuchs Solidarität nicht von sich aus. Das zeigte sich beispielsweise Ende des 19. Jahrhunderts, als Hunderttausende Zuwanderer aus den damaligen deutschen Ostgebieten in die Industriezentren an der Ruhr kamen. Das führte zu starken sozialen Spannungen im Revier, das bis dahin Immigration nur in Maßen kannte. Streiks brachen aus und wurden zum Teil blutig niedergeschlagen. Doch schon 1905 nahm das Verhältnis der zugewanderten und der deutschen Bergarbeiter eine entscheidende Wende: Da streikten sie erstmals Seite an Seite für ihre Rechte. Die gemeinsame Arbeit, das gemeinsame Leben und der gemeinsame Arbeitskampf schweißten damals zusammen, was heute nicht mehr zu trennen ist. Darüber hinaus zeigte sich, wie entscheidend die Organisation der Arbeiter in eigenen Gewerkschaften sein konnte. Die „organisierte Solidarität“ gewann mit der fortschreitenden Industrialisierung zunehmend an Bedeutung. Die gewerkschaft- 04.12.2009 15:39:56 Uhr U n ter n eh men sk u lt u r K u l t u r Steinkohle 5 n Wort en Ausgleich unterschiedlicher Interessen und bewältigt Aufgaben wie den Strukturwandel gemeinsam. liche Organisation und die betriebliche Mitbestimmung im modernen Sinne nahmen ihren Lauf – und erste Gesetze trugen dem Rechnung. Der Bergbau darf für sich in Anspruch nehmen, die Vorreiterrolle bei der Einrichtung von Mitbestimmungsgremien eingenommen zu haben. Gesetzliche Arbeiterausschüsse – Vorläufer der heutigen Betriebsräte – wurden 1900 im bayerischen und 1905 im preußischen Bergbau eingeführt. Die Weimarer Republik schuf 1920 das erste Betriebsrätegesetz, das für Betriebe mit mindestens 20 Beschäftigten galt. Nach der Gründung der Bundesrepublik erreichten Bergleute und Stahlkocher mit dem Mon- FOTOS: REPORTERS / LAIF; OBEN: RAG Solidarität ist keine Einbahnstraße: Bergleute bei einer Opel-Aktion gegen den geplanten Stellenabbau in Bochum. 04-05_Unternehmenskultur.indd_005 5 tan-Mitbestimmungsgesetz von 1951 eine weitere richtungweisende Regelung. Das bis heute in fortgeschriebener Fassung geltende Gesetz schreibt im Aufsichtsrat ein Gleichgewicht zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertretern fest – mit einem zusätzlichen, neutralen Mitglied, dessen Stimme den Ausschlag geben kann. Das erste Betriebsverfassungsgesetz der Bundesrepublik folgte 1952. Heute stellen die Betriebsräte in den Unternehmen wichtige Ansprechpartner der Unternehmensvorstände dar. Sie sorgen dafür, dass die Anliegen der Beschäftigten nicht nur Gehör finden, sondern auch in die Unternehmensführung miteinfließen. Und das nicht nur auf höchster Unternehmensebene, sondern auch in den Betrieben vor Ort. Die Betriebsräte hier fungieren als erste Ansprechpartner bei Sorgen und Fragen, regeln örtliche Belange mit den Werksleitungen. Vor allem in schwierigen Zeiten stand die Mitbestimmung vor harten Bewährungsproben. Der Anpassungsprozess im Bergbau war und ist eine enorme Herausforderung, die auch Opferbereitschaft fordert – von den Mitarbeitern und deren Familien und auch von den von Stilllegungen betroffenen Kommunen. Gerade im Rahmen des Strukturwandels, in dem seit 1968 über 230.000 Stellen abgebaut wurden, war es vor allem der Mitbestimmung bei der RAG zu verdanken, dass dennoch kein Kumpel „ins Bergfreie“ fiel. Um sozialverträgliche und wirtschaftlich tragbare Lösungen rangen Arbeitgeber und Arbeitnehmer in dieser Zeit gemeinsam – nicht selten mit harten Bandagen, aber immer mit Erfolg und stets dem Grundsatz der sozialen Verantwortung verpflichtet. Die Zusammenarbeit von Unternehmen und Gewerkschaft mit Kommunal-, Landesund Bundespolitik gestaltete den tiefgreifenden Strukturwandel sozialverträglich. Das gemeinsame Handeln sorgte dafür, dass der massive Stellenabbau keine schwerwiegenden Brüche in Wirtschaft und Gesellschaft auslöste. Dass Unternehmen wie die RAG weiterhin Berufsausbildung betreiben, um jungen Menschen eine Chance im Revier zu geben, verhinderte grassierende Jugendarbeitslosigkeit und Abwanderung. Insgesamt absolvierten seit Unternehmensgründung über 100.000 junge Menschen eine Ausbildung bei der RAG. Ihren Höhepunkt erreichte die Zahl der Azubis im Jahr 1980, als beim Konzern 5744 neue Auszubildende angelegt wurden. Insgesamt arbeiteten damals 12.878 Berufseinsteiger bei der RAG. Als ein Zeichen der Solidarität stellen Bürgerinnen und Bürger bei Demonstrationen im Winter 1997 aus Kerzen die Konturen eines Fördergerüsts zusammen. Das Motto heißt: mitbestimmen und mitgestalten. Solidarität ist keine Einbahnstraße. Das bewies bereits 1906 die Grubenkatastrophe von Courrières in Nordfrankreich. Obwohl seinerzeit noch „Erzfeinde“, eilten deutsche Bergleute den französischen Kumpeln zu Hilfe: 25 Grubenwehrmänner der Zechen Shamrock (Herne) und Rheinelbe (Gelsenkirchen) halfen auf Initiative des Vereins für bergbauliche Interessen im Oberbergamtsbezirk Dortmund in Courrières bei der Suche nach Überlebenden. Leider vergeblich. Von 1800 Bergleuten kamen rund 1200 ums Leben. So wie der Bergbau Unterstützung aus der Bevölkerung und von anderen Gewerkschaften erhielt, so engagierten sich auch Bergleute bei Kundgebungen und Veranstaltungen, bei denen es um den Erhalt von Arbeitsplätzen und Beschäftigung in anderen Unternehmen ging. Bei der Schließung der Nokia-Fertigung und dem Kampf um die Opel-Arbeitsplätze in Bochum standen sie Schulter an Schulter mit den dortigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Ebenso wie bei Benq in Kamp-Lintfort. Ohne Solidarität für das Ganze hätte das Ruhrgebiet ein ähnliches Schicksal ereilen können wie andere Regionen der Welt, in denen sich der Strukturwandel weg von der Schwerindustrie ohne Rücksicht auf Verluste und von oben vollzog. So führte beispielsweise Mitte der 1980er Jahre der massive Kampf um die Schließung und Privatisierung englischer Bergwerke zu nachhaltigen Strukturbrüchen in den britischen Kohlerevieren. Und auch das amerikanische Pittsburgh brauchte Jahrzehnte, um sich vom Wegbruch der Kohle- und Stahlindustrie zu erholen. Dagegen erhielt das Miteinander im Ruhrgebiet den sozialen Frieden und steht damit für eine Kultur, die auf Weiterentwicklung und auf Zukunft setzt. 04.12.2009 15:40:06 Uhr 6 Industriearchitektur Steinkohle K u l t u r Die Zeche Zollern II/IV im Westen Dortmunds besticht mit ihrer Architektur als eines der schönsten und außergewöhnlichsten Zeugnisse der industriellen Vergangenheit in Deutschland. Wo sich die Arbeit ein Denk m Ob repräsentativ oder funktional: Der Bergbau formt mit seinen Arbeitsstätten eine einzigartige Architektur. ede Zeit lebt ihre eigene Bauweise. Und jede Nutzung baut auf eine Architektur, die ihr besonders entspricht. Das gilt auch für Gebäude, die als Arbeitsstätten dienen – was sich im Ruhrgebiet besonders gut ablesen lässt. Nicht nur, weil sich die Industriedenkmalpflege hier seit Jahrzehnten für den Erhalt von Werkbauten und Industrieanlagen einsetzt. Auch die Menschen im Revier wissen, dass diese Denkmale für eine ganz besondere Geschichte und Kultur stehen: ihre eigene. Sie sind prägender Bestandteil der Städte und der Landschaften und geben der Region Profil und Charakter. Schon Anfang der 1970er Jahre verzeichnete der Landeshaushalt NordrheinWestfalens erstmals Sondermittel für den Erhalt von technik- und wirtschaftsgeschichtlich relevanten Denkmalen. Nach und nach fand ein Umdenken statt: Die entsprechenden Bauten nahm man als bedeutende historische Bestandteile der Städte wahr. Die Stiftung Industriedenkmalpflege und Geschichtskultur in Dortmund trägt dazu entscheidend bei. Mitte der 1990er Jahre vom Land Nordrhein-Westfalen und von der RAG gegründet, ist sie die bundesweit einzige Stiftung im Denkmalschutz, die sich dem Erhalt historischer Industrieanlagen widmet. Dabei geht es nicht allein um die – komplette oder J 06-07_Arbeitsstätten.indd_006 6 Seit 1987 auch als Briefmarkenmotiv berühmt: Zeche Zollern II/IV in Dortmund. teilweise – Sanierung der Gebäude und der technischen Anlagen. Die Erforschung der Denkmäler, das Öffnen der Anlagen für Besucher und die Entwicklung neuer Nutzungsmöglichkeiten gehören gleichermaßen zur Arbeit der Stiftung. Auch ihren eigenen Sitz nahm sie in einem solchen Industriedenkmal: der Kokerei Hansa (uKarte 1 ). Diese denkmalwürdige Anlage in Dortmund bildet die klare, funktionale Architektur der 1920er Jahre ebenso ab wie den damaligen Stand der modernen Kokereitechnik – und blieb als letzte Zentralkokerei dieser Zeit erhalten. Manches Schmuckstück beginnt erst aus einem gewissen Abstand oder einem bestimmten Blickwinkel zu glänzen. Als etwa auf der Zeche Zollern II/IV (uKarte 2 ) in Dortmund Mitte der 1960er Jahre die Förderung endete, sollte die Abrissbirne folgen. Erst der Bericht in einer Fachzeitschrift lenkte die öffentliche Aufmerksamkeit vor allem auf die Maschinenhalle: eine Konstruktion aus Eisenfachwerk im Jugendstil mit einem farbig verglasten Haupteingang. Die Halle steht heute für das erste Industriebauwerk, das in Deutschland unter Denkmalschutz gestellt wurde. Nun präsentiert sich die komplette Anlage restauriert und gehört ebenfalls zum Westfälischen Industriemuseum. Von Licht durchflutet zeigt sich die alte Lohnhalle des Bergwerks Walsum (uKarte 3 ), wo die Arbeiter an den Schaltern ihren Lohn in Empfang nahmen – und draußen dann von ihren Ehefrauen erwartet wurden. Die farbigen Glasfenster an der Kopfseite der imposanten Halle fassen auf 3,50 mal 3,50 Metern Motive aus dem bergmännischen Leben und Alltag zusammen. Auch wenn die Lohnhalle nicht erhalten bleibt – das Triptychon von Prof. Dr. Egbert Lammers wird restauriert und dann an einem anderen Ort seinen Platz finden. Alt und Neu wachsen zusammen Auch das Bergwerk Lohberg (uKarte 4 ) in Dinslaken bleibt nach seiner Stilllegung Ende 2005 nicht komplett erhalten. Manche der Gründerzeitbauten werden denkmalgeschützt, neuere Über-Tage-Bauten weichen anderen Nutzungen. Parallel zum Beginn der Abbrucharbeiten lief 2007 ein Architekturwettbewerb zur zukünftigen Nutzung des Zechengeländes. Es gewann der Entwurf eines Dortmunder Büros, der den Weiterbau des Stadtteils Alt-Lohberg auf dem Areal der Zeche vorsieht: So können das Alte und das Neue, das Historische und das Gegenwärtige zusammenwachsen. 04.12.2009 15:40:45 Uhr Industriearchitektur K u l t u r Steinkohle 7 Klare Linienführung in der Lohnhalle des ehemaligen Bergwerks Walsum. k mal setzt 06-07_Arbeitsstätten.indd_007 7 ten oder der Chinesischen Mauer auf einer Stufe. Zollverein Schacht XII (uKarte 6 ) verwirklichte schon als Zeche ein völlig neues Betriebskonzept im Stil der Moderne. Die Architektur diente, anders als bei Zollern II/IV, nicht als repräsentativer Ausdruck wirtschaftlicher Stärke, sondern als streng funktionale Hülle für die Maschinen und die Arbeitsabläufe. Daher passt es, wenn hier heute unter anderem kreative Unternehmen arbeiten, die sich ebenfalls mit innovativen Konzepten befassen: Wo früher täglich 12.000 Tonnen Kohle gefördert und zu Koks veredelt wurden, finden heute Kultur und Design ein Zuhause. So beherbergt das red dot design museum im ehemaligen Kesselhaus die weltweit größte Ausstellung zeitgenössischen Designs. Auch der Kunstschacht Zollverein, das Erlebnismuseum Phänomania und groß angelegte Kunstinstallationen wie „La Primavera“ von Maria Nordman oder „Palast der Projekte“ von Ilya und Emilia Kabakov wissen die beeindruckende Industriearchitektur für ihre Zwecke zu nutzen. Und neue Gebäude wie das der Zollverein School am Rand des Geländes nehmen die architektonische Formensprache auf und interpretieren sie zugleich neu – vielleicht dereinst denkmalwürdig für zukünftige Generationen. Weitere Informationen Stiftung Industriedenkmalpflege www.industriedenkmal-stiftung.de Kokerei Hansa www.kokereihansa.de Zeche Zollern II/IV www.zeche-zollern.de Zeche Fürst Leopold www.zechedorsten.de Zollverein Schacht XII www.zollverein.de FOTOS: © RUHR TOURISMUS / JOCHEN SCHLUTIUS; OBEN: LOOK-FOTO, WILFRIED KLEFF Ein vollständig erhaltenes Beispiel für die Fördertechnik des frühen 20. Jahrhunderts findet man auf dem Gelände des Bergwerks Fürst Leopold (uKarte 5 ) in Dorsten, wo die Förderung 2001 endete. Das Fördergerüst über Schacht 2 dokumentiert die damalige Entwicklung der Seilstützkonstruktionen besonders anschaulich. Im Fördermaschinengebäude befinden sich außerdem zwei denkmalgeschützte Maschinen, die seinerzeit noch Dampf antrieb. Zu dem Verwaltungs- und Kauengebäude, das aus mehreren Bauteilen besteht, gehört eine dreigeschossige Lohnhalle mit zwei umlaufenden Galerien und Oberlicht. Nachdem auf dem Bergwerk schon ab und zu Kulturveranstaltungen stattfanden, sehen aktuelle Planungen vor, dass Kulturschaffende und Kreative dauerhaft hierherziehen und die historische Substanz mit einem neuen Herzschlag erfüllen. Eine solche Entwicklung vollzog sich auf Zollverein Schacht XII in Essen bereits. Die bei ihrer Entstehung um 1930 weltgrößte und modernste Schachtanlage galt bis zu ihrer Stilllegung 1986 auch als „schönste Zeche der Welt“. Zeche und Kokerei stehen heute vollständig saniert unter Denkmalschutz. Seit 2001 zählt Zollverein zum Weltkulturerbe der Vereinten Nationen, steht also beispielsweise mit den Denkmälern von Abu Simbel in Ägyp- Weltkulturerbe der Vereinten Nationen: Zollverein Schacht XII in Essen. 04.12.2009 15:41:11 Uhr 8 Woh nen im Ruhrgebiet Steinkohle K u l t u r Hier lässt sichs leben Bergarbeitersiedlungen sind etwas Besonderes: einst vorbildlich, zwischenzeitlich verpönt, heute äußerst beliebt. S 08-09_Zechensiedlungen.indd_008 8 Das Ruhrgebiet ist ein aktiver Wohn-Raum. des Bergarbeiterwohnungsbaus orientierten sich an gewachsenen Strukturen. Was dabei entstand, kann sich rundum sehen lassen. Das Ruhrgebiet ist ein aktiver „Wohn-Raum“. Der Bergbau leistete und leistet seinen Beitrag dazu. So glänzt beispielsweise in Moers-Meerbeck eine der größten Zechensiedlungen (uKarte 8 ) des Reviers. Die Bergwerksgesellschaft Rheinpreussen errichtete hier in den Jahren 1904 bis 1913 über 600 Häuser für zwei bis sechs Familien, alle mit separaten Hauseingängen für jede Wohnung und großzügigen Mietergärten. Die Sanierung der Siedlung begann 1988: Wohnungen wurden vergrößert, Dächer neu gedeckt, Fassaden wärmeisoliert und stilgerecht saniert, Elektro- und Sanitärinstallationen neu eingebaut, isolierverglaste Fenster eingesetzt, die Wohnungen an das Fernwärmenetz angeschlossen. Bereits 1990 bezogen die ersten rund 450 Mieter ihre voll modernisierten Wohnungen neu. Die Komplettsanierung endete 1995. Als Projekt mit höchster Priorität wurde die Gelsenkirchener Siedlung Schüngelberg (uKarte 9 ) in die Internationale Bauausstellung (IBA) Emscher Park aufgenommen. Die Anfang der 1990er Jahre gefundene Modernisierungslösung für Wohnungen und deren Umfeld möbelte das Areal samt der nahe gelegenen Halde Rungenberg vollständig auf. Die traditionellen Außenfassaden der rund 300 Wohnungen erhielten ein modernes Innenleben. Bauträgerin war die Treuhandstelle für Bergmannswohnstätten im rheinisch-westfälischen Steinkohlenbezirk (THS), die die in den Jahren 1897 bis 1916 gebauten Siedlungswohnungen 1981 erwarb. Darin liegt Tradition. Die 1920 gegründete THS, paritätisch mit Arbeitnehmern und Arbeitgebern besetzt, ging daran, zeitgemäße neue Wohnungen nach wissenschaftlichen Standards zu bauen. Das Unternehmen zählt zu den großen Wohnungsbestandshaltern und Quartiersentwicklern in Deutschland mit einem Bestand von aktuell rund 70.000 Wohnungen an Rhein und Ruhr. Und noch immer zählt die gesellschaftliche Verantwortung zu ihren Grundwerten. Dauerhafter Schutz der Bergarbeiterwohnungen gehört zu den Aufgaben der 1981 gegründeten Gesellschaft zur Sicherung von Bergmannswohnungen (GSB). Gemeinsam von RAG, der damaligen IG Bergbau und Energie und nordrhein-westfälischer Landesregierung ins Leben gerufen, wirkte sie erfolgreich Bestrebungen entgegen, Bergarbeiterwohnungen unkontrolliert auf dem Markt zu veräußern, sie abzureißen oder in Wohneigentum für Dritte umzuwandeln. Dazu verknüpfte sie RAG, die RAG-Wohnungsgesellschaften und bergbauverbundene Wohnungsunternehmen vertraglich miteinander mit dem Ziel, den sozialen Frieden in den Bergarbeitersiedlungen zu erhalten. Wer heute die neuen alten Bergarbeitersiedlungen durchstreift, spürt von alledem nichts mehr. Es dominieren gepflegte Resorts von fast idyllischem Zuschnitt. Was den Bombenkrieg, die Neuordnungswut und die Spekulationsbegehren der 1970er Jahre überstand, präsentiert sich als begehrte, moderne Wohnform. Nur schwer lassen die aktuellen Grundrisse das anfängliche Lebensgefühl nachempfinden. Es war bis weit nach 1900 immer ein Leben unter schwierigen Bedingungen, erleichtert durch Nutzgarten und ein wenig Tierhaltung. Bergbau, bergbauverbundene Wohnungsunternehmen, Wohnungsausschüsse der Mitbestimmung, Kommunen und Landesregierung arbeiteten bei zahlreichen Siedlungsprojekten im Revier Hand in Hand. Ohne die Abstimmung untereinander hätten sich derartig große Projekte nicht bewältigen lassen, blieben die Bergarbeitersiedlungen nicht ihrer Tradition Stein um Stein treu. Und noch eines überdauerte quicklebendig gut 150 Jahre Bergarbeitersiedlung: die Identifikation der Bewohner mit ihren Häusern. Fakten und Empfehlungen Drei Fakten zu Zechensiedlungen u Im heutigen Oberhausen entstand 1846 die erste Arbeitersiedlung im Ruhrgebiet. u Um 1900 wohnte im Revier jede fünfte Bergmannsfamilie in einer Bergarbeitersiedlung. u Die Wohnungen dort waren günstiger als auf dem freien Markt – und geräumiger. Sechs Siedlungen, die sich lohnen u Siedlung Eisenheim, Oberhausen (uKarte 10 ) – die älteste u Kolonie Meerbeck, Moers (uKarte 8 ) – ab 1904 in offener Bauweise und oft individuellem Stil u Alt-Siedlung Friedrich Heinrich, Kamp-Lintfort (uKarte 11 ) – eine der größten, viele Bauphasen u Siedlung Dahlhauser Heide, Bochum-Hordel (uKarte 12 ) – „Kappeskolonie” mit fachwerkähnlicher Fassadengestaltung u Siedlung Teutoburgia, Herne-Börnig (uKarte 13 ) – im Gartenstadtstil, liebevoll restauriert u Siedlung „Alte Kolonie”, Lünen-Brambauer (uKarte 14 ) – kein Haus wie das andere, mittendrin: Bergarbeiter-Wohnmuseum FOTOS: CARO / OBERHAEUSER, DAS FOTOARCHIV; RECHTS: VISUM (2) tein auf Stein auf Stein: Der Bergarbeiterwohnungsbau verfügt mit seiner Tradition über ein starkes Fundament. Was mit Fachwerkbauten im bäuerlich geprägten Ruhrtal begann, sich zum Ende des 19. Jahrhunderts in rasanter Geschwindigkeit entwickelte, Millionen angeworbenen Arbeitskräften eine erste und dauerhafte Heimat schuf, stellt sich heute mit Bravour den Anforderungen der Gegenwart. Die Anfänge liegen bei den aufstrebenden Hütten und Zechen. Sie mussten etwas unternehmen, wollten sie die dringend benötigten Arbeiter im Ruhrgebiet unterbringen. Es galt, sehr schnell für sehr viele Menschen preisgünstige Unterkünfte zu schaffen. Gleichzeitig mauserten sich Werkswohnungen für die Zechen zu einem Vorteil im Wettbewerb um fähige Mitarbeiter. Bei den zweigeschossigen Häusern der ersten Siedlungen gingen noch alle vier Familien durch dieselbe Haustür. Je zwei Wohnungen lagen auf einem Flur, Keller und Dachgeschoss nutzten alle Bewohner gemeinsam. Diese Enge erschwere „die Auswahl der Familien, die daselbst friedlich zusammenleben können“, berichtete die Bergbaugesellschaft Concordia aus Oberhausen 1874 an das Oberbergamt Dortmund. Abhilfe bot das Vierfamilienhaus im Kreuzgrundriss: Jede Wohnung verfügte nun über ihren eigenen Zugang. Das war vorbildlich, wie 1890 ein Autor der „Deutschen Bauzeitung“ fand, der diese Zechensiedlungen mit Berliner Mietskasernen verglich. Bergarbeitersiedlungen spiegelten aber auch die Stellung ihrer Bewohner im jeweiligen Unternehmen wider. Die Steiger etwa wohnten für sich in verputzten Häusern, da man Backstein mit Arbeiterhäusern gleichsetzte. In England bereitete sich derweil mit den „Gartenstädten“ schon eine weitere Entwicklung vor. Damit wollte man ein Dorf für das Industriezeitalter schaffen. Lockere Bebauung, Nutzgarten und Parkgrün kennzeichneten diese Reformidee. Im Ruhrrevier inspirierte das Konzept die Kolonie Margarethenhöhe (uKarte 7 ) im Essener Westen, gebaut von Krupp für 16.000 Bewohner – ein herausragendes Beispiel, das schon Zeitgenossen als „malerisch“ empfanden. Gewachsene Siedlungsstrukturen der Vergangenheit, in den 1960er und 1970er Jahren verpönt, stehen heute hoch im Kurs. Ab Mitte der 1980er Jahre erlebten die alten Bergarbeitersiedlungen ihre Wiederanerkennung: „Hier lässt sichs leben“, erkannten Mieter, Eigentümer und Städteplaner. Ohne gründliche Sanierung der Bausubstanz vom Keller bis zum Dach ging das nicht. Und auch die Neubauprogramme 04.12.2009 15:42:25 Uhr K u l t u r Steinkohle Z ech en siedlu n gen 9 Teutoburgia Aliquam dolorem endipsustrud tem vero con vullut non henim Fassaden der Siedlung Margarethenhöhe in Essen (oben). Der Rasen gepflegt, die Wäsche sauber auf der Leine: Idylle in der Zechensiedlung Dortmund-Lindenhorst. 08-09_Zechensiedlungen.indd_009 9 04.12.2009 15:43:02 Uhr 1 0 Be rg bau macht Geschichte FOTO: OLAF ZIEGLER / LICHTBLICK Steinkohle K u l t u r Das Geleucht des Bergmanns: Das Deutsche Bergbau-Museum in Bochum stellt die Vielfalt vor. Geschichte anschaulich erleben Mit jährlich 400.000 Besuchern zählt das Deutsche Bergbau-Museum in Bochum zu den meistbesuchten Museen in Deutschland. eit schweift der Blick übers Revier. Wer die Aussichtsplattform in 62 Meter Höhe erreicht, genießt ein großartiges Panorama. Dort oben auf dem Förderturm, der heute das Deutsche Bergbau-Museum (uKarte 15 ) in Bochum krönt, zeigt sich der Strukturwandel ganz plastisch: Eine neue Landschaft entstand, saftiges Grün dominiert den Eindruck. Unter dem Turm, der 1944 auf der Zeche Germania in Dortmund-Marten errichtet und 1973/74 in Bochum neu aufgebaut wurde, geben sich heute Brautpaare das Jawort: Die „Steigerstube“ unter Tage zählt zu den offiziellen Trauzimmern des Standesamts Bochum. 400.000 Besucher zählt das Deutsche Bergbau-Museum – das größte seiner Art weltweit – pro Jahr, damit gehört es zu den meistbesuchten Museen in Deutschland. Seinen Gästen aller Altersstufen bietet es veritable Abenteuer: In 20 Meter Tiefe lockt ein „echtes“ Bergwerk mit zweieinhalb Kilometer langen Strecken und Streben zur Besichtigung. Wie haben sich die Bergleute gefühlt, wenn sie sich auf den Weg machten zu ihrem Arbeitsplatz unter Tage? Und noch wichtiger: Wie erlebten sie nach der täglichen Arbeit in einer Welt tief unter der Erde die Rückkehr ans Tageslicht? Im Anschauungsbergwerk kommt die Arbeit W 10-11_Bergbau Geschichte.indd_0110 10 unter Tage zum Anfassen nah: Von der Förderanlage über die Sicherheitstechnik bis hin zu einem Modell des letzten Grubenpferds Tobias wird hier der frühere Alltag unter Tage nachvollziehbar. Dem gegenübergestellt: die Hightech-Maschinen des modernen Steinkohlenbergbaus wie Streckenvortriebsmaschine, Doppelwalzenlader und Ausbauschilde. Letztere können die Besucher sogar in Aktion erleben. Illustrierte Zeitreise Auf einer weitläufigen Ausstellungsfläche von 12.000 Quadratmetern lebt auch über Tage die Historie des Bergbaus auf. Die anschaulich illustrierte Zeitreise führt von der Vorgeschichte bis zur Gegenwart, von der Erzgewinnung der Bronzezeit bis zur modernen Montanindustrie. Wegmarken bilden neben vielen anderen ein sieben Tonnen schwerer Stamm aus den Steinkohlenschichten bei Osnabrück – mit einer Höhe von zweieinhalb Metern und einem Stammumfang von fünf Metern eines der größten Relikte aus der Karbonzeit. Eine dampfgetriebene, 18 Tonnen schwere Brikettpresse aus dem Jahr 1901 – erst 1985 außer Dienst gestellt – vermittelt einen Eindruck von den brachialen Kräften, die bei der Stein- und Braunkohlegewinnung und -verarbeitung allgegenwärtig sind. Einige der Maschinenkolosse mussten im Untergeschoss des Museums ihren Platz finden, da Größe und Gewicht die tragenden Strukturen des Gebäudes überfordert hätten. Doch das Deutsche Bergbau-Museum bietet nicht nur einen spektakulären Schauplatz für Dauer- und Sonderausstellungen, sondern zählt zugleich zu den renommierten Forschungsinstituten für Montangeschichte. Forschungsschwerpunkte der Wissenschaftler bilden die Geschichte und Technik des Montanwesens sowie das Kulturgut-Management. Dazu zählen Dokumentation sowie Schutz und Erhaltung von Kulturgut vor allem der Montanwirtschaft (siehe auch Seite 13). Eines von fünf Besucherzentren Auch für das Deutsche Bergbau-Museum wird 2010 ein mit Spannung erwartetes Jahr: Rechtzeitig zum Kulturhauptstadt-Jahr wurde der „Schwarze Diamant“ als Erweiterungsbau mit 860 Quadratmetern für Sonderausstellungen eröffnet. Daneben fungiert das Museum als größtes von fünf geplanten Besucherzentren der Kulturhauptstadt – ein attraktiver touristischer Ausgangspunkt für Ausflüge und Entdeckungstouren in der vielseitigen Bochumer Region. 04.12.2009 15:44:02 Uhr Bergba u ma c h t G esch ic h te 1 1 K u l t u r Steinkohle Engagement für die Kulturarbeit Die REVAG setzt sich seit über 60 Jahren für die Bergmannsbetreuung ein. I 10-11_Bergbau Geschichte.indd_0111 11 Auch im kulturellen Bereich fördert die REVAG vier Themenkreise besonders: die Geschichtskreise im Ruhrgebiet, Literaten und Literatur, Musikensembles mit zahlreichen Bergmannschören, -orchestern und -kapellen und die bildende Kunst – jeweils betrachtet im Kontinuum von Vergangenheit, Gegenwart bis in die lebendige Zukunft eines in Europa einzigartigen und facettenreichen Kulturraums. Umfassende Informationen über Angebote und Aktivitäten der REVAG bietet deren Website www.revag.de. Weiterführende Informationen und Details zu den kulturellen Themenschwerpunkten Geschichte und Musik finden sich unter www.geschichtskreise.de und www.bergmannschoere.de. Kreative Foren der Erinnerung: die Geschichtskreise „Soll die Zukunft nicht zu einer geschichtslosen Gegenwart werden, gilt es, die Vergangenheit zu erforschen, zu bewahren und zu vermitteln“, heißt es im Jahresbericht der REVAG 2005. Besser lässt sich auch die inhaltliche Arbeit der Geschichtskreise ehemaliger Hauer, Steiger und Bergwerksdirektoren nicht zusammenfassen. Ihr Anliegen besteht darin, in einer Ära des strukturellen Wandels die Tradition einer einzigartigen und historisch besonders bedeutsamen Arbeitswelt in Deutschland erlebbar zu machen – und ihr Erbe zu bewahren. Die Arbeit der Geschichtskreise gestaltet sich vielseitig. Nicht zuletzt haben sie eine soziale Funktion: Sie sind Stadtteiltreffpunkte für Bergleute, die den Kontakt auch nach der Schließung ihrer Zeche aufrechterhalten wollen. Gleichzeitig stellen sie Foren der Geschichtsarbeit dar. Die Mitglieder sammeln Bilder, Dokumente, Exponate und Lebensgeschichten – etwa als ausführliche Interviews zur Geschichte ihrer Zechen. Aus persönlich Erlebtem erarbeiten sie Publikationen und Ausstellungen, die nicht selten auf großes überregionales Echo stoßen. So war das Buch „Unsere Zeche König Ludwig. Wiege der Ruhrfestspiele und mehr…“ des Geschichtskreises „König Ludwig“, veröffentlicht Ende 2005, der WAZ eine euphorische Rezension wert: „…für Insider und Unkundige stellenweise so spannend wie ein Krimi“. „Unsere Zeche König Ludwig. Wiege der Ruhrfestspiele und mehr…”, herausgegeben vom Geschichtskreis König Ludwig, Regio Verlag, 212 Seiten, 24,80 Euro. Mehr Informationen über Arbeit und Projekte der Geschichtskreise unter www.geschichtskreise.de. Auf Tour für das Ehrenamt: der damalige NRWMinisterpräsident Peer Steinbrück 2004 zu Gast im REVAG-Treffpunkt Konradplatz in Lünen. FOTO: RAG m Werdegang der REVAG spiegeln sich die sozialen, kulturellen und ökonomischen Veränderungen der Region. Hinter der Revierarbeitsgemeinschaft für kulturelle Bergmannsbetreuung e.V. verbirgt sich handfestes, praktisches Engagement mit einer über 60-jährigen Geschichte. Bis ins Jahr 1948 reicht die Kulturarbeit der REVAG im Bergbau zurück. Gegründet zunächst als Fachstelle für die kulturelle Betreuung der Bergarbeiter, leistete sie auf diesem Gebiet echte Pionierarbeit. In einer Zeit, da der Steinkohlenbedarf für den Wiederaufbau sprunghaft wuchs, begann auch ein weiterer gewaltiger Zustrom Arbeitssuchender ins Revier. Menschen aus dem In- und Ausland lebten in Massenquartieren, wo für Sozialbetreuung zunächst kein Platz blieb. Nicht nur die Vermittlung von Wissen und Bildung sowie Angebote zur Freizeitgestaltung, sondern vor allem die Auflösung ihrer Isolation war gefragt: Die Migranten sollten sich einleben im Revier. Die Gründung der REVAG stellte in diesem Sinn die erste Maßnahme zur Integration dar. Seit dem Jahr 1972 kooperiert die REVAG mit der RAG – eine Zusammenarbeit mit gegenseitigem Nutzen. Vielfältige weitere Partnerschaften kamen im Lauf der Jahre hinzu, unter anderem mit Wohnungsgesellschaften, Sportbünden, Jugendhilfen und der Arbeiterwohlfahrt: „Es ist sinnvoll, wenn wir in den Bergarbeitersiedlungen nicht nur das Bildungs- und Freizeitinteresse der dort lebenden Menschen abdecken, sondern uns auch gleichermaßen in der Sozialarbeit engagieren“, sagt REVAG-Geschäftsführer Theo Köster. Im Mittelpunkt steht dabei heute das Engagement für Bergarbeiterfamilien mit Migrationshintergrund, für Ruheständler, Kinder und Jugendliche. Seit einigen Jahren liegt ein besonderes Augenmerk auf der Beratung einer Zielgruppe, die der Strukturwandel der Region besonders betrifft: die kurz vor der Abkehr stehenden Bergbau-Mitarbeiter. Mit ihrem Ende 2004 gegründeten Bildungswerk bietet die REVAG heute auch staatlich anerkannte Weiterbildungsmaßnahmen, für die Arbeitnehmer ganz regulär Bildungsurlaub beantragen können. Der Vierklang „Betreuung, Beratung, Bildung und Bewegung“ bildet die Basis für die aktuellen Kursangebote an 15 REVAG-„Treffpunkten“ im Dreieck zwischen Moers, Ahlen und Hamm. Im REVAG-Konzept einer „Siedlungsarbeit“, die sich am Wohngebiet der Kursteilnehmer orientiert, bilden sie kommunikative Zentren des Austauschs. Und durch die Bindung an den Wohnbereich können auch weniger mobile Bürger von den Angeboten profitieren. 04.12.2009 15:44:13 Uhr 1 2 For s chung und Lehre Steinkohle K u l t u r G F A FOTOS: RAG (2), TECHNISCHE FACHHOCHSCHULE GEORG AGRICOLA / VOLKER WICIOK Die jährliche Vergabe des RAGForschungspreises dokumentiert öffentlich die Innovationskraft des Unternehmens und das Engagement ihrer Mitarbeiter. 2008 kommunizierte Preisträger Uwe Polley vom Ort der Preisübergabe mit einem Mitarbeiter an einem Unter-Tage-Betriebspunkt. Wo Theorie und Praxis ver s Forschung und Bildung drücken dem Ruhrgebiet ihren Qualitätsstempel auf: Die Verbindung von Theorie und Praxis sowie die Er igentlich hieß er Georg Bauer. Doch da sein epochemachendes Buch „Vom Bergwerck“ 1556 zuerst auf Lateinisch („De re metallica“) erschien, übersetzte der Arzt und Mineraloge seinen Namen ebenfalls in diese Sprache: Georgius Agricola. Nach ihm benannt ist auch heute noch die Technische Fachhochschule ( u Karte 16 ) in Bochum, in deren Zentrum die angewandte Wissenschaft steht. „Mit soliden Ausbildungskonzepten und praxisnahen Inhalten schaffen wir eine Grundlage für berufliche Perspektiven“, so fasst ihr Präsident Prof. Dr. Jürgen Kretschmann das Konzept bündig zusammen. Vor fast 200 Jahren wurde sie 1816 als „Bochumer Bergschule“ gegründet und entwickelte sich seitdem stetig entsprechend den wechselnden Herausforderungen. So stehen heute nach wie vor Geoingenieurwesen und Bergbau auf dem Lehrplan. Den „Bachelor of Engineering“ im Fach „Steine und Erden“ bietet Georg Agricola als einzige Fachhochschule Deutschlands an. Diese klassischen Fächer ergänzen heute Vermessungs- und Liegenschaftsmanagement ebenso wie Maschinen- und Verfahrenstechnik und vor allem Elektro- und Informationstechnik. Mit diesem Programm setzte die älteste Ingenieurschule in Nordrhein-Westfalen „maßgebliche Impulse im Strukturwandel“ E FOTOS: PICTURE ALLIANCE, PRIVAT Georgius Agricola Prof. Dr. Klaus Tenfelde 12-13_Forschung und Lehre.indd_012 12 des Ruhrgebiets, so Dr. Ottilie Scholz, Oberbürgermeisterin der Stadt Bochum. Träger der „Georg Agricola“ ist seit 1990 die DMT – Gesellschaft für Lehre und Bildung mbH. Die TFH Agricola ist eine private, staatliche anerkannte Fachhochschule mit Besonderheiten nicht nur im Fächerangebot: „Mehr als 70 Prozent unserer Studierenden stammen aus hochschulfernen Elternhäusern“, sagt Prof. Kretschmann, „das heißt, weder Vater noch Mutter hat an einer Hochschule studiert.“ Ein ermutigend hoher Anteil – an anderen deutschen Fachhochschulen beträgt die Zahl nur rund 53 Prozent. Zahlreiche Kooperationen mit Großunternehmen wie RAG und RWE, aber auch Mittelständlern helfen Studierenden und Hochschule. Außerdem legt die Fachhochschule großen Wert auf das „Duale Studium“, eine Kombination aus Lernen und Arbeiten. Zudem nehmen die Anfangszeiten der Veranstaltungen vielfach Rücksicht auf Studierende, die tagsüber arbeiten und erst nach Feierabend die Seminare besuchen. Und schon 2007 begannen die Vorbereitungen für „E-Learning“, bei dem das Internet mehr als nur den Hörsaal ersetzt. Geforscht aber wird auch in den Unternehmen selbst. So zeichnet die RAG mit ihrem „Forschungspreis“ seit 2002 alljährlich herausragende technische Entwicklungen ihrer Mitar- beiter aus, die den Ruf des deutschen Steinkohlenbergbaus als weltweit führend in Technologie und Sicherheit weiterentwickeln. Kooperationen für mehr Bildung 2009 ging die begehrte Auszeichnung an Klaus Thyrock, Bereichsleiter Bergtechnik und Gesamtprojektleiter bei der RAG, seine Mitarbeiter Frank Kotke und Hans-Joachim Kubik sowie Uwe Kropf, Abteilungsleiter auf dem Bergwerk Auguste Victoria, und Bernhard Hackelbörger, Leiter Konstruktion Elektronik bei der Firma Eickhoff. In Zusammenarbeit mit der Firma Eickhoff Bergbautechnik in Bochum entwickelten sie für eine Abbaumaschine, den Walzenschrämlader SL750 mit einem Gewicht von über 70 Tonnen und einer Leistung von 1600 Kilowatt, ein System, das das Wissen und die Sinne eines Maschinenfahrers in intelligente Technik transferiert. So erkennt die Maschine zum Beispiel durch Radar und Video selbstständig Hindernisse und die Grenzschichten zwischen Kohle und Gestein. Dies ermöglicht einen effizienten und materialschonenden Abbau von Steinkohle unter Tage. Die Preisübergabe des RAG-Forschungspreises war von Anfang an ein Pflichttermin für die Spitzen von Forschung, Politik und Gesellschaft in Nordrhein-Westfalen. Sie dokumentieren somit auch öffentlich die Innovations- 04.12.2009 15:44:54 Uhr Fo r sc h u n g u n d Leh re 1 3 K u l t u r Steinkohle Forschungspreis der RAG Aktiengesellschaft Gebäude der Technischen Fachhochschule Georg Agricola zu Bochum. Die Preisträger und ihre Projekte 2002 Dr. Nikolaos Polysos: geotechnisches Bewertungssystem für Gesteinsschichten. Hans-Georg Maier: Planungs- und Steuerungssystem „PluSS” für die umfassende und effiziente Abwicklung des Flächenrecyclings und vergleichbarer Großprojekte. 2003 Uwe Barabasch: Antriebssystem für Kohleförderer zur Produktivitätssteigerung und Die Preisträger 2009 (von links): damit verbundener Kostensenkung. Frank Kotke, Hans-Joachim 2004 Peter Vosen: Entwicklung einer kostengünsKubik, Klaus Thyrock, Uwe Kropf tigen und zeitnahen Erfassungs- und Analyseund Bernhard Hackelbörger. methode der Fernerkundung für das Schutzgut „Vegetation” im Rahmen des MINEO-Projekts. 2005 Manfred Bittner und Hans-Jürgen Weiß: Entwicklung einer Hobeltechnik, mit der eine deutliche Steigerung der Förderung bei halbiertem Aufwand für Wartung und Instandhaltung und zwei- bis dreifacher Lebensdauer der Anlage erreicht wird. 2006 Klaus Opolony und Dr. Holger Witthaus: Entwicklung der weltweit wohl umfangreichsten Datenbank über den Streckenausbau unter Tage. 2007 Uwe Müller: entscheidende Mitarbeit an der Entwicklung eines vollautomatischen Transportsystems. Dr. Walter Hermülheim: Entwicklung einer computergestützten Datenbank zum Grubenrettungswesen. 2008 Uwe Pollei: Kommunikationssystem für die computergestützte Übermittlung von Sprache, Bild und Daten unter Tage. 2009 Klaus Thyrock, Hans-Joachim Kubik, Frank Kotke, Uwe Kropf und Bernhard Hackelbörger: Entwicklung eines Systems zur selbstständigen Erkennung von Hindernissen und Grenzschichten zwischen Kohle und Gestein für den Eickhoff-Walzenschrämlader SL750. r schmelzen ie Erforschung der Lebens- und Arbeitsbedingungen ganzer Generationen ist beispielhaft. kraft des Unternehmens und das Engagement seiner Mitarbeiter, die Projekte mit zugleich wirtschaftlichem Nutzen und Umsetzungspotenzial entwickeln (vollständige Liste der Preisträger und Projekte siehe Kasten). Innovative Zukunft hat Wurzeln, die das „Haus der Geschichte des Ruhrgebiets“ (uKarte 17 ) erforscht. Es ist partnerschaftlich der Ruhr-Universität Bochum verbunden, bildet das Dach für die Bibliothek des Ruhrgebietes (BDR) und das Institut für soziale Bewegungen (ISB). Etwa 500.000 Bücher umfasst die Bibliothek, die auf drei spezialisierte Sammlungen aufbaut: die Bergbau-Bücherei Essen, die Bibliothek des Instituts für soziale Bewegungen und die der vormaligen IG Bergbau und Energie. „Damit können wir die Geschichte der Industrialisierung des Ruhrgebiets aus Arbeitgeberund Arbeitnehmerseite sowie vom theoretischen Überbau her darstellen“, sagt Klara Prinz, die Leiterin der Bibliothek, die jährlich fast 30.000 Ausleihen zählt. Die Geschichte der Menschen Das älteste Werk stammt passenderweise von Georg Agricola und ist eine wertvolle Erstausgabe aus dem Jahre 1556. Eine stetig wachsende Zahl von schon jetzt etwa 5000 Nachlässen und viel sogenannte „graue Literatur“, die nie im Buchhandel erschien und zu der beispielsweise 12-13_Forschung und Lehre.indd_013 13 alte handgeschriebene Bergordnungen zählen, ergänzt die Sammlungen. Der Erforschung des Ruhrgebiets widmet sich Prof. Dr. Klaus Tenfelde mit seinem ganzen Engagement. Nach seiner Lehre bei den Bergwerken Essen-Rossenray arbeitete der Sohn eines Tiefbauarbeiters als Bergknappe, bevor er 1967 im Alter von 23 Jahren auf dem zweiten Bildungsweg das Abitur nachholte und 1975 mit einer Arbeit zur „Sozialgeschichte der Bergarbeiterschaft“ promoviert wurde. Über verschiedene akademische Stationen kam er 1995 wieder im Ruhrgebiet an, wo er an der RuhrUniversität Bochum den Lehrstuhl für Sozialgeschichte innehat und das Institut für soziale Bewegungen leitet. Seine Forschungsschwerpunkte sind die allgemeine Sozialgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts, die Geschichte der Arbeiterbewegungen und des Ruhrgebiets, Stadt- sowie Familien- und Bevölkerungsgeschichte. Zudem engagiert sich Tenfelde für die Entwicklung der Region zur Ruhrstadt. Vom Bergknappen zum Professor, der sich zudem hörbar einmischt bei der Umgestaltung des Ruhrgebiets – besser kann man den Erfolg von Bildung und Forschung im Revier mit seiner typischen Verbindung von Theorie und Praxis kaum beschreiben. Das Deutsche Bergbau-Museum genießt als wichtigste Schnittstelle von Dokumentation und Forschung zum deutschen Montanwesen weltweit einen bedeutenden Ruf. Archäologen und Naturwissenschaftler analysieren die Gewinnung mineralischer Rohstoffe im Mittelalter, ihre Verarbeitung und Verbreitung bis hin zu den historischen Handelswegen. Auch die neuzeitliche Bedeutung des Bergbaus für Technik, Wirtschaft und Sozialgeschichte und die Erfassung und Erforschung von Kulturdenkmalen bilden Schwerpunkte. Das vor 40 Jahren gegründete Bergbau-Archiv bietet Tausende Originaldokumente vom 18. Jahrhundert bis in die Gegenwart aus allen deutschsprachigen Stein- und Braunkohlerevieren. Diese bedeutendste Sammlung zur Bergbaugeschichte in Deutschland erhielt 2002 den Preis als „Wirtschaftsarchiv des Jahres“. Seit 2007 trägt es den Namen Montanhistorisches Dokumentationszentrum (uKarte 15 ). Es erschließt via Datenbank über 205.000 Dokumente, von denen 60.000 zur öffentlichen Nutzung freigegeben sind und sich sogar im Internet recherchieren lassen. Viele unterschiedliche Ansätze, zu Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft des Bergbaus zu forschen. Und sie sind nur Beispiele für eine höchst lebendige bergbauliche Forschungslandschaft, gekennzeichnet von einer engagierten Zusammenarbeit zwischen staatlichen Einrichtungen und Unternehmen. Innovative Zukunft hat Wurzeln. 04.12.2009 15:45:22 Uhr 1 4 N amensgeber Bergbau Steinkohle K u l t u r Natürlich steht auch eine ganze Reihe Bergwerksnamen Pate für die Bezeichnung von Straßen und Einrichtungen im Revier. Da darf die Bergwerksgesellschaft Hibernia, die der Ire William Thomas Mulvany vor gut 150 Jahren im Herzen des noch jungen Ruhrgebiets gründete, nicht fehlen. Beispielsweise eine Straße in Gelsenkirchen und eine Schule in Herne tragen ihren Namen. Hibernia hatte übrigens ihr Domizil am heutigen Sitz der RAG. Noch ein Gang „Zum Alten Mann“ (Lagerstättenteil oder Grubenbau, der nach der Gewinnung des Rohstoffs verbleibt), wie sich eine Straße in Duisburg in einem Viertel nennt, das ohnehin von Bergbaunamen nur so wimmelt: „Zum Füllort“ oder „Zum Aufhauen“. Sie kreuzt die August-Brust-Straße, der Mann war Gründer des christlichen Bergarbeiterverbands. Die Namen der Männer, die das Ruhrgebiet groß machten und nun von Straßenschildern grüßen, füllen eine kleine Stadt: Friedrich Harkort als „Vater des Ruhrgebiets“ findet sich ebenso vielfach wie Nikolaus Groß, der erste seliggesprochene Bergmann. „Glück auf!” ist klar. Aber was ist mit Traddeweg? Überall im Revier erzählen Namen vom Bergbau und seiner Kultur: ein kleiner Rundgang. FOTO: DAVID HECKER / DDP Bergknappen und Bergmeister Auch ein Seenotboot der Deutschen Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger ziert der Bergmannsgruß. lück auf!“ gehört zum Revier. Der Gruß der Bergleute ist das Erkennungszeichen einer Region. Unzählige Gaststätten, viele Straßen, manche Apotheken, einige Stadien, die Kaserne in Unna-Königsborn und seit 1958 die gleichnamige Rheinfähre Walsum-Orsoy – sie alle rufen einem als Namen und Gruß entgegen: „Glück auf!“ Das verstehen die Menschen in ganz Deutschland. Beinahe so wie das „Grüß Gott“ im Süden und das „Moin, moin“ im Norden. Und wie überall, so denkt man auch im Revier nicht mehr groß darüber nach, was damit ursprünglich gemeint war. Der Gruß des Bergmanns steht für „Erzgänge mögen sich auftun“, und die Bergleute wünschten sich damit in Zeiten, die noch keine vorausgehende Lagerstättenerkundung kannten, Glück beim Auffinden von Bodenschätzen. Im gesamten Revier lassen sich heute Namen auffinden, die auf die enge Bindung zum Bergbau hinweisen. So das „Flöz“, wie Gaststätten nicht nur in Oberhausen oder Gelsenkirchen heißen. Und mit den Flözstraßen könnte man gleich eine halbe Halde – nach ihr wiederum nennt sich eine Straße in Bochum – bestücken. Der alte Ausdruck für Flöz lautete „Bank“. Dass wir in Mülheim Sarns-, Schieferund Wolfsbank finden, erklärt sich leicht mit G 14-15_NamenSpracheMusik.indd_01414 14 den Bezeichnungen der Flöze. Aber auch die „Hängebank“ – die Plattform, von der aus die Bergleute auf den Förderkorb steigen und ihn auch wieder verlassen – sehen wir als Straßennamen, etwa in Essen und Hamm. Eine „Nebenbank“ ist eher der Dreier im Lotto – und doch kommt dieses geringmächtige Flöz in Mülheim zur Ehre eines Straßennamens. „Striepen“ nannte man sie ganz früher. Kein Wunder, dass wiederum Mülheim einen Striepensweg kennt. Glück auf, der Steiger kommt – und freut sich über die Steigerstraße in Moers. Er leitet uns wieder aus dem Pütt (in Dortmund und Heiligenhaus erinnern Wege an ihn). Aber erst, nachdem wir die Gedingestraßen in Essen, Gelsenkirchen und Dortmund abgehaspelt haben. Die Haspelstraße in Moers, die uns an die alten Seilwinden erinnert, hätten wir zwischen Bergknappen-, Bergmeister-, Bergfreiheits- und Bergamtsstraße doch beinahe auf der Kohlenstraße in Wuppertal oder einer der Koks- und Kokereistraßen verloren. Gehen wir noch auf ein Bier in die „Lampenstube“ in Herne. Danach verabschieden wir uns. Drücken wir dem Steiger noch eine Tradde in die Hand, wie die Abgabe an den Grundeigentümer in der Cleve-Märkischen Bergordnung heißt und an die der Traddeweg in Dortmund erinnert. Eine Menge lebendige Tradition. Und dennoch ginge da noch was: beispielsweise eine Kindertagesstätte nach dem Strebältesten „Rutschenbär“ zu benennen. Hauptsache, die Kohle stimmt: Bergbau und Sprache „Soziolekt” nennt sie die Wissenschaft: eine Gruppensprache, die sich vom allgemeinen Sprachgebrauch abgrenzt. Die Sprache der Bergleute gehört zu diesen stark spezialisierten Berufssprachen. Sie verfügt nicht nur über einen ganz eigenen Wortschatz, der vielfach wissenschaftlich erforscht und in zahlreichen Wörterbüchern für Laien „übersetzt” wird (etwa auf der Website des Gesamtverbands Steinkohle unter www.gvst. de/site/glossar/glossar_a.htm). Über die Jahrhunderte färbte sie auch auf die deutsche Hochsprache ab. Viele Wörter und Redewendungen der Bergleute sind inzwischen Allgemeingut und so eingebürgert, dass ihre Herkunft den Deutschen gar nicht mehr bewusst ist: „Viel Kohle” ist legere Umgangssprache und gilt durchaus als erstrebenswert. Lang ist die Liste weiterer Ausdrücke, die aus dem Bergbau stammen: Wenn etwa der Sprachwissenschaftler etwas „ans Licht bringt” oder gar „tiefschürfende” Texte schreibt, bedient er sich typischer Bilder aus der Welt des Bergbaus. Recherchiert er „vor Ort”, lokalisiert er eine „Fundgrube” mit „reichhaltigem” wissenschaftlichem Material oder betreibt er gar „Raubbau” bei einem Fachkollegen, ist die sprachliche Quelle unverkennbar. Und macht er am Ende eines Arbeitstags endlich „Schicht”, um sich noch mit ein paar „Kumpels” zu treffen, weiß jeder genau, wovon die Rede ist… 04.12.2009 17:12:39 Uhr C h ö re u n d O rch ester 1 5 FOTOS: C. SCHNAUBELT, RAG K u l t u r Steinkohle Das Ensemble des 1987 gegründeten Ruhrkohle-Chors mit seinem Leiter Gerhard Rabe. Lied, kling hinaus Chöre, Orchester und Kapellen der Bergleute gehören allerorten zu einer lebendigen Musikkultur. as bergmännische Singen, ob im Revier, in Ibbenbüren, an der Saar oder einst im Erzgebirge, hat seinen Ursprung in der Arbeitswelt der Bergleute und im gemeinschaftlichen Erleben des Tageslaufs. Er begann vor der Einfahrt in die Grube mit dem Gebet zur Schutzpatronin der Bergleute, der heiligen Barbara, und er endete mit dem gemeinsamen Singen im privaten Kreis – schließlich lebten die Bergarbeiter zunächst auf engstem Raum zusammen. In der Regel schilderten die Lieder ein selbstbewusstes Bergmannsleben in vier bis fünf Strophen. Thematisiert wurden die Arbeit, das Verhältnis zu Gott und Kirche, die Leistung der Familienväter und das Gemeinwohl, das von der Förderung von Gold und Silber profitierte. Die Liebe zum Singen in der Gemeinschaft in Chören und Musizieren in Orchestern und Kapellen erhielt sich bis in die Gegenwart. Heute heißen die Chöre zum Beispiel MGV Concordia oder Knappenchor Bergwerk Consolidation. Sie sind stark bestückt wie der Ruhrkohle-Chor (87 Sänger) oder eher kammermusikalisch aufgestellt wie das Schmiedequartett Friedrich Heinrich (zwölf Sänger). Einen noch weiteren Bogen schlägt der Musikverein „Glückauf “ Anthrazit Ibbenbüren: Er vereint unter seinem Dach eine Blaskapelle, ein Sinfonieorchester und den Steigerchor, die unter anderem traditionell die Barbaramesse zusammen mit der Katholischen ArbeitnehmerBewegung ausrichten. Die vielen Chöre an Ruhr, Emscher, in Ibbenbüren und an der Saar eint eines: die Liebe zum Gesang im Allgemeinen und zum Liedgut der Bergleute im Besonderen. Auch die Bläser des Werksorchesters der RAG Deutsche Steinkohle fühlen sich den Melodien der Bergleute verpflichtet und haben die alten Bergmannsmärsche im Repertoire, aber sie spielen auch fetzige Swing-Arrangements oder Musical-Songs. Aus den Orchestern eins- der Steinkohle und des deutschen Chorgesangs unter anderem nach Kattowitz, Rom, Mallorca, Malta und in die Türkei. Er wirkt mit beim offiziellen Film des Festivals Ruhr.2010 und tritt jedes Jahr beim Abschlusskonzert der Ruhrfestspiele auf. Natürlich hat der Chor viele Bergmannslieder im Repertoire, legt aber auch Wert auf modernere Kompositionen. Da er schon immer gute Kontakte zu den Kirchen pflegte, bildet die geistliche Musik einen der Schwerpunkte des Chors. D 14-15_NamenSpracheMusik.indd_01515 15 „Pro Prosper” – Azubis stimmen an tiger und heutiger Schachtanlagen hervorgegangen, sind auch das Bergwerksorchester Niederrhein, das Rheinpreussen-Orchester oder die Bergkapelle Auguste Victoria heute gefragte Bands. Wann immer im Ruhrgebiet eine Einweihung ansteht oder der Startschuss für ein Ereignis fallen soll, gehören die Bergmannschöre und Bergmannsorchester dazu. Und was sie singen und spielen, ist integraler Bestandteil der Ruhrgebietskultur. Der Jugendchor „Pro Prosper” geht auf eine Azubi-Initiative zurück. Er feierte bereits beachtliche Erfolge. Beispiel Ruhrkohle-Chor Zu den prominentesten Ensembles zählt der Ruhrkohle-Chor. Während einige andere Bergmannschöre auf eine 100-jährige Tradition zurückblicken können, ist der Ruhrkohle-Chor mit seinem Gründungsjahr 1987 ein relativ junges Ensemble. Gerhard Rabe leitete den Chor unter dem Dach der REVAG von 1991 bis 2009. Neben dem Barbara-Lied liebt er besonders den Klassiker „Glück auf! Der Steiger kommt“: „Wenn wir diese Hymne des Reviers anstimmen, ist das immer ein feierlicher Moment, bei dem sich die Bergleute im Publikum traditionell von den Plätzen erheben“, so Rabe. Der Chor reiste als musikalischer Botschafter „Wo man singet, lass dich ruhig nieder, Bösewichter haben keine Lieder.” Johann Gottfried Seume Als Erfolgsgeschichte kann man die Gründung des Jugendchors „Pro Prosper“ bezeichnen, der auf eine Azubi-Initiative zurückgeht. Im Jahr 2004 entdeckten einige Auszubildende des Bergwerks Prosper-Haniel während einer Wanderung im Berufseinführungslehrgang ihre Sangeslust. Leider stimmten sie aber nur Vereinslieder der verschiedenen Fußballvereine im Ruhrgebiet an. Beim nächsten Berufseinführungslehrgang wurde für die obligatorische Wanderung das Steigerlied geübt. Man sang vielleicht noch nicht sehr professionell, dafür aber mit viel Herzblut. Die Kunde von den singenden BergbauAzubis gelangte schließlich auch auf die Chefetage des Bergwerks Prosper-Haniel. Die Idee wurde geboren, den Bergbau-Azubichor „Pro Prosper“ aus der Taufe zu heben. Zur ersten Probe erschienen zunächst zehn Azubis. Heute sind es 40 bis 50 Sänger mit einem Repertoire von der Volksmusik bis zum Pop. Sie bringen den nötigen Enthusiasmus mit und können es meist kaum erwarten, endlich in die Kluft zu steigen, mit der sie bei ihren umjubelten Konzerten auftreten. Weitere Informationen unter www.ruhrkohle-chor.de. Mehr über andere Bergmannschöre im Revier unter www.bergmannschoere.de. 04.12.2009 17:12:51 Uhr 1 6 Route der Industriekultur Steinkohle K u l t u r Abenteuer und Kultur zwischen H Die Stätten der Industrialisierung wurden mit überragendem Erfolg nutzbar gemacht. Den Besuchern bieten sich lebendige uf der Route der Industriekultur zeigen Ruhrgebiet und Bergbau, wie man mit Geschichte Zukunft macht, wie Industriedenkmäler sich zu Kultstätten mit touristischer Anziehungskraft mausern. Vor 20 Jahren machte sich die Internationale Bauausstellung (IBA) Emscher Park daran, das Ruhrgebiet gehörig aufzupolieren. Zwei Kreise und 17 Städte von Duisburg bis Bergkamen taten sich 1989 zusammen. In insgesamt etwa 120 Einzelprojekten wandelte sich eine Industrielandschaft in eine moderne Erlebnis- und Kulturwelt – mit viel Geschichte und noch mehr Zukunft. Die Ergebnisse dieses zehn Jahre dauernden Mammutprojekts sind heute allgegenwärtig und zogen im vergangenen Jahr Millionen Besucher an. Kein Wunder: Es gibt viel zu erleben. Hochöfen, Fördertürme, Halden, Gasometer – wie keine andere Region der Welt nennt das Ruhrgebiet Industriedenkmäler aller Art sein Eigen, von der Zeche Brockhauser Tiefbau (uKarte 18 ) in BochumSundern, die bereits 1912 stillgelegt wurde und von der heute nur der bruchsteinerne Malakow-Turm zeugt, bis hin zur Zeche Zollverein (uKarte 6 ) in Essen, einem riesigen Industriekomplex, ehemals eine der modernsten Anlagen ihrer Art, heute eine Kulturstätte der Extraklasse. All das nicht nur zu erhalten und erlebbar zu machen, sondern auch für die Zukunft sinnvoll zu nutzen, lautete das Ziel der IBA und ist es heute für den Regionalverband Ruhr (RVR). Daraus entstand 1999 das regionale Tourismusprojekt Route der Industriekultur. Der rund 400 Kilometer lange Rundkurs durch das gesamte Ruhrgebiet erschließt das industriekulturelle Erbe der Region und verbindet Attraktionen für Jung und Alt von der Hochkultur bis zum Sportevent. Hauptattraktionen der Route bilden 25 sogenannte Ankerpunkte mit besonderem Erlebniswert – rund die Hälfte davon Museen. Hinzu kommen 15 Aussichtspunkte mit Panoramablick über die Industrielandschaft und 13 Arbeitersiedlungen. 25 verschiedene Themenrouten führen über insgesamt mehr als 500 Stationen. Rund 700 Kilometer Radwege – viele davon auf ehemaligen Zechenbahntrassen – und spezielle Touren etwa für Rollstuhlfahrer sorgen dafür, dass wirklich für jeden Ausflugswunsch etwas geboten wird. Da ist zum Beispiel der Landschaftspark Duisburg-Nord (uKarte 19 ), alleine schon eine Erlebniswelt für sich. Auf dem rund 200 Hektar großen Gelände mit der 1985 A 16+21_RouteIndustriekultur.indd_16 16 Aussichtspunkte laden zum Verweilen ein. FOTOS: B. STAUBACH / ARTURIMAGES, CARO/OBERHAEUSER (2) Blick ins Innere: der Gasometer in Oberhausen. In den Abendstunden verwandelt sich der Landschaftspark DuisburgNord in eine imposante Lichtinstallation. stillgelegten Meidericher Eisenhütte in seiner Mitte entstanden zahllose Attraktionen, vom Kletterpark in den alten Bunkern für Erz und Koks bis zur aufwendigen Tauchanlage samt Schiffswrack und versenktem Flugzeug im ehemaligen Gasometer. Wer will, kann die 70 Meter hohe Plattform des alten Hochofens besteigen und die Aussicht auf das herrlich grüne Gelände genießen. Auch als ungewöhnliche kulturelle Spielstätte hat der Landschaftspark längst einen guten Namen. Kunstausstellungen, Theaterinszenierungen, Freiluftkino oder Konzerte: Die alte Industrieanlage bietet für alles eine unverwechselbare Kulisse. Abends verwandelt eine Lichtinszenierung des britischen Künstlers Jonathan Park das Hüttenwerk in ein faszinierendes Lichtspektakel. Gerade mal sieben Kilometer weiter östlich, eine gemütliche Radtour entfernt, ragt ein weiteres Industriedenkmal ganze 117 Meter in die Höhe – gut 20 Meter hö- 04.12.2009 17:13:40 Uhr R Ro u te der I n du st r iek u lt u r 2 1 K u l t u r Steinkohle n Hochofen und Halde Räume und attraktive Veranstaltungsorte mit touristischer Anziehungskraft. Weltkulturerbe Zollverein Allein die Fahrt mit der Rolltreppe ist schon ein Erlebnis: Sie ist 55 Meter lang und führt auf eine Höhe von 24 Metern. Dann erreicht man die ehemalige Kohlenwäsche der Zeche Zollverein, das heutige Besucherzentrum der Route der Industriekultur. Hier kann man sich umfassend über das Welterbe Zollverein, die Route und einzelne Ankerpunkte informieren. Besucherzentrum Route Industriekultur Welterbe Zollverein, Schacht XII Halle A14/Kohlenwäsche Gelsenkirchener Straße 181 45309 Essen FOTO: JOCHEN TACK e Jahrzehnten der Kohlenförderung Bergehalden in die Höhe. Die aufwendig gestalteten Landschaftsbauwerke zwischen Ruhr und Lippe bilden heute einen selbstverständlichen Bestandteil der Umgebung, meist renaturiert und in vielen Fällen Ausflugsziel für Wanderer und Naturfreunde. Als lohnende Aussichtspunkte finden sich etliche dieser Landschaftsbauwerke in der Route der Industriekultur. So etwa die Schurenbachhalde (uKarte 21 ) in Essen mit ihrer monumentalen Skulptur „Bramme für das Ruhrgebiet“ des US-amerikanischen Künstlers Richard Serra auf der Kuppe. Ähnlich imposante Skulpturen und Denkmäler stehen auch auf anderen Halden der Route, sei es der „Skulpturengarten Windkraft“ auf dem Gipfelplateau der Halde Hoppenbruch (uKarte 22 ) in Herten oder das 30 Meter hohe „Geleucht“ auf der Halde Rheinpreussen (uKarte 23 ) in Moers. Bei rund 500 lohnenden Stopps zwischen Kamp-Lintfort und Hamm, bei unzähligen Konzerten, Festivals, Ausstellungen und Partys fällt es schwer, nur einige wenige herauszugreifen. Allein das Besucherzentrum der Route in Essen empfiehlt 45 unterschiedliche Bücher, Karten und Filme, vom „Pommesführer Ruhr“ über „Zappa, Zoff und Zwischentöne“ bis hin zu „Natürlich! Gelsenkirchen: Exkursionen und Naturerleben in der Großstadt“. Eines ist in jedem Fall sicher: In diesem Kulturrevier liegt die nächste überraschende Attraktion, das nächste bestaunenswerte Panorama oder die nächste interessante Ausstellung nie weiter als einen Steinwurf entfernt. her als der Turm Big Ben in London. Im Gasometer Oberhausen (uKarte 20 ), gleich neben dem Einkaufszentrum CentrO, finden seit Mitte der 90er jährlich atemberaubende Ausstellungen statt. So etwa, als vor zehn Jahren das Künstlerpaar Christo und Jeanne-Claude 13.000 bunte Ölfässer zu einer gigantischen Installation namens „The Wall“ auftürmte. Dieser Tage beherbergt der Gasometer noch bis zum Dezember 2010 die Ausstellung „Sternstunden – Wunder 16+21_RouteIndustriekultur.indd_21 21 des Sonnensystems“. Auch hier sprengt der Ausstellungsort alle Dimensionen und präsentiert unter anderem den „größten Mond auf Erden“: eine Mondskulptur mit 25 Meter Durchmesser. Kaum weniger beeindruckend als die Ankerpunkte sind die zahlreichen Panoramen, die sich auf der Route der Industriekultur finden – nicht nur vom Dach des Gasometers in Oberhausen. Mitten im ansonsten flachen Ruhrgebiet wuchsen in den Im Winter können Schlittschuhläufer wieder vor der grandiosen Kulisse der Koksöfen der ehemaligen Kokerei Zollverein ihre Bahnen ziehen. Öffnungszeiten 1. April bis 31. Oktober: Mo.–So. 10–19 Uhr 1. November bis 31. März: Mo.–So. 10–17 Uhr, Fr. 10–19 Uhr Telefon (01804) 00 00 86 (24 Cent /Anruf) oder (0201) 24498932 Fax (0201) 24 49 89 62 [email protected] Wer sich im Internet informieren möchte, dem sei folgender Link empfohlen: www.route-industriekultur.de/ besucherzentrum/ 04.12.2009 17:14:34 Uhr 2 2 Fußballstadion Ruhrgebiet Steinkohle K u l t u r Mehr als eine Weltanschauung Im Ruhrgebiet ist Fußball eine „Religion”, die Fans, Spieler und den Bergbau seit vielen Jahrzehnten miteinander verbindet. uhrgebiet, Fußball und Bergbau – eine untrennbare Einheit, früher wie heute. Nach dem Krieg setzten die Reviervereine in der Oberliga West, der damals höchsten Spielklasse, zu Höhenflügen an. Sie feierten reihenweise Meisterschaften und Pokalsiege. Glänzende Zeiten dank des schwarzen Goldes. So unterstützte beispielsweise die ehemalige Zeche Zollverein die Sportfreunde Katernberg, das damalige Bergwerk Ewald die Spielvereinigung Erkenschwick, die Schachtanlage Mont Cenis den SV Sodingen – und die Fußballer der SG Wattenscheid kickten im Schatten der Zeche Holland. Viele Spieler arbeiteten als Bergleute, wohnten Tür an Tür mit ihren Fans. Das Ruhrgebiet brachte Nationalspieler und herausragende Trainer hervor – wie den Helden von Bern Helmut Rahn, „Wembley“-Torhüter Hans Tilkowski und den heutigen National-Coach Griechenlands Otto Rehhagel, der als Maler auf der Zeche Helene arbeitete. Auch heute kann man an fast jedem Wochenende im Revier die Verbundenheit zum „Es steht im Augenblick 1:1. Aber es hätte auch umgekehrt lauten können.” Heribert Faßbender am Schloss Strünkede, im Heimatstadion von Westfalia Herne – egal, in welcher Liga die Vereine gerade kicken. Ernst Kuzorra, Willi „Ente“ Lippens, Horst Hrubesch, Oliver Bierhoff, Jens Lehmann, Mike Hanke, Mesut Özil – sie alle spielten im Revier, waren und sind dort verwurzelt. Wer auf ihren Spuren wandeln, das Revier gleichsam durch die Fußballbrille erkunden möchte – immerhin die Region Deutschlands mit der höchsten Dichte an Bundesligisten –, der sollte sich die „Deutsche Fußball Route NRW“ anschauen (www.dfr-nrw.de). Sie verspricht 550 Kilometer Fußball-Leidenschaft in 15 Städten – davon sechs im Ruhrgebiet – und führt einen nicht nur in die großen Stadien, sondern auch zu kleinen Schmankerln wie der „Friesenstube“, einer Essener Kneipe, in der der „Boss“ bis zu seinem Tod 2003 gern ein Pils trank. Oder zum „kleinen Museum“ (uKarte 9 ) in der Eschweilerstraße in Gelsenkirchen, das liebevoll die traditionelle Verbindung der Schalker mit dem Bergbau dokumentiert. FOTO: IMAGO / CLAUS BERGMANN R Fußball und zum Bergbau spüren. Beispiel FC Schalke 04, dessen Ehrenvorsitzender Gerhard Rehberg übrigens auf dem Bergwerk Westerholt arbeitete: In der futuristischen Arena (uKarte 24 ) zahlen Fans mit „Knappen“ statt mit Euro und tragen blau-weiße Schals, die Sprüche wie „Glück auf! Gelsenkirchen auf Kohle geboren“ und „Ruhrpott“ zieren. Bei jedem Tor der Königsblauen ertönt das Steigerlied. Und regelmäßig unternimmt die Mannschaft eine Grubenfahrt. Nur wenige Kilometer von der Gelsenkirchener Arena entfernt spielt Schalkes großer Rivale Borussia Dortmund (BVB). Kaum ein Bundesliga-Verein kann sich über eine so imposante Fantribüne freuen wie der BVB. Die „Wand“ aus Tausenden von Menschen steht als der verlässliche zwölfte Mann für die Dortmunder. Aber die gleiche Begeisterung fegt durch die Stadien beim VfL Bochum oder bei den Zebras in Duisburg, in der Hafenstraße in Essen oder dem Stadion Niederrhein in Oberhausen, wo jeweils Rot-Weiße spielen, oder Im Ruhrgebiet regiert König Fußball: Fast jedes Wochenende strömen Zigtausend Fans in die Arenen und Stadien der Reviervereine. 22-23_Fußball+Knappen.indd_022 22 04.12.2009 17:15:19 Uhr Tra dit io n u n d Wer te 2 3 K u l t u r Steinkohle FOTO: PICTURE ALLIANCE / DPA Aufmarsch der „Knappen”. Das Feuer weitergeben Knappenvereine erfüllen bergmännische Traditionen und Werte mit Leben – als Vermächtnis für die Zukunft. in eindeutiges Ziel verfolgen die Männer – und auch die Frauen, die sich in Knappenvereinen engagieren. Die Absicht der Männer – und auch Frauen –, die dort aktiv sind, geht in dieselbe Richtung: Sie wollen die Tradition mit neuem Leben fortführen. Dieses Ziel erreichen die Vereine durch vielfältiges Engagement – sie kümmern sich um kulturelle Belange, pflegen und fördern bergmännisches Brauchtum und treten für eine enge Kameradschaft ein. So leisten sie einen wichtigen Beitrag zur kulturellen Identität ihrer Region. Ursprünglich entstanden Knappenvereine, um in Not geratenen Bergleuten Hilfe zu leisten, ganz handfest mit dem Geld, das über die Mitgliedsbeiträge hereinkam. Zusammenhalt und Unterstützung bilden auch bis heute wichtige Bestandteile des Vereinslebens. Gegenseitige Achtung, Kameradschaft und Treue gehören zu den gemeinsamen Werten, die bei der Arbeit unter Tage eine wichtige, sogar lebenswichtige Rolle spielen – und die es zu bewahren und in die Zukunft zu übertragen gilt. Das geschieht bei regelmäßigen Treffen im kleinen Kreis ebenso wie bei Großveranstaltungen: Vom 11. bis 12. September 2010 etwa richten der Landesverband der Berg- und Knappenvereine Nordrhein- E 22-23_Fußball+Knappen.indd_023 23 Westfalen e. V. und das Deutsche Bergbau-Museum den „Achten Nordrhein-Westfälischen Knappentag“ aus. Zu dieser Großveranstaltung werden Besucher aus ganz Deutschland erwartet. Alljährlich bildet natürlich auch die Tradition der Barbarafeiern Anfang Dezember einen Höhepunkt. Keine Frage, dass dabei die Festkleidung des Bergmanns – der schwarze Bergmannskittel und der Schachthut mit der hohen Feder – Pflicht ist. Die Traditionspflege der Knappenvereine geht aber weit über solche Symbole hinaus. Dabei ist Tradition keine Frage des Alters: Während einer der größten Vereine in NRW, der Knappenverein Dinslaken-Lohberg, bereits seit 1890 besteht, zählen der 2000 gegründete Knappenverein Tecklenburger Land (Ibbenbüren) und der 2003 gegründete Walsumer Knappenverein (Duisburg) zu den jüngsten. Die Mitglieder in Walsum vollbrachten nur ein Jahr nach der Schließung von Duisburgs letztem Bergwerk eine besondere Leistung: In zwei Reihenhäusern der Siedlung Niederrhein entstand ein Begegnungs- und Dokumentationszentrum (uKarte 25 ). Der Verein kaufte die Häuser mit der Unterstützung von Sponsoren und baute sie dann in Eigeninitiative um. Das Zentrum wur- „Was du ererbt von deinen Vätern hast, erwirb es, um es zu besitzen.” Johann Wolfgang von Goethe de im Sommer 2009 eröffnet. Hier können Interessierte nun eine Reise durch die Bergbaugeschichte Duisburgs unternehmen. Auch das „Haus des Bergmanns“ (uKarte 11 ) in Kamp-Lintfort links des Niederrheins trägt zur kulturellen Vielfalt bei. Dieses Museum bildet die Wohnverhältnisse eines Bergmanns nach, wie sie vor 100 Jahren waren, als die Zeche Friedrich Heinrich dort ihre Arbeit aufnahm – ein gedeckter Tisch und ein frommes Bild über dem Bett sind nur einige anschauliche Details. Gemeinschaftliches Handeln ist eine traditionelle bergmännische Tugend, und die Zusammenarbeit auch der Knappenvereine zog immer größere Kreise. Schon in den 1960er Jahren gründeten sich Landesverbände in NordrheinWestfalen und im Saarland, ebenso wie der Bund Deutscher Bergmanns-, Hütten- und Knappenvereine. Der wiederum ist Mitglied in der Europäischen Vereinigung dieser Vereine, die immer weiter wächst: Erst 2007 schlossen sich dort Kameraden aus der Slowakei an. Und mit Vertretern aus Slowenien, Rumänien, aber auch Großbritannien und Italien führt man derzeit Beitrittsgespräche. So erhalten und fördern Knappenvereine die Bergmannskultur – auch über Grenzen hinweg. 04.12.2009 17:15:34 Uhr 2 4 Pr ivate Sammlungen Steinkohle K u l t u r Das Revier sind wir – Geschi c An Selbstbewusstsein mangelt es dem Revier nicht. Die Herausforderungen des Strukturwandels zeigen große Erfolge, und das fußt nicht nur auf dem Engagement großer Institutionen. Oft schaffen Initiativen oder Vereine in kleinstem Rahmen einen kreativen Mikrokosmos. Die Bewahrung und Aufarbeitung einer bedeutenden industriellen und kulturellen Vergangenheit bildet den Ausgangspunkt privater Bergbausammlungen und -museen. Aus passionierter Arbeit entstanden mit viel Aufwand und begrenzten Mitteln einzigartige Orte, an denen Geschichte, Gegenwart und Zukunft der Region zusammenfließen. Vier Beispiele für viele stellt die „Steinkohle” hier vor – und einen Leitfaden zu weiteren Fundgruben. FOTO: PICTURE-ALLIANCE / DPA Horst Höfer, stolzer Initiator und Besitzer des privaten Bergbaumuseums „Fröhliche Morgensonne”. Selbst ist der (Berg)mann: ein privates Bergbaumuseum in Stockum „Kautabak diente als Ersatz fürs streng verbotene Rauchen unter Tage.” Horst Höfer „Fröhliche Morgensonne“ – unter diesem Optimismus ausstrahlenden Namen ist im Ruhrgebiet vor allem die schon 1956 geschlossene Steinkohlenzeche in Bochum-Wattenscheid bekannt. Doch auch ein echter Geheimtipp heißt so: ein privates Bergbaumuseum (uKarte 26 ), mit viel Liebe und Optimismus in Jahrzehnten aufgebaut vom Initiator und Besitzer Horst Höfer und seiner Frau Doris. In Stockum im Kreis Unna richtete er das Museum ein, gleich hinter dem Haus im eigenen Garten. Sein Werk betrachtet er als lebendige Erinnerung an den eigenen harten Arbeitsalltag, an eine vergangene Arbeitswelt, an liebgewonnene Gegenstände aus seiner 35-jährigen täglichen Berufspraxis unter Tage. Über 1000 Exponate umfasst die Sammlung, darunter Grubenlampen, Schutzausrüstungen, Helme und eine richtige Seilscheibe. Die meisten Objekte stammen aus den Jahren 1900 bis 24-25_Private Sammlungen.indd_0224 24 1950 und besitzen damit beträchtlichen historischen Wert. Schier unbezahlbar sind aber die Berichte aus erster Hand: Horst Höfer begleitet seine Gäste selbstverständlich persönlich durch die Ausstellung und kommentiert die Führung mit individueller Historie. „Die Besucher werden nicht mit langweiligen Zahlen bombardiert. Stattdessen gibt es ernste und heitere Geschichten von unter Tage, die die Leute mit nach Hause nehmen können“, sagt er, der mit Erzählungen und Ausstellungsgegenständen in den vergangenen 20 Jahren schon 30.000 Gäste in der „Fröhlichen Morgensonne“ begeistern konnte. Viel Überraschendes über Leben und Gewohnheiten der Kumpel rundet die Ausstellung ab. Neu im Museum ist zum Beispiel der Kautabak, Ersatz fürs streng verbotene Rauchen unter Tage. Wer hätte gedacht, dass ihn die Kumpel vor der Schicht noch eine Nacht in Rum einleg- ten? Der getränkte Kautabak wirkte nicht nur anregend, er förderte auch den Speichelfluss und half dadurch im Mund gegen den allgegenwärtigen Kohlestaub. „Allerdings spuckten die Bergleute das Gekaute auch wieder aus – das war dann eine klebrige Sauerei“, erzählt Höfer. Von Mitte April bis Mitte Oktober freuen sich Doris und Horst Höfer über wissensdurstigen Besuch. Und sie halten als kleines Dankeschön einen echten kleinen „Durstlöscher“ für ihre Gäste bereit: Erwachsene dürfen nach der Besichtigung einen traditionellen Bergmannsschnaps probieren. Adresse: Stollenmuseum „Fröhliche Morgensonne”, Stockumer Wiese 4, 59427 Unna, Telefon: (02308) 479. Eine telefonische Anmeldung ist erforderlich (Gruppen bis 20 Personen). 04.12.2009 15:50:28 Uhr Pr ivate S a mmlu n gen 2 5 K u l t u r Steinkohle i chte und Kultur „von unten” Ein Umzug stand eigentlich nicht auf dem Plan. Und doch platzte die 2002 in Gelsenkirchen gegründete „Bergbausammlung Volkshaus Rotthausen“ bald aus allen Nähten. Sie ging hervor aus den Beständen des Stadtteilarchivs Gelsenkirchen und der historischen Sammlung des Heimatbunds Gelsenkirchen e. V. – eine unschätzbar wertvolle Kollektion aus Literatur, Zeitschriften, Fotos, Dokumenten und Objekten. Nach der Stilllegung der Zeche Dahlbusch in Gelsenkirchen-Rotthausen und benachbarter Betriebe wuchs die Nachfrage nach Informationen und Material aus der Zeit des florierenden Bergbaus in Gelsenkirchen so sehr, dass das Archiv die Kapazitätsgrenzen schnell erreichte. Allein 2500 Buchtitel, Gesetze, Richtlinien und Vorschriften, Drucksachen und Zeitungsausschnitte füllen die Regalreihen. Weit über 100 Jahrgänge der Zeitschrift „Glückauf “ und anderer einschlägiger Periodika stehen zur Verfügung, außerdem ungezählte Fotos, inzwischen systematisch digitalisiert, Lagepläne der Bergwerksanlagen und nicht zuletzt originale Gegenstände aus dem Arbeitsalltag im Steinkohlenbergbau. Einer Privatinitiative ist es zu verdanken, dass die Bergbausammlung Rotthausen eine neue Heimstatt (uKarte 27 ) fand: Die Gelsenkirchener Gesellschaft für Wohnungsbau (GfW) stellte der Sammlung 2008 ein geräumigeres Ladenlokal zur Verfügung. Im April 2009 neu eröffnet, stellte die Bergbausammlung nun vorerst ihr Archiv wieder öffentlich zur Verfügung. Der Rest folgt nach und nach. „Diergardt fördert wieder“ heißt es in der privaten Bergbausammlung (uKarte 28 ) des Duisburger Ortsteils Rheinhausen. Die 1967 stillgelegte Zeche Diergardt I/II nahm dort im Maßstab 1:30 die Förderung wieder auf: Der funktionstüchtige und detailgetreue, 1,50 Meter hohe Nachbau stammt aus der Werkstatt des modellbaubegeisterten Vereinsmitglieds Heinz Cording, selbst Bergbau-Veteran mit 40 Jahren Berufserfahrung als Elektriker. Auch alle weiteren Modelle der Ausstellung steuerte er bei, darunter die Vorrichtung zum Abteufen eines Blindschachts, eine Hobelanlage, einen Schrägbau und eine Bandanlage. Die Bergbausammlung bietet eine Vielzahl weiterer Originale aus der Welt unter Tage, darunter Signaleinrichtungen, Grubenbewetterung, Förderwagen, Druckluftmaschinen, Sprengmittel, Mineralien und viele Fotos, Pläne und andere Dokumente aus der Duisburger Bergbauhistorie. Ehemalige Bergleute führen die Besucher in ein bis zwei Stunden durch die Sammlung – zum Programm gehört auch der kurze Dokumentarfilm „Bergbau früher und heute“. Der Eintritt ist kostenlos. „Anfassen erwünscht und bewusst erleben“ – Klaus Herzmanatus lädt zu einer Zeitreise durch die Bergbaugeschichte Gelsenkirchens ein. In seinem „kleinen Museum“ (uKarte 9 ) in der Schüngelbergsiedlung des Stadtteils Buer führt er seine Besucher auf die Spuren des Bergwerks Hugo. Der „Pütt“ gab den Menschen Arbeit und Brot, und in der Kolonie im Schatten der Zeche pulsierte das Leben der Bergmannsfamilien. Das kleine Museum zeichnet ein lebendiges Bild davon. Steigerstube, Betriebsführerbüro und Lampenstube zeigen Kostbarkeiten und wertvolle Exponate der langen Bergbautradition der Ruhrmetropole. Klaus Herzmanatus arrangiert für interessierte Besucher auch Bergbauerlebnisse: eine Nachtwanderung mit Kopflampen auf der Halde mit anschließendem Imbiss, Bergmannsschnaps und Prise. Bergbausammlung Rotthausen Belforter Straße 20, 45884 Gelsenkirchen Telefon: (0209) 134904 FOTOS: JOACHIM SCHULZE RHEINHEUSER BERGBAUSAMMLUNG E. V. Überlieferte Erlebniswelten: zwei private Bergbausammlungen und ihre Schätze Detailgetreue, liebevolle Bastelarbeit: Modelle aus der Welt des Bergbaus, als noch hölzerner Türstockausbau vorherrschte. Internet: www.bergbausammlungvolkshaus.de Geöffnet jeden Dienstag von 14 bis 19 Uhr. Rheinhauser Bergbausammlung e.V. Auf dem Berg 9, 47228 DuisburgRheinhausen Telefon: (02065) 21052 (Gerhard Wagner) Internet: www.bergbausammlung.de Geöffnet Donnerstag von 9 bis 16 Uhr, Sonntag 14 bis 16 Uhr. Eintritt frei. Für Führungen ist eine telefonische Anmeldung erforderlich. Das kleine Museum Eschweilerstraße 11 und 47 45897 Gelsenkirchen Telefon: (0209) 594659 oder (0172) 2773431 Internet: www.zeche-hugo.com Mail: [email protected] Geöffnet dienstags von 10 Uhr bis 18 Uhr. Imposante Miniatur: funktionstüchtiges Modell des Fördergerüsts der Zeche Diergardt I/II im Maßstab 1:30. Erste Adressen: „Vor Ort” – das Brevier des Gesamtverbands Steinkohle Vom Schaubergwerk bis zum Bergbaumuseum, von bedeutenden Sammlungen bis zu spannenden Lehrpfaden: Mit der Broschüre „Vor Ort“ bietet der Gesamtverband Steinkohle (GVSt) einen Überblick über BergbauSehenswürdigkeiten in ganz Deutschland. Aufgelistet und kommentiert sind Adressen 24-25_Private Sammlungen.indd_0225 25 aus Sachsen, Sachsen-Anhalt, Niedersachsen, Thüringen, Bayern, dem Saarland und Nordrhein-Westfalen – eine Bildungsreise zu den bedeutendsten Orten des (Steinkohlen)bergbaus und gleichzeitig eine Zeitreise durch acht Jahrhunderte Industriegeschichte. Daneben findet der Leser Adressen und kurze Exkurse zu Themen wie „Bergbau und Kunst“, „Literatur zur Bergbaugeschichte“ und zur lebendigen Traditionspflege der Knappenvereine. Die Broschüre steht im Internet gratis zum Download bereit: http://www. gvst.de/site/bildungsmedien/vor_ort.pdf. 04.12.2009 15:50:44 Uhr 2 6 Be rg bau als Kunstobjekt Steinkohle K u l t u r Wie aus Kohle Kunst w ergbau steht für harte und sehr konkrete Arbeit – und wird und wurde dabei auch immer wieder zum Gegenstand der Kunst: Auf ganz unterschiedliche Weise ließen sich Künstler vom Bergbau inspirieren, Maler und Bildhauer – oder Fotografen wie Andreas Gursky, einer der renommiertesten und auch teuersten lebenden Foto-Künstler weltweit: In seinem Werk „Hamm, Bergwerk Ost, 2008“, entstanden in der Kaue des RAG-Bergwerks („Steinkohle 11/2008“), verleiht Gursky diesem Ort der Arbeit eine Größe und Tiefe, wie man sie sonst nur vom Sternenhimmel kennt. Oft scheinen seine Motive wie aus der übrigen Welt herausgeschält, wie ein Universum für sich. Dazu komponiert der Fotograf seine Aufnahmen nachträglich am Computer so, dass die Bilder mehr als eine Perspektive anbieten. Gurskys Fotografien messen oft mehrere Quadratmeter – auch „Hamm, Bergwerk Ost“ kommt auf über drei mal zwei Meter. Als Inspiration und Motiv steht der Bergbau in Gurskys Werk in einer Reihe mit dem Börsenparkett an den Welthandelsplätzen und berühmten Bauwerken, mit Szenen B Das Ehepaar Hilla und Bernd Becher steht für mehr als vier Jahrzehnte Industriefotografie. der Arbeit und des Feierns – immer in Dimensionen, die fast entgrenzt wirken. Andreas Gursky studierte bei Bernd und Hilla Becher: Das Ehepaar steht für mehr als vier Jahrzehnte Industriefotografie, die das Erbe der industriellen Vergangenheit dokumentiert, typologisiert und systematisiert. Der Bergbau ist dabei ein bestimmendes Thema im Werk der Bechers. Sie bildeten einzelne Bauwerke und komplette Anlagen der Montanindustrie ab: Wasser- und Fördertürme, Gasometer, Fabrikhallen, Kohlenbunker oder Schotterwerke. Statt einer künstlerischen Verfremdung und Verarbeitung prägt ihre Arbeit großer dokumentarischer Realismus. Seit 1961 arbeiteten die beiden zusammen, 1990 erhielten sie bei der Kunst-Biennale in Venedig einen Goldenen Löwen. Beide lehrten an der staatlichen Kunstakademie Düsseldorf, Bernd Becher, der 2007 starb, in der Künstlerklasse für Fotografie. Der gelernte Lithograph kam zur Fotografie durch seinen Anspruch auf höchstmögliche Präzision: Als 1956 die Anlage der Grube Eisenhardter Tiefbau im Siegerland abgerissen werden sollte, lieh der Zeichner sich eine Kleinbildkamera, um wenigstens noch das Wesentliche festzuhalten. Den Menschen im Fokus Stehen bei Gursky und den Bechers im Wesentlichen eher die Strukturen im Vordergrund, richteten andere Künstler ihren Blick auf die arbeitenden Menschen im Bergbau. Der Künstler Hermann Kätelhön (1884–1940) etwa widmete sich dem Alltag der Bergarbeiter und der Arbeit unter Tage in zahlreichen Radierungen und Holzschnitten. In diesen Werken aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts scheint es, als seien Mensch und Berg aus demselben Material, als verlöre sich der Mensch fast in seiner Umgebung – und der Arbeit. Einen vergleichbaren und doch anderen Blick auf den Bergbau und die dort arbeitenden Menschen fand Tisa von der Schulenburg (1903–2001): Bergarbeiter zu zeichnen wurde ihr „zur Aufgabe und Heimat“, als die behütet aufgewachsene Tochter eines preußischen Generals Mitte der 1930er Jahre in England mit streikenden Bergleuten in Kontakt kam. Sie hielt für sie Vorträge, gab Schnitz- Die Schwarzkaue des Bergwerks Ost in Hamm inspirierte den Fotografen Andreas Gursky zu einem Motiv. 26-27_Kunstobjekt.indd_026 26 04.12.2009 15:51:45 Uhr Bergba u a ls Ku n sto b jek t 2 7 K u l t u r Steinkohle t wird Mit seinen Dimensionen, Materialien und Mitarbeitern inspiriert der Bergbau Künstler – und prägt ihre Werke. Stiftung alle drei Jahre einen Förderpreis an den künstlerischen Nachwuchs. Auch umgestaltete Halden gehören letztlich zu den Werken des Bergbaus, Material für Künstler, die die Landschaftsbauwerke als Inspiration wie als Schauplatz ihrer Kunst oder als überdimensionierten Rahmen aufgreifen. So dienen Halden und andere Landmarken im Ruhrgebiet als künstlerische SehHilfen, die in den Landschaften des Reviers eine Markierung setzen – für Erinnerung, Orientierung und Zukunft. Sie sind ebenso Identitätsstifter für Einheimische wie Anziehungspunkt für Touristen. Das Tetraeder auf der Halde Beckstraße (uKarte 30 ) in Bottrop etwa setzt sein Zeichen in Form einer Pyramide aus anderthalb Kilometern Rohr, leicht und fast schwebend wirkender Stahl, auf vier Säulen aus Stahlbeton vom Boden abgesetzt. Die auf verschiedenen Höhen angebrachten Aussichtsplattformen erreicht man auf unterschiedliche Weise – über eine sanfte Hängebrücke, eine steile Leiter oder eine Wendeltreppe. Das Material ist typisch Ruhrgebiet, die Durchlässigkeit für Wind und Blicke ungewohnt. Und der Blick geht weit von hier, bis zu 40 Kilometer zum Rheinturm in Düsseldorf. Das „Geleucht“, geschaffen von Prof. Otto Piene, markiert seine Halde Rheinpreussen (uKarte 23 ) in Moers hingegen mit Licht – in Form einer überdimensionierten Grubenlampe, eines 30 Meter hohen begehbaren „LeuchtTurms“. Das Äußere dieser Landmarke erstrahlt in den Abend- und Nachtstunden, zusätzlich gibt es ein glutrotes Ausleuchtungsfeld, das sich einen halben Hektar groß über den nordöstlichen Haldenrücken erstreckt. Der Spurlattenturm der Zeche Waltrop (uKarte 31 ) wiederum wirkt über sein authentisches Material: 1000 Meter Spurlatten, die zuvor in den Schächten die Körbe in der Spur hielten, vereinigen sich hier zu einem Aussichtsturm. Sie sollen ganz ausdrücklich hervorheben: Die Halden, so der Dortmunder Künstler Jan Bormann, der den Spurlattenturm schuf, seien typisch fürs Ruhrgebiet – und sollten aus diesem Grund deutlich sichtbar bleiben. Nannte die Bergleute ihre „schwarzen Brüder”: Tisa von der Schulenburg. FOTOS: ULLSTEIN BILD / MASSINE, MICHAEL DANNEMANN / PHOTOSELECTION, PICTURE-ALLIANCE / DPA kurse – und fuhr auch zum ersten Mal auf einem Bergwerk an. Nach dem Zweiten Weltkrieg als Journalistin ins Ruhrgebiet gesandt, bekam Tisa von der Schulenburg dort erneut Kontakt zu Bergleuten und porträtierte nun die Ruhr-Kumpel. Ihre Zeichnungen – kohleschwarze harte Striche, mit einer Bambusrohrfeder fast wie ins Papier geschnitten – schälen die Figuren, ihre Gesichter aus dem Hintergrund, aus der Masse, umreißen den Einzelnen und sein Schicksal. 1950 konvertierte Tisa von der Schulenburg zum katholischen Glauben und trat ins Dorstener Ursulinenkloster ein, wo sie den Namen Schwester Paula erhielt. Später wurde sie Ehrenbürgerin der Stadt Dorsten, nahm dort 1996 anlässlich der Verhandlungen um den Fortgang der Kohlepolitik an Mahnwachen des Bergwerks Fürst Leopold/Wulfen teil. Schon Jahre zuvor hatte sie für ihr soziales Engagement das Bundesverdienstkreuz verliehen bekommen. Die 15 Andachtsstationen des Kreuzwegs auf der Halde Haniel (uKarte 29 ) zählen zu ihren präsentesten Werken im Revier. Heute vergibt die 1992 errichtete Tisa von der Schulenburg- 26-27_Kunstobjekt.indd_027 27 04.12.2009 15:52:07 Uhr 2 8 Ku ltur rund um den Bergbau Steinkohle K u l t u r Wo das Leben so spielt Olga Monakh interpretierte Klassik unter Tage. Rund um den Bergbau entstanden die Bühnen für Theater, Film, Musik und Literatur. Jan Zweyer Jürgen von Manger Ludger Stratmann 28-29_Kunstschauplatz.indd_028 28 FOTOS: PICTURE-ALLIANCE / AKG, PR, PICTURE-ALLIANCE / DPA, HIPP-FOTO, ULLSTEIN BILD, THOMAS WILLEMSEN Hansjörg Felmy Hans Dieter Baroth bend für Abend scheint der Mond von Wanne-Eickel auf die Bühne des Mondpalastes (uKarte 32 ), wo in früheren Jahren Theo Lingen, Zarah Leander und Maria Schell auftraten. Heute begrüßt dort Theatergründer Christian Stratmann seine Gäste zu hauseigenen Inszenierungen, die auf komödiantische und liebevolle Weise die besonderen Eigenheiten des Reviers spiegeln. Damit zieht Christian Stratmann nicht nur zahlreiche Besucher an, sondern auch Preise und Ehren für sein Engagement in der Region, sogar das Bundesverdienstkreuz zählt dazu. Sein Bruder Ludger tritt derweil im Essener Europahaus (uKarte 33 ) als Dr. Stratmann – er ist übrigens tatsächlich Arzt – höchst erfolgreich als Kabarettist auf. Seine zweite Bühnenfigur Jupp steht dabei in bester Tradition Jürgen von Mangers, der mit seinem Adolf Tegtmeier einst das Kohlenpott-Kabarett begründete und einen bundesweit geschätzten, liebenswerten Prototyp schuf. Neue Räume für die Kultur, die als Arbeitsorte vielen Menschen im Revier seit Jahrzehnten vertraut sind, öffnet seit 2001 jährlich das Sommer-Festival „ExtraSchicht“. Unterstützt von der RAG und anderen Ruhrgebietsunternehmen verwandeln sich für eine „Nacht der Industriekultur“ rund 40 Arbeits-Plätze zu Spielorten, vom Chemiepark Marl bis zur Zeche Theresia in Witten, vom Duisburger Binnenschifffahrtsmuseum bis zur ehemaligen Lindenbrauerei in Unna. Shuttle-Busse verknüpfen die Schauplätze und bringen bis zum frühen Morgen rund 150.000 Besucher zu Live-Musik, Ausstellungen, Lichtinstallationen und Theater. Auch die Ruhrtriennale, 2002 ins Leben gerufenes internationales Festival der Künste für Musik, Theater, Literatur und Tanz, nutzt jedes Jahr im Herbst die kathedralenartigen Denkmäler der Industriekultur als Aufführungsorte, etwa die Bochumer Jahrhunderthalle oder die Gebläsehalle des einstigen Thyssen-Stahlwerks im heutigen Landschaftspark Duisburg-Nord. Und neben vielen anderen Schauplätzen verdanken die Kulturhungrigen dem Bergbau auch ein spektakuläres Amphitheater: In der „Bergarena“ auf der Bottroper Halde Haniel (uKarte 29 ), einer der höchsten im Revier, können im Kulturhauptstadtjahr 2010 ab Juni über 800 Besucher die Verdi-Oper „Aida“ unter freiem Himmel ansehen. A Max von der Grün Klassiker unter Tage Ende der 1980er Jahre als Bochumer Klaviersommer gestartet, bringt das Klavier-Festival Ruhr heute große Pianisten mit jungen Nachwuchskünstlern zusammen und in die Region. Das Festival will den Kosmos der Klaviermusik für möglichst viele Menschen erfahrbar machen und sie beflügeln. So gewann man im Laufe der Jahre die Weltklasse-Pianisten der heutigen Zeit für Konzerte im Revier. Und man denkt auch an den Nachwuchs: an junge Zuschauer ebenso wie an junge Pianisten, die hier die Möglichkeit haben, zu debütieren. Auch dazu findet man im Ruhrgebiet ungewöhnliche Spielstätten: 2009 zählten dazu etwa die alte Lohnhalle der Wattenscheider Zeche Holland oder das Westfälische Industriemuseum in Hattingen. Was ebenso für das Europäische Klassikfestival Ruhr gilt, das es seit 1998 gibt, das regelmäßig auf dem Bergwerk Auguste Victoria und sogar schon unter Tage gastierte: Die dritte Sohle des Schachts Haltern 1/2 diente mehrere Male als stimmungsvoller Konzertsaal. Heute öffnet sich der Vorhang unter anderem im Yehudi-Menuhin-Forum, der ehemaligen Grubenausbauwerkstatt Marl. Tatort. Film ab Dem filmreifen Alltag im Revier widmete sich unter anderem der Regisseur Adolf Winkelmann. Er drehte Filme über Arbeit und Leben, Streiks und Stellensuche. Zum besonderen Kassenerfolg spielte sich der Film „Jede Menge Kohle“, den Winkelmann mit hohem technischem Aufwand zum großen Teil unter Tage drehte, in der Dortmunder Zeche Gneisenau. In Winkelmanns Arbeit ging es aber auch um die Liebe, den Sport, das Geschäft, wurde getrunken, gerauft, debattiert – all das mit Witz und Ironie. Weiter zurück in den früheren Alltag der Bergleute blickte die Fernsehserie „Rote Erde“, die 1983 und 1990 lief und vor kurzem als DVDEdition herauskam: Die Bergarbeiter-Saga beginnt Ende des 19. Jahrhunderts und endet nach dem Zweiten Weltkrieg. In insgesamt 13 Folgen spiegelt das Schicksal der ursprünglich aus Pommern ins Ruhrgebiet eingewanderten Familie Kruska die damaligen Ereignisse im Revier in Politik, Zeitgeschichte und Alltag wider. Auch der Fernseh-Klassiker „Tatort“ kennt das Ruhrgebiet als Schauplatz für gute und menschliche Geschichten. Wozu vielen zuallererst der raubeinige „Tatort-Bulle“ Horst Schi- manski alias Götz George einfallen mag, der von 1981 bis 1991 in Duisburg 32 Fälle auf seine unverwechselbare und bisweilen unkonventionelle Weise löste. Unvergessen ist auch sein „Vorgänger“ Hansjörg Felmy als smarter, reservierter Kommissar Haferkamp, der bis 1980 seinen Job in Essen machte. Die unterschiedlichen Charaktere der Ermittler in dieser Reihe spiegeln beiläufig die menschliche Vielfalt im Revier wider. Chronisten des Alltags Aus eigener Erfahrung kannte Max von der Grün (1926–2005) die Arbeit in den Bergwerken. Der fränkische Adelsspross schulte nach Krieg und Gefangenschaft vom kaufmännischen Gehilfen zum Maurer um und arbeitete ab 1951 als Hauer auf der Zeche Königsborn in Unna, später als Grubenlokführer. Er begann 1955 mit dem Schreiben, machte es aber erst ab 1963 zu seinem Hauptberuf. In Romanen wie „Männer in zweifacher Nacht“ oder „Irrlicht und Feuer“ und Sachbüchern wie „Maloche. Leben im Revier“ setzte sich Max von der Grün mit dem Le- 07.12.2009 10:12:52 Uhr Ku lt u r r u n d u m den Bergba u 2 9 K u l t u r Steinkohle Die Ruhrfestspiele Rote Erde. Das Festspielhaus. bens- und Arbeitsalltag unter wie über Tage auseinander – kritisch und liebevoll zugleich. Der Bibliothekar Fritz Hüser (1908–1979) begann schon als Lehrling, Arbeiterliteratur zu sammeln. 1961 rief er unter anderem mit Max von der Grün und Günter Wallraff die „Dortmunder Gruppe 61“ ins Leben, Vorläufer des späteren „Werkkreises Literatur der Arbeitswelt“. Hüser vermachte seine Privatsammlung der Stadt Dortmund, sie bildete den Grundstock des nach ihm benannten Fritz-Hüser-Instituts für Literatur und Kultur der Arbeitswelt (uKarte 2 ). In Bibliothek und Archiv bewahrt es heute eine der größten Sammlungen zur Arbeiterkulturbewegung aus der Zeit von 1848 bis heute. Auch den literarischen Nachlass Max von der Grüns bewahrt man auf und erforscht ihn. Hans Dieter Baroth (1937–2008) war Sohn eines Bergmanns und auch selbst Bergmann, außerdem Gewerkschaftsfunktionär und Journalist. Er gilt als nüchterner Chronist des Bergbaus und des Bergarbeiter-Alltags. Er schilderte das Leben der kleinen Leute in Romanen wie „Streuselkuchen in Ickern“, veröffentlichte Bild- 28-29_Kunstschauplatz.indd_029 29 bände über die Kindheit im Ruhrgebiet oder die letzten Zechen und widmete sich ausgiebig dem Thema Fußball in seiner Heimatregion: In dem Buch „Jungens, euch gehört der Himmel“ erzählte er die Geschichte der Oberliga West. Rafael Seligmann (*1947) schildert in der zweibändigen „Kohle-Saga“ am Beispiel der Bergmannsfamilie Bialo das Leben im und die Geschichte des Ruhrgebiets über mehrere Generationen. Eine Familiensaga, in deren Schicksal sich die Geschichte des deutschen Steinkohlenbergbaus spiegelt. Der gebürtige Hesse Jan Zweyer (*1953), Autor von Revier-Krimis wie „Siebte Sohle, Querschlag West“ oder „Franzosenliebchen“, ist Wahl-Ruhrgebietler. Er studierte in Bochum und Dortmund, arbeitete in der RuhrkohleVerwaltung und lebt heute in Herne. Er begann zu dichten, als es ihn beruflich zwischenzeitlich in die Lausitz verschlug: Mit seinem ersten Bergarbeiterkrimi „Glück auf, Glück ab“ schrieb er abends gegen das Heimweh an. Seine Helden sind wie die Helden des Reviers: echte Kerle womöglich, aber keine Supermänner. „Tief im Westen, wo die Sonne verstaubt, ist es besser, viel besser, als man glaubt.” Herbert Grönemeyer Ruhrfestspiele 2009, „Prinz von Dänemark” mit Harald Schmidt. FOTOS: RUHRFESTSPIELE, CECILIA GLÄSKER „Bergarena” Halde Haniel. FOTOS: RAG (2), PR, CLAUDIA DREYSSE, PAUL ZINKEN / COLOURPRESS Bramme auf der Halde Schurenbach. Weit über die Grenzen des Reviers hinaus weist das Programm der Ruhrfestspiele Recklinghausen. Das älteste Theaterfestival Europas, das alljährlich von Anfang Mai bis Mitte Juni stattfindet, nahm seinen Anfang mit einem aus der Not geborenen Tauschgeschäft: Hamburger Schauspieler deckten sich im Winter 1946/47 hier mit Kohle für die Theater der Hansestadt ein. Und kehrten bald darauf zurück, um die Schulden in ihrer eigenen Währung zu bezahlen: mit Darbietungen. „Kunst für Kohle” lautet das Motto, auf dem sich die Ruhrfestspiele – eine Initiative der Stadt Recklinghausen und des Deutschen Gewerkschaftsbunds – gründen. Der Hamburger Bürgermeister Max Brauer hielt zu den ersten Festspielen eine Rede von der Förderbrücke zur Belegschaft der Zeche König Ludwig. Er plädierte für eine neue Art der Festspiele, „nicht nur für Literaten und Auserwählte”, sondern Festspiele inmitten der Stätten harter Arbeit „vor den Kumpel”. 1965 eröffnete das Ruhrfestspielhaus (uKarte 34 ). Heute stehen bei diesem internationalen Festival große Namen ebenso auf der Bühne wie junge Talente, werden viele Uraufführungen gezeigt und ein mutiges Programm verwirklicht, das Tausende Zuschauer erreicht. Im Jahr 2009 schlossen die Ruhrfestspiele unter dem Titel „Nordlichter” mit einem Rekord von über 80.000 Besuchern und einer Auslastung der rund 230 Veranstaltungen von über 85 Prozent. Seine Wurzeln verlor das Festival nie aus den Augen – bis heute zählt die RAG zu seinen Unterstützern, und auch die Spielorte wie die ehemalige Grubenausbauwerkstatt des Bergwerks Auguste Victoria spiegeln ein Stück der Verbundenheit. 07.12.2009 10:13:29 Uhr 3 0 Be rg bau und Kirche Steinkohle K u l t u r Bergleute tragen eine Statue ihrer Schutzpatronin, der heiligen Barbara, bei einer Prozession durch die Stadt. Nah bei den Menschen Glaube und praktische Lebenshilfe in der Arbeitswelt: Die Verbindung zwischen Kirche und Bergleuten ist tief. ls die prosperierende Montanindustrie im Ruhrrevier im 19. Jahrhundert Arbeiter aus vielen Gegenden der damaligen deutschen Staaten anzog, stand die Kirche vor großen Herausforderungen: Die Bevölkerung wuchs rapide, die Anzahl der Gemeinden und Pfarrstellen hielt damit kaum Schritt. Eine Entwicklung, der auch der Bergbau versuchte mit seiner Unterstützung entgegenzuwirken. 1893 etwa regte die Zeche Hannibal den Bau einer Kirche für die gerade entstehende Gemeinde Hofstede-Riemke an und stellte 5000 Reichsmark dafür zur Verfügung. 25.000 Reichsmark spendete die Zeche Lothringen zum Aufbau einer eigenständigen Kirchengemeinde Hiltrop im Jahre 1915 (heute beides Bochum). Gute Anfänge, die neben vielen anderen bis heute zu einem besonderen Verhältnis zwischen Kirchen, Bergbau und seinen Mitarbeitern führte. A Arbeitswelt und Kirche Besonders lebendig entwickelte sich dieses Verhältnis im überkonfessionellen Kooperationsverbund GSA (Gemeinsame Sozial- 30-31_Bergbau Kirche.indd_030 30 „Wir Bergleut’ sein kreuzbrave Leut.” Steigerlied arbeit der Konfessionen im Bergbau) sowie in der evangelischen Arbeitsgemeinschaft Kirchlicher Dienst in der Arbeitswelt (KDA). In der GSA arbeiten seit 60 Jahren evangelische Landeskirchen, katholische Bistümer sowie Unternehmen wie die RAG intensiv zusammen. „Wir begleiten die Menschen bei einer Orientierung angesichts von betrieblichen und gesellschaftlichen Veränderungen sowie bei aktuellen Umstrukturierungen“, beschreibt GSA-Geschäftsführer Dr. Wolfgang Herting den Schwerpunkt der Arbeit. An rund 60 Tagungen im Jahr nehmen insgesamt 600 Mitarbeiter aus dem Bergbau teil, um unter unabhängiger kirchlicher Moderation gemeinsam mit ihren Führungskräften Lösungen für betriebliche Probleme zu finden. „Die GSA zielt in einem verbindlichen Dialog auf Verständigungsprozesse“, sagt Dr. Herting, „das ist ebenso einzigartig wie die überkonfessionelle Zusammenarbeit seit 1950.“ Und die Zukunft? „Unsere Seminare finden eher mehr als weniger Interesse“, beobachtet Dr. Herting. Unter dem Dach der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) gründeten die Protestanten den Kirchlichen Dienst in der Arbeitswelt (KDA), eine bundesweite Arbeitsgemeinschaft landeskirchlicher Einrichtungen. Mit dem Bundesvorsitzenden Pfarrer Peter Janowski widmen sich etwa 200 Mitarbeiter der Begleitung von Menschen im Spannungsfeld von Arbeitswelt und Gesellschaft. „Wir beschäftigen etwa 30 Theologen, die überwiegend aus dem sozialen Bereich kommen und oftmals Quereinsteiger sind“, verweist Janowski auf den starken Praxisbezug des KDA. Er will vor allem die verschiedenen Akteure aus der Arbeitswelt zum konstruktiven Gespräch zusammenbringen: „Wenn der KDA einlädt“, so Janowski, „ergibt sich immer ein offener Dialog, beispielsweise zwischen Gewerkschaften, Sozialpolitikern und Unternehmen.“ Das deutlichste Zeichen dafür, dass die katholische Kirche auf die Entwicklung des Ruhrgebiets reagierte, um auch weiterhin nah bei den Gläubigen zu sein, stellte 1957 die Einrichtung des sogenannten „Ruhrbistums“ Essen 07.12.2009 10:53:06 Uhr Bergba u u n d Kirc h e 3 1 K u l t u r Steinkohle FOTOS: DIRK BAUER / PHOTOPLEXUS, RAG Mit Nikolaus Groß spricht Papst Johannes Paul II. 2001 erstmals einen Bergmann aus dem Revier selig. Bei der Übergabe der „kostbaren Gaben” kniet Ulrich Monien vom damaligen Bergwerk Niederberg im Knappenkittel und mit Schachthut auf dem Petersplatz in Rom vor Seiner Heiligkeit. dar. Sein erster Bischof Dr. Franz Kardinal Hengsbach, bis kurz vor seinem Tode 1991 im Amt, fand den passenden Ton in einer Zeit, in der sich die Kirchen wieder leerten. „Nah bei den Menschen“ lautete das gelebte Motto Hengsbachs, der sich statt eines Diamanten ein Stück Steinkohle in seinen Bischofsring einpassen ließ. Es war auch der Ruhrbischof, der mit der 1960 gegründeten Katholischen Akademie „Die Wolfsburg“ in Mülheim einen Ort schuf, der „bis heute die unterschiedlichsten Hierarchie-Ebenen gerade des Bergbaus zum Gespräch zusammenbringt“, wie ihr Direktor Dr. Michael Schlagheck erklärt. Dieses Gespräch bestimme die soziale Praxis der Kirche, deren Angebote sich als „starkes Element bei der Gestaltung von Prozessen im Bergbau“ erwiesen. Das stößt auf große Resonanz: Jahr für Jahr besuchen etwa 27.000 Teilnehmer die Veranstaltungen in den 1992 renovierten Räumlichkeiten. „Damit nehmen wir unsere soziale Verantwortung wahr und folgen den Worten Bischof Hengsbachs, die Akademie nicht als ‚religiöses Ghetto‘ erscheinen zu lassen“, fasst Dr. Schlagheck zusammen. Märtyrerin aus einer römischen Stadt in der heutigen Türkei, die den christlichen Glauben annahm und daraufhin von ihrem Vater verstoßen wurde. Er verriet sie an den Statthalter, der sie misshandeln und zum Tode verurteilen ließ. Die Enthauptung vollzog der Vater gar selbst – den daraufhin als göttliches Strafgericht der Blitz erschlug. Die heilige Barbara gehört zu den 14 Nothelfern, die man in Stunden der Gefahr ruft. Und man begegnet ihr natürlich in den Kirchen, etwa in Sankt Nikolaus (uKarte 35 ) in Essen-Stoppenberg am Barbara-Altar, wo sie ihre Hände segnend über die Köpfe kniender Bergleute hält. Kreuzweg Halde Haniel Mit 159 Metern ist die Halde Haniel (uKarte 29 ) eine der größten im Ruhrgebiet. Ihre Form entstand aus dem Bergematerial des Bergwerks Prosper-Haniel, hoch oben steht ein von Papst Johannes Paul II. geweihtes Gipfelkreuz aus Spurlatten. Tisa von der Schulenburg und Adolf Radecki gestalteten den 1200 Meter langen Aufstieg als Kreuzweg mit 15 Stationen, den 1995 der damalige Ruhrbischof Dr. Hubert Luthe weihte. An den jährlichen Karfreitagsprozessionen beteiligen sich hier Tausende von Menschen. Seliger Bergmann Über und unter Tage steht jedermann unter dem Schutz der heiligen Barbara. Ihr Bildnis bewacht jedes Bergwerk, sie ist die Schutzpatronin der Bergleute. Viele Legenden ranken sich um die als bildhübsch geschilderte 30-31_Bergbau Kirche.indd_031 31 FOTO: JOCHEN TACK Schutzpatronin: die heilige Barbara Das tat auch Papst Johannes Paul II., als er im Oktober 2001 als ersten Menschen aus dem „Ruhrbistum“ Nikolaus Groß seligsprach: Den engagierten Bergmann, Gewerkschafter und Journalisten für Blätter der Katholischen Arbeiterbewegung (KAB) richteten die Nationalsozialisten 1945 hin. An der Seligsprechungszeremonie auf dem Petersplatz nahmen neben Vertretern aus Kirche, Politik und Wirtschaft auch 4000 Gläubige aus dem Revier teil, darunter zahlreiche Verwandte des Seliggesprochenen – und der RuhrkohleChor, der die Feierlichkeiten musikalisch untermalte. Am Altar schließlich übergab ein Bergmann dem Papst eine „kostbare Gabe“: eine Grubenlampe. 08.12.2009 16:31:48 Uhr 3 2 N e u e s Leben auf alten F läch e n Steinkohle K u l t u r Was wurde eigentlich a …Zeche Mont Cenis? Anerkannte Fortbildungsakademie Die ehemalige Zeche Mont Cenis war von 1871 bis zu ihrer Stilllegung 1978 Impulsgeber und Zentrum der Ortsentwicklung des Herner Stadtteils Sodingen. Nach Schließung der Zeche eröffnete man auf dem Zechengelände 1999 die Fortbildungsakademie des Innenministeriums des Landes Nordrhein-Westfalen (uKarte 37 ). Zusätzlich beleben öffentliche Einrichtungen, ein Dienstleistungsbereich sowie eine ergänzende Wohnbebauung den Ort aufs Neue. Kern der gesamten Anlage und des neuen Stadtteilzentrums ist das von der französischen Architektin Françoise-Hélène Jourda entworfene Gebäude der Fortbildungsakademie. Auf einer ovalen Lichtung des neuen Parks gelegen, stellt es ein markantes Merkzeichen in der Landschaft dar. Die gläserne Hülle bietet durch eine klimageschützte, „mediterrane” Atmosphäre ungewöhnliche räumliche Qualitäten. …Zeche Nordstern? …Zeche Minister Stein? Bildungszentrum unterm Hammerkopf Statt Kohle fördert die Zeche Minister Stein (uKarte 36 ) heute Wissen. Als letzte Dortmunder Zeche wurde Minister Stein 1987 stillgelegt und weitgehend abgerissen. Es blieben der Hammerkopfturm, die Verwaltung und das Kauengebäude. Neu hinzu kam der moderne Bürobau unter dem Turm, der an die frühere Hängebank erinnert. Auf dem Gelände finden sich heute wissenschaftliche Institute und Unternehmen – zusammengefasst im „Zentrum Minister Stein für Wissenschaft, Beratung und Qualifizierung” (ZMS). Das Spektrum reicht weit: vom Institut für Gerontologie und der Sozialforschungsstelle der TU Dortmund über IT-Dienstleister bis hin zum „Entwicklungszentrum für berufliche Qualifizierung und Integration”. 32-33_Was wurde aus.indd_032 32 Freizeittreffpunkt in Parklandschaft 1857 begannen die Abteufarbeiten, 1865 erhielt das Gelsenkirchener Bergwerk den Namen Nordstern, als Zeichen dafür, dass es sich damals um die nördlichste Zeche im Revier handelte. Die heute noch vorhandenen Tagebauten entstanden durch die bedeutenden Industriearchitekten Fritz Schupp und Martin Kremmer. 1993 wurde die Zeche Nordstern I/II stillgelegt und im Rahmen der Bundesgartenschau 1997 in einen Park (uKarte 38 ) mit vielfältigen Freizeitmöglichkeiten verwandelt. Der Wohn- und Gewerbepark bildet den nördlichen Teil des Geländes. Der alte Baubestand wie zum Beispiel die Kauen und die Lohnhalle blieb erhalten, wurde modernisiert und behutsam durch Neubauten und Entwicklungsflächen für Gewerbe ergänzt. Im Jahr 2003 zog die Hauptverwaltung der THS (Treuhandstelle für Bergmannswohnstätten im rheinisch-westfälischen Steinkohlenbezirk) in einige Gebäude der ehemaligen Zeche. 07.12.2009 10:17:47 Uhr Ne u es Leb en a u f a lten F lä ch en 3 3 K u l t u r Steinkohle h aus… Die Menschen im Revier leben den Wandel seit über 40 Jahren erfolgreich vor: Überall im Ruhrgebiet wurde früheren Bergwerken neues Leben eingehaucht. Einige herausragende Beispiele: … Zeche Adolph von Hansemann? …Zeche Helene? Beruflich hoch hinaus Statt in die Tiefe geht es auf der Zeche Adolph von Hansemann heute nach oben: Sie beherbergt in Dortmund Europas größtes Aus- und Fortbildungszentrum für Gerüstbau. Schon 1967 endete hier die Förderung. Ende der 90er begann der Umbau zum Bildungszentrum der Handwerkskammer Dortmund (uKarte 39 ). Die umgerechnet gut 25 Millionen Euro haben sich gelohnt: Für die praxisnahe Ausbildung reisen Azubis und qualifizierungswillige Fachleute aus ganz Deutschland an. Auch andere Angebote des Bildungszentrums genießen internationales Renommee. Rund 60 Dozenten bieten Lehrgänge an – das Spektrum reicht vom Korrosionsschutz bis zur Prüfung zum Dachdeckermeister. Vom Bootsführerschein bis zum Alpenverein Bergsteiger und Hobbykapitäne – zwei Dinge, die man kaum in einer Zeche vermutet. Aber im „Sport- und Gesundheitszentrum Zeche Helene” (uKarte 41 ) in Essen findet sich beides und noch mehr. Hier errichtete der Deutsche Alpenverein in der ehemaligen Lohnhalle eine 13 Meter hohe Kletterwand: ein Paradies für Freunde des Kraxelns. Aber nicht nur sie kommen auf ihre Kosten. Aus dem gesamten Ruhrgebiet reisen angehende Freizeitkapitäne nach Helene, um hier ihren Sportbootführerschein zu machen. Der Steg mit den Trainingsbooten liegt nur zehn Minuten Fahrtzeit entfernt. Neben diesen „Exoten” bietet der Essener Sportbund noch eine ganze Reihe anderer Sportarten an wie Beachvolleyball, Fitnessboxen, Tanz, Taekwondo – oder auch Schach. FOTOS: ALIMDI.NET (2), RAG (3), GERD W. SCHMÖLTER, TEAMWORK, WERNER OTTO, ARTUR … Zeche Graf Bismarck? Wohnen und Arbeiten für Behinderte Die ehemalige Zeche Graf Bismarck (uKarte 40 ) in Gelsenkirchen wandelte sich zur Begegnungsstätte und in ein Zuhause für Menschen mit Behinderung. Im Stadtteil SchalkeNord betreut das Sozialwerk Sankt Georg geistig und körperlich behinderte Menschen sowohl in Neubauten als auch in renovierten Industriedenkmälern wie etwa der ehemaligen Villa des Bergwerksdirektors oder dem Maschinenhaus. Zudem dienen die Einrichtungen des Sozialwerks auch als Treffpunkt und Veranstaltungsort. So kann man die ehemalige Kaue für Hochzeitsfeiern oder andere Festlichkeiten mieten. 32-33_Was wurde aus.indd_033 33 …Zeche Ewald? Wasserstoff – Energie für morgen Auch in Zukunft kommt Energie aus der ehemaligen Zeche Ewald (uKarte 22 ) in Herten: Hier fand das Kompetenz-Zentrum Wasserstoff sein Zuhause. Dieses technologische Highlight umgibt ein Mix aus Dienstleistungs-, Gewerbeund Logistikunternehmen, mit denen nur neun Jahre nach der Stilllegung des Bergwerks Ewald 1/2/7 schon wieder drei Viertel des einstigen Zechengeländes neu besiedelt sind. Umringt vom Landschaftspark Hoheward schafft die Stadt Herten hier mit dem Wasserstoff-Kompetenz-Zentrum H2Herten ein „Silicon Valley” der Brennstoffzelle. Dazu siedelten sich bereits einige Unternehmen der Branche an, und Anfang 2009 wurde auf dem Gelände des „Zukunftsstandorts Ewald” der Grundstein für den „Blauen Turm” gelegt, eine Prototyp-Anlage, die zukünftig aus Biomasse Energie und Wasserstoff gewinnt. 07.12.2009 10:18:14 Uhr 3 4 G e le bter Alltag Steinkohle K u l t u r Essen, Trinken und etwas zum Ü Der Bergbau prägt auch den Alltag – und die Grundbedürfnisse der Menschen im Revier. Feste und flüssige Bergmannsnahrung: „Kommse mit a Der „Pommesführer Ruhr”, kulinarischer Reiseführer durch die Ruhr-Region. Einer der kurzweiligsten kulinarischen Reiseführer durch die Ruhrregion heißt „Pommesführer Ruhr: die 50 kultigsten Buden”. Darin geht es nicht um sternegekrönte Esskultur, sondern um den kürzesten Weg zum nächsten Imbiss mit den knusprigsten Fritten, der cremigsten Mayo und der leckersten Wurst. Nahrhaft soll es sein und gern auf die Schnelle – unprätentiös und typisch. Bergmannskost ist substanziell. Das musste sie auch früher sein, denn der Kalorienbedarf der Bergleute war und ist beträchtlich. Wie Landwirte, Forst- oder Bauarbeiter zählen sie zu den Berufsgruppen mit dem größten täglichen Kalorienverbrauch. Ein weiteres Kriterium: Zutaten waren begrenzt, ihre Haltbarkeit entscheidend. Kartoffeln, saure Gurken, Schmalz, Zwiebeln und das „Stielmus” aus Rübenblättern sind langlebige Lebensmittel und gelangten häufig auf den Speisezettel. In Eintöpfen und Suppen „Quer durch den Garten” verwertete man Reste oder die Ernte aus dem eigenen Beet. Der Kaninchenbraten stammte meist aus hauseigenem Stall. Mit einem robusten „Bergmannsfrühstück” aus Fleisch-, Blut- oder Leberwurst (oder in der saarländischen Variante Lyoner), mit Schmalzstullen, Gewürzgurken, Kaffee und Teil eines „Bergmannsfrühstücks”: Schmalzstulle und Gewürzgurke. einem Schnaps oder Bier begann in früheren Zeiten der Arbeitstag. Mit einem gehaltvollen „Bergmannsteller” aus Frikadelle, Kassler, Würstchen, Mett, Zwiebeln und Bier ging er zu Ende. Kneipen und Gasthäuser, die traditionelle Gerichte noch anbieten, finden sich nicht mehr leicht. Zur Atmosphäre gehört neben der bodenständigen Küche auch die rustikale Einrichtung. Es geht weniger um die Ästhetik als ums gute, preiswerte Essen und die Geselligkeit. Das „Haus Wenzel” (uKarte 42 ) in Herne-Sodingen ist noch so ein authentisches Ecklokal mitten in einer alten Bergmannssiedlung und berühmt für saisonal Hausgemachtes wie die eingelegten Bratheringe – und immer für das gepflegte und perfekt gekühlte Bier. Kultstatus genießt im Ruhrgebiet die „Trinkhalle”. Der Ursprung dieser „Bude”, ein Ausschank mit Imbiss, hatte hygienische Gründe. Als Leitungswasser in urbanen Regionen noch ein gesundheitliches Risiko darstellte, tranken die Bergarbeiter vorwiegend Bier und Schnaps. Die Trinkhallen sollten Abhilfe schaffen. Vor Werkstoren und auf öffentlichen Plätzen errichtet, sollten sie die Arbeiter mit Mineralwasser und anderen nichtalkoholischen Getränken versorgen. Ein anderes Relikt der „guten alten Zeit” im Revier ist bis heute der Bergmannsschnaps. Ins Pinnchen kommt er, wann immer es eine Gelegenheit zum Anstoßen gibt. Während er in anderen Bergbauregionen wie im Harz oder in Österreich aus Kräutern gebrannt wird, ist die Ruhrgebietsvariante ein klarer Korn mit rund 30 Prozent Alkoholgehalt, in Maßen genossen, gern nach einem guten Essen. Lakonischer waren übrigens die Bergleute in Ostdeutschland bei der Namenswahl ihres Zunftgetränks: Dort hieß er „Kartoffelsprit” oder schlicht „Kumpeltod”. Von „Rennpferden des kleinen Mannes” und „Bergmannskühen” Auf Reisen gehen, große Entfernungen „vogelfrei” zurücklegen und wohlbehalten in die Heimat zurückkehren: Ein wenig Romantik und Freiheitsstreben spielen sicher eine Rolle für die Bedeutung des Brieftaubensports im Ruhrgebiet, ebenso wie die engen Lebensund Wohnverhältnisse der Bergleute im Revier, die um die vorletzte Jahrhundertwende in „Kolonien” wohnten. Ihre Gärten bildeten die Basis zur Aufbesserung des Budgets durch eigenes Kleinvieh, Obst und Gemüse. Im Jahr 1900 verfügten 86 Prozent der Wohnungen über einen Garten und 96 Prozent über einen eigenen Stall. Während der sogenannten „Feierschichten” im Sommer – den Monaten einer verringerten Förderung – blieb den Bergleuten genügend Zeit, sich um Garten und Nutztiere zu kümmern. Ausgleich für die Schwerstarbeit unter Tage bot in der warmen Jahreszeit der Taubensport. Schon vor 1870 gründeten sich erste Vereine, im Jahr 1869 bot das Bochumer „Reisetauben-Sporthaus August Nolzen oHG” 34-35_Kuriositäten.indd_034 34 bereits „Alles für den Taubensport” an. Ab 1881 gab es die erste „Brieftaubenreisevereinigung” in Bochum. In Gelsenkirchen trugen die ortsansässigen Vereine stolze Namen wie „Heimkehr”, „Vorwärts”, „Fortuna” oder „Bauernfreund”. Die Reisevereinigungen sind bis heute die „Reisebüros” für Brieftaubenzüchter. Sie führen die Wettbewerbe durch, bei denen Spezial-Lkw (genannt „Kabinenexpress”) die Tauben zu 100 bis über 1000 Kilometer entfernten Auflassplätzen transportieren. Dort treten sie den Luftweg in die Heimat an, mit Spannung erwartet von ihren Besitzern. Wie sich die Tauben auf diesen langen Distanzen genau orientieren, gehört noch immer zu den ungelösten Geheimnissen. Sicher ist aber: Die gefiederten Sieger und ihre Halter werden preisgekrönt. Und der Wert der Vögel steigt mit jedem Erfolg – bis in die Tausende Euro. Bodenständiger kommt dagegen die „Bergmannskuh” daher: Eine Ziege hinter dem Haus gehörte zum Standard des Bergarbeiteralltags. Die genügsamen Tiere der Rasse „Weiße Deut- Der Taubenzüchter und Fernsehstar Manni Heldt (rechts) mit seinem Bruder Gustav aus der Siedlung Eisenheim in Oberhausen. 07.12.2009 10:20:28 Uhr G elebter Allt a g 3 5 K u l t u r Steinkohle m Überziehen Haus Wenzel, Händelstraße 33, 44627 Herne, Telefon (02323) 6604 Alf Rolla: „Kommse anne Bude? – Trinkhallen-Geschichte(n) aus dem Revier”, Wartberg Verlag, 80 Seiten, 9,90 Euro. Henning Prinz: „Pommesführer Ruhr: Die 50 kultigsten Buden”, Klartext Verlagsgesellschaft, 120 Seiten, 9,95 Euro. Informationen auch unter www.pommesfuehrer.de. FOTOS: © PRO SIEBEN/OLIVER SCHULZE, PR (2) t anne Bude?” Couture für Kumpel: „Germany’s next Topmodel” zu Gast auf dem Bergwerk Walsum. FOTOS: PR, INTRO, VISUM Bergbau in Mode: vom Kittel bis zum „Zechenkind” Armin Rohde trinkt gern mal einen Kaffee an seinem Lieblings-Kiosk in Bochum. ” Weitere Informationen über den modernen Brieftaubensport bietet die Homepage des Verbandes Deutscher Brieftaubenzüchter e. V. in Essen unter www.brieftaube.de. 34-35_Kuriositäten.indd_035 35 FOTO: RALPH LUEGER sche Edelziege” sind noch heute ideal für den Hausgebrauch: Sie liefern Milch, Fleisch, Fell – und Mist, also Dünger. 300.000 davon bevölkerten in den 20er Jahren des vorigen Jahrhunderts allein das Rheinland, im Ruhrgebiet waren es vermutlich noch mehr. Besonders in der Nahrungsmittelknappheit während des Zweiten Weltkriegs und danach rettete sich manche Familie mit gehaltvoller Ziegenmilch. In den 1970er und 80er Jahren verschwanden Ziegen fast ganz aus dem Revier – bis sich eine neue Ertragsquelle auftat. BioKäsereien nutzen heute in kleinem Rahmen, was früher Millionen ernährte: bekömmliche Ziegenmilch – Grundlage für begehrte Käseprodukte, die sich mit den feinsten französischen Sorten durchaus messen können. Mode im Revier – das ist auch ein Laufstegthema. Zumindest, als Bergleute der Zeche Walsum 2006 Germany‘s next Topmodels bei einem Dreh der Reality-TV-Show live erleben konnten. Die Historie der Mode im Bergbau ist eng mit der Arbeit verbunden: Schon seit dem 15. Jahrhundert stellte das „Arschleder” ein Zunftsymbol mit praktischem Nutzen dar. Das dreieckige oder halbrunde, von einem Leibriemen gehaltene Leder diente zum Herunterrutschen in steilen und halbsteilen Lagerungen und bot so dem Hinterteil mechanischen Schutz. Noch heute setzt ihm die letzte Strophe des Steigerlieds ein Denkmal. Ein anderes legendäres Kleidungsstück, das man heute bei besonders festlichen Anlässen im Revier trägt, ist der Bergmannskittel, auch Bergkittel genannt. Selbstbewusst sagt ein historisches österreichisches Bergarbeitergedicht: „Denn unter diesem Kittel sitzt / ein Mann, der wahrlich noch mehr nützt / als mancher von den großen Herrn / im Galarock mit Band und Stern”. Nicht einheitlich, aber symbolstark sind die Erklärungen zu seinem charakteristischen Erscheinungsbild: So sollen seine obersten drei Knöpfe an die Kerkerjahre der Schutzpatronin heilige Barbara erinnern, deren Gesamtzahl die 29 Lebensjahre der Märtyrerin symbolisieren. Die goldene Farbe der Knöpfe stehe für die Sonne, das schwarze Tuch für die ewige Nacht unter Tage. Für modische Statements sorgt die Kölner Modeschöpferin Eva Gronbach (Jahrgang 1971). Die Designerin machte 2005 mit ihrer Sommerkollektion „Glück auf” Furore: „Deutschland ist voller Kollektionsideen”, sagt die Inhaberin einer eigenen Boutique im Belgischen Viertel der Domstadt, „das beste Beispiel ist meine modische Umsetzung des deutschen Steinkohleabbaus.” Inspirieren ließ sich Eva Gronbach von der Arbeit der Kumpel in der 1997 stillgelegten Steinkohlenzeche Sophia Jacoba. Nicht mehr als Arbeitskleidung geeignete Stücke wurden gereinigt, neu verarbeitet und schließlich manuell bedruckt mit Texten wie „himmelhochjauchzend” und „Glück auf”, die den Kleidungsstücken neue Auftritte verschafften: als Symbole für Innovationskraft und Zukunftsglauben. In der Kollektion 2009 findet sich der Schriftzug „Glück auf” auf einem Kleidungsstück, das garantiert noch kein Bergmann trug: Es ziert die Hinterseite einer Damenunterhose. In ihrem Onlineshop verkauft Gronbach dafür „original getragene Bergmann-T-Shirts” mit ihrem Logo bedruckt – jedes Stück ein Unikat. Eva Gronbach Store, Maastrichter Straße 47, 50672 Köln, Telefon (0221) 16 8962 94, www.evagronbach.com. Unikate aus gebrauchter Bergmannskleidung kreiert auch die Dortmunderin Anika Beller-Kraft – zum Beispiel Taschen, Portemonnaies oder Schlüsselbänder aus ausgemusterten Jacken, Hemden und Hosen – und vertreibt sie unter der Marke „Zechenkind”. „Jeder Rostfleck hat Geschichte”, sagt die junge Designerin, der die Historie ihrer Textilien besonders wichtig ist – ebenso wie der soziale Aspekt: Gefertigt werden die Accessoires von 15 Frauen eines Hagener Langzeitarbeitslosenprojekts. Erstaunlich: Besonders Hamburger zählen zu ihren Fans. www.zechenkind.de Die Bochumer Marke „Grubenmann” bietet zwar keine authentischen Accessoires, setzt dafür aber auf Solidität und Identifikation: Das Wappen mit dem Grubenmann prangt unter anderem auf modischen T-Shirts, Kaffeebechern – und hölzernen Pommes-Pickern. www.grubenmann.de 07.12.2009 10:20:58 Uhr 36_U4_Ruhr_2010.indd_001 1 04.12.2009 15:54:12 Uhr 1 7 Sch a uplätze im Überblick Steinkohle K u l t u r 19 Rund 500.000 Menschen im Jahr besuchen den einzigartigen Landschaftspark Duisburg-Nord rund um das ehemalige Hüttenwerk. Eine ganze Region ist Europäische Kulturhauptstadt 2010 – aus gutem Grund. Nicht zuletzt der Bergbau und die Kohle haben dem Ruhrgebiet ihren Stempel aufgedrückt und es kulturell geprägt. Die 42 Highlights der BergbauKultur aus dieser Ausgabe und die wichtigsten Punkte der Route der Industriekultur finden Sie auf dieser Karte. Kokerei Hansa Emscherallee 11, 44369 Dortmund-Huckarde (0231) 93 11 22 33 www.kokereihansa.de Ankerpunkt der Route Industriekultur usiehe S. 6 Westfälisches Landesmuseum für Industriekultur Zeche Zollern Grubenweg 5, 44388 Dortmund-Bövinghausen (0231) 69 61-111 www.zeche-zollern.de Ankerpunkt der Route Industriekultur usiehe S. 6 auf dem Gelände der Zeche: Fritz-Hüser-Institut für Literatur und Kultur der Arbeitswelt (0231) 50-231 35 www.fhi.dortmund.de usiehe S. 29 2 Bergwerk Walsum Dr.-Wilhelm-Roelen-Straße 129, 47179 Duisburg-Walsum (0203) 484-0 usiehe S. 6 3 Zeche Lohberg 4 Hünxer Straße 368, 46537 Dinslaken-Lohberg usiehe S. 6 Zeche Fürst Leopold 5 Halterner Straße 105, 46284 Dorsten www.zechedorsten.de usiehe S. 7 Welterbe Zollverein: Zeche Zollverein Schacht XII, Gelsenkirchener Straße 181, 45309 Essen-Stoppenberg (0201) 24 68 10 Kokerei Zollverein, Arendahlswiese, 45141 Essen-Katernberg (0231) 93 11 22 33 www.zollverein.de Ankerpunkt der Route Industriekultur usiehe S. 7, S. 16 6 Siedlung Margarethenhöhe Steile Straße/Kleiner Markt, 45149 Essen-Margarethenhöhe Siedlung S 8 der Route Industriekultur usiehe S. 8 7 Kolonie Meerbeck Bismarckstraße/Donaustraße/ Kirschenallee, 47443 Moers-Meerbeck usiehe S. 8 8 Siedlung Schüngelberg und Halde 9 Rungenberg Schüngelbergstraße/Holthauser Straße, 45897 Gelsenkirchen-Buer Siedlung S 13 und Panorama P 14 der Route Industriekultur usiehe S. 8 in der Siedlung: das kleine Museum Eschweilerstraße 11 und 47, 45897 Gelsenkirchen (0209) 59 46 59 www.zeche-hugo.com/1082 usiehe S. 22, S. 25 Siedlung Eisenheim 10 Fuldastraße/Werrastraße, 46117 Oberhausen-Osterfeld Siedlung S 11 der Route Industriekultur usiehe S. 8 Alt-Siedlung Friedrich Heinrich 11 Marktplatz/Ebertstraße, 47475 Kamp-Lintfort Siedlung S 10 der Route Industriekultur siehe S. 8 in der Siedlung: Museum „Haus des Bergmanns” Ebertstraße 88/Antonstraße 31, 47475 Kamp-Lintfort (02842) 417 84 (Jörg Kaenders) www.bergmannstradition.de/Museum usiehe S. 23 Siedlung Dahlhauser Heide Hordeler Heide, 44793 Bochum-Hordel Siedlung S 2 der Route Industriekultur usiehe S. 8 12 Siedlung Teutoburgia Baarestraße/Schadeburgstraße, 44627 Herne-Börnig www.herne.de/kommunen/herne/ttw.nsf/id/ Teutoburgia-Siedlung Siedlung S 3 der Route Industriekultur usiehe S. 8 13 Alte Kolonie Lünen-Brambauer und Bergarbeiter-Wohnmuseum Rudolfstraße 10, 44536 Lünen-Brambauer (0231) 87 65 02 usiehe S. 8 14 Deutsches Bergbau-Museum 15 Bochum und Montanhistorisches Dokumentationszentrum Am Bergbaumuseum 28, 44791 Bochum (Eingang Europaplatz) (01805) 87 72 34 www.bergbaumuseum.de Ankerpunkt der Route Industriekultur usiehe S. 10, S. 13 Technische Fachhochschule „Georg Agricola” Herner Straße 45, 44787 Bochum (0234) 968-02 www.tfh-bochum.de usiehe S. 12 16 Haus der Geschichte 17 des Ruhrgebiets Clemensstraße 17–19, 44789 Bochum www.ruhr-uni-bochum.de/isb usiehe S. 13 Zeche Brockhauser Tiefbau 18 Am Bliestollen, 44797 Bochum-Sundern usiehe S. 16 Landschaftspark Duisburg-Nord 19 Emscherstraße 71, 47137 Duisburg (0203) 429 19 42 www.landschaftspark.de Ankerpunkt der Route Industriekultur usiehe S. 16 Gasometer Oberhausen Arenastraße 11, 46047 Oberhausen (0208) 850 37 30 www.gasometer.de Ankerpunkt der Route Industriekultur usiehe S. 21 20 Schurenbachhalde Emscherstraße, 45329 Essen-Altenessen Panorama P 15 der Route Industriekultur usiehe S. 21 21 Halde Hoppenbruch im Landschaftspark Hoheward Ewaldstraße, 45699 Herten-Süd www.landschaftspark-emscherbruch.de Panorama P 2 der Route Industriekultur usiehe S. 21 und Zeche Ewald Lise-Meitner-Straße/Ewaldstraße, 45699 Herten-Süd www.projekt-ewald.de usiehe S. 33 22 Halde Rheinpreussen Gutenbergstraße, 47443 Moers Panorama P 9 der Route Industriekultur usiehe S. 21, 27 23 Veltins-Arena (Heimatstadion des FC Schalke 04) Arenaring, 45891 Gelsenkirchen-Erle www.veltins-arena.de usiehe S. 22 24 Begegnungs- und Dokumenta25 tionszentrum des Knappenvereins Walsum e. V. Teutonenstraße 11–13, 47178 Duisburg-Walsum usiehe S. 23 Stollenmuseum „Fröhliche 26 Morgensonne” Doris und Horst Höfer, Stockumer Wiese 4, 59427 Unna-Stockum (02308) 479 usiehe S. 24 Bergbausammlung Volkshaus 27 Rotthausen Belforter Straße 20, 45884 Gelsenkirchen-Rotthausen (0209) 13 49 04 www.bergbausammlung-volkshaus.de usiehe S. 25 Route der Industriekultur Weithin sichtbar: der begehbare „Glaselefant” im Maximilianpark, entstanden aus der ehemaligen Kohlenwäsche der Zeche Maximilian. BW Auguste Victoria Rheinhauser Bergbausammlung e. V. Auf dem Berg 9, 47228 Duisburg-Rheinhausen (02065) 210 52 (Gerhard Wagner) www.bergbausammlung.de usiehe S. 25 28 Halde Haniel mit Amphitheater Fernewaldstraße (Parkplatz Bergwerk Prosper-Haniel), 46242 Bottrop Panorama P 12 der Route Industriekultur usiehe S. 27, S. 28, S. 31 29 Tetraeder auf Halde Beckstraße 30 Beckstraße, 46328 Bottrop-Batenbrock Panorama P 13 der Route Industriekultur usiehe S. 27 Zeche Waltrop Sydowstraße, 45731 Waltrop usiehe S. 27 31 Mondpalast von Wanne-Eickel Wilhelmstraße 26, 44649 Herne-Wanne (02325) 58 89 99 www.mondpalast.com/index/index.htm usiehe S. 28 32 Stratmanns Theater 33 im Europahaus Kennedyplatz 7, 45127 Essen (0201) 820 40 60 www.stratmanns.de usiehe S. 28 Ruhrfestspielhaus Otto-Burrmeister-Allee 1, 45657 Recklinghausen (02361) 91 84 01 www.vccre.de/ruhrfestspielhaus.php usiehe S. 29 34 Pfarrkirche Sankt Nikolaus Essener Str. 4, 45141 Essen-Stoppenberg (0201) 899 16-0 www.st-nikolaus-essen.kirche-vor-ort.de usiehe S. 31 35 Rhein BW Ost S 13 P 12 / S 10 Bergarbeitersiedlung Friedrich Heinrich in Kamp-Lintfort, entstanden ab 1907 nach dem Vorbild der englischen Gartenstadt. Bildungszentrum Hansemann 39 der Handwerkskammer Dortmund Barbarastraße 7, 44357 Dortmund-Mengede (0231) 54 93-850 www.hwk-dortmund.de/index.php?id=bz_ hansemann usiehe S. 33 Landschaftspark Duisburg-Nord 3 S 12 P 13 P 11 19 BW West Zeche Graf Bismarck 40 Uechtingstraße 76, 45881 Gelsenkirchen-Schalke-Nord usiehe S. 33 S 11 10 P9 23 Innenhafen Duisburg 8 S9 Museum der Deutschen Binnenschifffahrt Duisburg 28 20 40 P2 37 32 P1 Welterbe Zollverein Essen Gasometer Oberhausen am CentrO 41 33 S1 6 S2 39 Lindenbrauerei Unna S4 13 36 1 LWL-Industriemuseum Zeche Zollern Dortmund Kokerei Hansa Dortmund 17 Eisenbahnmuseum Bochum-Dahlhausen S7 Unternehmenssitz Servicebereich Technik- und Logistikdienste 18 26 DASA Dortmund Deutsche Arbeitsschutzausstellung P7 S8 Villa Hügel Essen / P 9 Installation „Das Geleucht” auf der Halde Rheinpreussen in Moers. LVRIndustriemuseum Oberhausen Ruhr RAG Montan Immobilien RAG Bildung Showgießen im Industriemuseum Henrichshütte, Hattingen. 1854 gegründet, war die Henrichshütte eines der traditionsreichsten Eisenhüttenwerke des Ruhrgebiets. bieten Überblicke Der Hammerkopfturm gehört zum Gelände der ehemaligen Dortmunder Zeche Minister Stein, das heute ein Zentrum für Wissenschaft, Beratung und Qualifikation beherbergt. 36 Ruhr 23 Hohenhof Hagen LWL-Industriemuseum Henrichshütte Hattingen Flöz Dickebank, Gelsenkirchen Dahlhauser Heide, Bochum Teutoburgia, Herne Alte Kolonie Eving, Dortmund Ziethenstraße, Lünen Lange Riege, Hagen Altenhof II, Essen Margarethenhöhe, Essen Rheinpreussen, Duisburg Alt-Siedlung Friedrich Heinrich, Kamp-Lintfort Eisenheim, Oberhausen Gartenstadt Welheim, Bottrop Schüngelberg, Gelsenkirchen Panoramen der Industrielandschaft P6 P8 Für die Sozialgeschichte des Ruhrgebiets und die städtebauliche Gegenwart sind die vielfältigen Siedlungen besonders aufschlussreich. Sie erlauben einen authentischen Einblick in das Leben der Region. S 11 S 12 S 13 Jahrhunderthalle Bochum 12 Essen Aquarius Wassermuseum Mülheim an der Ruhr 15 16 35 7 P3 2 27 21 Kokerei Prosper 42 S3 S5 14 Herne 30 P 10 11 24 38 22 Nordsternpark Gelsenkirchen P 15 25 Deutsches BergbauMuseum Bochum 9 Bottrop BW ProsperHaniel S 10 P4 31 das Ruhrgebiet zu Hause S1 S2 S3 S4 S5 S6 S7 S8 S9 S 10 P5 Recklinghausen – Museum Strom und Leben P 14 29 11 LWL-Industriemuseum Schiffshebewerk Henrichenburg Waltrop 34 Umspannwerk 4 Nordsternpark Nordsternstraße/Am Bugapark, Gelsenkirchen-Horst. www.nordsternpark.de Ankerpunkt der Route Industriekultur usiehe S. 32 Haus Wenzel 42 Händelstraße 33, 44627 Herne-Sodingen (02323) 66 04 usiehe S. 34 pe Lip Servicebereich Belegschaft Ankerpunkte mit Besucherzentrum Bedeutende Siedlungen Maximilianpark Hamm 5 38 Sport- und Gesundheitszentrum 41 Zeche Helene Twentmannstraße 125, 45326 Essen-Altenessen (0201) 832 25-52 www.zeche-helene.de usiehe S. 33 Gewaltige Ingenieurleistung aus dem Jahr 1899: Das Schiffshebewerk Henrichenburg in Waltrop ist ein Denkmal von europäischem Rang. Lippe Akademie Mont-Cenis: Fortbil37 dungsakademie des Innenministeriums des Landes Nordrhein-Westfalen Mont-Cenis-Platz 1, 44627 Herne-Sodingen (02323) 96 50, www.akademie-mont-cenis.de usiehe S. 32 Erlebnisorte und Knotenpunkte für Informationen bieten umfassende Informationen Chemiepark Marl 30 / P 13 Landmarke Tetraeder, Bottrop, auf der ehemaligen Halde der Schachtanlage Prosper. Zentrum Minister Stein für Wissenschaft, Beratung und Qualifizierung Evinger Platz, 44339 Dortmund-Eving www.zentrum-minister-stein.de usiehe S. 32 36 Ankerpunkte S6 LWL-Freilichtmuseum Hagen Handwerks- und Technikgeschichte vom 18. bis ins 20. Jahrhundert im LWL-Freilichtmuseum Hagen. Eine besondere touristische Attraktion bilden die herausragenden Aussichtspunkte einer Region. Hier im Revier kann man die typische industrielle Kulturlandschaft überblicken. Einige dieser Panoramen sind als neue Zeichen der Landmarken-Kunst gestaltet. P1 P2 P3 P4 P5 P6 P7 P8 P9 P 10 P 11 P 12 P 13 P 14 P 15 Halde Rheinelbe, Gelsenkirchen Halden Hoheward/Hoppenbruch, Herten Halde Schwerin, Castrop-Rauxel Halde Großes Holz, Bergkamen Kissinger Höhe, Hamm Fernsehturm Florian, Dortmund Hohensyburg, Dortmund Berger-Denkmal auf dem Hohenstein, Witten Halde Rheinpreussen, Moers Halde Pattberg, Moers Alsumer Berg, Duisburg Halde Haniel, Bottrop Tetraeder, Bottrop Halde Rungenberg, Gelsenkirchen Halde Schurenbach, Essen KARTE: GOOGLE EARTH 2009/DIETER DUNEKA; FOTOS: PICTURE PRESS, MAURITIUS IMAGES, DAS FOTOARCHIV (3), VISUM, THOMAS STACHELHAUS, BLICKWINKEL, WERNER OTTO Bergbau-Kultur im Revier 1 Scha upl ä tze i m Überbl i ck 2 0 K u l t u r Steinkohle 5 km 17-20_Innenklapper_GoogleE.indd 17-18 07.12.2009 10:52:11 Uhr