Landminen: Auswirkungen

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Landminen: Auswirkungen
Materialien zur raumordnung
71
Anne Dailly Hamdorf - Marion Gnanko Geisler
Landminen
Auswirkungen auf Gesellschaften in Entwicklungsländern
Mit den Fallbeispielen Afghanistan und Mozambique
Geographisches Institut
Ruhr-universität bochum
2007
Materialien zur Raumordnung
begründet von Karlheinz Hottes
Band 71
Herausgegeben vom Geographischen Institut der Ruhr-Universität Bochum
Schriftleitung: Carsten Jürgens
Anne Dailly Hamdorf & Marion Gnanko Geisler
Landminen
Auswirkungen auf Gesellschaften in Entwicklungsländern
Mit den Fallbeispielen Afghanistan und Mozambique
Bochum 2007
ISBN 978-3-925143-43-4
© Geographisches Institut der Ruhr-Universität Bochum.
Bochum 2007
Alle Rechte vorbehalten, auch das der auszugsweisen photomechanischen Wiedergabe oder
der Speicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.
Zu Beziehen durch:
Ruhr-Universität Bochum
Geographisches Institut
Selbstverlag
44780 Bochum
In elektronischer Form über die Webseite des
Aktionsbündnis landmine.de
www.landmine.de/de.titel/de.publikationen/index.html
(Druck- und Online-Ausgaben sind mit Ausnahme von
Farbabbildungen in der Onlineversion identisch).
Druck: Druckzentrum der Ruhr-Universität Bochum
Einbandgestaltung: Anne Dailly Hamdorf & Marion Gnanko Geisler
(Minetech-Minenräumer in leuchtender Schutzkleidung  Mine Action Coordination Centre Südlibanon;
Überreste eines Autos in einem Minenfeld  ICBL/Tim Grant; Schulweg durch ein Minenfeld  MgM;
Junge und Mädchen mit Beinprothesen  ICBL/Tim Grant; Afghanischer Junge lernt das Laufen mit
Prothesen  ICBL/John Rodstedt; Sprengung von geräumten Minen / UXO  ICBL/Tim Grant; Personenmine PMA 2 auf der Hand  ICBL/John Rodstedt; Personenmine, Angola  ICBL/Tim Grant; Minenfeldmarkierung  ICBL/Tim Grant; Fahrzeugminen, Sudan  UNMAS; Schatten  ICBL/Tim Grant; Prothesen, Kambodscha  ICBL/Sheree Bailey; Minenräumer mit Minensuchnadel, Angola  ICBL/Tim Grant;
Afghanische Minenräumer mit Minensuchhunden  ICBL/Sheree Bailey)
Vorwort und Danksagung
Warum ist es heute wichtig und notwendig, sich mit dem Thema „Landminen“ auseinanderzusetzen? Landminen sind ein Problem, das hier zu Lande in seinem Ausmaß nur Wenigen
bekannt oder bewusst ist, mit dem weltweit aber viele Menschen täglich leben müssen. Auch
nach Ende eines Konfliktes wird die betroffene Bevölkerung weiterhin über Jahrzehnte hinweg bis zur Räumung dieser explosiven Kampfmittel in ihrem Leben bedroht und massiv eingeschränkt.
Im Jahr 1999 wurde mit dem Inkrafttreten der sog. Ottawa-Konvention ein wichtiger Schritt
zu einer Lösung dieses Problems getan, da seitdem für die Unterzeichnerstaaten jeglicher
Umgang mit Personenminen verboten ist. Jedoch ist zum einen die Räumung der bis dahin
zahlreich eingesetzten Personenminen in vielen Ländern noch lange nicht abgeschlossen,
zum anderen haben sich einige der wichtigsten Militärmächte, wie z.B. die USA, China, Pakistan, der Iran und der Irak, dem Abkommen nicht angeschlossen.
Darüber hinaus ist die Produktion, die Lagerung und der Einsatz von Fahrzeugminen und
Streubomben weiterhin erlaubt, obwohl diese in gleicher Weise wie Personenminen das
Leben von Zivilisten bedrohen. Trotz kontinuierlicher Bemühungen vieler internationaler
Organisationen und insbesondere der International Campaign to Ban Landmines (ICBL), welche zu einem wesentlichen Anteil dazu beigetragen hat, dass die Ottawa-Konvention zustande
gekommen ist, ist es bisher nicht gelungen, das Verbot auch auf diese Waffen auszuweiten.
Weil in vergangenen und gegenwärtigen Konflikten Landminen- und Streubombentechnologien massiv eingesetzt wurden bzw. werden und weil diese – nicht zuletzt aufgrund der derzeitigen unzureichenden Vertragslage – auch in zukünftigen Konflikten weiterhin Anwendung
finden werden, sind
1. die Auseinandersetzung mit dieser Problematik,
2. weiteres politisches Engagement zur Aufklärung der Öffentlichkeit
und zur Ausweitung des Verbots auf alle Landminen und minenähnlichen Waffen,
3. Maßnahmen zur Reduzierung der durch den Einsatz dieser Waffen verursachten
Auswirkungen auf die betroffene Bevölkerung und
4. die langfristige Sicherstellung der Finanzierung umfassender Maßnahmen
zwingend erforderlich.
Die vorliegende Publikation beschäftigt sich mit den Auswirkungen der Landminen- und
Streubombentechnologie auf betroffene Gesellschaften und mit den Schwierigkeiten und
Erfahrungen im Rahmen von Lösungsansätzen der Humanitären Minenräumung bzw. im
Rahmen von Mine Action. Der Text beruht – bis auf kleinere Änderungen – auf einer im
Winter 2005/2006 von den Autorinnen am Geographischen Institut der Ruhruniversität
Bochum verfassten Diplomarbeit.
Wir bedanken uns herzlich bei all den Menschen, die uns auf vielfältige Weise tatkräftig
unterstützt und in unserer Arbeit ermutigt haben: unseren Familien und Freunden, die ein
großes Interesse an dem Thema gezeigt haben und deren Anregungen und Zuspruch eine
wertvolle Hilfe waren; unseren Betreuern Dr. Thomas Held und Dr. Astrid Seckelmann, die
uns während der Bearbeitungszeit unterstützend begleitet haben und unseren Ideen offen
gegenüber standen. Unser besonderer Dank gilt Per Nergaard, Vera Bohle, Johannes
Dirscherl, Robert Diethelm und Ted Paterson, unseren weiteren Interviewpartnern und Mine
Action Experten aus verschiedenen Organisationen und Institutionen, ohne deren Offenheit
und Hilfsbereitschaft wir nicht einen solch tiefen Einblick in die Landminenproblematik
hätten gewinnen können.
Wir bedanken uns beim Vorstand des Geographischen Instituts für seine Zustimmung zur
Aufnahme der vorliegenden Arbeit in die Schriftenreihe „Materialien zur Raumordnung“
(MzR) und für die finanzielle Unterstützung der Veröffentlichung. Für letztere danken wir
gleichermaßen auch der Rheinisch-Westfälischen Gesellschaft für Landeskunde und Regionalforschung (RWLR). Ebenso gilt unser Dank Herrn Dipl. Ing. R. Wieland für die technische
Betreuung und Kartenbearbeitung.
Wir freuen uns ganz besonders über die Möglichkeit, unsere Arbeit auch als OnlinePublikation über die Webseite des Aktionsbündnisses Landmine.de (www.landmine.de) verfügbar machen zu können, auf dessen wichtige Arbeit wir an dieser Stelle hinweisen möchten:
Das Aktionsbündnis Landmine.de bildet die deutsche Sektion der International Campaign
to Ban Landmines (ICBL) und ist ein Zusammenschluss engagierter entwicklungspolitischer
Organisationen∗, die sich in Deutschland für ein umfassendes und weltweites Verbot aller
Landminentypen und minenähnlicher Waffen einsetzen, Aufklärungsarbeit bei der Öffentlichkeit leisten und eine umfassende Unterstützung der weltweiten Minenräumung und Opferhilfe
einfordern.
In diesem Zusammenhang möchten wir uns herzlichst bei dem Aktionsbündnis und insbesondere bei seinem Leiter Thomas Küchenmeister für die Unterstützung bedanken.
Bochum, im Februar 2007
Dipl.-Geogr. Anne Dailly Hamdorf
Dipl.-Geogr. Marion Gnanko Geisler
Kontakt: [email protected]
∗
Brot für die Welt, Christoffel-Blindenmission, Deutsche Kommission Justitia et Pax, Deutsche Welthungerhilfe, Deutscher Caritasverband, Diakonie Katastrophenhilfe, EIRENE-International, Handicap International, Kindernothilfe,
medico international, MISEREOR, OXFAM-Deutschland, Pax Christi, Solidaritätsdienst International (SODI), terre des
hommes, UNICEF-Deutschland.
Inhalt
Inhalt
Abkürzungsverzeichnis
Glossar
Abbildungsverzeichnis
Tabellenverzeichnis
Textboxverzeichnis
IV
VII
IX
X
XI
I
EINFÜHRUNG UND THEMATIK
1
Einleitung
1.1 Problemaufriss
1.2 Zielsetzung der Arbeit
1.3 Auswahl der Fallbeispiele Afghanistan und Mozambique
1
1
2
3
2
Aufbau und Methodik der Arbeit
2.1 Untersuchungsmethoden
2.2 Verwendung von Begriffen
4
4
5
3
Landminen: Der historische und technische Hintergrund
3.1 Die Entwicklung der Landminentechnologie
3.2 Der Einsatz von Landminen
3.2.1 Militärstrategische Gründe für den Einsatz von Landminen
3.2.2 Der Wandel in der Verwendung von Landminen
3.3 Landminen: Der technische Hintergrund
3.3.1 Die verschiedenen Landminentypen
3.3.2 Besonderheiten der Landminentechnologie
3.3.3 Andere Kampfmittelrückstände
3.4 Die Räummethoden
6
6
8
8
9
11
11
16
17
19
4
Das weltweite Ausmaß der Landminen- und UXO-Kontaminierung
25
5
Internationale Abkommen zum Einsatz von Landminen
5.1 Konvention über bestimmte konventionelle Waffen (CCW)
5.1.1 CCW Protokoll II in der Fassung von 1980
5.1.2 CCW Zusatzprotokoll II von 1996
5.1.3 CCW Protokoll über explosive Kampfmittelrückstände (Protokoll V)
5.2 Die internationale Ächtung von Personenminen
5.2.1 Der Ottawa-Prozess
5.2.2 Das Abkommen zur Ächtung von Personenminen: Die Ottawa-Konvention
5.2.2.1 Die Bestimmungen der Ottawa-Konvention
5.2.2.2 Kritische Anmerkungen zur Ottawa-Konvention
5.3 Fazit: Der Beitrag von internationalen Abkommen zur Lösung des Landminenproblems
28
29
30
30
32
33
33
34
35
38
41
II MINE ACTION UND PRIORITÄTENSETZUNG
6
Mine Action
6.1 Sozioökonomische Auswirkungen der Landminenkontaminierung
6.2 Definition von Mine Action
6.2.1 Die fünf Kernkomponenten von Mine Action
6.2.2 Operational Mine Action
6.3 Von Minenräumung zu Mine Action: Die Entwicklung einer Disziplin
6.4 Phasen eines Mine-Action-Programms
43
43
49
50
54
54
58
7
Planung und Prioritätensetzung in Mine-Action-Programmen
7.1 Der Paradigmenwandel im Mine-Action-Konzept und Konsequenzen für die Planung
7.1.1 Die Zunahme der Bedeutung sozioökonomischer Faktoren
7.1.2 Von ‚mine-free’ zu ‚mine impact-free’
7.2 Aufbau eines nationalen Mine-Action-Programms
62
62
63
65
67
I
Inhalt
7.3 Nationale Mine-Action-Programme und Prioritätensetzung
7.3.1 Die Notwendigkeit einer Prioritätensetzung
7.3.2 Anforderungen an eine Prioritätensetzung
7.3.3 Prioritätensetzung innerhalb eines Mine-Action-Programms
7.4 Zwischenfazit: Prioritätensetzung im Rahmen von Mine-Action-Programmen
8
Methoden und Instrumente zum ‚Impact Assessment’
8.1 Der ‚Landmine Impact Survey’ (LIS)
8.1.1 Definition und Ziel des LIS
8.1.2 Die Methodik des LIS
8.1.2.1 Der ‚Mine Impact Score’
8.1.2.2 ‚Expert Opinion Collection’ (EOC)
8.1.2.3 ‚Community Interviews’
8.1.3 Stärken und Schwächen des LIS-Konzeptes
8.1.3.1 Grenzen der Methodik des LIS-Konzeptes
8.1.3.2 Akzeptanz der LIS-Daten durch Mine-Action-Akteure
8.1.3.3 Die Anwendbarkeit des ‚Landmine Impact Survey’
8.2 Das Informationsmanagement System für Mine Action (IMSMA)
8.2.1 Die Zielsetzung des Informationsmanagementsystems für Mine Action (IMSMA)
8.2.2 Die Problematik der Nutzung von IMSMA-gestützten Datenbanken
8.3 Der Beitrag von LIS und IMSMA zur Verbesserung der Mine-Action-Planung
73
73
73
76
83
85
88
88
89
89
90
92
93
93
102
103
105
105
106
107
III FALLSTUDIEN: MINE ACTION IN MOZAMBIQUE UND AFGHANISTAN
9
Fallstudie Mozambique
9.1 Landesspezifischer Hintergrund
9.1.1 Allgemeine Informationen zur naturräumlichen und sozioökonomischen Struktur
von Mozambique
9.1.2 Konflikthistorischer Hintergrund
9.1.3 Ausmaß und Art der Landminenkontaminierung
9.2 Das nationale Mine-Action-Programm
9.3 Instrumente für die Mine-Action-Planung in Mozambique
9.3.1 Der ‚Landmine Impact Survey’ von Mozambique (MLIS)
9.3.2 Das IMSMA-Datenbanksystem von Mozambique
9.4 Mine-Action-Planung und Prioritätensetzung
9.5 Fazit: Das Mine-Action-Programm in Mozambique
10 Fallstudie Afghanistan
10.1 Landesspezifischer Hintergrund
10.1.1 Allgemeine Informationen zur naturräumlichen und soziökonomischen Struktur
von Afghanistan
10.1.2 Konflikthistorischer Hintergrund
10.1.3 Art und Ausmaß der Landminenkontaminierung
10.2 Das nationale Mine-Action-Programm
10.3 Instrumente für die Mine-Action-Planung in Afghanistan
10.3.1 Die Einführung von LIS und IMSMA
10.3.2 Die Umsetzung des LIS
10.3.2.1 Durchführung des LIS
10.3.2.2 Der Afghanistan spezifische ‚Mine Impact Score’
10.3.2.3 Die ‚Landmine Impact Assessment Teams’ (LIATS)
10.3.2.4 Die Ergebnisse des LIS
10.4 Prioritätensetzung im Rahmen des ‚Mine Action Program for Afghanistan’ (MAPA)
10.5 Fazit und Ausblick für das ‚Mine Action Program for Afghanistan’ (MAPA)
110
110
111
113
115
120
126
126
131
131
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136
136
136
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150
152
152
153
154
155
158
161
IV SYNTHESE DER FALLBEISPIELE UND FAZIT
11 Vergleich der Mine-Action-Programme Mozambique und Afghanistan
163
12 Fazit
165
II
Inhalt
V LITERATUR UND ANHANG
13 Literatur
167
14 Auswahl themenrelevanter Internetseiten
187
15 Interviews und Expertengespräche
15.1 Experten aus verschiedenen Mine-Action-Bereichen
15.2 Experten des Mine-Action-Programms von Mozambique
15.3 Experten des Mine-Action-Programms von Afghanistan
189
189
190
190
16 Exemplarische Interviewfragebögen
16.1 Mozambique
16.2 Afghanistan
191
191
194
17 Abbildungen, Tabellen und Textboxen
197
III
Abkürzungsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
AA
Auswärtiges Amt
ACBL
Afghan Campaign to Ban Landmines
ADP
Accelerated Demining Programme
AIMS
Afghanistan Information Management Service
ALIS
Afghanistan Landmine Impact Survey
AMAC
Assistance to Mine-Affected Communities
AMACs
Area Mine Action Centers
ANC
African National Congress
APM
Antipersonnel Mine
ATM
Antitank Mine
AVM
Antivehicle Mine
AXO
Abandoned Explosive Ordnance
BIP
Bruttoinlandsprodukt
BMZ
Bundesministerium für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
CBU
Cluster Bomb Unit
CCW
Convention on Certain Conventional Weapons
CIDA
Canadian International Development Agency
CIDC
Canadian International Demining Center
CND
Commissão Nacional de Desminagem
DCA
Danish Church Aid
DDG
Danish Demining Group
DDR
Disarmement, Demobilization and Reintegration
DVPA
Demokratische Volkspartei Afghanistans
EDD
Explosive Detection Dogs
EDPs
Externally Displaced Persons
EOC
Expert Opinion Collection
EOD
Explosive Ordnance Disposal
ERW
Explosive Remnants of War
ETH
Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich
EU
Europäische Union
EZ
Entwicklungszusammenarbeit
FADM
Forças Armadas de Defesa de Moçambique
FRELIMO
Frente de Libertação de Moçambique
GICHD
Geneva Internation Centre for Humanitarian Demining
Genfer Informationszentrum für Humanitäre Minenräumung
GIS
Geographisches Informationssystem
GLS
Global Landmine Survey
GMAA
General Mine Action Assessment
GPR
Ground penetrating radar
GPS
Global Positioning System
GTZ
Deutsche Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit
HALO-Trust
The Hazardous Area Life-Support Organisation
IV
Abkürzungsverzeichnis
HDI
Human Development Index
HDR
Human Development Report (UNDP)
HI
Handicap International
HIPC
Highly Indepted Poor Countries
HRW
Human Rights Watch
IACG-MA
Inter-Agency Coordination Group on Mine Action
ICBL
International Campaign To Ban Landmines
ICRC
Internationales Komitee des Roten Kreuzes
IDPs
Internally Displaced Persons
IMF
International Monetary Fond
IND
Instituto Nacional de Desminagem
INT
Interview (Verweis auf die dieser Arbeit zugrunde liegende Befragung)
IMAS
International Mine Action Standards
IMSMA
Information Management System for Mine Action
ISAF
International Security Assistance Force
LIATS
Landmine Impact Assessment Teams
LIS
Landmine Impact Survey
MA
Mine Action
MAC
Mine Action Centre
MACA
Mine Action Centre for Afghanistan
MACC
Mine Action Coordination Centre
MACG
Mine Action Consultative Group
MAG
Mines Advisory Group
MAP
Mine Action for Peace (Programme Afghanistan)
MAPA
Mine Action Program for Afghanistan
MATF
Mine Action Task Force
MCPA
Mine Clearance and Planning Agency
MDC
Mine Detection and Dog Center
MDD
Mine Detection Dogs
META
Monitoring, Evaluation and Training Agency
MgM
Menschen gegen Minen
MIS
Management Information System
MLIS
Mozambique Landmine Impact Survey
MLRS
Multiple Launch Rocket System
MOTAPM
Mines Other Than Antipersonnel Mines
MRE
Mine Risk Education
NATO
North Atlantic Treaty Organisation
NGO
Non-Governmental Organisation
NMAA
National Mine Action Authority
NPA
Norwegian People’s Aid
NSA
Non-state actors
OAS
Organisation Amerikanischer Staaten
OCHA
Office for the Coordination of Humanitarian Affairs
ÖFSE
Österreichische Forschungsstiftung für Entwicklungshilfe
V
Abkürzungsverzeichnis
PARPA
Poverty Reduction Strategy Papers von Mozambique
PRA
Participatory Rural Appraisal
PRIO
International Peace Research Institute Oslo
PRSP
Poverty Reduction Strategy Paper
PSIO
Program for the Study of International Organization(s)
QAM
UN Quality Assurance Monitor
QRDF
Quick Reaction Demining Force
RENAMO
Resistência Nacional de Moçambique
REST
Remote explosive scent tracing
RRA
Rapid Rural Appraisal
SAC
Survey Action Center
SCVA
Standing Committee on Victim Assistance and Socio-Economic Reintegration
SADC
Southern African Development Community
SHA(s)
Suspected Hazard Area(s)
SMA(s)
Suspected Mined Area(s)
SWG
Survey Working Group
TAP
Task Assessment and Planning
TIA
Task Impact Assessment
UN
United Nations
UNAMA
United Nations Assistance Mission for Afghanistan
UNDP
United Nations Development Programme
UNHCR
Office of the United Nations High Commissioner for Refugees
UNICEF
United Nations Children’s Fund
UNMACA
United Nations Mine Action Centre for Afghanistan
UNMAPA
United Nations Mine Action Program for Afghanistan
UNMAS
United Nations Mine Action Service
UNOCA
United Nations Office of the Coordinator of Humanitarian and
Economic Assistance Programmes relating to Afghanistan
UNOCHA
United Nations Office for the Coordination of Humanitarian Assistance
UNOHAC
United Nations Office for the Coordination of Humanitarian Assistance
UNOMOZ
United Nations (Peacekeeping) Operation in Mozambique
UNOPS
United Nations Office for Project Services
US DoD
United States Department of Defense
UXO
Unexploded Ordnance
VAM
Vulnerability Analysis and Mapping
VENRO
Verband Entwicklungspolitik Deutscher Nichtregierungsorganisationen e.V.
VN
Vereinte Nationen
VVAF
Vietnam Veterans of America Foundation
VI
Glossar
Glossar
Abandoned
Explosive Ordnance
Explosive Kampfmittel, die während eines bewaffneten
Konfliktes nicht eingesetzt wurden, die von einer an einem
bewaffneten Konflikt beteiligten Partei zurückgelassen oder
weggeworfen wurden und sich nicht mehr unter der Kontrolle
dieser Partei befinden.
Advocacy
Engagement gegen den Einsatz von Personenminen und
für einen Beitritt zur Ottawa-Konvention.
Community
Gemeinschaften, die durch physische Nähe oder das Teilen
gemeinsamer Erfahrungen und Lebenswelten gekennzeichnet
sind; räumlich abgrenzbare lokale Bevölkerungsgruppen;
z.B. Nachbarschaften, Siedlungen, Dörfer, Familienverbände,
Haushalte.
Community Studies
Erstellung eines umfassenden Profils einer von Landminen betroffenen lokalen Gemeinschaft, um ein umfassendes Verständnis bezüglich der Auswirkungen von Landminen bzw. von MineAction-Maßnahmen auf lokale Gemeinschaften zu schaffen.
Expert
Opinion Collection
Systematische Sammlung von landminenspezifischem Expertenwissen innerhalb eines Landes durch Gespräche mit Vertretern aller administrativen Ebenen, Ministerien und Sektoren und
weiteren Personen mit landminenspezifischen Fachkenntnissen
sowie Analyse vorhandener Datenbanken, Dokumentationen
über Minenfelder, Archive und Luftbildaufnahmen.
Explosive
Ordnance Disposal
Ortung, Räumung, sowie Lagerung bzw. Zerstörung von UXO
Explosive
Remnants of War
Explosive Kampfmittelrückstände
Humanitäre
Minenräumung
Vollständige Entfernung von Minen und anderen explosiven
Kampfmittelrückständen innerhalb eines bestimmten Areals,
damit dieses als sichere Fläche (möglichst zu 100% geräumt)
an die zivile Bevölkerung übergeben werden kann. Umfasst
außerdem die Kartierung und Markierung von Minenfeldern.
Impact Assessment
Einschätzung der sozioökonomischen Auswirkungen sowohl
der Landminenkontaminierung als auch der Mine-ActionInterventionen.
Information Management
System for Mine Action
Software-gestütztes Datenmanagementinstrument, welches
ermöglicht, landminenspezifische Daten zu sammeln und zu
analysieren.
Landmine Impact Survey
Untersuchung zur Einschätzung der durch Landminen
verursachten sozioökonomischen Auswirkungen auf
Community-Ebene; Instrument für die Mine-Action-Planung.
Mine Action
(Wieder-)Herstellung einer sicheren Umgebung für die von
Landminen betroffene Bevölkerung; Mine Action umfasst alle
Maßnahmen, die notwendig sind, um die aus der Landminenkontaminierung resultierenden sozialen, ökonomischen und
umweltbezogenen Auswirkungen und Probleme der betroffenen
Bevölkerung zu vermindern. Kernkomponenten: Humanitäre
Minenräumung, Vernichtung von Personenminenlagerbeständen, Mine Risk Education, Victim Assistance und Advocacy.
VII
Glossar
Mine Action Centre
Ausführender Arm der nationalen Mine-Action-Behörde,
der auf operationeller Ebene die nationale Mine-ActionStrategie umsetzt; Koordinierungsmechanismus für
Mine-Action-Aktivitäten.
Mine Action
Coordination Centre
Siehe Mine Action Center
Mine Detection Dogs
Minensuchhunde
Mine Risk Education
Aufklärung über die von Landminen ausgehenden Gefahren
und Schaffung eines entsprechenden Bewusstseins bei der
betroffenen Bevölkerung; beinhaltet Maßnahmen, die darauf
abzielen, das Risiko, sich durch Landminen zu verletzen oder
getötet zu werden, zu reduzieren.
Participatory
Rural Appraisal
Qualitativer Ansatz aus der Entwicklungszusammenarbeit zur
Untersuchung der Lebensbedingungen der ländlichen Bevölkerung in Entwicklungsländern unter Anwendung partizipativer Methoden, in denen das lokale Wissen und die lokalen Fähigkeiten Ausgangspunkt der Erhebungen sind und die lokale
Bevölkerung die Untersuchungen selbst aktiv mitgestaltet.
Rapid Rural Appraisal
Qualitativer Ansatz aus der Entwicklungszusammenarbeit
zur Untersuchung der Lebensbedingungen der ländlichen
Bevölkerung in Entwicklungsländern unter Anwendung
partizipativer Methoden, wobei Außenstehende Informationen
über die lokale Bevölkerung erheben.
Risk-Taking-Behaviour
Menschen nutzen oder räumen – trotz bekannter Gefahr –
verminte Gebiete.
Sampling for
False Negatives
Kontrollmechanismus zur Überprüfung von vermutlich
verminten Gebieten bzw. von Communities, die als von Landminen betroffen identifiziert wurden (z.B. im Rahmen des LIS).
Stockpile Destruction
Vernichtung der Personenminenlagerbestände
Survey
Eine Reihe an Aktivitäten, die darauf abzielen, Minenfelder
zu lokalisieren sowie Ausmaß und Art der von Landminen
ausgehenden Gefahr zu erfassen.
Suspected Mined Areas
Vermutlich verminte Gebiete
Task Assessment
and Planning
Analytischer Planungsprozess vor der Durchführung von
Mine-Action-Maßnahmen zur Abschätzung des möglichen
Nutzens dieser Maßnahmen unter Berücksichtigung der
Bedürfnisse von Communities sowie der Kapazitäten der
jeweiligen Mine-Action-Organisation.
Task Impact
Assessment
Siehe Task Assessment and Planning
Unexploded Ordnance
Nicht zur Wirkung gelangte explosive Kampfmittel
Victim Assistance
Maßnahmen zur Hilfe, Fürsorge und Unterstützung von
Minenopfern, welche medizinische Unfallversorgung,
langfristige medizinische Betreuung und Unterstützung
bei der sozioökonomischen Reintegration umfassen.
Village Demining
Minenräumung durch Dorfbewohner in Selbsthilfe-Initiative
als Überlebensstrategie.
VIII
Abbildungsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Abb. 1:
Beispiel für die Vielzahl an Minentypen ( Mike CROLL)
11
Abb. 2:
Schematischer Aufbau einer Mine
12
Abb. 3:
Verschiedene Minentypen
13
Abb. 4:
Springsplittermine und ihre Funktionsweise
14
Abb. 5:
Methode der Fernverlegung am Beispiel der Fahrzeugmine AT-2
17
Abb. 6:
Diana 44T ( Hontstav)
22
Abb. 7:
Rhino-System ( Rheinmetall Landsysteme GmbH)
22
Abb. 8:
Globale Landminen- / UXO-Kontaminierung
26
Abb. 9:
Sozioökonomische Auswirkungen der Minenkontaminierung
46
Abb. 10: Folgen einer Zugangsblockade von Wasser- und Flächenressourcen durch Landminen
(‚Community-Ebene’)
47
Abb. 11: Die 5 Mine-Action-Komponenten und weitere notwendige Elemente
50
Abb. 12: Koordinierung im Rahmen von Mine Action
56
Abb. 13: Die Stadien eines Mine-Action-Programms (Modell)
61
Abb. 14: Nationale Mine-Action-Strukturen (Modell)
69
Abb. 15: Analyse-Schema zur Prioritätensetzung nach der TAP-Methode
82
Abb. 16: Formular zur Berechnung des ‚Mine Impact Score’
91
Abb. 17: ‚Village Map’, Jemen
92
Abb. 18: Unterschiede in der Indikatorengewichtung
102
Abb. 19: Politische Karte von Mozambique, No. 3706 Rev. 5, Juni 2004
( UN Cartographic Section)
111
Abb. 20: Phasen des Mine-Action-Programms von Mozambique
119
Abb. 21: Die Struktur des Mine-Action-Programms in Mozambique
123
Abb. 22: Budget des Mine-Action-Progamms von Mozambique
125
Abb. 23: Minenopfer in Mozambique
129
Abb. 24: Verhältnis der geplanten ‚Priority Tasks’ gegenüber der Anzahl
der betroffenen Bevölkerung und der SMAs im Jahr 2004
133
Abb. 25: Verhältnis der geplanten ‚Priority Tasks’ gegenüber der Anzahl
der betroffenen Bevölkerung und der SMAs im Jahr 2005
133
Abb. 26: Politische Karte von Afghanistan, No 3958 Rev. 5, Okt. 2005
( UN Cartographic Section)
137
Abb. 27: Koordinierungsstrukturen des Mine-Action-Programms Afghanistan MAPA
149
Abb. 28: Jahresbudget des MAPA 1991-2004
151
Abb. 29: Verteilung der betroffenen ‚Communities’ nach dem ALIS ( UNMACA)
157
Abb. 30: Minenfelder, die den Wiederaufbau des Straßensystems blockieren
159
Abb. 31: Minewolf – Tiller ( MINEWOLF)
198
Abb. 32: Das Minewolf-Toolbox-System ( MINEWOLF)
198
Abb. 33: MgM – Rotar ( MGM)
199
Abb. 34: MgM – Mulcher ( MGM)
199
Abb. 35: Diana 44 T mit Vegetationsschneidevorrichtung ( HONTSTAV)
199
Abb. 36: Verteilung der von Landminen betroffenen ‚Communities’
nach ‚Landmine-Impact-Score’-Kategorien ( IND)
206
Abb. 37: Bevölkerungsdichte in Afghanistan ( UNDP/AIMS)
211
Abb. 38: Minenfelder, die bewässertes Ackerland blockieren
214
IX
Tabellenverzeichnis
Tabellenverzeichnis
Tab. 1:
Globale Landminen- / UXO-Kontaminierung
26
Tab. 2:
Sozioökonomische Faktoren für die Entwicklung eines Landes
44
Tab. 3:
Die Verlagerung der Mine-Action-Schwerpunkte im Verlauf der Postkonfliktphasen
60
Tab. 4:
Übersicht Internationale Mine-Action-NGOs und kommerzielle Firmen
71
Tab. 5:
Nationale Prioritätensetzung in Mozambique (1998)
77
Tab. 6:
Mine-Action-Prioritätensetzung nach Postkonfliktphasen
84
Tab. 7:
Durch Landminen blockierte Ressourcen in Mozambique (LIS)
117
Tab. 8:
Wichtigste Mine-Action-Organisationen in Mozambique (2004)
124
Tab. 9:
Vergleich der durch den ‚Survey’ von HALO-Trust und den MLIS identifizierten SMAs
130
Tab. 10: Durch Landminen blockierte Ressourcen in Afghanistan
145
Tab. 11: Übersicht über afghanische Mine-Action-NGOs
147
Tab. 12: Sozioökonomische Indikatoren im ALIS ‚Mine Impact Score’
153
Tab. 13: Auszug aus den Ergebnissen des ALIS
155
Tab. 14: Kostenkalkulation für die Straßenräumung nach ALIS
160
Tab. 15: HALO TRUST Prioritätensetzung
161
Tab. 16: Beispiele für Minen-Zündmechanismen
197
Tab. 17: Allgemeine, demographische und ökonomische Informationen zu Mozambique
200
Tab. 18: Landminentypen in Mozambique
202
Tab. 19: Bilaterale Finanzierung von Mine Action in Mozambique (2004)
204
Tab. 20: Übersicht über die Ergebnisse des MLIS nach Provinzen
205
Tab. 21: Allgemeine, demographische und ökonomische Informationen zu Afghanistan
207
Tab. 22: Verwendete Personenminen in Afghanistan
208
Tab. 23: Verwendete Fahrzeugminen in Afghanistan
209
Tab. 24: Durchführende Mine Action Organisationen in Afghanistan
210
Tab. 25: MAPA-Prioritätensetzung 2006/07
212
Tab. 26: MAPA-Prioritätensetzung 2004/05
213
X
Textboxverzeichnis
Textboxverzeichnis
Textbox 1:
Definition der Minentypen mit unterschiedlichem Angriffsziel
15
Textbox 2:
Definitionen: UXO und AXO
18
Textbox 3:
Ursachen für hohe Versagerquoten von ‚Bomblets’
19
Textbox 4:
Zum Begriff Community
48
Textbox 5:
Landminen und Flüchtlinge
49
Textbox 6:
Schlüsselkomponenten von Victim / Survivor Assistance
53
Textbox 7:
International Mine Action Standards (IMAS)
55
Textbox 8:
Mine-Action-Aufgabenbereiche ausgewählter UN-Organe
57
Textbox 9:
Fragen zur Erfassung der sozioökonomischen Grundstrukturen
einer lokalen Gesellschaft
65
Textbox 10:
Mögliche Definition von ‚Mine Impact-Free’
66
Textbox 11:
Basis-Methoden zur Erfassung der Landminensituation
76
Textbox 12:
Häufigste Prioritäten für Humanitäre Minenräumung
77
Textbox 13:
‚Community Liaison’
79
Textbox 14:
Szenario einer Entscheidungssituation
81
Textbox 15:
Ökonomische Analysen
86
Textbox 16:
‚Community Studies’
87
Textbox 17:
Maßnahmen zur Qualitätssicherung und Qualitätskontrolle
94
Textbox 18:
Einfluss der Opferzahlen auf den ‚Mine Impact Score’
99
Textbox 19:
Alternatives Scoring-System für den Indikator
‚Anzahl der Opfer von Minenunfällen’
100
Textbox 20:
Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse des MLIS
129
Textbox 21:
Prioritätensetzungsmodell Handicap International Mozambique
132
XI
1 Einleitung
I EINFÜHRUNG IN DIE THEMATIK
1
Einleitung
„Heimliche Killer“
„Explosive Schläfer“
„Soldaten, die nie schlafen“
1
„Die Saat des Krieges“
Alle diese Bezeichnungen beschreiben dasselbe Problem:
„Landminen sind mörderische Instrumente der Kriegsführung, die noch lange nach
Beendigung von bewaffneten Auseinandersetzungen verheerende humanitäre und
entwicklungspolitische Konsequenzen haben“
(BAD HONNEFER KONZEPT 1999, S. 1).
Nach UN-Schätzungen sind weltweit bis zu 110 Millionen Landminen in über 70 Ländern der
Erde verlegt. Dies hat zur Folge, dass etwa alle 20 Minuten ein Mensch durch diese Waffen
verletzt oder getötet wird. Dem entspricht eine Zahl von über 20.000 Minenopfern im Jahr,
wobei hauptsächlich Zivilisten – vor allem Kinder und Frauen – betroffen sind (LANDMINE.DE
2003, S. 4-8). Neben diesen fatalen, unmittelbaren Auswirkungen besteht eine der folgenreichsten Konsequenzen des Vorhandenseins von Landminen darin, dass für die betroffene
Bevölkerung der Zugang zu lebenswichtigen Ressourcen und Infrastruktureinrichtungen blockiert wird.
1.1
Problemaufriss
Die weit reichenden, durch Landminen verursachten humanitären Auswirkungen und der
daraus resultierende langfristige Handlungsbedarf an humanitärer Hilfe rückte erstmals Ende
der 80er Jahre in das internationale öffentliche Bewusstsein. Bis dahin hatte sich die Verantwortung für die durch Landminen verursachte Problematik allein auf den militärischen Bereich beschränkt. In den 90er Jahren entwickelte sich eine von Nichtregierungsorganisationen
und Zivilpersonen getragene internationale Kampagne für ein weltweites Verbot von Landminen (International Campaign to ban Landmines, ICBL), deren Engagement 1997 zur sog.
Ottawa-Konvention führte. Dieses Abkommen trat 1999 in Kraft und wurde mittlerweile von
2
über 150 Staaten unterzeichnet. Es beinhaltet das Verbot des Einsatzes, der Lagerung, der
Herstellung und der Weitergabe von Personenminen sowie die Verpflichtung zu deren Räumung und Vernichtung.
Dieser Erfolg ist jedoch nur ein erster Schritt in die Richtung, das ‚Problem Landminen’ sowie
deren Auswirkungen auf Menschen in Gesellschaften während und insbesondere nach kriegerischen Konflikten langfristig zu beseitigen. Neben Personenminen werden zahlreiche andere
Landminentypen sowie auch weitere Waffensysteme produziert und eingesetzt, die aufgrund
ihrer Wirkungsweise den Personenminen gleichzusetzen sind, aber durch das OttawaAbkommen nicht verboten werden. Dazu gehören Fahrzeugminen und die verschiedensten
Arten von nicht explodierten Munitionsrückständen (Unexploded Ordnance, UXO) – dabei vor
allem Streubomben, die alle durch eine einzelne Person oder ein Fahrzeug ausgelöst werden
können. Alle diese Waffen wirken unterschiedslos, d.h. sie können nicht zwischen zivilen Personen bzw. Fahrzeugen und Militär unterscheiden. Es haben sich daher die Bemühungen
– vor allem seitens der internationalen Kampagne für ein Verbot von Landminen – dahinge-
1
Überschriften aus Presse und Kampagnenmaterialien: „Heimliche Killer“ (FREY 1996), „Explosive Schläfer“
(RÖHR 2004), „Soldaten, die nie schlafen“ (MAURER 2004), „Die Saat des Krieges“ (Titel der Minenzeitung von Medico
International).
2
Allerdings haben einige wichtige Staaten, wie z.B. die USA, China, Pakistan und Indien, das Abkommen bisher nicht
unterzeichnet.
1
1 Einleitung
hend verstärkt, auch für diese Waffentechnologien eine internationale Ächtung bzw. ein Ver3
bot zu erwirken.
Auf Seiten der praktischen humanitären Hilfe hat sich seit Ende der 80er Jahre eine eigenständige Disziplin entwickelt, die unter dem Begriff Mine Action verschiedene Aktivitäten zur
Bekämpfung der Auswirkungen von Landminen vereint. Zu den wichtigsten Bereichen von
4
Mine Action gehören neben der Humanitären Minenräumung (Humanitarian Demining) auch
Opferhilfe (Victim Assistance) sowie Aufklärung und Sensibilisierung der Bevölkerung hinsichtlich der Gefahren, die von Landminen ausgehen (sog. Mine Awareness oder Mine Risk
5
Education).
Ziel des Mine-Action-Konzeptes ist, die sozioökonomischen Auswirkungen von Landminen zu
reduzieren, da diese ein bedeutendes Hemmnis für die Entwicklung eines Landes darstellen.
Das Vorhandensein von Minen behindert die (vor allem in Nachkriegssituationen) dringend
benötigten Projekte des Wiederaufbaus und der Entwicklung oder blockiert diese sogar gänzlich. Daher sind sog. Entwicklungsländer, die Schauplatz eines langfristigen Konfliktes waren,
aufgrund ihrer finanziellen, politischen und strukturellen Situation (z.B. die Zerstörung der
Infrastruktur) und wegen fehlender Kapazitäten (vor allem auch hinsichtlich der medizinischen Versorgung und langfristigen Betreuung von Minenopfern) besonders betroffen, wobei
die Auswirkungen je nach Konflikt- und Strukturhintergrund variieren.
Aus diesen Überlegungen ergibt sich die Notwendigkeit einer genauen länderspezifischen
Analyse des Landminenproblems, wobei die regionalen Unterschiede innerhalb eines Landes
(hinsichtlich der besonderen geographischen – Topographie, Vegetation, Klima – soziokulturellen und sozioökonomischen Gegebenheiten) erfasst werden müssen. In vielen betroffenen
Ländern herrscht nach Konfliktende diesbezüglich zunächst ein Informationsvakuum, so dass
für eine effektive strategische Planung von nationalen Mine-Action-Programmen die Erstellung einer verlässlichen Datengrundlage unerlässlich ist. Diese wird zunehmend in Form von
sog. Impact Surveys geschaffen, die das Ausmaß und den Charakter des Landminenproblems
eines bestimmten Landes ermitteln sollen.
Für die effektive Planung von Mine-Action-Programmen – vor allem vor dem Hintergrund begrenzter finanzieller Ressourcen – sind zusätzlich methodisch und analytisch fundierte Instrumente notwendig, die eine sinnvolle Prioritätensetzung hinsichtlich der vorrangig anzugehenden Aufgaben ermöglichen. Mittlerweile setzt sich zunehmend die Auffassung durch, dass
der Erfolg von Mine-Action-Programmen nicht über die Anzahl der geräumten Minen oder die
Quadratmeterzahl der geräumten Flächen gemessen werden kann. Stattdessen sind solche
Programme auf der Grundlage ihrer sozioökonomischen Auswirkungen auf die betroffene
Bevölkerung zu bewerten. Die hierfür eingesetzten Instrumente müssen folglich sozioökonomische Faktoren umfassend berücksichtigen und sich dabei auf verlässliche Daten stützen.
1.2
Zielsetzung der Arbeit
Ziel dieser Arbeit ist, die vorhandenen Lösungsstrategien zur globalen Landminenproblematik auf politischer und praktischer Ebene zu untersuchen. Dabei geht es um folgende
Fragen:
Auf politischer Ebene: Haben die internationalen Abkommen zu einer Lösung des Problems
beigetragen?
Auf praktischer Ebene: Welche Strategien und Lösungsansätze werden angewandt, um die
Auswirkungen von Landminen auf die betroffene Bevölkerung möglichst schnell und nachhaltig zu reduzieren bzw. zu beseitigen?
Der Schwerpunkt der vorliegenden Arbeit liegt auf der praktischen Ebene mit Fokus auf der
Problematik der Prioritätensetzung im Bereich von Mine-Action-Programmen, weil
3
Siehe Kampagnenseiten unter http://www.icbl.org/, deren deutsche Sektion http://www.landmine.de/ oder auch die
Kampagne gegen Streubomben unter http://www.streubomben.de/.
4
Humanitäre Minenräumung wird unterschieden von militärischer Minenräumung. Im Gegensatz zur militärischen
Räumung ist das Ziel der Humanitären Minenräumung, möglichst alle Minen und andere explosive Kriegsrückstände
zu entfernen, um so „sicheres Land“ an die Zivilbevölkerung zu deren Verfügbarkeit zurückzugeben. Vgl. GICHD
2004a, S. 63f.
5
Zu Definitionen und Erläuterungen bzgl. Mine Action und deren Teilbereiche siehe Kapitel 6.2.
2
1 Einleitung
• es bei den beteiligten Akteuren unterschiedliche Ansätze und Ansichten darüber gibt, in
welchem Ausmaß im Rahmen einer effektiven Planung sozioökonomische Faktoren erfasst,
analysiert und berücksichtigt werden müssen, um auf deren Grundlage sinnvolle Prioritäten festlegen zu können;
• eine sinnvolle Prioritätensetzung zunehmend an Bedeutung gewinnt, wenn – trotz begrenzter zur Verfügung stehender Mittel – das Ziel einer nachhaltigen Verbesserung der Lebensbedingungen der betroffenen Bevölkerung erreicht werden soll.
Vor diesem Hintergrund soll zum einen begründet werden, warum die Erfassung der sozioökonomischen Auswirkungen eine wichtige Rolle spielt. Zum anderen sollen die für die Prioritätensetzung herangezogenen Methoden, Datengrundlagen und Instrumente zur Erhebung
und Einschätzung der sozioökonomischen Auswirkungen hinsichtlich ihrer Aussagekraft,
ihres Nutzens, ihrer Anwendbarkeit und ihrer tatsächlichen praktischen Anwendung bezogen
auf die regionalen Beispiele Afghanistan und Mozambique analysiert und bewertet werden.
1.3
Auswahl der Fallbeispiele Afghanistan und Mozambique
Die Fallbeispiele Afghanistan und Mozambique wurden gewählt, weil es in diesen Ländern
seit über 15 Jahren humanitäre Minenräumprojekte und Mine-Action-Programme gibt, auf
deren unterschiedlichen Erfahrungen in der aktuellen Diskussion häufig zurückgegriffen wird
– vor allem hinsichtlich der Weiterentwicklung und Verbesserung des Mine-Action-Konzeptes
und der entsprechenden Methoden.
Afghanistan gilt als Ursprungsland der Humanitären Minenräumung und von Mine Action, da
die Vereinten Nationen (UN) im Oktober 1988 zum ersten Mal zur Bereitstellung von Fonds für
die Durchführung ziviler Minenräumaktionen zugunsten dieses Landes aufriefen. Trotz dieses
vergleichsweise langen Mine-Action-Hintergrundes haben Ausmaß und Aktualität des Landminen-Problems nicht nachgelassen, sondern eher zugenommen: So gehört Afghanistan auch
heute noch zu den am stärksten von Landminen betroffenen Ländern. Zurückzuführen ist dies
auf stetig neu aufflammende Konflikte mit unterschiedlichen (global-)politischen Hintergründen und Akteuren. Dennoch hat eine kontinuierliche Entwicklung von Mine Action stattgefunden, die vor allem von lokalen Mine-Action-Organisationen in Zusammenarbeit mit den UN
getragen wurde.
In Mozambique hingegen wird der Hauptanteil an Mine-Action-Aktivitäten von internationalen
Organisationen durchgeführt. Das Land befindet sich im Gegensatz zu Afghanistan seit 1992
(Ende des 17-jährigen Bürgerkrieges) in einer relativ stabilen politischen Lage, wodurch sich
gänzlich andere Rahmenbedingungen für Planung und Durchführung von Mine-ActionProgrammen ergeben. Daher können durch einen Vergleich dieser beiden Länder verschiedene Mine-Action-Ansätze und Problemlagen herausgestellt werden.
3
2 Aufbau und Methodik der Arbeit
2
Aufbau und Methodik der Arbeit
Die vorliegende Arbeit ist in 4 Teile untergliedert. Da die bisher insgesamt noch relativ
begrenzte wissenschaftliche Forschung zur Landminenproblematik und zur Disziplin Mine
Action vor allem in der Friedens- bzw. Konfliktforschung, in den Politikwissenschaften sowie
in der anwendungsbezogenen fachspezifischen Forschung angesiedelt ist und bisher nur wenig Eingang in die Humangeographie gefunden hat, erfolgt in Teil I eine umfassende Einführung in die Landminenproblematik und deren technischen, historischen und vertraglichen
Hintergründe. Teil II beinhaltet eine Einführung in die sozioökonomischen Auswirkungen
einer Landminenkontaminierung sowie die Darstellung und kritische Untersuchung der MineAction-Lösungsansätze und der dabei eingesetzten Planungsinstrumente und Methoden. Anhand der Fallbeispiele Afghanistan und Mozambique wird in Teil III nach einer Erläuterung
der jeweils landesspezifischen Landminenproblematik die praktische Anwendung der MineAction-Lösungsansätze vorgestellt und analysiert. Schließlich umfasst Teil IV die Synthese aus
den Ergebnissen der Teile II und III und ein abschließendes Fazit.
2.1
Untersuchungsmethoden
Grundlage dieser Arbeit bilden neben der themenrelevanten Literatur- und Internetrecherche
und -analyse mündliche und schriftliche Interviews mit Experten aus dem Mine-ActionBereich. Ausgangspunkte waren Experten-Vorträge zum Thema und vor allem der Besuch der
Genfer Konferenz „8. Internationales Treffen der Nationalen Mine-Action-Direktoren und UNBerater“ vom 19.-22. September 2005, wodurch sich umfangreiche Gespräche und Diskussionen mit verschiedenen Schlüsselpersonen aus unterschiedlichen nationalen Mine-ActionProgrammen, durchführenden Organisationen, UN-Beraterkreisen und der Mine-ActionForschung ergaben. Bei diesen Gesprächen stellte sich heraus, dass Instrumente und Methoden zur Untersuchung der Auswirkungen von Landminen und von Mine-ActionInterventionen als Grundlage für strategische Planung und Prioritätensetzung gegenwärtig
Diskussionsgegenstand in der Mine-Action-Gemeinschaft sind. Aus diesem Grund wurde der
Fokus der vorliegenden Arbeit auf diese Thematik gelenkt.
Im Rahmen dieser Konferenz konnten Kontakte zu verschiedenen verantwortlichen Akteuren
in den Mine-Action-Programmen von Afghanistan und Mozambique geknüpft werden, die zum
einen die dieser Arbeit zugrunde liegende Expertenbefragung und zum anderen den Zugang
zu länderspezifischen Studien sowie zu inoffiziellen oder nur innerhalb von Mine-ActionKreisen veröffentlichten Papieren ermöglichten.
Eignung und Angemessenheit von Instrumenten und Methoden hinsichtlich des durch ihren
Einsatz verfolgten Ziels können nur über Praxiserfahrungen bewertet werden. Experten aus
unterschiedlichen Organisationen, die auf verschiedenen Ebenen in die Planung und/oder
Durchführung von Mine-Action-Maßnahmen involviert sind und jeweils unter anderen
Rahmenbedingungen mit diesen Instrumenten arbeiten, wurden daher hinsichtlich ihrer
6
Erfahrungen und Einschätzungen befragt. Durch die Auswahl der Experten werden die Blickwinkel eines breiten Akteurspektrums abgedeckt, um dadurch ein umfassenderes Bild der
gegenwärtigen Beurteilung dieser Planungsinstrumente erstellen zu können. Auf die Auswertung der Befragung in einem gesonderten Kapitel wurde verzichtet. Stattdessen wurden die
Informationen für die kritische Auseinandersetzung, die in den Teilen II und III der vorliegenden Arbeit erfolgt, verwendet. Informationen aus den Befragungen sind in Quellenangaben mit
der Abkürzung INT (für Interview) gekennzeichnet.
Die Expertenbefragung erfolgte zum einen durch persönliche oder telefonische Gespräche,
welche durch Email-Verkehr fortgesetzt wurden. Zum anderen diente ein qualitativer Fragebogen mit offenen Fragen als Ersatz für Leitfadeninterviews, weil eine direkte Befragung
in den meisten Fällen aufgrund der räumlichen Distanz und Verteilung der Arbeitsorte
(Washington, Kabul, Maputo) nicht möglich war. Da in einem schriftlichen Interview nur sehr
begrenzte Nachfragemöglichkeiten vorliegen, wurden die Fragen relativ ausführlich formu6
Zu den jeweiligen Organisationen und Positionen der Befragten vgl. die Liste der Gesprächsparnter für die Experteninterviews, die im Anschluss an das Literaturverzeichnis zu finden ist.
4
2 Aufbau und Methodik der Arbeit
liert und teilweise mit Beispielen ergänzt, um die Verständlichkeit, soweit möglich, sicherzustellen. Gleichzeitig wurde versucht, zu vermeiden, dass Antworten in eine bestimmte Richtung gelenkt werden. Darüberhinaus wurden die Fragebögen an die jeweiligen Arbeitsfelder
und Positionen der befragten Personen angepasst. Die Hilfsbereitschaft einiger Gesprächspartner erlaubte durch Telefonate weitere offene Interviews, womit die Untersuchungen
7
entsprechend der neu gewonnenen Erkenntnisse erweitert werden konnten. Ein Beispielfragebogen ist in gedruckter Form im Anhang zu finden.
2.2
Verwendung von Begriffen
In den Mine-Action-Fachkreisen, deren Verkehrssprache Englisch ist, wurden verschiedene
Fachbegriffe entwickelt, die sich nur schwer ins Deutsche übersetzen lassen, ohne dabei die
jeweils zugrunde liegende Bedeutung zu verfälschen. Vielfach werden im Rahmen von Mine
Action Begriffe aus der Entwicklungszusammenarbeit übernommen, für die eine ähnliche
Problematik besteht. In den Fällen, wo eine präzise Übersetzung nicht oder nur durch umständliche Formulierungen möglich ist, wurde auf die Übersetzung ins Deutsche verzichtet
und die entsprechenden Begriffe in kursiver Schrift gekennzeichnet. Neben diesen Fachbegriffen prägen auch viele Abkürzungen den Sprachgebrauch im Bereich Mine Action, deren
Kenntnis ein Verständnis weiterführender Fachliteratur erleichtert und die daher auch im
Rahmen dieser Arbeit eingeführt und verwendet werden. Erläuterungen oder Definitionen zu
den betreffenden Begriffen sind dem Glossar zu entnehmen.
7
Zur Flexibilität qualitativer Verfahren und Befragungen vgl. WESSEL 1996, S. 40ff.
5
3 Landminen: Der historische und technische Hintergrund
3
Landminen:
Der historische und technische Hintergrund
Minen sind explosive Waffen bzw. eine Form von Munition, die in der Regel durch das Zielobjekt bzw. durch das Opfer aktiviert werden, unabhängig davon, ob das Opfer ein Mensch,
ein Tier, ein Fahrzeug auf dem Land oder ein Schiff ist.
Sie werden definiert als
„... ein Kampfmittel, das dazu bestimmt ist, unter, auf oder nahe dem Erdboden oder
einer anderen Oberfläche angebracht und durch die Gegenwart, Nähe oder Berührung einer Person oder eines Fahrzeugs zur Explosion gebracht zu werden.“
(Artikel 2 Absatz 2 OTTAWA-KONVENTION)
Je nach Einsatzgebiet werden See-, Fluss- oder Landminen unterschieden, wobei nur letztere
Gegenstand dieser Arbeit sind. Ein spezielles Merkmal von Landminen ist, dass sie im Gegensatz zu Waffen, die zu ihrem Ziel gebracht und von einer Person bedient werden müssen (wie
z.B. Gewehre, Panzer, etc.), am Ort ihrer Verlegung verbleiben, auf ihr Ziel warten und von
diesem selbst ausgelöst werden (MASCHE, o.J., o.S.).
Das bedeutet, die in einem bewaffneten Konflikt einmal verlegten Minen können nicht
zwischen eigenen und gegnerischen Soldaten oder zwischen Soldaten und Zivilisten unterscheiden, was für militärische und zivile Fahrzeuge gleichermaßen gilt. Aus diesem Grund
8
fordert der Einsatz solcher Waffen eine hohe Anzahl ziviler Opfer. Des Weiteren geht von
Landminen ein hohes langfristiges Gefahrenpotenzial aus, da einmal aktivierte Minen bis zur
Detonation aktiv bleiben und, sofern sie nicht über einen verlässlichen Selbstzerstörungs- oder
9
Deaktivierungsmechanismus verfügen, eine langfristige Bedrohung für die Bevölkerung, wie
auch für die Tierwelt, darstellen. Diese undifferenzierte Wirkungsweise und die daraus resultierenden nicht kontrollierbaren Auswirkungen auf die Zivilbevölkerung – auch lange Zeit
nach Ende eines Konfliktes – haben zu intensiven Bemühungen hinsichtlich eines weltweiten
10
Verbots des Einsatzes von Landminen geführt.
3.1
Die Entwicklung der Landminentechnologie
Landminen und ähnlich wirkende Kampfmittel haben eine lange Geschichte. Im Laufe der
Jahrzehnte haben sich die Technologien und das Einsatzspektrum dieser Waffen stark verändert und weiterentwickelt. Die Ursprünge der Landmine bzw. der Technik ‚explosiver Spreng11
fallen’ werden auf verschiedene Kriege und Zeitalter zurückgeführt. Schon im Mittelalter
wurden in Belagerungskriegen zur Einnahme von Festungen Kampftechniken angewandt, auf
12
die der Begriff ‚Mine’ zurückgeführt wird. Als Vorläufer der heutigen Landminentechnik
werden vor allem die im Amerikanischen Bürgerkrieg (1862) verwendeten umgebauten Artilleriegeschosse angesehen, die durch Auslösedrähte oder Gewichte, d.h. durch Belastung von
oben, zur Detonation gebracht werden konnten. Aber schon nach den ersten Einsätzen wurde
diese Technik als nicht angemessene ‚barbarische’ Kriegstechnik bezeichnet und abgelehnt
13
(CROLL 1998, S. 16).
8
„Die Opfer der Landminen sind zumeist Zivilisten, wobei jedes vierte Minenopfer ein Kind ist“ (HAAKE/KÜCHENMEISTER
2003, S. 2). Andere Quellen geben die Zahl der zivilen Opfer mit 90% an (EATON 2004, S.134). Vgl. auch KÜCHENMEISTER 1999, S. 4f.
9
Näheres zu Selbstzerstörungs- und Deaktivierungsmechanismen vgl. Kapitel 3.3.2.
10
Näheres zu Inhalt und Entwicklung von internationalen Verträgen, die sich auf Landminen beziehen, vgl. Kapitel 5.
11
Näheres zur Geschichte der Minen vgl. CROLL 1998.
12
Als im Englischen mine oder undermine wird die mittelalterliche Strategie bezeichnet, in der Nähe von Festungen
Löcher oder Stollen zu graben, diese mit Holz und Stroh (später auch Schießpulver) zu füllen und anzuzünden. Zweck
dieser Technik war das Einstürzen der Mauern und die anschließende Einnahme der Festung (GICHD 2004a, S. 10;
vgl. auch CROLL 1998, S. ix-xi).
13
Näheres zur Entwicklung und Verwendung von Minen im Amerikanischen Bürgerkrieg vgl. CROLL 1998, S. 8-22. Auf
andere historische Herleitungen zur Entstehung der Landminentechnologie wird an dieser Stelle verzichtet, da vor
allem die Entwicklung dieser Waffentechnik im 20. Jahrhundert für die heute bestehenden Auswirkungen auf betroffene Zivilbevölkerungen relevant sind.
6
3 Landminen: Der historische und technische Hintergrund
14
Mit dem Ersten Weltkrieg (1914-1918) und der Einführung des Panzers gewann die Entwicklung der Landminentechnologie für die moderne Kriegsführung an Bedeutung. Im Bereich des
Stellungskrieges wurde die ‚Unterminierung’ feindlicher Stellungen durch Stollen, die durch
Explosionen zum Einsturz gebracht wurden, wieder aufgenommen, und auch durch Stolper15
drähte ausgelöste, umfunktionierte Granaten kamen zum Einsatz (CROLL 1998, S. 25f.; GICHD
2004a, S. 10f.).
Parallel dazu wurden in dieser Zeit auch neue Technologien für einen Bewegungskrieg entwi16
ckelt. Mit der Entwicklung des Panzers wurden herkömmliche Schusswaffen wirkungslos
und daher eine neue Technologie erforderlich, die einen effektiven Schutz gegen Panzer er17
möglichte. Die zu diesem Zweck entwickelten Panzerminen bestanden aus einem mit
Sprengstoff gefüllten Behälter, der vergraben wurde und über einen Druckschalter beim Hinüberfahren eines Panzers zur Explosion gebracht wurde – was der grundsätzlichen Funktionsweise einer Mine bis heute entspricht (CROLL 1998, S.28f.). Diese erste Generation der
Panzerminen verfügte noch nicht über einen ‚Schutz-Mechanismus’, der das Einsammeln
durch feindliche Soldaten verhinderte. Sie wurden daher häufig aus den Minenfeldern entfernt
und andernorts wieder verlegt. Um diese Kriegspraxis zu verhindern und die Panzerminen zu
18
schützen, wurde ein neuer kleinerer und sensiblerer Typ von Minen – die Personenmine –
entwickelt (MCGRATH 2000b, S. 1). Diese wurden zwischen den Panzerminen verlegt und
schon der Kontakt mit einer Person reichte aus, um sie zur Explosion zu bringen. Das Entwenden von Panzerminen durch die gegnerische Kriegspartei wurde auf diese Weise wir19
kungsvoll verhindert (WILLIAMS 1995, o.S.). Des Weiteren wurden Minenfelder als Frühwarnsystem genutzt, indem nach der Detonation einer Mine Artillerie oder Maschinengewehre zum
Einsatz kamen (LANDMINE ACTION et al. 2001, S. 14).
Die im Ersten Weltkrieg eher zu Verteidigungszwecken eingesetzte Landminentechnologie
20
erlebte im Zweiten Weltkrieg (1939-1945) und den darauf folgenden Kriegen, wie dem
Korea- oder Vietnamkrieg, einen Wandel hin zu einer offensiv genutzten Waffe, der mit einer
Weiterentwicklung und einem zunehmend verbreiteten Einsatz einherging (WILLIAMS 1995,
o.S.). Vor allem für eine statisch-terrestrische Kriegsführung waren Landminen der ‚ersten
21
und zweiten Generation’ wichtiger Bestandteil der militärischen Strategie, da Minenfelder
den Vormarsch von Truppen zeitlich verzögerten. Mit der Einführung der Kombination von
Luft- und Landangriffen und einer mobileren Kriegsführung gewannen die Landminen, die
mit einem Selbstzerstörungs- oder Deaktivierungsmechanismus ausgestattet sind und z.B.
über Flugzeuge verbreitet werden können, zunehmend an Bedeutung (DAHINDEN 2003b,
S. 108). Bis Ende der 90er Jahre wurden ungefähr 600 verschiedene Landminentypen unterschiedlichster Bau- und Wirkungsweise entwickelt (CROLL 1998, S. 96), und auch im 21. Jahrhundert ist die Landminentechnologie aufgrund noch vorhandener Bestände bzw. einer stän22
digen Weiterentwicklung zu sog. ‚intelligenten’ Minen ein wichtiger Bestandteil der weltweiten nationalen Waffenarsenale.
14
Die ersten Panzer wurden 1916 von der Britischen Armee eingesetzt und in den folgenden Jahren wurde zunehmend
von ihnen Gebrauch gemacht (CROLL 1998, S. 28f.).
15
Der Einsatz von Minen bzw. Personenminen, die durch Stolperdrähte ausgelöst werden konnten, wurde aufgrund
der zu hohen Gefahr für beide Kriegsparteien bei Veränderung der Position in nur geringem Maße eingesetzt und
diente zur Blockade aufgegebener Gebiete (GICHD 2004a, S. 10; vgl. auch CROLL 1998, S. 25f).
16
Maschinengewehre, die mit 600 Schuss pro Minute eine effektive defensive Waffe darstellen, waren für die zu diesem Zeitpunkt zunehmend offensiveren Kriegsstrategien weniger geeignet (CROLL 1998, S. 25 u. S. 28).
17
Anstelle des Begriffs ‚Panzerminen’ (Anti-tank Mines, ATM) wird heute zunehmend die Bezeichnung ‚Fahrzeugminen’ (Anti-vehicle Mines, AVM) verwendet. Näheres zu den ersten Formen von Panzerminen vgl. auch CROLL 1998,
S. 28-36. Zu den Definitionen der verschiedenen Minentypen vgl. Kapitel 3.3.1.
18
Zu Definitionen der verschiedenen Minentypen vgl. Kapitel 3.3.1.
19
Entgegen dieser verbreiteten Sichtweise sagt der Minenräumexperte CROLL, dass Personenminen nicht erst zu diesem Zeitpunkt und zu diesem Zwecke entwickelt worden sind, sondern schon 50 Jahre vor der ersten Panzermine
zum Einsatz kamen (vgl. CROLL 1998, S. 31).
20
Von 1939 bis 1945 wurden mehr als 300 Mio. Panzerminen eingesetzt und Deutschland hatte zu diesem Zeitpunkt
schon 16 verschiedene Panzer- und 10 verschiedene Personenminen entwickelt, unter anderem die so genannte
S- oder Schrapnellmine 35 (CROLL 1998, S. 37f.). Zur Entwicklung und Nutzung von Landminen im Zweiten Weltkrieg
vgl. auch CROLL,M. 1998, Kapitel 3 „The Influence on Landmine Warfare“, S. 37-52 und Kapitel 4 „The second World
War“, S.53-81.
21
Näheres zur Unterscheidung von Minen nach erster, zweiter und dritter Generation vgl. KÜCHENMEISTER 1993, o.S.
und KÜCHENMEISTER/ROGALSKI 1996, o.S.
22
‚Intelligente’ Minen bzw. Minen der ‚Dritten Generation’ sind Minen, die mit Sensoren oder Mikrochips ausgestattet
sind. Da sie gezielt aktiviert bzw. deaktiviert werden können, stellen diese Minen – laut Herstellerangaben – für Zivi-
7
3 Landminen: Der historische und technische Hintergrund
3.2
Der Einsatz von Landminen
Der militärische Nutzen von Landminen – vor allem von Personenminen – ist seit Ende der
80er Jahre zunehmend Gegenstand kritischer Debatten, da seitdem die Auswirkungen dieser
Waffe auf die zivile Bevölkerung verstärkt ins Blickfeld der internationalen Öffentlichkeit gerückt sind (vgl. Kapitel 5). Bis heute wird immer wieder in Frage gestellt, ob der Einsatz einer
Waffentechnologie, die während, aber auch nach Beendigung eines Konfliktes massive Auswirkungen auf Gesellschaften und vor allem Zivilisten hat, mit militärstrategischen Begründungen zu rechtfertigen ist.
3.2.1 Militärstrategische Gründe für den Einsatz von Landminen
Der grundlegende Vorteil und Nutzen von Landminen aus militärischer Sicht besteht darin,
dass es sich hierbei um
„[...] billige, einfach einsetzbare Kampfmittel [handelt], die über Jahre und Jahrzehnte hinweg wirken können, und zwar ohne weiteren Unterhalt, ohne Überwachung
und ohne Manipulation“
(DAHINDEN 2003a, o.S.).
Diese günstig ausfallende Kosten-Nutzen-Rechnung führte aus militärischer Sicht zu einer
vielfältigen Anwendung dieser Waffentechnologie. Wie aus den folgenden Beispielen hervorgeht, erfüllen Landminen ein breites Spektrum an militärstrategischen Aufgaben.
„Landminen werden zum defensiven Schutz von Truppen, militärischen Stellungen,
strategisch wichtigen Einrichtungen sowie Grenzen eingesetzt und dienen als Sicherheitsgarant und zur Umleitung oder Kanalisierung feindlicher Truppen in taktisch
günstigere Gebiete bzw. zum Bremsen feindlicher Angriffe“
(MCGRATH 1993, zitiert nach: PETTIFORD/ FAULKNER 1998, S. 52;
DAHINDEN 2003a, o.S.).
Gerade im Bereich der Grenzsicherung spielten und spielen Landminen eine wichtige Rolle,
vor allem wenn ein Staat eine längere Grenzlinie sichern muss, aber nur über eine kleine Armee verfügt. Ein Beispiel hierfür ist die Grenzsicherung zwischen Finnland und Russland, die
aufgrund der kleinen Armee und des verhältnismäßig großen Grenzbereichs aus Sicht der
finnischen Regierung nur mittels Landmineneinsatz geschützt werden kann. (TIGNER 1995,
zitiert nach: PETTIFORD/ FAULKNER 1998, S. 52). Auch das deutsche Verteidigungsministerium
bezeichnet die Minentechnologie – insbesondere die der Panzerminen – aufgrund der Reduzierung der Truppenstärken als ein unverzichtbares technisches Hilfsmittel zur Landes- und
Bündnisverteidigung (KÜCHENMEISTER 1999, S. 3). In welchem Ausmaß Landminen für den
Zweck der Grenzsicherung eingesetzt wurden zeigt das Beispiel Zimbabwes. Im Südosten des
Landes an der Grenze zu Mozambique befindet sich ein über 800 km langer Minengürtel mit
bis zu 5.500 Personenminen pro Kilometer, der zur Zeit des Unabhängigkeitkrieges (19721979) angelegt wurde, um die Einfall-, Versorgungs- und Rückzugsmöglichkeiten der aus dem
Exil in Mozambique agierenden Guerillabewegung zu blockieren (MARNIER et al. 2000,
23
S. 10f). Auch bei der Grenzsicherung zwischen Nord- und Südkorea wird vor allem von den
USA die Notwendigkeit von Mineneinsätzen betont, da sie neben der Grenze auch die amerikanischen Militärstützpunkte schützten sollen (G.L. (ohne Namen) 1997, S. 282).
„Landminen ermöglichen die Sperrung strategisch wichtiger Gebiete“
(MCGRATH 1993, zitiert nach: PETTIFORD/FAULKNER 1998, S. 52).
Es handelt sich bei dieser Form der Anwendung von Landminen nicht um den bereits erläuterten, defensiven Schutz verschiedener Einrichtungen und Gebiete, sondern um die offensive
Nutzung dieser Technologie für eine gezielte Blockade bestimmter Areale. Dazu gehören z.B.
infrastrukturelle Einrichtungen der Energieversorgung oder des Transportes (Flughäfen und
Straßen), deren Blockade massive Auswirkungen auf die Versorgung und Mobilität sowohl der
listen keine Gefahr dar (vgl. KÜCHENMEISTER/ROGALSKI 1996, o.S.). Zu den neuen Technologien, die auch als Ersatz für
die heute verbotenen Personenminen angesehen werden, vgl. auch LANDMINE ACTION et al. 2001.
23
Näheres zu den Hintergründen des Unabhängigkeitskrieges in Zimbabwe vgl. MEYNS 2000, S. 57ff.
8
3 Landminen: Der historische und technische Hintergrund
gegnerischen Truppen, als auch der zivilen Bevölkerung hat (LANDMINE ACTION et al. 2001,
S. 14).
„Personenminen werden gemäß ihrem ursprünglichen Konstruktionszweck zum
Schutz von Panzerminen eingesetzt“
(DAHINDEN 2003b, o.S.).
Wie wichtig dieser Aspekt bis heute noch ist, wird an der amerikanischen Haltung hinsichtlich
eines Verbots dieser Anwendungsweise deutlich. Eine wesentliche Vorraussetzung für den
24
Beitritt der USA zum Ottawa-Abkommen wäre die Aufnahme einer diesbezüglichen Ausnahmeregelung gewesen, die ausdrücklich den Einsatz von Personenminen zum Schutz von Panzer- bzw. Fahrzeugminen erlaubt (GÜNTHER 1997, S. 280f.).
3.2.2 Der Wandel in der Verwendung von Landminen
Insgesamt bestimmen die Gestalt eines Konfliktes und die Struktur der beteiligten Kriegsparteien die Art und Weise, wie Landminen in bewaffneten Auseinandersetzungen eingesetzt
werden. Die bisher angeführten verschiedenen Formen des Gebrauchs dieser Waffentechnologie sind vor allem charakteristisch für herkömmliche Konfliktszenarien, in denen legitimierte Staaten über ihre nationalen Streitkräfte eine zwischenstaatliche Auseinandersetzung aus25
tragen (PETTIFORD/ FAULKNER 1998, S. 52). Seit Ende des 20. Jahrhunderts sind diese Konfliktkonstellationen eher selten geworden, während die Anzahl der innerstaatlichen Konflikte bzw.
der Auseinandersetzungen mit bürgerkriegsähnlichem Charakter zugenommen hat (DAHINDEN
26
2003a, S. 109). Durch diese Veränderung der Konfliktsituationen ist ein wesentlicher Effekt
der Landminentechnologie in den Mittelpunkt gerückt: Die demoralisierende und terrorisierende Wirkung auf die gegnerischen Soldaten und auch auf die Zivilbevölkerung. Schon 1934
wurde der eigentliche Vorteil des Einsatzes von Landminen eher in der Zerstörung der Moral
gegnerischer Truppen gesehen, als in dem verhältnismäßig geringen materiellen Schaden, der
durch die Explosion einer Landmine hervorgerufen wird (MILITARY ENGINEERING o.J., zitiert
nach: MCGRATH 2000b, S. 3).
Personenminen sind von ihrer Bauweise her nicht prinzipiell darauf ausgerichtet, Menschen
27
zu töten. Vielmehr liegt die beabsichtigte Wirkung bestimmter Personenminentypen in der
28
Verletzung bzw. Verstümmelung gegnerischer Soldaten. Sie sind
„[...] bewusst so konstruiert, dass sie gezielt Arme, Beine, den Genitalbereich oder gar
den ganzen Körper zerfetzen“
(KÜCHENMEISTER 1993, o.S.).
Auf diese Weise sollen gegnerische Kräfte, die sich um die Verletzten kümmern müssen,
gebunden werden. Dies führt zu einer aus militärischer Sicht erstrebenswerten Reduzierung
der feindlichen Truppen, einer zeitlichen Verzögerung eines Angriffs und – aufgrund der von
Minenfeldern ausgehenden unsichtbaren Bedrohung sowie der Art der hervorgerufenen Verletzung – zu einer Demoralisierung der Soldaten (MILITARY ENGINEERING o.J., zitiert nach:
MCGRATH 2000b S.3; CROLL 1998, S. 81).
Die Ziele des Landmineneinsatzes haben sich seit dem zweiten Weltkrieg entsprechend der
Konfliktformationen, der infrastrukturellen Ausstattung, der geographischen Beschaffenheit
und den gesellschaftlichen Strukturen in den betroffenen Ländern geändert. Die ursprünglich
defensiv gebrauchte Landminentechnologie wird zunehmend als offensiv genutztes, vielfältig
einsetzbares Waffensystem verwendet, das auch zur gezielten Terrorisierung der Zivilbevöl29
kerung genutzt wird. Anders als in den ‚traditionellen’ Konflikten zwischen Industrieländern
24
Näheres zu den Verhandlungen zur Ottawa-Konvention vgl. Kapitel 5.2.
Als Beispiel sei hier auf die Zeit des Kalten Krieges bzw. die Auseinandersetzung zwischen den Staaten des
Warschauer Paktes und der NATO verwiesen. Vgl. DAHINDEN 2003a, S. 107f.; NASSAUER 1996, o.S.; CROLL 1998, S. 125f.
26
Vgl. auch NASSAUER 1996, o.S.
27
Der Minenräumexperte CROLL bezeichnet Landminen als “[…] probably the first operational device calculated to
wound by the blast effect of high explosive rather than to kill” (CROLL 1998, S. 28).
28
Näheres zu den technischen Details und verschiedenen Minentypen vgl. Kapitel 3.3.
29
In diesen neuzeitlichen Konfliktsituationen verwischen sich die Begriffe ‚defensiv’ und ‚offensiv’, da es sich bei den
Konfliktparteien sehr häufig um zahlreiche, kleine und schnell bewegliche Gruppierungen von Gegnern (Guerilla,
Warlords) handelt, die abwechselnd ‚offensiv’ oder ‚defensiv’ gegeneinander operieren.
25
9
3 Landminen: Der historische und technische Hintergrund
30
sind seit den 60er Jahren in innerstaatlichen bewaffneten Auseinandersetzungen gezielt
landwirtschaftliche Flächen, ganze Dörfer, Wasserressourcen (z.B. Brunnen) oder auch religiöse und kulturelle Stätten vermint worden (CROLL 1998, S. 129). Die mit dieser Taktik verbundene Absicht liegt in der Zerstörung von Wirtschaftskreisläufen, lokaler Infrastruktur sowie in
der Terrorisierung und/oder Vertreibung der Bevölkerung (PETTIFORD/FAULKNER 1998, S. 52).
Dass diese Waffe besonders in Konflikten in Entwicklungsländern eine weite Verbreitung gefunden hat, ist auf verschiedene Aspekte zurückzuführen. So sprechen die schlechte infrastrukturelle Ausstattung und die schwachen staatlichen Strukturen dieser Länder, aber auch
der Aufbau der Konfliktparteien (z.B. kleine, bewegliche und leicht bewaffnete Gruppen in
Guerillakriegen) sowie begrenzte finanzielle Mittel häufig gegen einen Import bzw. Einsatz
von technologisch, in Unterhalt und Logistik aufwendigen modernen Waffensystemen. Niedrige Herstellungskosten, ein hohes Improvisationspotenzial, die aufgrund der geringen Größe
31
bzw. des geringen Gewichtes leichte Transportmöglichkeit sowie die einfache Erlernbarkeit
32
der Verlegung und Aktivierung von Landminen hingegen ermöglichen eine äußerst mobile
und effektive Kriegsführung (CROLL 1998, S. 126).
In Entwicklungsländern mit primär landwirtschaftlich geprägten Wirtschaftsstrukturen spielt
die zivile Landbevölkerung in bewaffneten Konflikten eine besondere Rolle. Die Bedrohung
der Zivilisten durch Guerillakämpfer kann zum einen als Druckmittel gegen die jeweilige Regierung verwendet werden, zum anderen hat die ländliche Bevölkerung bezüglich der Versorgung der verschiedenen Kriegsparteien eine Schüsselfunktion. Strategisch wichtige Gebiete
werden daher aus verschiedenen Gründen vollständig oder in Form eines Minengürtels vermint.
Einerseits sollen durch eine geschlossene Umrandung ganzer Dörfer die gegnerischen Gruppen von der Versorgung (vor allem mit Nahrungsmitteln) abgeschnitten werden. Auch dienen
Minenfelder dazu, potenzielle Sympathisanten an einer Unterstützung der feindlichen Gruppen zu hindern bzw. abzuschrecken oder Menschen durch die Zerstörung bzw. Blockade der
Lebensgrundlagen zur Flucht zu zwingen. Andererseits kann mittels eines Mineneinsatzes
eine Bevölkerungsgruppe gezielt vor einem Angriff von außen geschützt werden, wenn der
betroffenen dörflichen Bevölkerung die verminten Gebiete sowie die eigens zur Sicherstellung
der Versorgung angelegten minenfreien Durchgänge im Minengürtel bekannt sind (CROLL
1998, S. 126; MARNIER et al. 2000, S. 13).
Darüber hinaus sind häufig Zugangsstraßen und Fußwege Ziele einer strategischen Verminung, da die Überwachung und der Schutz von Verkehrswegen zur Einschränkung der Beweglichkeit feindlicher Truppen eine wichtige Rolle spielen, jedoch den Einsatz vieler Soldaten
bzw. Kämpfer erfordern würde (CROLL 1998, S. 127). Außerdem werden auch bereits von der
Bevölkerung verlassene Gebiete und Dörfer nachträglich noch vermint, um eine Rückkehr
und Wiederansiedlung von Flüchtlingen zu verhindern (KÜCHENMEISTER 1993, o.S.).
Anhand dieser Beispiele von strategischen Gründen für die Anwendung der Minentechnologie
und aufgrund der weiten Verbreitung im Rahmen von innerstaatlichen Konflikten wird deutlich, dass das heutige Landminenproblem vor allem im Einsatz von Minen in unmittelbarer
Nähe bewohnter Gebiete und in der damit einhergehenden gezielten Bedrohung der zivilen
33
Bevölkerung besteht (CROLL 1998, S. 127). Dieser Aspekt verdeutlicht, dass der Einsatz von
Landminen – neben den direkten physischen Folgen der Verstümmelung oder Tötung und den
erläuterten aus strategischen Gründen beabsichtigten Auswirkungen – noch weitere langfristige sozioökonomische Folgen mit sich bringt, die zum Zeitpunkt der Ausbringung dieser
Waffen oft ignoriert werden und häufig auch nicht vorhersehbar sind. Letztere werden in Kapitel 6 näher erläutert.
30
Während des Kalten Krieges waren viele dieser innerstaatlichen Konflikte eigentlich Konfrontationen zwischen
sowjetisch unterstützten Regierungen und westlich unterstützten Rebellenbewegungen und demnach sog. Stellvertreterkriege, wie z.B. in Afghanistan und Mozambique (CROLL 1998, S. 129).
31
So kostet eine einfache Mine in der Herstellung ca. 3 US $ (vgl. ICRC 1996, S. 11).
32
Diese Gründe sprechen unter anderem auch für die zunehmende Verbreitung der Kleinwaffen in innerstaatlichen
Konflikten. Vgl. hierzu auch PAES 2002 und die umfangreichen Informationen von Organisationen, die sich speziell mit
dieser Thematik befassen, z.B. http://terre-des-hommes.de
33
Zur Verwendung der Landminentechnologie durch bewaffnete Nicht-Regierungs-Gruppen vgl. GENEVA CALL/PSIO
2005.
10
3 Landminen: Der historische und technische Hintergrund
3.3
Landminen: Der technische Hintergrund
Die Einsatzmöglichkeiten und auch der erzielte bzw. beabsichtigte Effekt von Landminen sind
abhängig von ihrer Bau- und Wirkungsweise. Seit dem Zweiten Weltkrieg wurde die Landminentechnologie verstärkt weiterentwickelt. Aus einem ursprünglichen ‚Nebenprodukt’ wurde
ein eigenständiger waffentechnologischer Bereich, der eine Vielzahl industrieller militärischer
Innovationen hervorgebracht hat, vor allem hinsichtlich Effektivität, Größe, Aufspürbarkeit
(Detectability) und Reduzierung des logistischen Aufwands sowie der für die Verlegung benötigten Zeit (CROLL 1998, S. 96).
3.3.1 Die verschiedenen Landminentypen
Inzwischen gibt es mehr als 600 verschiedene Minentypen (vgl. Abbildung 1), die hinsichtlich
des Angriffziels, der Wirkungsweise, des Zündmechanismus, der Art der Verlegung sowie dem
Umfang ihrer Zerstörungskraft unterschieden werden können (CROLL 1998, S. 96).
Abb. 1: Beispiel für die Vielzahl an Minentypen
34
(aus: CROLL 1998, o.S.,  Mike CROLL)
Alle Minen funktionieren nach folgendem Grundprinzip:
Sie bestehen aus einem mit einem Sprengstoff gefüllten Behälter, dessen Detonation durch
einen Zündmechanismus ausgelöst wird (vgl. Abbildung 2). Der Behälter bzw. dessen Hülle
kann aus verschiedenen Materialien bestehen – z.B. aus Holz, Glas, Metall, Keramik oder
Kunststoff. Die Verwendung von nur schwer verrottenden Materialien wie Metall oder Kunststoff verlängert die Lebensdauer einer Mine. Die Höhe des Metallanteils beeinflusst die Auf35
findbarkeit der Minen mit Metalldetektoren, ein hoher Kunststoffanteil kann die Versorgung
36
von Verletzten erschweren, da Kunststoffsplitter auf Röntgenaufnahmen nicht sichtbar sind
(MASCHE O.J., O.S.).
34
Mit freundlicher Genehmigung für den Nachdruck durch den Pen & Sword Verlag, in dem CROLL, Mike 1998: The
History of Landmines erschienen ist und auf dessen Webseite an dieser Stelle auf Wunsch des Verlages hingewiesen
sei: http://www.pen-and-sword.co.uk
35
Minen aus Kunststoff können nicht mit Metalldetektoren geortet werden und erschweren damit die Suche und Räumung vgl. Kapitel 3.4.
36
So können Kunststoffsplitter bei der Versorgung von Verletzten schwerer durch radiologische Aufnahmen festgestellt
werden (ICRC 1997 zitiert nach: PETTIFORD/FAULKNER 1998, S. 53).
11
3 Landminen: Der historische und technische Hintergrund
Abb. 2: Schematischer Aufbau einer Mine
(Vereinfachte Darstellung nach MASCHE o.J., o.S.)
37
Landminen werden entsprechend ihrer Bau- und Wirkungsweise verschiedenen Grundtypen
zugeordnet: Den Sprengminen, Splitterminen, Spring- bzw. Springsplitterminen und Splitterrichtminen.
Sprengmine (blast mine):
Die auch unter dem Namen Tretmine (Personenmine) oder Tellermine (Fahrzeugmine) bekannte Sprengmine gehört zu den heute noch verbreitetsten Minentypen (vgl. die Russische
Panzermine TM-57 in Abbildung 3).
Sie werden meist von Hand versteckt bzw. verdeckt an der Erdoberfläche verlegt und führen
durch eine aufwärtsgerichtete Druckwelle zur Verletzung von Personen bzw. zur Beschädigung von Fahrzeugen (MCGRATH 2000b, S. 18). Typische Verletzungsfolgen sind der Abriss des
Fußes, des Unterschenkels bzw. auch Teile des Oberschenkels, Verletzungen im Bereich des
38
Unterbauchs sowie der Genitalien, aber auch der Augen und Ohren (MASCHE O.J., O.S.).
Splittermine (fragmentation mine):
Bei den seit dem Zweiten Weltkrieg eingesetzten und auch als Stockminen bekannten Splitterminen (vgl. z.B. die Splitterminen PMR 3 und POMS 2M in Abbildung 3) wird die primäre
Wirkung durch die Verteilung von Splittern bzw. Fragmenten über eine größere Fläche erzielt.
Je nach Bauweise wirken diese innerhalb eines Umkreises von 5-10 m tödlich bzw. führen in
einem größeren Radius noch zu Verletzungen oder zur Beschädigung von materiellen Zielen
(MCGRATH 2000b, S. 18; MASCHE o.J., o.S.). Sie bestehen aus einem Gehäuse, das mit Kugeln
oder Splittern – meist aus Metall – gefüllt ist oder vom Material her zur Zersplitterung (sog.
Splittermantel) angelegt ist und einem Stab, mit dem die Mine in den Boden gesteckt wird.
Die sich ca. 20 cm oberhalb des Bodens befindlichen Sprengkörper werden meist durch einen
Zugdraht-Zündmechanismus zur Detonation gebracht. Dieser Minentyp wird vor allem in Gebieten mit starkem Pflanzenbewuchs eingesetzt, wo Stolperdrähte gut getarnt werden können
39
(MCGRATH 2000b, S. 18; MASCHE o.J., o.S.).
37
Bei der Kategorisierung von Landminen gibt es verschiedene Ansätze, wobei es sich hier um eine eigene Zusammenstellung nach MCGRATH 2000b, S. 18; GICHD 2004a, S. 8 und Masche o.J., o.S. handelt.
38
Neben dieser primären Wirkungsweise kann durch die aufwärtsgerichtete Explosion einer Personenmine über die
Einbringung von Schmutz eine zusätzliche Verschlimmerung der Verletzungsfolgen durch Infektionen hervorgerufen
werden (KÜCHENMEISTER 1993, o.S.).
39
In vielen von Landminen betroffenen Ländern wurden während Räumarbeiten verschiedene improvisierte Formen
von Splitterminen gefunden.
12
3 Landminen: Der historische und technische Hintergrund
Abb. 3: Verschiedene Minentypen (Eigene Zusammenstellung)
Springmine (bounding mine):
Springminen haben die gleiche Funktionsweise wie Sprengminen. Sie verfügen aber über
2 Sprengsätze, wobei durch den ersten die Mine in eine Höhe von bis zu 2 m (abhängig von
der Bauweise) hoch geschleudert und dort durch die zweite Sprengladung zur Detonation gebracht wird. Als Personenmine haben sie meist tödliche Auswirkungen, da – im Gegensatz zur
Sprengmine – die Druckwelle in der oberen Körperhälfte des Opfers ausgelöst wird und dadurch lebenswichtige Organe verletzt werden (MCGRATH 2000b, S. 18).
Springsplittermine (bounding fragmentation mine):
Verstärkt wird die tödliche Wirkungsweise bei den Springsplitterminen.
Sie haben ein konservendosenähnliches Gehäuse, das mit den für Splitterminen typischen
Splitterfragmenten gefüllt ist, die durch die zweite Explosion in einem Radius von 360° zur
Wirkung gelangen (vgl. Abbildung 4) Splitterspringminen haben eine Reichweite von 25-100 m
oder mehr. Sie haben in einem Umkreis bis zu 50 m meist tödliche Folgen und verursachen
über diese Distanz hinaus noch erhebliche Verletzungen (auch mit Todesfolgen). Da sie nicht
40
gezielt auf eine, sondern auf mehrere Personen wirken, werden sie auch als Gruppenminen
bezeichnet (MCGRATH 2000b, S. 18).
40
Näheres zur Definition vgl. Fußnote 42.
13
3 Landminen: Der historische und technische Hintergrund
Abb. 4: Springsplittermine und ihre Funktionsweise
(Eigene Darstellung nach MASCHE o.J., o.S.)
Splitterrichtmine (directional fragmentation mine):
Ein weiterer Untertyp der Splitterminen ist die Splitterrichtmine (vgl. Claymore Mine in
Abbildung 3), die nach dem ersten amerikanischen Bautyp M-18 auch als Claymore-Mine
bezeichnet wird (GICHD 2004a, S. 11). Diese kann entweder über mechanische Zünder, wie
z.B. Zugzünder, oder über elektrische Fernzündung ausgelöst werden. Die Sprengfragmente
(z.B. Kugeln) haben eine gebündelte tödliche Wirkung bis hin zu 260 m; darüber hinaus
können sie noch Verletzungen hervorrufen (MASCHE o.J., o.S.).
Für die Art und Weise der Auslösung sind die verwendeten Zündmechanismen ausschlaggebend, von denen eine große Bandbreite verfügbar ist. Sie variieren von einfachen mechanischen Kontaktzündern (z.B. Druck- (pressure-fuse) und Zugzündern (pull-fuse) oder Stolperdrähten (trip wire)) bis hin zu hochsensiblen elektronischen Auslösemechanismen (z.B.
akustische oder Vibrationszünder), die von den verschiedensten Zielobjekten aktiviert werden
können (vgl. Tabelle 16 im Anhang).
Die Unterscheidung nach technischen Funktionsweisen ist zum einen für das Ausmaß der
physischen Auswirkungen auf die Opfer bzw. die materiellen Schäden, zum anderen auch für
die Auswahl der erforderlichen Räummaßnahmen relevant. Die verschiedenen technischen
Minenvariationen können der übergeordneten Differenzierung zwischen ‚Personenminen’ und
‚Fahrzeugminen’ zugeordnet werden, auf die – für ein grundlegendes Verständnis der Auswirkungen dieser Waffentechnologie auf betroffene Gesellschaften – an dieser Stelle eingegangen
wird. Die – auch innerhalb internationaler Verträge relevante – Unterteilung von Landminen
in Personen- und Fahrzeugminen, basiert auf einer Unterscheidung hinsichtlich des jeweiligen Angriffziels, wie schon anhand der Begriffsbestimmung im Ottawa-Vertrag deutlich wird
(vgl. Textbox 1).
14
3 Landminen: Der historische und technische Hintergrund
Definition der Minentypen mit unterschiedlichem Angriffsziel
Personenmine bzw. Antipersonenmine
Anti-personnel Mine (APM)
„Minen, die dazu bestimmt sind, durch die Gegenwart, Nähe oder Berührung einer Person zur Explosion
gebracht zu werden, und die eine oder mehrere Personen kampfunfähig macht, verletzt oder tötet.“
Panzer- bzw. Fahrzeugminen
Anti-tank Mines (ATM) bzw. Anti-vehicle Mines (AVM)
„Minen, die dazu bestimmt sind, durch die Gegenwart, Nähe oder Berührung nicht einer Person, sondern
eines Fahrzeugs zur Detonation gebracht zu werden, […] nicht als Antipersonenminen betrachtet.“
Artikel 2 Absatz 1 OTTAWA-KONVENTION
Textbox 1: Definition der Minentypen mit unterschiedlichem Angriffsziel
Die für die Aktivierung durch Fahrzeuge konzipierten Landminen werden international zunehmend unter dem Begriff: „Minen, die keine Antipersonenminen sind“ (Artikel 6 Absatz 3
1996 CCW Zusatzprotokoll II) – Mines other than Anti-personnel Mines (MOTAPM) – zusammengefasst, um eine klare Abgrenzung zu Personenminen zu schaffen (GICHDa 2004, S. 8). Im
41
Rahmen dieser Arbeit wird der das Zielobjekt beinhaltende Ausdruck der Fahrzeugmine
verwendet.
Die in der Definition angeführte Differenzierung zwischen Personen- und Fahrzeugminen
wird auch anhand bestimmter technischer Merkmale deutlich:
Die kleineren Personenminen beinhalten eine Sprengstoffmenge zwischen 10 und 250 g und
können – je nach Zündmechanismus und Bauweise – durch ein Gewicht von 5-50 kg ausgelöst
werden. Sie sind demnach darauf ausgerichtet, durch ein lebendes Ziel (in erster Linie durch
einen Menschen, aber auch durch ein Tier) aktiviert zu werden und eine oder mehrere Perso42
nen zu verletzen oder zu töten.
In den größeren Fahrzeugminen hingegen werden 2-9 kg Sprengstoff verwendet, der erst
durch Gewichte zwischen 100-300 kg zur Explosion gebracht werden kann. Diese Konstruktion
beabsichtigt die Aktivierung der Sprengladung durch Fahrzeuge und deren Zerstörung (ICRC
1996, S. 10). 50 bis 75 Prozent der Fahrzeugminen können zusätzlich zu ihrer primären Wir43
kungsweise mit sog. ‚Aufhebesperren’ ausgestattet werden. Dabei handelt es sich um Vorrichtungen an Fahrzeugminen, die dazu dienen, eine Manipulation, Deaktivierung oder Räumung
der Mine zu verhindern. Diese Schutzvorrichtung kann z.B. aus einer unter der Fahrzeugmine
angebrachten Personenmine oder aus einem Kippschutz bestehen, der auf kleinste Positionsveränderungen der Fahrzeugmine reagiert. So kann die Auslösung der Fahrzeugmine auch
44
durch eine einzelne Person erfolgen. Sie sind also gezielt gegen Personen gerichtet und erschweren außerdem die Minenräumung (LANDMINE ACTION et al. 2001, S. 6ff.).
Es wird also deutlich, dass Fahrzeugminen nicht nur für Militärfahrzeuge, sondern insbesondere für zivile Fahrzeuge – wie Schulbusse, Krankenfahrzeuge, LKWs und PKWs – ein Risiko
41
Auf eine zusätzliche begriffliche Differenzierung zwischen Panzer- und Fahrzeugminen wird an dieser Stelle verzichtet, da diese Landminentypen – auch wenn sie ursprünglich für militärische Ziele entwickelt wurden – auf zivile
und militärische Fahrzeuge gleichermaßen reagieren.
42
Die Definition Personenmine beinhaltet mit dem Bezug auf ‚mehrere Personen’ auch den Begriff der Gruppenmine.
Gruppenminen können aufgrund einer höheren Anzahl betroffener Opfer von Personenminen – die gezielt nur ein
Opfer hervorrufen – abgegrenzt werden, was durch eine unterschiedliche Reichweite der Wirkungsweise einer Mine
hervorgerufen wird.
43
Die offizielle Definition von ‚Aufhebesperren’ (Anti-handling Device) laut Ottawa-Konvention ist:
„[...] eine Vorrichtung, die eine Mine schützen soll und Teil der Mine, mit ihr verbunden, an ihr befestigt oder unter ihr
angebracht ist und die bei dem Versuch, sich an der Mine zu schaffen zu machen oder sie anderweitig gezielt zu stören,
aktiviert wird“ (Artikel 2 Absatz 3 Ottawa-Konvention).
44
Zur Problematik der definitorischen Abgrenzung vgl. Kapitel 5.2.2.2.
15
3 Landminen: Der historische und technische Hintergrund
45
darstellen und somit die Bedrohung der Zivilbevölkerung und deren Opferzahlen erhöhen.
Mit der fortschreitenden Entwicklung in der Landminentechnologie wird eine klare Unterscheidung zwischen Personen- und Fahrzeugminen bzw. Minen, die für andere Zwecke kon46
struiert werden – wie z.B. sog. Rollbahnminen – zunehmend erschwert.
3.3.2 Besonderheiten der Landminentechnologie
Ein weiterer wichtiger Aspekt der Minentechnologie, der die Auswirkungen von Landminen
während und nach Konflikten beeinflusst, ist in der Verlegemethode zu sehen. Standardmethode vor allem bei den Minentypen der ersten und zweiten Generation ist die Verlegung per
Hand. Sie lassen sich leicht transportieren und bei einer manuellen Verlegung gezielt an strategischen Punkten, wie z.B. Brunnen, Häusern, Straßen oder randbewachsenen Verkehrswegen anbringen.
47
Die Weiterentwicklung der Landminentechnologie hat den Typ der fernverlegbaren Minen
hervorgebracht. Sie werden mittels Raketen, Artillerie oder Granatwerfern verteilt oder aus
Hubschraubern bzw. Kampfflugzeugen abgeworfen und ermöglichen somit eine schnellere
Verteilung von Minen über eine große Fläche (LANDMINE ACTION et al. 2001, S. 29). Die Fernverlegung von Minen bietet aus militärstrategischer Sicht neben der Möglichkeit des räumlich
breiteren und zeitlich effektiveren Einsatzes zusätzlich den Vorteil, dass die Beweglichkeit der
gegnerischen Kräfte behindert wird und dass wichtige Gebiete aus einer sicheren Distanz hinter den Frontlinien heraus – ohne großen logistischen Aufwand – blockiert werden können
48
(GICHD 2004a S. 12). Die Funktionsweise einer Fernverlegung wird anhand Abbildung 5 verdeutlicht. Bei dieser Art der Minenverlegung besteht aufgrund der großflächigen Ausdehnung
und geringeren Kontrollmöglichkeiten ein hohes Risiko für die eigenen oder verbündeten
49
Truppen. Außerdem beeinflussen klimatische Bedingungen zum Zeitpunkt des Einsatzes die
Verteilung der Minen. Aus diesen Gründen sind die per Luftweg angelegten Minenfelder nur
grob dokumentierbar, wodurch eine Räumung (vgl. Kapitel 3.4) nach Konfliktende erschwert
wird (LANDMINE ACTION et al. 2001, S. 30).
Um die Risiken derartiger Minenfelder zu reduzieren sind einige Minen mit sog. Selbstzerstörungs- bzw. Deaktivierungsmechanismen ausgestattet, welche die Wirkzeit der Minen begrenzen sollen. Diese ‚intelligenten’ Minen deaktivieren oder zerstören sich selbst innerhalb einer
vorbestimmten Zeit (GICHD 2004a, S. 12), um so einerseits einen eventuellen Einmarsch
eigener Truppen zu ermöglichen, andererseits aber auch, um die Räumung nach Beendigung
50
des Konfliktes zu erleichtern. Andere ‚intelligente’ Minen können miteinander kommunizieren. Sie springen in die Lücken, die durch Räumung oder Explosion im Minenfeld entstanden
sind, korrigieren selbst das Verlegeraster und erschweren somit die Räumung (vgl. DARPA
1999).
45
Näheres zum Anteil der Fahrzeugminen als Unfallursache in verschiedenen Ländern vgl. LANDMINE ACTION et al.
2001, S. 7f.
46
Als Beispiele können die von Deutschland als „Rollbahnminen“ bezeichneten fernverlegbaren Fahrzeugminen MIFF
und MUSPA genannt werden, die im Gegensatz zur deutschen Beschreibung als Rollbahnminen, von Italien und den
USA als Personenminen definiert werden (LANDMINE ACTION et al. 2001, S. 30).
47
‚Fernverlegte Minen’ sind Minen, die durch Artilleriegeschütz, Raketen, Granatwerfer oder ähnliche Mittel verlegt
oder aus einem Luftfahrzeug abgeworfen werden (Art. 2 Abs. 1, 1980 CCW Protokoll II).
48
Der erste breitere Einsatz, der über größere Flächen bzw. über Flugzeuge verteilbaren Minen fand im Vietnam Krieg
statt, um die Nachschublinien von Nord- nach Südvietnam zu unterbrechen (GICHD 2004a, S. 12; ICRC 1996, S. 28).
49
Je nach Windrichtung kann die Ausdehnung des Minenfeldes variieren, da die Minen häufig mit kleinen Fallschirmen ausgestattet sind, die eine genaue Positionierung nicht ermöglichen.
50
Schon im Zweiten Weltkrieg wurde aus diesen Gründen eine Form von Selbstzerstörungsmechanismus angedacht
(GICHD 2004a, S. 12).
16
3 Landminen: Der historische und technische Hintergrund
Abb. 5: Methode der Fernverlegung am Beispiel der Fahrzeugmine AT-2
(Eigene Darstellung nach KRÄMER 1996, S. 16)
3.3.3 Andere Kampfmittelrückstände
Die Bedrohung von Zivilisten in Post-Konflikt-Gesellschaften wird nicht allein durch Landmi51
nen, sondern insgesamt durch explosive Kampfmittelrückstände hervorgerufen. Diese werden in Fachkreisen unter dem Begriff Explosive Remnants of War (ERW) – sog. explosive
Kampfmittelrückstände – zusammengefasst, wobei hinsichtlich der Einbeziehung von Landminen unterschiedliche Definitionsansätze bestehen. Zum einen werden Landminen aufgrund
unterschiedlicher vertraglicher Regelungen im internationalen Recht und der daraus resultierenden erforderlichen Abgrenzung von den ERW ausgenommen, während innerhalb des praxisorientierten Ansatzes dieser Ausschluss mittlerweile nicht mehr vorgenommen wird
52
(LANDMINE ACTION 2003, S. 4ff.).
Anhand der Definitionen der nicht zur Wirkung gelangten explosiven Kampfmittel und den
aufgegebenen explosiven Kampfmitteln (vgl. Textbox 2), die gemeinsam die Gesamtheit der
ERW ausmachen, wird im Zusammenhang mit der beschriebenen Funktions- und Verwen53
dungsweise der Landminen die Schwierigkeit einer Ausgrenzung deutlich.
Unter den Begriff UXO, der sich laut Definition auf Blindgänger verschiedener Munitionssysteme, wie Bomben, Patronen, Granaten etc. bezieht (GICHD 2004a, S. 9), fallen auch die
seit dem Kosovo-Einsatz der NATO 1999 aufgrund von zahlreichen zivilen Opfern zunehmend
in das Bewusstsein der Öffentlichkeit geratenen Blindgänger von Streubombenmunition
(MCGRATH 2000a, S. 11).
51
So ist z.B. die Lagerung von Waffen- und Munitionsbeständen häufig regional weit verteilt und zum Teil extremen
Witterungsbedingungen ausgeliefert. In Kombination mit unsachgemäßer Lagerung und der Handhabung durch ungelernte Personen steigt die Gefahr der Explosion ganzer Waffenlager.
52
Neben Landminen werden auch Sprengfallen in den internationalen Verträgen als separate und nicht diesem Oberbegriff der ERW unterzuordnende Waffe angesehen. Hierbei handelt es sich um die auch als booby-traps bezeichneten
explosiven oder nicht-explosiven Vorrichtungen, die absichtlich so platziert werden, dass sie bei der Berührung eines
offenbar harmlosen Gegenstandes oder bei der Ausübung einer normalerweise ungefährlichen Tätigkeit Verletzungen
hervorrufen (UNMAS 2003a, Definition 3.22.). So werden Türen, Schubladen, Schränke oder andere Einrichtungsgegenstände in Gebäuden mit diesen booby-traps versehen, um die Bevölkerung zu vertreiben oder Flüchtlinge an einer
Rückkehr bzw. Wiederansiedlung zu hindern (vgl. AA o.J., S. 18).
53
Zur Diskussion über verschiedene Definitionsansätze vgl. auch Landmine Action 2003, S. 4-7.
17
3 Landminen: Der historische und technische Hintergrund
Definitionen UXO und AXO
‚Unexploded Ordnance’ (UXO)
Nicht zur Wirkung gelangte explosive Kampfmittel
„[…] sind explosive Kampfmittel, die mit Zündmitteln versehen, gezündet, entsichert oder anderweitig
einsatzbereit gemacht und/oder in einem bewaffneten Konflikt eingesetzt wurden. Sie wurden abgefeuert,
abgeworfen, gestartet oder ausgestoßen und sind entgegen ihrer Bestimmung, aufgrund von Fehlfunktion
bzw. Konstruktion oder aus irgendeinem anderen Grund nicht explodiert.“
‚Abandoned Explosive Ordnance’ (AXO)
Aufgegebene explosive Kampfmittel
„[…] sind explosive Kampfmittel, die während eines bewaffneten Konfliktes nicht eingesetzt wurden, die
von einer an einem bewaffneten Konflikt beteiligten Partei zurückgelassen oder weggeworfen wurden und
die sich nicht mehr unter der Kontrolle der Partei befinden, von der sie zurückgelassen oder weggeworfen
wurden. Aufgegebene explosive Kampfmittel können mit Zündern versehen, gezündet, entsichert oder
anderweitig einsatzbereit gemacht worden sein oder nicht.“
Artikel 2 Absatz 2 CCW Protokoll 5.
Textbox 2: Definitionen: UXO und AXO
Streubomben sog. Cluster Bombs bestehen aus mit Submunition (sog. Bomblets) gefüllten Behältern, die von Flugzeugen abgeworfen oder mit Raketenwerfern – wie dem Multiple Launch
54
Rocket System (MLRS) – verschossen werden und sich in der Luft öffnen, wodurch die Submunition über eine große Fläche verteilt wird. Ein Beispiel hierfür ist die in Abbildung 5 dargestellte deutsche AT-2 Mine. Diese Technologie ermöglicht daher die flächendeckende Bombardierung eines größeren Areals und ist – aus militärischer Sicht – besonders dafür geeignet,
aus sicherer Entfernung bewegliche Ziele effektiv zu bekämpfen (MCGRATH 2000a, S. 5).
Im Durchschnitt enthalten Streubomben mehrere hundert Bomblets, deren Anzahl und Art je
55
nach Bautyp stark variieren kann. Die verschiedenen Formen von Submunition reichen von
eigens zu diesem Zweck konstruierten – gegen Personen oder Fahrzeuge gerichteten – Split56
tersprengkörpern bis hin zu den unterschiedlichsten fernverlegbaren Landminentypen. Sie
sind – mit Ausnahme der Minen – weder für einen langfristigen Effekt, noch für eine Auslösung durch die Opfer konstruiert, sondern sollen zum Zeitpunkt des Auftreffens explodieren
(MCGRATH 2000a, S. 5). Eine besondere Bedrohung für die Konflikt- und PostkonfliktGesellschaften besteht allerdings darin, dass für die Bomblets – entgegen der beabsichtigten
Wirkungsweise – eine hohe Versagerquote charakteristisch ist. Textbox 3 bietet einen Überblick über mögliche Ursachen für hohe Versagerquoten.
Die Angaben über das Ausmaß der Unzuverlässigkeit sind sehr unterschiedlich und variieren
57
je nach Munitionstyp und Einsatzgebiet von 5 bis 40 Prozent (LANDMINE.DE 2005a, S. 10;
58
MCGRATH 2000a, S. 27). Die Anfälligkeit zur Fehlfunktion der Submunition führt dazu, dass
eine Vielzahl an nicht explodierten Streumunitionskörpern in dem Einsatzgebiet verbleibt, die
dann de facto wie Landminen auf eine Aktivierung durch die Opfer warten.
54
Mit einer Salve des MLRS können z.B. bis zu 8000 Stück Submunition unterschiedlichen Typs auf 250.000m² verteilt
werden, was in etwa 50 Fußballfeldern entspricht (HANDICAP INTERNATIONAL 2005, o.S.).
55
Eine gute Übersicht über die Variationsbreite (von unter 10 bis über 4800 bomblets) bietet Tabelle A1: „Sample
listing of current cluster bombs“ in MACGRATH 2000a, S. 55.
56
Im Rahmen der Konvention über bestimmte konventionelle Waffen (CCW) werden fernverlegbaren Minen und
Streubomben in unterschiedlichen Protokollen geregelt. Vgl. Kapitel 5.1.
57
So wird von offizieller Seite z.B. für die im Kosovo eingesetzte Streumunition des englischen Typs RBL755 eine Versagerquote von 5% angegeben. Aus den Erfahrungen im Bereich der Räumung nach Ende des Konfliktes wurde aber
deutlich, dass diese Angabe nicht der Realität entspricht, sondern vielmehr nach oben auf mindestens 11-12% korrigiert werden müsste (McGrath 2000a, S. 27). Für die während der Operation Desert Storm im Irak eingesetzten Submunitionstyp M77 wird von einer Versagerquote von bis zu 40% ausgegangen, was bei einer Verwendung von insgesamt 11 Mio. auf das Vorhandensein von 4 Mio. Blindgängern zurückschließen lässt (LANDMINE.DE 2005a, S. 10). Und
auch für die verschiedenen von 1964-1973 in Laos eingesetzten cluster bombs wird insgesamt eine Fehlerquote von
30% vermutet (McGrath 2000a, S. 7).
58
Zur Problematik der unterschiedlichen Angaben hinsichtlich der Versagerquoten vgl. McGrath 2000a, S.7ff. u.
S. 27 ff.
18
3 Landminen: Der historische und technische Hintergrund
Ursachen für hohe Versagerquoten von ‚Bomblets’
Fehler in der Herstellung (Kostengünstige schnelle Produktion)
Anwendungsfehler in Kriegszeiten
Alter der Waffen und Lagerbedingungen (haben oft lange Lagerzeiten)
Durch die erste Detonation kann die Richtung weiterer Bomblets abgelenkt werden
Umweltbedingungen
Beschaffenheit der Erdoberfläche
⇒
Durch eine weiche Oberfläche (Sand, Wasser oder Schnee) kann die Detonation verhindert
werden.
Vegetation
⇒
Durch Pflanzenbewuchs kann die Geschwindigkeit soweit reduziert werden, dass sie beim Aufprall auf den Boden nicht mehr zur Sprengung ausreicht
⇒
Bomblets können sich in Bäumen oder Sträuchern verfangen und somit nicht zur unmittelbaren
Explosion gelangen
Starker Wind
⇒
Durch die Windverhältnisse kann die Verteilung der Bomblets vom eigentlichen Ziel abgelenkt
werden oder zu einer breiteren Streuung führen.
Quelle: Eigene Zusammenstellung nach Handicap International 2005, o.S.; McGrath 2000a, S. 25ff.
Textbox 3: Ursachen für hohe Versagerquoten von ‚Bomblets’
In Vietnam und Laos machen die Blindgänger, die nach der US-amerikanischen Flächenbombardierung mit über 350 Millionen Bomblets verblieben sind, sogar einen größeren Anteil der
Kontaminierung aus, als die vorhandenen Landminen (MCGRATH 2000a, S. 6). Nach dem Einsatz dieser Waffentechnologie im Kosovo wurden 40 bis 50 Prozent der Nachkriegsunfälle auf
eben diese Blindgänger zurückgeführt (MCGRATH 2000a, S. 8). Viele dieser Unfälle sind darauf
zurückzuführen, dass nicht explodierte Bomblets von der Bevölkerung nicht als gefährliche
Sprengkörper erkannt, sondern insbesondere von Kindern wegen ihres Designs als Spielzeug
angesehen werden. So haben die in Afghanistan und im Irak von den USA eingesetzten
Bomblets des Typs BLU-97, die in ihrer Größe (16,5cm) und ihrer auffälligen gelben Farbe
Getränkedosen sehr stark ähneln, aufgrund dieses Designs zu Verwechselungen und somit
Unfällen geführt. (HRW 2002, S. 6f. und S. 28; MCGRATH 2000a, S. 49).
Dass sich die Streubombentechnik trotz der bekannten hohen Versagerquote nach Einsätzen
im zweiten Weltkrieg bzw. später in Vietnam und Laos (1965-1975) seit der zweiten Hälfte des
59
20. Jahrhunderts zu einem wichtigen Bestandteil militärischer Operationen entwickelt hat
60
und auch in Zukunft eine wichtige Rolle in kriegerischen Konflikten spielen wird, lässt darauf zurückschließen, dass die Blindgängerrate bewusst einkalkuliert wird und möglicherweise
sogar Absicht ist:
„Eine gewisse Anzahl ist gewollt an Blindgängern“
(DIRSCHKA, Hauptmann der Bundeswehr,
zitiert nach: LANDMINE.DE 2003, S. 12).
3.4
Die Räummethoden
Wie bereits erwähnt, besteht ein grundsätzliches Problem von Landminen darin, dass sie auch
Jahrzehnte nach ihrer Verlegung an Ort und Stelle verbleiben und somit auch die von ihnen
ausgehenden Gefahren. Die einzige Möglichkeit, die Risiken für die Bevölkerung langfristig zu
beseitigen, besteht in der Entfernung der Minen, der sog. Minenräumung.
Grundsätzlich wird zwischen militärischer und Humanitärer Minenräumung unterschieden,
die unterschiedliche Zielsetzungen verfolgen. Die Militärische Räumung beschränkt sich in
den meisten Fällen auf die Räumung einiger Passagen, die den eigenen Einheiten das Durchqueren eines Minenfeldes ermöglichen sollen (sog. Military Breaching – eine Bresche schla59
Beispiele hierfür sind unter anderem die Operation Desert Storm im Golfkrieg (1991), der Kosovokrieg (1999) oder
auch die US-amerikanischen Streubombeneinsätze in Afghanistan (2001) und im Irak (2003). Für detaillierte Angaben
zum Streubombenansatz in den einzelnen Kriegen siehe MCGRATH 2000a und HRW 2002.
60
So werden Streubomben in Strategieplänen als wichtiger Bestandteil militärischer Waffenausrüstung betrachtet (vgl.
MCGRATH 2000a, S. 23).
19
3 Landminen: Der historische und technische Hintergrund
61
gen). Dieser Ansatz der strategischen partiellen Entfernung von Minen ist aber für die Nutzung der entsprechenden verminten Flächen durch Zivilpersonen in Zeiten nach einem Konflikt nicht ausreichend. Ziel der seit Ende der 80er Jahre entstanden Humanitären Minenräumung, ist daher die vollständige Entfernung von Minen und anderen explosiven Kampfmittelrückständen innerhalb eines bestimmten Areals, damit dieses als sichere Fläche – das heißt
möglichst zu 100 Prozent geräumt – an die zivile Bevölkerung übergeben werden kann
62
(GICHD 2004a, S. 63f.; HORWOOD 2000, S. 23).
Um dieses Ziel gewährleisten zu können, müssen Minenfelder vor der Räumung genau erfasst, abgegrenzt und markiert sowie das Ausmaß bzw. die Art der Landminen- und UXOKontaminierung soweit wie möglich bestimmt werden, was im Rahmen der Humanitären
63
Minenräumung über sog. Technical Surveys erfolgt (GICHD 2004a, S. 63f.).
Diese Aufgabe wird in den meisten Ländern wegen fehlender Dokumentationen über angelegte Minenfelder erschwert. Insbesondere in innerstaatlichen Konflikten bzw. Auseinandersetzungen mit irregulären Kampfeinheiten, werden meist keine Aufzeichnungen oder Mar64
kierungen der verlegten Minen vorgenommen (GICHD 2005b, S. 20). Selbst eine eventuell
vorhandene Aufzeichnung der Minenfelder – falls sie von den ehemaligen Kriegsparteien für
die Räumung zugänglich gemacht wird – garantiert nicht eine exakte Positionsbestimmung
der Minen, da Witterungsbedingungen, wie Bodenerosion z.B. durch Überschwemmungen
wie im Fall von Mozambique, die Lage der Minen im Laufe der Zeit verändern können
(HAAKE/KÜCHENMEISTER 2003, S. 11). Für eine erste Orientierung werden Berichte von lokalen
Augenzeugen bzw. ehemaligen Kämpfern der verschiedenen Konfliktparteien oder Angaben
über Minenunfälle herangezogen, die zum Teil aber nur eine ungefähre Eingrenzung der betroffenen Flächen und somit nur eine ungenaue Einschätzung der Situation zulassen.
Seit Ende der 80er Jahre und vor allem seit Mitte der 90er Jahre sind die ursprünglich aus der
militärischen Räumung stammenden Minenräumtechniken zunehmend an die Anforderungen
Humanitärer Minenräumung angepasst und entsprechend weiterentwickelt worden (BLAGDEN
2005, S. 40).
Um eine möglichst effektive, aber auch kostengünstige und für die Minenräumer sichere
Räumung zu erreichen, werden im Rahmen der Humanitären Minenräumung unterschiedli65
che, sich ergänzende technologische Ansätze kombiniert: Manuelle Räumung, Minensuchhunde (Mine Detection Dogs, MMDs oder Explosive Detection Dogs, EDDs) sowie maschinelle
Räumung. In Fachkreisen werden diese Techniken unter dem Begriff des sog. demining toolkit
zusammengefasst (GICHD 2004a, S. 67).
Die bis heute in der manuellen Räumung noch am weitesten verbreitete Methode zum Auffinden von Minen ist die schon seit dem Zweiten Weltkrieg übliche Anwendung von Magnetoder Metalldetektoren (GICHD 2004a, S. 70). Zur Überprüfung eines vom Detektor signalisierten Fundes verwendet der Minenräumer eine meist 30 cm lange sog. Minensuchnadel (prodder), die er in einem bestimmten Winkel in den Boden steckt, um über den gefühlten Widerstand die Mine auszumachen. Bei Bestätigung eines Fundes wird die Mine vorsichtig freigelegt
und je nach Typ und Zustand entschärft und für eine spätere Zerstörung entfernt oder aber an
66
Ort und Stelle gesprengt. Die Arbeit mit der Minensuchnadel birgt viele Risiken für den Minenräumer, da er sich zum einen in unmittelbarer Nähe des Explosivkörpers befindet, dessen
61
Eine kurze Übersicht zu Grundsätzen militärischer Räumung bzw. eine schematische Darstellung findet sich in der
Informationsbroschüre „Humanitäres Minen Räumen – soziale und politische Aspekte, Verfahren und Technologien“
des Auswärtigen Amtes, die anlässlich eines Projektes im Rahmen der EXPO 2000 in Hannover erstellt wurde (AA o.J.,
o.S.).
62
Näheres zur historischen Entwicklung der manuellen Räumung vgl. GICHD 2005b, Kapitel 3 „A history of manual
mine clearance“, S.15-26.
63
Vgl. hierzu auch Kapitel 6.2 dieser Arbeit.
64
Zur Dokumentation von Minenfeldern in konventionellen Kriegen, wie z.B. dem Zweiten Weltkrieg, vgl. CROLL 1998,
S. 39 ff. und S. 133ff.
65
Die diesen Anforderungen entsprechenden verschiedenen technischen Ansätze werden zum einen der sog. close-indetection (beinhaltet Techniken für die exakte Lokalisierung einer verlegten Mine) und zum anderen der sog. standoff-detection’ (Techniken zur Fernanalyse) zugeordnet (BLAGDEN 2005, S. 41 und S. 51).
66
Auf eine detaillierte Beschreibung der verschiedenen Sprengmöglichkeiten wird an dieser Stelle verzichtet, da hier
nur ein Einblick in die Grundprinzipien der Räumung geboten werden soll. Näheres hierzu vgl. BLAGDEN 2005, Kapitel
2 „Landmine detection and destruction technologies“, S. 39-67.
20
3 Landminen: Der historische und technische Hintergrund
67
Zustand oft nicht einschätzbar ist bzw. der im Falle einer Ausstattung mit einem sog. Anti68
handling Device (z.B. die chinesische T72B-Personenmine ) auf kleinste Bewegungen reagiert.
Zum anderen besteht auch die Gefahr, mit der Minennadel den Zünder zu treffen (BLAGDEN
2005, S. 41ff.).
Mit fortschreitender Minentechnologie wurden sog. Plastikminen entwickelt, die bewusst nur
einen sehr geringen Metallanteil aufweisen, um das Auffinden mittels Metalldetektoren zu
erschweren. Damit dieser Minentyp aufgefunden und eine sichere Suche gewährleistet werden kann, muss die Sensibilität der Detektoren so hoch eingestellt sein, dass sie schon auf
kleinste Metallmengen reagieren, was wiederum viele Fehlalarme zur Folge hat. So signalisieren hochsensibel eingestellte Metalldetektoren einen Fund nicht nur bei Minen, sondern auch
bei anderen kleinen Metallteilen wie Metallsplitter, Getränkedosen oder Patronenhülsen und
auch bei Erdböden mit metallischen Bestandteilen (wie z.B. Lateritböden mit hohem Anteil an
Aluminium- und Eisenoxiden). In jedem Fall muss mit der gleichen Vorsicht und dem gleichen Arbeitsaufwand vorgegangen werden. Die manuelle Minensuche mit Metalldetektoren
ist folglich ein zeit- und arbeitsaufwendiger und damit auch kostenintensiver Prozess.
69
Neben weiteren Detektortechnologien, die sich zum Teil noch in der Entwicklung befinden,
70
werden im zunehmenden Maße Minensuchhunde (sog. Mine Detection Dogs, MDDs oder
Explosive Detection Dogs, EDDs) eingesetzt, um die Lokalisierung von Minen zu vereinfachen
und zu beschleunigen. Mit ihrem stark ausgeprägten Geruchssinn können Hunde bereits
kleinste Mengen verschiedener Sprengstoffe orten. Sie werden darauf trainiert in einem bestimmten Muster ein Minenfeld abzusuchen und das Vorhandensein von Sprengstoff anzuzeigen, damit der Minenräumer anschließend mit Hilfe des Metalldetektors und der Minensuchnadel die genaue Position der Mine feststellen kann. Zurzeit wird in den verschiedensten An71
sätzen versucht, außer Hunde auch andere Tiere für die Minensuche zu trainieren. Z.B. wird
in dem belgisch/tansanischen APOPO-Projekt eine afrikanische Beutelrattenart zum Aufspüren von Sprengstoffen eingesetzt. Ihr Vorteil gegenüber Hunden liegt in der schnelleren und
kostengünstigeren Nachzucht und Ausbildung (weniger als 10 Prozent der Ausbildungskosten
eines Minenhundes) sowie der potenziell breiteren Einsetzbarkeit, unter anderem aufgrund
der größeren Unempfindlichkeit gegenüber den klimatischen Rahmenbedingungen (BLAGDEN
72
2005, S. 49). Nach Aussage von Bart WEETJENS, Gründer und Kodirektor des APOPO-Projektes,
geht es bei der Entwicklung alternativer Räumtechnologien nicht darum, herkömmliche Methoden zu ersetzen, sondern darum, ein breiteres Auswahlspektrum zu schaffen, was eine bessere Anpassung der Räumung an lokale Bedingungen ermöglicht (GUZMÁN 2005, o.S.).
73
So bietet das Remote explosive scent tracing, die sog. REST-Methode, eine effektive Möglichkeit zur Eingrenzung vermuteter minenverseuchter Gebiete, was als Area Reduction bezeichnet wird. Hier werden Luftproben über einer potenziell minenkontaminierten Fläche genommen und an einem geruchsneutralen, zentralen Ort den MDDs oder auch Ratten vorgesetzt.
Diese filtern über den Geruchssinn diejenigen Proben heraus, in denen sich Sprengstoffrückstände befinden. Die entsprechenden Areale werden anschließend vor Ort mit verschiedenen
Methoden überprüft. Durch diese Verfahrensweise wird die Anzahl der genauer zu untersuchenden Flächen reduziert, womit Räumkapazitäten für andere Gebiete freigesetzt werden.
67
Korrosion kann die Funktionsfähigkeit und die Empfindlichkeit der Minen beeinflussen und demnach auch die Risiken bei der Räumung erhöhen (MÜLLER 2004, o.S.).
Zur Problematik dieses Minentyps siehe auch MCGRATH 2000b, S. 13f.
69
Auf eine weitere detaillierte Darstellung anderer, sich zum Teil noch in der Entwicklung befindlicher Detektorentechnologien, wie z.B. Infrarot- oder Radardetektoren (Ground Penetrating Radar, GPR), die versuchen, die Fundmeldung auf Minen zu reduzieren, wird an dieser Stelle verzichtet, da die Darstellung der Grundprinzipen der Minensuche für eine Erläuterung der Landminenproblematik im Rahmen dieser Arbeit ausreichend ist. Ein Übersicht über
verschiedene Metalldetektoren bzw. neuere Entwicklungen bietet der vom GICHD herausgegebene „Metal Detectors
and PPE Catalogue 2005“ (GICHD 2005d) oder BLAGDEN 2005, S. 39-68.
70
Vgl. auch GICHD 2003c und FIEBIG 2002.
71
Einen Einblick in die mögliche Nutzung von Bienen und Schweinen in der Minensuche bietet BROMENSHENK 2003,
o.S. und der Bericht „Pigs: A Demining Tool of the Future?“ über erste Versuche der Minenlokalisierung mit Schweinen
in Israel (TOWNSEND 2003, o.S.).
72
Seit kurzem werden Ratten nach Bestehen des Zulassungstests für Minensuchtiere der UN in Räumprojekten auch in
Mozambique eingesetzt (GUZMÁN 2005, o.S.).
73
Einen detaillierten Überblick über REST und die Anforderungen an die eingesetzten Tiere bietet GICHD 2003c,
Kapitel 1 „General learning principles for training REST dogs“, S. 11-22 und Kapitel 2 „The REST concept“, S. 53-198.
68
21
3 Landminen: Der historische und technische Hintergrund
Die REST-Methode wird z.B. auf Straßen oder Eisenbahnlinien erfolgreich eingesetzt, während
74
der Einsatz im offenen Feld noch getestet wird (BLAGDEN 2005, S. 49).
Auch im dritten Bereich des demining toolkit der Minenräumung – der maschinellen Minenräumung – sind seit Anfang der 90er Jahre eine Vielzahl technischer Innovationen hervorgebracht worden. Anfänglich wurden in der militärischen maschinellen Räumung umgebaute
Kettenfahrzeuge bzw. Panzer genutzt. Die heute verwendeten Maschinen sind in der Regel
gepanzerte Fahrzeuge oder land- bzw. forstwirtschaftliche Nutzmaschinen, die auf unterschiedliche Weise für einen Einsatz in der Humanitären Minenräumung modifiziert werden.
Sie können z.B. über rotierende Vorrichtungen, die vorne am Fahrzeug montiert sind, durch
sog. Dreschflegel oder flail (vgl. Abbildung 6) Minen direkt an Ort und Stelle zur Detonation
bringen oder mittels sog. Ackerfräsen oder tiller die obersten Erdschichten durchpflügen oder
aber die Minen zur kontrollierten Sprengung herausfiltern. Beispiele hierfür sind das Rhino75
76
77
System von Rheinmetall (vgl. Abbildung 7) sowie der Minewolf und der MgM-Rotar , deren
Funktionsweisen in den Abbildungen 31, 32 und 33 im Anhang erkennbar sind.
Abb. 6: Diana 44T ( Hontstav)
Abb. 7: Rhino-System ( Rheinmetall Landsysteme GmbH)
74
Auch der Einsatz von Pflanzen kann eine Vereinfachung der Minensuche ermöglichen, wie Versuche mit einem auch
als purple weed bezeichneten gentechnisch verändertem Gras gezeigt haben. Dieses verändert durch die Aufnahme
von TNT-Molekülen, die von einer Mine abgegeben werden, die Farbe und lässt über eine visuelle Erkennung eine
genaue Lokalisierung der Mine aus Entfernung zu (vgl. MgM 2002, o.S.).
75
Detaillierte Angaben zu Rhino Earth Tiller vgl. US DOD o.J., S. 38 ff.
76
Bei dem Minewolf handelt es sich um ein variables System, das je nach Geländeanforderungen mit verschiedenen
Vorbauten ausgestattet werden kann. Vgl. Abbildung 32 im Anhang sowie auch http://www.minewolf.de/. Für eine
Beurteilung der Effektivität des Minewolfs bzgl. bestimmter Fahrzeugminen vgl. auch WAGNER 2004.
77
Der seit seiner Entwicklung 1999 fortwährend verbesserte MgM-Rotar filtert mittels einer Siebtrommel Minen aus
der Erde und wird heute in vielen Ländern zur Minenräumung eingesetzt. Vgl. hierzu auch MGM 2003.
22
3 Landminen: Der historische und technische Hintergrund
78
Unabhängig von der unterschiedlichen technischen Funktionsweise wird mit dem Einsatz
von Maschinen das Ziel einer effektiveren, schnelleren und sichereren Räumung großflächi79
ger bzw. spezieller Gebiete verfolgt.
80
Trotz zunehmender Erfolge ist die maschinelle Räumung in weiten Bereichen jedoch nur
begrenzt einsatzfähig, wie anhand der folgenden Aspekte deutlich wird. Die zu räumenden
Minenfelder sind wegen der unterschiedlichen Nutzung der Landminen in Konflikten in den
meisten Fällen weit über das betroffene Land verteilt.
Durch die Größe und das durch die Panzerung hervorgerufene Gewicht (der RHINO Earth
Tiller wiegt mit Vorbau 56 Tonnen) ist in vielen Ländern die Nutzung der Räummaschinen
aufgrund zerstörter bzw. nicht vorhandener Straßen oder Brücken stark eingeschränkt. Der
hohe Energiebedarf (der RHINO Earth Tiller benötigt 60-100 Liter Diesel pro Stunde) ebenso
wie die erforderliche ständige Verfügbarkeit von Ersatzteilen für die großen sowie auch die
kleineren Maschinen – trotz Panzerung werden die Maschinen häufig durch die Detonation
von Fahrzeugminen beschädigt – ermöglicht häufig nur einen Einsatz in infrastrukturell gut
angebundenen Regionen eines Landes und erfordert ein ausreichendes verfügbares Budget
(US DoD o.J., S. 39; BLAGDEN 2005, S. 59).
Neben diesen Faktoren, die sich auf die Rahmenbedingungen im jeweiligen Land beziehen,
sprechen oft auch eine Reihe technischer Gründe gegen eine maschinelle Minenräumung. So
kann z.B. die Bodenbeschaffenheit des Minenfeldes die Wirkung der Maschinen – Minen zu
zerstören oder zu entfernen – stark beeinflussen. Einerseits werden bei sehr weichem Untergrund Minen tiefer in den Boden gedrückt, während andererseits sehr harte Böden den ausgeübten Druck abfangen können, wodurch in beiden Fällen die Minen weiterhin aktiv bleiben.
Bei Systemen, welche die Minen aus der Erde herausfiltern, besteht zusätzlich das Risiko, dass
diese nicht zerstört, sondern durch die Vorrichtung in andere, zuvor nicht verminte Gebiete
81
verteilt werden. Darüber hinaus kann die maschinelle Räumung in Arealen, in denen nur
eine dünne Humusschicht vorhanden ist, diese vollständig zerstören, was eine landwirtschaftliche Folgenutzung der Fläche ausschließt (BLAGDEN 2005, S. 60).
Ein Bereich, in dem sich der Einsatz von Maschinen bisher schon rentiert hat, liegt in der
Vorbereitung verminter Gebiete für die manuelle Räumung oder die Suche mit MDDs. Mit an
hydraulischen Armen befestigten Vegetationsschneidern (vgl. z.B. MgM-Mulcher in Abbildung
34 oder Diana 44 T in Abbildung 35 im Anhang) wird die Vegetation aus einer sicheren Distanz
heraus entfernt, wodurch ein effektiver Einsatz von Detektoren und Hunden ermöglicht wird.
Ein weiterer Vorteil dieser Methode ist die Minimierung des Risikos, das von Minen mit Stolperdrähten oder Zugzündern ausgeht, die in einer dichten Vegetation versteckt sind (MgM
2003, o.S.; GICHD 2002a, S. 107; GICHD 2004c, S. 5).
Die bisher nur begrenzte Verwendung maschineller Räumtechniken in der Humanitären
Minenräumung ist nicht zuletzt auf die hohen Herstellungs- und Betriebskosten der Maschi82
nen zurückzuführen, die in vielen Ländern den aktiven Organisationen – vor allem NichtRegierungs-Organisationen (Non-governmental Organisations, NGOs) – einen Einsatz solcher
Maschinen nicht ermöglicht. In manchen Bereichen wird versucht, über eine Modifizierung
örtlich verfügbarer Fahrzeuge und Materialien eine angepasste Technologie zu entwickeln,
um so die Vorteile der maschinellen Räumung nutzen zu können (BLAGDEN 2005, S. 61f.).
Es wird zunehmend daran gearbeitet, die maschinellen Räumtechniken hinsichtlich ihrer
Schwächen und Nachteile zu verbessern, um eine effektivere Minenräumung zu erreichen.
Trotz hoher Investitionen haben diese Bemühungen bisher nur einen sehr limitierten Output
78
Für eine detaillierte Beschreibung einzelner Maschinentypen und Fallbeispiele aus dem Feldeinsatz vgl. GICHD
2004c.
Bei der Räumung einer Müllgrube sind manuelle Räumung und der Einsatz von MDDs mit zu hohen Risiken verbunden: Metalldetektoren sind wegen des Metallschrottanteils und MDDs aufgrund vorhandener Glassplitter nicht
einsetzbar. Da Landminen in dieser Umgebung jede Lage einnehmen können, birgt auch die Suche mit der Minennadel zu große Gefahren (vgl. MgM 2003, o.S.).
80
In Kuwait wurden 1992 große Flächen sandigen Untergrundes mit einem gepanzerten Bagger, der mit einer Art
Rechen ausgestattet war, erfolgreich geräumt (BLAGDEN 2005, S. 58).
81
Näheres hierzu vgl. den GICHD Report: „Throwing out mines: Effects of a flail“ (GICHD 2005f).
82
Spezielle Räummaschinen können über 250.000 US $ kosten, wie aus der GICHD-Studie: „A Study of Mechanical
Application in Demining“ hervorgeht (GICHD 2004c, S. 3).
79
23
3 Landminen: Der historische und technische Hintergrund
erbracht. In vielen Ländern wird vielmehr nach wie vor mit den ‚klassischen’ Räummethoden
– der manuellen Räumung und dem Einsatz von MDDs – gearbeitet, da diese bekannt und als
die sichersten Methoden anerkannt sind (BLAGDEN 2005, S. 62; GICHD 2004c, S. 4; GICHD
2002a, S. 34).
Wie anhand der Erläuterungen deutlich wurde, kann nur eine der Beschaffenheit des Gebietes
und der vorhandenen Landminenkontaminierung angemessene, Such- und Räumtechnik eine
83
effektive und sichere Minenräumung garantieren.
Gerade die Art der Kontaminierung stellt in Ländern, in denen Flächenbombardements mit
Streubomben stattgefunden haben, eine große Herausforderung für die Minenräumung dar.
Da es die Zielsetzung der Humanitären Minenräumung ist, alle Kampfmittelrückstände in
einem Areal zu entfernen, fallen darunter auch UXO, was zusätzliche Risiken für die Räumung
84
darstellen kann (GICHD 2004a, S. 74f.).
83
Näheres zur Komplexität der Auswahl einer den Rahmenbedingungen entsprechenden Räumtechnik vgl. GICHD
2004c, S. 99-100.
84
Die Ortung, Räumung, sowie die Lagerung bzw. Zerstörung von UXO wird in Fachkreisen als Explosive Ordnance
Disposal (EOD) bezeichnet (GICHD 2004a, S. 64).
24
4 Das weltweite Ausmaß der Landminen- und UXO-Kontaminierung
4
Das weltweite Ausmaß
der Landminen- und UXO-Kontaminierung
Das weltweite Ausmaß der Landminen- und UXO-Kontaminierung ist nur schwer einschätzbar. Es werden z.B. auch heute noch – nach über 60 Jahren – in Deutschland und Europa immer wieder Munitionsrückstände und Bombenblindgänger, aber auch Landminen aus dem
Zweiten Weltkrieg gefunden. Das große Ausmaß der Landminen- und UXO-Kontaminierung
85
in Ägypten beispielsweise ist ebenfalls zum größten Teil auf diesen Krieg zurückzuführen.
Seitdem haben weltweit unzählige Konflikte stattgefunden, in denen insbesondere seit Mitte
der 70er Jahre (Vietnam-Krieg) verstärkt Landminen eingesetzt wurden. Die großen Mengen
der verbliebenen Munitionsrückstände und Landminen bilden das Erbe all dieser Auseinandersetzungen.
Um das globale Ausmaß zu verdeutlichen und diesem Konturen zu geben, wurde immer wieder versucht, die Anzahl der weltweit verlegten Landminen einzuschätzen. Anfang der 90er
Jahre wurden beispielsweise seitens der Vereinten Nationen, der Internationalen Kampagne
für ein Verbot von Landminen (ICBL) und des Internationalen Komitees des Roten Kreuzes
(ICRC) Zahlen von bis zu 110 Millionen verlegten Minen weltweit genannt. Mit diesen Angaben wurde argumentiert, um bei der globalen Öffentlichkeit ein Bewusstsein für die Landminenproblematik zu schaffen und die internationale Staatengemeinschaft zur Verabschiedung
eines Verbotsabkommens für Landminen zu drängen. Jedoch wurden diese Einschätzungen
86
vor allem seitens vieler Minenräumer bald als weit überhöht kritisiert. Diese befürchteten,
dass durch solche Angaben ihre Arbeit gefährdet sei, weil sich dann auf diese Weise das Problem als praktisch unlösbar darstellt (es würde 1.000 Jahre dauern, alle Minen zu räumen) und
87
folglich Geldgeber von der Finanzierung abgeschreckt werden könnten (FLYNN 1999, S. 86).
In dem Bericht „Hidden Killers“ des US State Departments von 1998 wurden Fallstudien über
16 stark betroffene Länder durchgeführt und die Anzahl der verlegten Landminen in den jeweiligen Ländern revidiert. Auf dieser Grundlage wurde die Abweichung von den UN-Angaben
in Prozent umgerechnet und auf das globale Ausmaß übertragen, mit dem Ergebnis einer
niedrigeren Einschätzung von ca. 60-70 Millionen weltweit verlegten Landminen (ICBL 1999,
S. 13).
Solcherlei Angaben beruhen weiterhin nur auf Schätzungen – es ist unmöglich, exakte Zahlen
der sich im Boden befindenden Minen zu ermitteln. Hinsichtlich der Auswirkungen der Landminen- und UXO-Kontaminierung und auch für die Humanitäre Minenräumung ist die genaue
Anzahl der verlegten Minen jedoch unerheblich. Ausschlaggebend ist vielmehr, wie viele
Menschen in ihrem alltäglichen Leben der Landminengefahr ausgesetzt sind. Allein der Verdacht, ein bestimmtes Gebiet sei vermint, reicht aus, um es unbrauchbar zu machen. In Mozambique hatte z.B. eine gesamte Bewohnerschaft (10.000 Menschen) ihr Dorf aufgegeben
und verlassen, weil angenommen worden war, das gesamte Dorfterrain sei minenverseucht.
Als 1996 das Areal von einer Minenräumorganisation geräumt wurde, wurden jedoch insgesamt nur 4 Landminen gefunden. Diese 4 Minen hatten ausgereicht, eine Bevölkerung von
10.000 Menschen aus ihrem Dorf zu vertreiben (ICBL 1999, S. 13).
Aufgrund der meist vorherrschenden mangelhaften Datenlage insbesondere in Entwicklungsländern und in Ländern, die jahrelang Schauplatz von Konflikten waren, ist es schwierig zu
ermitteln, wie viele Menschen in verminten Gebieten leben. Um das genaue Ausmaß der Kontaminierung, deren Auswirkungen und die Anzahl der betroffenen Bevölkerung erfassen zu
können, müssen in den jeweiligen Ländern Erhebungen bzw. Studien durchgeführt werden
(vgl. Kapitel 8.1). Dies ist bisher jedoch noch nicht in allen Ländern in ausreichender Form
geschehen.
85
Z.B. Ägypten vgl. ICRC 1996, S. 26f. und KADRY 2003.
Zur Diskussion hinsichtlich der überhöhten Zahlen vgl. CROLL 1998, S. 131f.; FLYNN 1999; ICBL 1999, S. 12-14; MARESCA 2005, S. 125.
87
Diese Befürchtungen haben sich nach Angaben von Lou MARESCA vom GICHD jedoch nicht bewahrheitet. Demnach
blieb die Finanzierung von Minenräumprogrammen und damit verbundenen Aktivitäten weiterhin solide (MARESCA
2005, S. 125).
86
25
4 Das weltweite Ausmaß der Landminen- und UXO-Kontaminierung
Abb. 8: Globale Landminen- / UXO-Kontaminierung
(Eigene Darstellung, nach ICBL 2005b, S. 29)
Tab. 1: Globale Landminen- / UXO-Kontaminierung
Afrika
Sub-Sahara
Angola
Burundi
Tschad
Rep. Kongo
Dem. Rep. Kongo
Eritrea
Äthiopien
Guinea-Bissau
Liberia
Malawi
Mauretanien
Mozambique
Namibia
Niger
Ruanda
Senegal
Sierra Leone
Somalia
Sudan
Swaziland
Uganda
Zambia
Zimbabwe
Somaliland
Mittel- und
Süd-Amerika
Chile
Kolumbien
Kuba
Ecuador
Guatemala
Nicaragua
Peru
Surinam
Venezuela
Asien/Pazifik
Afghanistan
Bangladesh
Burma (Myanmar)
Kambodscha
China
Indien
Korea, Nord
Korea, Süd
Laos
Nepal
Pakistan
Philippinen
Sri Lanka
Thailand
Vietnam
Taiwan
Kursiv: Gebiete, die international nicht als unabhängige
Staaten anerkannt werden.
Quelle: ICBL 2005b, S. 29.
26
Europa/
Zentralasien
Albanien
Armenien
Aserbaidschan
Belarus
Bosnien & Herzegowina
Kroatien
Zypern
Dänemark
Frankreich (Djibuti)
Ehem. jugosl. Rep. Mazedonien
Georgien
Griechenland
Kirgisien
Moldawien
Polen
Russland
Serbien & Montenegro
Tadschikistan
Türkei
Ukraine
United Kingdom
(Falklands)
Usbekistan
Abchasien (Georgien)
Tschetschenien
Kosovo
Nagorno-Karabach
(Aserbaidschan)
Mittlerer Osten/
Nordafrika
Algerien
Ägypten
Iran
Irak
Israel
Jordan
Kuwait
Libanon
Libyen
Marokko
Oman
Syrien
Tunesien
Jemen
Palästina
Western Sahara
4 Das weltweite Ausmaß der Landminen- und UXO-Kontaminierung
88
Nach Angaben des „Landmine Monitor Reports 2005“ sind derzeit 84 Länder und 8 Gebiete,
die international nicht als unabhängige Staaten anerkannt werden, von Landminen- und/oder
UXO-Kontaminierung betroffen (vgl. Abbildung 8 und Tabelle 1). Es wird davon ausgegangen,
dass weltweit über 200.000 km² der Landoberfläche mit Landminen oder UXO verseucht sind
(ICBL 2005b, S. 4 und 27).
Die Zahl der Unfälle gibt weiteren Aufschluss über das Ausmaß der globalen Landminenproblematik. Im Jahr 1999 gab es Schätzungen der ICBL zufolge etwa 26.000 Opfer in Folge
von Landminen-/UXO-Unfällen. Diese Zahl ist in den letzten Jahren etwas zurückgegangen,
so dass heute von 15.000 bis 20.000 neuen Opfern pro Jahr ausgegangen wird, deren Hauptanteil Zivilisten sind. Eine Untersuchung über 13 mit Minen/UXO kontaminierten Ländern z.B.
ergab, dass von den seit 2000 erfassten Minenunfällen 96 Prozent der Opfer Zivilisten, 24 Prozent Kinder unter 15 Jahren und 12 Prozent Frauen waren (ICBL 2005b, S. 46).
Die Anzahl der jährlichen Minenunfälle bedeutet gleichzeitig – trotz rückläufigem Trend – ein
kontinuierliches Ansteigen der Anzahl an Überlebenden von Minenunfällen. Die Betroffenen
benötigen jahrelang – oft während ihres ganzen Lebens – besondere Unterstützung (unter
anderem medizinische Betreuung, Hilfe bei der wirtschaftlichen Reintegration). Aus diesem
Grund ist die Anzahl der Überlebenden von Minenunfällen ein deutlicherer Indikator für
das globale Landminenproblem als die Zahl der jährlich neuen Unfallopfer. Dem Landmine
Monitor zufolge waren im Jahr 2005 mehr als 247.750 Überlebende von Minenunfällen in
97 Ländern registriert. Dabei ist mit einer großen Anzahl von Fällen zu rechnen, die niemals
89
registriert wurden. Die ICBL hält daher Schätzungen von zwischen 300.000 und 400.000
Überlebenden weltweit für realistisch (ICBL 2005b, S. 49).
88
Der ‚Landmine Monitor Report’ wird seit 1999 jährlich von der Internationalen Kampagne für das Verbot von Landminen (ICBL) herausgegeben und berichtet unter anderem über die aktuelle Situation der Landminen- und UXOProblematik weltweit und in den einzelnen Ländern.
89
In vielen Ländern geschehen solche Unfälle, bei denen Zivilpersonen verletzt oder getötet werden, in abgelegenen
Gebieten, die von jeglicher medizinischer Versorgung und auch Kommunikation abgeschnitten sind. In einigen Ländern werden Minenunfälle auch aus militärischen oder politischen Gründen nicht gemeldet. Daher ist von hohen
Dunkelziffern auszugehen (ICBL 2005b, S. 46).
27
5 Internationale Abkommen zum Einsatz von Landminen
5
Internationale Abkommen
zum Einsatz von Landminen
Regelungen zur Mäßigung von Kampfhandlungen in Form von gewohnheitsrechtlichen
Normen, die den Krieg „menschlicher“ machen sollen, haben eine lange Tradition. Es gibt
viele, weit zurückreichende Beispiele in verschiedenen Zivilisationen und Kulturen dafür, dass
der Einsatz „barbarischer“ Waffen und Angriffsmethoden verboten war, dass Kriegsgefangene
nicht getötet, sondern gut behandelt werden sollten, und dass in Kriegssituationen Frauen,
Kindern und alten Menschen kein Leid zugefügt werden sollte. Solcherlei Praktiken basierten
oft auf Religion, Moralvorstellungen oder Ehrenkodex und gelten als Vorläufer des Kriegsrech90
tes und entsprechender Abkommen zwischen Staaten (MARESCA/MASLEN 2000, S. 7). In der
modernen internationalen Gesetzgebung gibt es 2 unterschiedliche Zweige, die sich mit den
Mitteln der Kriegsführung beschäftigen: Das Humanitäre Völkerrecht einerseits und Abrüstungsgesetze andererseits.
Abrüstungsgesetze haben zum Gegenstand, ein militärisches Gleichgewicht durch Begrenzung
oder Abschaffung bestimmter Arten von Waffen zu schaffen oder zu erhalten (GICHD 2004a,
S. 30). Das internationale Humanitäre Völkerrecht hingegen zielt auf die Begrenzung des
durch bewaffnete Konflikte verursachten Leidens ab und enthält Bestimmungen zum Schutz
der Zivilbevölkerung sowie von Kriegsgefangenen und Verwundeten. Grundlage ist dabei,
dass die Überwältigung der gegnerischen Streitkräfte als einzig zulässiges Ziel eines Krieges
anzusehen ist. Daraus folgt, dass zu jedem Zeitpunkt und in jeder Situation ein Unterschied
zwischen den kämpfenden Streitkräften eines Gegners und dessen Zivilbevölkerung gemacht
werden muss (MARESCA/MASLEN 2000, S. 8).
Ein Schwerpunkt des Humanitären Völkerrechts liegt in der Beschränkung der Kriegsmetho91
den und –mittel. Dabei erkennt das Humanitäre Völkerrecht es als legitimes Ziel der Kriegsführung an, feindliche Soldaten zu verwunden bzw. auch zu töten, jedoch lehnt es den Einsatz
von Waffen ab, die zusätzliches Leiden ohne militärischen Gewinn verursachen. Dies ist eins
der Hauptprinzipien, an dem die Zulässigkeit von Waffen und Mitteln der Kriegsführung ge92
messen wird (GICHD 2004a, S. 30).
Diese beiden Grundsätze – Unterscheidung zwischen Streitkräften und Zivilbevölkerung sowie
Verbot des Einsatzes von Waffen, die überflüssige Verletzungen oder unnötiges Leid verursachen – sind hergeleitet aus gewohnheitsrechtlichen Regeln, daher also für alle Parteien in bewaffneten Kriegs- oder Konfliktsituationen bindend. Dies beinhaltet im eigentlichen Sinne
schon Implikationen für den Einsatz von Landminen und wirkt sich daher auf die minenspezifischen Abkommen aus (siehe Kapitel 5.1.1 und 5.1.2 sowie Kapitel 5.2).
Der größte Teil der Regelungen im Rahmen des internationalen Humanitären Völkerrechts
bezieht sich auf Situationen internationaler, also zwischenstaatlicher – mit Staaten als Rechtssubjekte des Völkerrechts – bewaffneter Konflikte. Es existieren jedoch auch einige Regelun93
gen, die interne bewaffnete Konflikte, wie z.B. Bürgerkriege, betreffen (AA März 2005a, o.S.).
Zu den wichtigsten Bausteinen des internationalen Humanitären Völkerrechts gehören die
94
Genfer Konventionen. Die Genfer Konvention vom 12. August 1949 mit den beiden Zusatzprotokollen aus dem Jahr 1977 – auch als ‚Kriegsrecht’ bekannt – legt neben der Einschränkung in
90
Zum Völkerrecht gehört auch ungeschriebenes Gewohnheitsrecht, das die Praktiken von Staaten umfasst, welche sie
in der Annahme ausführen, dass sie dazu verpflichtet sind. Während Verträge nur für die Staaten gelten, die sich diesen formell verpflichtet haben, ist das Gewohnheitsrecht für alle Staaten verbindlich, es sei denn sie haben die betreffende Praxis konsequent zurückgewiesen (Maresca u. Maslen 2000, S. 9).
91
Für eine Übersicht über das Humanitäre Völkerrecht mit Angaben über Rechtsquellen, Geltungsbereich, Institutionen und neueren Entwicklungen vgl. AA 2005a, o.S.
92
Näheres zum Grundsatz des Humanitären Völkerrechts in Kapitel 5.2.2 dieser Arbeit.
93
Dazu gehören die Ottawa-Konvention, das Zusatzprotokoll zur Genfer Konvention von 1949 über den Schutz der
Opfer nicht internationaler bewaffneter Konflikte (Protokoll II) und – seitdem im Jahr 2001 der Artikel 1 geändert
wurde – auch die Konvention über bestimmte konventionelle Waffen (CCW).
94
Die erste Genfer Konvention von 1864 über den Schutz von Kranken und Verwundeten in Kriegszeiten wurde angeregt von Henri DUNANT, dem Begründer des Roten Kreuzes (MARESCA/MASLEN 2000, S. 8). Das Rote Kreuz hat seitdem
beim Entwurf und bei der Durchsetzung der Genfer Konventionen immer eine zentrale Rolle gespielt.
28
5 Internationale Abkommen zum Einsatz von Landminen
95
der Wahl der Methoden und Mittel der Kriegführung fest, dass Kriegsgefangene, Verwundete
und Kranke der bewaffneten Kräfte und vor allem auch die Zivilbevölkerung in Kriegszeiten
einem besonderen Schutz unterliegen.
Der Zweite Weltkrieg hatte gezeigt, dass aufgrund der großen Fortschritte in der Waffentechnologie die Auswirkungen von Waffen auf die Zivilbevölkerung stetig zunahmen. Das Internationale Komitee des Roten Kreuzes (ICRC) drängte – verstärkt ab 1955 – auf eine Einführung
von stärkeren und wirksameren Regelungen zum Schutz der Zivilbevölkerung vor den Gefahren, die durch den Einsatz von Waffen, deren Folgen unvorhersehbar und unkontrollierbar
sind, entstehen. In diesem Zuge äußerte diese Organisation auch erstmals Bedenken hinsichtlich des Einsatzes von Landminen (Fahrzeug- und Personenminen), insbesondere da für die
Minenräumung während und nach dem Zweiten Weltkrieg Kriegsgefangene eingesetzt worden waren (GICHD 2004a, S. 31f. und S. 36f.).
5.1
Konvention über bestimmte konventionelle Waffen (CCW)
Bemühungen um ein ausdrückliches Verbot bzw. um Einschränkungen des Einsatzes von be96
stimmten konventionellen Waffen waren jedoch erstmals erfolgreich, als am 10. Oktober
1980 das „Übereinkommen über das Verbot oder die Beschränkung des Einsatzes bestimmter
konventioneller Waffen, die übermäßige Leiden verursachen oder unterschiedslos wirken können“ angenommen wurde. Dieses Abkommen wird auch kurz als ‚Konvention über bestimmte
konventionelle Waffen’ bzw. CCW (Convention on Certain Conventional Weapons) bezeich97
net. Als Instrument des Humanitären Völkerrechts regelt die Konvention in ihrer 1980 verabschiedeten Form den Einsatz von Waffen nur in Situationen eines internationalen bewaffneten
Konflikts, also im Falle eines Konfliktes zwischen Staaten (GICHD 2004a, S. 56). Im Dezember
2001 wurde jedoch die Änderung des diesbezüglichen Artikels 1 angenommen, welche besagt,
dass das Abkommen und seine Protokolle auch auf nicht-internationale bewaffnete Konflikte
anzuwenden sind (AA 2005e, o.S.). Dadurch werden also auch Situationen, in denen Völker
gegen koloniale Dominierung, Fremdbesatzung oder rassistische Regime in Ausübung ihres
Rechtes auf Selbstbestimmung kämpfen, in die Regelungen eingeschlossen (GICHD 2004a,
98
S. 56). Diese Ausweitung des Geltungsbereichs ist als ein positiver Fortschritt im Bereich des
Humanitären Völkerrechts zu bewerten.
Ursprünglich (in der Fassung von 1980) waren der CCW 3 Protokolle angehängt: „Protokoll
99
über nicht entdeckbare Splitter“ (Protokoll I); „Protokoll über das Verbot oder die Beschränkung des Einsatzes von Minen, Sprengfallen und anderen Vorrichtungen“ (Protokoll II) und
„Protokoll über das Verbot oder die Beschränkung des Einsatzes von Brandwaffen“ (Protokoll
III). Hinzu kamen am 13. Oktober 1995 das „Protokoll über blindmachende Laserwaffen“
(Protokoll IV) und am 28. Nov. 2003 das „Protokoll über explosive Kampfmittelrückstände“
(Protokoll V). In dieser Arbeit werden nur die für die Landminen-Thematik relevanten Protokolle näher betrachtet, also das auch ‚Landminen-Protokoll’ genannte Protokoll II in der ursprünglichen Fassung von 1980 und in der 1996 geänderten Fassung, sowie Protokoll V, welches die in Kapitel 3.3.3 vorgestellten ERW betrifft.
95
Vgl. Zusatzprotokoll zur Genfer Konvention über den Schutz der Opfer internationaler bewaffneter Konflikte (Protokoll I) vom 8. Juni 1977, Teil III, Abschnitt I: Methoden und Mittel der Kriegführung, Artikel 35.
Unter konventionellen Waffen werden im Allgemeinen Waffen verstanden, die nicht biologische, chemische oder
nukleare Waffen sind (Maresca 2005, S. 105).
97
Das Auswärtige Amt nutzt die Bezeichnung „VN-Waffenübereinkommen“.
98
Ausgenommen sind jedoch „Situationen innerer Unruhen und Spannungen wie Tumulte, vereinzelt und sporadisch
auftretende Gewalttaten und sonstige Handlungen ähnlicher Art, die nicht als bewaffnete Konflikte gelten“ (Schlussdokument der Zweiten Überprüfungskonferenz zur CCW in Genf am 21. Dezember 2001, Teil II Schlusserklärung,
(S. 11-12); Artikel 1, Absatz 2).
99
Protokoll I beinhaltet das Verbot des Einsatzes von Waffen, deren Hauptwirkung darin besteht, durch Splitter zu
verletzen, die im menschlichen Körper durch Röntgenstrahlen nicht entdeckt werden können.
96
29
5 Internationale Abkommen zum Einsatz von Landminen
5.1.1
CCW Protokoll II in der Fassung von 1980
100
Protokoll II der CCW regelt den Einsatz von Minen, Sprengfallen und anderen Vorrichtungen
in Situationen internationaler bewaffneter Konflikte und umfasst damit die ersten internationalen Bestimmungen, die sich spezifisch auf Landminen beziehen und die die Minimierung
ihrer Auswirkungen auf die Zivilbevölkerung anstreben (MARESCA 2005, S. 106). Das
Protokoll besagt, dass Minen, Sprengfallen und andere Vorrichtungen unter keinen Umstän101
den gegen Zivilpersonen oder zivile Einrichtungen oder unterschiedslos eingesetzt werden
dürfen (Artikel 3 Absatz 2 und 3, 1980 CCW Protokoll II). Die Unterzeichner werden dazu verpflichtet,
„alle praktisch möglichen Vorsichtsmaßnahmen zu treffen, um Zivilpersonen vor den
Wirkungen der Waffen zu schützen“
(Artikel 3 Absatz 4, 1980 CCW Protokoll II).
Protokoll II verbietet weiterhin den Gebrauch von manuell verlegten Minen in Städten,
Dörfern oder in Bereichen, in denen Zivilpersonen ähnlich konzentriert sind. Jedoch gibt
es diesbezüglich Ausnahmen, z.B. in dem Fall, dass Kampfhandlungen zwischen Landstreitkräften stattfinden oder unmittelbar bevorzustehen scheinen, dass sie in unmittelbarer Nähe
von militärischen Zielen der gegnerischen Partei verlegt werden, oder unter den Umständen,
dass Maßnahmen zum Schutz von Zivilpersonen vor ihren Auswirkungen getroffen werden
(Artikel 4, 1980 CCW Protokoll II). Der Einsatz fernverlegter Minen ist nur dann gestattet,
wenn sie innerhalb eines Gebietes, das selbst ein militärisches Ziel darstellt oder militärische
Ziele enthält, angewendet werden. In diesem Fall muss entweder der Standort genau dokumentiert werden, oder aber die Minen müssen mit einem „wirksamen Neutralisierungsmechanismus“ ausgestattet sein (Artikel 5 Absatz 1, 1980 CCW Protokoll II). Des Weiteren muss vor
der Ausbringung fernverlegter Minen, die die Zivilbevölkerung gefährden können, eine wirksame Warnung erfolgen. Diese Bestimmung wird jedoch wiederum eingeschränkt durch den
Zusatz „es sei denn, die gegebenen Umstände erlaubten dies nicht“ (Artikel 5 Absatz 2, 1980 CCW
Protokoll II).
5.1.2
CCW Zusatzprotokoll II von 1996
Ende der 80er Jahre stellte sich heraus, dass die Bestimmungen zum Einsatz von Landminen
nach Protokoll II der CCW von 1980 nicht weit genug reichten. Dies ist zum einen darauf zurückzuführen, dass die Anzahl der Staaten, die das Abkommen unterzeichnet hatten, relativ
niedrig war, und zum anderen darauf, dass die Konvention in ihrer ursprünglichen Fassung
interne Konflikte nicht abdeckte, in denen der unterschiedslose Gebrauch von Landminen,
insbesondere von Personenminen, weit verbreitet war (GICHD 2004a, S. 33). Die Anzahl der
durch Personenminen verursachten Todesfälle stieg in dieser Zeit trotz Protokoll II der CCW
102
rapide an (GICHD 2004a, S. 36).
Die dramatischen Auswirkungen von Landminen auf die betroffene lokale Bevölkerung während und nach Konflikten führte Anfang der 90er Jahre dazu, dass sich verschiedene Menschenrechts- und Hilfsorganisationen (NGOs) zusammenschlossen, um eine Kampagne für ein
weltweites Verbot dieser Waffen ins Leben zu rufen. Dieser sog. International Campaign to
Ban Landmines (ICBL) gelang es, die Öffentlichkeit für die Landminenproblematik und deren
100
Definition und Erläuterungen zu Sprengfallen (booby-trap) vgl. Kap. 3.3. „Andere Vorrichtungen“ werden definiert
als „handverlegte Kampfmittel und Vorrichtungen, die dazu bestimmt sind, zu töten, zu verletzen oder Sachschaden
zu verursachen, und die durch Fernbedienung oder nach einer bestimmten Zeitspanne selbsttätig ausgelöst werden“
(Artikel 2, Absatz 3, 1980 CCW Protokoll II).
101
„Als unterschiedsloser Einsatz gilt jede Anbringung dieser Waffen, a) die nicht an einem militärischen Ziel erfolgt oder
nicht gegen ein solches Ziel gerichtet ist, b) bei der Einsatzmethoden oder -mittel verwendet werden, die nicht gegen ein
bestimmtes militärischen Ziel gerichtet werden können, oder c) bei der damit zu rechnen ist, dass sie auch Verluste an
Menschenleben unter der Zivilbevölkerung, die Verwundung von Zivilpersonen, die Beschädigung ziviler Objekte oder
mehrere derartige Folgen zusammen verursacht, die in keinem Verhältnis zum erwarteten konkreten und unmittelbaren
militärischen Vorteil stehen“ (Artikel 3, Absatz 3, 1980 CCW-Protokoll II).
102
Es gab zu diesem Zeitpunkt fast gar keine bzw. nur sehr unzuverlässige Statistiken über die Zahlen der Opfer durch
Minenunfälle. Die Behauptung eines rapiden Anstiegs von Unfällen beruht auf den Einschätzungen des ICRC auf
Grundlage von Beobachtungen, die bzgl. Bedarf und Lieferung z.B. von Prothesen oder auch über die Erfahrungen aus
den vom ICRC unterhaltenen Krankenhäusern in den von Landminen betroffenen Gebieten gemacht wurden (vgl.
ICBL 1999, S. 19).
30
5 Internationale Abkommen zum Einsatz von Landminen
Dringlichkeit zu sensibilisieren und zu mobilisieren. Der daraufhin zunehmende öffentliche
Druck, insbesondere auch seitens des ICRC und der französischen Sektion von Handicap
International, veranlasste die französische Regierung, ein offizielles Gesuch für eine erste
CCW-Überprüfungskonferenz einzureichen, welche schließlich von September bis Oktober
1995 in Wien statt fand (GICHD 2004a, S. 33). Während dieser ersten Sitzung scheiterten jedoch die Verhandlungen bzgl. des Protokolls II, da keine Einigung über Zusätze zu diesem
‚Landminenprotokoll’ erzielt werden konnte. Es wurden 2 weitere Sitzungen zu diesem Thema
in Genf einberufen, so dass am 3. Mai 1996 schließlich die neue Fassung des CCW-Protokolls
II, die auch als Zusatzprotokoll II (Amended Protocol II) bezeichnet wird, nach allseitiger Zustimmung verabschiedet werden konnte (GICHD 2004a, S. 58).
Das Zusatzprotokoll II stärkt viele der Regelungen der ursprünglichen Fassung, enthält aber
auch neue, weitergehende und umfassendere Bestimmungen hinsichtlich des Einsatzes von
103
Landminen. So wurde der Geltungsbereich ausdrücklich auch auf Situationen interner bewaffneter Konflikte ausgeweitet (GICHD 2004a, S. 56; Artikel 1 Absatz 2, 1996 CCWZusatzprotokoll II). In das Protokoll neu aufgenommen wurde beispielsweise das Verbot von
Minen, die so konstruiert sind, dass sie allein durch die Gegenwart von Minendetektoren zur
Detonation gebracht werden (Artikel 3 Absatz 5, 1996 CCW Zusatzprotokoll II), weil solcherlei
Minen gezielt gegen Minenräumpersonal gerichtet sind. Außerdem sind folgende Verpflichtungen der Unterzeichnerstaaten bzw. Konfliktparteien hinzugekommen:
• Entfernen der eingesetzten Minen, Sprengfallen und anderen Vorrichtungen nach Ende
der aktiven Kampfhandlungen
(Artikel 3 Absatz 2 und Artikel 10, CCW-Zusatzprotokoll II);
• Vorausschicken von wirksamen Warnungen vor der Verlegung solcher Waffen,
die die Zivilbevölkerung gefährden können
(Artikel 3 Absatz 11, CCW-Zusatzprotokoll II);
• Führen genauer Aufzeichnungen über die Standorte der verlegten Minen
(Artikel 9, CCW-Zusatzprotokoll II);
• Ergreifen von Maßnahmen zum Schutz von friedenserhaltenden oder anderen UNMissionen, humanitären Missionen und Missionen des ICRC
(Artikel 12, CCW-Zusatzprotokoll II).
Als weiterer Fortschritt gegenüber dem 1980er Protokoll II ist die Einschränkung bzw. das
Verbot der Weitergabe, nach dem Minen nicht mehr an Staaten geliefert werden dürfen, die
das Protokoll nicht ratifiziert haben, sowie nicht an Empfänger, die keinem Staat unterstehen
(Artikel 8, 1996 CCW-Zusatzprotokoll II).
Im Gegensatz zur ursprünglichen Fassung des Protokolls II, in der nicht zwischen Personenund Fahrzeugminen unterschieden wurde, enthält das 1996er Zusatzprotokoll II spezifische
Bestimmungen bzw. Beschränkungen bezüglich des Einsatzes von Personenminen:
Für alle Personenminen wird ein Mindestmetallanteil von 8 Gramm vorgeschrieben, so dass
sie mit den üblichen Minendetektoren aufgespürt werden können (Artikel 4, 1996 CCW Zusatzprotokoll II und Nr. 2 Technischer Anhang). Handverlegte Personenminen dürfen nur eingesetzt werden, wenn sie mit einem Selbstzerstörungs- und Selbstdeaktivierungsmechanismus
ausgerüstet sind, es sei denn, sie werden in markierten Feldern, die von militärischem Personal überwacht werden, verlegt oder durch Einzäunung oder andere Mittel abgesichert, um die
Zivilbevölkerung zu schützen. Fernverlegte Personenminen müssen ausnahmslos mit einem
Selbstzerstörungs- und Selbstdeaktivierungsmechanismus versehen sein, wobei die Versagerquote des Selbstzerstörungsmechanismus höchstens 10 von 100, die des Selbstdeaktivierungsmechanismus nach 120 Tagen höchstens 1 von 1000 betragen darf (Artikel 5 und 6, 1996
CCW Zusatzprotokoll II und Nr. 3 Technischer Anhang).
103
Die hier folgenden Beispiele decken nur die wichtigsten Punkte, jedoch nicht sämtliche Neuerungen des Zusatzprotokolls II gegenüber der ursprünglichen Fassung ab.
31
5 Internationale Abkommen zum Einsatz von Landminen
Personenmine wird im Zusatzprotokoll II definiert als
„eine Mine, die in erster Linie dazu bestimmt ist, durch die Gegenwart, Nähe oder
Berührung einer Person zur Explosion gebracht zu werden, und die eine oder mehrere Personen kampfunfähig macht, verletzt oder tötet“
(Artikel 2 Absatz 3, 1996 CCW Zusatzprotokoll II).
Diese Definition wurde aufgrund der Formulierung „in erster Linie“ (im englischen Original
primarily) heftig diskutiert, da durch diesen Zusatz in der Bestimmung dieses Minentyps keine
Eindeutigkeit mehr gewährleistet war und somit eine Schlupfmöglichkeit für die Vermeidung
der zusätzlichen Einschränkungen bzgl. dieser Minen geschaffen wurde. Auf diese Weise werden beispielsweise Fahrzeugminen, die auch von Personen ausgelöst werden können, oder
Fahrzeugminen, die mit Aufhebesperren ausgerüstet sind, nicht als Personenminen betrachtet
(GICHD 2004a, S. 34 und 58).
Das CCW Zusatzprotokoll II trat am 3. Dezember 1998 in Kraft. Bis zum 22. Juli 2005 hatten 85
Vertragsstaaten das 1980er Protokoll II und 85 Staaten das Zusatzprotokoll II von 1996 ratifi104
ziert (AA 2005e, o.S.).
5.1.3
CCW Protokoll über explosive Kampfmittelrückstände
(Protokoll V)
Explosive Kampfmittelrückstände bzw. ERW, welche genau wie Landminen vor allem die Zivilbevölkerung unmittelbar und in heimtückischer Weise gefährden und ein Hemmnis für
Anstrengungen des Wiederaufbaus darstellen, waren von den Regelungen der CCW bis dato
nicht erfasst worden. Erst am 28 Nov. 2003 nahmen die Vertragsparteien der CCW nach mehrjährigen Vorarbeiten und Verhandlungen das Protokoll über explosive Kampfmittelrückstände
(Protokoll V) an,
„in der Erkenntnis, dass explosive Kampfmittelrückstände nach Konflikten
schwerwiegende humanitäre Probleme verursachen“
(Präambel, CCW Protokoll V).
Dieses Protokoll muss erst von 20 Staaten ratifiziert werden, bevor es in Kraft treten kann. Es
enthält rechtlich verbindliche Regelungen bezüglich der Kennzeichnung gefährdeter Gebiete
und der Räumung, Beseitigung oder Zerstörung von ERW nach Ende eines Konflikts (Artikel 3,
CCW Protokoll V). Weiterhin werden die Vertragsparteien verpflichtet unter anderem:
• zur Aufzeichnung, Aufbewahrung und Weitergabe von Informationen
(Artikel 4, CCW Protokoll V),
• zur Ergreifung aller durchführbarer Vorkehrungen zum Schutz der Zivilbevölkerung
vor den Gefahren und Auswirkungen explosiver Kampfmittelrückstände
105
(Artikel 5, CCW Protokoll V),
• zur Zusammenarbeit und Hilfe in der Aufklärung der betroffenen lokalen Bevölkerung
über die von ERW ausgehenden Gefahren sowie in den Bemühungen zur Rehabilitation
und wirtschaftlichen Wiedereingliederung der Opfer
(Artikel 8 CCW Protokoll V).
Dieses Protokoll ist als eine bedeutende Entwicklung des humanitären Völkerrechts zu werten, da es der erste Vertrag ist, der die Problematik der Auswirkungen von UXO und ERW nach
Konfliktende aufgreift. Jedoch hat dieses Abkommen einige Schwächen, von denen die wichtigste darin besteht, dass sich die Regelungen in erster Linie auf zukünftige Konflikte, aber
nicht auf bereits bestehende ERW-Probleme beziehen. In dieser Frage werden die Vertrags-
104
Es handelt sich dabei nicht um die gleichen Staaten: Nicht alle Staaten, die 1980 CCW Protokoll II ratifiziert haben,
haben auch das 1996 CCW Zusatzprotokoll II unterschrieben und umgekehrt.
105
Zu solchen Vorkehrungen werden Warnungen, Aufklärung der Zivilbevölkerung über Risiken, Kennzeichnung,
Absperrung und Überwachung der Gebiete, die von explosiven Kampfmittelrückständen betroffen sind, gezählt (Artikel 5, CCW Protokoll V).
32
5 Internationale Abkommen zum Einsatz von Landminen
parteien lediglich durch Artikel 7 zur Zusammenarbeit bei der Beseitigung von Kampfmittelaltlasten aufgerufen (Artikel 7 CCW Protokoll V; MARESCA 2005, S. 109; AA 2005e, o.S.).
Schon während der Verhandlungen zu diesem Protokoll sprachen sich einige Vertragsparteien
außerdem für die Aufnahme der Forderung nach Erhöhung der Verlässlichkeit von Munition
und Submunition (Funktionssicherheit von 99%) aus (GICHD 2004a, S. 60; AA 2005e, o.S.).
Diese Forderung würde sich vor allem auf den Einsatz von Streubomben auswirken, deren
106
Submunition eine folgenreich hohe Versagerquote aufweist und entsprechende Auswirkun107
gen auf die betroffene Zivilbevölkerung hat. Jedoch konnte in diesem Punkt auch in den
Verhandlungen, die bis heute diesbezüglich stattgefunden haben, bisher noch keine Einigung
zwischen den Vertragsparteien erzielt werden. Zudem ist dieses Protokoll noch nicht in Kraft
getreten, da es auch nach über 2 Jahren seit seiner Aufnahme in die CCW noch nicht von den
erforderlichen 20 Staaten ratifiziert worden ist.
5.2
Die internationale Ächtung von Personenminen
Trotz eines gewissen Fortschrittes, der gegenüber dem 1980er CCW-Minen-Protokoll erreicht
worden ist, wurde das Zusatzprotokoll II von vielen Seiten kritisiert. Der damalige Präsident
des ICRC Cornelio SOMMARUGA bezeichnete das Ergebnis des Zusatzprotokolls als „bedauernswert unzureichend“, da es seiner Meinung nach kaum zu einer signifikanten Reduktion der
Opferzahlen unter der Zivilbevölkerung beitragen könne (GICHD 2004a, S. 34). Eine 1996 veröffentlichte, vom ICRC beauftragte Studie über die militärische Wirksamkeit von Personenminen kam zu dem Ergebnis, dass in realen Konflikten die humanitären Folgen den begrenzten
militärischen Nutzen des Einsatzes von Personenminen bei weitem überwiegen (ICRC 1996,
S. 73), was von einer Gruppe von Militärexperten einstimmig bestätigt wurde, die für diese
Studie zu Rate gezogen worden war (ICRC 1996, S. 5f. und 71). Zusätzlich gestärkt durch dieses Ergebnis forderte das ICRC die Regierungen und die gesamte internationale Gemeinschaft
dazu auf, möglichst umgehend ein umfassendes Verbot und die Beseitigung von Personenminen zu beschließen.
108
Auch die ICBL und verschiedene UN-Organe traten für ein wirksames Verbot ein. Es ist vor
allem auf die Kampagnen- und Aufklärungsaktivitäten der ICBL und des ICRC zurückzuführen, dass die globale Öffentlichkeit ein Bewusstsein hinsichtlich des Ausmaßes der weltweiten
Landminenproblematik entwickelte und die Forderung nach einem umfassenden Verbot zum
Teil sehr engagiert unterstützte. Dieser Erfolg und insbesondere auch die Lobbyarbeit der
verschiedenen UN-Organe ließen den Handlungsdruck auf die internationale Staatengemeinschaft, dieses Problem effektiv anzugehen, soweit zunehmen, dass sich letztendlich der sog.
Ottawa-Prozess in Gang setzte.
5.2.1
Der Ottawa-Prozess
Bereits auf der Schlussversammlung der ‚Ersten CCW-Überprüfungskonferenz’ im Mai 1996
sprachen sich mehr als 40 Staaten für ein umfassendes Personenminenverbot aus. Kanada
ergriff die Initiative und kündigte bei diesem Anlass an, noch im selben Jahr ein Treffen dieser
Staaten zu organisieren, um gemeinsam eine Strategie für ein vollständiges und weltweites
Verbot dieser Waffe zu entwickeln. Dieses Treffen, die „International Strategy Conference:
Towards a Global Ban on Anti-Personnel Mines“ – auch als erste Ottawa-Konferenz bezeichnet, fand vom 3. bis 5. Oktober 1996 in Ottawa statt. Am Ende dieses Treffens lud der damalige
kanadische Außenminister Lloyd AXWORTHY zu einer erneuten Zusammenkunft in Ottawa
zwecks Unterzeichnung eines entsprechenden Abkommens noch vor Ende 1997 ein. Dieser
schnelle Verhandlungsverlauf wurde als ‚der Ottawa-Prozess’ bekannt (MASLEN/HERBY 1998,
o.S.; GICHD 2004a, S. 34).
106
Nicht explodierte Streumunition wirkt, wie Landminen, unterschiedslos und wird durch das Opfer aktiviert, daher
verstößt dieser Munitionstyp auch gegen die Ottawa-Konvention (HAAKE/KÜCHENMEISTER 2003, S. 2).
107
Vgl. Kapitel 3.3.3 dieser Arbeit sowie auch MCGRATH 2000. Darin zum Problem der Blindgängerquoten siehe Kapitel
3 und zu den Auswirkungen siehe Kapitel 4.
108
United Nations Children’s Fund (UNICEF), United Nations Development Programme (UNDP), Office of the United
Nations High Commissioner for Refugees (UNHCR) und United Nations Mine Action Service (UNMAS).
33
5 Internationale Abkommen zum Einsatz von Landminen
Bereits wenige Wochen später stellte die österreichische Regierung einen ersten Entwurf für
ein Abkommen zur Ächtung von Personenminen vor. Im Dezember 1996 nahm die UNGeneralversammlung eine Resolution an, durch die die Staaten dazu aufgefordert wurden,
sich für eine globale, rechtlich verbindliche Übereinkunft bezüglich des Verbots von Personenminen einzusetzen und die Verhandlungen dazu schnellstmöglich abzuschließen. Im Laufe
des Jahres 1997 fanden verschiedene Konferenzen und Treffen zu diesem Thema statt. Ein
wichtiger Erfolg wurde auf der Brüssel-Konferenz im Juni 1997 erzielt, indem die Frage des
Verbots von Personenminen ausdrücklich zu einer humanitären Frage erklärt wurde, nachdem sie bis dahin ‚nur’ als ‚Abrüstungsfrage’ gehandelt worden war (GÜNTHER 1997, S. 280).
Im September 1997 fand in Oslo schließlich die „Diplomatische Konferenz zum internationalen
Verbot von Personenminen“ statt, an deren Ende sich 89 Staaten auf eine Konvention einigten.
Während dieser Konferenz gab es noch zähe Verhandlungen bzgl. verschiedener Punkte, über
109
die bis dahin keine Einigkeit hatte erzielt werden können. Vor allem die Forderungen der
USA, Ausnahmen für das Verbot aufzunehmen und beispielsweise den Einsatz von Personenminen zum Schutz der amerikanischen Truppen, die im UN-Auftrag die Grenze zwischen
Nord- und Südkorea sichern, zu erlauben, waren Gegenstand der Osloer Verhandlungen. Die
Amerikaner forderten außerdem das Recht, im Falle eines Angriffs seitens eines NichtVertragsstaates aus der Konvention austreten zu können, sowie die Genehmigung, Personenminen weiterhin zum Schutz von Fahrzeugminen einzusetzen. Da die anderen Vertragspartner
jedoch solcherlei Zugeständnisse als inakzeptabel erachteten und ablehnten, verließen die
USA in letzter Minute den Verhandlungstisch und haben bis heute die Ottawa-Konvention
nicht unterzeichnet (GÜNTHER 1997, S. 280f.; G.L. (ohne Namen) 1997, S. 282; MASLEN/HERBY
1998, o.S.).
Das ICRC nahm während des gesamten Ottawa-Prozesses an sämtlichen Treffen in beobachtender und beratender Expertenfunktion teil und betonte in diesem Rahmen die entscheidende Bedeutung der Aufnahme einer eindeutigen Definition von Personenmine (MASLEN/HERBY
1998, o.S.).
Der Ottawa-Prozess zeichnet sich durch die intensive partnerschaftliche Zusammenarbeit von
NGOs, insbesondere von ICBL, ICRC, verschiedenen UN-Organen und einer Vielzahl von Staaten aus, die sich für ein gemeinsam gesetztes und klar definiertes Ziel engagierten: Sobald wie
möglich (innerhalb eines Jahres) eine rechtlich verbindliche internationale Übereinkunft für
einen Personenminenbann zu erreichen. Es ging den Verhandlungspartnern weniger um den
diplomatischen Vorgang, eine Konvention auszuhandeln, wie es beim traditionellen diplomatischen Modell zur Lösung internationaler Probleme in multilateralem Kontext in der Regel der
Fall ist. Vielmehr bemühten sich die Beteiligten, schnellstmöglich eine Konvention zu entwerfen, um ein baldiges und effektives Ergebnis zu erreichen (BRINKERT 2004, S. 7). So gelang es
dann auch, dass innerhalb kürzester Zeit außerhalb der üblichen UN-Gremien ein völkerrechtlicher Vertrag entworfen und unterzeichnet werden konnte und wenig später in Kraft
trat. Dies ist im Rahmen internationaler Abkommen ein einzigartiges Beispiel, welches hinsichtlich der Rolle, die die Initiative der Zivilgesellschaft in diesem Prozess gespielt hat, Vor110
bildfunktion für andere Verträge haben sollte. Zustande gekommen ist auf diese Weise eine
Konvention, die sich auch in ihren inhaltlichen Bestimmungen und Verpflichtungen von den
‚traditionellen’ humanitären Verträgen absetzt.
5.2.2
Das Abkommen zur Ächtung von Personenminen:
Die Ottawa-Konvention
Das Vertragswerk zum „Übereinkommen über das Verbot des Einsatzes, der Lagerung, der
Herstellung und der Weitergabe von Antipersonenminen und über deren Vernichtung“ (OttawaKonvention) lag am 3. und 4. Dezember 1997 in Ottawa, und ab dem 5. Dezember bis zu
seinem Inkrafttreten beim Sitz der UN in New York zur Unterzeichnung aus. Die Konvention
trat – 6 Monate nachdem der 40. Staat (Burkina Faso) seine Ratifizierungsurkunde hinterlegt
hatte – am 1. März 1999 in Kraft. Bis zum 1. Oktober 2005 hatten 154 Staaten, also über drei
Viertel der Länder der Welt, die Ottawa-Konvention unterzeichnet. Zu den 40 Staaten, die dem
109
110
Einzelheiten über die verschiedenen Streitfragen dieser Konferenz vgl. G.L. (ohne Namen) 1997, S. 282.
Z.B. bei den Bemühungen um internationale Regelungen bzgl. der Kleinwaffenproblematik.
34
5 Internationale Abkommen zum Einsatz von Landminen
Abkommen nicht angehören, zählen einige der wichtigsten Militärmächte, z.B. China, Indien,
111
Pakistan, Iran, Irak, die Russische Föderation und die USA (ICBL 2005b, S. 71f.).
Die Ottawa-Konvention ist eine Mischform aus Abkommen des internationalen Humanitären
Völkerrechts und Abrüstungsabkommen. Es beinhaltet ein Waffenverbot mit konkreten Abrüstungsbestimmungen, die Zielsetzung ist aber rein humanitärer Art (GICHD 2004a, S. 41;
BAD HONNEFER KONZEPT 1999, S. 2). Dies wird bereits im ersten Absatz der Präambel deutlich:
„[...] entschlossen, das Leiden und Sterben zu beenden, das durch Antipersonenminen
verursacht wird, die jede Woche Hunderte von Menschen […] töten oder verstümmeln, die wirtschaftliche Entwicklung und den Wiederaufbau behindern, die Rückführung von Flüchtlingen und die Rückkehr von Binnenvertriebenen erschweren und
noch Jahre nach ihrer Verlegung weitere schwerwiegende Folgen nach sich ziehen“
(Präambel zur OTTAWA-KONVENTION).
Zusätzlich bezieht sich die Präambel in Absatz 11 eindeutig auf den Grundsatz des Humanitä112
ren Völkerrechts , dessen Ziel durch die Bestimmungen der Konvention unterstützt werden
soll. Es geht in dem Abkommen also um viel mehr als ‚nur’ um Abrüstung, auch wenn die
Ottawa-Konvention häufig kurz als Personenminenverbot oder ‚Mine Ban Treaty’ bezeichnet
wird. Im Gegensatz zu ‚traditionellen’ Abrüstungsgesetzen, in denen der Gedanke der Sicherheit der Staaten durch Abrüstung und Herstellung eines militärischen Gleichgewichts im Mittelpunkt steht, befindet sich in der Ottawa-Konvention der Mensch bzw. die Sicherheit der
Menschen im Zentrum der Aufmerksamkeit. Dadurch wird das Abkommen zu einem humanitären Instrument, dessen Erfolg den in der Präambel genannten Kernpunkten entsprechend
gemessen wird:
• In welchem Ausmaß werden die durch Personenminen verursachten sozioökonomischen
Auswirkungen durch Humanitäre Minenräumung und andere damit verbundene Aktivitäten bekämpft?
• Welcher Fortschritt wird hinsichtlich des Wohlergehens der Überlebenden von Minenunfällen gemacht?
• In welchem Ausmaß werden zukünftige humanitäre Tragödien durch die Vernichtung von
Personenminenlagerbeständen und den Fortschritt in Richtung einer universellen Akzeptanz der Konvention verhindert?
Das in der Präambel verankerte humanitäre Kernziel wird durch die Artikel des Abkommens
ergänzt. Diese dienen als Handlungsrahmen und beinhalten die Bestimmungen und Verpflichtungen, die notwendig sind, um das Ziel der Konvention zu erreichen (BRINKERT 2004, S. 10f.).
5.2.2.1
Die Bestimmungen der Ottawa-Konvention
Die Vertragsbestimmungen des Abkommens gelten für alle Situationen, also sowohl zu Frie113
denszeiten wie auch in Kriegs- bzw. Konfliktsituationen. Alle 22 Artikel sind für die Vertragsstaaten verbindlich, d.h. Vorbehalte zu einzelnen Artikeln sind nicht zulässig (Artikel 19).
Durch das Abkommen werden 2 Zielrichtungen verfolgt:
Zum einen geht es darum, zukünftige Landminenprobleme zu vermeiden, indem Einsatz,
Entwicklung, Herstellung und Handel dieser Waffe unterbunden und die Vernichtung von Lagerbeständen und bereits geräumten Minen gefordert wird.
111
Eine ständig aktualisierte Liste der Staaten, die dem Ottawa-Abkommen nicht angehören, ist auf der Webseite der
ICBL abrufbar (www.icbl.org/treaty/snp).
112
Grundsatz des Humanitären Völkerrechts ist, dass „die an einem bewaffneten Konflikt beteiligten Parteien kein unbeschränktes Recht in der Wahl der Methoden und Mittel der Kriegsführung haben“; dass „es verboten ist, in bewaffneten
Konflikten Waffen, Geschosse und Materialien sowie Methoden der Kriegsführung zu verwenden, die geeignet sind,
überflüssige Verletzungen oder unnötige Leiden zu verursachen“ und dass „zwischen Zivilpersonen und Kombattanten
unterschieden werden muß“ (Absatz 11 Präambel der Ottawa-Konvention).
113
Durch die Formulierung „unter keinen Umständen jemals“ (Artikel1 Absatz 1 Ottawa-Konvention) werden alle Situationen von bewaffneten Konflikten, d.h. internationale und interne Auseinandersetzungen, aber auch interne Unruhen
und Störungen umfasst. Auch zu Friedenszeiten ist jeglicher Einsatz von Personenminen, z.B. zum Schutz von Staatsgrenzen oder wichtigen militärischen Einrichtungen, untersagt. Diese Regelung betrifft die von den USA geforderte,
jedoch von den Unterzeichnerstaaten abgelehnte Ausnahmeregelung, die US-amerikanischen Truppen an der Grenze
zwischen Nord- und Südkorea durch Personenminen zu schützen.
35
5 Internationale Abkommen zum Einsatz von Landminen
Zum anderen zielt die Ottawa-Konvention darauf ab, bestehende Landminenprobleme zu lösen, und zwar durch Verpflichtung zur Räumung der Minen in den betroffenen Gebieten, zu
Maßnahmen im Bereich Mine Risk Education (Programme zur Aufklärung über die Gefahren
von Minen) und zur Unterstützung der Überlebenden von Minenunfällen (Victim Assistance).
Im Folgenden werden die wichtigsten Bestimmungen und Verpflichtungen der Ottawa114
Konvention entsprechend der 2 genannten Zielrichtungen vorgestellt. Es geht also einerseits
um Abrüstungsbestimmungen und andererseits um die vorgegebenen Verpflichtungen, umfassende Maßnahmen zur Bekämpfung der Auswirkungen der bereits verlegten Personenminen
115
zu ergreifen. Letztere betreffen und regeln einen großen Teil der Mine-Action-Aktivitäten,
welche das zentrale Thema der vorliegenden Arbeit darstellen.
Um Probleme, die durch den Einsatz von Personenminen verursacht werden, für die Zukunft
zu vermeiden, beinhaltet das Abkommen vergleichsweise umfassende Bestimmungen. Im
CCW-Landminenprotokoll werden z.B. nur der Einsatz und die Weitergabe bestimmter Minentypen verboten bzw. eingeschränkt. Die Ottawa-Konvention dagegen verbietet darüber hinaus
auch jegliche (Weiter-)Entwicklung und Produktion und verpflichtet zur Vernichtung aller
Personenminen, was sowohl Lagerbestände, geräumte Minen sowie auch die verlegten Minen
116
betrifft. Auf diese Weise soll jegliche Möglichkeit, diese Waffen zu einem späteren Zeitpunkt
wieder einsetzen zu können, unterbunden werden.
Die in diesem Sinne bestehenden allgemeinen Verpflichtungen (Artikel 1) legen fest, dass die
Vertragsstaaten „unter keinen Umständen jemals“ weder Personenminen einsetzen, produzieren, entwickeln, lagern oder weitergeben, noch irgend jemanden bezüglich solcher Handlungen unterstützen, ermutigen oder veranlassen dürfen. Außerdem muss jeder Vertragsstaat alle
Personenminen nach den Vorgaben des Abkommens vernichten oder deren Vernichtung
sicherstellen (Artikel 1 OTTAWA-KONVENTION).
Die Vernichtung von Lagerbeständen wird in Artikel 4 geregelt und muss innerhalb von 4
Jahren nach Inkrafttreten des Abkommens für den betreffenden Staat abgeschlossen werden.
Diesbezüglich gibt es eine Ausnahmeregelung nach Artikel 3, welcher besagt, dass zu Zwecken der Forschung und Ausbildung im Rahmen der Entwicklung von Minenräumverfahren
und -techniken oder Verfahren zur Minenvernichtung eine „absolut erforderliche Mindestanzahl von Minen“ (Artikel 3) zurückbehalten werden darf. Auch die Weitergabe von Personenminen zum Zwecke ihrer Vernichtung ist – gemäß Artikel 3 – zulässig.
Im Rahmen der genannten zweiten Zielrichtung sieht das Ottawa-Abkommen umfassende
Regelungen zur Räumung der verminten Gebiete, zur Aufklärung der Bevölkerung über die
von Landminen ausgehenden Gefahren (Mine Risk Education), sowie zur Unterstützung, Rehabilitation und wirtschaftlichen Wiedereingliederung der Opfer von Minenunfällen (Victim
Assistance) vor. Dabei verpflichten sich die Vertragsstaaten zur gegenseitigen Unterstützung.
Die die Räumung betreffenden Bestimmungen sind in Artikel 5 „Vernichtung von Antiperso117
nenminen in verminten Gebieten“ geregelt und umfassen folgende Punkte:
114
Weitergehende Analysen und Beiträge zur Ottawa-Konvention siehe z.B. BRINKERT 2003 und 2004, MASLEN/HERBY
1998, BARLOW 2004, ICRC 1998, GICHD 2004a, Kapitel 4.
115
Das Ottawa-Abkommen und die praktische Mine-Action-Arbeit haben sich in diesem Sinne gegenseitig beeinflusst
und gestärkt.
116
Für eine inhaltliche Gegenüberstellung bzw. einen Vergleich des CCW-Protokolls II mit der Ottawa-Konvention vgl.
GICHD o.J., o.S.
117
Im Wortlaut des Ottawa-Abkommens beziehen sich die Bestimmungen zur Räumung ausschließlich auf Personenminen. Jedoch bestehen durch CCW Zusatzprotokoll II (Artikel 3, Absatz 2 und Artikel 10) und Protokoll V über explosive Kampfmittelrückstände (Artikel 3) ebenfalls Verpflichtungen, nach Beendigung der aktiven Kampfhandlungen für
die Beseitigung aller ausgebrachten Minen bzw. eingesetzten explosiven Kampfmittel, die zu explosiven Kampfmittelrückständen geworden sind, Sorge zu tragen. Im Rahmen der Humanitären Minenräumung, die in der Regel erst nach
Beendigung eines bewaffneten Konfliktes ansetzt, werden alle aufgefundenen Waffenrückstände gleichermaßen beseitigt, so dass die einzelnen Bestimmungen der Ottawa-Konvention zur Minenräumung eigentlich alle diese Waffen
betreffen.
36
5 Internationale Abkommen zum Einsatz von Landminen
• Verpflichtung der Vertragsstaaten zur Räumung und Vernichtung aller Personenminen in
verminten Gebieten unter deren Hoheitsgewalt oder Kontrolle innerhalb von 10 Jahren ab
118
Inkrafttreten des Abkommens für den betreffenden Staat;
• Verpflichtung zur Identifizierung, Markierung, Überwachung, Einzäunung oder Sicherung
durch andere Mittel der verminten Gebiete zum Schutz der Zivilbevölkerung bis zur Vernichtung aller dort befindlichen Personenminen;
• Möglichkeiten und Bedingungen für eine Fristenverlängerung.
Viele von Landminen betroffene Länder sind aufgrund mangelnder Ressourcen und Kapazitä119
ten nicht dazu in der Lage, ohne externe Hilfe alle auf ihrem Territorium befindlichen
Minen zu beseitigen und die weiteren zur Reduzierung der Auswirkungen von Landminen
notwendigen Maßnahmen zu treffen. Daher sieht das Abkommen in Artikel 6 folgende Verpflichtungen zur internationalen Zusammenarbeit und Hilfe vor:
• Recht eines jeden Vertragsstaates von anderen Vertragsstaaten bei der Erfüllung seiner
Verpflichtungen aus diesem Übereinkommen Hilfe zu erbitten und zu erhalten;
• Verpflichtung zu größtmöglichem Austausch bzw. Bereitstellung von Ausrüstung und Material sowie von wissenschaftlichen und technologischen Informationen;
• Verpflichtung eines jeden Vertragsstaates, der dazu in der Lage ist, zur Leistung von Hilfe
bei
–
Fürsorge und Rehabilitation, sozialer und wirtschaftlicher Wiedereingliederung von
Minenopfern (Victim Assistance),
–
Programmen zur Aufklärung über die Gefahren von Minen (Mine Risk Education),
–
Minenräumung und damit zusammenhängenden Tätigkeiten,
–
Vernichtung von Personenminenlagerbeständen (Stockpile Destruction);
• Verpflichtung zur Weitergabe von Informationen an die im System der Vereinten Nationen
eingerichtete Datenbank über Minenräumung;
• Möglichkeit bei der Ausarbeitung eines nationalen Minenräumprogramms um Unterstützung zu bitten.
Im Ottawa-Abkommen wird erstmals im Rahmen von internationalen humanitären Verträgen
der Berücksichtigung der besonderen Bedürfnisse, welche die Opfer von Minenunfällen haben, ausdrücklich Bedeutung beigemessen. Minenopfer sind insbesondere in Entwicklungsländern mit einer schwierigen Zukunft konfrontiert. Die medizinische Versorgung solcher
Verletzungen ist häufig kompliziert, langwierig und kostspielig und überfordert meist die lokalen medizinischen Einrichtungen, wenn überhaupt welche vorhanden sind. Abgesehen von
den physischen und psychischen Traumata bedeuten Minenunfälle zusätzliche Belastungen
für die betroffenen Familien, aber auch für die gesamte Gesellschaft eines Landes. Diese ist oft
nicht dazu in der Lage, sich neben den Anstrengungen zum Wiederaufbau und zur Friedenskonsolidierung auch ausreichend um die besonderen Bedürfnisse von Minenopfern und deren
120
Familien zu kümmern. In Anerkennung dieser Problematik verpflichtet Artikel 6 jeden Vertragsstaat,
„der hierzu in der Lage ist“ zur Leistung von „Hilfe bei der Fürsorge und
Rehabilitation sowie bei der sozialen und wirtschaftlichen Wiedereingliederung von
Minenopfern“
(Artikel 6 Absatz 3 OTTAWA-KONVENTION).
118
Bereits auf der Oslo-Konferenz war der für die Räumung vorgesehene Zeitrahmen umstritten. Viele Parteien vertraten die Ansicht, die Einhaltung dieser Frist sei für die Mehrheit der von Landminen betroffenen Länder unrealistisch
und müsse daher verlängert werden. Im Vertragswerk wurde an der Zehnjahresfrist festgehalten, aber die Möglichkeit, eine Verlängerung zu beantragen, eingeräumt (Artikel 5, Absatz 3).
119
Dies betrifft finanzielle Ressourcen, sowie Kapazitäten bzgl. Organisation, Koordination, Material, Fachpersonal,
Expertise etc.
120
Die besonderen Belastungen, denen die Opfer von Minenunfällen und deren Angehörige ausgesetzt sind, sowie
auch die damit verbundenen Belastungen für die betroffene Gesellschaft werden in Kapitel 6.2 erläutert und in Abbildung 9 dargestellt.
37
5 Internationale Abkommen zum Einsatz von Landminen
Das ICRC sieht in diesem Bereich eine der größten Herausforderungen für die internationale
Gemeinschaft im Rahmen von Maßnahmen zur Abhilfe gegen die Auswirkungen von Landmi121
nen (ICRC 1998, Abschnitt 2.3.2).
Artikel 6 macht deutlich, dass der partnerschaftlichen Zusammenarbeit und gegenseitigen
Unterstützung – dabei vor allem bezüglich des Austausches von Informationen, Fachwissen,
Equipment etc. zur Erleichterung der durchzuführenden Maßnahmen – im Rahmen des Ottawa-Abkommens eine besondere Bedeutung beigemessen wird. Dies zeigt sich auch daran,
dass regelmäßige jährliche Treffen der Vertragsstaaten zur Prüfung von Angelegenheiten bezüglich der Anwendung oder Durchführung des Abkommens vorgesehen sind und bei Bedarf
auch Sondertreffen einberufen werden können (Artikel 11). Darüber hinaus sollen in be122
stimmten Abständen (mindestens 5 Jahre) Überprüfungskonferenzen stattfinden, die dazu
dienen, die Wirkungsweise und den Status des Abkommens zu überprüfen (Artikel 12). Bei all
diesen Treffen werden Nicht-Mitgliedsstaaten, UN, ICRC und andere einschlägige Organisationen als Beobachter eingeladen. Dadurch sollen einerseits die entsprechenden Staaten zu
einem Beitritt angeregt werden, um so die ausdrücklich angestrebte Universalisierung des
Vertrages voranzubringen. Andererseits soll auch die Möglichkeit gestärkt werden, von den
umfangreichen Kompetenzen der NGOs und der internationalen Organisationen insbesondere
hinsichtlich Informationen und Erfahrungen über die Auswirkungen von Landminen zu profitieren (BRINKERT 2004, S. 8).
Innerhalb der Konvention wird der Transparenz hinsichtlich der Einhaltung der Verpflichtungen des Ottawa-Abkommens ein großer Stellenwert beigemessen. Die in Artikel 7 festgesetzten
Maßnahmen verlangen von jedem Vertragsstaat eine jährliche Übermittlung von detaillierten
Berichten über den aktuellen Stand des jeweiligen Landes im Bereich der Aus- bzw. Durchführung des Vertrages. Diese zum Teil sehr detaillierten sog. Artikel-7-Berichte der einzelnen
Mitgliedsstaaten sind öffentlich verfügbar über die Webseite des United Nations Department
123
for Disarmament Affairs.
Nimmt ein Vertragsstaat an, dass ein anderer das Abkommen nicht einhält bzw. verletzt, so
kann er über den UN-Generalsekretär um Klärung des Sachverhalts ersuchen. Dem betroffenen Staat wird die Möglichkeit einer Klarstellung dieser Angelegenheit geboten. Erfolgt diese
nicht oder nur unbefriedigend, kann als weiterer Schritt durch eine Vertragsstaatenkonferenz
die Entsendung einer „Mission zur Tatsachenermittlung“ beschlossen werden. Diese Bestimmungen sind in Artikel 8 geregelt und unterstützen die Maßnahmen zur Schaffung von Transparenz nach Artikel 7.
Das Personenminenverbot ist trotz seiner umfangreichen Bestimmungen und Verpflichtungen
nur ein erster Schritt bzw. ein Einstieg zur Lösung der Landminenproblematik und weist verschiedene, zum Teil auch folgenreiche Schwachpunkte auf, welche im Folgenden diskutiert
werden sollen.
5.2.2.2
Kritische Anmerkungen zur Ottawa-Konvention
Die Forderungen nach einem wirksamen Verbot von Personenminen bzw. Landminen insgesamt war und ist vor allem motiviert durch die Erfahrungen, die einschlägige NGOs oder auch
die vom ICRC beauftragten Ärzte bei ihrer Arbeit in den betroffenen Ländern hinsichtlich der
Auswirkungen dieser Waffe gemacht haben. Auf die humanitären Folgen bezieht sich auch die
121
Maßnahmen zur Fürsorge, Rehabilitation und sozialen und wirtschaftlichen Wiedereingliederung von Minenopfern
werden unter Victim Assistance zusammengefasst und stellen einen der 5 Bereiche von Mine Action dar (vgl. Kapitel
6.2).
122
Die „Erste Überprüfungskonferenz“ fand vom 29. November bis 3. Dezember 2004 in Nairobi statt. Unter den 135 auf
der Konferenz versammelten Staaten befanden sich 25 Länder, die das Abkommen noch nicht unterzeichnet hatten.
Außerdem nahmen über 350 Vertreter von NGOs, die sich mit dem Landminenproblem befassen, aus vielen verschiedenen Ländern teil. Der wichtigste Output dieser Konferenz war erstens die sog. Nairobi-Deklaration, durch die die
Vertragsstaaten die Ottawa-Konvention erneut bestätigten und ihr Engagement, sich für die Universalisierung des
Abkommens einzusetzen, zusicherten, um das Ziel „eine Welt frei von Personenminen, in der es keine neuen Opfer mehr
gibt“, zu erreichen. Zweitens wurde der sog. ‚Nairobi Action Plan 2005-2009’ angenommen, der eine Liste von 70 Aktivitäten, welche die Vertragsstaaten bis zum Jahr 2009 unternehmen wollen, um die Auswirkungen von Personenminen wirksam zu bekämpfen, beinhaltet (GICHD 2005c, S. 2).
123
http://disarmament.un.org/MineBan.nsf
38
5 Internationale Abkommen zum Einsatz von Landminen
Präambel der Ottawa-Konvention, in der die Vertragsstaaten ihre Entschlossenheit bekunden,
das durch Personenminen verursachte Leiden und Sterben zu beenden.
Durch diese Erklärung werden die Minenopfer zum eigentlichen ‚Vertragsgegenstand’ der
Ottawa-Konvention, denn das Ziel des Abkommens liegt darin, die gegenwärtigen Auswirkungen des Einsatzes von Landminen auf die betroffene Bevölkerung zu reduzieren und für die
Zukunft zu verhindern. Trotzdem werden den Minenopfern selbst im Vertrag keine ausdrücklichen Rechte zugesichert, keinerlei rechtliche Beschwerdemöglichkeiten eingeräumt oder ein
Recht auf Wiedergutmachungs- und Entschädigungsleistungen zugesprochen. Im Vertragswerk wird nicht einmal bestimmt, wer als Minenopfer anzusehen ist. Mittlerweile haben sich
die Vertragsstaaten zwar darauf geeinigt, dass alle, die persönlich oder kollektiv physische
oder psychische Verletzungen, wirtschaftliche Verluste oder grundsätzliche Beeinträchtigungen ihrer Grundrechte durch den Einsatz von Minen erlitten haben, als Minenopfer gelten
(NAIROBI REVIEW CONFERENCE 2005, S. 27; GICHD 2005c, S.14), aber die Frage, welche Rechte
diese Opfer von Landminen haben, bleibt weiterhin durch die Konvention unberücksichtigt
(LOIACONO-CLOUET o.J., o.S.).
Das ICRC hatte im Rahmen des Ottawa-Prozesses gefordert, mit dem Vertrag gleichzeitig eine
unabhängige Institution zur Überwachung und Verfolgung von Angelegenheiten, die die Einhaltung des Vertrages betreffen, zu schaffen (MASLEN/HERBY 1998). Das Abkommen sieht einen
derartigen supranationalen Mechanismus jedoch nicht vor. Durch die in Artikel 9 festgesetzte
Verpflichtung,
„alle geeigneten gesetzlichen, verwaltungsmäßigen und sonstigen Maßnahmen,
einschließlich der Verhängung von Strafen“
(Artikel 9 OTTAWA-KONVENTION)
zu treffen, um jegliche Verletzung der Konvention zu verhindern und zu unterbinden, wird die
Verantwortung jedem einzelnen Vertragsstaat zugeordnet. Die Regierungen müssen jeweils
selbst entscheiden, welche gesetzlichen, administrativen oder sonstigen Maßnahmen für eine
effektive Umsetzung der Konvention notwendig sind (BRINKERT 2003, S. 43; BRINKERT 2004,
S. 9). Je nach Rechtssystem wird dann das Abkommen entweder bereits durch die Ratifizierung in die nationale Gesetzgebung eingegliedert, oder aber es wird über die Verabschiedung
eines entsprechenden Gesetzes für den Staat rechtskräftig (GICHD 2004a, S.49f.).
Ein solcher auf kooperative Transparenz und Dialog setzender Ansatz wurde bewusst gewählt,
um auf diese Weise die Eigenverantwortlichkeit der Vertragsstaaten zu stärken. Dies ist ein
wichtiger Punkt hinsichtlich der Nachhaltigkeit von nationalen Mine-Action-Programmen,
denn durch die Eigenverantwortung wird gefördert, dass die Staaten ein Gefühl von National
Ownership für die Sache entwickeln. Dadurch soll das Fortbestehen der Programme gesichert
werden, wenn die Geldgeber und NGOs sich anderen Themen zuwenden und die internationale Finanzierung und Hilfe für Mine Action reduziert wird.
Um die Staaten an ihre Verantwortung bezüglich der Verpflichtungen, die sie eingegangen
sind, zu erinnern und zur Einhaltung des Abkommens zu ermahnen, wurde von der ICBL ein
unabhängiger Überprüfungsmechanismus in Form des „Landmine Monitor Reports“ geschaffen. Dieser wird seit 1999 jährlich herausgegeben und berichtet über die Entwicklungen und
den Fortschritt der Mine-Action-Aktivitäten der einzelnen Staaten (BRINKERT 2004, S. 13).
Ein häufig diskutierter Punkt ist die für das Ottawa-Abkommen gewählte PersonenminenDefinition. Diese wurde wortwörtlich aus dem CCW Zusatzprotokoll II von 1996 übernommen.
Lediglich die Formulierung „in erster Linie“, welche bereits anlässlich des Beschlusses von
Zusatzprotokoll II heftig kritisiert worden war, wurde ausgespart. Außerdem wurde der Begriffsbestimmung von Personenmine ein Zusatz beigefügt:
„Minen, die dazu bestimmt sind, durch die Gegenwart, Nähe oder Berührung nicht
einer Person, sondern eines Fahrzeugs zur Detonation gebracht zu werden, und die
mit Aufhebesperren ausgestattet sind, werden wegen dieser Ausstattung nicht als Antipersonenminen betrachtet“
(Artikel 2 Absatz 2 OTTAWA-KONVENTION).
Die im gleichen Artikel folgende Definition von Aufhebesperren wurde so formuliert, dass nur
solche Aufhebeschutzvorrichtungen zugelassen sind, welche durch Manipulation oder absicht-
39
5 Internationale Abkommen zum Einsatz von Landminen
liche Bewegung der Mine ausgelöst werden (Artikel 2 Absatz 3 Ottawa-Konvention), jedoch
nicht aufgrund einer unbeabsichtigten Handlung detonieren (LANDMINE ACTION et al. 2001,
S. 17). Diese Einschränkung des Verbotes ist dennoch insofern problematisch, weil Aufhebesperren unumstritten bewusst so konstruiert sind, „dass sie auf Kontakt einer Person bzw.
eines Minenräumers reagieren und die Mine zünden“ (HAAKE/KÜCHENMEISTER 2003, S. 4).
Kern der Definition ist die Opferaktivierbarkeit und die unterschiedslose Wirkung von Personenminen. Alle Landminentypen – Personenminen wie Fahrzeugminen – werden opferaktiviert und verfügen über das Potenzial, Menschen zu töten oder zu verletzen (LANDMINE ACTION
et al. 2001, S. 17). Dabei spielt es keine Rolle, ob eine Mine durch eine einzelne Person oder
ein Fahrzeug, z.B. ein Pkw, Schulbus oder Krankenwagen, zur Explosion gebracht wird. Vor
allem aus Perspektive der Opfer ist es unerheblich, ob der Hersteller oder Anwender die Mine
als Personen- oder Fahrzeugmine bezeichnet, oder ob der Unfall während eines Fußwegs oder
einer Busfahrt geschieht. Bezöge man sich also auf den Definitionskern der Opferaktivierbarkeit und unterschiedslosen Wirkungsweise, wäre eine Unterscheidung zwischen Personenund Fahrzeugmine nicht zulässig. Entsprechend besteht der am häufigsten geäußerte Kritikpunkt an der Ottawa-Konvention darin, dass dieses Abkommen sich ausschließlich auf Personenminen bezieht und damit in gewisser Weise negiert, dass auch Fahrzeugminen Teil des
Landminenproblems sind (KÜCHENMEISTER 1999, S. 1) und ebenfalls vor allem zivile Opfer fordern. Der in der Ottawa-Konvention unternommene Versuch einer Differenzierung zwischen
Minentypen bezüglich ihrer Zielrichtung gegen Personen oder Fahrzeuge steht zu dieser
Sichtweise in Widerspruch.
Dieser Argumentation lässt sich jedoch entgegenhalten, dass mit der Ottawa-Konvention bewusst das Verbot einer bestimmten Waffenart, nämlich der Personenmine, angestrebt und
124
durchgesetzt wurde. Für Fahrzeugminen und andere explosive Kampfmittelrückstände müs125
sen andere Instrumente herangezogen bzw. entwickelt werden. Der Vorwurf, das Abkommen negiere Fahrzeugminen als Teil des Landminenproblems, ist auch insoweit nicht gerechtfertigt, als dass durch die Konvention mobilisierte, finanzielle Ressourcen für die Durchführung von Mine-Action-Maßnahmen dazu genutzt werden, alle Munitionsrückstände gleichermaßen zu räumen und die durch alle Landminentypen und ERW verursachten sozioökonomischen Auswirkungen zu reduzieren. Im Bereich Mine Risk Education wird die Bevölkerung auch über die Gefahren, die von Fahrzeugminen und ERW ausgehen, aufgeklärt. Bei der
Hilfe und Unterstützung der Opfer von Minenunfällen wird ebenfalls kein Unterschied gemacht, ob ein Unfall durch eine Personenmine, Fahrzeugmine oder einem anderen Munitionsrückstand verursacht wurde (BRINKERT 2004, S. 12).
Die bereits im Vorfeld des Ottawa-Abkommens geäußerten Befürchtungen, ein Verbot von
Personenminen führe zu einer vermehrten Weiterentwicklung von nicht verbotenen Minensystemen und alternativen Waffensystemen, welche den Einsatz von Personenminen ersetzen
können, waren berechtigt. Nach Angaben von Thomas KÜCHENMEISTER vom Deutschen Initiativkreis zum Verbot von Landminen haben trotz Ottawa-Konvention viele Staaten weiterhin
hohe Investitionen im Bereich der Modernisierung der Minenausstattung der Armeen und der
Weiterentwicklung moderner Minentechnologien (vor allem Personenminen-Alternativwaffen) getätigt, obwohl die Ausgaben für den Rüstungsbereich insgesamt in den meisten
Ländern rückläufig waren. Die ungebrochene Entwicklungstätigkeit in der Landminentechnologie insbesondere europäischer und vor allem deutscher Unternehmen lässt sich durch diesbezügliche Patentstatistiken nachweisen (KÜCHENMEISTER 1999, S. 2; HAAKE/KÜCHENMEISTER
126
2003, S. 6). Die von der britischen und deutschen Sektion der ICBL gemeinsam herausgegebene Studie „Tödliche Alternativen – Wie die verbotenen Antipersonenminen ersetzt werden“
(LANDMINE ACTION et al. 2001) belegt diese Entwicklungen in der Waffentechnologie.
124
Die ICBL z.B. hat sich immer für ein Verbot aller Landminen eingesetzt. Eine zeitweilige Konzentration auf ein
Personenminenverbot wurde vor allem nur vorgenommen, um den Ottawa-Vertrag schnell zu ermöglichen (NASSAUER
1998, o.S.).
125
Der Einsatz von Fahrzeugminen wird – zumindest teilweise – durch das CCW Zusatzprotokoll II etwas besser reglementiert. Hier liegt die Zahl der Ratifikationen aber deutlich hinter jener des Ottawa-Vertrages zurück (NASSAUER
1998, o.S.).
126
Für Informationen über Minenpatente und Patentinhaber siehe
http://www.landmine.de/de.titel/de.waremine/de.minenpatente/index.html.
40
5 Internationale Abkommen zum Einsatz von Landminen
Ergebnis der beständigen Weiterentwicklung in der Landminentechnologie ist unter anderem,
dass häufig eine eindeutige Unterscheidung von Personen- und Fahrzeugminen nicht mehr
möglich ist (LANDMINE ACTION et al. 2001, S. 17). Vielfach sind durch (personen-)sensitive Zünder oder Aufhebesperren Antipersonen-Effekte in die Fahrzeugminensysteme bereits integriert. Zwischen den Ottawa-Vertragsstaaten herrscht zum Teil Uneinigkeit darüber, ob
solche Minen als Personenminen betrachtet werden sollten und damit entsprechend den Bestimmungen der Ottawa-Konvention verboten sind, auch wenn Hersteller oder Anwender diese als Fahrzeugminen bezeichnen (HAAKE/KÜCHENMEISTER 2003, S. 4). Die in der Konvention
enthaltene Personenminendefinition wird von den Vertragsstaaten also unterschiedlich inter127
pretiert, obwohl die juristische Auslegung des entsprechenden Artikels eindeutig ist. Einige
Länder haben Gesetze verabschiedet, durch die Fahrzeugminen, die wie Personenminen willkürlich funktionieren, unter das Verbot fallen, und ihre Lagerbestände vernichtet. Andere Vertragsstaaten bestehen weiterhin auf die Zulässigkeit und Erfordernis solcher Waffensysteme
(LANDMINE ACTION et al. 2001, S. 18). Zu diesen Ländern gehören Deutschland, Frankreich,
Großbritannien, Japan und Dänemark (ICBL 2005b, S.24; vgl. auch LANDMINE.DE 2005b, o.S.).
5.3
Fazit: Der Beitrag von internationalen Abkommen
zur Lösung des Landminenproblems
Eine wirklich umfassende, effektive und langfristige Lösung der Landminen- und ERWProblematik wäre nur zu erzielen, wenn alle Arten von Landminen sowie auch Streubomben
vollständig verboten, alle Lagerbestände vernichtet und die noch verbliebenen Minen und
Munitionsrückstände geräumt würden. Es ist aber nicht anzunehmen, dass dies jemals durch128
gesetzt werden kann. Zum einen, weil ein großer Teil der heutigen bewaffneten Konflikte
nicht zwischen Staaten stattfindet, sondern in Form von internen Kriegen, in denen die unterschiedlichsten Konfliktparteien – z.B. Guerillagruppen oder durch Warlords geführte bewaffnete Gruppen – involviert sind. Solche nicht-staatlichen Gruppen lassen sich durch internationale Abkommen, die letztlich nur für die Vertragsstaaten verbindlich sind, nicht erfassen. Vor
allem bei diesen Gruppierungen ist der Einsatz von Landminen – dabei insbesondere Perso129
nenminen – weit verbreitet, wie bereits in Kapitel 3.2.2 erläutert wurde. Zum anderen wird
sich auch im Rahmen der internationalen (Sicherheits-)Politik ein solch umfassendes Verbotsabkommen kaum durchsetzen können. Zu viele mächtige Parteien haben ein Interesse daran,
dass diese Waffentechnologie weiterhin produziert und eingesetzt wird. Dazu gehören vor
allem große (multinationale) Konzerne, die in der Rüstungsproduktion tätig sind (z.B. in
Deutschland Daimler-Chrysler, Dynamit Nobel, Diehl Stiftung, Rheinmetall). Auch halten vielen Verteidigungsministerien den Einsatz von Fahrzeugminen und Streumunition weiterhin
für unverzichtbar. Das deutsche Bundesministerium für Verteidigung hat beispielsweise erklärt, dass die Bundeswehr zur Landes- und Bündnisverteidigung von technischen Hilfsmitteln
wie Landminen abhängig sei, und dies vor dem Hintergrund des Truppenabbaus sogar in noch
höherem Maße (KÜCHENMEISTER 1999, S. 3).
Das Interesse der Staaten, internationale Abkommen bezüglich umfassender Waffenverbote zu
unterzeichnen und auch umzusetzen, ist insgesamt zwiespältig. Einerseits ist humanitäres
Engagement der Regierungen zur Rechtfertigung ihrer Legitimität vor der Wählerschaft und
vor anderen Staaten in gewisser Weise notwendig. Andererseits spricht die oft mehrere Jahre
127
Das Center for International Policy hat die Rechtsexperten Arnold und Porter aus Washington hinsichtlich der juristischen Auslegung des Artikels 2 der Ottawa-Konvention befragt. Diese kamen zu dem Ergebnis, dass durch das
Abkommen Fahrzeugminen, die mit sensitiven Zündern oder Aufhebesperren ausgestattet sind, welche die Mine
durch unbeabsichtigte Berührung auslösen, als Personenminen betrachtet werden müssen und daher verboten sind
(CENTER FOR INTERNATIONAL POLICY 2000, O.S.).
128
Das engagierte Festhalten an der Forderung eines umfassenden und vollständigen Verbotes von Landminen und
Streumunition von Seiten der Öffentlichkeit ist dennoch wichtig und erforderlich. Nur auf diese Weise kann erreicht
und erzwungen werden, dass die Staaten für die Auswirkungen des Einsatzes solcher Waffentechnologien Verantwortung übernehmen und diesbezüglich humanitäre Abhilfe leisten. Die Rolle der ICBL in dieser Hinsicht ist von großer
Bedeutung, da sie sich für die Universalisierung der Ottawa-Konvention einsetzt und mit den Kampagnen über die
katastrophalen humanitären Auswirkungen des Landminen- und Streumunitionseinsatzes informiert, wodurch bei der
Öffentlichkeit ein Verständnis für das Ausmaß der Problematik gefördert wird.
129
Zum Einsatz von Personenminen durch nicht-staatliche bewaffnete Gruppen siehe GENEVA CALL/PSIO 2005 sowie
AQA 2005, S. 13).
41
5 Internationale Abkommen zum Einsatz von Landminen
dauernde Zeitspanne, die zwischen Unterzeichnung eines Vertrages und Ratifizierung bzw.
In-Kraft-Treten liegt, nicht unbedingt für eine große Motivation, die damit angenommen
130
Verpflichtungen bzw. Einschränkungen real umzusetzen.
„Abgerüstet wird nur, wenn
Waffen nicht mehr benötigt werden oder modernerer Ersatz gefunden ist“ kommentiert Otfried
NASSAUER, Leiter des Berliner Informationszentrums für Transatlantische Sicherheit, diese
Politik (NASSAUER 2005, o.S.). Auf dieser Grundlage ist vielleicht zu erklären, dass das 2003 verabschiedete Protokoll V zu explosiven Kampfmittelrückständen bis heute nicht in Kraft getreten ist. Die deutsche Bundesregierung spricht sich beispielsweise für die Aufnahme der Forderung zur Erhöhung der Verlässlichkeit von Munition und Submunition (Funktionssicherheit
von 99%) in dieses Protokoll aus (AA 2005e, o.S.), will aber trotzdem solange nicht auf Streubomben verzichten, bis diese Forderung technisch umgesetzt worden ist. Großbritannien und
die USA haben sogar mittlerweile Rüstungsprojekte für ‚sichere’ Streumunition aufgegeben,
weil sie der Überzeugung sind, dass eine derartige Minimalisierung der Versagerquoten technisch nicht erreichbar ist (JENSEN 2005, o.S.; NASSAUER 2005, o.S.). Wenn also einerseits die
technische Umsetzbarkeit einer Funktionssicherheit von 99% bei Submunition fraglich ist,
Deutschland diese aber im Rahmen des CCW Protokolls einfordert, andererseits gleichzeitig
an der Ausrüstung der Bundeswehr mit Streubomben trotzt der relativ hohen Versagerquote
131
festhält, dann ist die Interessenslage der Bundesregierung nicht eindeutig nachvollziehbar.
Vor dem Hintergrund, dass der militärische Nutzen von ‚herkömmlichen’ Personenminen in
der heutigen Form der internationalen Kriegsführung nicht mehr gegeben ist, und dass die
Minentechnologie sich hinsichtlich ‚intelligenter Minensysteme’ als Alternativen in den letzten
Jahren immens weiterentwickelt hat, stellt sich die Frage, ob dies der Grund dafür sein könnte, dass die Ottawa-Konvention so schnell zustande gekommen und in Kraft getreten ist. Für
diese Überlegung spricht auch, dass bezüglich eines Abkommens zu einem Verbot oder zu
effektiveren Beschränkungen des Einsatzes von Fahrzeugminen bzw. MOTAPM, zu denen die
132
modernen Minensysteme zählen, kaum Fortschritte gemacht werden.
Der Verdienst der Ottawa-Konvention ist wahrscheinlich weniger im Erreichen eines Verbots
von Personenminen zu sehen, als in den Verpflichtungen der von Landminen betroffenen Vertragsstaaten, auf ihrem Territorium effektive Mine-Action-Maßnahmen durchzuführen, und
den Verpflichtungen der Vertragsstaaten, „die hierzu in der Lage sind“, bei diesen Maßnahmen
Hilfe zu leisten. Auf diese Weise wird die Mobilisierung finanzieller Ressourcen für Mine
Action angeregt und in gewissem Maße gesichert. Seit Inkrafttreten des Abkommens ist entsprechend auch eine deutliche Intensivierung der Minenräumung und damit verbundener
133
Aktivitäten zu verzeichnen. Die ‚praktischen Mine-Action-Aktivitäten’ zielen darauf ab, die
entwicklungshemmenden Auswirkungen von Landminen auf die betroffene Bevölkerung zu
reduzieren bzw. zu eliminieren. In diesem Sinne stellt die Ottawa-Konvention „eine Brücke
zwischen Abrüstung und Entwicklung“ (BRINKERT 2003) dar.
130
Die Tatsache, dass z.B. die USA, Vertragsstaat des CCW Zusatzprotokolls II, der Ottawa-Konvention in letzter Minute
nicht beigetreten sind, weil ihren Forderungen (vgl. GÜNTHER 1997) keine Zugeständnisse gemacht wurden, weist
darauf hin, dass die Regelungen der CCW größere Spielräume hinsichtlich Ausnahmeregelungen und Interpretationsmöglichkeiten lässt. Der effektive humanitäre Nutzen eines solchen Völkerrechtsvertrages ist daher begrenzt.
131
Die Diskrepanz zwischen politischen Absichtserklärungen und der realen Politik wird z.B. bei einem Vergleich
der Informationswebseiten des Auswärtigen Amtes über das Ottawa-Abkommen und die VN-Waffenübereinkommen
(AA 2005e, o.S.) mit der Analyse der deutschen Landminenpolitik von HAAKE/KÜCHENMEISTER 2003 deutlich.
132
Es existieren zwar Bestrebungen einiger Staaten (der sog. ‚30-Nationen-Vorschlag’), ein neues CCW-Protokoll über
das Verbot oder die Beschränkungen von Einsatz und Weitergabe von MOTAPM aufzunehmen (AA 2005d, o.S.), jedoch
müssen diese hinsichtlich ihrer wahren Motivation hinterfragt werden, da zu den 30 Nationen auch Länder zählen, die
sich im Rahmen des Ottawa-Vertrages vehement gegen eine Ausweitung des Verbots auf Fahrzeugminen mit personenminenähnlicher Wirkung aussprechen.
133
Siehe „Landmine Monitor Report“ der ICBL von 1999 bis 2005. Dies lässt sich auch an der Finanzierung von Mine
Action nachvollziehen, die seit 1999 bis 2004 stetig zugenommen hat (vgl. ICBL 2005b, S. 60). Aufschluss geben auch
die Angaben über die Ausweitung von Mine-Action-Programmen (vgl. ICBL 2004, S. 5).
42
6 Mine Action
II MINE ACTION UND PRIORITÄTENSETZUNG
6
Mine Action
Die aus strategischen Gründen beabsichtigten Auswirkungen von Landminen während eines
Konfliktes wurden in Kapitel 3.2 über den Einsatz dieser Waffen erläutert. Während andere
Waffen nach Abschluss eines Friedensabkommens ‚einfach’ niedergelegt werden können,
bleiben Landminen als ‚explosive Schläfer’ (RÖHR 2004, o.S.) weiterhin – bis zu ihrer Räumung
– aktiv. (Im Folgenden werden aufgrund ihrer ähnlichen Wirkungsweise UXO mit unter den
Begriff Landminen gefasst, es sei denn, konkrete Argumentationen machen eine Unterscheidung erforderlich.) Wie bereits an verschiedenen Stellen dieser Arbeit angemerkt wurde, hat
daher die Landminenkontaminierung aufgrund der spezifischen Eigenschaften dieser Waffentechnologie langfristige humanitäre und entwicklungspolitische Konsequenzen, die auch nach
Konfliktende über Jahrzehnte hinweg den Wiederaufbau und die Entwicklung eines Landes
erschweren bzw. behindern. Folglich sind spezifische Maßnahmen erforderlich, die den durch
den Landmineneinsatz verursachten entwicklungshemmenden sozioökonomischen Auswirkungen entgegenwirken. Seit Ende der 80er Jahre hat sich eine besondere Disziplin entwickelt, die als Mine Action bezeichnet wird und die die langfristige Beseitigung dieser Folgen
zum Ziel hat.
6.1
Sozioökonomische Auswirkungen
der Landminenkontaminierung
Länder, die Schauplatz von jahrelangen bewaffneten Konflikten waren, stehen nach Friedensschluss vor der schwierigen Herausforderung der Kriegsfolgenbeseitigung, der Friedenskonsolidierung und des sozialen und ökonomischen Wiederaufbaus. Wie die folgenden Ausführungen verdeutlichen, stellen diese Aufgaben insbesondere für Gesellschaften in sog. Entwicklungsländern eine besondere Belastung dar, wobei die Landminenkontaminierung als zusätzliches Entwicklungshemmnis wirkt.
Das hier zugrunde liegende Verständnis von ‚Entwicklung’
RAUCH, in dem Entwicklung verstanden wird als
134
folgt dem Ansatz von Theo
„... die Fähigkeit von Menschen (und ihrer gesellschaftlichen Institutionen), zumindest ihre materiellen Grundbedürfnisse unter Berücksichtigung der verfügbaren natürlichen Ressourcen (und ihrer Regenerationsfähigkeit) und der sich wandelnden
[…] Rahmenbedingungen dauerhaft zu befriedigen“
135
(RAUCH 1996, S. 16).
Ein solcher dynamischer und offener Ansatz wird deshalb gewählt, weil darin die Menschen
und ihre von ihnen selbst definierten Bedürfnisse im Vordergrund stehen, und daher normative Vorgaben hinsichtlich des zu erreichenden Ziels und des Weges dorthin bewusst ausgeschlossen werden. Der hier enthaltene Kerngedanke hinsichtlich des Verständnisses von Ent-
134
Auf die verschiedenen Begriffe, Ansätze und Theorien in Zusammenhang mit ‚Entwicklung’, die in Wissenschaft
und Politik häufig unterschiedlich ausgelegt und kontrovers diskutiert werden, kann im Rahmen dieser Arbeit nicht
näher eingegangen werden. Zur Diskussion und Entwicklung von entwicklungspolitischen und -strategischen Ansätzen vgl. z.B. NOHLEN und NUSCHELER 1993 Teil I, Rauch 1996 Kapitel 2 und 3 sowie STÖHR/TAYLOR 1981 Teil I und
Teil III.
135
Die Einschränkung auf materielle Grundbedürfnisse bei RAUCH ergibt sich aus der Argumentation, dass entwicklungspolitische Maßnahmen auf materielle Grundbedürfnisse abzielen sollen. RAUCH betont jedoch auch, dass die
immateriellen Grundbedürfnisse in diesem Zusammenhang nicht von geringerer Bedeutung sind, wegen ihrer normativen Problematik jedoch in ihrer Gestaltung bzw. inhaltlichen Bestimmung nicht von außen vorgegeben bzw.
gesteuert werden sollen (siehe RAUCH 1996, S. 15f.).
43
6 Mine Action
wicklung kommt auch bei ROBERTS und LITTLEJOHN in ihrer Studie „Maximizing the Impact –
Tailoring Mine Action to Development Needs“ zum Ausdruck:
“The development process is about creating a situation in which people have improved access to resources to enhance their standard of living in a way that is sustainable and helps them to fulfil their potential“
(ROBERTS/LITTLEJOHN 2005, S. 2).
Die Problematik der Entwicklungsländer setzt genau an diesem Punkt an: Diese vorwiegend
agrarisch geprägten und durch einen hohen Anteil an Subsistenzwirtschaft gekennzeichneten
Länder sind aufgrund ungünstiger nationaler wirtschaftlicher, politischer, soziokultureller und
136
soziodemographischer Strukturen und Rahmenbedingungen nicht eigenständig dazu in der
Lage, die Befriedigung der existenziellen Grundbedürfnisse – Gesundheit, Ernährung, Was137
serversorgung, Bildung und Wohnen – für die Masse ihrer Bevölkerung zu gewährleisten
(vgl. WOYKE 1994, S. 83f.). Die sozioökonomische Lage wird durch langjährige Konflikte zu138
sätzlich verschlechtert, womit sich gleichzeitig die ‚Verwundbarkeit’ bzw. ‚Vulnerabilität’
der Bevölkerung in Postkonflikt-Gesellschaften hinsichtlich Probleme wie Mangelernährung,
Armut und schlechtem gesundheitlichen Zustand erhöht (vgl. DEBIEL 1996a, S. 7ff.; GICHD
2004e, S. 3).
In diesem Zusammenhang stellt das Vorhandensein von Landminen einen die Situation verschärfenden Faktor dar. Eine Landminenkontaminierung bedeutet – unabhängig vom landesstrukturellen und konfliktspezifischen Hintergrund – über die unmittelbare physische Gefahr
hinaus eine Zugangsblockade zu Ressourcen, die für die Grundbedürfnisbefriedigung und
daher – gemäß der oben angeführten Definition von RAUCH – für die Entwicklung notwendig
sind. Dazu gehören unter anderem Wasser und landwirtschaftliche Flächen, öffentliche Einrichtungen – z.B. der medizinischen Versorgung und Bildung – sowie Märkte zum Güteraustausch. Tabelle 2 gibt einen Überblick über die für die Entwicklung einer Region oder eines
Landes wichtigen sozioökonomischen Faktoren, die in von Landminen betroffenen Entwicklungsländern in unterschiedlichen Ausmaßen und Kombinationen durch die Minenkontaminierung blockiert werden:
Tab. 2: Sozioökonomische Faktoren für die Entwicklung eines Landes
Infrastruktur
Faktoren
Beispiele
Transport
Fußwege
Unbefestigte/befestigte Straßen
Schienen
Brücken
Flughäfen
Energieversorgung
Stromleitungen
Gasleitungen
Wasserstellen
Brunnen
Trinkwasserleitungen
Bewässerungsleitungen
Lokale med. Grundversorgung
Not- und Unfallversorgung
Krankenhäuser
Verwaltungseinrichtungen
Einrichtungen der öffentlichen Ordnung (z.B. Polizei)
Schulen (Grund- und weiterführende Schulen)
Einrichtungen zur beruflichen (Weiter-)Bildung
Hochschulen
Telekommunikation
Post
Wasserversorgung
Medizinische
Versorgung
Administrative
Einrichtungen
Bildungseinrichtungen
Kommunikation
136
Zu Theorien der Ursachen von Unterentwicklung siehe RAUCH 1996, S. 20-113, Das Verhältnis Subsistenzproduktion
– Weltmarkt wird z.B. im Rahmen des „Bielefelder Verflechtungsansatzes“ untersucht (RAUCH 1996, S. 19).
137
Zum Grundbedürfnis-Ansatz vgl. z.B. NOHLEN/NUSCHELER 1993, S. 76-108; NOHLEN 1994, S. 286ff.; NUSCHELER 1996, S.
184f. oder auch GALTUNG 1977, S. 89-110.
138
Zum Konzept der ‚Verwundbarkeit’ bzw. ‚Vulnerabilität’ siehe CHAMBERS 1989 sowie WATTS/BOHLE 1993.
44
6 Mine Action
Faktoren
Zugang zu
Produktionsmitteln
Landwirtschaft
Kleingewerbe
und Industrie
Sonstige Flächen
Sonstiges
Märkte zum
Warenaustausch
Kulturelle Stätten
Siedlungsfläche
Beispiele
Viehbestände und Weideland für Viehwirtschaft
Saatgut und Felder für Ackerbau
Bewässerung und Viehtränken
Rohstoffe und Materialien zur Weiterverarbeitung
Kleingewerbe (auch informeller Sektor)
Handwerksbetriebe
Fabriken
Jagdgrund
Gebiete zur Sammlung von Brennholz, Kräuter, u.ä.
Fischerei
Lokale, regionale, überregionale Märkte
Nationaler und internationaler Markt
Transportmittel
Friedhöfe
religiöse und traditionelle Stätten
Versammlungsstätten
Wohnhäuser
weitere Gebäude
Quelle: Eigene Zusammenstellung (unvollständige Übersicht).
Die Tabelle vermittelt eine Vorstellung von der Vielschichtigkeit und dem möglichen Ausmaß
der durch das Vorhandensein von Landminen hervorgerufenen Problematik, da für jedes
der genannten Beispiele gilt, dass eine Verminung das alltägliche Leben der betroffenen
Menschen beeinträchtigt. Abbildung 9 stellt einen Versuch dar, die Komplexität der Wechselwirkungen und Kausalbeziehungen, die eine Minenkontaminierung hervorrufen kann, zu
verdeutlichen. Ausgangspunkte sind zum einen die Folgen eines Minenunfalls auf der Haus139
haltsebene, zum anderen die Auswirkungen einer Zugangsblockade zu den Ressourcen für
die Grundbedürfnisbefriedigung auf der Community-Ebene (zum Begriff Community vgl.
Textbox 4). Die resultierenden sozioökonomischen Konsequenzen akkumulieren sich bis hin
zur gesamtgesellschaftlichen Ebene, was anhand der Zusammenhänge auf der überregionalen
140
bzw. nationalen Ebene veranschaulicht wird.
Neben den in der Abbildung dargestellten Zusammenhängen lassen sich viele weitere Wirkungsverflechtungen innerhalb der verschiedenen Ebenen sowie auch ebenenübergreifend
herleiten. So können Aspekte wie Umsiedelung und Migration, Verarmung und Ressourcenblockaden in ihren Wechselbeziehungen unter anderem auch zu einer Veränderung der lokalen und regionalen Macht- und Leadership-Strukturen führen. Mögliche Folgen wären soziale
Entfremdung, soziale Konflikte, die Erschwerung von Vertrauensbildungsprozessen bis hin zu
einem erneuten Ausbruch bewaffneter Auseinandersetzungen. Zentrale Ausgangspunkte, die
zu weit reichenden gesamtgesellschaftlichen Konsequenzen führen, sind Blockaden der gesundheitlichen Versorgung oder Bildungseinrichtungen, vor allem aber auch des Transportsystems. Welche Auswirkungen eine Zugangsblockade zu den für die Landwirtschaft – und
insbesondere für die Subsistenzwirtschaft – wichtigen Wasser- und Flächenressourcen haben
kann, wird in Abbildung 10 am Beispiel der Community-Ebene exemplarisch dargestellt.
Diese Abbildung verdeutlicht, dass insbesondere die in hohem Maße auf Subsistenzwirtschaft
angewiesenen armen ländlichen Bevölkerungsgruppen von den Folgen einer solchen Wasserund Flächenblockade betroffen sind, da sie mangels alternativer Einkommensquellen hinsichtlich der Verfügbarkeit dieser Ressourcen eine hohe Vulnerabilität aufweisen.
139
Auf die Folgen eines Minenunfalls und die daraus resultierenden notwendigen Maßnahmen für die Opferhilfe wird
in Kapitel 6.2 dieser Arbeit näher eingegangen.
140
Auf eine Darstellung der mittleren räumlichen Ebenen wird in der Abbildung aufgrund weitestgehend übertragbarer Wirkungszusammenhänge verzichtet.
45
6 Mine Action
Abb. 9: Sozioökonomische Auswirkungen der Minenkontaminierung (Eigene Darstellung)
46
Gesundheit
Angewiesenheit
auf externe
Versorgung
Höheres
Risiko
Geringere
Erträge
Produktion für den
Markt nicht möglich
Wirtschaftlicher
Verlust
Ackerland und
Bewässerung
Wasser
Ackerbau und Viehwirtschaft
Armut
Trinkwasser
Längere
Wege
Fläche
Produktion für den
Markt nicht möglich
Wirtschaftlicher
Verlust
Armut
Migration
Verlust des
gesellschaftlichen
Ansehens
Reduzierung der
Viehbestände
Geringe
NahrungsmittelDiversifikation
Ernährung
Gesundheit
Höheres
Risiko
Angewiesenheit
auf externe
Versorgung
Längere
Wege
Weitere flächenbezogene Blockaden
Angewiesenheit auf
externe Versorgung
Wasser für
Viehtränkung und
Weideland
Subsistenzwirtschaft
nicht möglich
Migration
Längere
Wege
Weitere nutzwasserbezogene Blockaden
Kein
sauberes
Trinkwasser
Gesundheit
Subsistenzwirtschaft
nicht möglich
Gesundheit
Höheres
Risiko
Ernährung
Angewiesenheit auf
externe Versorgung
Weniger Zeit
für andere
Tätigkeiten
Geringe
NahrungsmittelDiversifikation
Weniger Zeit
für andere
Tätigkeiten
Zugangsblockade
durch Landminen
RessourcenNutzung trotz
bekannter
LandminenKontaminierung
Höheres
Risiko
Nutzung
alternativer
Ressourcen
Längere
Wege
Folgen der
Blockade
Abb. 10: Folgen einer Zugangsblockade von Wasser- und Flächenressourcen durch Landminen (‚Community-Ebene’) (Eigene Darstellung)
47
6 Mine Action
Community
Der Begriff Community bezeichnet Gemeinschaften, die durch physische Nähe oder das Teilen gemeinsamer Erfahrungen und Lebenswelten gekennzeichnet sind (vgl. WEINER et al. 2002, S. 383). Im
Rahmen von Mine Action wird der Begriff im Sinne einer räumlich abgrenzbaren lokalen Bevölkerungsgruppe verwendet, und kann Nachbarschaften, Siedlungen, Dörfer, aber auch Familienverbände
oder Haushalte umfassen. ‚Lokale Gemeinschaft’ wäre eine mögliche deutsche Entsprechung, die den
Kern dieses Begriffes annähernd erfasst. Da jedoch der englische Begriff Community Bestandteil der
Bezeichnung von verschiedenen Konzepten und Methoden (z.B. Community-based oder Community
Studies) ist und in diesem Zusammenhang eine prägnante und sinngemäße Übersetzung schwierig ist,
wird aus Gründen der Einheitlichkeit in der vorliegenden Arbeit der englische Begriff beibehalten.
Textbox 4: Zum Begriff Community
Die bisherigen Ausführungen zu den sozioökonomischen Auswirkungen lassen sich wie folgt
zusammenfassen: Landminen verhindern nach einem Konflikt über einen langen Zeitraum
hinweg die Rückkehr zur ‚Normalität’. Die betroffene Bevölkerung ist in ihrem tagtäglichen
Leben dem von Landminen ausgehenden Risiko ausgesetzt und muss ihre Alltagsaktivitäten
dementsprechend der Situation anpassen. Um verminte Gebiete zu meiden, werden häufig
lange Umwege unternommen oder weit entfernt gelegene alternative Versorgungsquellen
aufgesucht, was mit einem Zeitverlust für andere Tätigkeiten zur Existenzsicherung verbunden ist. In vielen Fällen sind Menschen dennoch gezwungen, trotz der bekannten Gefahr,
verminte Gebiete zu nutzen oder selbst zu räumen (sog. Risk-Taking-Behaviour), da diese
mangels Alternativen die einzige Möglichkeit darstellen, ein Mindestmaß an Grundversorgung
und Einkommen für ihre Familien zu sichern (ROBERTS/LITTLEJOHN 2005, S. 2; UNICEF/GICHD
141
2005, S. 39). Das Vorhandensein von Landminen, aber auch die bloße Annahme einer Verminung, kann dazu führen, dass weite Teile der Infrastruktur lahm gelegt werden und dringend
benötigte Flächen zur Agrar- und sonstigen Produktion brachliegen. Folgen sind unter anderem die Be- bzw. Verhinderung der Subsistenzwirtschaft, die Zerstörung lokaler und regionaler Wirtschaftskreisläufe und daher eine weit reichende Beeinträchtigung der nationalen Ökonomie. Gemeinsam mit den damit einhergehenden sozialen Belastungen werden Prozesse der
Friedensbildung, die Entwicklung und die Stabilisierung des Landes erschwert (vgl. auch
PEARCE 1999a, S. 24). Der betroffene Staat wird in zunehmendem Maße von externer Hilfe abhängig.
Dieser dringend benötigte internationale Beistand in Form von Humanitärer Hilfe, Projekten
142
zum Wiederaufbau und Entwicklungszusammenarbeit (EZ)
wird jedoch häufig durch
Landminen behindert. Viele Gebiete sind nur schwer zugänglich, in Einzelfällen sind ganze
Landstriche vollständig von der Umwelt abgeschnitten. Auf diese Weise werden humanitäre
Notsituationen, die ohne eine Blockade durch Landminen lösbar wären, zu langfristigen Problemen, die die Vulnerabilität der betroffenen Bevölkerungsgruppen steigern und verfestigen
und den Weg in Richtung Entwicklung versperren (GICHD 2004e, S. 4). Eine besonders hohe
Vulnerabilität hinsichtlich der durch Landminen verursachten Auswirkungen weist die Gruppe der Flüchtlinge auf (vgl. Textbox 5).
141
Dazu zählen beispielsweise Aktivitäten wie das Holen von Wasser, Sammeln von Brennholz, die Arbeit auf dem Feld,
das Viehhüten, aber auch das eigenständige Räumen von Minen aufgrund dringenden Bedarfs an Flächen oder Zugängen (sog. Village Demining) (zu Village Demining siehe z.B. UNICEF/GICHD 2005, S. 39ff.). Darüber hinaus sammeln Menschen häufig auch Landminen und UXO für den Verkauf und das Recycling von Altmetall.
142
Ziel der Humanitären Hilfe ist die schnelle Beseitigung oder Milderung einer akuten Notlage, die durch Naturereignisse (z.B. Erdbeben, Dürren, Überschwemmungen) verursacht wurde oder Resultat einer bewaffneten Auseinandersetzung (z.B. Bürgerkrieg) ist, und die der betroffene Staat nicht eigenständig bewältigen kann. Schwerpunkt der
Maßnahmen liegt in der kurzfristigen Verbesserung der durch die Ereignisse verschlechterten Lebensumstände der
betroffenen Bevölkerung, um ihr Überleben zu sichern (BMZ 1996, S. 228). Im Gegensatz dazu handelt es sich bei
Entwicklungszusammenarbeit um die partnerschaftliche Zusammenarbeit von Geberländern, internationalen Institutionen und Organisationen mit den Empfängerländern zur Vermittlung technischer, wirtschaftlicher und organisatorischer Kenntnisse und Fähigkeiten und Optimierung der Voraussetzungen ihrer Anwendung. Menschen und Organisationen sollen langfristig dazu in die Lage versetzt werden, ihre Lebensbedingungen aus eigener Kraft zu verbessern
(BMZ 1996, S. 183).
48
6 Mine Action
Landminen und Flüchtlinge
Im Kontext der sozioökonomischen Auswirkungen von Landminen nimmt die Flüchtlingsproblematik
einen besonderen Stellenwert ein. Flüchtlinge, zu denen sowohl Menschen, die aufgrund lebensbedrohlicher oder unbefriedigender Lebensbedingungen ihr Heimatland verlassen haben (sog. Externally Displaced Persons, EDPs), als auch die sog. Binnenflüchtlinge, die auf ihrer Flucht innerhalb der
Grenzen ihres Landes verblieben sind (sog. Internally Displaced Persons, IDPs), zählen, sind auf vielfältige Art und Weise von der Landminenkontaminierung betroffen. Z.B.:
Landminen als Ursache von Vertreibung;
Landminen als Hindernis für die Rückkehr aufgrund verminter Transportwege und/oder
Siedlungsflächen:
bei langfristigem Verbleib im Exil: sozioökonomische, kulturelle und psychische Belastung
(insbesondere bei Aufenthalten in Flüchtlingslagern),
langfristige sozioökonomische Belastung der Aufnahmegesellschaft;
Häufigkeit der Unfälle bei Flüchtlingen aufgrund von Unkenntnis bzgl. der Lage von Minenfeldern
besonders hoch;
Grundversorgung nicht gewährleistet:
Konkurrenz um minenfreie Flächen, z.B. wenn ehemaliges Siedlungsgebiet bei der Rückkehr
von anderen Bevölkerungsgruppen besetzt ist,
mehr Menschen müssen über die verbleibenden nutzbaren Flächen versorgt werden;
Quelle: ROBERTS/WILLIAMS 1995, S. 11.
Textbox 5: Landminen und Flüchtlinge
143
Aus den dargestellten Zusammenhängen ergibt sich also die Notwendigkeit, dem Entwicklungshemmnis Landminenkontaminierung und den damit verbundenen Folgen eine effektive
Lösungsstrategie entgegenzusetzen. Eine solche Strategie wird durch den Mine-Action-Ansatz
verfolgt.
6.2
Definition von Mine Action
Mine Action wird definiert als die (Wieder-)Herstellung einer sicheren Umgebung, die einem
normalen Leben und der Entwicklung förderlich ist. Das heißt:
„Mine action is not just about demining; it is also about people and societies, and
how they are affected by landmine contamination”
(UNMAS 2003a, Definition 3.147.).
Mine Action umfasst daher alle Maßnahmen, die notwendig sind, um die aus der Landminenkontaminierung resultierenden sozialen, ökonomischen und umweltbezogenen Auswirkungen
und Probleme der betroffenen Bevölkerung zu vermindern (BRINKERT 2004 S. 12; UNMAS
2003a, Definition 3.147.). Die 5 Kernkomponenten und die notwendigen, sie ergänzenden
Maßnahmen sowie die Zielsetzung von Mine Action sind in Abbildung 11 dargestellt.
Vorraussetzung für Effizienz und Effektivität von Mine Action mit entsprechenden nachhaltigen Resultaten sind die in der Abbildung enthaltenen Komplementärmaßnahmen. Die Bedeutung insbesondere einer adäquaten Erfassung des Problemausmaßes und entsprechender Planung, einer angemessenen Ressourcenverteilung sowie von Informations- und Qualitätsmanagement wird im weiteren Verlauf dieser Arbeit in verschiedenen Zusammenhängen deutlich, so dass an dieser Stelle auf weitere Erläuterungen verzichtet wird.
143
Näheres zur Problematik Landminen und Flüchtlinge vgl. HORWOOD 2000, S. 7. Zur Flüchtlingsproblematik allgemein vgl. NUSCHELER 1988; OPITZ 1995. Zu diesbezüglichen Lösungsansätzen der Entwicklungszusammenarbeit siehe
STEINACKER 1992. Vgl. auch Webseiten des UNHCR: http://www.unhcr.org/
49
6 Mine Action
Humanitarian
Demining
Aufnahme, Kartierung,
Markierung u. Räumung
von Minen u. UXO
Erfassung des Problemausmaßes u. Planung
Kapazitätenbildung
u. Training
Stockpile
Destruction
Vernichtung der
Personenminenlagerbestände
Informationsmanagement
Mobilisierung u. Verteilung
von Ressourcen
Mine Action
Einsatz effektiver, angemessener
u. sicherer Ausrüstung
Koordinierung
Mine Risk Education
Aufklärung über
Minengefahr
Qualitäts-management
Advocacy
Eintreten gegen den
Gebrauch
von Personenminen
Victim Assistance
einschließlich
Rehabilitation u.
wirtschaftlicher
Reintegration
ZIELSETZUNG VON MINE ACTION:
Nachhaltiges Reduzieren des Risikos von Landminen auf ein Niveau,
auf dem Menschen sicher leben können,
auf dem ökonomische, soziale und gesundheitliche Entwicklung frei von den
Beschränkungen durch die Minenkontaminierung vonstatten gehen kann,
auf dem auf die Bedürfnisse der Opfer eingegangen werden kann.
Abb. 11: Die 5 Mine-Action-Komponenten und weitere notwendige Elemente
(Eigene Darstellung, nach UNMAS 2003a, Definition 3.147.)
6.2.1
Die fünf Kernkomponenten von Mine Action
144
Humanitäre Minenräumung bzw. Humanitarian Demining beinhaltet nicht nur die vollständige Räumung, sondern auch die Durchführung einer detaillierten topographischen und
technischen Untersuchung bekannter verminter oder vermutlich kontaminierter Gebiete (sog.
145
Technical Survey, früher auch Level 2 Survey) , die Kartierung und Markierung von Minenfeldern, sowie die Übergabe des Gebietes nach Beendigung der Räumarbeiten. Diese Aufgaben
werden von verschiedenen Organisationstypen, wie NGOs, kommerziellen Firmen, nationalen
Organisationen oder militärische Einheiten erfüllt (UNMAS 2003a, Definition 3.51.).
Die Vernichtung von nationalen Personenminenlagerbeständen bzw. Stockpile Destruction
wird in der Regel von staatlichen Armeen, zum Teil aber auch von kommerziellen Räumfirmen durchgeführt, während Mine-Action-NGOs in diesem Bereich keine bzw. nur eine mini146
male Rolle spielen (MASLEN 2005, S. 193).
144
Vgl. auch die diesbezüglichen Bestimmungen der Ottawa-Konvention in Kap. 5.2.2.1.
Vgl. UNMAS 2003a, Definition 3.249.
Vgl. auch die diesbezüglichen Bestimmungen der Ottawa-Konvention in Kap. 5.2.2.1. Insgesamt 81 der Mitgliedsstaaten der Ottawa-Konvention haben angegeben, Personenminenlagerbestände zu besitzen; laut „Landmine Monitor
Report 2005“ haben 69 von diesen Staaten die Vernichtung abgeschlossen (ICBL 2005b, S. 19). Näheres zu Stockpile
Destruction innerhalb von Mine Action siehe MASLEN 2005, S. 191-208.
145
146
50
6 Mine Action
Der Begriff Advocacy steht für das Engagement gegen den Einsatz von Personenminen und
bezieht sich im Rahmen von Mine Action auf
“[…] actions or activities intended to lobby for, encourage or promote the adoption
and implementation of rules and policies with the aim of removing or reducing the
threat from and the impact of mines and UXO“
(MARESCA 2005, S. 126).
Zu diesen Aktivitäten zählen vor allem:
• Politisches Engagement zur Mobilisierung der Öffentlichkeit;
• Anregen von Diskussion und Dialog unter Schlüsselpersonen bzw. -parteien (z.B. innerhalb
147
von regionalen Bündnissen , Regierungen und Militär), um ein Umdenken hinsichtlich des
Einsatzes von Landminen zu bewirken;
• Förderung der Annahme und Einhaltung von entsprechenden nationalen Regelungen und
Gesetzen.
Advocacy gilt als ein wesentlicher Faktor dafür, dass innerhalb kurzer Zeit durch die OttawaKonvention ein internationales Verbot von Personenminen erwirkt werden konnte und dass
bis heute mehr als dreiviertel aller Nationen die Konvention ratifiziert haben. Der Erfolg dieses Engagements zeigt sich auch daran, dass 23 Staaten, die dem Abkommen (noch) nicht angehören, im Dezember 2004 im Rahmen der jährlichen Abstimmung für die UN-Resolution zur
Universalisierung und vollständigen Umsetzung der Ottawa-Konvention gestimmt haben, sich
also folglich ihren Bestimmungen verpflichtet fühlen (ICBL 2005b, S. 11). Anhand des Zustandekommens der Ottawa-Konvention, sowie zuvor der Durchsetzung einer Änderung des CCWProtokolls II, wird die wichtige Rolle, die Advocacy hinsichtlich der Durchführung und Weiterentwicklung des Humanitären Völkerrechts spielt, deutlich. Eine Ausweitung oder Aufnahme
von Verboten bzw. einschränkenden Regelungen zum Einsatz anderer Waffensysteme wie
beispielsweise Streubomben, MOTAPM oder auch Kleinwaffen lässt sich vor allem durch Öffentlichkeitsarbeit und dadurch zunehmendem Handlungsdruck auf die Regierungen erreichen. Über kontinuierliche Advocacy-Aktivitäten wird aber vor allem auch die Sensibilisierung
der ‚traditionellen’ multi- und bilateralen Geber und der Regierungen der betroffenen Länder
hinsichtlich der Landminenproblematik gefördert, was zu der erforderlichen langfristigen
Mobilisierung von Ressourcen für die Durchführung von Mine-Action-Programmen beiträgt
(MARESCA 2005, S. 126).
Mine Risk Education (MRE) – vormals auch als Mine Awareness bezeichnet – bedeutet Aufklärung über die von Landminen ausgehenden Gefahren. Dieser Bereich beinhaltet daher
Maßnahmen, die darauf abzielen, das Risiko, sich durch Landminen zu verletzen oder getötet
zu werden, zu reduzieren, indem bei der betroffenen Bevölkerung das Gefahrenbewusstsein
geschaffen bzw. geschärft und eine entsprechende Verhaltensänderung gefördert werden soll.
Durch öffentliche Medienkampagnen, Verbreitung von Informationsmaterialien, vor allem
aber auch durch die Integration von MRE in die Schulunterrichtspläne sowie Kapazitätenbildung für und Durchführung von lokalen MRE-Maßnahmen sollen unter anderem folgende
Inhalte vermittelt werden:
• Was sind Landminen, wie sehen sie aus, welche Gefahr geht von ihnen aus?
• Was ist bei Auffinden einer Landmine zu tun?
• Was ist im Falle eines Minenunfalls zu tun?
• Wie lässt sich Risk-Taking-Behaviour
148
vermeiden?
• Welche Alternativen hinsichtlich der Grundversorgungs- und Einkommenssicherung können unter den jeweiligen Rahmenbedingungen zur Vermeidung von Risk-Taking-Behaviour
identifiziert und entwickelt werden?
147
Gemeint sind regionale Bündnisse wie die Europäische Union (EU), die Organisation Amerikanischer Staaten (OAS)
oder die Southern African Development Community (SADC).
148
Gründe für ein Risk-Taking-Behaviour können sein: Abenteuerlust, Neugier (v.a. bei Kindern), Glaube, wirtschaftliche Notwendigkeit (GICHD 2003b, S. 31).
51
6 Mine Action
Im Rahmen von MRE-Maßnahmen ist eine enge partnerschaftliche Zusammenarbeit mit
der betroffenen lokalen Bevölkerung von grundlegender Bedeutung, da effektive und nachhaltige MRE angepasste, unter Partizipation der Zielgruppen entwickelte Strategien erfordert.
Die wichtigsten Akteure im Bereich MRE sind neben dem Internationalen Komitee des Roten
Kreuzes (ICRC) vor allem die Mine-Action-NGOs Norwegian People’s Aid (NPA), Mines Advisory Group (MAG) und Handicap International (belgische und französische Sektion), sowie auf
149
der UN-Ebene der United Nations Children’s Fund (UNICEF) (WHEATLEY 2005, S. 136ff.).
Opferfürsorge bzw. Victim Assistance bezieht sich auf Maßnahmen zur Hilfe, Fürsorge und
Unterstützung von Minenopfern, wobei jedoch verschiedene Sichtweisen darüber bestehen,
welche Zielgruppendefinition diesem Bereich zugrunde gelegt werden sollte und folglich welche Inhalte bzw. welcher Umfang hinsichtlich der Maßnahmen zu gelten haben:
Wird – in engerer Sichtweise – unter Minenopfer ein Individuum verstanden, das durch einen
Minenunfall verletzt wurde, und entsprechend spezifische Bedürfnisse hat, so werden die
Maßnahmen vor allem auf medizinische Unfallsversorgung (Erste-Hilfe-Maßnahmen und
anschließende Behandlung im Krankenhaus), langfristige medizinische Betreuung (Physiotherapie, Versorgung mit Prothesen und anderen Hilfsmitteln, sowie psychologische Betreuung) und Unterstützung bei der sozioökonomischen Reintegration ausgerichtet. Bei einem
weiter gefassten Verständnis, in dem neben dem Unfallopfer auch dessen Haushaltsmitglieder
sowie von Minen betroffene Communities zu den Minenopfern gezählt werden, sind breiter
angelegte Maßnahmen erforderlich, die – neben den zuvor genannten – auch Aktivitäten einschließen, die auf die sozioökonomische Entwicklung des betroffenen Gebietes abzielen (ICBL
150
1999, S. 21).
Da letztere jedoch bereits unter die Bereiche Humanitäre Minenräumung, MRE und nationale
Strategien und Maßnahmen zur Armutsbekämpfung, Wiederaufbau und Entwicklung fallen,
konzentrieren sich die einschlägigen Organisationen im Rahmen von Victim Assistance auf
die besonderen Bedürfnisse der Überlebenden von Minenunfällen (vgl. Textbox 6). Eine solche Fokussierung auf die sog. Survivor Assistance – eine Bezeichnung, die von vielen Organisationen zur Abgrenzung gegenüber dem breiter angelegten Verständnis von Victim Assistance
verwendet wird – ist auch aus folgenden Gründen sinnvoll und notwendig:
Zum einen sind die nationalen Gesundheitssysteme in Postkonfliktstaaten häufig marode
und überlastet, also durch einen Mangel an materieller Ausstattung und qualifiziertem Personal gekennzeichnet. Minenunfallopfer können daher häufig nicht adäquat behandelt werden,
weil Minenunfälle verschiedenste Verletzungen verursachen können, die häufig aufwendige
und anspruchsvolle spezifische medizinische Behandlungen erfordern (ICRC 1998, o.S.).
Für den Fall, dass die erforderlichen Behandlungen verfügbar sind, bedeutet dies eine für
die Betroffenen oft nicht tragbare finanzielle Belastung, was insbesondere für langfristige Rehabilitationsmaßnahmen gilt (MANN/MASLEN 2005, S. 175f.). Zum anderen sind medizinische
Einrichtungen wie Krankenhäuser und Kliniken, aber auch Dienste für Prothesen und physische Rehabilitation meist auf städtische Gebiete konzentriert, während die meisten Minenunfälle in weit entfernten, ländlichen Gebieten passieren. Folglich sind die medizinischen
Einrichtungen für Unfallopfer nur schwer, in vielen Fällen sogar gar nicht erreichbar (ICBL
2003, S. 45).
149
Weitere Literatur zu Mine Risk Education vgl. LANDMINE ACTION 2004; FILIPPINO 2000; SCHEU 2000 und 2002; MERTEN
1999; HOWELL 1998, S. 51. Im November 2005 von UNICEF/GICHD zu MRE neu erschienen sind die „IMAS Best Practice Guidebooks“, erhältlich über die GICHD-Webseite (www.gichd.ch).
150
Vgl. z.B. die Definitionen von Victim und Victim Assistance nach IMAS, die eher dem ersten Ansatz zuzuordnen sind
(UNMAS 2003a, Definitionen 3.269 und 3.270), oder die dem zweiten Ansatz entsprechenden Vorschläge von Handicap
International zu einer umfassenderen Gestaltung von Victim Assistance in HANDICAP INTERNATIONAL 2000, S. 10f. Zur
Diskussion der Unklarheiten hinsichtlich der Begriffs- und inhaltlichen Bestimmungen von Minenopfern und Victim
Assistance siehe GICHD 2002b, S. 9-13.
52
6 Mine Action
Schlüsselkomponenten von Victim / Survivor Assistance
Pre-hospital Care (first aid and management of injuries)
Hospital Care (medical care, surgery, pain management)
Rehabilitation (physiotherapy, prosthetic appliances and assistive devices, psychological support)
Social and Economic Reintegration (associations of persons with disabilities, skills and vocational
training, income generating projects, sports)
Disability policy and practice (education and public awareness and disability laws)
Health and Social Welfare Surveillance and Research capacities (data collection, processing, analysis,
and reporting)
Quelle: ICBL 2003, S. 45.
Textbox 6: Schlüsselkomponenten von Victim / Survivor Assistance
Postkonfliktländer sind – wie bereits oben erläutert – in sozioökonomischer Hinsicht stark belastet, so dass Versorgung, Unterstützung und Förderung von Behinderten, welche in erster
Linie der Verantwortung der jeweiligen Staaten obliegen, häufig nur eine untergeordnete Rolle spielen und den besonderen Bedürfnissen von Minenunfallopfern und Menschen mit Behinderungen anderen Ursprungs nicht gerecht werden (MANN/MASLEN 2005, S. 181). Zurückzuführen ist dies oftmals auf eine soziale Stigmatisierung dieser Menschen wegen ihrer vermeintlich wirtschaftlichen Unproduktivität sowie auf ihre daraus resultierende gesellschaftliche Marginalisierung (FILIPPINO 2002, S. 22), die sich vielerorts im Fehlen von gesetzlichen
Regelungen und politischen Programmen zur Gleichstellung und Integration von Behinderten
151
manifestiert (BURION 2003, S. 41).
Folglich sollten im Rahmen von Survivor-Assistance Maßnahmen zur sozioökonomischen Rein152
tegration einen hohen Stellenwert einnehmen, was auch in den Äußerungen vieler Überlebender von Minenunfällen zum Ausdruck kommt, die einer beruflichen Wiedereingliederung
bzw. der Einkommensgenerierung eine größere Bedeutung zusprechen als der medizinischen
Versorgung (IKEDA 2002, o.S.; SCVA 2002, o.S.). Trotz dieser Erkenntnis fließt in der Umsetzung
von Survivor-Assistance-Programmen nach wie vor der Hauptanteil der Mittel in die Bereiche
medizinische und physische Rehabilitation, während psychosoziale Betreuung und Maßnahmen zur wirtschaftlichen Reintegration nur in begrenztem Umfang erfolgen (ICBL 2003, S. 45).
Victim Assistance wird zwar ausdrücklich als eine der 5 Kernkomponenten von Mine Action
genannt, erhält aber im Rahmen von Mine-Action-Programmen am wenigsten Aufmerksam153
keit (FILIPPINO 2002, o.S.). Aufgrund der Konzentration auf die medizinische und physische
Rehabilitation, die umfassende spezifische (medizinische) Fachkenntnisse erfordert, wird dieser Bereich tendenziell eher in die Zuständigkeit nationaler Gesundheitssysteme und die diesbezüglichen Programme zur Humanitären Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit verwiesen.
Entsprechend sind es im Wesentlichen humanitäre Organisationen wie ICRC oder Handicap
International, die die Aufgaben von Victim Assistance übernehmen und auf deren Richtlinien
zurückgegriffen wird (FIEDERLEIN 2002, o.S.), weil innerhalb von Mine Action – z.B. in den
International Standards for Mine Action oder im Ottawa-Abkommen – keine präzisen Regelun154
gen hinsichtlich Art und Umfang von Victim-Assistance-Maßnahmen existieren.
Die Problematik des Victim-Assistance-Bereichs, die in einigen Aspekten angesprochen wurde,
ergibt sich daraus, dass für eine effiziente und effektive Strategie – insbesondere, wenn das
151
Laut BURION existieren in weniger als der Hälfte der betroffenen Länder solcherlei Gesetzgebungen oder politische
Programme (BURION 2003, S. 41). Dies entspricht auch den Angaben von MANN und MASLEN, die besagen, dass nur
32 von 71 Ländern, die im Zeitraum von 1999 bis 2000 Minenunfälle gemeldet haben, solche spezifischen Programme
oder Gesetzgebungen aufweisen (MANN/MASLEN 2005, S. 179).
152
Eine Übersicht über mögliche Strategien zur sozioökonomischen Reintegration von Minenopfern bietet STANDING
TALL AUSTRALIA / MINE ACTION CANADA 2005, darin vor allem S. 94-97. Zum Stand der nationalen Victim-AssistanceProgramme in 24 Staaten siehe STANDING TALL AUSTRALIA 2005.
153
Dieser Punkt wird von verschiedenen Organisationen kritisiert. Sayed AQA (UNDP) kommentiert diese Problematik
folgendermaßen: „Victim assistance has not received adequate support and aid. Long after landmines are all cleared,
the survivors will live with their consequences for the rest of their lives. Help for victims of landmines must increase
dramatically for mine action to be credible” (AQA 2005, S. 13). Vgl. hierzu auch HANDICAP INTERNATIONAL o.J., o.S.
154
Im Rahmen von nationalen Mine-Action-Programmen liegt es allein im Ermessen eines jeden Vertragsstaates zu
entscheiden, auf welche Weise und in welchem Zeitrahmen die Verpflichtungen des Artikels 6 Absatz 3 der OttawaKonvention zur Leistung von Victim Assistance zu erfüllen sind (BRINKERT 2004, S. 9).
53
6 Mine Action
oben beschriebene weiter gefasste Verständnis zugrunde gelegt wird – ein multisektoraler
Ansatz erforderlich ist. In einem solchen Ansatz überschneiden sich die Zuständigkeiten. Die
notwendige, klare und eindeutige Zuweisung der Verantwortlichkeiten ist aber bis heute nicht
erfolgt. Widergespiegelt wird dies vor allem auch in der Ressourcenzuteilung für VictimAssistance-Programme, deren Anteil an den für Mine Action insgesamt zur Verfügung gestell155
ten Mitteln seit 1999 stetig abgenommen hat. Präzise und vergleichbare Angaben über die
Gelder für Victim Assistance sind jedoch nicht machbar, weil deren Finanzierung häufig nicht
direkt erfolgt. Viele Geber sind der Meinung, dieser Bereich sei als integraler Bestandteil von
Mine Action durch die Finanzierung von Mine-Action-Programmen insgesamt abgedeckt, oder
die Minenopfer würden durch die Mittelzuweisung für andere bilaterale Programme der Entwicklungszusammenarbeit erreicht. Die Erfahrung hat jedoch gezeigt, dass – solange Gelder
nicht zielgerichtet an Einrichtungen oder Programme für Victim Assistance geleitet werden –
die Mittel mit hoher Wahrscheinlichkeit eher in andere Bereiche von Gesundheitsprogrammen oder Entwicklungsprojekten fließen, so dass letztendlich die Opfer von Minenunfällen
weiterhin benachteiligt bleiben (ICBL 2005b, S. 66f.).
Zusammenfassend ist festzustellen, dass die Rolle von Mine Action in Bezug auf Victim
Assistance einen hohen Klärungsbedarf aufweist, wie auch eine diesbezügliche Untersuchung
des GICHD darlegt. Die Studie kommt zu dem Schluss, dass der Aufgabenbereich von Mine
Action vor allem in der Koordinierung und Sicherstellung der Finanzierung von VictimAssistance-Programmen anzusiedeln ist (GICHD 2002b, S. 17ff.; FILIPPINO 2002, o.S.).
6.2.2
Operational Mine Action
Die bisherigen Ausführungen der vorliegenden Arbeit verdeutlichen, dass die Lösung der
komplexen Landminenproblematik eine Strategie erfordert, die auf verschiedenen Ebenen
– von der internationalen politischen Arena bis hin zu praktischen Maßnahmen in den verminten Gebieten – gleichzeitig ansetzt. Wie aus den inhaltlichen Erläuterungen zu den 5 Kernkomponenten hervorgeht, verfolgt Mine Action einen solchen umfassenden Ansatz.
Innerhalb des Mine-Action-Konzeptes werden die 3 Bereiche Mine Risk Education, Mine
Survey und Mine Clearance unter dem Begriff der sog. Operational Mine Action subsumiert.
Diese Einheit bildet den Hauptbezugsrahmen dieser Arbeit, weil sie die praktischen Aktivitäten umfasst, die unmittelbar auf die Reduzierung des Risikos für die betroffene Bevölkerung
in verminten Gebieten und die Beseitigung der entwicklungshemmenden Auswirkungen
einer Landminenkontaminierung abzielen (PATERSON 2005b, S. 306; vgl. auch GICHD 2002b,
S. 13).
6.3
Von Minenräumung zu Mine Action:
Die Entwicklung einer Disziplin
Bis Ende der 80er Jahre wurde Minenräumung fast ausschließlich vom Militär durchgeführt
156
und als rein militärische Aufgabe verstanden. Diese Ansicht änderte sich im Jahr 1988 mit
dem Aufruf der UN zur Einrichtung eines internationalen Fonds für zivile Minenräumprojekte
in Afghanistan. Nach Abzug der sowjetischen Truppen waren große Ströme zurückkehrender
Flüchtlinge zu erwarten und damit verbunden ein Anstieg des Risikos von Minenunfällen. Da
zu diesem Zeitpunkt keine funktionierende afghanische Armee existierte und das sowjetische
Militär nicht bereit war, die Verantwortung für die Räumung zu übernehmen, musste eine
andere Lösung für die Minenproblematik gefunden werden. Dies war der Anstoß dazu, dass
Landminen erstmalig auf internationaler Ebene als humanitäres Problem anerkannt wurden,
welches eine humanitäre Antwort erfordert (GICHD 2004a, S. 21; AQA 2005, S. 12). In diesem
Kontext entstand die Disziplin Mine Action.
155
Die direkt für Victim Assistance bereitgestellten Mittel bewegen sich seit 1999 auf einem relativ konstanten Niveau
zwischen 27,5 und 30 Mio. US $ (ICBL 2004, S. 69 und ICBL 2005b, S. 67), die finanziellen Ressourcen für Mine Action
insgesamt sind dagegen im Zeitraum 1999 bis 2004 um ca. 180 Mio. US $ auf 399 Mio. US $ angestiegen (ICBL 2005b,
S. 60).
156
Über die Rolle des Militärs im Rahmen des Mine-Action-Konzeptes und die damit verbundene Problematik vgl.
MANSFIELD 2003; GICHD 2003d; MINE ACTION INFORMATION CENTER JAMES MADISON UNIVERSITY 2004.
54
6 Mine Action
Zu Beginn war dieser Ansatz gekennzeichnet durch Ad-hoc-Maßnahmen der Minenräumung,
Victim Assistance in Form von Opferevakuierung und Bereitstellung von Prothesen sowie der
Durchführung von MRE vornehmlich in Flüchtlingslagern (GICHD 2004a, S. 21; EATON 2004,
157
S. 136f.). Ende der 80er / Anfang der 90er Jahre entstanden die ersten Minenräum-NGOs ,
und im Anschluss an die Minenräumung in Kuwait nach dem Golfkrieg (1991) gründete sich
158
eine Reihe kommerzieller Minenräumfirmen (GICHD 2004a, S. 22f.; HORWOOD 2000, S. 10).
Mit dem – vor allem dank der ICBL-Kampagnen – wachsenden Bewusstsein der internationalen Öffentlichkeit bezüglich des Ausmaßes der globalen Landminenproblematik nahmen Mitte
159
der 90er Jahre die Aktivitäten im und die Finanzierung für den Bereich Mine Action zu. Die
Anzahl der Akteure auf Seiten der NGOs und der kommerziellen Firmen wuchs stark an, und
auch die UN verstärkten ihr Engagement in diesem Bereich. Um die Organisation und Koordinierung der verschiedenen in Mine Action involvierten UN-Organe und -Abteilungen zu
verbessern, wurde 1997 der United Nations Mine Action Service (UNMAS) als zentrale Stelle
innerhalb des UN-Systems gegründet. Eine der ersten und wichtigsten Aufgaben, die UNMAS
übernahm, bestand in der Erarbeitung international anerkannter Standards für die Durchführung von Mine-Action-Operationen (vgl. Textbox 7), was aufgrund der Fülle von Akteuren mit
unterschiedlichsten Herangehensweisen erforderlich geworden war (GICHD 2004a, S. 23f.;
BARBER 2005, S. 38).
International Mine Action Standards (IMAS)*
“Documents developed by the UN on behalf of the international community, which aim to improve safety
and efficiency in mine action by providing guidance, by establishing principles and, in some cases, by
defining international requirements and specifications.
Note: They provide a frame of reference which encourages, and in some cases requires, the sponsors and
managers of mine action programmes and projects to achieve and demonstrate agreed levels of effectiveness and safety.
Note: They provide a common language, and recommend the formats and rules for handling data which
enable the free exchange of important information; this information exchange benefits other programmes
and projects, and assists the mobilisation, prioritisation and management of resources.”
Quelle: UNMAS 2003a, Definition 3.126.
[Homepage: www.mineactionstandards.org/imas.htm]
* Die IMAS werden regelmäßig unter Führung von UNMAS und GICHD überarbeitet, erweitert und aktualisiert.
Textbox 7: International Mine Action Standards (IMAS)
Seit Inkrafttreten der Ottawa-Konvention (1998) sind viele neue Programme entstanden, die
aufgrund ihrer Vielfalt und Komplexität höhere Anforderungen hinsichtlich Planung, Management und Durchführung mit sich brachten. Als grundlegende Voraussetzung für effiziente
und effektive Lösungsstrategien wurde die Verfügbarkeit verlässlicher, aussagekräftiger und
aktueller Daten und Informationen über Art und Ausmaß der Kontaminierung und die damit
verbundenen Auswirkungen auf die betroffene Bevölkerung erkannt. Darüber hinaus wurde
deutlich, dass der Erfolg von Programmen in starkem Maße von der Auswahl angemessener
und an den jeweiligen landesspezifischen Kontext angepasster Methoden, Instrumente und
technischer Verfahren für Planung, Durchführung, Monitoring und Evaluierung von MineAction-Maßnahmen abhängt (GICHD/UNDP 2001, S. 8 u. S. 16; GICHD 2002a, S. 1; EATON et al.
1997, o.S.; RHODES 2005, S. 90). Die Aktivitäten in fachspezifischer Forschung und Entwicklung
wurden daher intensiviert, was sich unter anderem an der Etablierung entsprechender fach160
bezogener Institute äußert. Die Erfahrungen haben aber auch gezeigt, dass Effizienz und
Effektivität (vor allem Kosteneffektivität) einerseits nur über den intensiven Austausch von
157
Z.B. The Hazardous Area Life-Support Organisation (HALO-Trust), gegründet im Jahr 1988 oder die Mines Advisory
Group (MAG), gegründet im Jahr 1989.
158
Z.B. die Firma Mine-Tech, gegründet im Jahr 1992.
159
So wurden im Jahr 1995 im Rahmen einer Konferenz von einer Vielzahl an Staaten, NGOs, internationaler Organisationen und UN-Organen 85 Mio. US $ für Humanitäre Minenräumung zur Verfügung gestellt, von denen 20 Mio. US $
in den neu eingerichteten UN Voluntary Trust for Mine Clearance eingezahlt wurden (GICHD 2004a, S. 23).
160
Das Genfer Informationszentrum für Humanitäre Minenräumung (GICHD), das Humanitarian Demining Information Centre der amerikanischen James Madison Universität, die Mine Action Unit an der Cranfield Universität in England und das International Peace Research Institute in Oslo (PRIO) sind die führenden Institute in diesem Bereich.
55
6 Mine Action
Informationen, Erfahrungen und Fachwissen erreichbar sind, und andererseits eine umfassende Koordinierung und Kooperation unter den Mine-Action-Akteuren erfordern (KJELLMAN
161
et al. 2004, S. 80). Wie anspruchsvoll die sich daraus ergebenden Anforderungen sind, wird
am Beispiel der Koordinierung deutlich, die in Bezug auf Humanitäre Hilfe wie folgt beschrieben wird:
„Co-ordination describes a systematic utilization of policy instruments that include
strategic planning, data-gathering and information management, mobilising resources and accountability assurance, orchestrating a functional division of labour,
maintaining relationships with political authorities and providing leadership. In
the context of humanitarian assistance co-ordination can be seen as an attempt to
bring together disparate agencies in a concerted and cost-effective manner in order
to ensure the priorities are clearly defined, resources more efficiently utilized and the
duplication of effort minimised”
(KJELLMANN et al. 2004, S. 82).
Demnach beinhaltet eine umfassende Koordinierung auf und zwischen allen Ebenen auch im
Rahmen von Mine Action die Abstimmung der vielfältigen und komplexen Aufgaben, des breiten Akteursspektrums und der einzelnen Elemente untereinander, wie in Abbildung 12 dargestellt wird.
Mine Action
Mine-Action-Akteure
Finanzierung
Stockpile
Destruction
Ressourcenmobilisierung
Operational Mine Action
Victim
Assistance
Mine Risk
Education
Humanitarian
Demining
Survey
KOORDINIERUNG
Kooperation
Informationsmanagement
Planung
Durchführung
Beratung
Monitoring &
Evaluierung
Forschung &
Entwicklung
Geber
KOORDINIERUNG
Advocacy
Nationale
Mine-ActionAkteure
United
Nations
Institute für
Forschung &
Entwicklung
Kooperation,
Koordinierung,
Informations- &
Erfahrungsaustausch
Internationale
Organisationen
nationale & internat. NGOs
Militär
Kommerzielle
Räumfirmen
Abb. 12: Koordinierung im Rahmen von Mine Action (Eigene Darstellung)
Der Abbildung ist zu entnehmen, dass zu den Hauptakteuren im Bereich von Mine Action die
Vereinten Nationen gehören. Seit ihrem ersten Engagement in der Humanitären Minenräumung 1988/89 in Afghanistan haben die UN ihre Aktivitäten und ihre Verantwortung in diesem
Sektor kontinuierlich ausgeweitet und unterstützten im Jahr 2005 Mine Action in 35 der insgesamt 84 von einer Landminenkontaminierung betroffenen Länder (ICBL 2005b, S. 4; BARBER
2005, S. 38; HORWOOD 2000, S. 10ff.). Einen Einblick in das breite Tätigkeitsspektrum der UN
im Rahmen von Mine Action bietet Textbox 8, in der die Aufgabenbereiche der für die MineAction-Programme in Afghanistan und Mozambique relevanten UN-Organe vorgestellt werden.
161
Diese Erfahrungen wurden gewonnen aus Beispielen wie dem Folgenden: In Nairoto in Mozambique führte HALO
Trust Minenräumarbeiten durch, während gleichzeitig MRE-Maßnahmen durch Handicap International stattfanden.
Zwischen diesen Projekten fand keinerlei Austausch statt. Eine enge Kooperation hätte in diesem Fall Synergien
schaffen können, wodurch die Effektivität der Maßnahmen zur Reduzierung der Auswirkungen von Landminen auf
die betroffene Bevölkerung gestiegen wäre (MILLARD/HARPVIKEN 2000, S. 67).
56
6 Mine Action
Mine-Action-Aufgabenbereiche ausgewählter UN-Organe
United Nations Mine Action Service
(UNMAS)
United Nations Children’s Fund
(UNICEF)
Koordinierung der UN Mine Action Unit
über die Inter-Agency Coordination Group
Koordinierung Mine Action und friedenserhaltende und humanitäre Maßnahmen
Strategieentwicklung und Koordinierung
(im Rahmen von Programmmanagement)
Initiierung, Unterstützung und Beratung von
Programmen
Erfassung und Überwachung der
Landminengefahr
Informationsmanagement
Entwicklung von Standards (IMAS)
und Qualitätsmanagement
Koordinierung und Planung des Transfers
von Programmen an
Nationale Verantwortung
Advocacy und Eintreten für Vertragseinhaltung und -umsetzung (Ottawa, CCW
Zusatzprotokolle II & Protokoll V)
Ressourcenmobilisierung
(Verwaltung des UN Voluntary Trust Fund
for Mine Action)
Rapid-Response-Planung
Entwicklung und Durchführung von
MRE Programmen
Koordinierung von MRE Programmen
Kapazitätenbildung und -förderung für MRE
Ressourcenmobilisierung für MRE
Entwicklung von nationalen und internationalen Richtlinien und Standards für MRE
Rehabilitation und Ausbildung von
Minenopfern
United Nations Development
Programme (UNDP)
Koordinierung (Mine Action und EZ)
Entwicklung integrierter und nachhaltiger
nationaler Mine-Action-Programme
Sozioökonomische Entwicklung
Bildung und Förderung nationaler Kapazitäten
Programmmanagement und
Projektdurchführung
Unterstützung und Beratung von
Programmen
Informationsmanagement
Ressourcenmobilisierung u. -management
Advocacy und Eintreten für Vertragseinhaltung und -umsetzung (Ottawa, CCW
Zusatzprotokolle II & Protokoll V)
United Nations Office for Project
Services (UNOPS)
Projekt- und Programmentwicklung
Projektmanagement
Technische und rechtliche Unterstützung
und Beratung von Programmen
Vermittlung von Fachpersonal
Monitoring und Evaluierung
Bildung und Förderung lokaler Kapazitäten
Ressourcenmobilisierung
Office for the Coordination of
Humanitarian Affairs (OCHA)
Koordinierung humanitärer Maßnahmen
Informationsmanagement
Ressourcenmobilisierung
Office of the United Nations High
Commission for Refugees (UNHCR)
Erhebung und Analyse von Daten und
Informationen
Überwachen der Auswirkungen der
Landminenkontaminierung
Entwicklung und Durchführung von MRE
Programmen, vor allem in Flüchtlingslagern
(in Kooperation mit UNICEF)
Entwicklung von nationalen und internationalen Richtlinien und Standards für MRE
Quelle:
Eigene Zusammenstellung; nach: UN 2005, S. 16-25; UNMAS 2004, S. 4-10; HORWOOD 2000, S. 11f.
Textbox 8: Mine-Action-Aufgabenbereiche ausgewählter UN-Organe
Dieser Überblick zeigt, dass innerhalb der UN die Mine-Action-Aufgabenfelder nicht eindeutig
getrennt und bestimmten Abteilungen zugewiesen werden, sondern sich bereits bei diesen
6 Organen in vielen Aspekten Überschneidungen ergeben. Im sog. United Nations Mine Action
Team sind aber noch weitere UN-Organe vertreten, die allein innerhalb des UN-Systems eine
162
umfassende Koordinierung erforderlich machen.
162
Zu diesem Zweck wurde die sog. Inter-Agency Coordination Group on Mine Action (IACG-MA) eingerichtet. Für die
Koordinierung der UN-Organe mit weiteren Mine-Action-Akteuren wurden spezielle Mechanismen eingerichtet, so
z.B. das Steering Committee on Mine Action für die Abstimmung mit dem ICRC und der ICBL, oder auch das Inter-
57
6 Mine Action
Die Ausführungen über die Entwicklung von Mine Action und über das Beispiel der UN MineAction-Akteure verdeutlichen, dass – gegenüber der Anfangsphase – seit Ende der 90er Jahre
insgesamt eine zunehmende Professionalisierung der Disziplin Mine Action stattgefunden hat,
um – über die Verbesserung und Weiterentwicklung der Arbeitsweisen – vor allem Effizienz
und Kosteneffektivität der Maßnahmen zu steigern (GICHD 2004a, S. 25). In diesem Zusammenhang haben auch sozioökonomische Aspekte, nationale Kapazitätenbildung und in diesem
163
Sinne auch die Nachhaltigkeit von Maßnahmen und Programmen zunehmend an Bedeutung
gewonnen. Diese Aspekte werden im weiteren Verlauf der Arbeit an verschiedenen Stellen
aufgegriffen und vertieft.
Im Rahmen dieser Professionalisierung hat sich weiterhin herausgestellt, dass je nach landesspezifischen Rahmenbedingungen und Postkonfliktstadium unterschiedliche Anforderungen
an Mine-Action-Programme gestellt werden und eine Anpassung an den jeweiligen gesamtgesellschaftlichen Kontext erfordern.
6.4
Phasen eines Mine-Action-Programms
Bewaffnete Konflikte – insbesondere interne bewaffnete Konflikte – führen vor allem in Entwicklungsländern in vielen Fällen zu sog. Complex Emergencies (‚komplexe Notsituationen’;
vgl. DEBIEL 1996b, S. 30), das heißt, zu Situationen, in denen die Legitimität der Staatsmacht in
weiten Teilen des Landes in Frage gestellt wird oder vollständig zusammengebrochen ist, in
denen je nach Gebiet gleichzeitig Frieden und Kriegszustand herrschen kann und in denen die
Zivilbevölkerung und ihr Lebensumfeld zu den primären Angriffszielen der Konfliktparteien
gehören (GICHD/UNDP 2004, S. 17). Ausgehend von einer solchen komplexen Notsituation bis
hin zum Stadium einer stabilen und eigenständigen Entwicklung durchlaufen Postkonfliktgesellschaften vom Zeitpunkt des Friedensschlusses an verschiedene Phasen der Bemühungen
zur (Wieder-)Herstellung eines Landes:
• Phase des offenen Konflikts;
• Phase der humanitären Notsituation unmittelbar nach Konfliktende mit friedensschaffenden und -erhaltenden Maßnahmen sowie mit Humanitärer Hilfe;
• Transformationsphase mit sich wandelndem Schwerpunkt von Stabilisierung zu Wiederaufbau;
• ‚Assistierte Entwicklung’ mit ‚traditioneller’ bi- und multilateraler Entwicklungszusammenarbeit;
• Stabile eigenständige Entwicklung.
Dieser Phasenablauf ist als idealtypische Darstellung zu verstehen – in realen Postkonfliktszenarien sind Start- und Endpunkte der Phasen nicht klar abgrenzbar. Der Konflikt kann
wieder aufflammen und den Übergang in die Wiederaufbau- oder Entwicklungsphase verhindern bzw. verzögern. Die einzelnen Phasen können auch gleichzeitig in verschiedenen Regionen eines Landes nebeneinander existieren und dabei unterschiedliche Dynamiken und In164
tensitäten aufweisen (GICHD/UNDP 2001, S. 18).
Im Übergangsprozess vom Konflikt bis zum Stadium einer stabilen Eigenständigkeit wechseln
die Schwerpunkte je nach Postkonfliktphase von Friedenskonsolidierung über Wiederaufbau
und Förderung friedensfähiger Gesellschaftsstrukturen bis hin zur Entwicklung. Die dabei
zugrunde liegende Dynamik der Transformationsprozesse lässt sich wie folgt beschreiben:
Das soziale, politische und ökonomische Umfeld des Landes und damit auch die Bedürfnisse
der Bevölkerung entwickeln und ändern sich.
• Umfang und Art der internationalen Hilfsmaßnahmen verändern sich entsprechend der
Bedürfnisse und Schwerpunkte.
• Damit verbunden wechseln die internationalen Akteure, deren Zielsetzungen und das
Ausmaß ihrer Einflussnahme auf die Gestaltung der Maßnahmen.
Agency Standing Committee für die Abstimmung mit den Mine-Action-NGOs und dem ICRC. Für detaillierte Informationen zu Aufgabenbereichen und Koordinierung der einzelnen UN Mine-Action-Organe siehe UN 2005.
163
Zum Konzept der Nachhaltigkeit bzw. ‚nachhaltigen Entwicklung’ siehe NOHLEN 1994, S. 642ff.
164
Afghanistan ist ein solches Beispiel. Vgl. Kapitel 10.
58
6 Mine Action
Dies ist der Kontext, in dem Mine Action stattfindet. Planung und Management von MineAction-Programmen müssen auf die sich wandelnden Rahmenbedingungen reagieren und
entsprechend Strategien und Maßnahmen flexibel an die jeweils dominierende Zielsetzung
und die daraus resultierenden neuen Anforderungen angepasst werden. Im Verlauf der Zeit
verlagert sich demnach auch das Hauptaugenmerk von Mine-Action-Maßnahmen zu humanitären Zwecken auf Maßnahmen zum Wiederaufbau und schließlich auf auf Entwicklung ausgerichtete Maßnahmen. Dabei verschiebt sich der Fokus zunehmend von der Makro-Ebene
auf die lokale Ebene (GICHD/UNDP 2004, S. 17ff.; HARPVIKEN et al. 2004, S. 117). Bezogen auf
den Bereich der Minenräumung ergeben sich beispielsweise folgende Veränderungen des
Schwerpunkts: In der Phase der humanitären Notsituation geht es vor allem darum, die unmittelbare Gefährdung der Bevölkerung abzubauen. Eine entsprechende Mine-Action-Maßnahme
ist in diesem Zusammenhang z.B. die Räumung von Straßen und Flächen für die Öffnung sicherer Durchgangswege, um die Rückkehr und Versorgung von Flüchtlingen zu ermöglichen.
Wesentliches Ziel der Transformationsphase ist der (Wieder-)Aufbau der nationalen Ökonomie, wofür die Wiederherstellung der Grundinfrastruktur erforderlich ist. Daher konzentrieren sich Mine-Action-Maßnahmen für den Wiederaufbau auf die Räumung des Transportsystems sowie auf die Räumung landwirtschaftlicher und industrieller Flächen. In der Phase der
Entwicklung liegt der Schwerpunkt der Mine-Action-Aktivitäten auf der lokalen Ebene, wobei
es darum geht, lokale Entwicklung zu fördern, die über die bloße Absicherung der Subsistenzwirtschaft hinausgeht, indem die Mine-Action-Maßnahmen beispielsweise den Aufbau
lokaler Wirtschaftskreisläufe ermöglichen und unterstützen. Wie Tabelle 3 zu entnehmen ist,
ändert sich auch im Rahmen der anderen Mine-Action-Komponenten im Verlauf der Zeit der
Fokus der Maßnahmen und Strategien.
Ein wichtiges Element innerhalb des Mine-Action-Konzepts, das im Verlauf der Postkonfliktphasen zunehmend an Bedeutung gewinnt, ist der Aufbau und die Förderung nationaler Kapazitäten. Dies umfasst unter anderem die Ausbildung und Förderung nationalen Personals
– unter anderem durch Training und Fortbildungen, aber auch Sammeln von Erfahrungen
durch praktisches Arbeiten, die Verbesserung der materiellen und technischen Ausstattung
und die Einführung effizienterer organisatorischer Managementsysteme (GICHD/UNDP 2004,
S. 18). Im Hinblick auf Nachhaltigkeit und Eigenständigkeit, sowie unter Berücksichtigung der
Langfristigkeit der Landminenproblematik, ist es wichtig, dass Planung und Management nationaler Mine-Action-Programme nicht ausschließlich von außen gesteuert, sondern progressiv an nationale Akteure übergeben wird, damit auch nach Abzug der internationalen Organisationen der Fortbestand des Programms gesichert ist.
59
60
Tab. 3: Die Verlagerung der Mine-Action-Schwerpunkte im Verlauf der Postkonfliktphasen
Schwerpunkt von Mine Action
Ziel
Phase 1
Offener Konflikt
Aktive Kampfhandlungen
& Mineneinsatz
Phase 2
Humanitäre Notsituation
Friedensverhandlungen/
Konfliktende
Phase 3
Transformation
Politische Stabilisierung
& Wiederaufbau
Phase 4
Assistierte Entwicklung
multi- & bilaterale
EZ
Phase 5
Stabile Eigenständigkeit
Eigenständige
Entwicklung
Humanitäre Hilfe
Abmilderung der humanitären
(Wieder-)Aufbau der nationalen
evt. internationale Intervention
Notsituation
Ökonomie & Infrastruktur;
& Einsatz von Friedenstruppen Vertrauensbildung und
Wiederherstellung des Lebensumfeldes
Friedenserhaltung
(Sicherung der Grundbedürfnisbefriedigung)
[Konflikt-strategische
MA zur Unterstützung von
Minenräumung durch
humanitären & friedensschaffenden/
Konfliktparteien]
-erhaltenden Maßnahmen:
Armutsbekämpfung;
‚Empowernment’,
Hilfe zur Selbsthilfe
Entwicklung
Begrenzte Minenräumung für
Sicherheit von humanitären
(& evt. friedensschaffenden)
Maßnahmen (Nahrungsmittelkonvois, temporäre Ansiedlung
von Flüchtlingen / IDPs)
Minenräumung für Öffnung sicherer
Durchgangswege:
Straßen & Flächen für
Rückkehr & Versorgung von
Flüchtlingen / für Humanitäre Hilfe
Minenräumung:
Straßen, Brücken, Eisenbahnlinien
(Wiederaufbau der nationalen Grundinfrastruktur);
landwirtschaftliche Flächen;
lokale Grundinfrastruktur
Minenräumung:
Flächen & Infrastruktur,
die für regionale & lokale
Wirtschaftskreisläufe
benötigt werden
Minenräumung:
Verminte Gebiete mit
hohen & mittleren Auswirkungen
sind geräumt,
Land ist für produktiven
Gebrauch verfügbar;
Gebiete mit geringeren Auswirkungen werden bei Bedarf geräumt
Begrenzt MRE,
v.a. in Flüchtlings-Camps
MRE für Flüchtlinge
& Rückkehrer
MRE vor allem für stark gefährdete
Bevölkerungsgruppen (Schwerpunkt:
risikovermeidene Verhaltensänderung)
Ausgeweitete MRE
(z.B. Integration in
den Schulunterricht)
MRE ist institutionalisiert
Medizinische Notfallversorgung
der Kriegsopfer & begrenzte Hilfe
(Prothesen, Rehabilitationsmaßnahmen)
Victim Assistance in Form
von Notfallversorgung & begrenzter
Hilfe (Prothesen, Rehabilitationsmaßnahmen)
Umfassendere Victim Assistance
(medizinische Grundversorgung,
physische Rehabilitation)
Victim Assistance
mit Schwerpunkt
soziale & ökonomische
Reintegration
Victim Assistance
vollständig integriert in nationales
Gesundheitswesen;
Victim Assistance mit Schwerpunkt
soziale & ökon. Reintegration
Kapazitätenbildung & -förderung zum Aufbau
nationaler MA Strukturen
Ausbau & Förderung nationaler
Kapazitäten
Nationale MA Kapazitäten
voll funktionsfähig
Stockpile Destruction
Aufbau des nationalen MA Programms
& Entwicklung eines nationalen Strategieplans;
Koordinierung v.a. durch UN / internationale
Organisationen in Kooperation mit
nationalen MA Autoritäten
Progressive Übergabe von
Koordinierung / Verantwortung
an nationale MA Autoritäten mit
Beratung durch UN /
internationale Organisationen
Eigenständige nationale
Koordinierung & Verantwortung
Koordination
Durchführung einer nationalen Studie zur
Abschätzung der Auswirkungen durch Landminen
Koordinierung v.a. durch UN bzw.
internationale Organisationen
Quelle: Eigene Zusammenstellung (nach GICHD/UNDP 2001, S. 16-21; GICHD/UNDP 2002, S. 13).
6 Mine Action
Der Übergang von der humanitären Notsituation zur Transformationsphase und damit die
Verlagerung des Schwerpunktes auf den Wiederaufbau bedeutet nicht, dass Mine-ActionMaßnahmen für humanitäre Zwecke eingestellt werden, vielmehr werden die verschiedenen
Mine-Action-Aktivitäten über weite Strecken des Programmverlaufs parallel durchgeführt
(GICHD/UNDP 2004, S. 18). Lediglich der relative Anteil der spezifischen Maßnahmen am Gesamtumfang des Programms und damit auch die jeweilige Zuteilung der finanziellen Ressourcen ändert sich im Verlauf der Zeit, wie in Abbildung 13 dargestellt wird.
Abb. 13: Die Stadien eines Mine-Action-Programms (Modell)
(GICHD/UNDP 2004, S. 19, leicht verändert und übersetzt)
Der Abbildung ist zu entnehmen, dass, erst wenn die humanitäre Notlage überwunden ist,
Mine Action zur Unterstützung des Wiederaufbaus einsetzt, in die dann während der Transformationsphase ein Großteil der finanziellen Ressourcen fließt. Mit zunehmender Stabilisierung des Staates beginnen Mine-Action-Aktivitäten, welche die sozioökonomische Entwicklung des Landes fördern und zur Reduzierung der Armut beitragen sollen und deren relativer
Anteil am gesamten Programm in dessen weiterem Verlauf ansteigt. Mine Action für humanitäre Zwecke zielt in erster Linie auf die Reduzierung des Risikos von Unfällen ab und wird
demnach bis zur erfolgreichen Minimierung des Risikos in allen Postkonfliktphasen durchgeführt.
Der in der Abbildung enthaltene Bereich ‚Mine Action für interne Sicherheit’ beinhaltet die zur
Sicherung von friedensschaffenden bzw. friedenserhaltenden Missionen sowie von Humanitärer Hilfe benötigten Maßnahmen und ist auf einen kürzeren Zeitraum begrenzt.
Bei Anwendung dieses Modells auf ein konkretes Länderbeispiel wird das entstehende Bild
von dieser idealtypischen Darstellung abweichen, da – je nach Art und Ausmaß der Konfliktfolgen – der Bedarf an humanitären Maßnahmen oder Anstrengungen für den Wiederaufbau
und der dafür benötigte Zeitrahmen abhängig vom landesspezifischen Kontext unterschiedlich
ausfällt.
Das dargestellte breite Spektrum von Mine-Action-Aufgaben und Akteuren, die komplexen,
sich wandelnden Rahmenbedingungen sowie die damit verbundenen Schwerpunktverlagerungen verdeutlichen die Komplexität der Landminenproblematik, auf die die Mine-ActionPlanung mit der Entwicklung von angepassten Strategien reagieren muss.
61
7 Planung und Prioritätensetzung in Mine-Action-Programmen
7
Planung und Prioritätensetzung
in Mine-Action-Programmen
Im Rahmen der Strategieentwicklung für Mine-Action-Programme ergibt sich vor dem Hintergrund begrenzter, zur Verfügung stehender finanzieller Ressourcen sowie der Vielfalt an
sozioökonomischen Auswirkungen, die mit unterschiedlicher Dringlichkeit an Handlungsbedarf verbunden sind, die Notwendigkeit einer angemessenen Prioritätensetzung. Diese muss
auf einer verlässlichen und ausreichenden Informations- und Datengrundlage basieren und
verschiedene relevante Faktoren berücksichtigen, um das dem Mine-Action-Konzept zugrunde
liegende Ziel der langfristigen und nachhaltigen Reduzierung bzw. Minimierung der vielfältigen und weit reichenden sozioökonomischen Auswirkungen einer Landminenkontaminierung
auf die betroffene Bevölkerung zu erreichen.
7.1
Der Paradigmenwandel im Mine-Action-Konzept
und Konsequenzen für die Planung
Obwohl sich Mine Action aus der Erkenntnis entwickelt hat, dass Landminen ein humanitäres
– also ein für die betroffene Bevölkerung lebensbedrohliches – Problem darstellen, waren die
Maßnahmen zu Beginn mehr auf die Minen als auf die Menschen fokussiert. Das zeigte sich
daran, dass der Erfolg von Programmen und Projekten anhand quantitativ messbarer Resultate
beurteilt wurde: In der Minenräumung an der Anzahl der geräumten Minen bzw. an der Quadratmeterzahl der geräumten Flächen, im Bereich Victim Assistance an der Zahl der verteilten
und angepassten Prothesen und hinsichtlich MRE an der Zahl der stattgefundenen ‚Schulungen’ (GICHD/UNDP 2004, S. 44). Diese Orientierung an messbaren Ergebnissen, die sog. Output-Orientierung (HARPVIKEN et al. 2004, S. 115), in der die Maßnahmen auf die am stärksten
verminten Gebiete konzentriert wurden, hat z.B. dazu geführt, dass Flächen geräumt wurden,
165
die im Anschluss an die Räumung kein Nutzungspotenzial aufwiesen, so dass unnötig Ressourcen aufgewendet worden waren und sich die Lebensbedingungen der betroffenen Bevölkerung nicht oder nur unwesentlich verbessert hatten. Außerdem wurde immer wieder die
Erfahrung gemacht, dass in vielen Fällen bereits das Vorhandensein weniger Minen ausreichte, um den betroffenen Menschen durch eine Zugangsblockade die Lebensgrundlage zu entziehen. Daher fand nach und nach ein Umdenken statt:
“Mines are first and foremost a humanitarian concern. […] The landmine problem
needs to be redefined and understood in terms of reducing the vulnerability of people
who are directly affected“
(EATON et al. 1997, o.S.).
Diese Erkenntnis ist repräsentativ für den seit Ende der 90er Jahre stattfindenden Paradigmenwechsel und kam im UN Mine-Action-Programm von 1998 wie folgt zum Ausdruck:
"[Mine Action]…is not so much about mines as it is about people and their interactions with a mine-infested environment"
(UN 1998, S. 3).
Im gleichen Zeitraum entstanden auch die sog. ‚Bad Honnefer Richtlinien’ für Mine-Action166
Programme, welche den Erfolg von Mine Action an der nachhaltigen Verbesserung der
165
Entweder weil aufgrund vorhandener Alternativen diese Fläche nicht benötigt wurde, oder weil unangepasste maschinelle Räumtechniken angewandt wurden, die den Boden für eine landwirtschaftliche Nutzung unbrauchbar gemacht haben (Zerstörung der Humusschicht). Vielfach wurden auch Flächen geräumt, die aufgrund ihrer Bodenbeschaffenheit von vornherein keinerlei Nutzungspotenzial aufwiesen. Letzteres war z.B. in Angola der Fall, wo 1997
durch eine NGO eine große Fläche geräumt wurde, die nach wie vor nicht genutzt wird (Stand 2003), und nur deshalb
für die Räumung gewählt worden war, weil sich dort bekannterweise Minen befanden (GOSLIN 2004, S. 150).
166
Das ‚BAD HONNEFER KONZEPT – Minenaktionsprogramme aus entwicklungspolitischer Sicht’ wurde 1997 von verschiedenen Mine-Action-NGOs entworfen und enthält kritische Richtlinien für Mine-Action-Programme mit 3 zentralen Dimensionen: 1) Partizipation – angemessene Teilhabe der betroffenen Bevölkerung an der Entwicklung der Programme; 2) Kohärenz – Einbettung von Mine Action zwischen reinen Nothilfemaßnahmen und langfristigen Entwicklungsprogrammen; 3) Solidarität – Vermeidung neuer Abhängigkeiten (MANN/MASLEN 2005, S. 184).
62
7 Planung und Prioritätensetzung in Mine-Action-Programmen
Lebensumstände der von Minen betroffenen Bevölkerung festmachen (BAD HONNEFER KONZEPT
1999, S. 3).
Mine Action hat sich also weiterentwickelt von dem ursprünglichen sog. Mine-Centred-Ansatz
zu einem Konzept, in dem die Menschen im Zentrum der Aufmerksamkeit stehen (sog. PeopleCentred-Ansatz). In diesem geht es darum, ein Verständnis davon zu entwickeln, welche Auswirkungen die verminten Gebiete auf die betroffene Bevölkerung und ihr Lebensumfeld haben (FILIPPINO/PATERSON 2005, S.23).
7.1.1
Die Zunahme der Bedeutung sozioökonomischer Faktoren
“There must be greater emphasis on social and economic
issues and on the development of indigenous
capabilities which are sustainable”
(EATON et al. 1997, o.S.).
Um Todesfälle und Leiden durch Minen zu reduzieren, genügt es nicht, den Fokus allein auf
Landminen zu lenken, die ein unmittelbares Risiko für einen Unfall darstellen, sondern vielmehr müssen vor allem die indirekten Auswirkungen erfasst werden, denn diese können z.B.
zu anhaltender Mangelernährung bzw. Hungersnöten oder auch zur Ausbreitung von Infektionskrankheiten führen, weil aufgrund von Landminenkontaminierung isolierte Gebiete nicht
mit öffentlichen Gesundheitsdiensten versorgt werden können (GICHD/UNDP 2002, S. 11).
Diese neue Orientierung an den Auswirkungen, auch als Impact-Orientierung bezeichnet
(HARPVIKEN et al. 2004, S. 115), impliziert eine veränderte Herangehensweise an die Planung
und Durchführung von Mine-Action-Programmen.
Eine nachhaltige Verbesserung der Lebensumstände – das Kernziel von Mine Action –
erfordert eine Verbindung von zweierlei Anforderungsdimensionen:
• Effizienz, das heißt ‚etwas richtig tun’ und
• Effektivität, im Sinne von ‚das Richtige tun’.
Dabei muss ein ausbalanciertes Verhältnis von Effizienz und Effektivität zueinander angestrebt werden, damit ‚das Richtige richtig’ getan werden kann (SEKKENES 2003, S. 30). Effizienz
hieße z.B. die möglichst hundertprozentige Räumung einer Fläche unter Einhaltung der
Sicherheitsstandards und anschließender Qualitätssicherung der geleisteten Arbeit. Wenn jedoch diese Fläche kein Nutzungspotenzial aufweist (beispielsweise ein landwirtschaftlich unbrauchbarer Boden), wurde bei der Räumung der Aspekt der Effektivität vernachlässigt. Mit
anderen Worten: Die effiziente Erledigung einer sinnlosen Aufgabe ist eine Verschwendung
von Ressourcen (GICHD/UNDP 2001, S. 74).
‚Das Richtige tun’ impliziert die Auswahl der Communities, die durch die Landminenkontaminierung einem hohen Risiko ausgesetzt und in hohem Maße von sozioökonomischen Auswirkungen betroffen sind. Innerhalb dieser betroffenen Gemeinschaften gilt es, solche verminten
Gebiete zur Räumung auszuwählen, die in höchstem Maße zu diesen Auswirkungen beitragen
(während es gegebenenfalls ausreicht, die verbleibenden verminten Gebiete zu markieren).
Dadurch soll gewährleistet werden, dass zunächst diejenigen Maßnahmen durchgeführt werden, die den größtmöglichen Beitrag zur Reduzierung des Risikos und der negativen sozioökonomischen Folgen der Landminenkontaminierung leisten und damit die Entwicklung fördern.
Es geht also darum, innerhalb der anstehenden Aufgaben angemessene Prioritäten zu setzen.
Um sinnvolle Prioritäten setzen zu können, reicht es demnach nicht aus, die Anzahl und Lage
der Minenfelder, die das Leben der betroffenen Menschen beeinträchtigen, zu erfassen, sondern es müssen umfassende Kenntnisse über die sozioökonomischen Auswirkungen der
Landminenproblematik im jeweiligen landes- bzw. lokalspezifischen Kontext gewonnen werden. Dies beinhaltet neben der Einschätzung der Auswirkungen der Landminenkontaminierung auch eine Einschätzung der Auswirkungen von Mine-Action-Maßnahmen.
63
7 Planung und Prioritätensetzung in Mine-Action-Programmen
Folglich gilt es, unter anderem folgende Fragen zu klären:
• Auf welche Weise beeinflusst ein bestimmtes Minenfeld das Leben der betroffenen Bevölkerung?
–
Ist der Zugang zu sauberem Trinkwasser, zu landwirtschaftlichen Flächen etc. blockiert? (Vgl. Abbildung 10 in Kapitel 6.1)
–
Sind Menschen durch Unfälle mit Landminen zu Schaden gekommen?
–
Weist die betroffene Bevölkerung eine hohe Tendenz zu einem erzwungenen risikobereiten Verhalten (Risk-Taking-Behaviour) auf, oder hat sie ‚sichere’ Alternativen
entwickelt?
• Auf welche Weise beeinflussen konkrete Maßnahmen das Leben der betroffenen Bevölkerung?
–
Wie viele Menschen profitieren von den Maßnahmen?
–
In welcher Weise profitieren sie von den Maßnahmen (Sicherung der Grundversorgung, Schaffen von Einkommensquellen, etc.)?
–
Welchen Beitrag leisten die Maßnahmen zur Entwicklung?
In diesem Zusammenhang muss bedacht werden, dass die Durchführung von Hilfsmaßnahmen nicht zwangsläufig zu positiven Resultaten führt, sondern auch negative Auswirkungen
haben kann. So führte z.B. in Angola eine Minenräummaßnahme, die zur Rückführung einer
Flüchtlingsgruppe in ihr Heimatdorf durchgeführt wurde, dazu, dass eine andere Gruppe, die
sich während des Krieges dort niedergelassen hatte, zum Umzug gezwungen wurde, wodurch
erneutes Konfliktpotenzial entstand (HARPVIKEN et al 2004, S. 116). Beispiele wie diese zeigen,
dass es wichtig ist, bereits bei der Planung mögliche negative Folgen der Maßnahmen zu berücksichtigen und soweit wie möglich auszuschließen. Dieser Gedanke wird in dem von Mary
B. ANDERSON entwickelten und in der Diskussion der internationalen Zusammenarbeit mittlerweile etablierten Do-No-Harm-Konzept aufgegriffen, welches darauf hinweist, dass ein umfassendes Verständnis der spezifischen Situation und des Umfeldes erforderlich ist, um Folgen
167
dieser Art zu vermeiden (MILLARD/HARPVIKEN 2001, S. 3).
Festzuhalten ist, dass der Schlüssel zu einer verbesserten Effektivität und zu einer angemessenen Prioritätensetzung von Mine-Action-Programmen in hohem Maße in der Ausweitung der
Kenntnisse über die sozioökonomischen Strukturen einer von Minen betroffenen Community
liegt. Eine Auswahl an dafür grundlegenden Erschließungsfragen ist Textbox 9 zu entnehmen.
Voraussetzung für effektive Planung und Durchführung von Mine-Action-Programmen ist
demnach die Verfügbarkeit von relevanten Daten und Informationen. Weil insbesondere in
Entwicklungsländern, die jahrelang Schauplatz von Konflikten waren und in deren Folge die
Administrationsstrukturen in desolatem Zustand oder zerstört sind, häufig ein Informationsvakuum bezüglich Daten herrscht, die für Mine Action und andere humanitäre Maßnahmen
168
relevant sind (HORWOOD 2000, S. 27), liegt es in der Verantwortung des Mine-ActionManagements, dieses Vakuum zu füllen. Daher macht Informationsmanagement einen großen
Teilbereich von Mine Action aus (GICHD/UNDP 2004, S. 3).
Wie das Informationsmanagement umgesetzt wird, welche Instrumente und Methoden Anwendung finden und in welcher Form sozioökonomische Faktoren dabei einbezogen werden,
wird in Kapitel 8 erläutert.
167
Das Do-No-Harm-Konzept basiert auf der Grundannahme, dass Hilfemaßnahmen das Potenzial aufweisen, mehr
Schaden als positiven Nutzen zu verursachen. Das Leisten von Hilfe führt nicht zwangsläufig zu einer Verbesserung
der Lebenssituation des Hilfeempfängers, die negativen Folgen können im Gegenteil sogar den Nutzen überwiegen.
Negative Nebeneffekte von Hilfemaßnahmen sind nicht selten und sollten, soweit möglich, minimiert werden
(MILLARD/HARPVIKEN 2001, S. 3).
168
Das betrifft vor allem demographische Daten, Angaben über Flüchtlinge oder IDPs, und sozioökonomische Daten
sowie für Mine Action relevante Informationen insgesamt (BOHLE 2005: INT).
64
7 Planung und Prioritätensetzung in Mine-Action-Programmen
Fragen zur Erfassung der
sozioökonomischen Grundstrukturen einer lokalen Gesellschaft
Welche gesellschaftlichen Strukturen herrschen vor (Haushalt, Clan, Gemeinden, ethnische Gruppierungen, etc.)?
Wie kommen Haushalte ihrer Grundversorgung nach? Zu welchen Ressourcen benötigen sie – für
eine unabhängige Aufrechterhaltung ihres Lebensunterhaltes – Zugang?
Welchen Risiken sind sie hauptsächlich ausgesetzt, und welche Strategien nutzen sie, um mit ungünstigen Umständen umzugehen?
Sind die Haushalte der lokalen Gemeinschaft hinsichtlich Wohlstand und Status relativ ausgeglichen oder gibt es große Unterschiede?
Ist die Gesellschaft homogen oder existieren ausgeprägte ethnische, linguistische oder religiöse
Trennlinien?
Welche häuslichen und wirtschaftlichen Aufgaben werden ausschließlich von Frauen erledigt?
Existieren wichtige (Handels-)Austauschbeziehungen innerhalb und zwischen Regionen oder
zwischen ländlichen und städtischen Gemeinden? Besteht eine Anbindung an den Weltmarkt?
Kann der Staat die Grundversorgung seiner Bürger mit öffentlichen Leistungen gewähr-leisten?
Quelle: GICHD/UNDP 2001, S. 15.
Textbox 9: Fragen zur Erfassung der sozioökonomischen Grundstrukturen einer lokalen
Gesellschaft
7.1.2
Von ‚mine-free’ zu ‚mine impact-free’
Die Ottawa-Konvention verpflichtet ihre Mitgliedstaaten in Artikel 5 Absatz 1 dazu, innerhalb
von 10 Jahren die Vernichtung aller auf ihrem Territorium befindlichen Personenminen
sicherzustellen, um damit das Ziel einer minenfreien Welt zu erreichen. Mit zunehmender
Annäherung an den Ablauf dieser Frist für viele Länder hat sich – aufgrund der gesammelten
Erfahrungen und der inzwischen verbesserten Informationslage bezüglich des Problemausmaßes – herausgestellt, dass dieses Ziel in den meisten Fällen trotz aller Bemühungen inner169
halb der Frist, und auch lange darüber hinaus, nicht erfüllt werden kann. In diesem Zusammenhang hat sich die Diskussion entwickelt, ob das Ziel einer minenfreien Welt zum einen
170
angemessen und zum anderen realisierbar ist. Die Frage der Angemessenheit stellt sich vor
allem angesichts der insgesamt begrenzten Ressourcen für Maßnahmen der Humanitären Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit und einer Vielzahl weiterer schwerwiegender und drängender globaler Probleme wie z.B. HIV/AIDS, Naturkatastrophen, Malaria, Armut und Hungersnöte. Hinsichtlich der Realisierbarkeit werden verschiedenste Einwände vorgebracht:
• Selbst in Europa werden über 60 Jahre nach Kriegsende kontinuierlich explosive Kampfmittelrückstände aus dem Zweiten Weltkrieg gefunden (vgl. Länderberichte im „Landmine
171
Monitor Report“). Dies belegt die Schwierigkeit, alle explosiven Kampfmittelrückstände
ausfindig zu machen, was für Entwicklungsländer aufgrund ihrer Rahmenbedingungen
(schwache Infrastruktur, geringer Organisationsgrad) und wegen der Art der Kriegsführung (Guerillakriege, irreguläre Truppen) und dem damit verbundenen Waffeneinsatz
(keinerlei Dokumentation) in besonderem Maße gilt.
• In den internationalen Standards für die Humanitäre Minenräumung wird die Beseitigung
von Landminen nur bis zu einer bestimmten Bodentiefe vorgeschrieben (UNMAS 2003b,
S. 2f.). Diese Vorschrift wird dadurch begründet, dass Landminen – je nach Bodenbeschaffenheit – ab einer gewissen Tiefe im Boden kein Unfallrisiko mehr darstellen und daher
169
Zum Fortschritt der einzelnen Länder vgl. ICBL 1999 bis 2005 („Landmine Monitor Report“) oder die Artikel-7Berichte der Ottawa-Mitgliedsstaaten (einsehbar unter: http://disarmament.un.org/MineBan.nsf).
170
In Bosnien Herzegowina beispielsweise würde die vollständige Räumung unter Beibehaltung der aktuellen Räumrate von 5,3 km² pro Jahr und einer vermutlich verminten Fläche von insgesamt 2130 km² ca. 400 Jahre dauern (EATON
2004, S. 145).
171
In Nordrheinwestfalen wurden im Jahr 2003 beispielsweise 150 Tonnen UXO zerstört, im Vorjahr wurden mehr als
1.000 Stück UXO gefunden und zerstört. Auch in Deutschland passieren gelegentlich Minenunfälle, im Jahr 2001 wurden sogar auf Landminen zurückzuführende Todesfälle gemeldet (ICBL 2004, S. 459). Dänemark deklarierte sich 1995
selbst als ein von Minen betroffenes Land, da in Westjütland in Folge der starken Verminung während des Zweiten
Weltkrieges weiterhin verminte Gebiete vorhanden sind (ICBL 2004, S. 390).
65
7 Planung und Prioritätensetzung in Mine-Action-Programmen
eine Räumung aus technischen, finanziellen und ökologischen Gründen nicht angemessen
172
ist. Tiefer gelegene Minen verbleiben folglich im Boden.
• Solange weiterhin Landminen mit personenminenähnlicher Wirkung produziert und eingesetzt werden (auch seitens der Ottawa-Mitgliedsstaaten: z.B. sog. Intelligente Minen,
Fahrzeugminen und auch Streubomben), bleibt das Ziel einer minenfreien Welt utopisch.
Aus den genannten Gründen setzt sich zunehmend die Auffassung durch, dass das Erreichen
einer Welt, die frei von den durch Landminen verursachten Auswirkungen (Mine Impact-Free)
ist, als primäres Ziel angemessener und vertretbarer sei. Entsprechend wurden auch Vorschläge für eine diesbezügliche Änderung des betreffenden Ottawa-Artikels geäußert (vgl.
KEELEY 2005, S. 40f.). Mögliche Kriterien, die den Zustand ‚frei von durch Landminen verursachten Auswirkungen’ bzw. Mine Impact-Free beschreiben, sind in Textbox 10 zusammengestellt.
Mögliche Definition von ‚mine impact-free’
Die verbleibenden Minen haben keinerlei negative sozioökonomische Auswirkungen auf die Bevölkerung.
Alle verminten Gebiete mit hoher und mittlerer Prioritätseinstufung sind geräumt und andere Gebiete mit niedrigerer Prioritätseinstufung wurden erfasst und dauerhaft markiert.
Die Anzahl von neuen Minenunfällen ist erheblich gesunken; hinreichende Berichterstattung über
Unfälle und Führung von Unfall- und Opferdatenbanken, medizinische Versorgung und Rehabilitationsmaßnahmen werden durch öffentliche Gesundheitsdienste bzw. -einrichtungen (auch auf Gemeindeebene) geleistet.
Mine Risk Education ist für jeden verfügbar über Schul-, Gesundheits- oder andere Bildungsprogramme und über die Führungspersonen der Gemeinden bzw. Gemeinschaften.
Nationale Gesetze zum Verbot von Herstellung, Verkauf oder Einsatz von Landminen wurden verabschiedet und sind in Kraft getreten. Alle existierenden Landminenlagerbestände sind zerstört worden.
Mine Action ist integriert in die nationalen Entwicklungspläne.
Quelle: Eigene Zusammenstellung nach GICHD 2004b, S. 196; GICHD 2004d, S. 17; UNMAS 2003a,
Definition 3.115.
Textbox 10: Mögliche Definition von ‚Mine Impact-Free’
Die in der Zwischenzeit durchgeführten Studien zu sozioökonomischen Auswirkungen von
Landminen kamen zu dem Ergebnis, dass Unfälle und sozioökonomische Verluste nur auf
einen geringen Anteil der erfassten Minenfelder zurückzuführen sind. Daher ist es sinnvoll,
die Bemühungen und finanziellen Ressourcen auf diese Gebiete zu konzentrieren, statt mit
hohem zeitlichen und finanziellen Aufwand auch noch die Räumung der letzten Mine in abgelegenen und unbewohnten Gegenden anzustreben und dabei das Leben der Minenräumer
unnötig zu riskieren (KIDD 2004, S.2). Ein solcher Ansatz ist einleuchtend, vor allem vor dem
Hintergrund, dass die von den bi- und multilateralen Gebern für Mine Action zur Verfügung
gestellten Ressourcen für eine vollständige Beseitigung aller Minen nicht ausreichen. Darüber
hinaus kann insbesondere von einem Entwicklungsland, das mit Problemen wie Wiederaufbau, Armutsbekämpfung und ähnlichem belastet ist, nicht eingefordert oder erwartet werden,
seine äußerst begrenzten Mittel dafür aufzuwenden (KIDD 2005, S. 102).
Es gibt jedoch auch Einwände gegen diesen Ansatz, die ihm eine statische Sichtweise vorwerfen, da mögliche Migrationsbewegungen von Menschen außer Acht gelassen werden. Ein Beispiel wäre, dass Menschen durch eine Naturkatastrophe oder einen Bürgerkrieg zur Flucht
gezwungen werden und dabei in verminte Gebiete gelangen können, deren Verminung zuvor
172
Dadurch ist eine hundertprozentige Räumung im eigentlichen Sinne nicht gewährleistet. Die Gefahr dabei ist, dass
aufgrund von Überschwemmungen, Bodenbewegungen bzw. Erosionsvorgängen oder Verwehungen Minen zu einem
späteren Zeitpunkt wieder an die Oberfläche gelangen können und folglich erneut ein Risiko für die Menschen darstellen. Auch kann eine Änderung der Flächennutzung im Zuge der Entwicklung eines Landes diesbezüglich Konsequenzen haben. Für landwirtschaftlich genutzte Flächen stellen Minen, die sich tiefer im Boden befinden, in der Regel
keine Gefahr dar. Dies ändert sich jedoch, sobald für diese Fläche Projekte wie Straßen- oder Häuserbau geplant werden (RHODES 2005, S. 95).
66
7 Planung und Prioritätensetzung in Mine-Action-Programmen
keinerlei sozioökonomische Auswirkungen verursacht hat. Ereignisse wie diese sind meist nur
schwer vorhersagbar und können sehr plötzlich eintreten (KONGSTAD 2005, S. 2). Die Einstufung eines Gebietes oder eines ganzen Landes als ‚frei von durch Landminen verursachten
Auswirkungen’ darf also nicht so gedeutet werden, dass die dortige Landminenproblematik für
173
immer gelöst ist und auf eine weitere Räumung verzichtet werden kann.
Eine permanente Sicherheit bzw. eine vollständige Beseitigung der Auswirkungen kann nur
durch den Zustand ‚minenfrei’ gewährleistet werden. Die vorläufige Konzentration auf die
Minimierung der Auswirkungen ist aber ein pragmatischer Ansatz, der sich aufgrund der genannten technischen und finanziellen Grenzen rechtfertigen lässt, und der die Wichtigkeit
einer gewissenhaften Prioritätensetzung hinsichtlich der durchzuführenden Maßnahmen hervorhebt. Das langfristige Ziel einer minenfreien Welt sollte dennoch nicht aus den Augen verloren werden, und wird in gewissem Maße über den Aufbau nationaler Mine-ActionKapazitäten auch weiterhin verfolgt, da diese nach Ende der internationalen Maßnahmen die
Problemlösung im jeweiligen Land bedarfsgesteuert weiterführen können.
7.2
Aufbau eines nationalen Mine-Action-Programms
Es sind bereits verschiedene Aspekte bezüglich Management, Planung und Durchführung von
Mine-Action-Programmen sowie einer erforderlichen, angemessenen Prioritätensetzung angesprochen worden. Indem der Aufbau eines nationalen Mine-Action-Programms und die Zusammensetzung der Akteursstrukturen unter Zuordnung der verschiedenen Funktionen und
Tätigkeitsbereiche vorgestellt werden, soll verdeutlicht werden, welche Akteure auf nationaler
Ebene an der Prioritätensetzung beteiligt sind und welche Aspekte dabei hinsichtlich der unterschiedlichen Akteure berücksichtigt werden müssen.
Die allgemeine Verantwortung für Mine Action liegt bei den Regierungen der jeweiligen Länder. Den Regierungen wird seitens der internationalen Mine-Action-Gemeinschaft dringend
angeraten, eine Gesetzgebung über die Regulierung und Koordinierung von Mine Action anzunehmen, um die Effizienz und Effektivität des Programms zu unterstützen und zu fördern.
Gleichzeitig stärkt eine Mine-Action-Gesetzgebung das Vertrauen in die Regierung insofern,
als sie damit beweist, dass sie die Verantwortung für die Lösung der Landminenproblematik
übernimmt und auch ernst nimmt. Derartige Gesetze können daher auch positive Auswirkungen für die Mobilisierung finanzieller Ressourcen und für die Bereitstellung von Hilfe durch
internationale Mine-Action-Organisationen und Akteure haben (GICHD 2003a, S. 5f.).
Basierend auf den Erfahrungen mit nationalen Mine-Action-Programmen und aus entsprechenden Evaluierungen haben die UN ein Modell für den Aufbau der nationalen Mine-ActionStrukturen entworfen, um die Koordinierung eines Programms zu verbessern. Dieser Entwurf,
der auf den 2 Hauptkoordinierungsmechanismen
• Nationale Mine-Action-Behörde (National Mine Action Authority, NMAA) und
• Mine Action Centre (MAC)
beruht, wurde in den IMAS aufgenommen und hat sich mittlerweile in verschiedenen nationalen Mine-Action-Programmen (zum Teil mit signifikanten Abweichungen) etabliert (MANS174
FIELD 2005, S. 214f.).
Ihre Einrichtung, Zusammensetzung und ihre grundsätzlichen Funktionen sollen durch eine
nationale Gesetzgebung über Mine Action beschlossen werden, um diesen Institutionen ein
klares Mandat für die Gestaltung des nationalen Mine-Action-Programms zuzuweisen. Außerdem soll festgelegt werden, an welches Ministerium die Verantwortung für die nationale Mine173
So wird z.B. dem Minengürtel an der Grenze von Mozambique zu Zimbabwe eine niedrige Prioritätsstufe bzgl.
Mine-Action-Maßnahmen zugeordnet (vgl. CIDC 2001, S. 13), weil dieses Gebiet kaum bzw. nur sehr dünn besiedelt
ist. Der Ausbruch eines Bürgerkriegs in Zimbabwe, der aufgrund der instabilen politischen Lage in diesem Land nicht
auszuschließen ist, würde Flüchtlingsströme nach Mozambique verursachen, wodurch die Landminenkontaminierung
des Grenzgebietes innerhalb kürzester Zeit weit reichende Auswirkungen zu Folge hätte und das Unfallrisiko stark
anstiege.
174
In verschiedenen Ländern hat sich dieses Modell noch nicht vollständig durchgesetzt, so dass häufig nur der eine
oder der andere Koordinierungsmechanismus eingerichtet wurde. Verschiedene Beispiele hierzu sind im Landmine
Monitor Report 2005 (ICBL 2005b), S. 33 zu finden.
67
7 Planung und Prioritätensetzung in Mine-Action-Programmen
Action-Behörde übertragen wird, und das Mine Action Centre zum ausführenden Koordinierungsmechanismus für Mine Action ernannt werden. Durch die konkreten Bestimmungen in
der Gesetzgebung soll Klarheit, Kohärenz und Transparenz gesichert werden (MANSFIELD
2005, S. 209).
Die nationale Mine-Action-Behörde trägt in einem Land die Gesamtverantwortung für Mine
Action und hat die Gestalt einer interministeriellen Institution, da sie sich im Wesentlichen aus
Vertretern der verschiedenen, in Mine Action eingebundenen Ministerien und Behörden zusammensetzt. Darüber hinaus werden auch Vertreter internationaler Organisationen, die in
das nationale Mine-Action-Programm involviert sind, einbezogen (GICHD 2003a, S. 10f.). Der
Zweck einer solchen Behörde ist die Institutionalisierung von Mine Action innerhalb der Regierungsgeschäfte, wodurch gewährleistet werden soll, dass ein Anteil des jährlichen nationalen Budgets dem Mine-Action-Bereich zugewiesen wird. Die Mine-Action-Behörde hat dafür
Sorge zu tragen, dass die Mine-Action-Strategien unparteiisch sind und die Ressourcen so eingesetzt werden, dass die am stärksten von der Landminenproblematik betroffenen Bevölkerungsgruppen von den Maßnahmen profitieren (EATON et al. 1997, „Recommendation 11“, o.S.).
Aufgabe der Behörde ist die Regulierung, Koordinierung und das Management des Programms
und somit die Festlegung der nationalen politischen Linie und Strategie hinsichtlich Mine
Action (GICHD 2003a, S. 11). In bestimmten Situationen oder Fällen, wo sich aufgrund der
politischen Instabilität und eventuell der Nicht-Existenz einer funktionsfähigen Regierung –
insbesondere unmittelbar nach Konfliktende oder in der Transformationsphase – die Einrichtung einer nationalen Mine-Action-Behörde als schwierig erweist oder nicht möglich ist, können die UN oder eine andere anerkannte internationale Organisation einige oder alle Verantwortlichkeiten und die Funktion der Behörde übernehmen (UNMAS 2003a, Definition 3.169.).
Das Mine Action Centre (MAC) ist der ausführende Arm der nationalen Mine-Action-Behörde,
der auf operationeller Ebene die nationale Strategie umsetzt. Es bildet den Angelpunkt für die
Koordinierung von Mine-Action-Aktivitäten und wird daher auch häufig als Mine Action Coordination Centre (MACC) bezeichnet. Neben der zentralen Koordinierungsaufgabe sind die
wichtigsten Ressorts des MACs zum einen das Festlegen der Kriterien für die Prioritätensetzung hinsichtlich der durchzuführenden Maßnahmen und darauf aufbauend die Entwicklung
und Umsetzung der nationalen Mine-Action-Strategiepläne und der jährlichen Arbeitspläne
sowie zum anderen das dafür erforderliche Informationsmanagement. Dazu gehören insbesondere die Durchführung von nationalen Erhebungen und Studien über die sozioökonomischen Auswirkungen der Landminenkontaminierung, die Lokalisierung der verminten Gebiete und die Sammlung von weiteren minenbezogenen Daten und Informationen, welche über
das MAC zentral verwaltet und für die Mine-Action-Akteure verfügbar gemacht werden. Darüber hinaus ist das MAC verantwortlich für viele administrative und verfahrensrechtliche Angelegenheiten, wie die Unterbreitung von Projektvorschlägen gegenüber den Gebern, die Auftragsvergabe an Mine-Action-Organisationen oder Regulierungen bezüglich des angestellten
Personals (GICHD 2003a, S. 11f.; vgl. auch UNMAS 2003a, Definition 3.148.). Um Interessenkonflikte zu vermeiden, sollte das MAC nicht direkt in die Durchführung von Mine-ActionAktivitäten involviert sein, da es für die Auftragsvergabe zuständig ist. Eine klare diesbezügliche Trennung des Tätigkeitsbereichs erhöht zum einen die Transparenz ihrer Arbeitsweise
und erhält ihre Objektivität und damit auch die Vertrauenswürdigkeit gegenüber den Gebern
aufrecht, verhindert zum anderen aber auch, dass Koordinierung, Management und Beaufsichtigung der Mine-Action-Akteure und Maßnahmen durch Überstrapazierung der personel175
len Kapazitäten beeinträchtigt werden (MANSFIELD 2005, S. 214).
175
In Kambodscha und in Angola haben die MACs selbst auch Minenräumung durchgeführt, was zu einigen Schwierigkeiten (Korruption und finanzielles Missmanagement) und zur Unzufriedenheit der Geber führte, da auf diese
Weise die MACs gleichzeitig die Funktion von ’Spielern auf dem Feld und des Schiedsrichters’ ausübten. Die Strukturen des MACs in Angola sind inzwischen reformiert worden (MANSFIELD 2005, S. 211f.).
68
Internationale
Arena
Nationale Mine-Action-Arena
Nationales Mine-Action-Programm
Regierungsebene
Themenbezogene
Arbeitsgruppen
Für Mine Action
verantwortliches
Ministerium
Fachministerien
Ministerien für
Finanzen & Planung
Ministerien für die
Provinzverwaltung
Bi- &
multilaterale
Geber
UN-Organe
Nationale
Mine-ActionBehörde
Spezialisierte
Mine-ActionOrganisationen
Nationales
Mine Action Centre
Distrikt- und
Gemeindeverwaltung
Provinz
Mine Action Centre
Internationale
NGOs der EZ
Andere von
Landminen betroffene Länder
Friedenstruppen
& ausländisches
Militär
Lokale
Bevölkerung
‚CommunityBased’
Organisationen
Lokale NGOs
Lokale Minenräumer
Lokale Gemeindeebene
Lokale Autoritäten
Durchführende Organisationen
Nationale Mine-Action-NGOs
Nationale kommerzielle
Mine-Action-Firmen
Nationales
Militär
Internationale
Mine-ActionNGOs
Internationale
kommerzielle
Mine-ActionFirmen
Nationale Mine-Action-Behörde
Gesamtverantwortung für nationale MA
Ausführung der nationalen MA Gesetzgebung
Festlegen der politischen Linie hinsichtlich MA
Verantwortlich für strategische Entscheidungen:
– nationale MA Strategie,
– MA-Prioritäten,
– nationaler MA-Plan,
– jährlicher MA-Arbeitsplan
Berichterstattung über den Fortschritt von MA
– Parlament, Öffentlichkeit, Geldgeber, UN, etc.
Beaufsichtigung der Mine Action Centres
Nationales Mine Action Centre
Koordinierung und Überwachung der nationalen
MA Aktivitäten auf operationeller Ebene
Entwicklung von nationalen MA-Standards
Informationsmanagement
Festlegung der Kriterien für die MA-Prioritäten
Abstimmung mit anderen nationalen Prioritäten
Entwurf und Umsetzung:
– nationale MA-Strategie,
– nationaler MA-Plan,
– jährlicher Arbeitsplan
Auswahl & Verteilung der MA-Aufgaben entsprechend des nationalen Arbeitsplans
Beauftragung der durchführenden MA-Akteure
Qualitätsmanagement
Abb. 14: Nationale Mine-Action-Strukturen (Modell) (Eigene Darstellung nach PATERSON 2005a, S.296; GICHD 2004d, S. 11f.; MANSFIELD 2005, S. 215)
69
7 Planung und Prioritätensetzung in Mine-Action-Programmen
Die wichtigsten Verantwortlichkeiten der nationalen Mine-Action-Behörde sowie des MACs
sind Abbildung 14 zu entnehmen. Die Durchführung der identifizierten Mine-Action-Aufgaben
wird von verschiedenen Akteuren übernommen. Zu den wichtigsten gehören vor allem die
internationalen Mine-Action-NGOs und kommerziellen Mine-Action-Firmen, die derzeit weltweit den Großteil der Mine-Action-Maßnahmen ausführen, während die lokalen Mine-ActionNGOs und Firmen bisher nur in wenigen Ländern eine bedeutende Rollen spielen (MANSFIELD
176
2003, S. 36; GICHD 2004b, S. 23).
Begründet wird diese relativ geringe Bedeutung lokaler NGOs und kommerzieller Firmen in
den meisten zurzeit durchgeführten nationalen Mine-Action-Programmen unter anderem damit, dass zu Beginn der Mine-Action-Aktivitäten in einem Land internationale NGOs und
kommerzielle Firmen bereits die erforderlichen Kapazitäten und die dafür benötigte Finanzierung mitbringen, um die anstehenden Aufgaben zu übernehmen. Zum Zeitpunkt der Etablierung eines nationalen Mine-Action-Programms unter nationaler Verantwortung kann auf diese
Kapazitäten zurückgegriffen werden, so dass die Notwendigkeit einer lokalen Kapazitätenbil177
dung zunächst nicht gegeben ist (GICHD 2004b, S. 85f.). Entwicklung und Aufbau nationaler
Organisationen und Firmen werden dadurch erschwert, dass sie mit den etablierten internationalen durchführenden Organisationen um Finanzierung und Aufträge konkurrieren müs178
sen.
Tabelle 4 verdeutlicht anhand einer Gegenüberstellung der internationalen NGOs und kommerziellen Firmen als zentrale Akteursgruppen, dass wesentliche Unterschiede hinsichtlich
Ausstattung, Arbeitsweise und den zugrunde liegenden Leitlinien bestehen, die die Einsatzmöglichkeiten bestimmen und daher bei der Auftragsvergabe berücksichtigt werden müssen
bzw. berücksichtigt werden sollten. Kommerzielle Firmen werden aufgrund ihrer Merkmale
vor allem für spezifische und klar abgegrenzte Aufgaben insbesondere im Rahmen infrastruktureller Projekte des Wiederaufbaus (z.B. schnelle Räumung einer Straße oder eines Flughafens) eingesetzt, wobei die zu erbringenden Leistungen vertraglich detailliert vorgegeben
werden (GICHD 2004b, S. 223; BROWN 2005: INT). Mine-Action-NGOs hingegen übernehmen
Aktivitäten, die ihren entwicklungsorientierten und humanitären Leitlinien entsprechen und
den Fokus auf eine enge Zusammenarbeit mit der betroffenen Bevölkerung bzw. auf deren
Bedürfnisse legen (HORWOOD 2000, S. 18 und 20). Der Einsatz von NGOs basiert in der Regel
nicht auf detaillierten Verträgen, sondern vielmehr auf Finanzierungsübereinkommen mit
dem Geber über seitens der NGOs eingereichte Projektvorschläge (GICHD 2004b, S. 223). Dadurch steht der NGO mehr Spielraum für die Projektgestaltung und in diesem Rahmen für eine
eigene Prioritätensetzung zur Verfügung, welche mit dem MAC entsprechend der nationalen
179
Strategiepläne abgestimmt werden sollte (vgl. auch SCANTEAM/DEMEX 2004, S. 36).
176
In Afghanistan erhielten die lokalen NGOs seit Beginn des Programms (1988) ca. 75% des insgesamt für Mine Action
zur Verfügung gestellten Budgets (lokale kommerzielle Mine-Action-Firmen existieren dort gar nicht), womit Afghanistan einen Sonderfall darstellt, weil sich dort bereits nationale Mine-Action-NGOs gegründet hatten, bevor internationale NGOs und kommerzielle Firmen im Mine-Action-Bereich tätig wurden (vgl. Kapitel 10.2). Im Gegensatz dazu
erhielten in Mozambique (seit 1993/94) lokale Mine-Action-Akteure (NGOs und kommerzielle Firmen) insgesamt
maximal 10% des Gesamt-Mine-Action-Budgets (GICHD 2004b, S. 73f. u. S. 85f.).
177
Zur Bedeutung des Aufbaus lokaler Kapazitäten im Verlaufe eines Mine-Action-Programms, sowie den Vor- und
Nachteilen nationaler kommerzieller Firmen oder NGOs vgl. auch „A Study of Local Organisations in Mine Action“
(GICHD 2004b).
178
Insbesondere bilaterale Geber bevorzugen es häufig, Organisationen ihrer eigenen Nationalität zu finanzieren. Die
britische Organisation HALO Trust erhält z.B. 100% der von der britischen Regierung und Norwegian People’s Aid
(NPA) 96% der von der norwegischen Regierung insgesamt für Mine Action in Mozambique zur Verfügung gestellten
Gelder. Von dem insgesamt für Mine Action in Mozambique bereitgestellten Budget erhielten lokale NGOS bzw. kommerzielle Firmen weniger als 2% (GICHD 2004b, S. 201). Einen zeitlichen Bezugsrahmen für die Angaben kann die
Quelle – wie an entsprechender Stelle dokumentiert – aufgrund mangelhafter und uneinheitlicher Datenerfassung
seitens der verantwortlichen Stellen nicht nennen.
179
Wesentliche Grundsätze von NGOs liegen darin, nicht profitorientiert zu arbeiten und ihre (vor allem politische)
Unabhängigkeit und kritische Sichtweise zu bewahren, um glaubwürdig zu bleiben und effektiv für ihre Ziele arbeiten
zu können. Diese Grundsätze spielen auch bei der Abstimmung der Prioritäten mit nationalen Mine-ActionInstitutionen eine wichtige Rolle (vgl. auch SEKKENES 2003, S. 26).
70
7 Planung und Prioritätensetzung in Mine-Action-Programmen
HALO Trust / HI / MAG / Santa
Barbara / DDG / NPA / DCA
MECHEM / RONCO / Mine-Tech
Internationale kommerzielle Firmen
Internationale NGOs
Tab. 4: Übersicht Internationale Mine-Action-NGOs und kommerzielle Firmen
Ausrüstung/
Arbeitsweise
Personal
Arbeitsschwerpunkte
Prioritäten
Auftragsvergabe/
-durchführung
Schwerpunkt:
Lokales Personal
Humanitäre
Minenräumung
Lokale Ebene
Nicht gezielte, wettbewerbsgesteuerte Auftragsvergabe, eher
Finanzierungsübereinkommen für einen Programm- oder
Projektvorschlag
Manuelle
Räumung
Vereinzelt
ergänzend:
Externes
Personal
(möglichst
begrenzt,
Minensuchhunde
vor allem im
Einsatz von
mittleren und
kostengünstigen
oberen
und technologisch Management)
einfachen
maschinellen
Räumtechniken
Je nach
Organisation
auch MRE
Kombination aus:
Humanitäre
Minenräumung
maschinellen
Räumtechniken
(vor allem hochtechnologische)
Minensuchhunde
Manuelle
Räumung
Überwiegend
externes
Personal
Kapazitätenbildung
Humanitäre Notsituationen
Bedürfnisse und
Prioritäten der lokalen Bevölkerung
(‚Community-based’)
Zusammenarbeit
mit betroffener
Bevölkerung
Nicht profitorientiert
Großprojekte:
(Management Infrastruktur,
und
Straßen,
Räumung) vor Schienen,
allem
StromversorEx-Militärs
gung, Gebäude
Nationale Ebene
Schnelle,
kosten-effiziente
Auftragsausführung
Arbeit basiert nicht
auf enger Zusammenarbeit mit der
lokalen Bevölkerung
Projektgestaltung entsprechend
zugrunde liegender
politischer bzw. humanitärer
Leitlinien
Wettbewerbgesteuerte
Auftragsvergabe
Gezielte
Auftragsausführung
entsprechend klarer
Vertragsvorgaben: Ziel,
Zeitrahmen, Qualität
Vereinzelt KaKeine Orientierung
pazitätenbildung
an politischen bzw.
humanitären
Leitlinien
Profitorientiert
Quelle: Eigene Zusammenstellung nach HORWOOD 2000, S. 18-21; GICHD 2004b S. 202 und 223.
Auch innerhalb der einzelnen Akteursgruppen variieren die methodischen und operationellen
Vorgehensweisen. Insbesondere die internationalen Mine-Action-NGOs verfolgen verschiede180
ne Ansätze hinsichtlich der Zusammensetzung ihrer Teams oder auch der Art und Intensität
der Zusammenarbeit mit den Communities. Bezüglich der durchgeführten Maßnahmen konzentrieren sich manche internationale Mine-Action-NGOs auf die Ausbildung lokaler Kapazitäten, andere wiederum mehr auf die Räumung und Markierung der Minenfelder oder auf eine
stärkere Integration der Mine-Action-Aktivitäten in Maßnahmen der Entwicklungszusammenarbeit (HORWOOD 2000, S. 18f.).
181
Der Einsatz von nationalem oder externem Militär in der Humanitären Minenräumung
und Mine Action ist insgesamt relativ umstritten und kann – je nach Kontext – aus verschiedenen Gründen unangemessen sein. Auch wenn in einigen Ländern (z.B. in Nicaragua)
Humanitäre Minenräumung durch das Militär eine große Rolle gespielt hat bzw. spielt, ist die
Einsetzbarkeit von Militär in diesem Rahmen aufgrund unterschiedlicher Räum- und Sicherheitsstandards, häufig mangelhafter Kooperationsbereitschaft mit zivilen Organisationen
und Institutionen (wie z.B. dem MAC) sowie fehlender Ausrichtung an entwicklungsorientierten und humanitären Leitlinien oft sehr problematisch. Insbesondere der Einsatz von nationa-
180
Mine-Action-NGOs beschäftigen in der Regel eine gewisse Anzahl an technisch und management-erfahrenen externen Fachkräften, die nationales Personal anwerben und ausbilden, welche den Hauptanteil der angestellten Mitarbeiter ausmachen. Auf diese Weise soll zur nationalen Kapazitätenbildung beigetragen werden (SEKKENES 2003, S. 27).
Das Verhältnis von externem zu nationalem Personalanteil variiert von NGO zu NGO bzw. von Arbeitsschwerpunkt zu
Arbeitsschwerpunkt.
181
Zum externen Militär zählen auch die internationalen Friedenstruppen. Diese sind vor allem während der ‚Phase
der Humanitären Notlage’ im Rahmen der in Abbildung 16 genannten ‚Mine Action für interne Sicherheit’ in die Minenräumung involviert, die in der Regel nicht dem Bereich von Mine Action zugeordnet wird. D.h. Friedenstruppen
führen Minenräumung vor allem für die Sicherheit von Maßnahmen der Friedenserhaltung und Friedensschaffung
sowie der Humanitären Hilfe durch (HORWOOD 2000, S. 19).
71
7 Planung und Prioritätensetzung in Mine-Action-Programmen
len militärischen Einheiten in Projekten auf lokaler Ebene ist in vielen Fällen ungeeignet,
da diese mit dem früheren Konflikt in Verbindung gebracht werden, und ihnen folglich
die lokale Bevölkerung meist mit großem Misstrauen bzw. starker Ablehnung gegenübersteht.
Die Räumung von Flächen fern von zivilen Ansiedlungen, wie z.B. ehemalige militärische
Stützpunkte, hingegen wird als ein geeigneter Aufgabenbereich für militärische Räumteams
angesehen. Im Rahmen von nationalen Mine-Action-Programmen wird aus den genannten
Gründen das Militär – abgesehen vom Bereich der Vernichtung der Personenminenlagerbestände – relativ selten beauftragt. Das ist auch darauf zurückzuführen, dass die Programme
im Wesentlichen bi- und multilateral finanziert werden und die ‚traditionellen’ Geber für Mine
Action in der Regel ungern Gelder an militärische Einheiten leiten (MANSFIELD 2003,
182
S. 36-40).
Da nationale Mine-Action-Programme hauptsächlich über bi- und multilaterale Geber finanziert werden, nehmen auch diese eine wichtige Position innerhalb der beteiligten Akteure
ein und können durch die Art ihrer Mittelzuweisung Einfluss auf die Programmgestaltung
ausüben. Die Finanzierung von Mine-Action-Programmen kann entweder indirekt über die
Einzahlung an spezifische Mine-Action-Fonds, deren Gelder über bestimmte Institutionen
verwaltet und verteilt werden, wie z.B. der vom UNMAS betreute UN Voluntary Trust Fund
for Mine Action, oder aber direkt an bestimmte Länder oder Organisationen erfolgen. Der
Hauptanteil der Mittelzuweisungen ist projektgebunden (DIRSCHERL 2005: INT), d.h. eine
Organisation erhält Gelder für die Durchführung eines bestimmten Projektes. Die Empfängerorganisation kann zum einen das MAC sein, welches für dieses Projekt eine Organisation
oder Firma beauftragt. Zum anderen kann der Geber einen Vertrag bzw. ein Finanzierungsübereinkommen für ein bestimmtes Vorhaben mit einer kommerziellen Mine-Action-Firma
bzw. einer NGO abschließen (was der häufigste Fall ist), womit er durch die Auswahl
bestimmter Maßnahmen seine eigenen Interessen und Prioritäten in die Gestaltung des nationalen Programms einfließen lässt (SCANTEAM/DEMEX 2004, S. 36; vgl. auch SEKKENES 2003,
S. 27).
In Ländern, in denen die Strukturen der nationalen Mine-Action-Institutionen noch nicht
oder nur schwach ausgebildet sind, übernehmen neben den UN-Organen verschiedene der
internationalen Mine-Action-NGOs und zum Teil auch kommerzielle Firmen als Kooperationspartner der MACs vor allem auf regionaler Ebene Koordinierungs- und Planungsaufgaben
(SEKKENES 2003, S. 26). Die IMAS-Standards fordern durchführende Mine-ActionOrganisationen in diesem Fall entsprechend dazu auf, den Aufbau der nationalen Mine-Action183
Institutionen und insbesondere den des MACs zu unterstützen (UNMAS 2003b, S. 6).
Eine wichtige Akteursgruppe innerhalb eines Mine-Action-Programms ist die lokale Bevölkerung, da sie die Zielgruppe der Maßnahmen darstellt. Als solche sollte sie aktiv in die Planung,
Prioritätensetzung und Durchführung der Mine-Action-Aktivitäten einbezogen werden. Inwieweit und auf welche Art und Weise dies in der Praxis tatsächlich umgesetzt wird, wird im
weiteren Verlauf der Arbeit an verschiedenen Stellen herausgearbeitet.
Anhand der Ausführungen über den Aufbau eines nationalen Mine-Action-Programms wird
deutlich, dass die einzelnen Akteure (Geber, nationale Mine-Action-Behörde, MAC, nationale
und internationale Mine-Action-NGOs und die betroffene Bevölkerung) eigene Mine-ActionPrioritäten verfolgen und auf verschiedenen Ebenen in das Programm einbringen. Die
182
Das Militär als Mine-Action-Akteur wird im weiteren Verlauf dieser Arbeit aus den genannten Gründen nur noch an
vereinzelten Stellen (Fallbeispiele) berücksichtigt. Ausführliches zur Rolle des Militärs in der Humanitären Minenräumung und in Mine Action insgesamt ist bei MANSFIELD 2003 und GICHD 2003d nachzulesen.
183
In der Demokratischen Republik Kongo z.B. ist das in der Hauptstadt Kinshasa (im Westen des Landes) eingerichtete MAC in Anbetracht der Größe des Landes personell und materiell sehr schlecht ausgestattet. Die dänische MineAction-NGO Danish Church Aid (DCA) ist quasi als einzige Organisation in einer Region am Tanganyika-See (Provinz
Katanga) im Osten des Landes tätig. Da die infrastrukturelle Ost-West-Verbindung (mehr als 1500 km Entfernung)
stark beschädigt und die Region des Tanganyika-Sees vom Westen her schwer zugänglich ist, sowie aufgrund fehlender Kapazitäten des nationalen MACs, liegt die Gestaltung der Mine-Action-Aktivitäten in der Region in der Hand von
DCA, die an eine von DCA entwickelte, regional angepasste Prioritätensetzung ausgerichtet ist. DCA leitet die für Mine
Action spezifischen Informationen an das MAC in Kinshasa weiter, wodurch dieses hinsichtlich seiner Funktion gestärkt wird (BOHLE 2005: INT). Damit entspricht DCA der Empfehlung nach IMAS.
72
7 Planung und Prioritätensetzung in Mine-Action-Programmen
Schwierigkeit bei der Planung eines nationalen Mine-Action-Programms liegt darin, diese
Prioritäten so aufeinander abzustimmen, dass die daraus abgeleiteten Vorhaben den Bedürfnissen auf allen Ebenen gerecht werden, d.h. von der Makro-Ebene mit dem Fokus auf die
nationale Ökonomie bis hin zur Mikro-Ebene mit dem Fokus auf die lokale Bevölkerung
(SEKKENES 2003, S. 28f.).
7.3
Nationale Mine-Action-Programme und Prioritätensetzung
Das Festlegen von Mine-Action-Prioritäten ist ein rationaler Prozess, bei dem alternative Aufgaben so abgewogen werden, dass mit den zur Verfügung stehenden Ressourcen ein größtmöglicher Nutzen erreicht werden kann. Dabei liegt der Schlüssel zu einer angemessenen
Prioritätensetzung in der Methode, die angewandt wird, um diese Alternativen abzuschätzen
und zu beurteilen und dann entsprechend ihrer Dringlichkeitsstufe einzuordnen oder zu kategorisieren (GICHD/UNDP 2001, S. 71; GICHD/UNDP 2002, S. 15).
Die Komplexität des Mine-Action-Prioritätensetzungsprozesses wird anhand folgender Fragestellungen erläutert:
• Warum ist Prioritätensetzung notwendig?
• Welchen Anforderungen muss sie gerecht werden bzw. welche Aspekte müssen dabei
berücksichtigt werden?
• Wie erfolgt Prioritätensetzung und wo innerhalb eines Mine-Action-Programms setzt sie
an?
7.3.1
Die Notwendigkeit einer Prioritätensetzung
In den seltensten Fällen können die aus der Landminenkontaminierung resultierenden
Probleme vollständig gelöst werden (vgl. Kapitel 7.1.2). Begrenzte Ressourcen stehen der ho184
hen Kostenintensivität von Mine Action gegenüber, das Ausmaß der Problematik überwiegt
bei weitem die verfügbaren Mine-Action-Kapazitäten. Mit anderen Worten: Nicht alle verminten Gebiete können geräumt werden, und nicht allen Betroffenen kann geholfen werden.
Daher müssen schwierige Entscheidungen hinsichtlich der anzustrebenden Ziele und entsprechender Strategien getroffen werden, woraus sich die Notwendigkeit einer Prioritätensetzung ergibt (GICHD/UNDP 2004, S. 11; HARPVIKEN et al. 2004, S. 115). Ziel der Prioritätensetzung ist, die verfügbaren Ressourcen dort einzusetzen, wo sie den größtmöglichen
Nutzen bezüglich der Reduzierung der sozioökonomischen Auswirkungen der Landminenproblematik erbringen können (VAN DER MERWE 2003, o.S.). Eine in diesem Sinn auf Effektivität
abzielende Prioritätensetzung ist auch deshalb erforderlich, weil die durchführenden Organisationen gegenüber Gebern und Empfängern (lokale Bevölkerung) von Mine-ActionMaßnahmen rechenschaftspflichtig darüber sind, dass sie ‚das Richtige richtig tun’ (vgl. auch
GICHD/UNDP 2001, S. 14).
7.3.2
Anforderungen an eine Prioritätensetzung
Wie bereits erwähnt, bringt das breite Akteursspektrum verschiedene eigene Interessen und
Prioritäten in die Gestaltung eines Mine-Action-Programms mit ein, wodurch Interessenskonflikte unvermeidlich werden. Zusätzlich zu dieser Problematik erweist sich eine angemessene Prioritätensetzung auch aus weiteren Gründen als schwieriger und sensibler Prozess, in
dessen Verlauf vielerlei verschiedene Anforderungen zu erfüllen sind:
184
Sichtbar wird die Begrenztheit der finanziellen Ressourcen z.B. an den Angaben aus dem UNMAS Portfolio, in dem
die für Mine-Action-Projekte jährlich beantragten und gewährten Gelder nach Ländern aufgeschlüsselt aufgelistet
werden. (Das UNMAS Portfolio ist ein auf Länderebene gesammeltes Kompendium von humanitären und entwicklungsorientierten Mine-Action-Projekten.) Im Jahr 2005 wurden beispielsweise nur die Projekte von 2 der 33 erfassten
Länder vollständig finanziert. Von den 2005 insgesamt beantragten 378 Mio. US $ wurden nur 64% aufgebracht, was
einem Fehlbetrag von 136 Mio. US $ entspricht (UNMAS 2006, o.S.). Die alljährlichen Fehlbeträge (in ähnlicher Größenordnung) haben in vielen Ländern zu Verzögerungen, Einschränkungen und auch Aufgabe vieler Projekte geführt
(vgl. z.B. die Länderberichte im „ICBL Landmine Monitor Report“ 1999 bis 2005).
73
7 Planung und Prioritätensetzung in Mine-Action-Programmen
• Die Bedürfnisse der lokalen Bevölkerung (Mikro-Ebene) und die erforderlichen Maßnahmen für den Wiederaufbau der nationalen Ökonomie (Makro-Ebene) müssen ausgeglichen
berücksichtigt werden. Minenräumung, die allein auf die (Wieder-)Herstellung der Subsistenzwirtschaft ausgerichtet ist, trägt nicht zur Entwicklung der nationalen Wirtschaft bei,
vor allem dann nicht, wenn die dafür erforderliche Infrastruktur vernachlässigt wird. Liegt
dagegen der Fokus der Mine-Action-Planung allein auf makro-ökonomischen Aspekten,
ist die Wahrscheinlichkeit für eine Verbesserung der Lebensumstände der ärmsten Bevölkerungsgruppen relativ gering, denn die Erfahrungen (aus der Entwicklungszusammen185
arbeit) haben gezeigt, dass sich der viel zitierte Trickle-Down-Effect nur sehr langsam –
wenn überhaupt – auf die Mikro-Ebene auswirkt. Um ein eventuell tendenzielles Überwiegen nationaler Interessen – das MAC als nationale Institution betont in vielen Fällen nationale Prioritäten – auszugleichen, sollte die Prioritätensetzung sowohl mit den nationalen
Entwicklungsstrategien, als auch mit den Strategien zur Armutsbekämpfung konform gehen, d.h. Mine-Action-Maßnahmen sollten mit den Maßnahmen beider Programme koordiniert werden (SEKKENES 2003, S. 28f.).
• Die bereits angesprochene erforderliche Balance von Effizienz und Effektivität (Kapitel
7.1.1) sollte durch eine entsprechende Auswahl von Prioritäten geschaffen werden, indem beispielsweise diejenigen Flächen zur Räumung bevorzugt werden, deren Nutzung
nach Abschluss der Arbeiten sichergestellt ist. Wie Erfahrungen mehrfach gezeigt haben,
kann eine Folgenutzung jedoch dann in Frage gestellt werden, wenn seitens der Zielgruppen kein Vertrauen in die Sicherheit der Räumung aufgebaut wird. Insbesondere
in den Anfangsjahren herrschte vielfach die Meinung vor, das Vertrauen in die Sicherheit
der Räumung stelle sich von selbst ein. Nachdem in vielen Ländern geräumte Flächen
trotz dringenden Bedarfs von der Bevölkerung nicht genutzt wurden, wurde nach und nach
die Bedeutung von vertrauensbildenden Maßnahmen im Rahmen von Mine-Action186
Aktivitäten erkannt (MILLARD/HARPVIKEN 2001, S. 12 u. S. 18). Für den Aufbau von Vertrauen ist es unbedingt notwendig, die Zielgruppen ausreichend in die Maßnahmen mit einzubeziehen, damit diese den Sinn, Zweck und Ablauf der Maßnahme verstehen und sich
selbst als Begünstigte erkennen.
• Dieser Zusammenhang weist bereits darauf hin, dass die Zielgruppenorientierung ein
bedeutender Faktor für die Mine-Action-Planung ist. Um unter der Maßgabe der Effektivität
bestimmen zu können, welche Aufgaben zuerst gelöst werden müssen, gilt es herauszufinden, wer im einzelnen auf welche Art und Weise und in welchem Umfang von der Landminenkontaminierung betroffen ist. Dabei sind unterschiedliche geschlechts- und altersspezifische Aktionsräume zu beachten, da Männer, Frauen und Kinder entsprechend ihrer
Rollen und Aufgaben innerhalb einer Gemeinschaft auf verschiedene Weise von den Aus187
wirkungen der Kontaminierung betroffen sind (UNMAS 2005, S. 3f.). Zielgruppenorientierung impliziert, dass die Prioritäten der lokalen Bevölkerung bei der Festlegung von
Mine-Action-Prioritäten Berücksichtigung finden, da nur so sichergestellt werden kann,
dass die geplanten Maßnahmen einen positiven Effekt auf die lokalen Lebensbedingungen
haben werden, und dass negative Auswirkungen der Maßnahmen so weit wie möglich
ausgeschlossen werden (vgl. Do-No-Harm-Konzept, Kapitel 7.1.1). Ein Ignorieren der
Bedürfnisse und Prioritäten der lokalen Bevölkerung kann beispielsweise dazu führen,
dass die Menschen selbst – unter hohem Risiko – die von ihnen dringend benötigten Flä185
Dieser Effekt geht zurück auf die Theorie ‚polarisation and trickle down’ von A. HIRSCHMAN (1958), die besagt,
dass Entwicklung auf globaler Ebene (ausgehend von der weltweiten Nachfrage und globalen Innovationszentren) in
einigen dynamischen Schlüssel-Sektoren und Agglomerationszentren beginnt und sich dann über die Spread-Effects
auf die übrigen Sektoren und Regionen kleinerer (nationaler oder regionaler) Maßstabsebenen überträgt (STÖHR 1981,
S. 41, vgl. auch HANSEN 1981, S. 15).
186
Der Aufbau eines solchen Vertrauens erweist sich vor allem dann als schwierig, wenn zuvor mehrere Minenunfälle
Opfer gefordert haben. In einigen Ländern (nicht in allen!) hat es sich als wirkungsvolle, vertrauensbildende Strategie
erwiesen, auf den geräumten Flächen Fußballspiele mit den Räumteams und der Bevölkerung zu veranstalten, um zu
verhindern, dass die Flächen nach der Räumung weiterhin brachliegen (PRIO/UNDP 2004, S. 79), wie es in mehreren
Fällen über Jahre hinweg geschehen ist (vgl. MILLARD/HARPVIKEN 2000, S. 38f.).
187
Dass dieser Aspekt im Rahmen von Mine Action über lange Zeit vernachlässigt wurde, zeigt sich daran, dass erst im
Jahr 2005 die ersten – und nach Erkenntnisstand der Autorinnen bisher einzigen – gender-spezifischen Richtlinien für
Mine Action (UNMAS 2005) entwickelt wurden.
74
7 Planung und Prioritätensetzung in Mine-Action-Programmen
chen räumen (sog. Village Demining), oder aber dass Flächen geräumt werden, für die
innerhalb der Bevölkerung kein Bedarf besteht (UNICEF/ GICHD 2005, S. 39ff.; ICBL 2005b,
S. 35).
• Prioritätensetzung muss so erfolgen, dass sowohl Gebiete als auch Maßnahmen richtig
und in sinnvoller Reihenfolge unter Einbeziehen der Bevölkerung ausgewählt werden – ein
Aspekt, der an der Rolle, die Mine Action im Rahmen der Friedenskonsolidierung und
Stabilisierung eines Landes einnimmt bzw. einnehmen kann, deutlich wird. Wenn Menschen nach einem Konflikt weiterhin permanent der von Landminen ausgehenden Gefahr
und dem damit verbundenen psychologischen Stress ausgesetzt sind, wenn Landminen
weiterhin die ökonomische Existenz der Menschen bedrohen und ihr Überleben deshalb
in Frage gestellt ist, besteht ein hohes Risiko für einen erneuten Ausbruch von Feindseligkeiten bis hin zu bewaffneten Auseinandersetzungen. Mine Action ist per Definition
188
die (Wieder-)Herstellung einer sicheren Umgebung, die einem normalen Leben und der
Entwicklung förderlich ist. Die Prioritätensetzung muss daher so erfolgen, dass durch
die Maßnahmen die notwendigen Grundlagen geschaffen werden, damit Mine Action einen
aktiven Beitrag zur Friedenssicherung leisten kann (PRIO 2004, S. 55). Im Zusammenhang
der Friedenskonsolidierung ist es ebenfalls von Bedeutung, Mine-Action-Maßnahmen in
allen Regionen eines Landes anzusetzen, auch wenn diese in sehr unterschiedlichem
Ausmaß von den Auswirkungen der Landminenkontaminierung betroffen sind. Nur auf
diese Weise kann verhindert werden, dass sich einige Bevölkerungsgruppen benachteiligt
fühlen und damit neue Konfliktlinien entstehen, die dem Friedensbildungsprozess hinderlich sind (vgl. VAN DER MERWE 2003, o.S.).
• Ein ganz wesentlicher Aspekt, der im Rahmen der Prioritätensetzung zu berücksichtigen
ist, ist der kontinuierliche Wandel der Post-Konfliktgesellschaft. Im Übergang von der
humanitären Notsituation über die Transformationsphase bis hin zur Entwicklung ändern
sich die Bedürfnisse der Gesellschaft – von nationaler bis hin zur lokalen Ebene – und
damit auch die jeweiligen Prioritäten (vgl. Kapitel 6.4). Bezogen auf die lokale Bevölkerung
entstehen mit der Rückkehr zur Normalität zunehmend Bedürfnisse, die über die bloße
Überlebenssicherung hinausgehen. Mit wachsenden Möglichkeiten und Fähigkeiten, die
Grundversorgung eigenständig zu gewährleisten, gewinnen Aspekte wie Einkommensdiversifikation, Partizipation an Entscheidungsprozessen und Wohlstandsentwicklung an
Bedeutung (GICHD/UNDP 2001, S. 73; SEKKENES 2003, S. 28). Solche Veränderungen im
gesamtgesellschaftlichen Kontext müssen berücksichtigt und die Prioritätensetzung entsprechend angepasst werden, weshalb diese als ein in regelmäßigen Zyklen verlaufender
Prozess zu verstehen ist. In nationalen Mine-Action-Programmen geschieht dies über die
jährlichen Arbeitspläne, in denen die Maßnahmen gemäß der neu identifizierten Prioritäten
geplant werden (VAN DER MERWE 2003, o.S.).
Aus den dargestellten Zusammenhängen ergibt sich, dass Planung und Prioritätensetzung im
Rahmen eines nationalen Mine-Action-Programms aufgrund der Vielzahl an Maßnahmen unter unterschiedlichsten, sich wandelnden Rahmenbedingungen, aufgrund des breiten Spektrums an durchführenden Mine-Action-Organisationen und wegen der Heterogenität der Bevölkerungsgruppen, die im Planungsprozess berücksichtigt und in diesen mit einbezogen werden müssen, einen multi-dimensionalen Ansatz der Entscheidungsfindung erfordern (VAN DER
MERWE 2003, o.S.).
188
Wichtig ist dabei zu beachten, dass es nicht um die Wiederherstellung des Prä-Konfliktzustandes geht, da es ja
genau dieser war, der zum Ausbruch der bewaffneten Auseinandersetzungen geführt hat (MILLARD/HARPVIKEN 2001,
S. 4).
75
7 Planung und Prioritätensetzung in Mine-Action-Programmen
7.3.3
Prioritätensetzung innerhalb eines Mine-Action-Programms
Um Mine-Action-Aktivitäten planen und diese entsprechend ihrer Dringlichkeit bzw. ihrer
Priorität in eine Rangfolge einordnen zu können, ist es notwendig, Ausmaß und Art der von
Landminen ausgehenden Gefahr zu erfassen. Seit den 90er Jahren sind zur Unterstützung von
Minenräumoperationen für eine solche Erfassung verschiedene Methoden in Form von sog.
Assessments und Surveys entwickelt worden (vgl. Textbox 11).
Basis-Methoden zur Erfassung der Landminensituation
‚Assessments’
(annähernd übersetzbar mit ‚Einschätzung bzw. Beurteilung’)
Definition:
Kontinuierlich verbesserter und verfeinerter Prozess der Sammlung und Evaluierung von Informationen bezüglich der Landminensituation in einem Land.
‚Survey’
(im hier gemeinten Sinn eine Kombination der möglichen deutschen Übersetzungen: Überblick, Prüfung,
189
Schätzung, Gutachten, Lageplan, Landvermessung, (statistische) Erhebung, Umfrage)
Definition:
Eine Reihe an Aktivitäten, die darauf abzielen, Ausmaß und Art der von Landminen ausgehenden Gefahr zu erfassen. Durch einen Survey werden umfangreiche Datenmengen in einer standardisierten
Form erfasst, welche den Datenanalyseprozess vereinfachen soll.
Quelle: Eigene Definitionen nach UNMAS 2003b, S. V; GICHD 2003e, S. 6; RHODES 2005, S. 69.
Textbox 11: Basis-Methoden zur Erfassung der Landminensituation
189
Der sich über den gesamten Verlauf eines nationalen Mine-Action-Programms erstreckende,
kontinuierliche Prozess der Datensammlung und Informationsauswertung wird als General
Mine Action Assessment (GMAA) bezeichnet. Einbezogen werden dabei Informationen aus verschiedensten Quellen (z.B. Satelliten- und Luftbilder, militärische Dokumentationen und
190
Krankenhausstatistiken). Es werden verschiedenste Surveys , die sich im Allgemeinen entweder auf die Erfassung der verminten Gebiete (unter anderem der Technical Survey) oder auf
die Erfassung ihrer Auswirkungen mit Hilfe von Methoden wie Rapid Rural Appraisal (RRA)
191
oder Participatory Rural Appraisal (PRA) konzentrieren, durchgeführt und eine nationale
Mine-Action-Datenbank wird aufgebaut. Im Zusammenhang des oben erläuterten MineAction-Paradigmenwandels hin zu einer Impact-Orientierung wurde Ende der 90er Jahre der
sog. Landmine Impact Survey (LIS) entwickelt, der mittlerweile als Standardinstrument für
Surveys zur Erfassung der sozioökonomischen Auswirkungen international anerkannt ist
(HARPVIKEN et al. 2001, S. 19f.). Mit Hilfe des LIS werden auf lokaler Ebene diejenigen Gemeinden identifiziert, in denen das Alltagsleben der Bevölkerung bzw. deren Lebensumfeld durch
die Landminenkontaminierung beeinträchtigt wird (siehe Kapitel 8.1).
Auf Grundlage der gesammelten Informationen und insbesondere anhand der Ergebnisse des
LIS, dessen Methodik und Bedeutung für Planung und Prioritätensetzung in Kapitel 8.1 erläutert und analysiert werden, werden auf nationaler Ebene Prioritäten für durchzuführende
Maßnahmen festgesetzt. Die nationalen Schwerpunkte in der Prioritätensetzung, deren häufigsten Textbox 12 zu entnehmen sind, variieren von Land zu Land entsprechend der jeweiligen Rahmenbedingungen.
189
Übersetzungsvorschläge für Survey aus: LANGENSCHEIDT 1992.
Hinsichtlich der verschiedenen Arten von Mine-Action-Surveys bestehen zum Teil Schwierigkeiten bezüglich der
genauen Bestimmung, Abgrenzung und der zu erbringenden Ergebnisse der einzelnen Methoden und Instrumente.
Zur Problematik der Survey-Terminologie siehe RHODES 2005, S.70ff.
191
RRA und PRA sind qualitative Ansätze, die für Programme und Projekte der ländlichen Regionalentwicklung
im Kontext der Entwicklungszusammenarbeit entwickelt wurden, um die Lebensbedingungen der ländlichen Bevölkerung in Entwicklungsländern umfassend zu untersuchen. Im Unterschied zum RRA-Ansatz, in dem Außenstehende
Informationen über die lokale Bevölkerung erheben, basiert PRA auf partizipativen Methoden, in denen das lokale
Wissen und die lokalen Fähigkeiten Ausgangspunkt der Erhebungen sind und die lokale Bevölkerung die Untersuchungen selbst aktiv mitgestaltet (vgl. CHAMBERS 1992).
190
76
7 Planung und Prioritätensetzung in Mine-Action-Programmen
Häufigste Prioritäten für Humanitäre Minenräumung
Bereitstellung von Nothilfe
Besiedelte Fläche mit hohen zivilen Unfallraten
Benötigte Fläche für (Wieder-)Ansiedlung von Flüchtlingen und IDPs
Benötigte Fläche für Landwirtschaft
Entwicklung der lokalen Gemeinschaften
Zugang zu Gesundheitsdiensten
Wiederaufbau
Entwicklung der Infrastruktur
Quelle: UN 1998, S. 6.
Textbox 12: Häufigste Prioritäten für Humanitäre Minenräumung
Ein Beispiel für nationale Prioritätensetzung ist in Tabelle 5 dargestellt. Innerhalb der nationalen Prioritätensetzung von 1998 in Mozambique wurden die Schwerpunkte nach Aufgabentypen geordnet und dabei das Ausmaß der Auswirkungen (national – lokal) der Landminenkontaminierung berücksichtigt. Es gibt 3 Prioritätsstufen (High – Medium – Low) mit jeweils
3 Unterkategorien (MILLARD/HARPVIKEN 2000, S. 91). Anhand dieses Beispiels wird deutlich,
dass die Prioritäten gemäß der entsprechenden Postkonfliktphase einem Wandel unterliegen:
Verschiedene in Textbox 12 genannte Schwerpunkte, wie z.B. ‚benötigte Flächen zur (Wieder-)
Ansiedlung von rückkehrenden Flüchtlingen und IDPs’, spielten in der Prioritätensetzung Mozambiques von 1998 keine Rolle mehr, da das Land zu diesem Zeitpunkt – 6 Jahre nach
Kriegsende – die Phase der Humanitären Notsituation bereits hinter sich gelassen hatte.
Tab. 5: Nationale Prioritätensetzung in Mozambique (1998)
Level 1
Level 2
Level 3
Level 1
Level 2
Level 3
Level 1
Level 2
Level 3
HIGH:
Population Settlement Areas and Social Infrastructures to provide services at provincial,
district and/or community levels such as rural shops, education centres, hospitals and workshops.
Large Infrastructures and Facilities for water supply, electric power/gas /oil export and distribution at national level and areas required for constructing new power lines and water-supply systems.
Large Industrial Units and areas with high potential for these activities at the national level.
Infrastructures and Facilities for electric power and water supply at provincial, district and/or
community level and area required for construction of such systems.
Large Existing Transport Infrastructures (roads, railways.) and areas required or very important for local movements, in particular for provision of services.
Rural Road Network, essential or very important for local movements, in particular for provision
of services.
MEDIUM:
Large Infrastructures for agriculture, livestock, forestry and fishery, and areas with high potential
for these activities at national level.
Industrial, Agro-Industrial and Production Units (agriculture, livestock, forestry and fishery.)
located at provincial, district, and/or community level and small-scale local industries, including
areas with high potential for these activities.
Routes (paths, tracks, roads and bridges) used by people involved in selling means of production,
marketing local production and providing services.
LOW:
Large Commercial and Tourism Facilities and areas with high potential for these activities at
national level.
Important Areas in terms of conservation and ecological use of wildlife and natural environment
at the national level.
Areas devoted to cultural, religious, Recreational and other activities where mine clearance may
contribute to create or consolidate a climate of stability.
Quelle: REPUBLICA DA MOCAMBIQUE – NATIONAL MINE CLEARANCE COMISSION 1998, S.16f.,
zitiert nach: HARPVIKEN et al. 2001, S. 92.
77
7 Planung und Prioritätensetzung in Mine-Action-Programmen
Gemäß der national festgelegten Prioritäten und mit Hilfe des LIS werden die Gebiete identifiziert, in denen Maßnahmen durchgeführt werden sollen, die von den operationellen MineAction-Organisationen ausgeführt werden. Wie bereits in Kapitel 7.2 angesprochen, erfolgt
192
dies z.B. über eine Auftragsvergabe für ein konkretes Vorhaben oder über einen Projektvorschlag durch eine NGO. An dieser Stelle treffen die Prioritäten der verschiedenen Akteure aufeinander. Da es vom Geber abhängt, ob ein Projekt finanziert wird oder nicht, haben dessen
Prioritäten ein besonderes Gewicht. Diese stimmen dabei nicht immer mit denjenigen des
Empfängerstaates überein, sondern können diesen auch widersprechen, obwohl sie sich nach
ihnen richten sollten (vgl. PRIO/UNDP 2004, S. 61). Es wurde bereits darauf hingewiesen, dass
Geber häufig direkt bestimmte NGOs über Projekte finanzieren (HARPVIKEN et al. 2004, S. 115)
und ihnen dabei Spielräume für ihre eigene Prioritätensetzung gewähren. Auf diese Weise
können sich auch die durchführenden Mine-Action-NGOs über die nationalen Prioritäten hinwegsetzen (vgl. GOSLIN 2004, S. 151), was insbesondere dann geschieht, wenn nach Auffassung
einer NGO die nationalen Prioritäten humanitäre Aspekte und die Bedürfnisse der Bevölkerung nicht ausreichend berücksichtigen (SEKKENES 2006: INT). Für die durchführenden Organisationen sind die nationalen Schwerpunkte zwar offiziell obligatorisch (KABIR 2006: INT),
jedoch sind für sie die Vorgaben der Geber (FASTH 2005: INT) und ihre eigenen Grundsätze
(SEKKENES 2006: INT) ausschlaggebender. Es besteht die Gefahr der Ausbildung eines Parallelsystems der Prioritätensetzung innerhalb eines nationalen Mine-Action-Programms, was zu
einer Schwächung der nationalen Kapazitäten führt, weil diese daran gehindert werden, Prioritäten gemäß ihrer eigenen Einschätzung der Landminensituation im Lande umzusetzen
(GOSLIN 2004, S. 151; HARPVIKEN et al. 2004, S. 115). Eine derartige Entwicklung sollte durch
Dialog und Kooperation im Rahmen der Koordinierung – so weit möglich – vermieden und
stattdessen auftretende Widersprüche gelöst bzw. zumindest entkräftet werden, um eine effektive Lösung für die Landminenproblematik sicherzustellen.
Die nächste Stufe im Programmverlauf ist die Planung und Durchführung konkreter MineAction-Projekte auf lokaler Ebene. Innerhalb dieser Projekte findet insbesondere seitens der
NGOs eine weitere Festlegung von Prioritäten statt. Wie bereits Tabelle 4 zu entnehmen ist,
erheben die Mine-Action-NGOs den Anspruch, ihre Prioritätensetzung an den Bedürfnissen
und Prioritäten der lokalen Bevölkerung auszurichten, da diese die Zielgruppe der MineAction-Aktivitäten von NGOs darstellen. Aus der Erkenntnis, dass die betroffene Bevölkerung
ihre eigenen Bedürfnisse selbst am besten bestimmen kann, ergibt sich bereits, wie wichtig
der Einbezug der lokalen Bevölkerung in die Planung und Prioritätensetzung ist. Die Erfahrungen aus der Entwicklungszusammenarbeit belegen seit langem die Bedeutung partizipativer Methoden:
„If […] programmes want to make sure that they meet the needs of the people
through their interventions, if they want to make sure that they make full use of
the people’s experience and local expertise, and if they want to make sure that
people will regard the changes induced or facilitated by the programme’s support
as their own venture for which they will feel responsible, than the local people have
to be involved in the decision making process. Moreover it is not sufficient to collect
information on the target groups […], but it is necessary to exchange views and
information with them in the course of planning. […] participation in planning and
decision making is the crucial issue”
(MAMOZAI/RAUCH 1988, S. 51).
Partizipation ist demnach eine Voraussetzung dafür, dass die ergriffenen Maßnahmen bei den
Zielgruppen Akzeptanz finden, indem sie erkennen, dass sie selbst Einfluss nehmen, einen
aktiven Beitrag zur Effektivitätssteigerung der Maßnahmen und damit zur Verbesserung ihrer
eigenen Lebensumstände leisten können. Die Erkenntnis, dass der Einbezug der lokalen Bevölkerung in Planung und Prioritätensetzung sowie auch in die Durchführung von Maßnah-
192
Auf der Makro-Ebene bezieht sich Prioritätensetzung vor allem auf Großprojekte, z.B. zur Wiederherstellung
der nationalen Infrastruktur, für die eine entsprechende technische und personelle Ausstattung der durchführenden
Organisation erforderlich ist. In der Regel eignen sich für solche Maßnahmen vor allem kommerzielle Mine-ActionFirmen, die durch detaillierte Verträge an klare Vorgaben und damit an die Prioritäten der Auftraggeber (meist die
Regierung des jeweiligen Landes oder bilaterale Geber) gebunden sind.
78
7 Planung und Prioritätensetzung in Mine-Action-Programmen
men eine wichtige Rolle spielt, basiert im Bereich Mine Action auf Erfahrungen wie den folgenden:
• Die lokale Bevölkerung wurde nicht darüber informiert, warum die Organisation vor Ort
war, was sie tat und für wen sie es tat und trat der Mine-Action-Organisation daher mit
Misstrauen entgegen. Dies hatte in vielen Fällen zur Folge, dass geräumte Flächen trotz
dringendem Bedarf nicht genutzt wurden.
• Im Anschluss an die Räumung hat sich die lokale Bevölkerung darüber beschwert, dass
aus ihrer Sicht das ‚falsche’ Gebiet geräumt wurde, oder dass nicht nachvollziehbar war,
warum der Räumung einer bestimmten Fläche gegenüber einer anderen Vorrang gegeben
wurde.
• Weil die Bevölkerung nicht darüber informiert wurde, dass die Räumung einer bestimmten
Fläche unter- oder abgebrochen wurde, begann sie – in der Annahme, die Fläche sei sicher – diese trotz weiterhin verbliebener Minen zu nutzen.
• Die Bevölkerung wurde nicht über den Abschluss der Räumung eines Gebietes informiert,
dadurch wurde die Nutzung der Fläche zeitlich verzögert.
• Während der Räumarbeiten betraten Dorfbewohner die verminte Fläche oder Hirten trieben ihr Vieh dorthin, wodurch zum einen die Minenräumer, sie selbst und auch ihre Tiere
in Gefahr gebracht und zum anderen die Arbeiten zum Teil erheblich verzögert wurden.
(WHEATLEY 2005, S. 154f.; MILLARD 2005: INT)
Die Beispiele belegen, wie wichtig Partizipation der Zielgruppen und rege Kommunikation
zwischen der Bevölkerung, den Räumteams und den Projektmanagern für Planung und
Durchführung von Mine-Action-Projekten sind. Vor allem das letzte der genannten Beispiele
belegt, dass bei der Bevölkerung hinsichtlich ihres Risikoverhaltens – z.B. durch das Suchen
und Entwickeln von Alternativen – eine Veränderung herbeigeführt werden muss. Ein Verständnis seitens der Zielgruppe für die Notwendigkeit einer Verhaltensänderung kann nur
durch Kommunikation und Aufbau einer engen Beziehung zwischen den Mine-Action-Teams
und der lokalen Bevölkerung erreicht werden. Daher ist es unbedingt erforderlich, dass einerseits diese Beziehung aufgebaut und andererseits MRE in Projekte der Humanitären Minen193
räumung integriert wird (WHEATLEY 2005, S. 154 und S. 162). Um die erforderliche enge
Zusammenarbeit und einen intensiven Austausch mit den Zielgruppen zu fördern, wurde im
Rahmen von Mine Action der Ansatz der sog. Community Liaison entwickelt.
‚Community Liaison’
“A process designed to place the needs and priorities of mine affected communities at the centre of the
planning, implementation and monitoring of mine action and other sectors.
Note: This shall be one of the major strategic principles of mine action.
Note: Community liaison is based on an exchange of information and involves communities in the decision making process, (before, during and after demining), in order to establish priorities for mine
action. In this way mine action programmes aim to be inclusive, community focused and ensure
the maximum involvement of all sections of the community. This involvement includes joint planning, implementation, monitoring and evaluation of projects.
Note: Community liaison also works with communities to develop specific interim safety strategies promoting individual and community behavioural change. This is designed to reduce the impact of
mine/UXO on individuals and communities until such time as the threat is removed.”
Quelle: UNMAS 2003a, Definition 3.31.
Textbox 13: ‚Community Liaison’
193
Dies ist ein wesentlicher Grund dafür, dass MRE dem Bereich Operational Mine Action zugeordnet wird (vgl. Kapitel
6.2.2).
79
7 Planung und Prioritätensetzung in Mine-Action-Programmen
Mit Community Liaison wird die betroffene Bevölkerung in die Identifizierung der lokalen,
aus der Landminenproblematik resultierenden Probleme einbezogen und mögliche Lösungen
gemeinsam mit ihr diskutiert, um auf diese Weise den lokalen Bedürfnissen zu entsprechen
(LANDMINE ACTION 2004, S. 35). Wie der in Textbox 13 enthaltenen Definition und den dazugehörigen Erläuterungen zu Community Liaison zu entnehmen ist, wird Community Liaison
als wichtiges strategisches Mine-Action-Prinzip auch in den internationalen Mine-Action194
Standards empfohlen.
Für die Festlegung von Prioritäten im Rahmen der Planung konkreter Mine-Action-Projekte
auf lokaler Ebene findet neben der Erfassung und Berücksichtigung lokaler Bedürfnisse eine
detaillierte Analyse des spezifischen Kontexts statt. Es wird genau erfasst, welche Bereiche
innerhalb eines Dorfes und in dessen Umkreis vermint sind, welche sozioökonomischen Auswirkungen sich daraus auf die Bevölkerung ergeben und welche technischen und personellen
195
Anforderungen die Durchführung einer möglichen Maßnahme erfordert. Unter Heranziehen
spezifischer Instrumente zur Ermittlung der möglichen Resultate von Maßnahmen (siehe unten) wird bestimmt, welche Aktivitäten unter Anwendung welcher technischen (angepassten)
Methoden im Einzelnen durchgeführt werden sollen. Dabei geht es z.B. darum, ob zur Reduzierung der Auswirkungen die Räumung einer verminten Fläche unbedingt erforderlich oder
ob eine Markierung im Einzelfall ausreicht bzw. ob eine Fläche vollständig oder nur in Abschnitten zu räumen ist (ATIQULLAH 2005: INT). Eine solche Entscheidung ist notwendig im
Hinblick auf die Maßgabe, begrenzte Ressourcen so einzusetzen, dass sie den größtmöglichen
Beitrag zur Verbesserung der Lebenssituation der Betroffenen leisten, ohne dabei Mittel an
nicht unbedingt erforderliche Maßnahmen zu verschwenden.
Bei der Entscheidung über eine durchzuführende Maßnahme muss auch die dem MineAction-Programm zugrunde liegende Zielsetzung in die Überlegungen mit einbezogen werden, die in den meisten Fällen eine ökonomische Ausrichtung auf wirtschaftliches Wachstum
– z.B. Steigerung der landwirtschaftlichen Produktion – beinhaltet.
Zur Verdeutlichung der auf dieser Ebene zu treffenden Entscheidungen dient das Szenario in
Textbox 14. Das Szenario verdeutlicht anhand eines konkreten Beispiels auf lokaler Ebene,
wie schwierig eine Abwägung der sozioökonomischen Faktoren und – daraus resultierend –
wie komplex eine Entscheidungsfindung innerhalb eines Projektes sein kann.
194
Zur Integration von Community Liaison in den gesamten Prozess – also Planung, Durchführung und Evaluierung –
eines Mine-Action-Programms vgl. UNICEF/GICHD 2005.
195
Dabei wird z.B. untersucht, welche Räumtechnik für die lokale Situation angemessen ist im Hinblick auf die Art der
Verminung, Vegetations- und Klimaverhältnisse, Bodenbeschaffenheit, etc. Im gleichen Zuge werden die erforderlichen technischen und personellen Kapazitäten eingeschätzt.
80
7 Planung und Prioritätensetzung in Mine-Action-Programmen
Szenario einer Entscheidungssituation
Eine Minenräumorganisation steht vor der Wahl zwischen 2 verschiedenen Aufgaben innerhalb eines
Dorfes:
1) Räumung von 2 Hektar hochwertiger Reis-Anbaufläche im Besitz
eines Haushaltes;
2) Räumung der Zugangsstrasse, über die die Versorgung des Dorfs erfolgt.
Beide Aufgaben würden auf unterschiedliche Weise zur Steigerung der landwirtschaftlichen Produktion des Dorfes beitragen:
1) Zuführen zusätzlicher 2 Hektar Anbaufläche zur Produktion,
2) Ertragssteigerung der übrigen (minenfreien) Anbauflächen durch
kostengünstigere Versorgung mit Düngemitteln, besserem Saatgut, etc.
Beispiel 2 hat darüber hinaus zusätzliche Vorteile für die gesamte Dorfgemeinschaft, indem unter
anderem die Versorgung mit Konsumgütern sowie der Zugang zum öffentlichen Gesundheitswesen
ermöglicht werden. Die ökonomischen Resultate beider Räumaufgaben haben folglich nicht das gleiche Ausmaß.
Auch unterscheiden sich die beiden Beispiele in ihren Auswirkungen auf die ökonomische Gleichheit.
Von der Räumung der Straße profitieren alle Dorfbewohner, von der Räumung der Anbaufläche jedoch
nur ein Haushalt.
Bei einer solchen Konstellation wäre es relativ offensichtlich, welche Maßnahme zu wählen ist. Eine
geringfügige Änderung dieser Konstellation würde die Entscheidung deutlich erschweren:
Handelt es sich bei dem betreffenden Haushalt aus Beispiel 1 im Vergleich zur restlichen Dorfbewohnerschaft um einen extrem armen Haushalt, würde die Räumung des Reisfeldes die ökonomische
Gleichheit der gesamten Dorfbevölkerung fördern, während die Räumung der Straße eine gleichmäßigere Verteilung des aus der Maßnahme resultierenden Nutzens bewirken würde. Neben der Steigerung der landwirtschaftlichen Produktion haben die Maßnahmen folglich auch Auswirkungen auf die
Versorgung und Gleichheit und können je nach Wahl der Maßnahme und Perspektive der Zielgruppen
(Haushalt vs. Dorfgemeinschaft) positiv oder negativ ausfallen. Solcherlei mögliche und vorhersehbare
Konsequenzen müssen im Entscheidungsprozess eines Projektes berücksichtigt werden.
Quelle: GICHD/UNDP 2002, S. 23.
Textbox 14: Szenario einer Entscheidungssituation
Um bei der Prioritätensetzung der Komplexität der Problematik gerecht zu werden, orientieren sich die Mine-Action-NGOs an einer Reihe von Schlüsselfragen:
• Welches Unfallrisiko besteht, wenn die Fläche nicht genutzt wird?
• Welche Blockade besteht durch die Verminung? (Siedlungsfläche, wirtschaftliche Nutzfläche, Infrastruktur)
• Hat die Fläche ein Nutzungspotenzial? Wenn ja, welches?
• Innerhalb welchen Zeitraums kann die Fläche nach der Räumung der geplanten Nutzung
zugeführt werden? (Besiedlung der Fläche absehbar? Kapazitäten der Zielgruppe zur Nutzung der Fläche vorhanden? Folgeprojekte der Entwicklungszusammenarbeit geplant?)
• Wie viele Personen und wer im Einzelnen profitiert von den Maßnahmen?
• Besteht ein Bedarf an dieser Fläche oder gibt es ausreichend Alternativen? Wenn ja, welche?
• Welche technischen Anforderungen oder Probleme bestehen hinsichtlich der Räumung?
(auch: Kann die Organisation im Hinblick auf die eigenen Kapazitäten diesen Anforderungen gerecht werden?)
• Welche weiteren Probleme bestehen, z.B. hinsichtlich Sicherheit, Zugang, Logistik etc.?
(FARID 2006: INT; HARPVIKEN et al. 2001, S. 31)
81
7 Planung und Prioritätensetzung in Mine-Action-Programmen
Verschiedene Mine-Action-Organisationen – insbesondere NGOs – haben für den Prioritätensetzungsprozess verschiedene Instrumente entwickelt, mittels derer ein die Entscheidungen
vereinfachendes und vereinheitlichendes Verfahren zur Verfügung stehen soll, die zu vergleichbaren und transparenten Ergebnissen führen. Unter Einbeziehen der anhand der
Schlüsselfragen gesammelten Informationen werden die möglichen Effekte der Maßnahmen
eingeschätzt, und diejenigen Gebiete für die Durchführung von Maßnahmen vorrangig ausgewählt, die das größte Potenzial für eine Verbesserung der Lebenssituation der lokalen Bevölkerung aufweisen. Das bekannteste dieser Instrumente ist das sog. Task Impact Assessment
(TIA) oder auch Task Assessment and Planning (TAP), welches von der norwegischen NGO
Norwegians People’s Aid (NPA) entwickelt wurde:
„Task impact assessment is a tool designed by NPA to target the organisation’s
activities in the field effectively in order to ensure that its de-mining activities actually
achieve their objectives and correspond to the needs of identified target groups and
beneficiaries”
(GOSLIN 2004, S. 154).
Dabei handelt es sich um einen analytischen Planungsprozess, der die Bedürfnisse und Kapazitäten von Communities sowie die Einsatz- und Managementkapazitäten der Minenräumorganisation selbst einschätzt (GROBBELAAR 2003, S. 34). Im Mittelpunkt dieses Ansatzes stehen
die Bedürfnisse der lokalen Bevölkerung, weshalb der wesentliche Anteil der für den Entscheidungsprozess zugrunde gelegten Informationen auf Aussagen der Zielgruppen beruht.
Zusätzliche Informationen werden bezogen über nationale und lokale Behörden bzw. Autoritäten sowie über Institute, Agenturen, Ministerien, NGOs (außerhalb von Mine Action), UNOrgane und internationale Organisationen, die in Planung oder Maßnahmen für die Region
involviert sind (GOSLIN 2004, S. 156). Anhand des in Abbildung 15 dargestellten AnalyseSchemas lässt sich nachvollziehen, mittels welcher Kriterien verminte Gebiete kategorisiert
und unterschiedlichen Prioritätsstufen zugeordnet werden.
Vermutlich verminte Gebiete
(‚Suspected Mined Areas’, SMAs)
Opfer / Blockade
Opfer
Keine Opfer / keine Blockade
Sozioökonomische Blockade
Keine weiteren
Maßnahmen
geplant (außerhalb
von MA)
Abgelegene
Region
Keine
zusätzlichen
Inputs erforderlich
Zusätzliche
erforderliche Inputs
nicht vorhanden
Hohes Risiko
Potentieller Wert
Potentielles Risiko
Hoher Wert
Potentielles Risiko
Potentiell hoher Wert
Potentielles Risiko
Potentieller Wert
Geringes Risiko
Geringer Wert
Priorität 1
Priorität 2
Priorität 3
Priorität 4
Priorität 5
Sofortige
Maßnahmen
Warten auf
weiteren Input
oder veränderte
Risikoeinschätzung
Monitoring evtl.
Markierung oder
Einzäunung
Monitoring
Sofortige
Maßnahmen
Abb. 15: Analyse-Schema zur Prioritätensetzung nach der TAP-Methode
196
(EATON 2004, S. 143; leicht verändert und übersetzt)
196
Das Analyse-Schema stammt aus einem TAP-Pilot-Projekt, das von NPA im Jahr 2002 in Bosnien und Herzegowina
durchgeführt wurde. Zu diesem Projekt vgl. LITTLEJOHN 2005.
82
7 Planung und Prioritätensetzung in Mine-Action-Programmen
Mit Hilfe der TAP-Analyse werden für die Durchführung kostenintensiver Räumarbeiten sowohl diejenigen verminten Gebiete herausgefiltert, in denen ein hohes Unfallrisiko besteht
(‚Priorität 1’), als auch die Gebiete, deren Verminung eine Blockade zu wertvollen Ressourcen
verursacht, und für die die Nutzung unmittelbar nach Abschluss der Räumung sichergestellt
ist (‚Priorität 2’). Die Räumung von Gebieten der ‚Priorität 3’, kann dazu führen, dass aufgrund
fehlender Produktionsmittel (Saatgut, Werkzeug, Transportmittel, etc.), zerstörter Bewässerungssysteme oder ähnlicher Defizite, die Flächen nach Abschluss der Räumung über lange
Zeit weiterhin brachliegen. Um die Verschwendung von begrenzten finanziellen Mitteln zu
vermeiden, wird die Räumung solcher Gebiete zunächst zurückgestellt. Stattdessen werden
die Minenfelder zur Vermeidung von Unfällen durch Markierung oder Einzäunung abgesichert. Andere Gebiete, von denen nur ein geringes Risiko ausgeht oder die keinen kurzfristig
absehbaren Nutzen bieten, werden markiert oder eingezäunt (PATERSON 2005b, S. 323; EATON
2004, S. 142).
Aus diesen Erläuterungen ergibt sich, dass innerhalb einer auf der TAP-Analyse basierenden
Prioritätensetzung die Sicherstellung der Folgenutzung einen zentralen Stellenwert einnimmt.
Ein wichtiger Bestandteil des TAP-Analyse-Prozesses ist daher die Evaluierung der Auswirkungen der Maßnahmen nach deren Abschluss (Post-Clearance Evaluation), in deren Rahmen
geprüft wird, ob die Zielgruppen von den Maßnahmen wie geplant profitieren. Diese Evaluierungen dienen auch zur Weiterentwicklung und Verbesserung des Entscheidungs- und Prioritätensetzungsprozesses im Hinblick auf zukünftige Projekte (GOSLIN 2004, S. 156).
Mit dem TAP-Instrument wird der durchführenden Organisation ein fundierter Kriterienkatalog an die Hand gegeben, der dazu beiträgt, die Durchführung einer bestimmten Maßnahme
auf transparente Weise zu begründen und zu rechtfertigen. Diese Methode hilft dabei, MineAction-Maßnahmen kosteneffizient und -effektiv zu planen, indem zum einen die logistische
Durchführbarkeit durch die Organisation Bestandteil der Analyse ist, und zum anderen nur die
Maßnahmen vorgesehen werden, die für die unmittelbare Risikominimierung notwendig sind
oder die einen sicheren und absehbaren sozioökonomischen Nutzen bringen (GOSLIN 2004,
S. 154ff.). Dadurch, dass die von der Zielgruppe artikulierten Bedürfnisse und Prioritäten vorrangig berücksichtigt werden, wird sichergestellt, dass die Maßnahmen einen nachhaltigen
Beitrag zur Entwicklung leisten.
7.4
Zwischenfazit: Prioritätensetzung im Rahmen
von Mine-Action-Programmen
Wie in Kapitel 6.1 erläutert, haben Landminen neben der unmittelbaren physischen Gefahr
vor allem sozioökonomische Auswirkungen. Die Entwicklung einer effektiven Lösungsstrategie erfordert daher umfassende Kenntnisse über diese Auswirkungen (vgl. Kapitel 7.1.1). Eine
angemessene Prioritätensetzung, die darauf abzielt, die Lebensumstände der betroffenen
Bevölkerung schnellstmöglich und nachhaltig zu verbessern, muss – basierend auf diesen
Kenntnissen – auf sozioökonomische Faktoren ausgerichtet sein. Bezogen auf die lokale Ebene
bedeutet das, die Mine-Action-Maßnahmen so zu planen und durchzuführen, dass die Bedürfnisse und Prioritäten der lokalen Zielgruppen vorrangig berücksichtigt werden (vgl.
Kapitel 7.3.2).
In Kapitel 6.4 wurde bereits darauf hingewiesen, dass sich im Verlauf der verschiedenen Postkonfliktphasen das Hauptaugenmerk von Mine-Action-Maßnahmen zu humanitären Zwecken
auf Maßnahmen zum Wiederaufbau und schließlich auf Entwicklung ausgerichtete Maßnahmen verlagert. Damit ist gleichzeitig eine zunehmende Verschiebung des Fokus von der
Makro- auf die Mikro-Ebene sowie von kurzfristigen (Sofortmaßnahmen) auf mittel- und langfristig ausgerichtete Maßnahmen verbunden (GICHD/UNDP 2004, S. 17ff.; HARPVIKEN et al.
2004, S. 117). Über die Stadien und mit Änderung des Fokus nimmt die Schwierigkeit der Identifizierung der Auswirkungen zu, da die Kontaminierung viele verschiedene Bevölkerungsgruppen auf viele unterschiedliche Weisen betrifft, deren Bedürfnisse und Prioritäten erfasst
werden müssen. Daten und Informationen, die ein umfassendes Verstehen der Auswirkungen
und das Festlegen von angemessenen Prioritäten ermöglichen sollen, müssen daher ein relativ
vollständiges und vor allem korrektes Bild von den Auswirkungen bieten, aber auch darüber,
welchen möglichen Nutzen unterschiedliche Mine-Action-Aktivitäten haben können
83
7 Planung und Prioritätensetzung in Mine-Action-Programmen
(GICHD/UNDP 2004, S. 24). Folge dieser Zusammenhänge ist, dass die Daten- und Informationsgrundlage, die für die Mine-Action-Planung und Prioritätensetzung zugrunde gelegt werden sollte, zunehmend umfassender und die Prioritätensetzung im Verlauf eines Programms
schwieriger und komplexer wird (HARPVIKEN et al. 2004, S. 117), wie Tabelle 6 zusammenfassend darstellt. In Kapitel 7.3.3 wurde mit TIA bzw. TAP ein Instrument vorgestellt, das von
NGOs entwickelt wurde, um auf die komplexe Landminenproblematik zu reagieren und den
vielschichtigen Anforderungen der Prioritätensetzung gerecht zu werden. Derartige Methoden
sind vor allem aufgrund der praktischen Erfahrungen von NGOs entstanden, die wegen ihrer
Ausrichtung auf die lokale Bevölkerung und deren Bedürfnisse die Relevanz einer begründeten Abwägung sozioökonomischer Faktoren im Rahmen der Prioritätensetzung auf lokaler
197
Ebene erkannt haben.
Tab. 6: Mine-Action-Prioritätensetzung nach Postkonfliktphasen
Übergeordnete
Zielsetzung
Hauptauswirkung
nach Ebene
Unfallpotential
(bezogen auf die
Bevölkerung)
Identifizierung der
Auswirkungen
Orientierung und
Komplexität der
Prioritäten
Stadium 1
Nothilfe
Nationale Ebene
(Auswirkungen auf
der Makroebene)
hoch
Stadium 2
Kurzfristige
Entwicklung
Regionale Ebene
(häufig Koordination mit
anderen Hilfsinitiativen)
niedrig
Stadium 3
Langfristige
Entwicklung
Lokale Ebene
(Auswirkungen auf
der Mikroebene)
minimal
leicht
mittlere Schwierigkeit
schwierig
kurzfristig
gering
mittelfristig
mittlere Komplexität
langfristig
zunehmend komplex
Quelle: MILLARD/HARPVIKEN 2000, S. 11 (erweitert).
In der Vergangenheit wurden in vielen Mine-Action-Programmen Prioritäten gesetzt und
Maßnahmen initiiert, ohne auf umfassende Daten bezüglich der sozioökonomischen Auswirkungen (vor allem auf die lokale Bevölkerung) zurückzugreifen. Im Nachhinein hat sich herausgestellt, dass aus diesem Grund vielfach falsche Prioritäten gesetzt und folglich Gelder an
unnötige Maßnahmen verschwendet wurden, ohne die Lebensumstände der Betroffenen wesentlich zu verbessern (WHEATLEY 2005, S. 155; GICHD/UNDP 2004, S. 24). Dass diese Problematik in der Praxis verstärkt berücksichtigt wird, zeigt sich an der zunehmenden Bedeutung
und Durchführung von Surveys zur Erfassung der sozioökonomischen Auswirkungen, wie dem
bereits erwähnten LIS. Solche Surveys können signifikant zu einer Verbesserung der MineAction-Planung und Durchführung beitragen. Voraussetzung dafür ist, dass die entsprechenden Daten auf methodisch und analytisch fundierte Weise erhoben, regelmäßig überprüft,
aktualisiert und ausgewertet werden, um daraus aussagekräftige, verlässliche und relevante
Ergebnisse zu ziehen, die für eine effektive Planung und Prioritätensetzung eingesetzt werden
können. Viele Mine-Action-Programme weisen genau an dieser Stelle unterschiedliche
Schwachstellen auf, wie in den folgenden Kapiteln dargestellt und im Zusammenhang mit den
Fallbeispielen aufgezeigt wird.
197
Es gibt aber auch unter den Mine-Action-NGOs noch Organisationen, die wenig Verständnis hinsichtlich der Ausrichtung auf und Berücksichtigung von sozioökonomischen Faktoren und eine entsprechende Prioritätensetzung
aufbringen. Sie vertreten den Standpunkt, dass eine Konzentration auf die Minenräumung erforderlich sei, statt wertvolle Gelder und Zeit durch das Veranstalten von Konferenzen, die Diskussion über und Entwicklung von angepassten
Methoden, Strategieplänen oder genderspezifischen Ansätzen, sowie mit der Durchführung von teuren Surveys zur
Erfassung der sozioökonomischen Auswirkungen zu verschwenden (vgl. z.B. WILLOUGHBY 2004, S. 3). Die Sicherstellung der Nutzung von Flächen nach deren Räumung oder andere entwicklungsorientierte Aspekte lägen in der Verantwortung anderer Sektoren. Eine solche Haltung lässt sich in den meisten Fällen darauf zurückführen, dass diese
Organisationen einen militärischen Hintergrund haben und mit multidisziplinären Ansätzen wenig vertraut sind
(HORWOOD 2000, S. 31). Aufgrund der sich im Bereich Mine Action allgemein durchsetzenden Betonung sozioökonomischer Faktoren findet aber auch bei diesen Organisationen langsam ein Einlenken statt, welches wahrscheinlich zu
einem Großteil auf das Umdenken der Geber zurückzuführen ist.
84
8 Methoden und Instrumente zum ‚Impact Assessment’
8
Methoden und Instrumente
zum ‚Impact Assessment’
Da die Voraussetzung für effektive Planung und Durchführung von Mine-Action-Programmen
die Verfügbarkeit von relevanten Daten und Informationen ist, macht Informationsmanagement einen großen Teilbereich von Mine Action aus (GICHD/UNDP 2004, S. 3; vgl. auch Kapitel 7.1.1).
Informationsmanagement im Rahmen von Mine Action umfasst:
• Erhebung von relevanten Daten und Informationen (sozioökonomische und
technische Daten)
• Aufbau von Datenbank- und Informationssystemen
• Analyse und Interpretation von Daten und Informationen
• Kontinuierliche Aktualisierung von Daten und Informationen
• Verfügbarmachen der Daten und Informationen für alle Mine-Action-Akteure
Die erhobenen Informationen werden in den nationalen Mine-Action-Datenbanken zentral
gesammelt und verwaltet und von dort aus den Mine-Action-Akteuren zur Verfügung gestellt.
Das international verbreitetste Datenbanksystem ist das sog. Information Management System
for Mine Action (IMSMA), welches speziell für die Bedürfnisse von Mine-Action-Management
entwickelt wurde (vgl. Kapitel 8.2).
Im Rahmen des Mine-Action-Informationsmanagements nehmen Erhebungen zum sog. Impact Assessment, also zur Einschätzung der sozioökonomischen Auswirkungen sowohl der
Landminenkontaminierung als auch der Mine-Action-Interventionen einen hohen Stellenwert
ein. Die Bedeutung umfassender Kenntnisse der soziökonomischen Auswirkungen für die Mine-Action-Planung und Prioritätensetzung wurde bereits betont. In den letzen Jahren wurden
vor allem 3 sehr unterschiedliche Ansätze des Impact Assessments angewandt:
• Ökonomische Analysen (hauptsächlich Kosten-Nutzen-Analysen)
• Landmine Impact Survey (LIS)
• Community Studies
Der LIS hat sich mittlerweile international als Standardinstrument für Surveys zur Erfassung
der sozioökonomischen Auswirkungen etabliert, die Planung und Prioritätensetzung vieler
nationaler Mine-Action-Programme basiert zu einem Großteil auf seinen Ergebnissen. Daher
bildet im Rahmen der Impact Assessments der LIS in dieser Arbeit den Schwerpunkt und wird
hinsichtlich Methodik und Aussagekraft analysiert. Die Anwendungsmöglichkeiten von ökonomischen Analysen für Mine Action sowie die Vor- und Nachteile von Community Studies
werden in jeweils kurzem Überblick in Textbox 15 und Textbox 16 vorgestellt.
85
8 Methoden und Instrumente zum ‚Impact Assessment’
Ökonomische Analysen
Allgemeines Ziel:
Berechnung zukünftiger Gewinne aus verschiedenen Arten von Investitionen
Häufigste Form: Kosten-Nutzen-Analyse
Im Rahmen von ökonomischen Analysen werden Schablonen erstellt, die auf eine Reihe ähnlicher
Situationen angewandt werden können. In diese Schablonen werden Daten eingegeben, die so verarbeitet werden, dass anhand der Ergebnisse sinnvolle Annahmen über Kosten und Nutzen von Investitionen bzw. Maßnahmen gemacht werden können.
Im Bereich Mine Action werden z.B. die Kosten für die Räumung einer Fläche pro Quadratmeter den zu
erwartenden Gewinnen der landwirtschaftlichen Produktivität auf dieser Fläche pro Quadratmeter
gegenübergestellt.
In diese Berechnung werden verschiedene Daten, die normalerweise über reguläre (eher technische)
Surveys verfügbar sind, wie z.B. Angaben über die Größe der verminten Flächen, die Bodenbeschaffenheit und -qualität, etc. einbezogen.
Eine wesentliche Stärke von Kosten-Nutzen-Analysen liegt in ihrem Umgang mit Zwängen und Kosten, die direkt in die Berechnung mit einfließen, wodurch die Ergebnisse einer Kostenreduzierung
oder eines flexiblen Umgangs mit Zwängen direkt sichtbar gemacht werden können.
Jedoch bieten ökonomische Analysen im Bereich Mine Action nur eine enge Sichtweise, da der Fokus
allein auf ökonomischen Werten liegt. Die dabei häufig vorgenommene Berechnung eines ökonomischen (Geld-)Wertes für Todesfälle oder Verletzungen (sprich: für Menschenleben) wird dabei sowohl
in methodischer als vor allem auch in ethischer Hinsicht vielfach kritisiert.
Als Instrument zum Impact Assessment von Mine-Action-Interventionen auf lokaler Ebene, in denen
neben den ökonomischen auch andere Faktoren eine große Bedeutung haben, sind sie aufgrund ihres
ausschließlich ökonomischen Fokus nicht geeignet.
Ökonomische Analysen im Bereich Mine Action bedienen vor allem Geber, zum einen, da sie die
Auswirkungen der Landminenkontaminierung bzw. eine Kosten-Nutzen-Bilanz für eine mögliche Mine-Action-Maßnahme in wenigen Zahlen präsentieren, und zum anderen da sie einen Vergleich der
Kosten-Nutzen-Verhältnisse zwischen Mine Action und anderen Sektoren erlauben. Solche Ansätze
eignen sich insgesamt vor allem zur Beurteilung von Programmen, jedoch weniger für das Schaffen
eines Verständnisses der sozioökonomischen Auswirkungen von Landminen und Mine-ActionMaßnahmen. Daher wurden sie bisher auch noch nie als Grundlage der Prioritätensetzung in Programmen genutzt.
Beispiele ökonomischer Analysen im Bereich Mine Action:
MCPA (1998): „Socio-Economic Impact Study Afghanistan“. Islamabad.
UNMACA (2000): „Study of Socio-economic Impact of Mine Action in Afghanistan”. Islamabad. Beide
Studien kommen zu dem Ergebnis, dass die Räumung landwirtschaftlicher Flächen gewinnbringend ist, das heißt, den Kosten für die Räumung pro Quadratmeter Fläche stehen höhere
Gewinne aus landwirtschaftlichen Erträgen pro Quadratmeter gegenüber.
UNDP/GICHD (2001): „Socio-Economic Approaches to Mine Action“. Genf. (Untersuchung der Anwendbarkeit von Kosten-Nutzen-Analysen im Bereich Mine Action mit den 3 Fallstudien Laos, Mozambique
und Kosovo).
Ergebnis Fallbeispiel Mozambique: Die Räumung landwirtschaftlicher Flächen in Mozambique ist auf
ökonomischer Basis nur zu rechtfertigen, wenn die Räumkosten drastisch gesenkt werden
können (7.000 US $ Räumkosten gegenüber etwa 1.655 US $ an landwirtschaftlichen Erträgen
pro Hektar in einem für 20 Jahre vorausberechneten Zeitraum).
Die Räumung von Zugangsblockaden zu dörflichen Wasserstellen dagegen ist gewinnbringend, weil durch den Wegfall der Blockade eine sehr begrenzte Ressource verfügbarer wird:
die Zeit, die Frauen beim Wasserholen für andere Aktivitäten einsparen, unter anderem für die
Arbeit in der landwirtschaftlichen Produktion.
Quelle: Eigene Zusammenstellung nach HARPVIKEN et al. 2004, S. 122ff.; PATERSON 2005b, S. 318;
GICHD/UNDP 2001, S.61f.
Textbox 15: Ökonomische Analysen
86
8 Methoden und Instrumente zum ‚Impact Assessment’
Community Studies
Ziel:
Erstellung eines umfassenden Profils einer von Landminen betroffenen lokalen Gemeinschaft, um ein
umfassendes Verständnis bezüglich der Auswirkungen von Landminen bzw. von Mine-ActionMaßnahmen auf lokale Gemeinschaften zu schaffen.
Dieser explizit offene Ansatz wurde im Rahmen des PRIO-Projektes Assistance to Mine-Affected
Communities (AMAC) entwickelt, das den durchführenden Mine-Action-Organisationen mit den Studien eine Ergänzung zu anderen Impact Assessments bereitstellt, damit die in solchen Erhebungen
vorgenommene, gewichtete Kategorisierung von lokalen Gemeinschaften nicht als einzige Referenz
genutzt wird. Im Rahmen des Community-Studies-Ansatzes wird betont, dass Impact Assessments als
fortlaufender Prozess und nicht als ein Ereignis im Verlauf einer Projektdurchführung angelegt werden sollten.
Community Studies bedienen sich einer Kombination verschiedener partizipativer und anderer Methoden zur Datenerhebung (Gruppeninterviews, offene Interviews mit Schlüssel-Informanten, statistische Erhebungen, Beobachtungen, Dokumente). Der Vorteil eines solchen ‚Methodenmix’ besteht
darin, dass durch verschiedene Methoden zum einen Informationen über unterschiedliche Aspekte
erhoben und zum anderen Informationen über dieselben Aspekte aus unterschiedlichen Quellen gesammelt werden, wodurch die Zuverlässigkeit der Informationen erhöht wird.
Grundidee: Bedeutende Auswirkungen innerhalb einer lokalen Gemeinschaft können in unterschiedlichen Bereichen identifiziert werden, welche durch andere Methoden, die den Fokus auf
Unfälle oder ökonomische Auswirkungen beschränken, nicht erfasst werden.
Daher werden sowohl die Auswirkungen von Landminen auf andere Faktoren, wie z.B. Migration, kulturelle oder religiöse Aspekte, als auch die Wechselwirkungen zwischen unterschiedlichen Faktoren untersucht. (Bsp.: Neben Landminen behindern auch andere Probleme – wie z.B.
fehlende Transportmöglichkeiten oder eine instabile Sicherheitslage – die Rückkehr von Flüchtlingen, welche auch erst gelöst werden müssen, damit Flüchtlinge zurückkehren können.) Die
größte Stärke dieses Ansatzes liegt folglich in seiner Offenheit für eine Vielfalt von Faktoren
und Auswirkungen, sowie ihren Wechselbeziehungen.
Community Studies sind zeitaufwendig und arbeitsintensiv, außerdem anspruchsvoll hinsichtlich fachlicher Kompetenz. Die erhobenen Daten lassen sich nur schwer aggregieren, weshalb
das Potential dieses Ansatzes als Instrument zur Prioritätensetzung auf nationaler Ebene begrenzt ist.
Um Aussagen über das Landminenproblem eines ganzen Landes zu machen, bieten Community
Studies nicht die beste Grundlage, jedoch sind sie hinsichtlich der Repräsentation der Vielfalt von
lokalen Interessen sehr aussagekräftig. Daher ist ihre Relevanz auf lokaler Ebene sehr hoch.
Anwendungsbeispiel: Community Studies in Mozambique:
Die tatsächlichen Auswirkungen der Mine-Action-Interventionen in Capirizanje an der Grenze zu Malawi waren ganz andere als vorhergesehen: Die Maßnahmen waren initiiert worden für die Sicherheit
durchreisender, rückkehrender Flüchtlinge, jedoch wurde das geräumte Gebiet zu einer Hauptressource für lokale Landwirtschaft und Besiedlung. Ein detaillierteres Impact Assessment im Vorfeld,
sowie systematisches Monitoring während der Durchführung hätten der durchführenden Organisation
ermöglicht, dies vorher zu erkennen und die Maßnahmen entsprechend anzupassen.
Quelle: Eigene Zusammenstellung nach HARPVIKEN et al. 2004, S. 124ff.; HARPVIKEN et al. 2001, S. 22f.;
vgl. auch MILLARD/HARPVIKEN 2000.
Textbox 16: ‚Community Studies’
87
8 Methoden und Instrumente zum ‚Impact Assessment’
8.1
Der ‚Landmine Impact Survey’ (LIS)
„I have been in mine action since 1999. The information over the years has improved, with
the help of the LIS and the maturing of the field as it has grown and aged. I think there is
just a better understanding for the need for data. How else do you explain a problem? How
else do you account for success? It is progress that the number of landmines and square
metres are no longer reliable indicators of the problem.
In fact, the number of landmines is meaningless”
(KENDELLEN 2005: INT).
Der Landmine Impact Survey (LIS) ist Bestandteil des sog. Global Landmine Survey Programms (GLS), das 1998 auf die Initiative von NGOs, Regierungen und UN-Organen mit dem
Ziel ins Leben gerufen wurde, das globale Ausmaß der Landminenkontaminierung zu erfassen
und ein umfassenderes Verständnis über die sozioökonomischen Auswirkungen von Landminen zu erhalten (SAC 2000, S. 7). Die Durchführung der länderspezifischen LIS wird zentral
198
von dem eigens zu diesem Zweck eingerichteten sog. Survey Action Center (SAC) koordiniert, das neben der Koordinierung auch für die technische Unterstützung der durchführenden Akteure im jeweiligen Land sowie für die Mobilisierung der erforderlichen finanziellen
199
Ressourcen zur Durchführung der LIS verantwortlich ist (SAC 2000, S. 7 und S. 9). Um die
Anwendbarkeit der Survey-Methoden auf die sehr unterschiedlichen von Landminen betroffenen Länder sowie eine Vergleichbarkeit der Ergebnisse zu gewährleisten, wurden für den LIS
standardisierte Methoden entwickelt. Das SAC hat in den sog. ‚LIS-Protokollen’ für die einzelnen Arbeitsschritte Minimalstandards aufgestellt, die zum einen die Vergleichbarkeit der
Surveys und zum anderen ein bestimmtes Qualitätsniveau gewährleisten sollen. Die ersten
LIS wurden im Jemen (1999-2000) und in Mozambique (1999-2001) durchgeführt (SCANTEAM/DEMEX 2004, S. 156 und S. 127) und bis 2005 in weiteren 10 Ländern abgeschlossen (SAC
2006).
8.1.1
Definition und Ziel des LIS
Im Rahmen des LIS wird unter Anwendung von RRA-Techniken das Landminenproblem auf
lokaler Ebene untersucht. Die Erhebungen basieren auf dem Wissen der lokalen Bevölkerung
und konzentrieren sich auf ihre Wahrnehmung der sozialen und ökonomischen Auswirkungen
der Kontaminierung auf die betroffenen Gemeinschaften. Darüber hinaus findet eine grobe
Lagebestimmung der verminten bzw. vermutlich verminten Gebiete statt (SAC 2003b, S. 3).
In den Internationalen Mine Action Standards (IMAS) wird der LIS definiert als
“… an assessment of the socio-economic impact caused by the actual or perceived
presence of mines and UXO, in order to assist the planning and prioritisation of mine
action programmes and projects”
(UNMAS 2003a, Definition 3.131.).
Über die Sammlung und Analyse sozioökonomischer, die Auswirkungen von Landminen erfassender Daten soll demnach den Mine-Action-Akteuren auf nationaler, regionaler und globaler
Ebene die Zuweisung der personellen, materiellen und finanziellen Ressourcen – das heißt:
die Prioritätensetzung – erleichtert werden (SAC 2000, S. 5). Bezogen auf verschiedene beteiligte Akteure in einem nationalen Mine-Action-Programm bedeutet das:
198
Das SAC wurde 1998 im Auftrag der sog. Survey Working Group (SWG) als durchführende Organisation eingerichtet. Die SWG ist eine im Rahmen der Ottawa-Verhandlungen entstandene Arbeitsgruppe, die sich aus Vertretern verschiedener Mine-Action-NGOs, Institutionen, wie GICHD, Cranfield Mine Action Unit und UN-Organen zusammensetzt. Sie ist zum einen für die Festlegung von Standards für den LIS, zum anderen aber auch für die Kontrolle des SAC
verantwortlich (SAC 2000, S. 9). Für eine detaillierte Mitgliederliste der SWG und eine Kurzübersicht der jeweiligen
Arbeitsschwerpunkte vgl. SAC 2004.
199
Im Vorfeld der Durchführung wird im Rahmen einer von UNMAS durchgeführten sog. ‚UN Assessment Mission’ der
Bedarf und der zu erwartende Nutzen eines LIS in einem spezifischen Land abgeschätzt und im Falle einer positiven
Einschätzung das SAC mit einer sog. ‚Advance Survey Mission’ beauftragt. Letztere soll zum einen die für die Durchführung des LIS erforderlichen Kontakte zu den nationalen Behörden, aber auch zu vorhandenen NGOs und weiteren
UN-Organen herstellen. Zum anderen soll mit Hilfe dieser Advance Survey Missions auch die Durchführbarkeit eines
LIS sowie die Kapazitäten der Mine-Action-Akteure und das Potenzial für eine Zusammenarbeit im jeweiligen Land
abgeschätzt werden (SAC 2003b, S. 6).
88
8 Methoden und Instrumente zum ‚Impact Assessment’
Nationale Einrichtungen – wie die nationale Mine-Action-Behörde oder das MAC – sollen mit
einem LIS darin unterstützt werden, ihre nationalen Mine-Action-Pläne auf die am stärksten
betroffenen Regionen und Gemeinden innerhalb des Landes auszurichten, also die Prioritäten
richtig zu setzen (WILKINSON/MASELLA 2003, S. 89).
Der LIS soll dazu beitragen, bei den Gebern ein Verständnis bezüglich der Auswirkungen der
Landminenkontaminierung zu schaffen und ihnen ermöglichen, ihre Mittel unter Berücksichtigung der Grundbedürfnisse der betroffenen Bevölkerung zuzuweisen. Mit Hilfe des LIS können die Geber die Verwendung der von ihnen zur Verfügung gestellten Mittel sowie den Beitrag, den diese zur Verbesserung der Situation leisten, abschätzen (WILKINSON/MASELLA 2003,
S. 89 und SAC 2000, S. 11).
Über die im Rahmen des LIS erhobenen Daten soll eine Vereinfachung der Integration von
Mine-Action-Maßnahmen in einen breiteren, entwicklungsbezogenen Kontext erreicht werden
(SAC 2000, S. 11).
8.1.2
Die Methodik des LIS
Im Rahmen des LIS werden die von einer Landminenkontaminierung betroffenen Communities erhoben und anschließend vor Ort untersucht. Anhand der Ergebnisse dieser Untersuchungen wird über verschiedene Indikatoren ein Index ermittelt, der sog. Mine Impact Score,
mit dessen Hilfe die Communities 3 Kategorien zugeordnet werden, die das Ausmaß der sozioökonomischen Auswirkungen auf die jeweiligen Communities beschreiben: stark betroffen
(High-Impact), mittelstark betroffen (Medium-Impact) und geringfügig betroffen (Low200
Impact). Es handelt sich hierbei also um einen auf Communities und nicht auf Minenfelder
bezogenen Survey-Ansatz.
Um diese auf sozioökonomischen Auswirkungen basierende Rangordnung der Communities zu
erstellen, wird dem LIS ein zweistufiges methodisches Verfahren – die Sammlung von Expertenmeinungen, die sog. Expert Opinion Collection (EOC) und die Durchführung von Interviews auf lokaler Ebene‚ die sog. Community Interviews – zugrunde gelegt (HARPVIKEN et al.
2004, S. 119).
8.1.2.1
Der ‚Mine Impact Score’
Der analytische Rahmen des LIS ist um den sog. Mine Impact Score herum aufgebaut, der die
Einordnung der untersuchten Communities entsprechend des Ausmaßes der soziökonomischen Auswirkungen in die schon erwähnte Rangordnung High-Impact, Medium-Impact und
Low-Impact ermöglicht.
Der Mine Impact Score ist ein Index, der sich aus 3 Indikatoren zusammensetzt, denen jeweils
eine bestimmte Punktzahl zugeordnet wird:
• Art der Kontaminierung
• Sozioökonomische Blockaden
• Anzahl der Opfer von Minenunfällen neueren Datums
Die Art der Kontaminierung wird über 2 Indikatoren mit binärer Merkmalsausprägung erfasst. Dem Vorhandensein von Minen werden 2 Punkte und dem Vorhandensein von UXO ein
201
Punkt zugeordnet.
Die sozioökonomischen Blockaden werden über eine Kombination verschiedener Indikatoren erfasst, die die Blockade bestimmter Ressourcen oder Bereiche, wie Weide- und Acker202
land, Wasserstellen, Gebäude oder infrastrukturelle Einrichtungen wiedergeben. Vom SAC
werden 10 verschiedene Indikatoren vorgegeben (vgl. Abbildung 16), die jedoch im Vorfeld
200
Genau genommen handelt es sich um 4 Kategorien. In der Literatur wird jedoch die Kategorie ‚nicht betroffen’ bzw.
No-Impact nicht explizit erwähnt.
201
Sind sowohl Minen als auch UXO vorhanden, summiert sich die Gesamtpunktzahl für den Indikator ‚Art der Kontaminierung’ auf 3. Im Fall, dass keine Kontaminierung vorliegt, werden beiden Variablen null Punkte zugeordnet.
202
Da beispielsweise verschiedene Variablen (unter anderem Blockade von Brücken, Straßen oder Stromversorgung)
das Vorhandensein der ‚Blockade der Infrastruktur’ bestimmen können, werden die dem übergeordneten Indikator
‚sozioökonomische Blockade’ zugrunde liegenden Untergruppen ebenfalls als Indikatoren bezeichnet (SAC 2003c,
S. 11).
89
8 Methoden und Instrumente zum ‚Impact Assessment’
der Durchführung eines Surveys an den landesspezifischen Kontext angepasst werden.
Das heißt, das SAC wählt gemeinsam mit den nationalen Mine-Action-Behörden diejenigen
Blockaden als Indikatoren aus, die die sozioökonomischen Auswirkungen auf die gesamte Bevölkerung des jeweiligen Landes am besten erfassen. Es können demnach neue Indikatoren
zur SAC-Liste hinzugefügt werden oder andere wegfallen. Im Jemen beispielsweise wurde auf
den Indikator ‚Blockade von bewässertem Ackerland’ verzichtet, weil in diesem Land bewässertes Ackerland nicht vorhanden ist. Stattdessen wurde der für den Jemen besonders relevan203
te Indikator ‚Blockade von Oasen’ mit aufgenommen (SAC 2003e, S. 1f.; SAC 2003h, S. 3f.). Im
Anschluss an ihre Bestimmung findet eine Gewichtung der Indikatoren durch die Festlegung
unterschiedlicher Koeffizienten statt: Jedem einzelnen Indikator für die sozioökonomischen
Blockaden wird entsprechend seiner Bedeutung für das jeweilige Land ein Wert von
204
0 bis 3 zugeordnet; insgesamt müssen auf diese Indikatoren 10 Punkte verteilt werden. Über
Gruppeninterviews, die in den Communities durchgeführt werden (siehe Kapitel 8.1.2.3), wird
ermittelt, ob bezüglich der ausgewählten Indikatoren Blockaden existent oder nicht vorhanden
sind. Je nach Merkmalsausprägung wird entweder der Wert eins (Blockade vorhanden) oder
205
null (Blockade nicht vorhanden) mit dem für den jeweiligen Indikator festgelegten Koeffizienten multipliziert und in ein Formular zur Berechnung des Mine Impact Scores (vgl. Abbildung 16) eingetragen.
Der dritte Indikator – die Anzahl der Opfer von Minenunfällen neueren Datums – wird über
die Anzahl der Minenopfer innerhalb der letzten 2 Jahre erfasst. Die Gesamtzahl der Opfer
wird mit 2 multipliziert, wodurch diesem Indikator gegenüber den anderen beiden bei der
Berechnung des Mine Impact Scores ein höheres Gewicht beigemessen wird.
Die für die 3 Indikatoren errechneten Punkte werden summiert und ergeben den Mine Impact
206
Score für die jeweilige Community, welche dann über den Score einer der 3 (bzw. 4) Kategorien zugeordnet wird (vgl. Abbildung 16).
Die durch den LIS vorgenommene Kategorisierung der Communities nach Ausmaß der sozioökonomischen Auswirkungen dient den nationalen Mine-Action-Behörden und MACs als
Orientierung dafür, wo Maßnahmen bzw. detailliertere Erhebungen vorrangig anzusetzen
sind. Dadurch wird der LIS – entsprechend seiner Zielsetzung – zum ‚Hilfsmittel’ bei der nationalen Prioritätensetzung.
8.1.2.2
‚Expert Opinion Collection’ (EOC)
Über die Expert Opinion Collection (EOC) findet eine systematische Sammlung von landminenspezifischem Expertenwissen innerhalb eines Landes statt. Diese erfolgt über Gespräche
mit Regierungsvertretern möglichst aller (nationaler bis lokaler) administrativer Ebenen und
unterschiedlichster Ministerien und Sektoren, sowie weiteren Personen mit landminenspezifischen Fachkenntnissen (z.B. ehemalige Konfliktbeteiligte oder Experten aus dem Gesundheitswesen). Zusätzlich werden in diesem Zusammenhang vorhandene Datenbanken, Dokumentationen über Minenfelder, Archive und Luftbildaufnahmen analysiert. Ziel der Expert
Opinion Collection ist die Identifizierung der vermutlich von einer Landminenkontaminierung
betroffenen Communities, welche in einer Liste zusammengefasst werden, die als Ausgangspunkt für die Durchführung der Community Interviews dient (SAC 2000, S. 18). Durch Besichtigungen findet eine Überprüfung der im Rahmen der Expert Opinion Collection als vermint
identifizierten Communities statt. Zur Kontrolle werden zusätzlich vereinzelt besiedelte Gebiete aufgesucht, die als nicht vermint eingestuft wurden. Dieser Kontrollmechanismus wird als
Sampling for False Negatives bezeichnet (HARPVIKEN et al. 2004, S. 121).
203
Im Jemen ist sämtliche landwirtschaftliche Produktion auf Oasen konzentriert.
Das heißt, es müssen auch insgesamt 10 Punkte verteilt werden, wenn z.B. 12 oder nur 8 Indikatoren zu Bestimmung der soziökonomischen Blockaden ausgewählt wurden.
205
Die Indikatoren für die sozioökonomischen Blockaden entsprechen folglich binären Variablen.
206
Die vierte Kategorie wäre ‚nicht von Auswirkungen betroffen’, siehe oben.
204
90
8 Methoden und Instrumente zum ‚Impact Assessment’
Locality identifier:
District:
Indicators
Community:
Weights
Points to
add
Score
The community reported that
• there were mines.
• there was UXO
If so, give
If so, give
2
1
points
point
_______
_______
Subtotal for explosives realm:
• access to some irrigated
crop land was blocked
If so, give
points
_______
• access to some rainfed
crop land was blocked
If so, give
points
_______
• access to some fixed
pasture was blocked
If so, give
points
_______
• access to some migratory
pasture was blocked
If so, give
points
_______
• access to some drinking
water points was blocked
If so, give
points
_______
• access to some water points
for other uses was blocked
If so, give
points
_______
• access to some non-cultivated
area was blocked
If so, give
points
_______
• access to some housing area
was blocked
If so, give
points
_______
If so, give
points
_______
If so, give
points
_______
______
• some roads were blocked
• access to some other
infrastructure was blocked
Total number of points (sum of weights) to be equal to 10 points
Subtotal for socioeconomic realm
There were ____ mine victims
in the last 24 months.
Multiply with 2 points for
victims
Points for victims
______
________
Total mine impact score:
______
______
If the impact score is 0, rank the community as having no known mine problem.
If the score is between 1 and 5, the impact is considered to be low.
If the score is between 6 and 10, the impact is considered to be medium.
If the score is higher than 10, the impact is considered high.
Impact ranking:
______
Abb. 16: Formular zur Berechnung des ‚Mine Impact Score’ (GICHD/UNDP 2001, S. 32)
91
8 Methoden und Instrumente zum ‚Impact Assessment’
8.1.2.3
‚Community Interviews’
Das methodische Kernelement des LIS sind die im Anschluss an die Expert Opinion Collection
durchgeführten Community Interviews, die aus 3 Teilbereichen bestehen:
• Gruppeninterviews
• Village Mapping
• Visuelle Inspektion der verminten Gebiete
207
Die Gruppeninterviews werden von Survey Teams mit einer Gruppe von 5 bis 20 Personen,
die im Vorfeld in Zusammenarbeit mit lokalen Autoritäten ausgewählt wurden, durchgeführt.
Die Teilnehmer sollten sowohl möglichst repräsentativ für die jeweilige Community sein, als
auch über solide Kenntnisse bezüglich des lokalen Landminenproblems verfügen (HARPVIKEN
et al. 2004, S. 119; SAC 2000, S. 19). Im Rahmen dieser auf RRA-Methoden basierenden Interviews mit standardisierten Fragebögen werden die Auswirkungen der Landminenkontaminierung auf die Communities aus Sicht der Befragten erhoben.
Ein Bestandteil des Gruppeninterviews ist das sog. Village Mapping. Das Survey Team erstellt
gemeinsam mit den Interviewteilnehmern eine handgezeichnete Karte, in die die Minenfelder,
deren Beziehung zum und Bedeutung für das Dorf bzw. die Community, sowie räumliche
Orientierungspunkte eingetragen werden (vgl. Abbildung 17). Die auf diese Weise erstellten
Karten erfüllen mehrere Funktionen:
• Orientierungshilfe für die Interviewer (auch für die visuelle Inspektion);
• Orientierungshilfe für beide Seiten während des Interviews (jeder kann nachvollziehen,
über welchen Aspekt diskutiert wird; dient zur Vorbeugung von Missverständnissen);
• Kontrolle darüber, ob im Laufe des Interviews über alle Aspekte und Minenfelder gesprochen wurde.
(SAC 2003e, S. 21ff.)
Abb. 17: ‚Village Map’, Jemen (SAC 2000, S. 19.)
Im Anschluss an die Interviews wird durch die Survey Teams von einem sicheren Beobachtungspunkt aus eine visuelle Inspektion der verminten Gebiete vorgenommen. Mit dieser
Besichtigung soll zum einen die Existenz eines im Interview beschriebenen Minenfeldes
bestätigt werden. Zum anderen nehmen die Survey Teams zusätzliche Informationen im
Hinblick auf einen späteren Technical Survey auf (Digitalphotos, Skizzen, etc.), bestimmen
die geographische Lage des Minenfeldes und ihres Beobachtungspunktes mit Hilfe einer topographischen Karte und einem Kompass, oder – wenn vorhanden – mit einem GPS-Gerät.
Außerdem schätzen sie Grenzen und Größe des Minenfeldes ein und machen Angaben über
die Terrain- und Bodenbeschaffenheit. Im Falle, dass viele Minenfelder von der Community
gemeldet werden bzw. dass diese zu weit vom Dorf entfernt liegen, oder wenn der Weg dort-
207
Die Survey Teams bestehen in der Regel aus 2 Personen, die aus der zu untersuchenden Region stammen (sollten)
und die für die Durchführung der Interviews ausgebildet werden (SAC 2000, S. 17).
92
8 Methoden und Instrumente zum ‚Impact Assessment’
hin aufgrund der Kontaminierung zu gefährlich ist, kann die visuelle Inspektion entfallen (SAC
2003g, S. 1f.; ENGESET 2003, o.S.).
Die Ergebnisse der Community Interviews werden von den Survey Teams in einen standardisierten Fragebogen eingetragen, der neben den zur Berechnung des Mine Impact Scores erforderlichen Angaben eine Vielzahl an weiteren Informationen über die sozioökonomischen
Auswirkungen von Landminen auf Communities umfasst, wie z.B. die Erhebung der genaueren Umstände von Minenunfällen (Name, Alter und Geschlecht des Opfers, Tätigkeit, bei der
sich der Unfall ereignet hat, etc.) im sog. Individual Victim Module (vgl. SAC 2003e, S. 54ff).
Die im Rahmen der Expert Opinion Collection und der Community Interviews erhobenen Daten
werden in die nationale Datenbank eingegeben, welche alle für Mine Action relevanten Daten
an zentraler Stelle sammelt und verwaltet, und als Informationsgrundlage für die Planung des
nationalen Mine-Action-Programms dient. Für die Kompatibilität mit der Datenbank werden
daher alle LIS-Daten in standardisierter Form erhoben und aufgezeichnet (vgl. Kapitel 8.2).
8.1.3
Stärken und Schwächen des LIS-Konzeptes
Die Einführung des Landmine Impact Surveys wird als einer der wichtigsten Fortschritte in der
Entwicklung von Mine-Action-Surveys angesehen, weil sich darin der Paradigmenwandel innerhalb von Mine Action widerspiegelt. Auch bezüglich der Surveys hat sich die Sichtweise der
Landminenproblematik gewandelt: Waren die Surveys zuvor fast ausschließlich auf die Minenfelder und damit vor allem auf technische Aspekte konzentriert, wurde mit dem LIS die erste
standardisierte Methode zur Erfassung der sozioökonomischen Auswirkungen mit Fokus auf
die betroffenen Communities zur Verfügung gestellt (GOSLIN 2004, S. 153).
8.1.3.1
Grenzen der Methodik des LIS-Konzeptes
Seit der Durchführung der ersten LIS (1999-2000) haben sich das Konzept und seine Methoden
weiterentwickelt und verbessert (wie sich am Vergleich der LIS von Mozambique und Afghanistan zeigen wird), so dass mittlerweile unter anderem eine sorgfältige Planung sowie Training und Pretests bezüglich der Untersuchungsmethoden einen hohen Stellenwert einnehmen. Auch wurden Maßnahmen zur Qualitätssicherung und -kontrolle in den Survey-Prozess
208
integriert, die in Textbox 17 zusammengefasst sind (RHODES 2005, S. 83).
Trotz der schnellen Fortschritte, die in Methodik und Durchführung gemacht wurden, weist
der LIS Grenzen und Schwächen auf, die häufig Gegenstand von Diskussionen innerhalb der
Mine-Action-Gemeinschaft sind. Die Kritik konzentriert sich vor allem auf einzelne methodische Verfahrensweisen, die sich auf die Qualität der erhobenen Daten, sowie auf Aussagekraft
und Anwendbarkeit der Ergebnisse auswirken.
Da der Hauptanteil der im Rahmen des LIS erhobenen Daten und Informationen auf den Aussagen von Informanten beruht, spielt die Auswahl der richtigen Personen, die über relevantes Wissen für den Survey verfügen, eine wichtige Rolle und beeinflusst in starkem Maße die
Qualität der erhobenen Informationen (RHODES 2005, S. 93). Das betrifft zum einen die Expert
Opinion Collection, über die möglichst alle von Landminen betroffenen Communities eines
Landes erfasst werden sollen. Zum anderen ist die Zusammensetzung des an den Gruppeninterviews beteiligten Personenkreises auf lokaler Ebene einer der kritischsten Momente
hinsichtlich der Durchführung des Surveys. Die Auswahl der zu befragenden bzw. zu beteiligenden Personen muss so erfolgen, dass Repräsentativität und Validität der Aussagen gewährleistet werden.
208
Die Durchführung eines LIS wird von einem sog. ‚UN Quality Assurance Monitor’ (QAM) überwacht, der den
Survey-Prozess begleitet und einen Abschlussbericht verfasst, welcher die Grundlage für die Vergabe des UN Zertifikats bildet. Dieses Zertifikat bestätigt jedoch nur, dass der entsprechende LIS gemäß des Standardverfahrens durchgeführt wurde und macht keinerlei Aussagen über die Qualität des Surveys (RHODES 2005, S. 81). Der Sinn dieser UN
Zertifizierung bzw. des QAM wird aus verschiedenen Gründen in Frage gestellt, unter anderem weil sie keinen wesentlichen Beitrag zur Verbesserung der Qualität zum Zeitpunkt der Durchführung leisten, da erst nach Abschluss des
Surveys – und teilweise mit erheblichen Verzögerungen – eine Beurteilung erfolgt (vgl. SCANTEAM/DEMEX 2004,
S. 46f.).
93
8 Methoden und Instrumente zum ‚Impact Assessment’
Maßnahmen zur Qualitätssicherung und Qualitätskontrolle
Qualitätssicherung
Maßnahmen zur Qualitätssicherung sind vorgesehen, um zu gewährleisten, dass ein LIS den allgemeinen Anforderungen für die Durchführung von Surveys entspricht. Dazu gehört:
1) Entwicklung von länderspezifischen Trainingsmaßnahmen und angepasster Survey Gestaltung.
Diese müssen so gestaltet sein, dass sie für die landesspezifischen Rahmenbedingungen angemessen
sind.
2) Auswahl des Personals: Alle an der Durchführung des Surveys Beteiligten müssen einen angemessenen Bildungsstand sowie Erfahrung und Vertrautheit mit der Arbeitsregion aufweisen, das Vertrauen der lokalen Gemeinschaften, die sie untersuchen, genießen und für die Weitergabe von Fähigkeiten geeignet sein.
Qualitätskontrolle
Bezüglich: Datenerhebung, Datenverarbeitung und Datenanalysen
Alle Arbeiten im Feld werden regelmäßig überprüft und, wenn erforderlich, angemessen korrigiert.
Das beinhaltet:
3) Daten werden von relevanten Ressourcen erhoben und mögliche kulturelle Vorurteile während
der Interviews und der Datenerhebungen werden so weit möglich minimiert.
4) Mechanismen zur Überprüfung (Cross-Checking), wie z.B. Kontrollfragen, sind integriert, um die
Verifizierung der erhobenen Daten zu erleichtern. Die Fragebögen sind strukturiert und es werden
unterschiedliche Quellen kontaktiert, so dass Informationen hinsichtlich ihrer Übereinstimmung
überprüft werden können.
5) Die den Survey durchführende Organisation stattet unangemeldete Besuche ab, um sicherzustellen, dass die Survey Teams in Übereinstimmung mit dem Arbeitsplan und den Verfahrensstandards
arbeiten.
6) Die Survey-Leitung oder eine andere geeignete Person führt erneut Erhebungen in einigen lokalen Gemeinschaften durch, nachdem diese bereits von den Survey Teams besucht und befragt wurden. Durch einen Vergleich der Ergebnisse wird die Genauigkeit der Erhebungen des Survey Teams
überprüft.
7) Alle erhobenen Daten werden vom eingerichteten Regionalbüro überprüft, um Ungenauigkeiten
oder Diskrepanzen zu korrigieren.
8) Zusätzliche Überprüfungen der von allen Regionalbüros übermittelten Daten werden vom Zentralbüro vorgenommen.
9) Die Daten müssen in einer den Berichterstattungsstandards des SWG-Konsortiums entsprechenden Weise analysiert und präsentiert werden.
Quelle: SAC 2003a, S. 8f.
Textbox 17: Maßnahmen zur Qualitätssicherung und Qualitätskontrolle
Im Rahmen der Expert Opinion Collection muss daher auf eine Ausgewogenheit politischer,
regionaler und sektoraler Interessen und – so weit möglich – auf den Ausschluss von Partikular- oder Machtinteressen geachtet werden. Darüber hinaus hat die Erfahrung gezeigt, dass
das Wissen auf der nationalen Regierungsebene über die Landminenkontaminierung in vielen
Fällen relativ vage ist (SCANTEAM/DEMEX 2004, S. 172). Mit zunehmender Annäherung an die
Untersuchungsregionen selbst, also auf den unteren administrativen Ebenen, sind hingegen
genauere Kenntnisse hinsichtlich der landminenspezifischen Auswirkungen auf die betroffene
lokale Bevölkerung vorzufinden (KENDELLEN 2005: INT).
Wie wichtig eine gute Auswahl der Informanten ist, wird an einem Beispiel aus dem Jemen
deutlich: Im Rahmen des bereits erwähnten Sampling for False Negatives zur Überprüfung der
Expertenaussagen mussten mehrere, durch die Kontrolle als nicht von Landminen betroffen
identifizierte Communities aus der Liste gestrichen werden. Gleichzeitig wurde die Aufnahme
von mehreren, zuvor durch die EOC als nicht betroffen eingestuften Communities aufgrund
einer festgestellten Kontaminierung in die Liste erforderlich (HARPVIKEN et al. 2004 S. 121). Um
eine höhere Qualität der Informationen zu erlangen, sollte demnach der Schwerpunkt der
Informationssammlung im Rahmen der EOC bei den Administrationen auf den unteren räumlichen Ebenen liegen. Dabei sollten vor allem auch die lokal agierenden Mine-ActionOrganisationen als Informationsquelle ausgeschöpft werden, da diese aufgrund ihrer Erfahrungen vor Ort über bedeutende Kenntnisse verfügen, die zur Lokalisierung der verminten
94
8 Methoden und Instrumente zum ‚Impact Assessment’
Gebiete und zur Identifizierung der relevanten Ansprechpartner auf lokaler Ebene beitragen
209
können. Diese Möglichkeit ist, wie Evaluierungen mehrerer Landmine Impact Surveys gezeigt haben, in vielen Ländern nicht genutzt worden (SCANTEAM/DEMEX 2004, S. 31).
Mit der Auswahl der Personen für das Gruppeninterview wird in der Regel das administrative Oberhaupt der Community (Local Community Leader) beauftragt. Dies geschieht auf
Anfrage des für die regionale Leitung der Survey-Untersuchungen Verantwortlichen (Field
Supervisor), der die Community am Tag vor der Durchführung des Interviews aufsucht, Sinn
und Zweck der LIS-Untersuchungen erklärt und in diesem Zuge Kriterien für die Auswahl der
Interviewpartner nennt (KENDELLEN 2005: INT). In diesem Zusammenhang können verschiedene Aspekte dazu führen, dass an den Interviews nicht diejenigen Informanten beteiligt werden, die verlässliche und zutreffende Aussagen hinsichtlich der Auswirkungen der Landminenproblematik auf die betreffende Community machen könnten:
In vielen Entwicklungsländern bestehen mehrere verschiedene Autoritätsformen nebeneinander – ein modernes administratives, ein traditionelles oder auch ein religiöses Oberhaupt.
Je nach Community wird von der Bevölkerung die eine oder die andere Autoritätsform akzeptiert und respektiert. Daher muss bereits im Vorfeld herausgefunden werden, welche Person
das für die betreffende Community repräsentative und anerkannte Oberhaupt ist, und ob dieses auch über ausreichende Kenntnisse hinsichtlich der lokalen Landminenproblematik ver210
fügt (vgl. Fallstudien in MILLARD/HARPVIKEN 2000). Die richtige Auswahl des ersten lokalen
Ansprechpartners hat großen Einfluss auf die Repräsentativität des für das Gruppeninterview
ausgewählten Personenkreises und auf die Qualität der Aussagen im Rahmen des Gruppeninterviews. Akzeptanz und Verständnis für die Erhebungen sowie die Bereitschaft zur Mitarbeit seitens der lokalen Bevölkerung hängen im starken Maße davon ab, von wem bzw. über
welchen Weg das Anliegen an sie herangetragen wird (vgl. Fallstudien in MILLARD/HARPVIKEN
2000). Im Hinblick auf die Kurzfristigkeit des Besuchs durch den Field Supervisor ist jedoch
fraglich, ob die Identifizierung des für die Community relevanten Oberhauptes mit der notwendigen Sorgfalt erfolgt bzw. erfolgen kann.
Die für die Teilnahme am Gruppeninterview ausgewählten Personen müssen repräsentativ für
die Community sein, damit die Auswirkungen der Landminenkontaminierung ausreichend
211
erfasst werden.
Das heißt, es sollten sowohl die verschiedenen Geschlechter und
Altersklassen als auch Personen der verschiedenen lokalen Tätigkeitsbereiche vertreten sein.
Die Aktionsräume aller in der Gemeinschaft lebenden Personen sollten dadurch abgedeckt
werden, weil diese die Auswirkungen von Landminen auf die einzelnen Personengruppen
bestimmen. Ein diesbezüglich häufig wiederkehrendes Problem ist der mangelhafte Einbezug
von Frauen in die Gruppeninterviews, wodurch die Interessen der weiblichen Bewohnerschaft
212
in den Aussagen meist unterrepräsentiert sind . Ursache dafür können verschiedene – wie
z.B. kulturelle oder religiöse – Gründe sein. Im Jemen beispielsweise wurde dem Indikator
‚Blockade von Gebieten zur Brennholzsammlung’ nur eine geringe Bedeutung beigemessen,
weil dies Aufgabe der Frauen ist und in den Interviews ausschließlich Männer vertreten waren
(SAC 2003h, S. 10f.).
209
Darüber hinaus bestünde über eine enge Kooperation die Möglichkeit von den durch die Mine-ActionOrganisationen aufgebauten Strukturen und Beziehungen zur lokalen Bevölkerung zu profitieren.
210
Community Studies in Mozambique haben ergeben, dass in vielen Dörfern neben den modernen administrativen
Oberhäuptern verschiedene traditionelle Autoritätspersonen eine Rolle spielen, und dass je nach Dorf bzw. Region
Unterschiede in ihrer Rolle und Machtposition bestehen. Daraus resultierend ist es unter Umständen sehr schwierig,
diejenige Person als Ansprechpartner auszuwählen, die zum einen über die notwendigen Kenntnisse hinsichtlich der
Landminenproblematik und zum anderen über die erforderliche Akzeptanz seitens der lokalen Bevölkerung verfügt.
In einigen Fällen kann es daher angemessen sein, die verschiedenen lokalen Oberhäupter in die Befragung mit einzubeziehen, um auf diese Weise die Respektierung der lokalen Leadership-Strukturen zu demonstrieren und dadurch
gleichzeitig die Wahrscheinlichkeit zu erhöhen, verlässliche Informationen zu erhalten (vgl. MILLARD/HARPVIKEN 2000,
S. 81f.).
211
In einem Fall in Mozambique (in Nacala) z.B. war es offensichtlich, dass keiner der beim Treffen mit dem Survey
Team anwesenden Informanten in Nachbarschaft zu dem Minenfeld lebte oder direkt dadurch betroffen war
(MILLARD/HARPVIKEN 2000, S. 102).
212
In den SAC-Protokollen wird zwar erwähnt, dass aus gendersensiblen Gründen in einigen Ländern auch weibliche
Survey Teams separate Interviews mit Frauen durchführen könnten (SAC 2003f, S. 3), jedoch ist dies nicht die gängige
Praxis, obwohl es für umfassende Informationen unabdingbar ist und folglich obligatorisch sein müsste.
95
8 Methoden und Instrumente zum ‚Impact Assessment’
Aus diesen Ausführungen ergibt sich, dass die Qualität der erhobenen Daten in besonderem
Maße von der Identifizierung der richtigen Schlüsselinformanten abhängt – eine Aufgabe,
die seitens des LIS-Teams ausreichend Kenntnisse über die politischen, kulturellen und sozialen Strukturen eines Landes sowie über die Machtstrukturen erfordert. Es wurde auch deutlich, dass wichtige Aspekte nicht immer in ausreichendem Maße berücksichtigt werden. Die
Qualität der erhobenen Daten kann daher in verschiedenen Fällen zu Recht in Frage gestellt
werden.
Gruppeninterviews werden häufig durch eine einzelne oder einige wenige Personen dominiert, wodurch eine große Gefahr besteht, dass die Interessen schwächerer Gruppen, z.B.
Frauen (siehe oben), außer Acht gelassen werden. Sie können daher so nur begrenzte Informationen liefern und die Repräsentativität der Aussagen ist folglich kritisch zu hinterfragen.
Aus diesem Grund wird von verschiedenen Seiten angezweifelt, ob Gruppeninterviews eine
geeignete Methode für die Sammlung solider Daten über sozioökonomische Auswirkungen
213
sind. (MILLARD/HARPVIKEN 2000, S. 102).
In Bezug auf die Gruppeninterviews wird außerdem die Ausbildung der Survey Teams
häufig als zu oberflächlich kritisiert. Insbesondere Sozialwissenschaftler bemängeln, dass
– angesichts der komplexen Anforderungen für die Durchführung von Gruppeninterviews –
die erforderlichen Fähigkeiten nicht in ausreichendem Maße vermittelt werden. Dazu gehören
z.B. die Fähigkeiten, zweifelhafte gegenüber treffenden Aussagen herauszufiltern oder einzuschätzen, ob die Interessen aller Mitglieder der Community erfasst wurden. Die Erfahrungen haben jedoch gezeigt, dass die Survey Teams in der Regel gute Arbeit leisten
und diese auch ernst nehmen. Wesentlich wichtiger als eine zeit- und kostenaufwendige
Ausbildung der Survey Teams zu Fachexperten ist es, dafür zu sorgen, dass die eingesetzten
Instrumente – wie z.B. die Fragebögen für die Community Interviews – so konzipiert werden,
dass solche umfassenden methodischen Fähigkeiten der Survey Teams nicht erforderlich
sind, sondern durch die Gestaltung und den Aufbau des Fragebogens ausgeglichen
werden (SCANTEAM/DEMEX 2004, S. 31). Darüber hinaus ist es fraglich, ob solche umfassenden
Kenntnisse in Erhebungsmethoden überhaupt zur Anwendung kommen könnten, da die
Survey Teams nur wenige Stunden für den Besuch und die Untersuchung der Communities zur
Verfügung haben (es sind 4 Community Interviews pro Woche vorgesehen) (HARPVIKEN et al.
2004, S. 122; SAC 2000, S. 19). In diesem eng gefassten Zeitrahmen müssen zum einen die
sehr umfangreichen Fragebögen bearbeitet und zum anderen soll zusätzlich noch die visuelle
Überprüfung der Minenfelder, die teilweise nicht in unmittelbarer Nähe zum besuchten Dorf
gelegen sind, vorgenommen werden. Umso wichtiger ist es daher, dass den Survey Teams
Erhebungsinstrumente an die Hand gegeben werden, die auf einer gut durchdachten und
getesteten Konzeption basieren, so dass mögliche Fehlerquellen auf ein Minimum reduziert
werden (SCANTEAM/DEMEX 2004, S. 31).
Diese Anforderungen erfüllt der Fragebogen für die Community Interviews jedoch nicht in
ausreichendem Maße, wie im Folgenden exemplarisch aufgezeigt wird.
Hinsichtlich der Formulierung von Fragestellungen wird in der wissenschaftlichen Literatur
zu Methoden empirischer Sozialforschung immer wieder darauf hingewiesen, dass Suggestivfragen zu vermeiden sind, weil diese das Antwortverhalten in bestimmte Richtungen lenken.
Das heißt, Fragen sollen so formuliert werden, dass sie keine bestimmte Beantwortung provozieren (WESSEL 1996, S. 171; ATTESLANDER 2000, S. 170).
Die in dem SAC-Fragebogen für die Community Interviews vorgegebenen Fragen zur Erfassung der Anzahl der durch Minenunfälle verursachten Opfer werden wie folgt formuliert:
• “In this community, how many persons were killed by mine/UXOs in the last
24 months?”
• „How many were injured and survived during that time?”
213
Diese Kritik wird hinsichtlich der Anwendung von RRA-Methoden insgesamt für einen Survey zur Erfassung der
sozioökonomischen Auswirkungen von Landminen geäußert (vgl. SCANTEAM/DEMEX 2004, S. 31).
96
8 Methoden und Instrumente zum ‚Impact Assessment’
• „Can you indicate the number of persons who were killed by mine/UXOs earlier,
i.e. from the time the mine/UXOs were laid until a year ago?”
• „Can you indicate the number of persons who were injured in that period and
have survived?”
(SAC 2003e, S. 28; Hervorhebungen durch die Verfasserinnen)
Die beiden ersten Fragen sind so formuliert, als würde davon ausgegangen, dass es Unfälle
gegeben haben muss. Eine solche Frageformulierung entmutigt, die Frage mit ‚niemand’ zu
beantworten, was in vielen Fällen die korrekte Antwort wäre. Ein direkter Bezug zur Anzahl
der Personen kann dazu führen, dass die Befragten überhöhte Zahlen nennen. MILLARD und
HARPVIKEN haben darauf hingewiesen, dass Menschen die Auswirkungen der Landminenkontaminierung häufig übersteigert darstellen, wenn sie das Interesse von Fremden an ihrem
Landminenproblem bemerken (MILLARD/HARPVIKEN 2000, S. 102). Diese Problematik wurde
von verschiedenen Mine-Action-Experten im Rahmen der dieser Arbeit zugrunde liegenden
Befragung bestätigt.
„[…] the village where the LIS is collecting information can exaggerate the impact to
ensure INGO arrives and as a consequence spend money in the village and/or recruit
staff from the village during the working period“
214
(FASTH 2005: INT).
Um verlässlichere Daten zu ermitteln, sollte eine neutralere Formulierung der Fragen gewählt
werden, die bezüglich des genannten Beispiels lauten könnte:
• „Do you know anybody who was injured or killed by a mine?”
• „If YES, describe (where, when and how did the accident happen?)”
(MILLARD/HARPVIKEN 2001, S. 78; aus einem Fragebogen im Rahmen
von Community Studies).
Über eine solche Fragenformulierung können genauere Informationen über die Anzahl der
Opfer erhoben werden, weil durch den Bezug auf Einzelschicksale Übertreibungen
hinsichtlich Zahlen vermieden werden. Solche Aspekte sind bereits bei der Entwicklung der
Fragebögen zu bedenken. Geschieht dies nicht, können daraus resultierende Ungenauigkeiten
jedoch nicht den Survey Teams angelastet werden. Da in der Fragebogenvorlage vom SAC
(SAC 2003e, S. 28) die Formulierung „how many“ benutzt wird, ist davon auszugehen, dass
215
diese in den meisten LIS-Erhebungen so übernommen wird. Ungenauigkeiten sind durch
solche Fragenformulierungen vorprogrammiert, so dass diesbezüglich die Qualität der
erhobenen Daten zu Recht in Frage gestellt werden kann.
Vor dem Hintergrund, dass dem Indikator ‚Anzahl der Opfer von Minenunfällen’ im Rahmen
der Berechnung des Mine Impact Scores ein besonderes Gewicht beigemessen wird, ist es um
so mehr verwunderlich, dass nicht zumindest an diesem Punkt die Fragenformulierung mit
größerer Sorgfalt vorgenommen wird, wie die zitierten Beispiele zur Erfassung der Opferzahlen deutlich machen. Die vergleichsweise hohe Gewichtung der Opferzahlen bei der Berechnung des Mine Impact Scores ist aus mehreren Gründen, die im Folgenden vorgestellt
werden, besonders umstritten.
Entsprechend der zitierten Fragen wird im Rahmen der Gruppeninterviews erhoben, wie viele
216
Opfer aufgrund von Minenunfällen es in der betreffenden Community innerhalb der letzten
24 Monate sowie in der Zeit davor gegeben hat. Bei der Berechnung des Mine Impact Scores
werden nur die Opfer von Minenunfällen der letzten 24 Monate berücksichtigt und mit 2 Punkten gewertet. Eine weitere Differenzierung, z.B. nach den Umständen des Unfalls, findet nicht
statt. Folgende Aspekte zeigen jedoch, dass nicht jedes Opfer gleich gewertet werden dürfte,
wenn die Opferzahl als Indikator für die sozioökonomischen Auswirkungen einer Landminenkontaminierung gelten soll:
214
Die Abkürzung INGO steht für International NGO.
Den Verfasserinnen ist nicht bekannt, ob in einzelnen Landmine Impact Surveys die entsprechenden Fragen umformuliert worden sind.
216
Darin einbezogen sind sowohl Todesfälle als auch Überlebende von Minenunfällen.
215
97
8 Methoden und Instrumente zum ‚Impact Assessment’
• Ein Unfall, der durch eine Mine verursacht wird, kann ein oder mehrere Opfer fordern.
Jedem Opfer werden 2 Punkte zugeordnet:
–
5 Opfer aus 5 einzelnen Unfällen werden mit der gleichen Punktzahl gewertet wie
5 Opfer aus einem Unfall (z.B. durch eine Fahrzeugmine oder Gruppenmine verursacht).
Eine differenzierte Bewertung wäre in diesem Fall angemessener, da 5 einzelne Unfälle auf
eine stärkere Kontaminierung oder einen dringenderen Bedarf an der verminten Fläche
hinweisen können.
• Ein Opfer aus einem Dorf mit 100 Bewohnern wird mit der gleichen Punktzahl in den Mine
Impact Score einberechnet wie ein Opfer aus einem Dorf mit 1.000 Bewohnern (nämlich
mit 2 Punkten). Jedoch wäre die Unfallwahrscheinlichkeit in dem kleineren Dorf höher
einzuschätzen, weshalb der Handlungsbedarf dringender wäre als in dem größeren Dorf.
• Die Gründe für einen Unfall können sehr unterschiedlich sein:
–
Eine Person betritt ein Minenfeld, weil sie nicht weiß, dass es vermint ist.
–
Obwohl sie weiß, dass ein Feld vermint ist, geht eine Person durch das Betreten bewusst ein Risiko ein, weil dies zur Sicherung des Überlebens notwendig ist (wenn
z.B. die einzige Trinkwasserquelle inmitten eines Minenfeldes liegt).
–
Eine Person wird verletzt, weil sie auf eine Mine getreten ist, die sie nicht gesehen
hat.
–
Eine Person wird verletzt, weil sie eine Mine aufgehoben und mit dieser hantiert hat
(z.B., um diese abzugeben oder zu verkaufen, oder um seinen Mut zu beweisen).
Jeder dieser Unfälle wird mit der gleichen Punktzahl bewertet. Die Umstände, die zu dem
Unfall geführt haben oder mit diesem in Verbindung stehen, müssten in die Bewertung
einbezogen werden, um genauere Aussagen über die sozioökonomischen Auswirkungen
von Landminen treffen zu können.
• In manchen Kulturen besteht kein Verhältnis zur westlichen Zeitrechnung und die Menschen wissen vielfach nicht, was unter 24 Monaten zu verstehen ist. Selbst wenn die Formulierung an den lokalen Zeitbezug angeglichen wird (z.B. über Regenzeiten oder Ernteperioden), ist eine klare Abgrenzung nicht möglich, weil bei diesem geänderten Zeitbezug
unter Umständen nicht feststellbar ist, ob ein Unfall vor 23 oder 25 Monaten geschehen ist.
• Wenn vor 25 Monaten mehrere Unfälle geschehen sind, danach jedoch keine weiteren
– weil der lokalen Bevölkerung aufgrund der Unfälle die Verminung bekannt ist und sie das
betreffende Gebiet seitdem meidet – müssten diese dennoch in einer bestimmten Form den
Mine Impact Score für die betreffende Community beeinflussen.
• Unfälle passieren nicht immer innerhalb der Grenzen einer Community (soweit irgendwie
geartete Grenzen überhaupt existieren).
–
Welcher Community wird ein Opfer zugerechnet, das heißt, welche Gemeinschaft erhält einen höheren Wert im Mine Impact Score, wenn der Unfall zwischen 2 verschiedenen Dörfern geschehen ist?
(vgl. SCANTEAM/DEMEX 2004, S. 106)
Welche Folgen eine fehlende Differenzierung bzw. die vergleichsweise hohe Gewichtung des
Indikators ‚Anzahl der Opfer durch Minenunfälle’ haben kann, wird anhand zweier Szenarien
deutlich, die in Textbox 18 vorgestellt werden.
98
8 Methoden und Instrumente zum ‚Impact Assessment’
Szenarien zur Verdeutlichung des
Einflusses der Opferzahlen auf den Mine Impact Score
Lokale Gemeinschaft 1:
Ergebnisse des Gruppeninterviews:
Das Vorhandensein von Minen wurde bestätigt
2 Punkte
Minen sind nur in Gebieten vorhanden, die nicht zur Versorgung der Bevölkerung benötigt werden.
Es bestehen keine sozioökonomischen Blockaden durch Landminen.
0 Punkte
Obwohl der lokalen Bevölkerung die Lage sowie die Grenzen der Minenfelder hinreichend bekannt
sind, und aus sozioökonomischen Gründen ein Betreten dieser Gebiete nicht erforderlich ist, also ein
relativ geringes Unfallrisiko besteht, hat ein Jahr vor dem Interview ein Minenunfall 5 Opfer gefordert. (Dieser Unfall kann z.B. von Jugendlichen durch einen unvorsichtigen Umgang mit einer
Landmine verursacht worden sein, oder durch Ortsfremde die – im Gegensatz zur lokalen Bevölkerung – die Lage der Minenfelder nicht kennen bzw. nicht wissen, dass Minen vorhanden sind.)
5 Opfer x 2 Punkte
10 Punkte
Gesamtergebnis Mine Impact Score:
12 Punkte
High-Impact
Lokale Gemeinschaft 2:
Ergebnisse des Gruppeninterviews:
Das Vorhandensein von Minen wurde bestätigt
2 Punkte
Das Vorhandensein der Minenfelder beeinträchtigt im starken Maße die Möglichkeiten der Bevölkerung zur Grundbedürfnisbefriedigung, da landwirtschaftliche Flächen, Transportwege, Siedlungsfläche und auch die Wasserversorgung durch Landminen blockiert werden. Bei Anwendung der Indikatorengewichtung aus dem Afghanistan LIS, würde dem Indikator ‚sozioökonomische Blockaden’
folgender Gesamtwert zugeordnet:
6 Punkte
Im Gegensatz zu Beispiel 1, wurden in der zweiten Gemeinschaft bisher keine Minenopfer gemeldet,
da die Bevölkerung versucht, durch Nutzung alternativer Versorgungsmöglichkeiten das direkte Unfallrisiko zu minimieren.
0 Opfer x 2 Punkte
0 Punkte
Gesamtergebnis Mine Impact Score:
8 Punkte
Medium Impact
Quelle: Eigener Entwurf.
Textbox 18: Einfluss der Opferzahlen auf den ‚Mine Impact Score’
Nach Berechnung des Mine Impact Scores würde die Community aus Beispiel eins mit insgesamt 12 Punkten in die höchste Kategorie High-Impact eingeordnet, obwohl keine sozioökonomischen Auswirkungen vorliegen. Die sich aus der Anzahl der Opfer ergebende Zuordnung
würde daher in diesem Fall die tatsächliche Situation der Community nicht widerspiegeln. Die
Community aus Beispiel 2 hingegen würde mit einem Mine Impact Score von 8 nur der Kategorie Medium-Impact zugeordnet, was der vorgefundenen Situation nicht gerecht würde. Die
vielfältigen, durch Landminen verursachten sozioökonomischen Blockaden haben in dieser
Community starke Auswirkungen auf das Leben der Menschen. Sie sind zum einen gezwungen, Alternativen zu den blockierten Ressourcen zu nutzen, womit z.B. ein wesentlich höherer
Aufwand an Zeit verbunden ist, die für andere Bereiche nicht mehr zur Verfügung steht (vgl.
auch Abbildung 10 in Kapitel 6.1). Zum anderen kann die Community durch steigenden Flächenbedarf dazu gezwungen werden, die Minenfelder trotz der bekannten Gefahr zu nutzen,
um die Versorgung ihrer Familien sicherzustellen. Die Folge wäre eine Zunahme des Risikos
und unter Umständen auch eine Zunahme von Unfällen.
Wie anhand der Szenarien in Textbox 18 deutlich wird, können Minenunfälle vorkommen und
Opfer fordern, ohne dass sozioökonomische Auswirkungen auf die Community mit dem Vorhandensein von Minen verbunden sind. Andererseits werden Communities mit vergleichbaren
sozioökonomischen Auswirkungen, aber Minenopfern in einem Fall und keine Opfer in dem
anderen Fall, aufgrund der hohen Gewichtung der Opferzahlen unterschiedlich kategorisiert.
Menschen, die infolge der Landminenkontaminierung nicht dazu in der Lage sind, ihre
Grundbedürfnisse zu befriedigen und daher an Mangelernährung oder Krankheiten infolge
einer fehlenden Trinkwasserversorgung leiden und – im schlimmsten Fall – an diesen Folgen
sterben, sind de facto Minenopfer, werden aber über den Indikator nicht erfasst. Dabei wäre es
99
8 Methoden und Instrumente zum ‚Impact Assessment’
wichtig, auch solche Vorgänge bzw. Zusammenhänge in besonderer Form zu berücksichtigen
(KABIR 2006: INT). Grundsätzlich kann zwar davon ausgegangen werden, dass ‚Opfer durch
Minenunfälle’ auch auf ein aktuelles soziökonomisches Problem und auf die Notwendigkeit
von MRE- oder Räummaßnahmen hinweisen (QADEEM KHAN 2006: INT). Jedoch werden durch
den Indikator nicht alle Communities erfasst, deren Lebenssituation durch Landminen beeinträchtigt wird.
Viele Mine-Action-Akteure sind der Auffassung, dass die Anzahl der Minenunfälle bzw.
217
‚Minenvorfälle’ ein aussagekräftigerer Indikator sei, weil jeglicher Vorfall ein Hinweis auf
ein bestehendes Landminenproblem ist (QADEEM KHAN 2006: INT; KABIR 2006: INT). Über
Minenvorfälle würden zum einen Unfälle mit mehreren Opfern in ihrer Bedeutung gegenüber
einzelnen Unfällen relativiert, zum anderen würden aber z.B. auch Minenvorfälle, in die Tiere
involviert sind, erfasst. Für viele Bevölkerungsgruppen ist der Verlust an Viehbeständen von
großer Tragweite, was aber in der Berechnung des Mine Impact Scores nicht berücksichtigt
wird (KENDELLEN 2005: INT; MOHIBZADA 2005: INT; HAKIMI 2006: INT). Eine weitere Möglichkeit, dem Indikator ‚Opfer durch Minenunfälle’ im Rahmen des LIS eine größere Aussagekraft
zu verleihen, wäre eine gestaffelte Berechnung des Impact Scores für diesen Indikator. Ein
Beispiel für ein solches alternatives Scoring-System ist Textbox 19 zu finden.
Alternatives Scoring-System
für den Indikator ‚Anzahl der Opfer von Minenunfällen’
ein Opfer innerhalb der letzten 12 Monate wird mit 2 Punkten gewertet
ein Opfer innerhalb des Zeitraums vor 12 bis 24 Monaten wird mit einem Punkt gewertet
Opfer von Minenunfällen, die vor mehr als 24 Monaten geschehen sind, werden nicht in den
Impact Score mit einberechnet.
• Opfer von Unfällen, bei denen mehrere Personen zu Schaden gekommen sind, werden in Abstufung
gewichtet:
das erste Opfer wird mit der vollen Punktzahl gewertet,
das zweite Opfer mit 50% der Punktzahl,
alle weiteren Opfer mit 33% der Punktzahl.
• Der Score kann ebenfalls an die Größe der Bevölkerung angeglichen werden, da ein Opfer in einer
zahlenmäßig großen Gemeinschaft einen niedrigeren Wahrscheinlichkeits-Index (hinsichtlich
Minenunfällen) aufweist, als ein Opfer in einer zahlenmäßig kleinen Gemeinschaft. Eine Klassifizierung der lokalen Gemeinschaften in ‚klein’, ‚mittelgroß’ und ‚groß’ könnte in die Berechnung des
Mine Impact Scores (z.B. über einen Koeffizienten) mit einbezogen werden.
Quelle: SCANTEAM/DEMEX 2004, S. 37.
Textbox 19: Alternatives Scoring-System für den Indikator
‚Anzahl der Opfer von Minenunfällen’
Von allen existierenden Minenfeldern verursachen rund 80 Prozent keine sozioökonomischen
Auswirkungen. Die Schwierigkeit besteht darin, die 20 Prozent der verminten Gebiete, die das
Leben der Menschen gefährden und beeinträchtigen, zu identifizieren. Darunter fallen einige,
aber nicht alle Minenfelder, die Minenopfer verursacht haben (MACDONALD 2006: INT). Aus
den genannten Gründen sind verschiedene Mine-Action-Akteure der Ansicht, dieser Indikator
ließe in der Form, in der er in den Mine Impact Score des LIS einfließt, keine repräsentative
Aussage über die realen Auswirkungen zu. Demnach wird die Anzahl der Minenopfer als Indikator für sozioökonomische Auswirkungen von Landminen auf Communities bei der Berechnung des Mine Impact Scores überbewertet.
Mindestens ebenso von Bedeutung sind die durch Landminen verursachten Blockaden von
Ressourcen, die zur Grundbedürfnisbefriedigung notwendig sind, und über den Indikator
217
In der Mine-Action-Linguistik wird unterschieden zwischen mine accidents – einem Unfall mit Verletzungs- oder
Todesfolge („an undesired event which results in harm“, IMAS Definition 3.4.) – und mine incidents – einem sog.
‚Minenvorfall’. Darunter wird die unbeabsichtigte Explosion einer Mine verstanden, durch die nicht unbedingt
Personen, aber möglicherweise Tiere zu Schaden gekommen sind („an event that gives rise to an accident or has the
potential to lead to an accident“; IMAS Definition 3.118.). Mine accidents werden also durch mine incidents mit erfasst
(vgl. UNMAS 2003a, Definitionen 3.4. und 3.118.).
100
8 Methoden und Instrumente zum ‚Impact Assessment’
‚sozioökonomische Blockaden’ erfasst werden. Die Aussagekraft dieses Indikators und sein
Einfluss auf den Mine Impact Score ist – ebenso wie es für den Indikator ‚Anzahl der Minenopfer’ aufgezeigt wurde – in einigen Punkten kritisch zu betrachten. Dies trifft gleichermaßen
für den Indikator ‚Art der Kontaminierung’ zu.
Abbildung 18 ist zu entnehmen, dass es sich bei diesen Indikatoren – im Gegensatz zur Erfassung der Opferzahlen – um Indikatoren mit binärer Merkmalsausprägung handelt. Das heißt,
es kann nur festgestellt werden, ob Minen oder sozioökonomische Blockaden vorhanden sind
oder nicht. Mit Hilfe des Mine Impact Scores können also keine Aussagen hinsichtlich Anzahl
und Größe der Minenfelder bzw. hinsichtlich Ausmaß und Bedeutung der sozioökonomischen
Blockaden, sowie der Anzahl der jeweils betroffenen Menschen getroffen werden. Das bedeutet, dass die Punktzahl 2 für das Vorhandensein von Minen zugewiesen wird – unabhängig
davon, ob innerhalb einer Community ein oder 5 Minenfelder vorhanden sind, ob es sich um
eine betroffene Fläche von 10 oder 1.000 m² handelt, oder ob eine Fläche ganz oder nur zu
einem geringen Teil vermint ist, während der Rest der Fläche weiterhin nutzbar ist. Auch
werden z.B. Wasserressourcen gleichermaßen als blockiert gewertet, unabhängig davon ob
eine von 10 oder die einzige existierende Wasserstelle einer Community aufgrund von Landminen unzugänglich ist. Communities können folglich gleich eingestuft werden – also den
gleichen Mine Impact Score erhalten, obwohl sie in unterschiedlichem Ausmaß betroffen sind
(RHODES 2005, S. 93; SCANTEAM/DEMEX 2004, S. 38).
Aus diesen Ausführungen ergibt sich, dass existierende Alternativen zu blockierten Ressourcen nicht in die Berechnung des Mine Impact Score einfließen. Für die Entscheidung darüber,
ob in einer Community Mine-Action-Maßnahmen durchzuführen sind oder nicht, sind Informationen über das Vorhandensein von nutzbaren und zumutbaren Alternativen ausschlaggebend. Diesbezügliche Informationen werden zum Teil zwar über die Community Interviews
218
erfasst, erfordern aber eine Analyse der Gesamtdaten des LIS sowie zusätzliche detailliertere
219
Erhebungen, wenn die Planung eines konkreten Projektes entsprechend der in Kapitel 7.3
erläuterten Dringlichkeitsabschätzung bzw. Prioritätensetzung erfolgen soll (KENDELLEN 2005:
INT; MACDONALD 2006: INT).
Der fehlende Einbezug von vorhandenen oder nicht existierenden Alternativen in die Berechnung des Mine Impact Scores ist – neben der Übergewichtung der Anzahl von Minenopfern –
die häufigste Ursache für die Bewertung von Communities mit unzutreffenden Mine Impact
Scores (RHODES 2005, S. 93). Um ein aussagekräftigeres Bild von den Auswirkungen der Landminenkontaminierung auf die Bevölkerung durch eine Kategorisierung der Communities zu
liefern, und damit ein effektiveres Instrument zur Prioritätensetzung bieten zu können, müssten folglich die Zusammensetzung und die Berechnung des Mine Impact Scores entsprechend
überarbeitet und angepasst werden.
Eine Steigerung der Aussagekraft des Mine Impact Scores könnte zum einen über die Relativierung des Indikators ‚Anzahl der Opfer durch Minenunfälle’ und zum anderen über eine Modifizierung der Auswahl und Gewichtung der Indikatoren für die sozioökonomischen Blockaden
erreicht werden. Wie in Kapitel 8.1.2.1 bereits angesprochen wurde, wird die Auswahl und
Gewichtung dieser Indikatoren im Vorfeld der LIS-Durchführung durch die nationalen MineAction-Behörden in Zusammenarbeit mit dem SAC und weiteren internationalen Mine-Action220
Organisationen vorgenommen. Obwohl üblicherweise die Gewichtung der einzelnen sozioökonomischen Blockaden festgelegt wird, bevor die Feldarbeit beginnt, kann die nationale
Mine-Action-Behörde die Gewichtung im Nachhinein noch ändern oder gänzlich auf einen
221
späteren Zeitpunkt verschieben (KENDELLEN 2005: INT).
218
Der SAC-Fragebogen für die Community Interviews beschränkt sich auf die Erfassung von Alternativen hinsichtlich
Wasserressourcen und Straßen. Auch diese werden nur in begrenztem Maße erfragt: es wird lediglich bei alternativen
Wasserressourcen die Zumutbarkeit ihrer Nutzung in die Fragestellung aufgenommen (vgl. SAC 2003e, S. 40 und
S. 43), obwohl für eine reale Einschätzung der Situation der Communities solche Aspekte hinsichtlich aller Blockaden
erfasst werden müssten (KABIR 2006: INT).
219
Diesbezüglich äußerte sich Mike KENDELLEN, Director for Survey vom SAC, folgendermaßen: „I would argue that
instead of making a complicated scoring system involving alternatives, that in the analysis after the survey these alternatives or lack of them can be identified and then priorities can be set“ (KENDELLEN 2005: INT).
220
Dabei handelt es sich unter anderem um UN-Organe wie UNMAS oder UNDP, das GICHD sowie die Organisation,
die für die Durchführung des jeweiligen LIS verantwortlich ist.
221
In Bosnien beispielsweise wurde die Gewichtung der Indikatoren sogar erst nach Abschluss des Surveys vorgenommen, nachdem verschiedene Gewichtungssysteme an den erhobenen Daten getestet worden waren (KENDELLEN
2005: INT).
101
8 Methoden und Instrumente zum ‚Impact Assessment’
Bei Auswahl und Gewichtung der Indikatoren handelt es sich um eine landesweit geltende
Festlegung, welche regionale Unterschiede weitgehend unberücksichtigt lässt. Eine solche
Vereinheitlichung geschieht auf Kosten einer höheren Genauigkeit der Einschätzung von
sozioökonomischen Auswirkungen der Landminenkontaminierung, insbesondere wenn ein
Land sehr unterschiedliche Bevölkerungsstrukturen und stark divergierende klimatische Bedingungen aufweist, die sich auf die regional vorherrschenden Produktionsweisen auswirken.
Die Bedeutung einer Ressourcenblockade kann in einem solchen Land je nach Region sehr
stark variieren, so dass die Blockade von Weideland in einem Landesteil und die Blockade von
regenbewässertem Ackerland in einem anderen Landesteil den bedeutenderen entwicklungshemmenden Faktor darstellt.
Die einzige im LIS vorgesehene Korrekturmöglichkeit für den Fall, dass ein Survey Team
den Eindruck hat, der Mine Impact Score einer Community spiegele die Auswirkungen von
Landminen auf die betroffene Community nicht wider, besteht darin, dass der Mine Impact
Score für eine Community nach ausführlicher Begründung und unter Absprache mit dem Field
Supervisor und dem LIS-Zentralbüro um bis zu 20 Prozent angeglichen werden kann (SAC
2003h, S. 3).
Abbildung 18 verdeutlicht an einem Beispiel aus dem Jemen, wie unterschiedlich die Einschätzung der Bedeutung der verschiedenen Indikatoren durch die Community oder eine nationale Behörde ausfallen kann. Daraus folgt, dass es für eine effektive Planung sehr wichtig
ist, die Prioritäten der Community zu erfassen und zu berücksichtigen. Eine solche Möglichkeit besteht durch eine Analyse der Daten nach Abschluss der Erhebungen (KENDELLEN 2005:
INT), da im Rahmen der Community Interviews die Rangordnung der einzelnen Blockaden aus
Sicht der Community ebenfalls erhoben wird (vgl. SAC 2003e, S. 67). Dies ist jedoch eher als
eine theoretische Möglichkeit zu werten, da in der Praxis für die Planung einer Mine-ActionMaßnahme auf detailliertere Erhebungen und Analysen, z.B. mit Hilfe der TAP-Methode (vgl.
Kapitel 7.3.3), zurückgegriffen wird (MACDONALD 2006: INT).
Abb. 18: Unterschiede in der Indikatorengewichtung
(SAC 2003h, S. 10)
8.1.3.2
Akzeptanz der LIS-Daten durch Mine-Action-Akteure
Aufgrund der zum Teil sehr offensichtlichen Schwächen in der Methodik des LIS-Konzeptes
wird – vor allem seitens der durchführenden Mine-Action-Organisationen – die Verlässlichkeit
und Aussagekraft der LIS-Daten in Frage gestellt. Darüber hinaus ist ihre Nutzbarkeit für eine
konkrete Projektplanung aus folgenden Gründen begrenzt:
102
8 Methoden und Instrumente zum ‚Impact Assessment’
Der technische und personelle Aufwand für ein konkretes Projekt kann anhand der LIS-Daten
nicht geplant werden, weil die erforderlichen detaillierten technischen Angaben bezüglich
der Minenfelder nicht in ausreichendem Maße und ausreichender Qualität erfasst werden
222
(YARMOSHUK 2005, S. 241; RHODES 2005, S. 82).
Die LIS-Kategorisierung ermöglicht keine genaueren Einschätzungen über das tatsächliche
Ausmaß der Auswirkungen von Landminen auf eine Community (HARPVIKEN et al. 2004, S. 122).
Es ist schwer abschätzbar, wie verlässlich die Angaben aus dem Gruppeninterview sind bzw.,
ob sie auf Übertreibungen oder Eigeninteressen der Befragten basieren, die darin eine Möglichkeit sehen, die Entscheidung für die Durchführung von Maßnahmen in ihrer Gemeinschaft
223
positiv zu beeinflussen.
Die Auswirkungen bzw. der Erfolg von Mine-Action-Interventionen auf eine Community kann
nicht eingeschätzt werden, unter anderem deshalb, weil der LIS keine Angaben darüber
macht, wie viele Menschen von einer Blockade betroffen sind und folglich auch nicht eingeschätzt werden kann, welche und wie viele Personen von einer Maßnahme profitieren würden
(GOSLIN 2004, S. 153; RHODES 2005, S. 93f.). Die Behauptung, dass anhand der Schätzung der
Bevölkerungsanzahl der Community diesbezüglich Rückschlüsse gezogen werden können, ist
nicht haltbar, weil zusätzlich Informationen über Bodenrechts- und Bodeneigentumssysteme,
sowie über soziale Strukturen erforderlich wären (KENDELLEN 2005: INT).
Zusätzlich erschwert wird die Nutzbarkeit der LIS-Daten dadurch, dass die entsprechenden
Datenbanken Eigentum der jeweiligen Regierung sind, welche die ursprünglich angedachte
freie Verfügbarkeit der Daten (vgl. Kapitel 8.2) kontrolliert und oft einschränkt. Durchführende Mine-Action-Akteure kritisieren, dass häufig die erhobenen Daten erst nach und nicht bereits während der LIS-Durchführung, die durchschnittlich 2-3 Jahre in Anspruch nimmt, verfügbar sind (GOSLIN 2004, S. 153; MACDONALD 2006: INT). Selbst nach Abschluss des LIS kann
es noch einige Zeit dauern, bis die nationale Mine-Action-Behörde dazu bereit ist, selbst die
Daten zu nutzen und an die Mine-Action-Organisationen weiterzugeben (KABIR 2006: INT).
„It [the LIS] shows where mines affect people at a given time“
(RHODES 2005, S. 96).
Mit anderen Worten: Der LIS liefert nur eine Momentaufnahme der Landminensituation eines
Landes. Da sich jedoch die sozioökonomischen Auswirkungen mit der Zeit ändern (SEKKENES
2006: INT; vgl. auch Kapitel 6.4), besteht die Gefahr, dass die Daten eines LIS zum Zeitpunkt
seines Abschlusses bereits veraltet sind. Aufgrund dieser begrenzten zeitlichen Gültigkeit der
224
Daten sowie aufgrund der Tatsache, dass die Durchführung eines LIS sehr kostenintensiv ist,
wird der Sinn und Zweck des LIS von vielen Mine-Action-Akteuren angezweifelt. Es ist eher
eine Ausnahme, wenn sie die Daten des LIS für ihre eigenen Planungen als Grundlage nutzen.
Aus den genannten Gründen ziehen sie es in der Regel vor, eigene Erhebungen durchzuführen (FASTH 2005: INT; SEKKENES 2006: INT).
8.1.3.3
Die Anwendbarkeit des ‚Landmine Impact Survey’
Die vorangegangenen Ausführungen belegen, dass das LIS-Konzept hinsichtlich der ihm
zugrunde liegenden Methodik in vielen Punkten zu Recht bemängelt wird. Die darüber hinaus
gehende Kritik ist vor allem darauf zurückzuführen, dass vom LIS mehr erwartet wird als das,
wozu er konzipiert wurde. Wie die Definition nach IMAS besagt, bietet der LIS eine Einschätzung der sozioökonomischen Auswirkungen, die durch die tatsächlich vorhandene oder aus
Sicht der lokalen Bevölkerung wahrgenommene Präsenz von Landminen verursacht werden
(vgl. Kapitel 8.1.1). Das heißt, der LIS ist nicht dafür angelegt, detaillierte technische Daten
222
Zur Qualität der im Rahmen des LIS erfassten technischen Angaben ein extremes Beispiel: nach Übertragung der
für ein Minenfeld angegebenen Koordinaten, stellte sich heraus, dass das Minenfeld mitten im Ozean lokalisiert wurde (RHODES 2005, S. 97).
223
Es kommt vor, dass Angaben über Minenfelder auf Gerüchten innerhalb der Communities beruhen (FASTH 2005:
INT). Nutzbare und zumutbare Alternativen zu blockierten Ressourcen werden zuweilen verschwiegen, weil von den
Befragten befürchtet wird, dass Maßnahmen sonst nicht stattfinden. „The interviewees often tend to twist their answers
and/or design their answers at their sweet will“ (KABIR 2006: INT).
224
Die Durchführung eines LIS kostet durchschnittlich 2 Mio. US $. Für den LIS in Angola wurden sogar 6 Mio. US $
angesetzt (SCANTEAM/DEMEX 2004, S. 14).
103
8 Methoden und Instrumente zum ‚Impact Assessment’
über Minenfelder für die konkrete Einsatzplanung einer Räummaßnahme zu liefern, wie häufig aufgrund eines falschen Verständnisses des Konzeptes eingefordert wird. Die technische
Erfassung ist Aufgabe des Technical Surveys, die der LIS nicht ersetzen kann und soll. Vielmehr soll der LIS erfassen, wo Menschen durch Landminen bedroht werden oder sich bedroht
225
fühlen und dadurch in ihrer sozioökonomischen Entwicklung gehemmt werden.
Über
die Kategorisierung der Communities in High-, Medium- und Low-Impact soll die Planung und
226
Prioritätensetzung für nationale Mine-Action-Programme unterstützt werden. Dabei besteht
ein häufiges Missverständnis hinsichtlich dieser Kategorisierung:
„A major confusion with the LIS impact scores is that many confuse impact level
(high, medium, low) with priority. This is wrong. […] Impact score raises concerns
and points the donor and national authorities in a particular direction. The impact
score does not tell you what to do”
(KENDELLEN 2005: INT).
Das heißt mit anderen Worten: Der LIS bietet einen Überblick über die Landminensituation
und deren Auswirkungen innerhalb eines Landes und damit eine Grundlage für die Auswahl
von Gebieten, in denen genauere Untersuchungen und Technical Surveys anzusetzen sind. Wie
gefährlich es ist, die Kategorien des LIS mit Prioritäten gleichzusetzen und als alleinige
Grundlage für die Planung von Maßnahmen zu nutzen, zeigt sich an den Ausführungen über
die methodischen Schwachstellen des Mine Impact Scores: Der Mine Impact Score besagt nur,
dass eine Community von durch Landminen verursachten Auswirkungen betroffen ist, präzisiert aber nicht Ausmaß und Folgen dieser Auswirkungen (vgl. Kapitel 8.1.3.1). Dem LIS müssen daher detaillierte Folgeuntersuchungen – wie z.B. TAP oder Community Studies – angeschlossen werden, bevor eine effektive Prioritätensetzung hinsichtlich der Durchführung von
Maßnahmen erfolgen kann.
Dieser Aspekt wird häufig als Argument dafür angebracht, dass der LIS – gemessen an der
Anwendbarkeit seiner Ergebnisse für die konkrete Planung – zu zeit- und vor allem zu kostenaufwendig sei. Vor dem Hintergrund jedoch, dass der LIS in vielen Ländern die erste landesweite Erhebung der Landminenproblematik darstellt, wird erst durch diesen Survey eine nationale Planung ermöglicht, die nicht allein auf Effizienz, sondern auch auf Effektivität ausgerichtet werden kann:
„But in the end the investment in the survey will save money. It is amazing
how many countries do not have a grasp on its landmine problem. They have some
idea of landmine contamination but they do not necessarily know the impact and,
in turn, plan for an efficient use of limited resources. […] The LIS provides the
information to plan“
(KENDELLEN 2005: INT).
Demgemäß ist bezüglich der Anwendbarkeit des LIS folgendes festzuhalten: Mit diesem
Survey wird – gemäß seiner Konzeption und seiner Funktion, einen landesweiten Überblick
über die Landminenproblematik eines Landes zu geben – den nationalen Mine-ActionBehörden ein Instrument zur Verfügung gestellt, das eine solide Ausgangsbasis für die nationale Planung bietet. Darüber hinaus kann der LIS auch für die Geber von großem Nutzen sein,
da ihnen über den LIS eine bessere Kontrolle hinsichtlich Effektivität der nationalen Planung
und dem zielgerichteten Einsatz der von ihnen bereitgestellten Mittel ermöglicht wird. Der LIS
trägt somit zu einer Verbesserung und erhöhten Transparenz der Arbeit der nationalen MineAction-Behörden bei, welche auf diesem Wege zukünftig benötigte Mittel für ihr Mine-ActionProgramm besser sichern können.
225
Unabhängig davon, ob Landminen tatsächlich vorhanden sind oder nur vermutet wird, dass sie vorhanden
sind – die Auswirkungen auf das Leben der Menschen sind die gleichen! (vgl. auch das Beispiel in Kapitel 4).
226
Der LIS als Planungsinstrument wurde vor allem auch im Hinblick auf die Verpflichtungen des Ottawa-Abkommens
entwickelt, innerhalb von 10 Jahren die Vernichtung aller auf ihrem Territorium befindlichen Personenminen sicherzustellen (vgl. Kapitel 5.2.2.1).
104
8 Methoden und Instrumente zum ‚Impact Assessment’
Trotz seiner Schwächen und Grenzen lässt sich über den LIS mit den Worten von QADEEM
KHAN (UNDP Technical Advisor) zusammenfassend sagen:
„There is no better instrument than LIS at this stage. The other surveys used before
[…] were very much suspected areas centred. There was almost no link between the
impacts of the suspected/mined areas and the surrounding affected communities.
However, the LIS links the socio-economic impacts of the suspected/mined areas to
the surrounding affected communities”
(QADEEM KHAN 2006: INT).
8.2
Das Informationsmanagement System für Mine Action
(IMSMA)
„Information Management is the KEY to all activity, including of course mine action“
(RYCHENER 2005: INT).
Effektive und effiziente Planung von Mine-Action-Programmen und Projekten ist in hohem
Maße von der Verfügbarkeit aussagekräftiger Daten abhängig. Um die im Rahmen von Impact
Assessments, Technical Surveys, aber auch während der Durchführung und Evaluierung von
Maßnahmen gesammelten Datenmengen für die verschiedenen Mine-Action-Akteure in bedarfsgerechter Form zu sammeln, aufzubereiten und verfügbar zu machen, hat das Center for
Security Studies an der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich (ETH) im Jahr 1999
im Auftrag des GICHD ein software-gestütztes Datenmanagementinstrument entwickelt – das
sog. Information Management System for Mine Action (IMSMA). Das etwa zum gleichen Zeitpunkt entstandene LIS-Konzept wurde von Anfang an IMSMA-kompatibel aufgebaut und das
LIS-Datenformat entsprechend an das IMSMA-System angepasst, so dass die Survey-Daten
direkt in das System eingegeben werden können (HARPVIKEN et al. 2004, S. 118). Seit der Einführung von IMSMA wurde die zugrunde liegende Software anhand der Rückmeldungen und
Vorschläge aus der praktischen Anwendung kontinuierlich weiterentwickelt und aufgerüstet
und gilt seither als von den UN anerkannter Standard für Mine-Action-Informationssysteme
(GICHD 2004a, S. 139). Die IMSMA-Software, IMSMA-Trainingsmaßnahmen sowie anwendungsbezogene technische Betreuung werden den Regierungen minenbetroffener Länder und
ihren MACs kostenlos vom GICHD zur Verfügung gestellt (YARMOSHUK 2005, S. 268f.). Obwohl
227
dieses Datenmanagementsystem mittlerweile weltweit von über 40 Ländern genutzt wird,
wird sein Potenzial in den meisten Ländern aus verschiedenen Gründen nur in Ansätzen ausgeschöpft. Wie sich unter anderem in den Expertenbefragungen herausstellte, besteht eine
bedeutende Diskrepanz zwischen Zielsetzung und Potenzial des Systems auf der einen Seite
und der tatsächlichen Nutzung auf der anderen Seite. Hierin liegt der Ansatzpunkt der folgenden Ausführungen, die einen Einblick in die Ursachen dieser Diskrepanz und damit in die
228
aktuelle anwenderbezogene Problematik bieten.
8.2.1
Die Zielsetzung des Informationsmanagementsystems
für Mine Action (IMSMA)
IMSMA ist eine Software, mit der komplexe, leistungsfähige Mine-Action-Datenbanken erstellt
und mit geographischen Informationssystemen (GIS) kombiniert werden können. Mit der
Entwicklung von IMSMA und der Einrichtung von IMSMA-gestützten Datenbanken, wodurch
Sammlung, Analyse und Verfügbarkeit bzw. Zugänglichkeit von relevanten Daten vereinfacht
werden, sind folgende Ziele verbunden:
• Unterstützung des Aufbaus der MACs durch Einsatz von standardisierten, betriebsbereiten
Mine-Action-Informationssystemen
• Präzise Aufzeichnung und Bewertung der Landminenproblematik sowie des sozioökonomischen Einflusses
227
Stand: September 2005 (ETH 2006, o.S.).
Die mit technischen Einzelheiten von IMSMA-Datenbanksystemen und der Software verbundene Problematik ist
Gegenstand von Softwareentwicklung und EDV und wird daher im Rahmen dieser Arbeit nicht weiter vertieft.
228
105
8 Methoden und Instrumente zum ‚Impact Assessment’
• Verbesserung der Datengrundlage für die nationale Mine-Action-Planung durch die MineAction-Behörden und die MACs
• Anwendung dieser Daten für die Entscheidungsunterstützung bei der Optimierung der Ressourcenzuweisung, also für eine effektive Prioritätensetzung
• Unterstützung des Managements und der Durchführung von Mine-Action-Maßnahmen
• Unterstützung von MRE-Management
• Beobachtung der Fortschritte der Mine-Action-Aktivitäten und der damit zusammenhängenden Reduktion der Gefahr von Landminen
• Unterstützung und Vereinfachung der Bereitstellung von Informationen über gefährliche
Gebiete für Zivilbevölkerung, Helfer und internationale Friedenstruppen
• Einfache Veröffentlichung von Informationen über den Status der Minenproblematik via
Internet
(GICHD 2004a, S. 139; ETH 2006, o. S.).
Eine den genannten Zielen entsprechende, sinnvolle Nutzbarkeit von IMSMA-gestützten Datenbanken erfordert die Erhebung qualitativ hochwertiger Daten sowie deren regelmäßige
Aktualisierung und entsprechende Fachkapazitäten, die die Datenbank pflegen und verwalten.
Damit die verschiedenen Mine-Action-Akteure diese Daten nutzen können, benötigen sie zum
einen ausreichende Zugriffsmöglichkeiten auf die Datenbank und zum anderen Fachkräfte
zur Datenanalyse und -interpretation. Die Erfahrungen aus der Praxis haben gezeigt, dass es
eben diese Aspekte sind, die die meisten Defizite aufweisen, weshalb die tatsächliche Nutzung
der Datenbank in einigen Fällen weit hinter den Möglichkeiten, die das IMSMA-System bietet,
zurückbleibt.
8.2.2
Die Problematik der Nutzung von IMSMA-gestützten Datenbanken
Vor der Einrichtung von IMSMA wurden in vielen Ländern für das Mine-ActionDatenmanagement sehr verschiedene Informationssysteme genutzt. Diese waren untereinander nicht kompatibel und erfassten außerdem sehr unterschiedliche Daten, die einen landesweiten Vergleich und damit eine effektive nationale Planung erschwerten. Die Standardisierung der Daten durch das IMSMA-System, die Kompatibilität der Software (vor allem mit GIS)
und die Sammlung und Verwaltung der Informationen an zentraler Stelle ermöglichen eine
bedarfsgerechte Verarbeitung und Analyse großer Datenmengen, die speziell auf die Anforde229
rungen für das Mine-Action-Management zugeschnitten ist (ETH 2006, o.S.). Daher wird die
Einführung IMSMA-gestützter Datenbanksysteme von der Mehrheit der Mine-Action-Akteure
grundsätzlich als positive Entwicklung begrüßt, wie im Rahmen der Expertenbefragung für
diese Arbeit einstimmig bestätigt wurde.
Jedoch variiert laut Aussagen der befragten Mine-Action-Experten die Nutzbarkeit und tatsächliche Nutzung der Mine-Action-Datenbanken von Land zu Land zum Teil erheblich. Der
Umgang mit komplexen Daten, deren Analyse und Interpretation erfordert grundsätzlich gut
ausgebildete personelle Kapazitäten. Hierin liegt ein sehr verbreitetes Problem: Die MACs, in
deren Verantwortung die Verwaltung und Pflege der Daten liegt, verfügen in vielen Fällen
nicht über ausreichend Personal mit den entsprechenden Fachkenntnissen. Daher ist die Regelmäßigkeit, Verlässlichkeit und Transparenz der Dateneingabe und -aktualisierung nicht
immer ausreichend gewährleistet. Die durchführenden Mine-Action-Organisationen sind zwar
zur Weitergabe ihrer – im Rahmen von Projektdurchführung und -evaluierung – erhobenen
Daten an die für das Datenbankmanagement zuständige MAC-Abteilung verpflichtet, jedoch
ist es – so die befragten Experten – meist unklar, ob diese Daten korrekt und vollständig eingegeben und aktualisiert werden (FASTH 2005: INT; BROWN 2005: INT). Verstärkt wird das Problem der Verlässlichkeit und Aktualisierung der Datenbanken auch dadurch, dass einzelne
durchführende Organisationen keine angemessene Informationspolitik, die sich auf Kooperation und Erfahrungsaustausch stützt, betreiben, da sie ihre Daten – entgegen ihrer Verpflich229
Ausführlich zur Entwicklung von Mine-Action-Informationsmanagementsystemen und deren praktische Vor- und
Nachteile siehe YARMUSHOK 2005.
106
8 Methoden und Instrumente zum ‚Impact Assessment’
tung – nur sehr schwerfällig weitergeben (BOHLE 2005: INT). Daraus resultiert ein fehlendes
Vertrauen der durchführenden Mine-Action-Organisationen in die Qualität und Nutzbarkeit
der Datenbanken. Stattdessen stützen sie sich für die Planung konkreter Projekte in der Regel
mehr auf eigene Erhebungen bzw. lokal verfügbare Informationen (DELECOURT 2006: INT;
FARID 2006: INT; BROWN 2005: INT).
Dieser Mangel an Vertrauen ist aber auch auf die zum Teil sehr eingeschränkte Verfügbarkeit
der IMSMA-Daten zurückzuführen. Die Datenbanken sind Eigentum der Regierungen und
unterliegen der Verantwortung der Mine-Action-Behörden bzw. MACs, denen das alleinige
Administrationsrecht vorbehalten ist. Die Zugriffsgewährung auf die Datenbank und die Weitergabe von Informationen an die einzelnen Akteure hängt von der entsprechenden Bereitschaft der jeweiligen Regierung ab (MANSFIELD 2005, S. 218). Bis auf wenige Ausnahmen haben
die durchführenden Mine-Action-Organisationen keinen freien, sondern nur einen eingeschränkten Zugriff auf das Datenbanksystem und können nur mit schreibgeschützten Versio230
nen bzw. Ausdrucken arbeiten. Im Hinblick darauf, dass das IMSMA-Datenbanksystem dafür
konzipiert wurde, in den von Landminen betroffenen Ländern Mine-Action-Maßnahmen – und
damit das Ziel Mine Impact-Free – zu unterstützen, wäre ein offenerer Umgang mit den Daten
zu erwarten. Insbesondere vor dem Hintergrund der Verpflichtung zur Offenlegung aller
minenbezogenen Informationen gemäß Artikel 7 der Ottawa-Konvention ist eine Informationspolitik von Mine-Action-Behörden, die Daten unter Verschluss halten, nicht nachvollziehbar. Diesbezüglich wurde beispielsweise seitens einer Mine-Action-Behörde das Argument
vorgebracht, dass es sich um ‚sensible’ Daten handele, die nicht ohne weiteres zur Verfügung
231
gestellt werden könnten. Eine solche Haltung erklärt Mike KENDELLEN (Director for Survey,
SAC) mit seiner Antwort auf die Frage, ob alle Mine-Action-Akteure Zugriff auf die IMSMADatenbanken haben:
„No. The GICHD only provides IMSMA to governments and governments often will
not share data. Data is power so they keep it to themselves. None of the NGO mine
action operators have access to the mine action database with some exceptions”
(KENDELLEN 2005: INT).
In Bezug auf die praktische Anwendbarkeit von IMSMA-gestützten Datenbanken wurde vor
allem die Benutzerfreundlichkeit der aktuell genutzten IMSMA-Version 3 bemängelt (FASTH
2005: INT; QADEEM KHAN 2006: INT). Es wird jedoch erwartet, dass mit der neuen Version 4
– die bis Ende 2007 in allen Mine-Action-Programmen die älteren Versionen ersetzen soll – ein
Großteil der aus der Praxis gemeldeten Probleme behoben werden. So ist beispielsweise in
dieser in mehreren Sprachen erhältlichen Version GIS bereits in die Software integriert, wodurch eine interaktive kartengestützte Navigation durch sämtliche innerhalb der Datenbank
gespeicherten Informationen ermöglicht wird (MANSFIELD 2005, S. 218). IMSMA in Version 4
wurde um eine Reihe von Funktionen erweitert und kann dadurch als hervorragendes Instrument für das Informationsmanagement genutzt werden (MACDONALD 2006: INT).
8.3
Der Beitrag von LIS und IMSMA
zur Verbesserung der Mine-Action-Planung
“The scarcity of data in many mine-affected countries is exacerbated by the scarcity of
people / institutions capable of working with complex data”
(GICHD/UNDP 2001, S. 78).
In den letzten 5 bis 6 Jahren sind im Rahmen der Mine-Action-Disziplin beachtliche Fortschritte hinsichtlich der Schaffung einer angemessenen und soliden Datengrundlage für die effektive Planung von Mine-Action-Programmen und -Maßnahmen gemacht worden. Es sind verschiedene Instrumente zur Erfassung der sozioökonomischen Auswirkungen und zum Informationsmanagement entwickelt worden, von denen sich einige in der Praxis bewährt und
mittlerweile als Mine-Action-Standard durchgesetzt haben. Am Beispiel des LIS wurde ver230
Eine direkte Dateneingabe ist berechtigterweise nicht möglich bzw. nicht gestattet, da sonst unkontrollierbare Änderungen vorgenommen werden könnten (BOHLE 2005: INT).
231
Die Mine-Action-Behörde von Mozambique hat mit dieser Argumentation die Beantwortung der für diese Arbeit
vorgenommenen Befragung indirekt abgelehnt (Email von KABIR VOM 06.02.2006).
107
8 Methoden und Instrumente zum ‚Impact Assessment’
deutlicht, dass jedoch auch solche Standardinstrumente in ihrer Methodik überarbeitet werden müssen, um ein aussagekräftigeres Bild von den durch Landminen verursachten sozioökonomischen Auswirkungen zu vermitteln. Im Bereich der Mine-Action-Informationsmanagementsysteme wurde mit IMSMA innerhalb kurzer Zeit ein Instrument entwickelt, das
viele praktische Anwendungsmöglichkeiten bietet und somit ein hohes Potenzial für die Optimierung der Mine-Action-Planung aufweist. Jedoch auch ein ausgefeiltes Informationsmanagementsystem wie IMSMA-Version 4 kann immer nur so gut sein, wie die ihm zugrunde liegenden Daten. Selbst wenn die Erhebung qualitativ hochwertiger Daten und deren kontinuierliche Aktualisierung gewährleistet sind, reicht dies noch nicht aus: Es müssen auch entsprechende Fähigkeiten und Kapazitäten zur Analyse und Auswertung der Daten vorhanden sein,
sowie die Fähigkeiten, diese Datenanalyse und -auswertung in eine effektive Planung umzusetzen (RHODES 2005, S. 96).
Diese Überlegungen, projiziert auf die in diesem Kapitel vorgestellten Methoden und Instrumente zum Impact Assessment, ergeben folgende Schlussfolgerungen:
Der LIS in seiner Eigenschaft als Momentaufnahme der Landminensituation eines Landes
sollte als Startpunkt für eine kontinuierliche Sammlung von relevanten Informationen hinsichtlich der sozioökonomischen Auswirkungen von Landminen betrachtet werden. Durch die
Ausbildung der Survey Teams und mit Informationsmanagementsystemen wie IMSMA steht
bereits das Potenzial zur Verfügung, solche Erhebungen fortzuführen. Diese Fortführung ist
deshalb erforderlich, weil Daten grundsätzlich nur dann sinnvoll für die Planung nutzbar sind,
wenn sie Gültigkeit haben, also regelmäßig aktualisiert werden. Impact Assessment sollte folglich nicht als einmaliges Ereignis in Form eines Surveys, sondern als kontinuierlicher Prozess
232
während der gesamten Dauer eines nationalen Mine-Action-Programms angelegt werden.
Nur durch ständige Aktualisierung kann der Fortschritt innerhalb eines Mine-ActionProgramms überwacht werden und die Pläne an die – z.B. durch den erfolgreichen Abschluss
von Mine-Action-Maßnahmen – geänderten Rahmenbedingungen angepasst werden, so dass
eine Ressourcenzuweisung für Projekte, die nicht oder nicht mehr notwendig sind, verhindert
werden kann (BROWN 2005: INT). Zur Überwachung des Fortschritts eines Programms ist auch
die Erfassung geplanter Maßnahmen, ihres Planungs- und Finanzierungsstatus etc. erforder233
lich, um zu unterbinden, dass Projekte doppelt finanziert werden (sog. Double Dipping). Verschiedene Methoden und Instrumente für die Erhebung von für Mine Action relevanten Informationen bieten unterschiedliche Blickwinkel auf die Landminenproblematik und sind daher komplementär und nicht alternativ zueinander zu nutzen. Auf diese Weise werden die
Kenntnisse über die Minenproblematik eines Landes stetig erweitert und damit eine umfassende Datengrundlage für Mine-Action-Planung und -Management geschaffen.
Es wurde bereits darauf hingewiesen, dass viele MACs nicht über ausreichend Personal mit
den erforderlichen Fachkenntnissen zur Verwaltung und Pflege der IMSMA-gestützten Datenbanken verfügen, weshalb ein umfassendes effektives Informationsmanagement nicht möglich
ist. Darüber hinaus fehlt es aber auch auf vielen Managementebenen an Verständnis bezüglich
der Aussagekraft von Daten – eine Voraussetzung für die in der Mine-Action-Planung erforderliche Fähigkeit, mit komplexen Informationen umzugehen, sie zu analysieren und entsprechend auszuwerten. Aufgrund dieser Problematik werden Informationssysteme nicht so
genutzt wie vorgesehen und IMSMA in einigen Fällen auf ein Instrument zur Erstellung von
Berichten reduziert (KENDELLEN 2005: INT). Effizienz- und Effektivitätssteigerung von Mine
Action erfordern daher eine Verstärkung der Kapazitätenbildung, insbesondere hinsichtlich
der Förderung analytischer Fähigkeiten (MILLARD 2005: INT). Das betrifft sowohl das IMSMAund Survey-Personal, als auch die Entscheidungsträger, die über Mine-Action-Prioritäten,
-Planung und -Durchführung bestimmen. Unter den jetzigen Konditionen besteht die Gefahr,
dass die Potenziale der zur Verfügung stehenden Instrumente nur minimal ausgeschöpft werden (MACDONALD 2006: INT) und somit die in deren Entwicklung investierten Gelder letztlich
einer Verschwendung gleichkommen (BROWN 2005: INT).
232
Vgl. auch Kapitel 7.3.3: General Mine Action Assessment als kontinuierlicher Prozess der Datensammlung und
Informationsauswertung.
233
Über so einen Fall berichtete Georg KRÜSSEN, Direktor der NGO Menschen gegen Minen (MgM): Eine Mine-ActionNGO warb über die Initiative Adopt-A-Minefield für die Finanzierung eines Projektes, obwohl diese bereits durch einen
bilateralen Geber erfolgt war (KRÜSSEN 2005: INT).
108
8 Methoden und Instrumente zum ‚Impact Assessment’
Selbst unter optimalen methodischen und kapazitären Voraussetzungen kann der Erfolg
eines Mine-Action-Programms stark eingeschränkt werden, wenn die Informationspolitik
der jeweiligen Regierungen den effektiven Einsatz dieser Möglichkeiten behindert, indem sie
z.B. – wie bereits angesprochen – Daten unter Verschluss hält. Einer freien Verfügbarkeit über
die Datenbanken und einer Weitergabe der IMSMA-Software an die durchführenden MineAction-Organisationen steht häufig das Bedürfnis der nationalen Mine-Action-Behörden, ihre
(Macht-)Position zu sichern, entgegen. Diese Problematik bestätigt Alan MACDONALD, ehemaliger SAC-Teamleader für den LIS Afghanistan in Bezug auf IMSMA:
„IMSMA 4 must be given to implementers – but this will require national governments to give permission – and here one may run up against national mine action
authority pride […]”
(MACDONALD 2006: INT).
Auch in dieser Hinsicht gilt es also Lösungen zu finden, die den Informationsaustausch
verbessern und ein effektiveres Management ermöglichen. Hier könnten z.B. Geber ihren Einfluss zur Geltung bringen, indem sie die Vergabe von Mitteln an die Bedingung knüpfen, die
Nutzung von Instrumenten wie IMSMA durch eine angemessene Informationspolitik zu unterstützen (BOHLE 2005: INT). Der Druck auf die Regierungen ließe sich diesbezüglich über eine
Erweiterung oder Verschärfung des Artikels 7 der Ottawa-Konvention verstärken. Durch einen
entsprechenden Zusatz könnte die Verpflichtung zu regelmäßigen Berichten dahin gehend
erweitert werden, die Transparenz der internen Informationspolitik durch offenere Zugriffsmöglichkeiten auf Daten, die für Mine Action relevant sind, zu erhöhen.
Insgesamt ist festzuhalten, dass ein aktives Engagement aller an einem nationalen MineAction-Programm beteiligten Akteure hinsichtlich Informationsaustausch und -management
von entscheidender Bedeutung für die Effektivität des Programms ist. Nur so können die Möglichkeiten, die Instrumente wie LIS und IMSMA für eine effektivere Planung bieten, besser
ausgeschöpft werden.
109
9 Fallstudie Mozambique
III FALLSTUDIEN:
MINE ACTION IN MOZAMBIQUE UND AFGHANISTAN
9
Fallstudie Mozambique
Mozambique gehört zu den ersten Staaten, die das Ottawa-Abkommen unterzeichnet und
234
ratifiziert haben. Die Verpflichtungen zur vollständigen Zerstörung der Personenminenla235
gerbestände nach Artikel 5 wurden 2003 fristgemäß erfüllt. Das Land war aktiv in den Ottawa-Prozess eingebunden und Gastland für das erste Treffen der Mitgliedsstaaten im Jahr 1999
in Maputo. Seitdem ist Mozambique weiterhin in hohem Maße hinsichtlich der Durchsetzung
eines weltweiten Verbotes von Personenminen und Minen mit personenminenähnlicher
236
Wirkung engagiert (GICHD 2005a, S. III). Wie in den Ausführungen zum nationalen MineAction-Programm von Mozambique noch deutlich wird, ist es jedoch fraglich, ob das Land
die Verpflichtung zur vollständigen Räumung aller verlegten Minen einhalten kann. Die
Regierung und die nationale Mine Action Behörde IND halten weiterhin an ihrem Ziel fest, für
Mozambique bis 2009 den Status ‚minenfrei’ zu erreichen (ICBL 2005c, o.S.).
9.1
Landesspezifischer Hintergrund
Die landesspezifischen geographischen und sozioökonomischen Rahmenbedingungen haben
bedeutenden Einfluss auf die Auswirkungen der Landminenkontaminierung auf die Bevölkerung. Strukturelle Probleme, wie z.B. das Vorherrschen von landwirtschaftlicher Subsistenzwirtschaft, eine desolate Infrastruktur und Armut stehen mit der Landminenproblematik in enger Wechselbeziehung (vgl. Kapitel 6) und verstärken die Vulnerabilität bestimmter
Bevölkerungsgruppen. Diese Aspekte sind bei der Planung von Mine-Action-Programmen
zu berücksichtigen und Mine Action ist mit anderen Maßnahmen, wie z.B. Programmen zur
Armutsbekämpfung, zu koordinieren bzw. in diese zu integrieren.
Der folgende kurze Überblick über die geographischen Gegebenheiten, die soziale und ökonomische Struktur der Gesellschaft von Mozambique sowie eine zusammenfassende Darstellung der Konfliktgeschichte des Landes, in deren Verlauf Landminen zu verschiedenen strategischen Zwecken eingesetzt wurden, soll einen Einblick in die für Mozambique spezifische
Situation gewähren. Zur Vertiefung verschiedener Aspekte werden an entsprechenden Stellen
Hinweise zu weiterführender Literatur gegeben. Die wichtigsten Daten über die gesellschaftliche und wirtschaftliche Situation Mozambiques sind in Tabelle 17 im Anhang zusammenge237
stellt.
234
Unterzeichnung des Ottawa-Abkommens am 3. Dezember 1997, Ratifizierung am 25. August 1998.
Die Armee von Mozambique beendete am 28. Februar 2003 – bereits ein Jahr vor Ablauf der Frist – die Vernichtung
der Lagerbestände von 37.318 Personenminen. Anders als angekündigt, behielt das Land jedoch 1.427 Minen zu
Trainingszwecken zurück. (ICBL 2003, S. 339).
236
Vgl. Kapitel 6.2.1: Advocacy als eine der Hauptkomponenten von Mine Action.
237
Die statistischen Daten über Mozambique variieren je nach Quelle beträchtlich und sind daher als ‚Richtwerte’ und
unter Vorbehalt zu verstehen.
235
110
9 Fallstudie Mozambique
9.1.1
Allgemeine Informationen zur naturräumlichen
und sozioökonomischen Struktur von Mozambique
Im Südosten Afrikas gelegen, erstreckt sich Mozambique über eine Gesamtfläche von etwa
800.000 km² mit einer Küstenlinie von 2.470 km entlang des Indischen Ozeans. Angrenzende
Staaten sind im Norden Tanzania, im Nordwesten Malawi und Zambia, im Westen Zimbabwe
und im Süden Südafrika und Swasiland.
Abb. 19: Politische Karte von Mozambique, No. 3706 Rev. 5, Juni 2004
( UN Cartographic Section)
Der größte Teil des Landes (etwa zwei Fünftel) wird von Küstentiefland eingenommen, das
sich fast über die gesamte Südhälfte Mozambiques ausdehnt. Zum Landesinneren folgen niedrigere Plateauflächen (200-500 m) und im Norden und Westen Hochplateaus (500-1.000 m),
die von Inselbergen überragt werden und zum Teil in Bergland übergehen, welches Höhen
238
von über 1.500 m erreicht. Das wechselfeuchte Klima ist im nördlichen und zentralen Teil
Mozambiques tropisch und steht in den Monaten Oktober bis März unter dem Einfluss des
238
Höchster Berg ist mit 2.436 m der Mount Binga in der Provinz Manica an der Grenze zu Zimbabwe.
111
9 Fallstudie Mozambique
Nordost-Monsuns, welcher hohe Niederschlagsmengen (1.400-2.000 mm) mit sich bringt. Im
insgesamt trockeneren Süden herrscht ein subtropisches Klima, welches vom Südost-Passat
bestimmt wird. Während der warmen Jahreszeit von Oktober bis März kann es an der Küste
– insbesondere im Süden – häufig zu tropischen Wirbelstürmen, Überschwemmungen oder
239
periodischen Dürren kommen. Mehrere große Flüsse (z.B. Zambezi, Save, Limpopo), die aus
dem westlichen Hochland kommen, durchschneiden das Land, und die fruchtbaren Flusstäler
bieten günstige landwirtschaftliche Anbaumöglichkeiten. Die vorherrschende Vegetationsform
ist die Savanne, während tropischer Regenwald insgesamt weniger als ein Fünftel des Landes
bedeckt (ÖFSE 2003, S. 3; ADAM 1993, S. 384; CIA 2006b, o.S.).
Die Republik Mozambique ist eine Präsidialdemokratie mit einem zentralistischen Verwaltungsaufbau und besteht aus 10 Provinzen und der Hauptstadt Maputo, welche ebenfalls Provinzstatus hat (vgl. politische Karte in Abbildung 19). Die einzelnen Provinzen sind untergliedert in insgesamt 128 Distrikte. Es existieren mehr als 17 verschiedene ethnische Gruppen,
unter denen keine besonders dominant ist. Die offizielle Landessprache ist Portugiesisch, jedoch lediglich 20 Prozent der Bevölkerung, mehrheitlich in städtischen Gebieten, beherrschen
sie neben ihrer einheimischen Sprache (ÖFSE 2003, S. 14).
Seit Ende der 90er Jahre weist das Land – nach einem Strukturanpassungsprogramm des
Internationalen Währungsfonds (International Monetary Fond, IMF) – eine stabile wirtschaft240
liche Entwicklung mit hohen Wachstumsraten auf und ist eines der ökonomisch erfolg241
reichsten Länder in Afrika südlich der Sahara (AA 2005c, o.S.). Die Wirtschaftsentwicklung
242
basiert dabei hauptsächlich auf Großprojekten und ausländischen Investitionen, die sich auf
die Hauptstadt Maputo und deren unmittelbaren Umgebung, sowie in geringerem Maße auf
die Hafenstadt Beira konzentrieren (WILES et al. 2005, S. 5). Aufgrund der bedeutenden Seehäfen ist die Wirtschaftsstruktur insgesamt von der Funktion des Landes als Transit- und
243
Verschiffungsland für die Im- und Exporte der Nachbarländer geprägt (AA 2005c, o.S). Wichtigster Wirtschaftszweig ist der Dienstleistungssektor mit einem Anteil von 48 Prozent am
Bruttoinlandsprodukt (BIP), zweitwichtigster Sektor ist die Industrie (27 Prozent des BIP),
gefolgt von der Landwirtschaft mit 25 Prozent des BIP (IMF 2005, S. 7; vgl. Tabelle 17 im
244
Anhang). Trotz dieser positiven Entwicklung ist das Land weiterhin auf unabsehbare Zeit in
hohem Maße auf internationale Entwicklungszusammenarbeit angewiesen, welche derzeit
den Staatshaushalt knapp zur Hälfte finanziert. Mit einem jährlichen Pro-Kopf-Einkommen
von etwa 250 US $ im Jahr 2004 gehört Mozambique zu den ärmsten Ländern der Welt und
nimmt im „Human Development Report“ (HDR) von 2005 Rang 168 von insgesamt 177 Ländern
ein (UNDP 2005, S. 222). Mehr als 50 Prozent der Bevölkerung leben unterhalb der Armuts245
grenze (REPUBLIC OF MOZAMBIQUE 2005, S. 8).
Bei einer Einwohnerzahl von 19,1 Millionen Menschen ist das Land mit 23,9 Einwohnern
pro Quadratkilometer relativ dünn besiedelt. Mozambique ist hauptsächlich ländlich geprägt:
70 Prozent der Bevölkerung lebt in ländlichen Regionen und etwa 80 Prozent der gesamten
239
Durchschnittliche jährliche Niederschlagsmengen betragen (mit beträchtlichen Varianzen innerhalb der Regionen)
800-1.000mm in den Küstenregionen, 1.200mm in den zentralen Gebieten des Landes und 1.000-2.000mm im Norden.
Die Regenzeit ist in den heißen Monaten von November bis März (WORLDBANK 2005b, S. 76).
240
Die Wachstumsraten betrugen für den Zeitraum 1994-2005 durchschnittlich 8,2% (AA 2005c, o.S.).
241
Mozambique profitierte darüber hinaus im Jahr 2001 als eines der ersten Länder vom Schuldenerlass, der im Rahmen der HIPC-Initiative (Highly Indepted Poor Countries) beschlossen wurde (WILES et al. 2005, S. 5). Dem Land wurden in diesem Zuge 73% seiner Auslandsschulden erlassen (VENRO 2005, S. 7).
242
Dabei handelt es sich vor allem um 3 Mega-Projekte: Die MOZAL Aluminiumschmelze nahe bei Maputo, mit einer
jährlichen Produktion von 500.000 Tonnen Aluminium, die SASOL-Erdgasleitung nach Südafrika, sowie das CahoraBassa-Wasserkraftwerk am Staudamm des Zambezi mit Energieexporten hauptsächlich nach Südafrika (IMF 2006,
S. 12; WORDLBANK 2005b, S. 23).
243
Die Wirtschaft des Landes wird daher auch stark von den wirtschaftlichen Entwicklungen der Nachbarstaaten beeinflusst. Die wirtschaftliche und politische Krise in Zimbabwe beispielsweise wirkte sich auch auf Mozambique
nachteilig aus (WILES et al. 2005, S. 5; GOBBELAAR/LALA 2003, S. 12).
244
Wesentliche Exportprodukte sind Aluminium (53%), Treibstoffe (17,8%), Meerestiere (9,4%), Baumwolle (2,8%),
Zucker (2,3%) und Granit (1,8% aller Exporte) (AA 2005c, o.S.).
245
Der „Human Developmen“ Report 2005“ gibt an, dass 69,4% der Gesamtbevölkerung im Jahr 2002 unter der
nationalen Armutsgrenze lebten (UNDP 2005, S. 229).
112
9 Fallstudie Mozambique
246
ökonomisch aktiven Bevölkerung ist in der Landwirtschaft tätig (IMF 2005, S. 7). Familiäre
Kleinbetriebe und Subsistenzwirtschaft machen dabei den größten Anteil aus, weshalb die
landwirtschaftliche Produktivität insgesamt sehr niedrig ist (GROBBELAAR/LALA 2003, S. 30).
Viele ländliche Communities sind in abgelegenen Gebieten angesiedelt, die kaum an Transport- und Kommunikationsnetze angeschlossen sind und nur über unzureichenden Zugang
zu Grundversorgungs-, Bildungs- und Gesundheitseinrichtungen oder Märkten verfügen
247
(GROBBELAAR/LALA 2003, S. 13; GICHD 2005a, S. 7). Die Infrastrukturausstattung der ländlichen Regionen und des Landes insgesamt ist mangelhaft und behindert die Entwicklung des
248
Hinterlandes . In sozioökonomischer Hinsicht herrscht ein ausgeprägtes Stadt-Land-Gefälle
vor (vgl. z.B. Alphabetisierungsrate in Tabelle 17 im Anhang), sowie ein deutliches Gefälle von
den Südprovinzen, auf die sich die Wiederaufbauprojekte und ausländischen Investitionen
konzentrieren, zu den zentralen und nördlichen Provinzen, deren bedeutende landwirtschaftliche Potentiale nicht ausgeschöpft werden (GROBBELAAR/LALA 2003, S. 11f.; vgl. auch WILES
249
et al. 2005, S. 5).
Wiederkehrende Naturkatastrophen haben in manchen Jahren verheerende Konsequenzen:
2000 und 2001 beispielsweise verursachten heftige Regenfälle in den zentralen und südlichen
Provinzen Überschwemmungen, die bereits geleistete Aufbauarbeit wieder zerstörten
(REPUBLIC OF MOZAMBIQUE 2005, S. 8; ÖFSE 2003, S. 8; vgl. auch SCHLOSSER/SAULNIER 2000,
250
o.S.). 2003 und 2004 dagegen litten die zentralen und südlichen Provinzen unter dem Ausfall
der Niederschläge, wodurch das Leben von 650 000 Menschen beeinträchtigt wurde (REPUBLIC
OF MOZAMBIQUE 2005, S. 8).
9.1.2
Konflikthistorischer Hintergrund
Mozambique befand sich fast 500 Jahre lang unter portugiesischer Siedler- bzw. Kolonialherrschaft, welche durch Sklavenhandel, unbezahlte Zwangsarbeit und gewalttätigen Rassismus
251
gekennzeichnet war (NOHLEN 1994, S. 487). Im Jahr 1964 begann die Befreiungsorganisation
Frente de Libertação de Moçambique (FRELIMO), die sich 2 Jahre zuvor in Tanzania gegründet hatte, in den nördlichen Provinzen den Unabhängigkeitskrieg gegen die portugiesische
Fremdherrschaft. Anfang der 70er Jahre intensivierte die Befreiungsbewegung den bewaffneten Guerillakampf mit weiteren Fronten in den Zentralprovinzen und gewann zunehmend an
252
Einfluss. Im Jahr 1974 brach die portugiesische Diktatur unter Marcello Caetano nach einem
253
Militärputsch zusammen, und die für den Sturz verantwortlichen Offiziere sprachen sich für
die Aufgabe der portugiesischen Kolonien in Afrika aus. Am 25. Juni 1975 erlangte Mozam246
Auch in städtischen Gebieten sind fast 50% der Bewohner in landwirtschaftliche Tätigkeiten involviert (GICHD
2005a, S. 7).
247
Folgen für die ländliche Bevölkerung sind äußerst begrenzte Möglichkeiten, ihre Produkte zu verkaufen oder
Zugang zu besserem Saatgut und Düngemitteln zu erhalten. Dies trägt mit dazu bei, dass die landwirtschaftliche Produktivität insgesamt sehr niedrig ist.
248
So verfügt Mozambique beispielsweise im regionalen Vergleich mit 32 km Straße pro 1.000 km² über den niedrigsten Anteil an Straßen im gesamten südlichen Afrika (das entspricht in etwa einem Fünftel des regionalen Durchschnitts von 135 km Straße pro 1.000 km²). Darüber hinaus befindet sich das Straßennetz in einem schlechten
Zustand, nur 57% der Straßen werden angemessen instand gehalten (regionaler Durchschnitt: 71%) (GICHD 2005a,
S. 7).
249
Die regionalen Disparitäten sind zum Teil koloniales Erbe: Unter der portugiesischen Kolonialherrschaft fungierte
Mozambique vor allem als Transitland für die florierenden Ökonomien der benachbarten britischen Kolonien. Der
Aufbau der Infrastruktur konzentrierte sich entsprechend auf die Transportkorridore zu den Seehäfen Maputo, Beira
und Nacala. Aufgrund dieser West-Ost-Orientierung der Entwicklung wurde das Land quasi in 3 semiautonome wirtschaftliche Regionen unterteilt, den Norden (Provinzen Niassa, Cabo Delgado und Nampula), das Zentrum (Tete,
Zambezia, Manica und Sofala) und den Süden (Maputo, Inhambane und Gaza). Die Regierungen Mozambiques seit
der Unabhängigkeit haben diesen Ungleichheiten nicht wirksam entgegengesteuert, und den Norden trotz seines
enormen landwirtschaftlichen Potenzials zugunsten der wirtschaftlichen Entwicklung des Südens vernachlässigt
(GROBBELAAR/LALA 2003, S. 11f.).
250
Während dieser Flutkatastrophen von 2000 und 2001 kamen etwa 700 Personen ums Leben und über eine Million
Menschen wurden zur Flucht gezwungen. Ökonomische Aktivitäten kamen zum Stillstand und wichtige Teile der
Infrastruktur, wie Straßen und Brücken wurden schwer beschädigt oder gänzlich zerstört, wodurch die ökonomische
Entwicklung des Landes erheblich zurückgeworfen wurde (REPUBLIC OF MOZAMBIQUE 2005, S. 8).
251
Portugal war die brutalste unter den verschiedenen Kolonialmächten in Afrika (NOHLEN 1994, S. 487). Ausführlich
zur Geschichte Mozambiques seit dem 16. Jahrhundert bis zum Abschluss des Friedensabkommens, das 1992 den
Bürgerkrieg beendete, vgl. NEWITT 1995.
252
Ein militärischer Sieg gegen die Kolonialmacht Portugal war zu diesem Zeitpunkt jedoch nicht absehbar.
253
Dieser Militärputsch im April 1974 wird auch als ‚Nelkenrevolution’ bezeichnet. Näheres hierzu vgl. SCHMID 2004,
o.S.; zur anschließenden Dekolonisierung der ehemaligen afrikanischen Kolonien Portugals vgl. NEWITT 1995, S. 535ff.
113
9 Fallstudie Mozambique
bique die Unabhängigkeit, die sozialistisch ausgerichtete FRELIMO rief die ‚Volksrepublik
Mozambique’ aus und bildete als alleinige Partei mit Samora Machel als Staatspräsidenten die
Regierung.
Die FRELIMO-Regierung unterstützte im Folgenden die Befreiungsbewegung Robert Mugabes
gegen das Smith-Regime im Nachbarland Rhodesien (ab 1980 Zimbabwe), was dazu führte,
dass der rhodesische Geheimdienst die Widerstandsbewegung Resistência Nacional de
Moçambique (RENAMO) ins Leben rief und militärisch ausbildete. Die RENAMO setzte sich
aus verschiedenen Gruppen von Oppositionellen aus Mozambique – vor allem aus den zentralen Provinzen – zusammen, die sich gegen die zunehmende politische Willkür und die sozialistischen Umerziehungsmaßnahmen der FRELIMO zur Wehr setzten (MEYNS 2000, S. 183). Mit
den ersten bewaffneten Operationen der RENAMO in den zentralen Provinzen begann 1976
254
der Bürgerkrieg in Mozambique.
Nachdem sich die FRELIMO zu einer marxistisch-leninistischen Partei erklärt und den Übergang zum Sozialismus verabschiedet und Zimbabwe 1979/80 die Unabhängigkeit erlangt hatte, übernahm der südafrikanische Geheimdienst die Unterstützung der RENAMO. Das südafrikanische Apartheidsregime befürchtete, die FRELIMO-Regierung würde auch die südafrikanischen Befreiungsbewegungen – und damit den Sozialismus in Südafrika – fördern, und baute
daher die RENAMO zu einem der wichtigsten Instrumente ihrer sog. ‚Destabilisierungspolitik’
255
in Mozambique auf (NEWITT 1995, S. 564). Auf diese Weise finanziert, bewaffnet und militärisch ausgebildet, konnte die RENAMO ihre Operationen von den zentralen Provinzen auf andere Landesteile ausweiten, womit sich im Folgenden der Konflikt zunehmend verstärkte
(MEYNS 2000, S. 183f.; ADAM 1993, S. 388). Die Aktivitäten der RENAMO konzentrierten sich
zum einen auf die Zerstörung der Infrastruktur, um das Land wirtschaftlich zu schwächen..
Zum anderen unternahm sie gezielte Angriffe auf die Zivilbevölkerung, die durch extreme
256
Gewalttätigkeit gekennzeichnet waren, mit dem Ziel durch die Terrorisierung der Bevölkerung deren Vertrauen in und Unterstützung für die FRELIMO-Regierung zu unterhöhlen.
Mitte der 80er Jahre weitete die RENAMO ihre bewaffneten Übergriffe auf nahezu das ganze
Land aus mit der Folge, dass die Entwicklung der ländlichen Gebiete gänzlich zum Stillstand
kam und etwa 2 Millionen Menschen in die Nachbarländer, insbesondere nach Malawi, flüchteten. 3 bis 4 Millionen Menschen suchten innerhalb des Landes Zuflucht vor den Rebellen
(MEYNS 2000, S. 185).
Die Einbrüche in der Wirtschaft und die aus einer extremen Dürre 1982/83 resultierende Nahrungsmittelknappheit zwangen die FRELIMO-Regierung sich gegenüber dem Westen zu öffnen, um Zugang zu internationalen Hilfeleistungen zu erlangen. Nach dem Tod des Präsidenten Samora Machel leitete dessen Nachfolger Joaquim Chissano 1986 tief greifende Wirtschaftsreformen ein, 1989 wurde der Marxismus-Leninismus als Staatsideologie gänzlich abgeschafft und 1990 eine neue Verfassung mit einem Mehrparteiensystem verabschiedet.
Angesichts des durch den Bürgerkrieg verursachten Elends der Bevölkerung und der Ausweg257
losigkeit des Krieges für beide Seiten, nahmen FRELIMO und RENAMO im Juli 1990 in Rom
254
Die RENAMO fand insbesondere Unterstützung in den ländlichen Gebieten der zentralen und nördlichen Provinzen,
denn diese waren besonders von den ‚Modernisierungsmaßnahmen’ der FRELIMO betroffen, welche die ländlichen
Communities dazu zwang, ihre landwirtschaftliche Produktionsweise zugunsten staatlicher Agrar-Großbetriebe (landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaften) aufzugeben. Darüber hinaus erfolgten Zwangsumsiedlungen in Kollektivdörfer, traditionelle Autoritäten wurden abgesetzt und ein System staatlicher Kontrolle errichtet, welches alle gesellschaftlichen Bereiche durchdringen sollte (GROBBELAAR/LALA 2003, S. 37; DEBIEL 2002, S. 226f.; MEYNS 2000,
S. 184; vgl. auch MEYNS 2005, S. 7).
255
Nachdem mit der Unabhängigkeit Mozambiques und auch Zimbabwes der sog. ‚cordon sanitaire’ als Südafrika
schützende, weiße Pufferzone zerstört war, fühlte sich die südafrikanische Regierung (vor allem auch durch den zunehmenden Einfluss des Sozialismus in der Region) zunehmend bedroht. Mittels ihrer sog. ‚Destabilisierungspolitik’
schürte sie in den Nachbarländern politische Instabilität, um auf diese Weise deren Unterstützung für südafrikanische
Befreiungsbewegungen zu verhindern. Mozambique war dabei eines der Hauptziele, da es mit seinen Häfen für die
Binnenländer die einzige Alternative zu Handelswegen durch Südafrika darstellte. Die RENAMO sollte daher Mozambiques Wirtschafts- und Transportsystem sabotieren und damit die anderen Länder wirtschaftlich praktisch isolieren.
Ausführlich hierzu siehe MEYNS 2000, S. 54-68 u. S. 183, DEBIEL 2002, S. 229f. sowie NEWITT 1995, S. 560ff.
256
Die RENAMO verfolgte eine hit-and-run-Strategie, führte Zwangsrekrutierungen unter der Zivilbevölkerung durch
und setzte in großem Umfang Kindersoldaten ein (DEBIEL 2002, S. 230).
257
Die RENAMO verlor den Rückhalt durch Südafrika, als Präsident de Klerk 1990 den Dialog mit dem ANC eröffnete
und Verhandlungen über die Abschaffung der Apartheid in die Wege leitete. Die FRELIMO hatte über weite Teile des
Landes die Kontrolle verloren und erkannte, dass ein militärischer Sieg über die RENAMO nicht möglich war (MEYNS
2000, S. 81 und S. 85; vgl. auch MEYNS 2005, S. 8). Anders als in Angola, wo nach Ende des Ost-West-Konfliktes und
dem Abzug der südafrikanischen und kubanischen Truppen der Bürgerkrieg aufgrund der Rohstoffeinkünfte beider
114
9 Fallstudie Mozambique
erstmals Friedensverhandlungen auf, in deren Verlauf 2 Vertreter der italienischen Laienbruderschaft Sant’Egidio die Vermittlerrolle übernahmen. 2 Jahre später, am 4. Oktober unterzeichneten die Kontrahenten schließlich das sog. ‚Friedensabkommen von Rom’ (MEYNS 2000,
258
S. 82f.). Damit wurde der 16 Jahre dauernde Bürgerkrieg beendet, der mindestens einer Millionen Menschen das Leben gekostet hatte, in dem über ein Drittel der Bevölkerung aus ihren
Dörfern vertrieben und in dem weite Teile des Landes und der Infrastruktur zerstört worden
259
waren (WILES et al. 2005, S. 4). Der Friedensvertrag beinhaltete einen sofortigen Waffenstillstand, die Demobilisierung beider Armeen und die Übereinkunft, alle 5 Jahre Parlaments- und
Präsidentschaftswahlen abzuhalten. Die ersten freien Wahlen wurden für 1994 vorgesehen
und die UN entsandte eine Truppe (United Nations Operation in Mozambique, UNOMOZ) zur
Überwachung des Friedens während der zweijährigen Übergangsphase (GICHD 2005a, S. 9).
Aus den Wahlen im Oktober 1994 ging die FRELIMO als Sieger hervor und Joaquim Chissano
260
wurde im Amt des Staatspräsidenten bestätigt, während die RENAMO die Funktion der parlamentarischen Oppositionspartei übernahm. Die politische Situation, die zwar nach wie vor
durch Spannungen zwischen FRELIMO und RENAMO gekennzeichnet ist, hat sich seitdem
stabilisiert und die Mehrparteiendemokratie wird von keiner Seite mehr in Frage gestellt (AA
2005b, o.S.).
9.1.3
Ausmaß und Art der Landminenkontaminierung
Die Landminenkontaminierung in Mozambique ist Folge des insgesamt fast 30 Jahre andauernden Krieges mit der ersten Phase des Unabhängigkeitskrieges (1964-1975) und der zweiten
Phase des Bürgerkrieges (1976-1992), welcher unmittelbar auf die Unabhängigkeit folgte. Im
Rahmen der Humanitären Minenräumung, die im Jahr 1993 begann, wurden daher Typen von
Personen- und Fahrzeugminen verschiedener Generationen und Ursprungsländer aufgefun261
den (vgl. Tabelle 18 im Anhang).
Während des Unabhängigkeitskrieges setzten die Portugiesen als erste Konfliktpartei im Norden des Landes extensiv Landminen ein, um für die FRELIMO Rückzugsmöglichkeiten nach
bzw. Einfallmöglichkeiten aus Tanzania zu blockieren (ROBERTS/WILLIAMS 1995, S. 211). Die
FRELIMO-Kämpfer ihrerseits verlegten verstärkt gegen Ende der 60er Jahre Fahrzeugminen
auf den Straßen der nördlichen Provinzen Niassa und Cabo Delgado, mit dem Ziel die Operationsmöglichkeiten und die Mobilität des portugiesischen Militärs einzuschränken. Im Jahr
1969 wurde der Bau des Cahora-Bassa-Staudamms in Tete begonnen und das portugiesische
Militär legte zum Schutz vor FRELIMO-Übergriffen um den Komplex herum riesige Minenfel262
der mit etwa 80.000 Personenminen an (ICBL 1999, S. 46). Die Hauptkonfrontationslinie zwischen den portugiesischen Kolonialtruppen und der Widerstandsbewegung befand sich in der
nordöstlichen Provinz Nampula, wo im Zuge der Auseinandersetzung ebenfalls viele Gebiete
vermint wurden (ROBERTS/WILLIAMS 1995, S. 211).
Konfliktparteien weiter finanziert und fortgeführt werden konnte, verfügten weder RENAMO noch FRELIMO über
vergleichbare finanzielle Quellen, was die Bereitschaft der Kontrahenten zu Friedensverhandlungen erhöhte (MEYNS
2005, S. 7f.; vgl. auch BRÜCK 1997, S. 5f. und Kapitel 5). Insgesamt ist das Ende des Bürgerkrieges in Mozambique vor
allem auf externe politische Veränderungen (Ende des Kalten Krieges, Zusammenbruch des südafrikanischen Apartheidsystems) zurückzuführen (BRÜCK 1997, S. 5).
258
Die Vermittlung durch einen nicht-staatlichen Akteur, die italienische Bruderschaft Sant’Egidio, war angesichts des
immensen Misstrauens zwischen beiden Seiten für die Friedensverhandlungen von entscheidender Bedeutung. Vermittlungen durch Kenia, Tanzania oder Zimbabwe, die sich für diese Rolle anboten, waren nicht möglich, da Kenia
von der FRELIMO als zu RENAMO-nah eingestuft wurde und die RENAMO Zimbabwe und Tanzania als Verbündete
der FRELIMO ansah. Über den schwierigen Weg, die Hintergründe und die Rollen der einzelnen Beteiligten, die diese
Vermittlung und Verhandlungen und schließlich den Frieden ermöglichten, ist ausführlich bei MOROZZO DELLA ROCCA
2003 sowie bei DEBIEL 2002, S. 243-252 nachzulesen.
259
In diesem Bürgerkrieg wurden 60% der Primarschulen sowie beinahe die Hälfte aller Einrichtungen für BasisGesundheitsdienste zerstört und deren Umkreis vermint (UNDP 2005, S. 159; WILES et al. S. 4).
260
Seit 2005 ist Armando E. Guebuza, ebenfalls FRELIMO, neuer Staatspräsident von Mozambique.
261
Die Kontaminierung in Mozambique besteht hauptsächlich aus Landminen; UXO sind in weit geringerem Maße
vorhanden (GICHD 2004b, S. 189).
262
Für die Minenfelder um den Cahora-Bassa Staudamm mussten zusätzliche Landminen aus Südafrika erworben
werden, da der Nachschub aus Portugal nicht ausreichte. Das Staudamm-Projekt wurde begonnen, als sich die portugiesische Kolonialherrschaft in Afrika bereits in ihrer Endphase befand, und war daher sehr umstritten: die Portugiesen sahen in diesem Staudamm eine Garantie für das Fortbestehen ihrer kolonialen Macht in Afrika, die FRELIMO
betrachtete den Bau des Staudamms als Unternehmen gegen das Volk von Mozambique, weil mit diesem Projekt das
Land stärker an Portugal gebunden werden sollte (NEWITT 1995, S. 528f.; WELTBILD VERLAG 1991, S. 461).
115
9 Fallstudie Mozambique
Der weitaus größere Anteil der Landminenkontaminierung stammt jedoch aus der Phase des
Bürgerkrieges. Militärische Truppen aus Tanzania, die die FRELIMO-Regierung unterstützten,
263
264
sicherten ihre Stützpunkte in der Provinz Zambezia mit Minengürteln. Rhodesische und
südafrikanische Truppen verübten gegen die FRELIMO-Regierung gerichtete Übergriffe
auf infrastrukturelle Einrichtungen, wobei sie sich die Landminentechnologie zu Nutze machten. Die FRELIMO ihrerseits setzte Landminen ein, um militärische Übergriffe Rhodesiens
und Südafrikas zu erschweren. Entlang der Grenzen zu Südafrika und zu Rhodesien bzw.
Zimbabwe wurden zu diesem Zweck von den FRELIMO-Truppen ausgedehnte defensive
Minenfelder angelegt. Da die Infrastruktur das wichtigste Ziel der Destabilisierungsstrategie
Südafrikas darstellte, versuchte die FRELIMO die bedeutenden Infrastruktureinrichtungen
mittels extensiven Landmineneinsatzes gegen Sabotageakte zu schützen, während die RENAMO mit dem Einsatz dieser Waffen darauf abzielte, die Nutzung oder die Wiederinstandset265
zung bzw. den Wiederaufbau der Infrastruktur zu verhindern. Besonders betroffen war das
Verkehrsnetz: Beide Seiten verminten Straßen, Versorgungswege und ländliche Fußpfade,
Eisenbahn-strecken und Flussübergänge. Im Verlauf des Konfliktes wurden in großem Umfang Brücken zerstört und deren Stützpfeiler mit Landminen versehen (ROBERTS/ WILLIAMS
1995, S. 211).
FRELIMO und RENAMO brachten rund um ihre Militärbasen und Hauptquartiere Minen
aus, wobei häufig ganze Dörfer als Stützpunkte und Gebäude wie Schulen oder Verwaltungsgebäude als Kommandozentralen genutzt und entsprechend stark vermint wurden
(ROBERTS/WILLIAMS 1995, S. 211).
Vor allem in den Zentralprovinzen Mozambiques setzten RENAMO aber auch FRELIMO
Landminen zur gezielten Terrorisierung der Zivilbevölkerung ein, um durch die Blockade
des Zugangs zu landwirtschaftlichen Flächen, Wasserquellen und Fischereiplätzen die Nahrungsmittelproduktion und damit die Versorgung der gegnerischen Truppen und ihrer Sympathisanten in der Zivilbevölkerung effektiv zu verhindern. Der RENAMO wird außerdem nachgesagt, dass sie Landminen einsetzte, um Flüchtlinge von einer Rückkehr abzuschrecken
(ROBERTS/WILLIAMS 1995, S. 212; GICHD 2005a, S. 9). In einigen Fällen wurden auch Friedhöfe
und deren Zugangswege mit Landminen blockiert, um die traditionellen Praktiken der lokalen
Bevölkerung, ihre Ahnengeister um Unterstützung anzurufen, unmöglich zu machen. Der Einsatz von Landminen diente folglich vor allem auch als psychologische Kriegsführung gegen
die Zivilbevölkerung. Häufig wurde lediglich behauptet, bestimmte Gebiete seien vermint,
welche daraufhin von der lokalen Bevölkerung gemieden wurden (ROBERTS/WILLIAMS 1995,
S. 212).
Die während des Bürgerkriegs sowohl defensiv als auch offensiv eingesetzten Landminen
wurden je nach Zweck und Taktik in sehr unterschiedlichen Verlegemustern, z.B. in Form von
Minengürteln oder ausgedehnten Minenfeldern mit hoher Minenkonzentration, verlegt. Insbesondere die zur Terrorisierung der Zivilbevölkerung eingesetzten Landminen jedoch wurden
in zufälligen Streuungsmustern verlegt, so dass viele kleine Minenfelder entstanden oder die
Minen sehr verstreut und in großen Abständen (teilweise von über 100 m) ausgelegt wurden
266
(ICBL 1999, S. 47; ROBERTS/WILLIAMS 1995, S. 212).
263
Die FRELIMO war in Tanzania entstanden und unterhielt freundschaftliche Beziehungen mit dem Präsidenten
Julius Nyerere, der zur Unterstützung der FRELIMO-Regierung Truppen nach Mozambique entsandte (NEWITT 1995,
S. 523ff., S. 541 und S. 568). Diese errichteten in einigen Städten der Provinz Zambezia Sicherheitszonen zum Schutz
vor der RENAMO. Insgesamt war die Rolle Tanzanias im Bürgerkrieg Mozambiques vorwiegend defensiver Natur
(FINNEGAN 1992, S. 14).
264
Die FRELIMO unterstützte die Befreiungsbewegungen ZANU und ZAPU aus Zimbabwe und ermöglichte ihnen, von
Mozambique aus zu operieren. Darüber hinaus schloss sich die FRELIMO den von den UN geforderten wirtschaftlichen Sanktionen gegen das rhodesische Smith-Regime an. Im Gegenzug nahmen rhodesische Truppen Übergriffe auf
Mozambique vor, wobei sie vor allem wichtige Teile der Infrastruktur zerstörten (FINNEGAN 1992, S. 31; NEWITT 1995,
S.559; MEYNS 2000, S. 183).
265
Beispiele für auf diese Weise stark verminte Anlagen sind Staudämme und Kraftwerke (z.B. der Cahora-BassaStaudamm) mit den dazugehörigen Hochspannungsmasten für die Versorgungsleitungen, aber auch größere Fabrikanlagen und Plantagen in den Provinzen Tete, Manica, Gaza und Maputo (ROBERTS/WILLIAMS 1995, S. 211).
266
Einem Bericht von Human Rights Watch (1997) zufolge handelte es sich bei über 70% der offiziell registrierten
Minenfelder um Gebiete, deren Verminung den Zugang zu lokaler Infrastruktur blockieren sollte, oder um von Dorfbewohnern genutzte Pfade und Wege. Der Hauptanteil dieser Minenfelder weist eine niedrige Minenkonzentration auf
und die entsprechenden Minen sind in willkürlicher Art und Weise ohne Muster verlegt (HUMAN RIGHTS WATCH 1997,
zitiert nach GICHD 2004b, S. 190).
116
9 Fallstudie Mozambique
Bis zum Abschluss des Friedensabkommens war die Mobilität der Bevölkerung auf ein Minimum begrenzt. Die Communities hatten gelernt, verminte Gebiete zu identifizieren und – soweit möglich – zu meiden. Als nach Ende des Konfliktes die Rückkehr der Flüchtlinge einsetzte, stieg die Zahl der Minenunfälle rapide an, weil die Rückkehrer – im Gegensatz zur verbliebenen lokalen Bevölkerung – nicht über Kenntnisse bezüglich der Lage der Minenfelder ver267
fügten (ROBERTS/WILLIAMS 1995, S. 212).
Das Ausmaß der Landminenkontaminierung in Mozambique war bei Konfliktende unbekannt.
Weder von FRELIMO, noch von RENAMO waren Karten oder Aufzeichnungen über die Lage
von Minenfeldern verfügbar. Schätzungen der UN beliefen sich auf Zahlen von über 2 Millionen Landminen, und Mozambique wurde als eines der am stärksten verminten Länder der
268
Welt eingestuft (GICHD 2005a, S. 9f.; ROBERTS/WILLIAMS 1995, S. 212).
Bis zum Abschluss des Landmine Impact Surveys (LIS) im Jahr 2001 waren insgesamt nur begrenzt Informationen über Ausmaß und Charakter der Landminenproblematik verfügbar
(SKÅRA 2004, S. 71). Erst mit dem LIS entstand ein umfassenderes Bild über Ausmaß und
Charakter der Landminenkontaminierung sowie über die daraus resultierenden sozioökonomischen Auswirkungen auf die lokale Bevölkerung. Der Survey gelangte zu dem Ergebnis,
dass die Kontaminierung in Mozambique weniger ein intensives als vielmehr ein extensives
Problem darstellt (GICHD 2005a, S. 10). Durch den LIS wurden 791 von Landminen betroffene
269
Communities, in denen 1,5 Millionen Menschen leben, und insgesamt 1.374 vermutlich
verminte Gebiete (sog. Suspected Mined Areas, SMAs) identifiziert, die in der Summe eine
Gesamtfläche von 562 km² ergeben. Alle 10 Provinzen und 123 der 128 Distrikte sind von negativen sozialen und ökonomischen Folgen der Landminenkontaminierung betroffen. Von den
791 betroffenen Communities ist jedoch – laut Mine Impact Score – nur ein geringer Anteil von
2,5 Prozent der Kategorie ‚stark betroffen’ bzw. Hight-Impact zu zuordnen. Der weitaus größte
Anteil der Communities (76,7 Prozent) fällt unter die Kategorie Low-Impact, ist demnach also
270
‚wenig betroffen’ (CIDC 2001, S. 46).
Tab. 7: Durch Landminen blockierte Ressourcen in Mozambique (LIS)
Blockierte
Ressource
Regenbewässertes
Ackerland
Weideland
Wasser für
Bewässerung,
Waschen, etc.
Trinkwasser
Nicht-landwirtschaftliche Fläche
Straßen
Infrastruktur
Dienstleistungseinrichtungen
Betroffene
Communities
Betroffene
Bevölkerung
Anzahl an
SMAs
Fläche der
SMAs (km²)
464
941,547
760
369,1
Anteil der SMAs
an der GesamtSMA-Fläche (%)
65,7
91
82
143,291
124,646
144
99
70,7
36,3
12,6
6,5
55
180
87,221
291,049
70
281
13,8
136,9
2,5
24,4
231
96
49
368,610
238,745
63,179
358
130
51
104,8
46,5
10,9
18,6
8,3
1,9
Quelle: WILKINSON/MASELLA 2003, S. 91 (erweitert um Prozentangaben).
267
Berichten von Handicap International zufolge kamen in den ersten 18 Monaten nach Friedensschluss mindestens
1.000 Zivilpersonen durch Minenunfälle ums Leben (ROBERTS/WILLIAMS 1995, S. 212)
268
Mittlerweile hat sich herausgestellt, dass die Anzahl der Landminen weit überschätzt wurde. Statistiken der nationalen Mine-Action-Behörde in Mozambique (Instituto Nacional de Desminagem, IND) über 10 Jahre erfolgter Minenräumung weisen weniger als 100.000 geräumte Minen auf (GICHD 2005a, S. 10).
269
Das entspricht 9% der Gesamtbevölkerung nach dem Zensus von 1997 (Gesamtbevölkerung: 16,6 Mio. Menschen)
(CIDC 2001, S. 12).
270
Dabei ist nicht zu vergessen, dass ein hoher Mine Impact Score nur aussagt, dass eine Community entweder von
mehreren Blockaden betroffen ist, oder viele Minenopfer aufweist. Der Score gibt aber keinerlei Informationen
darüber, in welchem Ausmaß und mit welchen Folgen die verschiedenen Blockaden verbunden sind (vgl. Kapitel 8.1).
117
9 Fallstudie Mozambique
271
Der LIS verdeutlicht, dass Landminen vor allem ein ländliches Problem darstellen. Die in
Mozambique durch Landminen verursachten Auswirkungen betreffen – laut LIS – am häufigsten landwirtschaftliche Flächen, Straßen und Flächen, die für das Sammeln von Brennholz,
die Jagd oder andere ökonomische und kulturelle Zwecke genutzt werden (siehe Tabelle 7).
Zugangsblockaden zu Trinkwasser treten weniger häufig auf, sind aber aufgrund ihrer Folgen
272
für die Gesundheit als ernsthaftes Problem zu betrachten (CIDC 2001, S.12).
Heute, nach 13 Jahren Humanitärer Minenräumung und weiteren Mine-Action-Maßnahmen,
273
wird das Landminenproblem Mozambiques nicht weiter als humanitäre Notlage betrachtet,
da inzwischen durch Räum- und Survey-Maßnahmen die Gesamtfläche der vermutlich ver274
minten Gebiete erheblich reduziert werden konnte. Die in Mozambique tätigen Mine-ActionNGOs HALO-Trust, NPA und Handicap International gehen davon aus, dass durch die verbliebenen Landminen die lokale Bevölkerung in ihrem alltäglichen Leben nicht weiter erheblich
beeinträchtigt wird, so dass das Land Ende des Jahres 2006 als Mine Impact-Free gelten könnte
(GICHD 2005a, S. XII).
Dabei ist jedoch zu beachten, dass auch in Zukunft ein Bedarf an Mine-Action-Maßnahmen
bestehen bleiben wird, da der Status Mine Impact-Free aufgrund der sozialen und wirtschaftlichen Dynamik einer Gesellschaft nicht als statisches Konzept aufgefasst werden darf. Das hohe wirtschaftliche Wachstum sowie die stetige Bevölkerungszunahme in Mozambique implizieren einen zunehmenden Flächenbedarf und eine gesteigerte Mobilität. Insbesondere in den
ländlichen Regionen, wo flächenextensive Landwirtschaft vorherrscht, werden sich ökonomische und den Verbrauch von Ressourcen betreffende Aktivitäten rasch ausweiten. Die Eröffnung des Zugangs zu Märkten und der Aufbau lokaler Wirtschaftkreisläufe führt zu einer Zunahme der Mobilität, das Aktionsfeld der Menschen ist nicht mehr reduziert auf das unmittelbare Umfeld der Communities, wo den Bewohnern die Lage von Minenfeldern genau bekannt
ist. Verminte Gebiete, die zum heutigen Zeitpunkt nicht mit sozioökonomischen Auswirkungen verbunden sind, können aufgrund dieser Entwicklungen innerhalb kurzer Zeit wieder
eine unmittelbare Gefahr für das Leben oder aber eine Blockade der weiteren sozioökonomischen Entwicklung darstellen. Ähnliches gilt für die makroökonomische Entwicklung des
Landes. Es werden massive Investitionen in Infrastrukturprojekte getätigt, welche insbesondere dann Minenräumung erforderlich machen, wenn es sich um Projekte des Wiederaufbaus
oder der Erweiterung existierender Infrastruktur handelt, da diese während der letzten Phase
des Bürgerkriegs besonders stark vermint wurde (GICHD 2005a, S. 93).
Darüber hinaus ist Mozambique durch den Ottawa-Vertrag zu einer vollständigen Beseitigung
aller auf dem Territorium des Landes befindlichen Landminen verpflichtet. Dieser Status kann
in Mozambique auf absehbare Zukunft, geschweige denn innerhalb der durch die Konvention
vorgegebenen Frist bis 2009, nicht erreicht werden. Demnach wird die Regierung gemäß Artikel 5 Absatz 3 des Vertrages eine Verlängerung beantragen müssen.
Ein besonderes Problem stellen weiterhin existierende Minenfelder entlang der Grenzen des
Landes dar, deren Räumung bisher zurückgestellt wurde, da diese Gebiete nicht mit negativen
Auswirkungen auf die Bevölkerung verbunden sind. Zum einen kann der plötzliche Ausbruch
eines Konfliktes in einem der Nachbarstaaten Flüchtlingsströme nach Mozambique verursachen, womit diese Minenfelder zu einer Gefahr für das Leben der Flüchtlinge würden. Zum
anderen untersagt die Ottawa-Konvention strikt jeden Einsatz von Personenminen. Das Fort271
Nur 23 der betroffenen Communities (2,9%) sind in städtischen Gebieten angesiedelt. 3 dieser betroffenen städtischen Communities weisen dabei eine Bevölkerung von mehr als 30.000 Menschen auf. Der überwiegende Anteil der
betroffenen Communities hat eine Bevölkerung von weniger als 3.000 Personen; in 321 der Communities (mehr als
40%) leben weniger als 1.000 Menschen (CIDC 2001, S. 21f.).
272
Die Ergebnisse des LIS in Mozambique sind aus verschiedenen Gründen umstritten, unter anderem, weil sie von
den Ergebnissen anderer Untersuchungen stark abweichen (siehe Kapitel 9.3.1). Die hier zitierten Angaben sind daher unter Vorbehalt zu verstehen, eignen sich jedoch dazu, einen groben Einblick in die Auswirkungen von Landminen auf die Bevölkerung von Mozambique zu vermitteln.
273
‚Landminenproblem als humanitäre Notlage’ ist gemeint im Sinne einer direkten physischen Gefahr für Leib und
Leben.
274
Die nationale Mine-Action-Behörde von Mozambique (Instituto Nacional de Desminagem, IND) gibt an, dass
bis 2004 die Gesamtfläche der vermutlich verminten Gebiete auf 172 km² reduziert werden konnte (IND 2005b, S. 2).
Das entspräche einer Reduktion von 60% gegenüber den LIS-Daten. Experten gehen jedoch davon aus, dass auch
diese Zahl die reale Situation noch weit überschätzt und dass tatsächlich eine Gesamtfläche von etwa 25-50 km² betroffen ist. Aufgrund der widersprüchlichen Daten ist es jedoch unmöglich, verlässliche Angaben über das tatsächliche
aktuelle Ausmaß der Landminenkontaminierung zu machen (GICHD 2005a, S. XII und S. 89ff.).
118
9 Fallstudie Mozambique
bestehen solcher ursprünglich zu defensiven Zwecken angelegten Minenfelder wäre streng
genommen als ‚Gebrauch’ anzusehen und gälte damit als Verstoß gegen das Abkommen
(GICHD 2005a, S. 87 u. 92ff.).
Laut Landmine Monitor Report 2004 und nach Aussagen von Giles DELECOURT, Handicap
International Programm Manager, werden in Mozambique weiterhin neue verminte Gebiete
entdeckt (ICBL 2004, S. 581; DELECOURT 2006: INT). Nach wie vor fordern Landminen jedes
Jahr Opfer, deren Anzahl in Mozambique jedoch seit Ende des Krieges drastisch gesunken ist
275
(vgl. Abbildung 23).
Eine Darstellung des Fortschritts bzw. der Stadien des Mine-Action-Programms von Mozambique entsprechend des in Kapitel 6.4 vorgestellten Phasenmodells (Abbildung 13) ist in Abbildung 20 zu finden.
Mine Action für
Interne Sicherheit
Finanzieller Aufwand
20
Mio.
0
$
Mine Action für
Wiederaufbau & Entwicklung
Mine Action für
Humanitäre Zwecke
1992
1995
UNOMOZ& Startphase
2000
KonKonsolidierungsphase
flikt
Bisherige Entwicklung des
Mine-Action-Programms von Mozambique
Internationale
CND gegründet
Organisationen beginnen Etablierung von
Projektarbeit
3 semi-autonomen
Entwicklung von
Programmen
Basiskapazitäten
Mozambique wird
Schnelle Räumung von
Mitglied der
OttawaInfrastrukturnetzwerken
Konvention
2005
Reifephase
Zukunft von Mine Action
in Mozambique?
Abzug der
IND gegründet
internationalen
LIS fertiggestellt
Mine-Action-NGOs?
Erste nationale MA Reform der
Strategie entwickelt
nationalen Mine Humanitäre Mine-ActionAction-Struktur?
Organisationen
Weiterführung
nähern sich dem
des Programms
impact free Meilenstein
durch nationale
Vernichtung der
Kapazitäten?
Personenminenlagerbestände
abgeschlossen
Abb. 20: Phasen des Mine-Action-Programms von Mozambique
(Eigene Darstellung nach GICHD 2005a, S. XXVI)
Dieser Abbildung ist zu entnehmen, dass seit 2005 Mine-Action-Maßnahmen für humanitäre
Zwecke, die über lange Zeit den Hauptanteil der Mine-Action-Aktivitäten ausmachten, rapide
abnehmen. Dementsprechend kann laut einer GICHD-Evaluierung des Mine-ActionProgramms die aktuelle Landminenkontaminierung in Mozambique mittlerweile als ‚handhabbar’ betrachtet werden. Die Studie weist aber auch darauf hin, dass Landminen noch immer ein bedeutendes Entwicklungshemmnis für weite Teile Mozambiques darstellen und somit auch in Zukunft ein hoher Bedarf an Mine-Action-Maßnahmen bestehen bleiben wird
(GICHD 2005b, S. 93; ICBL 2005c, o.S.).
275
Bei diesen Angaben ist jedoch davon auszugehen, dass nur ein geringer Anteil der tatsächlichen Minenopfer erfasst
wird bzw. wurde. Die Kapazitäten zur Erfassung und Aufzeichnung verlässlicher Daten über Minenunfälle und Opfer
sind in Mozambique laut Aussagen von dort tätigen NGOs nur begrenzt (ICBL 2003, S. 351f.).
119
9 Fallstudie Mozambique
9.2
Das nationale Mine-Action-Programm
Das Mine-Action-Programm in Mozambique wurde 1993 ins Leben gerufen und gehört somit
zu den Programmen der ersten Generation. Vor allem die Anfangsphase war gekennzeichnet
durch verschiedene Probleme und Unstimmigkeiten, da nicht auf umfassende Mine-ActionErfahrungen aus anderen Ländern zurückgegriffen werden konnte (GICHD 2005a, S. 14). Die
verschiedenen in Mozambique beteiligten UN-Akteure waren nicht ausreichend organisiert
und koordiniert (EATON et al. 1997, o.S.), um – wie in anderen Ländern (vgl. z.B. Afghanistan,
Kapitel 10.2) – eine Führungsrolle im Rahmen des nationalen Mine-Action-Programms zu
276
übernehmen. Mine Action begann in Mozambique daher auf Grundlage einer Reihe einzelner und separater Initiativen, ohne dass ein nationaler Gesamtplan existierte, der eine koordi277
nierte Herangehensweise ermöglicht hätte (GICHD 2005a, S. 14).
Das Friedensabkommen von Rom betonte die entscheidende Bedeutung von humanitären
Hilfsmaßnahmen als Bestandteil des Friedenbildungsprozesses, jedoch enthielt es keine genaueren Regelungen hinsichtlich Mine Action. Die Verantwortung für die Organisation von
Minenräumoperationen wurde schließlich der Waffenstillstandskommission übertragen, die
aus Vertretern von FRELIMO und RENAMO bestand. Aufgrund der noch vorherrschenden Instabilität des Friedens und in Abwesenheit einer funktionsfähigen Regierung war keine nationale Instanz vorhanden, welche die Aufgaben einer Mine-Action-Behörde hätte übernehmen
können. Daher erhielt die Ende 1992 entsandte UN-Friedensmission, die sog. United Nations
(Peacekeeping) Operation in Mozambique (UNOMOZ), das Mandat, neben anderen Aufgaben
die Koordinierung der Minenräumung in Zusammenarbeit mit der Waffenstillstandskommission zu übernehmen (vgl. auch die Ausführungen zur nationalen Mine-Action-Behörde in Ka278
pitel 7.2). Bereits im Januar 1993 wurde für die UNOMOZ ein vorläufiger Mine-Action-Plan
279
entwickelt, dem die Waffenstillstandskommission jedoch erst 11 Monate später zustimmte.
Bei der Entwicklung dieses Plans lagen keinerlei Informationen über das Ausmaß der Landminenkontaminierung in Mozambique vor, welche für eine umfassende Mine-Action-Planung
erforderlich gewesen wären. Daher konzentrierte sich der Plan auf die Räumung vorrangiger
Straßen zur Ermöglichung von Nahrungsmittellieferungen in die Flüchtlingslager sowie für
280
die Rückkehr von Flüchtlingen (GICHD 2005a, S. 45). Die Durchführung der Räumarbeiten
wurde an kommerzielle Mine-Action-Firmen ausgeschrieben, ein entsprechender Vertrag kam
aufgrund von bürokratischen Verzögerungen seitens der UN erst im Juli 1994 zustande (EATON
281
et al. 1997, Nr. 51 und 136).
276
In der Anfangsphase waren in Mozambique verschiedene UN-Agenturen (unter anderem UNOHAC, UNOPS, UNDP)
mit sich überschneidenden Mandaten in Mine Action involviert. Die Umstrukturierungen, die 1997/98 hinsichtlich der
Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten der verschiedenen UN-Organe und Abteilungen für den Bereich Mine
Action vorgenommen wurden (vgl. Kapitel 6.3), sind unter anderem zurückzuführen auf die Erfahrungen, die in den
Anfangsjahren des Mine-Action-Programms in Mozambique gemacht wurden (GICHD 2005a, S. 14f.).
277
Kritische Stimmen behaupteten sogar, dass Humanitäre Minenräumung in Mozambique ‚trotz – und nicht aufgrund’
der UN-Aktivitäten stattfand (GICHD 2005a, S. 14).
278
Aufgabe der UNOMOZ war die Überwachung der Einhaltung des Friedensabkommens, die Wahrnehmung humanitärer Funktionen, sowie die Vorbereitung, Begleitung und Überwachung der Parlaments- und Präsidentschaftswahlen.
Im Rahmen dieser Friedensmission wurden 6.500 Blauhelmsoldaten entsandt (DEBIEL 2002, S. 252).
279
Die Verhandlungen bezüglich dieses Plans waren hoch politisiert und langwierig, da aufgrund der Zuständigkeit
der Waffenstillstandskommission gemeinsame Entscheidungen von FRELIMO und RENAMO zur Grundlage gemacht
worden waren und beide Parteien der Minenräumung sehr zögerlich und misstrauisch gegenüber standen (GROBBELAAR 2003, S. 33; GICHD/UNDP 2001, S. 150).
280
Außerdem war die Einrichtung eines Trainingszentrums für die Ausbildung einheimischer Minenräumteams vorgesehen (GICHD 2005a, S. 13).
281
Die verantwortlichen UN-Organe erwiesen sich als unfähig, die Vertragsbedingungen zügig auszuhandeln. Zudem
verzögerte sich aufgrund fehlender Kooperation im UN-Sekretariat die Freigabe der entsprechenden Gelder (EATON
et al. 1997, Nr. 136). Eine der für die Durchführung der Straßenräumprojekte (Gesamtvolumen von 12 Mio. US $)
beauftragte kommerzielle Organisation war die südafrikanische Firma Mechem, die in der Entwicklung sowohl von
Räumtechnologie als auch von Landminentechnologie tätig ist. Die Auswahl dieser Firma führte aufgrund dieser sog.
Double-Dipping-Methode zu weiteren Kontroversen unter den Mine-Action-Akteuren in Mozambique (GICHD/UNDP
2001, S. 151f.).
120
9 Fallstudie Mozambique
In der Zwischenzeit hatten bereits internationale Mine-Action-NGOs die Arbeit aufgenommen.
Norwegian People’s Aid (NPA) begann im August in den zentralen Provinzen als erste Organisation mit Mine-Action-Maßnahmen, wo bereits Entwicklungsprojekte dieser NGO liefen
282
(UNDP/GICHD 2001, S. 151). In den nördlichen Provinzen etablierte sich die britische NGO
HALO-Trust, die im Januar 1994 mit Räumarbeiten begann. Die UN initiierten im Juli 1994 das
Accelerated Demining Programme (ADP) als durchführende Mine-Action-Organisation, welche im Februar die Minenräumung in den südlichen Provinzen aufnahm. Diese regionale Aufteilung des Landes unter den 3 Organisationen, die seither die Hauptakteure im Rahmen der
operationellen Mine Action in Mozambique darstellen, erfolgte relativ spontan und als pragmatische Antwort auf das Fehlen eines funktionierenden Koordinierungsmechanismus für das
gesamte nationale Mine-Action-Programm (GICHD 2005a, S. 14).
Anfängliche Absicht der UN war, dass ADP nach und nach von den noch einzurichtenden
nationalen Mine-Action-Behörden übernommen werden und als durchführender Arm des
zukünftigen MACs fungieren sollte. Jedoch bestanden hinsichtlich des Aufbaus des nationalen Mine-Action-Programms von Beginn an divergierende Auffassungen unter den verschiedenen Beteiligten, wodurch es zu erheblichen Startverzögerungen kam. Die UN planten,
eine starke nationale Mine-Action-Institution aufzubauen, die für Koordinierung, Planung
und Kontrolle aller Mine-Action-Aktivitäten zuständig sein sowie auch über eigene Durchführungskapazitäten verfügen sollte. Die bilateralen Geber hingegen bevorzugten eine
schlanke, effektive und effiziente Koordinierungsbehörde mit einer strickten Trennung von
der Durchführung. Diese sollte durch Mine-Action-NGOs und kommerzielle Firmen und
283
nicht durch eine nationale Mine-Action-Behörde erfolgen (vgl. auch Kapitel 7.2). Da auch
zum Zeitpunkt, als das Mandat der UNOMOZ endete (1994), weiterhin keinerlei Kompromisse zwischen UN und den Gebern gefunden werden konnten, wurde der Plan, eine nationale Mine-Action-Behörde aufzubauen, zunächst fallengelassen und ADP wurde zu einer
durchführenden Mine-Action-Organisation unter der Leitung des UNDP (EATON et al. 1997,
284
Nr. 76).
Im Mai 1995 gründete die Regierung von Mozambique innerhalb des Außenministeriums
285
die sog. National Demining Commission (CND) , was von den bilateralen Gebern begrüßt
wurde, da so die Regierung die Verantwortung für Mine Action übernahm. Diese Kommission
konnte aber aufgrund fehlender Kapazitäten an Personal, Ausstattung und Fachwissen die ihr
286
zugedachte Führungsrolle nicht ausfüllen, ein nationaler Mine-Action-Strategieplan kam
nicht zustande, es erfolgte keine Gesamtkoordinierung und die Minenräumaktivitäten verblieben weiterhin fest in der Hand einiger weniger ausländischer Operateure, die in der
287
Gestaltung ihrer Programme unabhängig blieben.
Die CND erwies sich also – unter
282
NPA ist von Haus aus eine NGO der Entwicklungszusammenarbeit und hat Ende der 90er Jahre eine Mine-ActionSektion eingerichtet. Die Prioritäten für die Mine-Action-Maßnahmen von NPA in Mozambique wurden in der Anfangsphase vom UNHCR zur Vorbereitung der Flüchtlingsrückkehr vorgegeben (GICHD/UNDP 2001, S. 151).
283
Diese Divergenzen spiegeln sich in der Finanzierung der Mine-Action-Maßnahmen während der UNOMOZ-Periode
wider: 75% der Finanzierung erfolgte direkt an einzelne Mine-Action-Organisationen, die restlichen 25% wurden aus
dem UN Voluntary Trust Fund for Mine Action und aus dem UNOMOZ-Budget aufgebracht (EATON et al. 1997,
Nr. 126).
284
Die UN-Akteure hatten versäumt, von Anfang an einheimische Kapazitäten für die Etablierung einer nationalen
Mine-Action-Behörde oder eines MACs aufzubauen. Der Auftragsvergabe für das Straßenräumprojekt, welches für
die Ausführung der Aufgaben von UNOMOZ erforderlich war, wurde oberste Priorität zugeordnet. Die Frage, wie das
Mine-Action-Programm nach Ende der UN-Friedensmission fortgeführt bzw. an nationale Hände übergeben werden
sollte und welche Unterstützung für die Aufrechterhaltung des Programms notwendig sein würde, wurde vernachlässigt, obwohl die Einrichtungen eines nationalen MACs im Mine-Action-Plan für die UNOMOZ vorgesehen war
(EATON et al 1997, Nr. 54 und Nr. 74).
285
Die Abkürzung CND steht für die portugiesische Bezeichnung ‚Commissão Nacional de Desminagem’.
286
Das Mandat der CND umfasste die Koordinierung aller laufenden Minenräumoperationen, die Sammlung und Auswertung von Informationen und Daten, das Erarbeiten einer nationalen Strategie und eines Aktionsplanes, sowie das
Festlegen von Verfahrensweisen für die lokale und nationale Prioritätensetzung (GICHD/UNDP 2001, S. 152).
287
Eine Gesamtkoordinierung wurde durch die faktische Aufteilung des Landes unter HALO-Trust, NPA und ADP
erschwert, jedoch wirkte sich die fehlende Koordinierung nicht sehr negativ aus, da auf diese Weise die Wahrscheinlichkeit eventueller Duplizierung von Maßnahmen oder eines ungesunden Wettbewerbs unter den Organisationen
nicht gegeben war. Zudem erfüllten die Organisationen ihre Aufgaben weitgehend in zufrieden stellender Weise,
lernten aus anfänglichen Fehlern und verbesserten entsprechend ihre Arbeitsweisen. Darüber hinaus unterhielten sie
gute Beziehungen zu den bilateralen Gebern, sowie auch in zunehmendem Maße zu den Provinzgouverneuren und
Distriktverwaltern (GICHD 2005a, S. 15).
121
9 Fallstudie Mozambique
anderem auch aufgrund mangelnder Unterstützung durch die Regierung – bereits nach
relativ kurzer Zeit als ineffektiv und wurde am 10. Juni 1999 formell wieder abgeschafft
288
(GICHD 2005a, S. 15; GICHD/UNDP 2001, S. 152).
An deren Stelle wurde im selben Jahr das bis heute amtierende National Demining Institute
289
(IND) als halbautonome Regierungsinstitution gegründet, welches über erheblich mehr
Autonomie gegenüber der Kontrolle durch die Ministerien verfügt, weil das Institut außerhalb
der Regierungsbürokratie angesiedelt ist. Das IND als nationale Mine-Action-Behörde hat
die Funktion eines Koordinierungs-, Kontroll- und Managementmechanismus und soll über
die enge Zusammenarbeit mit allen anderen relevanten Mine-Action-Organisationen und
-Behörden die Durchführung eines kosteneffektiven nationalen Mine-Action-Programms
gewährleisten. Aufgrund der Erfahrungen mit der CND brachten die Mine-Action-Akteure
290
der neuen Institution Skepsis entgegen und stellten die Fähigkeit des IND, einen effektiv
funktionierenden Koordinierungsmechanismus bereitzustellen, in Frage. Mittlerweile haben
sich produktivere Beziehungen zwischen der nationalen Behörde und den Mine-ActionOrganisationen entwickelt. Der leitenden Führungs- und Koordinierungsrolle im nationalen
291
Programm wird das Institut jedoch nicht gerecht.
Aufgrund der schwachen Position des IND und seines geringen politischen Gewichts auf
nationaler und Provinzebene ziehen es die 3 großen Mine-Action-Organisationen in der Regel
vor, ihre Maßnahmen in Absprache mit den Provinz- und Distriktadministrationen sowie den
Gebern zu planen. Diese Organisationen bleiben demnach weiterhin relativ autonom und
arbeiten enger untereinander zusammen als mit dem IND (SCANTEAM/DEMEX 2004, S. 129;
292
GICHD 2005a, S. 37f.). Das IND hat seinen Hauptsitz in Maputo und unterhält 2 Regionalbüros im Zentrum und im Norden. Ein dem UN-Modell für den Aufbau der nationalen
Mine-Action-Strukturen entsprechendes System mit den 2 Hauptkoordinierungsmechanismen
– nationale Mine-Action-Behörde und Mine Action Center (vgl. Kapitel 7.2) – existiert in
Mozambique nicht. Die Struktur des Mine-Action-Programms in Mozambique ist in Abbildung
21 dargestellt.
288
Misswirtschaft und Korruption waren ebenfalls Gründe für die Auflösung des CND (SCANTEAM/DEMEX 2004, S. 130).
Die Abkürzung IND steht für die portugiesische Bezeichnung ‚Instituto Nacional de Desminagem’.
290
Eine solche Skepsis erscheint nicht unbegründet: Aus dem von bilateralen Gebern bereitgestellten Mine-ActionBudget finanzierte das IND z.B. den Kauf eines luxuriösen Autos für den Direktor. Ingesamt wurde die Beobachtung
gemacht, dass vom IND die Gelder häufig eher für Luxusgüter als für die Anschaffung dringend benötigter Ausrüstung
genutzt werden (GICHD 2005a, S. 42f.). Korruption und Missmanagement stehen einer effektiven Arbeit des Instituts
entgegen. Aufgrund solcher Erfahrungen kann die Autonomie der humanitären Mine-Action-Organisationen daher
sogar als sinnvoll eingestuft werden.
291
Das IND ist z.B. zu zentralistisch strukturiert: Eine Weitergabe von Dokumenten oder Informationen wird ohne die
Unterschrift des Direktors nicht genehmigt. Da jedoch der Direktor häufig nicht erreichbar ist (aufgrund von reger
Teilnahme an internationalen Konferenzen im Ausland) und die Stellvertreterposition nicht besetzt ist, kommt es
häufig zu Verzögerungen (GICHD 2005a, S. 35). Ausführliche Informationen hinsichtlich Struktur, Kapazitäten und
Leistungsfähigkeit des IND vgl. GICHD 2005a, S. 32ff.
292
Die Organisationen tauschen beispielsweise Berichte untereinander aus, um doppelte Auftragsvergaben zu vermeiden. Es scheint häufiger vorgekommen zu sein, dass das IND die Räumung eines bereits geräumten Gebietes anfordert, weil die Mine-Action-Datenbank des Instituts nicht korrekt geführt bzw. nicht regelmäßig genug aktualisiert
wird.
289
122
9 Fallstudie Mozambique
Abb. 21: Die Struktur des Mine-Action-Programms in Mozambique
(Eigene Darstellung nach GICHD 2005a, S. 54)
293
Auf Grundlage der Daten und Informationen des 2001 fertig gestellten LIS, welcher erstmalig
– 8 Jahre nach Beginn des Mine-Action-Programms – einen landesweiten Überblick über die
294
Landminensituation in Mozambique ermöglichte sowie mit Hilfe des gleichzeitig eingeführten IMSMA-Informationsmanagementsystems war das IND schließlich in der Lage, eine nationale Mine-Action-Strategie zu entwickeln, eine auf den LIS-Informationen basierende Prioritätensetzung vorzunehmen und einen nationalen Mine-Action-Fünfjahresplan für den Zeitraum
2002 bis 2006 auszuarbeiten. Darüber hinaus wird jährlich ein Arbeitsplan, der sog. „Annual
Plan of Demining Priorities“, entwickelt (GICHD 2005a, S. 17).
In Mozambique sind neben den ‚3 großen humanitären Mine-Action-Organisationen’ (HALOTrust, NPA und ADP) außerdem Handicap International sowie verschiedene kommerzielle
Mine-Action-Firmen in der Minenräumung tätig. Die NGO Handicap International war in
Mozambique bereits seit 1993 im Bereich Victim Assistance und Mine Risk Education aktiv und
führt seit 1998 ebenfalls Humanitäre Minenräumung durch. Sie verfolgt dabei jedoch eine andere Strategie als die ‚3 großen humanitären Mine-Action-Organisationen’. Mit kleinen und
flexiblen Teams werden verminte Gebiete geräumt, die lokal von großer Bedeutung sind, jedoch aus nationaler Sichtweise als niedrige Priorität eingestuft werden. Dieses sog. Proximity
Demining erfolgt daher komplementär und nicht in Konkurrenz zu den Maßnahmen der
295
3 anderen Organisationen (GICHD/UNDP 2001, S. 155).
293
Die in der Abbildung enthaltene Abkürzung IHDD steht für ‚Integrated Humanitarian Demining for Development’.
Dabei handelt es sich um ein Konzept, das die Deutsche Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) in
Zusammenarbeit mit der Firma Mine-Tech entwickelt hat, und welches Humanitäre Minenräumung in Projekte der
Entwicklungszusammenarbeit integriert. Vgl. dazu PEARCE 1999b und WEYL 1999.
294
Im Rahmen der Erhebungen für den LIS wurde auch das erste (!) nationale Ortsregister erstellt (SCANTEAM/DEMEX
2004, S. 134).
295
Dabei handelt es sich vor allem um Gebiete, in denen Landminen sehr verstreut und zur Terrorisierung der Zivilbevölkerung eingesetzt worden waren, was aus Sicht von Handicap International eine andere, flexiblere Herangehensweise erforderlich macht. Mit einer solchen Strategie können innerhalb kurzer Zeit für die betroffenen Communities wertvolle Ressourcen verfügbar gemacht werden. Handicap International ist in den zentralen und südlichen
123
9 Fallstudie Mozambique
Internationale kommerzielle Mine-Action-Firmen in Mozambique werden hauptsächlich für
die Räumung der Infrastruktur (vor allem des Transportnetzes) beauftragt (GICHD 2004b,
S. 217f.; vgl. auch Kapitel 7.2). Einer der Hauptakteure unter den kommerziellen Firmen ist die
296
RONCO Consulting Corporation, welche gegenwärtig unter anderem Räumteams des Mili297
tärs von Mozambique (Forças Armadas de Defesa de Moçambique, FADM) ausbildet und die
298
im Land stationierte, weltweit operierende sog. Quick Reaction Demining Force (QRDF) leitet. Tabelle 8 gibt einen Überblick über die wichtigsten Mine-Action-Organisationen in
Mozambique, deren Tätigkeitsbereiche und die im Jahr 2004 erfolgte direkte Finanzierung der
einzelnen Organisationen.
Tab. 8: Wichtigste Mine-Action-Organisationen in Mozambique (2004)
Organisation
Aktivitäten
Personal
ADP
Minenräumung
357
HALO-Trust
NGO
Minenräumung,
Survey
ca. 600
Handicap
International
NPA
NGO
Minenräumung,
EOD, Survey
Minenräumung,
Survey
63
RONCO
NGO
>300; seit
Sept. ’04:
126
k.A.
Räummethode
mechanisch,
MDD
manuell, MDD,
mechanisch
Budget
2004
2,61 Mio.
US $
3,0 Mio.
US $
manuell, MDD,
mechanisch
manuell, MDD,
mechanisch
1,3 Mio.
US $
3,55 Mio.
US $
Provinz
Maputo, Gaza,
Inhambane
Zambezia,
Nampula,
Niassa,
Cabo Delgado
Inhambane,
Sofala, Manica
Tete, Sofala,
Manica
Kom
Minenräumung;
mechanisch,
k.A.
k.A.
merLeitung der
MDD
ziell
QRDF
Weitere internationale NGOs und kommerzielle Firmen, die in Mozambique Humanitäre Minenräumung
durchgeführt haben:
MgM (Menschen gegen Minen; NGO; unter anderem Räumung der Limpopo-Eisenbahnlinie)
Mechem (kommerziell; Minenräumung von Infrastruktureinrichtungen, z.B. Cahora-Bassa-Staudamm)
Mine-Tech (kommerziell; Minenräumung von Infrastruktureinrichtungen)
Bactec International (kommerziell)
Zu den wichtigsten nationalen Mine-Action-NGOs und kommerziellen Firmen gehören:
ASM (NGO)
Afrovita (NGO)
Necochaminas (NGO)
CVM (Cruz Vermelha de Moçambique; NGO)
EMD (kommerziell)
MMA (kommerziell)
JV Desminagem (kommerziell)
Quelle: Eigene Zusammenstellung nach
ICBL 2005c, o.S.; GICHD 2005a, S. 26ff.; GICHD/UNDP 2001, S. 153.
Provinzen tätig. Auch HALO-Trust hat eine ähnliche Strategie entwickelt und stellt sog. demining fire brigades als
flexible Teams für die Räumung von Gebieten mit niedriger Prioritätseinstufung ab (GICHD/UNDP 2001, S. 155).
296
Die US-amerikanische Firma RONCO wird von verschiedenen Seiten (z.B. dem ICBL; vgl. ICBL 2005c, o.S.) aufgrund der humanitären Ausrichtung auch als NGO angesehen, ist jedoch offiziell als kommerzielle Firma registriert.
Weitere kommerzielle Firmen, die insbesondere in den ersten Jahren des Mine-Action-Programms in Mozambique
operiert haben, sind unter anderem Mechem (Südafrika), Bactec International (Großbritannien) und Mine-Tech
(Zimbabwe) (GICHD/UNDP 2001, S. 153).
297
In den letzten Jahren wurden innerhalb des Militärs 3 Teams für die Humanitäre Minenräumung formiert. Ausbildung und Ausrüstung erhalten sie über RONCO mit Finanzierung durch das US Department of State (US Dos). Die
jeweils aus 30 Personen bestehenden Teams führen Räummaßnahmen in den 3 Regionen Mozambiques (nördliche,
zentrale und südliche Provinzen) durch (GICHD 2005a, S. 30f.). Die FADM-Räummaßnahmen konzentrieren sich
dabei auf Bereiche der nationalen Infrastruktur wie z.B. Eisenbahnlinien oder Versorgungsleitungen (GICHD 2004d,
S. 135). Langfristig sollen die FADM-Räumteams zu einer nationalen mobilen Minenräumkapazität aufgebaut werden,
welche – wenn die Landminenkontaminierung im Lande weitestgehend reduziert ist und internationale Mine-ActionOrganisationen aus Mozambique abgezogen sind – nachfragegesteuert Räumungsarbeiten ausführen kann (GICHD
2004b, S. 216f.).
298
Die QRDF-Teams stehen für die Durchführung von Räummaßnahmen oder die Säuberung von Kampfgebieten in
von Kriegen betroffenen Ländern auf Abruf bereit. Befinden sie sich nicht in einem solchen Einsatz, führen sie Minenräumung für das IND durch (BROWN 2005: INT).
124
9 Fallstudie Mozambique
In Tabelle 19 im Anhang sind die bilateralen Geberländer und ihre Beiträge für Mine Action in
Mozambique im Jahr 2004 aufgelistet; Abbildung 22 stellt die Entwicklung des für das MineAction-Programm von bi- und multilateralen Gebern zur Verfügung gestellten Gesamtbudgets
von 1999 bis 2004 dar, welches in diesem Zeitraum relativ konstant geblieben ist.
$20.000.000
$18.000.000
$16.000.000
$14.000.000
$12.000.000
$10.000.000
$8.000.000
$6.000.000
$4.000.000
$2.000.000
$0
1999
2000
2001
2002
2003
2004 (vorläufig)
Abb. 22: Budget des Mine-Action-Progamms von Mozambique
(GICHD 2005a, S. 46; leicht verändert und übersetzt)
Aufgrund der starken Präsenz der internationalen Mine-Action-Organisationen haben sich nur
wenige einheimische Mine-Action-NGOs und kommerzielle Firmen etablieren können, die in
der Regel über begrenzte Ausstattungen verfügen und daher meist kleinere Räumprojekte
durchführen (GICHD 2004b, S. 213ff.). Ihr Anteil am Gesamtbudget, das von bilateralen Gebern für Mine Action in Mozambique bis 2004 zur Verfügung gestellt wurde, beträgt weniger
299
als 2 Prozent (GICHD 2004b, S. 201). In Zukunft werden jedoch einheimische Kapazitäten
stärker aufgebaut werden müssen, um das nationale Mine-Action-Programm aufrechterhalten
zu können. Sowohl HALO-Trust also auch NPA haben für das laufende Jahr ihren Abzug aus
Mozambique geplant (ICBL 2005c, o.S.; SEKKENES 2005: INT; Email von Tim TURNER, HALOTrust, vom 04.02.2006). HALO-Trust rechnet damit, bis Ende des Jahres 2006 für alle Distrikte
der 4 nördlichen Provinzen den Status Mine Impact-Free erreichen zu können. Derzeit führt
300
HALO-Trust in diesen Provinzen einen sog. Re-Survey zur Überprüfung durch und beendet
die letzten Räummaßnahmen (TURNER 2005, o.S.). NPA gibt an, bis Ende 2006 alle Räumarbeiten höchster und mittlerer Prioritätsstufe in den zentralen Provinzen fertig stellen zu können
sowie unter Anwendung des TIA-Konzeptes (vgl. Kapitel 7.3.3) alle seit 1993 von NPA durchgeführten Mine-Action-Maßnahmen hinsichtlich ihrer Auswirkungen zu überprüfen (SEKKENES
301
2006: INT; GICHD 2005a, S. 26ff.). Die dritte der 3 großen Mine-Action-Organisationen
ADP wurde Mitte des Jahres 2005 aufgrund der Einstellung bilateraler Finanzierung aufgelöst
299
Es liegen keine genauen Angaben über die Höhe des Gesamtbudgets vor, welches seit Beginn des Mine-ActionProgramms in Mozambique insgesamt aufgebracht wurde. Schätzungen für den Zeitraum 1999 bis 2003 ergeben eine
Summe von etwa 80 Mio. US $ (ICBL 2004, S. 592).
300
Dieser Re-Survey wird von HALO-Trust als ‚Mine Impact Free District Concept’ bezeichnet. Im Rahmen dieses
Surveys sollen alle Städte und Dörfer aufgesucht werden, und die lokalen Communities hinsichtlich einer – aus ihrer
Sicht – weiterhin bestehenden, von Landminen und Minenfeldern ausgehenden Gefahr befragt werden. Gibt eine
Community die Existenz einer solchen Gefahr an, wird dieses Gebiet überprüft und gegebenenfalls geräumt. Sind die
Communities der Meinung, es bestehe keine solche Gefahr, sollen sie eine entsprechende Erklärung unterzeichnen.
Sobald alle Communities innerhalb eines Distriktes diese Erklärung unterschrieben haben, wird dieser Distrikt als
Mine Impact-Free erklärt. Mit Hilfe dieses Konzeptes sollen Auffassungen, der Norden Mozambiques sei weiterhin
stark vermint, entkräftet und zukünftige wirtschaftliche Investitionen angeregt werden (TURNER 2005, o.S.). Dem liegt
jedoch eine statische Sichtweise von Mine Impact-Free zugrunde (vgl. Kapitel 7.1.2).
301
NPA führt darüber hinaus in den zentralen Provinzen auf Grundlage der TIA-Methode einen Re-Survey aller, durch
den LIS von Mozambique identifizierten, vermutlich verminten Gebiete durch. Ziel dieses Re-Surveys ist, CommunityProfile und Mine-Action-Arbeitspläne, die auf den Bedürfnissen der lokalen Bevölkerung basieren, zu entwerfen, um
diese vor dem Abzug von NPA aus Mozambique als Basis für die weitere Planung zu hinterlassen (SEKKENES 2006:
INT).
125
9 Fallstudie Mozambique
302
(KABIR 2006: INT), so dass seitdem im Süden des Landes keine humanitären Mine-ActionOrganisationen mehr tätig sind (DELECOURT 2006: INT). Handicap International hatte im letzten Jahr ebenfalls geplant, gegen Ende 2006 die Minenräumung in Mozambique abzuschließen. Die Annahme, die Organisation könne bis dahin alle Minenfelder, die für ihr ProximityDemining-Konzept in Frage kommen, geräumt haben (GICHD 2005a, S. 28), wurde in der Zwischenzeit wieder revidiert:
„In the 3 provinces where HI [Handicap International] is operating now the situation
about what is remaining to do is known at 75% and the work is still huge vis à vis
Ottawa treaty and communities living with threat of mines“
(DELECOURT 2006: INT).
Vor dem Hintergrund der in Mozambique demnach weiterhin existierenden Auswirkungen
der Landminenkontaminierung als Entwicklungshemmnis sind daher Aufbau und Förderung
nationaler Mine-Action-Kapazitäten dringend erforderlich.
9.3
Instrumente für die Mine-Action-Planung in Mozambique
Voraussetzung für eine effektive und effiziente Planung im Rahmen eines nationalen MineAction-Programms ist die Verfügbarkeit umfassender und solider Informationen über das
Ausmaß der Landminenkontaminierung und deren sozioökonomischen Auswirkungen auf
die Bevölkerung. Wie bereits erwähnt, lagen diesbezüglich in Mozambique – abgesehen von
einigen regional begrenzten Surveys der Mine-Action-Organisationen mit hauptsächlich technischem Fokus – über lange Zeit nur begrenzte Informationen vor, wodurch eine effektive
Planung und angemessene nationale Prioritätensetzung sowie eine effiziente Koordinierung
von Mine-Action-Maßnahmen praktisch unmöglich war (SKÅRA 2004, S. 71). Die Durchführung
eines LIS und die Einführung eines IMSMA-gestützten Informationsmanagementsystems stellten daher ein bedeutendes Potenzial für die Verbesserung des nationalen Mine-ActionProgramms dar. Dieses Potenzial konnte in Mozambique jedoch aus verschiedenen Gründen,
die zum einen mit der Qualität und Akzeptanz von LIS und IMSMA-Datenbank, zum anderen
mit der Struktur des Mine-Action-Programms und der schwachen Position des IND zusammenhängen, weder realisiert noch ausgeschöpft werden.
9.3.1
Der ‚Landmine Impact Survey’ von Mozambique (MLIS)
Kanada ist eines der wichtigsten bilateralen Geberländer, das das Mine-Action-Programm in
Mozambique unterstützt. Im Rahmen des Canadian Mine Action Programs – einem großen
Programm zur Mine-Action-Kapazitätenbildung in Mozambique mit dem UNDP als durchführendem Partner – kündigte Kanada im Jahr 1999 die Finanzierung und Durchführung eines
LIS an. Die öffentliche Ausschreibung für den LIS war auf Kanada begrenzt und das Canadian
International Demining Corps in Kooperation mit der Consulting-Firma Paul F. Wilkinson &
Associates Incorporation (im Weiteren zusammengefasst unter CIDC) wurden mit der Durchführung des Surveys beauftragt. Das LIS-Projekt in Mozambique fand demnach außerhalb des
SAC-Systems statt, jedoch folgte es der von der Survey Working Group (SWG) und UNMAS
entwickelten LIS-Methodik und den entsprechenden Protokollen. Start des Projektes war im
Januar 1999 und erst mehr als zweieinhalb Jahre später wurde im August 2001 der Survey
303
abgeschlossen. Die Kosten für die Durchführung des LIS in Mozambique beliefen sich auf
etwa 2,2 Millionen US $ (SCANTEAM/DEMEX 2004, S. 127f.).
302
Die plötzliche Auflösung von ADP ist darauf zurückzuführen, dass die von der Organisation beschäftigten Minenräumer in Streik traten, weil ihnen seit mehreren Monaten keine Löhne ausgezahlt worden waren. Gründe dafür
liegen in der verspäteten Zahlung von zugesagten Mitteln seitens der Geber, aber vor allem in der „Inkompetenz des
UNDP“: Das Personal von ADP war niemals ordnungsgemäß angemeldet worden, es wurden keine Einkommenssteuern oder Sozialversicherungsleistungen gezahlt, wie es das nationale Gesetz in Mozambique vorschreibt. UNDP und
die Regierung haben gemeinsam die Auflösung der Organisation beschlossen und die Regierung wird einen Großteil
der Lohnzahlungen übernehmen (Email von Ted PATERSON, GICHD Evalution Manager, vom 22. Dezember 2005).
303
Die Dauer der Planungsphase betrug 12 Monate, die der Durchführung 16 Monate (SCANTEAM/DEMEX 2004, S. 128).
126
9 Fallstudie Mozambique
Als einer der ersten Landmine Impact Surveys weist der LIS von Mozambique (im Folgenden
304
MLIS abgekürzt) die in Kapitel 8.1.3.1 erläuterten Schwächen in der Methodik auf, die in
neueren Surveys zum Teil überarbeitet und verbessert worden ist (vgl. LIS in Afghanistan
Kapitel 10.3.2). Darüber hinaus sind mit der Durchführung des MLIS verschiedene weitere
Aspekte verbunden, welche die Qualität der Daten, die Aussagekraft der Ergebnisse und die
Akzeptanz bei den Mine-Action-Akteuren beeinträchtigen.
Bereits die Beauftragung des CIDC mit der Durchführung des MLIS löste heftige Kritik vor
allem seitens der bereits seit Jahren in Mozambique tätigen Mine-Action-Organisationen aus.
Die Tatsache, dass CIDC – im Gegensatz zu ihnen – über keinerlei Erfahrungen weder in
Mozambique, noch im Bereich der Minenräumung und hinsichtlich der Durchführung von
Surveys verfügte und zudem eine quasi-kommerzielle Ausrichtung aufweist, stieß bei den
Organisationen auf Ablehnung und rief Misstrauen hinsichtlich der zu erwartenden Qualität
des MLIS hervor. Darüber hinaus wurde von den Organisationen Sinn und Notwendigkeit des
MLIS angezweifelt, weil sie der Auffassung waren, die während ihrer langjährigen MineAction-Arbeit durch eigene Surveys in den jeweiligen Regionen des Landes gesammelten
305
Informationen seien für allgemeine Planungszwecke ausreichend. Damit gestaltete sich die
Kommunikation zwischen CIDC und den Organisationen von Beginn an schwierig, und der
gesamte Survey-Prozess war von gegenseitigem Misstrauen geprägt. Die Mine-ActionOrganisationen bemängelten vor allem, das CIDC hätte den Survey durchgeführt, ohne in angemessener Form auf ihre Erfahrungen und Informationen zurückzugreifen. Auch der den
306
Community-Interviews zugrunde liegende Fragebogen und die Gewichtung der Indikatoren
zur Berechnung des Mine Impact Scores wurden ohne wesentlichen Einbezug anderer Akteure
entwickelt bzw. festgelegt. (SCANTEAM/DEMEX 2004, S. 129f.).
Die Auswahl der Survey Teams war mit einigen Problemen verbunden, da in Mozambique nur
schwer Personen mit den erforderlichen Fähigkeiten auszumachen waren. Das vom CIDC
eingestellte Survey-Personal setzte sich hauptsächlich aus Hochschulabsolventen und Studenten zusammen, und nur wenige der Interviewer verfügten über Kenntnisse im Bereich Mine
307
Action oder Erfahrungen in der Durchführung von Surveys.
Die Feldarbeit begann im April 2000. Die landesspezifischen Rahmenbedingungen erwiesen
sich für die Durchführung der Community-Interviews als ‚logistischer Albtraum’: Die Größe
des Landes, die weite Streuung der zu besuchenden betroffenen Communities und die schlechte Transport- und Kommunikationsinfrastruktur verkomplizierten die Aufgabe erheblich. Insgesamt wurden 791 Communities von den Survey Teams besucht, 208 Communities waren
nicht zugänglich – unter anderem aufgrund der schweren Überschwemmungen in Mozambique im Frühjahr 2000.
Im Durchschnitt nahmen etwa 9 Personen an den Gruppeninterviews teil, die zwischen 15
und 250 Minuten dauerten (Durchschnitt 100 Minuten). Nur 17,6 Prozent der interviewten
Personen waren Frauen, womit eine bedeutende Gruppe als Informationsquelle deutlich un308
terrepräsentiert blieb. Insgesamt ist die Repräsentativität der Teilnehmer an den Gruppen304
Da die in der LIS-Methodik verankerten Schwächen bereits ausführlich in Kapitel 8.1.3.1 erläutert wurden, werden
hinsichtlich des MLIS nur einige Aspekte exemplarisch wieder aufgegriffen.
305
Zu diesem Zeitpunkt herrschten auch noch Missverständnisse darüber vor, worin sich das damals neue LISKonzept von den bis dahin üblichen Surveys unterscheidet. Die Notwendigkeit der Erfassung sozioökonomischer
Faktoren und deren Einschätzung durch die betroffenen Communities hatte sich noch nicht auf allen Ebenen durchgesetzt (SCANTEAM/DEMEX 2004, S. 128).
306
Die in Kapitel 8.1.3.1 erläuterte Problematik der Art der Fragestellung in dem Fragebogen trifft auch für den MLIS
zu. Es wurde ebenfalls direkt nach der Anzahl der Opfer in einem Haushalt gefragt und keine neutrale Fragestellung
gewählt.
307
Die Erfahrungen der Survey Teams bezüglich der Einschätzung von Distanzen oder topographischen Merkmalen,
der Zuordnung von geographischen Koordinaten zur genauen Abgrenzung der vermutlich verminten Gebiete oder
aber auch der Abwägung hinsichtlich der Verlässlichkeit von Informationen waren begrenzt. Das CIDC veranstaltete
ein 35-tägiges Training des Survey-Personals in Maputo (SCANTEAM/DEMEX 2004, S. 131; ICBL 2005c. o.S.).
308
Als Ursache für die geringe Teilnahme von Frauen an den Interviews werden kulturelle Gründe genannt,
oder die Tatsache, dass sie zur Zeit der Interviews nicht verfügbar waren, weil sie auf dem Feld arbeiteten
(WILKINSON/MASELLA 2003, S. 92). Da der MLIS landwirtschaftliche Fläche als eine der am stärksten durch Landminenblockaden betroffenen Ressourcen identifiziert, wäre eine zahlreichere Teilnahme von Frauen für die Repräsentativität der Aussagen erforderlich gewesen, da in den Ländern Afrikas Frauen in der Regel den Hauptanteil der
landwirtschaftlichen Feldarbeit erledigen.
127
9 Fallstudie Mozambique
interviews bzw. die Identifizierung der richtigen Schlüsselinformanten (vgl. Kapitel 8.1.3.1)
fraglich, da die Survey Teams ohne Vorankündigung bzw. ohne vorherige Absprache mit den
Community Leaders zu den einzelnen Communities anreisten und die Gruppen für die Inter309
views direkt vor Ort zusammenstellten. In Nacala z.B. war es offensichtlich, dass keiner
der beim Treffen mit dem Survey Team anwesenden Informanten in Nachbarschaft zu dem
Minenfeld lebte oder direkt dadurch betroffen war. Außerdem wurde weder die Anwesenheit
des zu dem Zeitpunkt in Nacala mit Minenräumung beschäftigten Teams von HALO-Trust,
noch die eines AMAC-Forschers, der dort gerade Erhebungen für eine Community Study
durchführte, vom CIDC-Team für die Datensammlung ausgenutzt. Damit wurden offensichtlich wichtige Schlüsselinformanten außer Acht gelassen (MILLARD/HARPVIKEN 2000, S. 102).
Auch der Einbezug lokaler Autoritäten als wichtige Informationsquellen ist hinsichtlich der
Ergebnisse der Gruppeninterviews von entscheidender Bedeutung. Da in Mozambique regional sehr unterschiedliche Autoritätsstrukturen vorzufinden sind und häufig verschiedene
Autoritätsformen nebeneinander bestehen, ist in Frage zu stellen, ob innerhalb des kurzen
Besuchs der Survey Teams diejenige Autoritätsperson ausfindig gemacht werden konnte, die
für die jeweilige Community von Bedeutung ist. Die Identifizierung der falschen Person als
Community Leader kann enorme Auswirkungen auf die Qualität der durch die Community310
Interviews erhobenen Informationen haben (vgl. Kapitel 8.1.3.1).
Weitere Gründe geben Anlass, die Gültigkeit und Verlässlichkeit der in den CommunityInterviews erhobenen Daten in Frage zu stellen: Aufgrund des engen Zeitrahmens, innerhalb
dessen die Survey Teams alle Communities aufzusuchen hatten, war der eigentliche Aufenthalt
vor Ort relativ kurz, so dass die vollständige und sorgfältige Erhebung insbesondere der sozioökonomischen Informationen angezweifelt wird. Die ausgefüllten Fragebögen wiesen große
Unterschiede in der Qualität auf. Teilweise wurde angegeben, Gebiete seien erfasst worden,
obwohl ein persönlicher Besuch der Survey Teams nicht erfolgt war. Daraus ergaben sich
unter anderem falsche Angaben über die geographischen Koordinaten der Gebiete, da
diese einfach nur geschätzt wurden. Zudem bestanden Defizite in der Fähigkeit im Umgang
mit der GPS-Technologie, was ebenfalls zu nicht korrekten Angaben von Koordinaten führte
311
(SCANTEAM/DEMEX 2004, S. 132).
Diese mit dem Aufsuchen der Communities verbundenen Probleme wurden durch die die
312
Durchführung des Surveys begleitende Qualitätssicherung nicht aufgegriffen, jedoch wurden
diese Erfahrungen in Mozambique von SWG und SAC diskutiert und für spätere LIS berücksichtigt (SCANTEAM/DEMEX 2004, S. 133).
Ein problematischer Aspekt hinsichtlich der LIS-Methodik wird am Beispiel Mozambiques
besonders deutlich. Die hohe Gewichtung der Opferzahlen bei der Berechnung des Mine
Impact Scores ist im landesspezifischen Kontext Mozambiques besonders in Frage zu stellen,
da sich das Land zum Zeitpunkt der Durchführung der Community-Interviews bereits nicht
länger in der Phase einer humanitären Notsituation befand. Die Anzahl der Minenopfer ist seit
1995 enorm gesunken, die in den Score einfließenden Opferzahlen betreffen den Zeitraum
1997/98-2000, als die jährliche Anzahl von Minenunfallopfern bereits ein relativ niedriges
313
Niveau erreicht hatten (vgl. Abbildung 23). Vor diesem Hintergrund ist die hohe Gewichtung
309
Ursprünglich war vorgesehen, die Interviews 2 bis 3 Tage im Voraus anzukündigen und die entsprechenden Genehmigungen bei den Community Leaders einzuholen. Aus logistischen Gründen – weite Entfernungen zwischen den
zu besuchenden Communities und schlechter Straßenzustand – wurde jedoch davon abgesehen (CIDC 2001, S. 119).
310
In Mozambique gibt es beispielsweise verschiedene traditionelle Autoritätspersonen, die je nach Region oder ethnischer Gruppe unterschiedliche Funktionen und Machtpositionen erfüllen (z.B. Regulo, Cabo, Chefe de Poblaçao und
andere). Die Ausführungen von WILKINSON und MASELLA zum MLIS lassen vermuten, dass von den Durchführern des
MLIS davon ausgegangen wurde, der Regulo sei prinzipiell der Community Leader (vgl. WILKINSON/MASELLA 2003,
S. 90; WILKINSON war an der Durchführung des MLIS beteiligt). Zu dieser Problematik vgl. auch MILLARD/HARPVIKEN
2000, S. 81f. und GICHD/UNDP 2001, S. 162.
311
In einem Stichprobentest erwiesen sich 2 von 9 auf GPS-basierenden Angaben als eindeutig falsch (SCANTEAM/DEMEX 2004, S. 132).
312
Das kann darauf zurückzuführen sein, dass auch hinsichtlich der Qualitätssicherung für den LIS nicht auf viele
Erfahrungen aus anderen Ländern zurückgegriffen werden konnte, weshalb sich in der Strukturierung und Durchführung der Qualitätssicherung selbst verschiedene Probleme ergaben (SCANTEAM/DEMEX 2004, S. 133).
313
Bis Ende 1995 war die Rückführung bzw. die Rückkehr der Flüchtlinge aus den Nachbarländern bereits abgeschlossen (vgl. UNHCR 1996, o.S.), so dass damit die Personengruppe, die hinsichtlich Minenunfällen eine besonders
hohe Vulnerabilität aufweist, bereits wieder angesiedelt war und vermutlich in der Zwischenzeit – ähnlich wie die
verbliebenen Bevölkerungsgruppen – Kenntnisse über die Lager der Minenfelder in ihrem Umfeld erworben bzw. an
MRE-Maßnahmen teilgenommen haben und ihr Leben an die Landminengefahr anpassen konnten.
128
9 Fallstudie Mozambique
des Indikators ‚Anzahl der Minenopfer’ daher problematisch, weil viele Communities weiterhin
durch Landminenkontaminierung in ihrer Grundbedürfnisbefriedigung beeinträchtigt werden, auch wenn es nicht zu Minenunfällen kommt, weil den Menschen die genaue Lage und
314
die Grenzen der jeweiligen Minenfelder bekannt sind.
Abb. 23: Minenopfer in Mozambique (Eigene Darstellung nach NAIROBI REVIEW CONFERENCE
2005, S. 69 (Angaben 1996-2003); ICBL 2005c, o.S. (Angaben 2004-2005))
Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse
des Mozambique Landmine Impact Surveys (MLIS):
• Alle 10 Provinzen und 123 von insgesamt 128 Distrikten sind von Landminen betroffen.
• Mindestens 1,5 Millionen Menschen (9% der Gesamtbevölkerung) sind von Landminen betroffen.
• Insgesamt wurden 791 Communities als von Landminen betroffen identifiziert.
• 768 der betroffenen Communities sind ländliche und 23 städtische Communities (3 der städtischen
Communities haben eine Bevölkerung von mehr als 30 000 Menschen).
• Insgesamt wurden 1 374 vermutlich verminte Gebiete (SMAs) identifiziert, welche insgesamt eine
Fläche von 562 km² bedecken.
• 41 % der SMAs umfassen weniger als 1 000 m², weniger als 5 % der SMAs sind größer als 1 km².
• 9 Jahre nach Konfliktende kommen noch immer Minenunfälle vor: mindestens 172 der insgesamt
2145 im MLIS erfassten Minenopfer wurden im Zeitraum von 2 Jahren vor den Erhebungen verletzt oder getötet.
• Die häufigsten durch SMAs verursachten sozioökonomischen Blockaden betreffen: landwirtschaftliche Flächen (464 Communities, 950 000 Personen, 369 km²); Straßen (231 Communities, 369 000
Personen); und nicht-landwirtschaftliche Flächen, die zum Jagen, Brennholzsammeln, und für andere ökonomische und kulturelle Zwecke benötigt werden (180 Communities, 291 000 Personen,
137 km²). Zugangsblockaden zu Trinkwasser sind weniger häufig (55 Communities, 87 000 Personen), stellen jedoch ein ernsthaftes Problem dar.
• Auf Grundlage des Mine Impact Scores, sind 20 Communities mit 36 000 Personen stark betroffen
(high-impact), 164 Communities mit 393 000 Personen sind mittelschwer betroffen (mediumimpact), und 607 Communities mit 1,1 Millionen Personen sind wenig betroffen (low-impact).
Quelle: CIDC 2001, S. 12.
Textbox 20: Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse des MLIS
314
Vgl. hierzu auch die Community Study zu Nairoto, wo es zu Unfällen kam, ohne dass mit dem entsprechenden Minenfeld sozioökonomische Auswirkungen verbunden waren (MILLARD/HARPVIKEN 2000, S. 94).
129
9 Fallstudie Mozambique
Die wichtigsten Ergebnisse des MLIS sind in Textbox 20 zusammengefasst (vgl. auch Tabelle
20 und Abbildung 36 im Anhang). Die Validität dieser Ergebnisse wird von den Mine-ActionOrganisationen in Mozambique jedoch begründet in Frage gestellt, wie anhand des folgenden
Vergleichs deutlich wird. Im gleichen Zeitraum (1999-2001) unternahm die NGO HALO-Trust
einen Survey zur Erfassung der vermutlich verminten Gebiete (im Folgenden als SMAs abgekürzt) in den 4 nördlichen Provinzen, in denen HALO-Trust Mine-Action-Maßnahmen durchführt. Die Ergebnisse dieses Surveys weisen erhebliche Unterschiede zu denen des MLIS auf.
Wie Tabelle 9 zu entnehmen ist, dokumentiert der MLIS gegenüber dem HALO-Trust Survey
mehr als die dreifache Anzahl an SMAs. Ein Vergleich der durch die beiden Surveys ermittelten Gesamtfläche der SMAs in den 4 Provinzen weist sogar noch stärkere Diskrepanzen auf.
Laut MLIS sind 372 km² der Flächen vermint, der Survey von HALO-Trust kommt dagegen auf
eine Gesamtfläche von nur 15 km² (GICHD/UNDP 2001, S. 188). Die seit 2005 von HALO-Trust
und NPA durchgeführten Re-Surveys in den nördlichen und zentralen Provinzen ergeben, dass
sich von den durch den MLIS als betroffen identifizierten Communities 60 bis 90 Prozent durch
die Überprüfung als nicht von einer Landminenkontaminierung betroffen herausgestellt haben (SEKKENES 2006: INT).
Tab. 9: Vergleich der durch den ‚Survey’ von
HALO-Trust und den MLIS identifizierten SMAs
Provinz
Zambezia
Nampula
Cabo Delgado
Niassa
Gesamt
HALO-Trust Survey
46
56
55
27
184
MLIS
200
130
166
62
558
Quelle: GICHD/UNDP 2001, S. 188.
Das für die Zertifizierung der Landmine Impact Surveys zuständige UN Certification
Committee drückte zudem Besorgnis hinsichtlich der Vollständigkeit des MLIS als landesweiten Survey aus. Aufgrund der Überschwemmungen konnten viele Communities, die durch die
EOC als von einer Landminenkontaminierung betroffen identifiziert worden waren, nicht im
315
Rahmen der Community-Interviews aufgesucht werden. Verschiedene Seiten sind jedoch
der Meinung, dass zum einen aufgrund der kurzen und daher relativ oberflächlichen Erhebungen der Survey Teams in den Communities, und zum anderen aufgrund der Art und Weise,
316
wie das Sampling for False Negatives durchgeführt wurde, eine große Anzahl an bereits
bekannten SMAs durch den MLIS nicht erfasst worden ist (SCANTEAM/DEMEX 2004,
S. 131). Diese beiden Aspekte – die erheblichen Abweichungen der Ergebnisse gegenüber anderen Surveys und die Tatsache, dass viele SMAs durch den MLIS nicht erfasst wurden – führen dazu, dass auch heute das Bild über die Landminenkontaminierung in Mozambique noch
relativ unscharf ist, weil der MLIS nach wie vor die einzige landesweite Studie über die Land317
minensituation in Mozambique darstellt (GICHD 2005a, S 10; GICHD 2004b, S. 188).
Zu den wichtigsten Outputs des MLIS gehören neben dem ersten landesweiten Überblick über
die sozioökonomischen Auswirkungen der Landminenkontaminierung auf Community-Ebene
aus der Sicht der betroffenen Bevölkerung zum einen die Erstellung von digitalisierten Karten
und zum anderen die Erstellung des ersten in Mozambique existierenden nationalen Registers
von Lokalitäten und Dörfern mit ihren offiziellen und lokalen Bezeichnungen. Der wichtigste
Output ist jedoch die Datengrundlage für das gleichzeitig mit dem MLIS eingeführte IMSMADatenbanksystem, welches mit einem Geographischen Informationssystem (GIS) gekoppelt ist.
315
Laut MLIS waren 208 der Communities nicht zugänglich, was in den meisten Fällen auf die Überschwemmungen
sowie auf zerstörte Transportinfrastruktur zurückzuführen war (CIDC 2001, S. 19).
316
Leider liegen der Verfasserin keinerlei Informationen darüber vor, was im Einzelnen hinsichtlich der Art und
Weise an der Durchführung des Sampling for False Negatives bemängelt wird.
317
Der im Auswärtigen Amt für die Zuteilung von Ressourcen für Mine-Action-Projekte zuständige Johannes
DIRSCHERL äußerte sich hinsichtlich des Nutzens des MLIS folgendermaßen: „Schlechte Daten sind besser als keine
Daten“ (DIRSCHERL 2005: INT).
130
9 Fallstudie Mozambique
9.3.2
Das IMSMA-Datenbanksystem von Mozambique
Das IMSMA-Datenmanagementsystem wurde in Mozambique im Jahr 2000 während des
MLIS-Prozesses als zentrale Datenbank aller für Mine-Action relevanten Informationen und
Daten eingeführt. Die Datenbank wird vom IND-Hauptquartier in Maputo verwaltet und hat
2 Nebenstellen in den Regionalbüros des IND in Beira und Nampula. Diese dezentrale Struktur
erfordert eine enge Koordinierung und ein sorgfältiges Datenmanagement, um einen aktualisierten Informationsaustausch und die Synchronisierung der Daten zwischen der zentralen
318
IMSMA-Datenbank und den beiden Nebenstellen zu ermöglichen. Eine solche Koordinierung
ist im Mozambique bisher jedoch nicht in angemessener Weise erfolgt. Der Datenaustausch
zwischen den Mine-Action-Organisationen und dem IND verläuft mit vielen Verzögerungen.
Es ist häufig nicht nachzuvollziehen, ob die von den Organisationen übermittelten Berichte
über laufende oder abgeschlossene Minenräummaßnahmen in die Datenbank eingegeben
werden bzw. ob die Eingabe vollständig und korrekt erfolgt (BROWN 2005: INT). Nach Angaben
der befragten Experten der in Mozambique tätigen Mine-Action-Organisationen
haben die verschiedenen Akteure keinen direkten Zugriff auf die Datenbank (DELECOURT
2006: INT; SEKKENES 2006: INT), das IND übermittelt aber auf Anfrage Datenblätter und Kartenausdrucke. Bis auf Steven BROWN von der kommerziellen Mine-Action-Firma RONCO gaben
alle Befragten an, keinen Gebrauch von IMSMA zu machen, vor allem weil die Datenbank unverlässliche, häufig nicht korrekte und nicht aktualisierte Informationen enthält (SEKKENES
2006: INT; SCANTEAM/DEMEX 2004, S. 135). Zurückzuführen ist diese mangelhafte Verwaltung
und Pflege der Datenbank auf das Fehlen an Kapazitäten beim IND. Es steht nicht genügend
Personal mit den entsprechenden Fachkenntnissen im Datenmanagement zur Verfügung, darüber hinaus fehlt es den IND-Beschäftigten jedoch häufig auch an der notwendigen Motivation
(GICHD 2005a, S. 35).
9.4
Mine-Action-Planung und Prioritätensetzung
Das IND als nationale Mine-Action-Behörde ist gemäß seinem Statut verantwortlich für den
Entwurf der nationalen Mine-Action-Strategie, für die Setzung von Prioritäten und die Erstellung von Arbeitsplänen sowie für das Management, die Koordinierung und Kontrolle von Mine
319
Action in Mozambique. Der Strategieplan , die Prioritätensetzung und die jährlichen Arbeitspläne des IND basieren auf den Daten des MLIS und den über die IMSMA-Datenbank verfügbaren Informationen. Diese werden ergänzt durch Angaben bezüglich neu identifizierter
SMAs, welche von den Provinzadministrationen an die nationale Mine-Action-Behörde übermittelt werden (GICHD 2005a, S. 37; IND 2005a, S. 4).
Im Rahmen der jährlichen Arbeitspläne fertigt das IND Arbeitslisten an, in denen die Maßnahmen zusammengestellt sind, denen vom IND für das jeweilige Jahr Priorität zugewiesen
wird. Diese Listen mit den sog. Priority Tasks werden an die Mine-Action-Organisationen zur
Durchführung weitergeleitet (IND 2005b, S. 4).
Aufgrund ihrer relativ großen Autonomie und der Unverlässlichkeit der IND-Daten folgen die
internationalen Mine-Action-Organisationen jedoch meist eher ihren eigenen Methoden zur
Festlegung von Prioritäten (vgl. die Ausführungen zur TIA- bzw. TAP-Methode in Kapitel 7.3.3;
ein zur Zeit in der Testphase befindliches Schema zur Prioritätensetzung von Handicap International ist in Textbox 21 wiedergegeben). Dabei beruht ein wesentlicher Anteil der ihrer
Prioritätensetzung zugrunde liegenden Informationen auf Befragungen von verschiedenen
320
Mitgliedern der betroffenen Communities und weiteren lokal erhobenen Informationen.
318
Die derzeit genutzte IMSMA-Software-Version 3 unterstützt die Dateneingabe von verschiedenen Stellen aus noch
nicht, Version 4 jedoch ermöglicht ein dezentrales Datenmanagement (GICHD 2005a, S. 51) und soll in Mozambique
Ende 2006 eingeführt werden (KABIR 2006: INT).
319
„The Five-Year National Mine Action Plan 2002-2006“, IND 2001.
320
Den Angaben von Sara SEKKENES, NPA, und Giles DELECOURT, Handicap International, zufolge wird dabei großer
Wert auf die von der lokalen Bevölkerung selbst genannten Bedürfnisse und Prioritäten gelegt. Es werden unterschiedliche Personen- und Altersgruppen befragt, um dadurch ein möglichst großes Spektrum an Aktionsräumen
abzudecken und unterschiedliche Arten der Betroffenheit innerhalb einer Community zu erfassen (SEKKENES 2006:
INT).
131
9 Fallstudie Mozambique
Prioritätensetzungsmodell von Handicap International (Überblick)*
• The SMA presents acute security problem
priority 1 group
In case a site of this list cannot be secured,
– identify the potential users
– organise specific MRE
– identify possible alternatives with users
• The use for the land is identified and resources for implementing the use are available, the use is
sustainable and won’t disturb the village situation (the land will be used immediately after demining, that means within 6-12 months):
1) the basic needs of the users are not covered
and the use of this land will help to improve their situation
2) the basic needs of the users are covered
priority 2 group
priority 3 group
• The future use of the land is not yet known or the resources to implement the use are not available
(the land won’t be used immediately after demining)
1) the basic needs of the users are not covered
2) beyond the basic needs of the users
• No immediate socio-economic use
priority 4 group
priority 5 group
priority 6 group
Quelle: DELECOURT 2006: INT
* Das Modell befindet sich zur Zeit noch in der Experimentier- und Testphase.
Textbox 21: Prioritätensetzungsmodell Handicap International Mozambique
Die von den Organisationen aufgestellten Priority-Task-Listen werden mit denen vom IND
abgeglichen und die durchzuführenden Maßnahmen gemäß der Kapazitäten der jeweiligen
Organisation ausgewählt. Nach Angaben von Sara SEKKENES, NPA, sind in den Listen des IND
häufig Priority Tasks enthalten, die zum einen nicht den lokalen Prioritäten entsprechen oder
zum anderen Gebiete auswählen, die in Realität nicht von einer Landminenkontaminierung
betroffen sind (SEKKENES 2006: INT), was unter anderem darauf zurückzuführen ist, dass sich
321
das IND weiterhin auf die MLIS-Daten stützt.
Bei genauerer Betrachtung der Prioritätensetzung durch das IND fallen darüber hinaus einige
Punkte auf, die nicht eindeutig nachvollziehbar sind. Z.B. weisen die jährlichen Arbeitspläne
der Räumprioritäten von 2004 und 2005 in der Verteilung der Priority Tasks nach Provinzen
große Diskrepanzen auf. Deutlich wird dies beispielsweise daran, dass die Gesamtfläche der
SMAs der nördlichen Provinzen sich von 365,5 km² im Jahr 2004 auf 1,9 km² im Jahr 2005
reduziert hat. Insgesamt sind 2004 in ganz Mozambique aber nur 11,84 km² an Fläche geräumt
worden, so dass weit über 300 km² ‚übrig’ bleiben müssten (vgl. IND 2004, S. 3; IND 2005b,
S. 3; IND 2005a, S. 6). Ein weiteres Beispiel für Unstimmigkeiten in den IND-Daten ist das
in den Abbildungen 24 und 25 dargestellte Verhältnis der vom IND geplanten Priority Tasks
gegenüber der Anzahl der betroffenen Bevölkerung und der Anzahl der SMAs in den 3 Regionen des Landes. Auffällig ist, dass 2004 in den zentralen Provinzen die meisten Maßnahmen
geplant waren, obwohl dort – im Vergleich zu den anderen Provinzen – deutlich weniger SMAs
vorhanden und ein geringerer Bevölkerungsanteil von der Landminenkontaminierung betroffen waren (Abbildung 24). Im Jahr 2005 ist dieses Verhältnis umgekehrt. Der Hauptanteil der
Maßnahmen wurde im Norden geplant, wo nur wenig SMAs vorhanden und Menschen betroffen sind und im Süden, wo die meisten SMAs vorzufinden sind und im Verhältnis zu den anderen Regionen weit mehr Menschen betroffen sind, wurden nur wenige Maßnahmen anbe322
raumt (Abbildung 25).
321
Folge ist, wie bereits erwähnt, dass das IND häufig Räummaßnahmen in Gebieten plant, in denen die Räumung
bereits abgeschlossen ist.
322
Daraus lässt sich schließen, dass das IND die Mine-Action-Maßnahmen nicht an den Bedürfnissen der Bevölkerung
orientiert plant, sondern wahrscheinlich mehr Wert auf Maßnahmen mit nationalem ökonomischen Nutzen legt.
132
9 Fallstudie Mozambique
Abb. 24: Verhältnis der geplanten ‚Priority Tasks’ gegenüber der Anzahl der
betroffenen Bevölkerung und der SMAs im Jahr 2004
(Eigene Darstellung mit Daten aus IND 2004, S. 3 u. S. 6)
Abb. 25: Verhältnis der geplanten ‚Priority Tasks’ gegenüber der Anzahl der
betroffenen Bevölkerung und der SMAs im Jahr 2005
(Eigene Darstellung mit Daten aus IND 2005b, S. 3 u. S. 6)
133
9 Fallstudie Mozambique
Dem Arbeitsplan für 2005 ist ebenfalls zu entnehmen, dass 33 Prozent des Jahresbudgets für
Räummaßnahmen den nördlichen Provinzen zugewiesen wurde, in denen aber nur 6,59 Prozent der betroffenen Bevölkerung (gegenüber 60 Prozent der betroffenen Bevölkerung in den
südlichen Provinzen) leben.
Auf diese Unstimmigkeiten hingewiesen, wurde aus dem IND-Umfeld mit den – mittlerweile
veralteten – MLIS-Daten argumentiert; das IND war darüber hinaus nicht dazu bereit, weitere
Fragen zu beantworten.
Anhand solcher Beispiele zeigt sich, dass Planung und Prioritätensetzung des IND nicht in
transparenter und nachvollziehbarer Weise erfolgen, weshalb zu bezweifeln ist, ob die begrenzten finanziellen Ressourcen, die über das IND zugewiesen werden, so eingesetzt werden,
dass mit den entsprechenden Maßnahmen ein möglichst großer Nutzen für die betroffene
Bevölkerung erreicht wird. Es erscheint daher gerechtfertigt, wenn sich die Mine-ActionOrganisationen über die Prioritätensetzung des IND hinwegsetzen und stattdessen eigene
Prioritäten unter Anwendung von Methoden wie dem TIA-Instrument festlegen, um einen positiven Effekt der geplanten Maßnahmen auf die betroffene Bevölkerung und eine tatsächliche
323
Folgenutzung der geräumten Flächen sicherzustellen.
9.5
Fazit: Das Mine-Action-Programm in Mozambique
Aus den Erfahrungen mit dem MLIS und der IMSMA-Datenbank in Mozambique lassen
sich verschiedene Lehren ziehen. Wie die Befragungen gezeigt haben, sind mittlerweile fast
alle Mine-Action-Organisationen dem Konzept des LIS gegenüber positiv eingestellt und bewerten einen solchen Survey als wertvolles Instrument, da er eine Datengrundlage für eine
angemessene nationale Planung und Prioritätensetzung bieten und eine Ausgangsbasis für den
Aufbau einer umfassenden Mine-Action-Datenbank bilden kann. Von entscheidender Bedeutung ist dabei, wann ein LIS angesetzt und auf welche Art und Weise er in einem Land durchgeführt wird. Es ist sinnvoll, einen solchen Survey relativ zu Beginn eines Mine-ActionProgramms – z.B. im Zuge des Aufbaus nationaler Kapazitäten – vorzunehmen. Auf diese
Weise kann vermieden werden, dass Planung ‚ins Blaue’ ohne jegliche Datengrundlage erfolgt
und damit wertvolle Ressourcen vergeudet werden, wie es zu Beginn des Mine-ActionProgramms in Mozambique der Fall war. Das CIDC stieß bei den Mine-Action-Organisationen
in Mozambique auf Ablehnung, weil diese Organisation ihrer Ansicht nach für die Durchführung des Surveys ungeeignet war, während sie selbst, trotz ihrer landesspezifischen Erfahrungen und Kenntnisse, übergangen und nicht in angemessenem Umfang zu Rate gezogen wurden. Für die Akzeptanz und die Qualität eines LIS ist es entscheidend, dass die vor Ort tätigen
Mine-Action-Akteure aktiv in den LIS-Prozess einbezogen werden und dass auf bereits vorhandene Daten zurückgegriffen wird, die als Ausgangspunkt für den Survey dienen können
(vgl. auch SCANTEAM/DEMEX 2004, S. 138). Es ist sogar günstiger, einen (oder mehrere) der
lokalen Akteure mit der Durchführung eines LIS zu betrauen, da so auf bereits geknüpfte
Beziehungen zur lokalen Bevölkerung zurückgegriffen werden kann, was in der Regel die
Qualität und Verlässlichkeit der im Rahmen der Community Interviews erhobenen Informationen positiv beeinflusst.
Eine IMSMA-gestützte Datenbank bietet umfangreiche, speziell auf die Bedürfnisse für MineAction-Planung und Management zugeschnittene Möglichkeiten, die die Effizienz und Effektivität der Arbeit aller beteiligten Mine-Action-Akteure erheblich verbessern kann. Voraussetzung dafür ist jedoch, dass diese Datenbank zum einen sorgfältig verwaltet und regelmäßig
aktualisiert wird, und zum anderen, dass alle Akteure Zugriff auf die Datenbank haben und
die Informationen ihren jeweiligen Vorhaben entsprechend aufbereiten und auswerten können. Diese Möglichkeiten werden von den befragten Experten der in Mozambique tätigen
Mine-Action-Organisationen grundsätzlich als positiv und erstrebenswert angesehen (BROWN
2005: INT; SEKKENES 2006: INT; DELECOURT 2006: INT). Da jedoch die IMSMA-Datenbank in
Mozambique von der Bereitstellung solcher Möglichkeiten weit entfernt ist und zudem unvollständige und veraltete Daten enthält, wird sie von den Organisationen nicht genutzt.
323
Da die Mine-Action-Organisationen in Mozambique zu einem großen Anteil direkt von den Gebern finanziert werden, hat das IND wenig Einflussmöglichkeiten auf die Entscheidungen der einzelnen Organisationen (vgl. SCANTEAM/DEMEX 2004, S. 134f.).
134
9 Fallstudie Mozambique
Daten und Informationen haben nur einen Wert für Planung und Prioritätensetzung, wenn
ausreichend Kapazitäten vorhanden sind, die über die erforderlichen Kenntnisse im Umgang
mit komplexen Daten und über entsprechende Analysefähigkeiten verfügen und die die
Informationen verlässlich und vor allem regelmäßig aktualisieren. Das IND stützt sich nach
wie vor auf die Daten des MLIS, der nicht als Prozess einer kontinuierlichen Datenerhebung,
sondern als ‚einmaliges Ereignis’ angelegt war und daher nur eine Momentaufnahme der
Landminensituation in Mozambique liefert, welche mittlerweile schon mehr als 5 Jahre alt ist.
Zudem zeigt das IND nicht ausreichend Engagement, die IMSMA-Datenbank im erforderlichen Umfang zu aktualisieren und die dafür notwendigen personellen Kapazitäten bereitzustellen. Hierin liegt eine verpasste Gelegenheit für das IND: Da LIS und IMSMA-Datenbank
Eigentum des IND sind, hätte das Institut durch eine angemessene Informationspolitik und
einen sinnvollen Umgang mit diesen Instrumenten die Leistungsfähigkeit des Informationsmanagements erheblich steigern und damit seine Position als zentralen Koordinierungsmechanismus innerhalb des nationalen Mine-Action-Programms stärken sowie eine größere
Akzeptanz bei den Akteuren erreichen können.
Die Zukunft des Mine-Action-Programms hängt wesentlich vom Engagement und den Fähig324
keiten des IND sowie dem Aufbau von einheimischen Kapazitäten ab. Aufgrund der bisher
nicht zufrieden stellenden Leistung und Arbeitsweise, der fehlenden Transparenz sowie aufgrund von Missmanagement und Korruption, besteht bei den bilateralen Gebern die Tendenz,
ihre finanzielle Unterstützung für das Mine-Action-Programm in Mozambique einzuschränken
bzw. einzustellen (MILLARD 2005: INT). Diese als Donor Fatigue bezeichnete Tendenz begründet sich auch in dem mangelnden Interesse, welches die Regierung von Mozambique für den
Mine-Action-Bereich zeigt, sowie in der Tatsache, dass beispielsweise AIDS oder der schlechte
Bildungsstand wesentlich gewichtigere Probleme des Landes darstellen, aber bisher mit geringeren Mitteln als Mine Action gefördert wurden (UNDP 2004b, S. 58). Auch die Ankündigung der großen Mine-Action-Organisationen, Mozambique könne in absehbarer Zukunft den
Status Mine Impact-Free erreichen, bewirkt, dass die Geber ihr Mine-Action-Budget zunehmend an andere Länder leiten (GICHD 2005a, S. 49f.).
Vor dem Hintergrund, dass die Landminenkontaminierung in Mozambique jedoch weiterhin
ein bedeutendes Entwicklungshemmnis darstellt, ist es umso wichtiger, den Fortbestand der
Mine-Action-Aktivitäten dadurch zu sichern, dass Mine Action in Zukunft stärker in andere
Sektoren, wie Wirtschaft, Raum- und Entwicklungsplanung, integriert wird, zu denen Mine
Action einen Beitrag leisten kann. In dieser Hinsicht könnte das Potenzial der IMSMADatenbank ausgeweitet werden, da sie wichtige Daten für die räumliche Planung aber auch
325
für die nationale Armutsbekämpfungsstrategie bereitstellen könnte (SCANTEAM/DEMEX 2004,
S. 136).
Insgesamt ist das Mine-Action-Programm von Mozambique als erfolgreich einzustufen, da
die durch Landminen verursachten Gefahren und Auswirkungen bereits erheblich reduziert
werden konnten, so dass die Kontaminierung nun nicht mehr primär als humanitäres Problem
angesehen wird. Dies ist aber vor allem auf die Initiativen und das Engagement der einzelnen
Mine-Action-Organisationen und der bilateralen Geber zurückzuführen und weniger auf eine
erfolgreiche nationale Planung und Koordinierung. Es ist viel Potenzial für eine effektivere
Gestaltung des nationalen Mine-Action-Programms vorhanden, welches jedoch in vielen
Fällen nicht ausgeschöpft wird.
324
Das gilt sowohl für den Aufbau von Kapazitäten innerhalb des IND, insbesondere im Bereich Datenmanagement
und Analyse, aber auch für den Aufbau einheimischer durchführender Organisationen, die die Mine-Action-Arbeit
nach Abzug der großen Organisationen weiterführen können.
325
Die Regierung von Mozambique ist sehr bemüht, das dringlichste Problem der absoluten Armut weiter Bevölkerungsteile anzugehen. Mozambiques Strategieplan im Rahmen des von IMF und Weltbank geförderten Ansatzes der
Armutsminderungsstrategie (‚Poverty Reduction Strategy’, PRS; siehe VENRO) betont insbesondere Maßnahmen in den
Bereichen Bildungswesen, Gesundheitswesen, Infrastruktur, Landwirtschaft und ländliche Entwicklung (REPUBLIC OF
MOZAMBIQUE 2001, S 3f.; siehe auch VENRO 2005, o.S.). Dabei handelt es sich genau um die Bereiche, die auch durch
die Landminenkontaminierung beeinträchtigt werden. Es ist sehr verwunderlich, dass Mine Action nicht Bestandteil
der Maßnahmen des Poverty Reduction Strategy Papers von Mozambique (PARPA) ist (vgl. REPUBLIC OF MOZAMBIQUE
2001).
135
10 Fallstudie Afghanistan
10 Fallstudie Afghanistan
Afghanistan zählt, aufgrund des massiven Einsatzes der Landminentechnologie während des
23-jährigen Krieges, bis heute zu den am stärksten verminten Ländern dieser Welt. Dieses
Land gilt aber auch als Ursprung der Disziplin Mine Action. Die langjährigen Erfahrungen
der Mine-Action-Akteure in Afghanistan – auch schon während der Kriegszeiten – haben in
großem Maße zur Weiterentwicklung und Verbesserung der Disziplin Mine Action und somit
zu einer weltweiten effektiveren Herangehensweise an das Landminenproblem beigetragen.
Mit den politischen Veränderungen in den letzten Jahren haben sich die Rahmenbedingungen
für die Mine-Action-Planung gewandelt, so dass neue Instrumente wie LIS und IMSMA in den
afghanischen Mine-Action-Kontext eingeführt werden konnten. Die folgenden Ausführungen
zeigen vor dem Hintergrund der landesspezifischen Rahmenbedingungen auf, welche Strukturen in Afghanistan für die Lösung der Landminenproblematik aufgebaut wurden und inwieweit Instrumente wie LIS und IMSMA in diesem Zusammenhang einen Beitrag zu einer effektiveren und effizienteren Planung leisten können.
10.1 Landesspezifischer Hintergrund
Die Auswirkungen einer Landminenkontaminierung auf eine betroffene Gesellschaft und
die daraus resultierenden Anforderungen an die Planung eines Mine-Action-Programms (vgl.
Kapitel 7), werden von den in einem Land vorherrschenden geographischen und sozioökonomischen Rahmenbedingungen (vgl. Kapitel 6) sowie der Art und dem Ausmaß der Kontaminierung bestimmt. Im Folgenden wird der landesspezifische Kontext, an dem die Mine-ActionAktivitäten in Afghanistan ausgerichtet werden müssen, anhand eines kurzen Überblicks
über die naturräumliche Gliederung des Landes und die sozioökonomischen Strukturen
Afghanistans sowie über die Hintergründe der Entstehung der Landminenkontaminierung
dargestellt. Die zur Beschreibung der Situation in Afghanistan verwendeten demographischen
326
und wirtschaftlichen Daten basieren – in Ermangelung einer aktuellen Volkszählung und der
Behinderung einer konsequenten Datenerfassung durch den Jahrzehnte währenden
Afghanistankrieg – weitestgehend auf Schätzungen oder Hochrechnungen aus regional begrenzten Studien und können daher nur als grobe Richtwerte verstanden werden. Um dennoch einen annähernd einheitlichen Bezugsrahmen zu gewährleisten, wird im Wesentlichen
auf die, im Rahmen des „Human Development Reports“ für Afghanistan 2004 erhobenen Daten
zurückgegriffen (vgl. Länderübersicht in der Tabelle 21 im Anhang).
10.1.1 Allgemeine Informationen zur naturräumlichen
und soziökonomischen Struktur von Afghanistan
Afghanistan (offizieller Name: „Islamische Republik Afghanistan“) ist mit einer geographischen Lage von 29° bis 38° nördlicher Breite und 60° bis 75° östlicher Länge (WIEBE 1984, S. 10)
ein Binnenstaat, dessen Fläche – von ca. 652.230 km² – fast der doppelten (1,8-fachen) Größe
327
der Bundesrepublik Deutschland entspricht (vgl. Abbildung 26).
Im Norden grenzt Afghanistan an die zentralasiatischen Staaten Tadschikistan, Usbekistan und
328
Turkmenistan, im Westen an den Iran, im Süden und Osten an Pakistan und im äußersten
Nordosten an die Volksrepublik China. Die Islamische Republik Afghanistan liegt somit im
329
Grenzbereich des Mittleren Ostens und Zentral- und Südasiens (BÜSCHER 1994, S. 138).
326
Die letzte Volkszählung hat vor Kriegbeginn 1979 stattgefunden (UNDP 2004a, S. 17).
Hierbei handelt es sich um die offizielle Flächenangabe des Central Statistics Office (CSO) für Afghanistan (CSO
2006c, o.S.). Die Flächenangaben für Afghanistan variieren von 647.500 km² in den englischsprachigen (CIA 2006a,
o.S.) über 652.000 km² in den deutschsprachigen Quellen (AA 2006a, o.S.).
328
Die heutigen Staatsgrenzen Afghanistans wurden Ende des 19. Jahrhunderts in Verhandlungen zwischen BritischIndien und Russland festgelegt. Seit 1947 ist die umstrittene Grenzlinie zu Pakistan – die sog. ‚Durand-Linie’ – immer
wieder Gegenstand von Auseinandersetzungen zwischen Afghanistan und Pakistan, bekannt auch als ‚PaschtunistanFrage’ (BÜSCHER 1994, S.138). Vgl. auch SCHETTER 2004, S.81ff.
329
Aufgrund dieser Lage ist Afghanistan seit jeher in der Geschichte von großem geopolitischen Interesse für andere
Staaten gewesen. Vergleiche hierzu die Ausführungen Schetters zur Geschichte Afghanistans von den gräkobaktrischen Reichen über das Great Game (1823-1880) bis hin zur Rolle Afghanistans im ‚Kampf gegen den Terrorismus’ (SCHETTER 2004).
327
136
10 Fallstudie Afghanistan
Abb. 26: Politische Karte von Afghanistan, No 3958 Rev. 5, Oktober 2005
( UN Cartographic Section)
Afghanistan ist ein Hochgebirgsland, dessen naturräumliche Gliederung vom Gebirgszug
des Hindukusch dominiert wird. Dieser erstreckt sich, ausgehend von der Hochebene des
Pamir (Tadschikistan) vom Nordosten des Landes mit seinen Ausläufern bis in den Südwesten
Afghanistans, wo er in das iranische Hochplateau übergeht. Die übrigen Gebiete im Norden,
Süden und Südwesten des Landes sind weite Wüsten- und Steppenregionen, die durch den
Hindukusch – mit Gipfelhöhen von über 7.000 m im Osten des Landes und nur wenigen
330
Gebirgspässen – voneinander getrennt werden. (SCHETTER 2004, S. 18f.; BÜSCHER 1994,
S. 138) Die Verkehrsinfrastruktur des Landes wird durch den Hindukusch bestimmt und
stellt ein großes Hemmnis für die wirtschaftliche Entwicklung des Landes dar (BÜSCHER
1994, S. 139), da sich das Straßensystem – neben Verbindungsstraßen zu den angrenzenden
Ländern – hauptsächlich auf eine Art ‚Ringstraße’ beschränkt, worüber die großen Städte des
331
Landes (Jalalabad, Kabul, Kandahar, Herat, Mazar-i-Sharif und Kunduz) miteinander verbunden sind. Eine direkte, ganzjährig befahrbare Nord-Süd-Verbindung wurde erst 1964 mit
dem Bau des Salang-Tunnels geschaffen. Insgesamt verfügt Afghanistan nur über ein sehr
schlecht ausgebautes Straßennetz, das während des langjährigen Krieges – ebenso wie das
332
vor Kriegsbeginn relativ gut ausgebaute nationale Flughafennetz – stark beschädigt wurde
(BÜSCHER 1994, S. 139; UNDP 2004a, S. 167).
330
Die Gebirgspässe des Hindukusch liegen alle über 3000 m und ermöglichen nur im Sommer eine direkte Verbindung des Nordens mit dem Süden. Erst 1964 wurde mit der Eröffnung des Salang-Tunnels eine Verbindung dieser
beiden Landesteile auch in den Wintermonaten möglich (BÜSCHER 1994, S. 138f.; SCHETTER 2004, S. 20f.).
331
Da die Schreibweise der Namen von Städten, Regionen, etc. je nach Sprache und Übersetzung stark variiert, wird im
Folgenden – soweit möglich – die von der afghanischen Regierung verwendete englische Schreibweise der Eigennamen übernommen.
332
Afghanistan verfügte vor Kriegsbeginn über 25 nationale und einen internationalen Flughafen (BÜSCHER 1994,
S. 139).
137
10 Fallstudie Afghanistan
Das vorherrschende aride bis semiaride Hochkontinentalklima hat aufgrund der geringen
und unregelmäßigen Niederschlagsmengen in Afghanistan immer wieder zu längeren Dürre333
perioden geführt. Eine klimatische Ausnahme bilden hier die östlichen und südöstlichen
Regionen, die von den Ausläufern des indischen Sommermonsuns beeinflusst werden
(SCHETTER 2004, S. 19). In den heißen und trockenen Sommermonaten werden vor allem im
Norden und Süden des Landes Temperaturen von bis zu 49°C erreicht. In den Wintermonaten
fallen die Temperaturen auf bis zu -40°C in den Hochgebirgen und darüber hinaus kommt es
zu starken Schneefällen, wodurch Teile von Zentral- und Nordafghanistan in den Monaten
November bis März fast vollständig vom Rest des Landes abgeschnitten sind (SCHETTER 2004,
S. 19; BÜSCHER 1994, S. 138). Das insgesamt nur sehr begrenzte Wasservorkommen in Afghanistan entstammt zum Großteil aus der Schneeschmelze im Frühjahr (KIM 2004, o.S.), die sich
über die teilweise nur saisonal Wasser führenden Flüsse in den Ebenen verteilt (SCHETTER
334
2004, S. 19; GICHD 2004b, S. 91).
Afghanistan verfügt aufgrund der geographischen sowie der klimatischen Bedingungen nur
über einen geringen Anteil landwirtschaftlicher Gunsträume, die sich auf Oasen und Flusstä335
ler beschränken (SCHETTER 2004, S. 19). Nur etwa 6 bis 12 Prozent der gesamten Landesfläche sind für Ackerbau geeignet, wobei es sich hierbei – bis auf Gebiete im Norden, in denen
Regenfeldbau möglich ist – um künstlich bewässertes Ackerland handelt (BÜSCHER 1994,
S.139). Die fruchtbaren Landflächen, auf dem ganzjähriger Feldfruchtanbau möglich ist, kon336
zentrieren sich auf die Kunduz-Provinz im Norden und die Provinz Helmand im Südwesten
(LIBRARY OF CONGRESS 2005, o.S.). Der Anteil der bewaldeten Fläche ist mit nur 2,6 Prozent sehr
337
338
gering (CSO 2006c, o.S.). Der größte Teil des Landes (ca. 76,3 Prozent, Stand 1960) besteht
aus für Ackerbau nicht geeignetem Ödland (Hochgebirge, Steppe und Wüste), das aber – ins339
besondere von der nomadischen Bevölkerung, den sog. Kuchis – für die Viehzucht genutzt
wird (BÜSCHER 1994, S. 139). Laut Angaben des Central Statistics Office (CSO) der Islamischen
Republik Afghanistans macht die Weidefläche 46 Prozent der Landesfläche aus (CSO 2006c,
o.S.).
Afghanistan ist trotz des hohen Anteils an agrarischen Ungunsträumen ein stark landwirt340
schaftlich geprägtes Land, wie der Anteil der Landwirtschaft am Bruttoinlandsprodukt von
341
52 Prozent verdeutlicht. Obwohl mit der – nach 23 Kriegsjahren – seit 2002 langsam einsetzenden Rückkehr zu einer relativ stabilen und sicheren Situation die Bedeutung des industriellen Sektors und des Dienstleistungsgewerbes innerhalb der afghanischen Wirtschaft wieder
342
zugenommen hat, leben bis heute ca. 80 Prozent der Bevölkerung von der Landwirtschaft
(AA 2006b, o.S.).
333
Verursacht werden diese Dürreperioden – wie die 4-jährige Dürreperiode von 1998-2002 (KIM 2004, o.S.) – unter
anderem durch reduzierten Winterregen in 2 Folgejahren (WORLDBANK 2001, S. 2).
334
Die 4 größten Flüsse sind der Amu Darya im Nordosten (bildet die nordöstliche Grenze des Landes), der Harirud im
Nordwesten, der Kabul im Südosten und der Helmand, der mit 1000 km das Land vom Zentrum bis in den Südwesten
durchzieht (LIBRARY OF CONGRESS 2005, o.S.)
335
Angaben variieren von 6% (CSO 2006c, o.S.) bis hin zu 12-13% (CIA 2006a, o.S.). Zurückzuführen ist dies auf die
Auswirkungen der Dürreperiode von 1998-2002, durch welche sich die offiziell als anbaufähig kategorisierte Fläche
um die Hälfte reduziert hat. (LIBRARY OF CONGRESS 2005, o.S.)
336
Verwaltungsstrukturell ist Afghanistan in 32 Provinzen und 329 Distrikte gegliedert (SAC 2005a, S. 7).
337
Näheres zu den Gründen der Reduzierung der ursprünglich großen bewaldeten Flächen vgl. WORLDBANK 2001,
S. 2ff.
338
Laut Angaben des afghanischen Planungsministeriums von 1960 bestehen 76,3% der Landesfläche aus Hochgebirge, Wüsten und Steppen (BÜSCHER 2004, S. 139). Diesbezügliche aktuelle Angaben sind aus den offiziellen Statistiken
des CSO Afghanistans nicht ersichtlich.
339
Die Nomaden machen mit geschätzten 1,5 Mio. ca. 6,3% der Gesamtbevölkerung aus (CSO 2006a, o.S.). Näheres zu
den Kuchis vgl. MARSDEN/TURTON 2004, Kapitel 8.4: The Kuchis, S. 44-48.
340
Hauptanbauprodukte sind Weizen, Früchte und Baumwolle. Aber auch die Viehzucht und der damit verbundene
Handel mit Häuten und Fellen spielen in der afghanischen Landwirtschaft eine große Rolle (AA 2006b, o.S.; CIA 2006a,
o.S.).
341
Die Anteile des industriellen und des tertiären Sektors am Bruttoinlandsprodukt lagen 2002 bei jeweils 24% (UNDP
2004a, S. 32).
342
Seit 2002 hat sich die Verteilung des Bruttoinlandproduktes auf die 3 Wirtschaftsbereiche zugunsten des sekundären
(2004: 26%) und des tertiären (2004: 35%) Sektors verschoben (CSO 2006b, o.S). Das „CIA-Factbook“ gibt diesbezüglich für das Jahr 2005 geschätzte Werte an, die sich zum Teil mit den offiziellen Angaben des Central Statistics
Office der afghanischen Regierung decken. Anteile nach Sektoren am Bruttoinlandsprodukt: Landwirtschaft 38%,
Dienstleistungssektor 38% und Industrie 24% (CIA 2006a, o.S.).
138
10 Fallstudie Afghanistan
Der industrielle Sektor, der sich vor Kriegsbeginn (1979) weitestgehend auf die Verarbeitung
landwirtschaftlicher Produkte und Rohstoffe beschränkt hat, wurde durch die Kriegsjahre
stark geschwächt (BÜSCHER 1994, S. 149; vgl. auch GICHD 2004b, S. 91ff.). Bis 2004 – 2 Jahre
nach Kriegsende – wurde ein Großteil der industriellen Produktion aufgrund von Zerstörung
der Betriebe oder wegen Rohstoffmangels nicht wieder aufgenommen (LIBRARY OF CONGRESS
2005, o.S.). Die seit 2002 zunehmenden Investitionen und die Bereitstellung internationaler
343
finanzieller Mittel haben in den letzten Jahren insbesondere im Bauwesen und Dienstleistungssektor zu einem langsamen Aufschwung geführt (AA 2006b, o.S.). Trotz geschätzter
jährlicher wirtschaftlicher Wachstumsraten von 10 bis 12 Prozent (vgl. UNDP 2004a, S. 29)
gehört Afghanistan zu den ärmsten Ländern dieser Welt, wie auch anhand der Platzierung des
Landes auf Rang 173 von insgesamt 177 Ländern im „Human Development Report“ (HDR)
deutlich wird (UNDP 2004a, S. V und S. 18), und ist im hohen Maße auf finanzielle Unterstüt344
zung aus dem Ausland angewiesen (UNDP 2004a, S. 165).
345
Da sich die positive wirtschaftliche Entwicklung auf die urbanen Zentren konzentriert,
wird der seit jeher bestehende Gegensatz zwischen den städtischen und ländlichen Regionen
zunehmend verstärkt. Von den insgesamt 23,85 Millionen Einwohnern leben nur 28,8 Prozent
in den Städten (den Entwicklungsmotoren des Landes), während über 70 Prozent der
346
Bevölkerung in den ländlichen Regionen leben, in denen traditionelle Gesellschaftsstrukturen vorherrschen, deren wichtigste Identitäts- und Handlungsbezüge Dörfer, Talschaften,
Stammesgruppen und religiöse Gemeinschaften sind (SCHETTER 2004, S. 12). Die Gesellschaftsstruktur des Landes entspricht demnach der einer traditionellen, vorindustriellen,
stark segmentierten Agrargesellschaft mit einer weitestgehenden Autonomie der auf Familien,
Sippen, und Stammesverbänden basierenden Dorfgemeinschaften und einer nur relativ
schwachen Zentralgewalt (BÜSCHER 1994, S. 152). Zurückzuführen ist dies unter anderem
347
darauf, dass Afghanistan ein Vielvölkerstaat mit über 50 Ethnien ist, die sich auf regional
unterschiedliche Gebiete verteilen (vgl. SCHETTER 2004, S. 23-28). Diese gesellschaftlichen,
politischen und auch die wirtschaftlichen Strukturen des Landes haben in den letzten
Jahrzehnten zu einer starken Verflechtung der einzelnen Regionen mit den angrenzenden
Ländern geführt (vgl. UNDP 2004a, S. 167). Ein Beispiel hierfür ist der illegale Opiumhandel,
der über die Grenzgebiete verläuft, und – trotz der Bemühungen der Regierung dieses zu
ändern – eine wichtige Einkommensquelle für die ländliche Bevölkerung darstellt (SUHRKE
348
et al. 2002, S. 47; vgl. UNODC 2006, S.30ff.). Im Verlauf des Afghanistankriegs (vgl. Kapitel
10.1.2) haben sich die schon vor Kriegsbeginn ungünstigen wirtschaftlichen und soziökono349
mischen Bedingungen im Lande zunehmend verschlechtert. Die vorhandene Landminenkontaminierung (vgl. Kapitel 10.1.3) behindert unter anderem den Wiederaufbau des landwirt-
343
Die Bereitstellung finanzieller Mittel durch die Gebergemeinschaft für den Wiederaufbau Afghanistans wurde im
Rahmen der Tokioter Konferenz (Januar 2002) und Berliner Konferenz (April 2004) in einer Höhe von über 10 Milliarden US $ festgelegt (AA 2006b, o.S.).
344
Schon in den 50er Jahren bezog der Staat über 40% seines Haushalts aus der Entwicklungszusammenarbeit
(SCHETTER 2004, S. 12). Nähere Informationen zur Entwicklung der internationalen Unterstützung einiger Geberländer sind der vom dänischem Außenministerium in Auftrag gegebenen Evaluierung „Humanitarian and Reconstruction
Assistance to Afghanistan 2001-2005“ zu entnehmen (DANIDA 2005).
345
Vor allem der Süden und Südwesten des Landes erhält aufgrund der instabilen Sicherheitslage weniger finanzielle
Unterstützung (vgl. DANIDA 2005, S. 17).
346
Die demographischen Angaben wurden dem „National Human Development Report 2004 for Afghanistan“ entnommen (UNDP 2004a, S. 17).
347
Die Angaben über die Anteile der verschiedenen ethnischen Gruppen an der Gesamtbevölkerung, die zu 99%
islamischen Glaubensrichtungen angehört, variieren stark. Das Auswärtige Amt gibt für 2006 folgende Schätzwerte an:
38% Paschtunen, 25% Tadschiken, 19% Hazara, 6% Usbeken und 12% weitere ethnische Gruppierungen (AA 2006a,
o.S.).
348
Der Drogenanbau in Afghanistan begann in der 70er Jahren (DANIDA 2005, S. 13). Mittlerweile ist Afghanistan mit
87% des weltweiten Marktanteils der größte Opiumproduzent der Welt. Eine Einbeziehung des Opiumanbaus in das
offizielle Bruttoinlandsprodukt Afghanistans von 4,05 Mrd. US $ (UNDP 2004a, S. 278) würde zu einem Anstieg desselben auf 6,75 Mrd. US $ führen, was die Bedeutung des Opiumanbaus für Afghanistan verdeutlicht (UNODC 2006,
S. 30).
349
Ein Beispiel hierfür ist die starke Verschlechterung des nationalen Gesundheitssystems während des Krieges (vgl.
TISA 2004b, S. 13-26).
139
10 Fallstudie Afghanistan
schaftlichen Sektors (AA 2006b, o.S.), was sich vor allem auf die von der Subsistenzwirtschaft
350
abhängige ländliche Bevölkerung (LANDMINE ACTION 2003, S. 36) und somit auf einen Großteil der Bevölkerung auswirkt.
10.1.2 Konflikthistorischer Hintergrund
Das heutige Afghanistan ist gekennzeichnet von einem 23 Jahre andauernden Bürgerkrieg
(1979-2002) mit sich wandelnden Kriegsparteien. Bis in die späten 70er Jahre durchlebte
Afghanistan eine Phase des Friedens, welche mit einer moderaten wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung verbunden war. In den Städten führte diese Entwicklung zu einem gewissen
Grad an Modernisierung und Industrialisierung, während in den ländlichen Regionen traditionelle Gesellschaftsstrukturen vorherrschend blieben (GICHD 2004b, S. 91).
Mit der Übernahme der Regierungsgeschäfte durch die leninistisch-marxistische ‚Demokratische Volkspartei Afghanistans’ (DVPA) unter Mohammad Taraki (April-Revolution am 27. April
1978) wurde Afghanistan zu einem kommunistisch regierten Land (SCHETTER 2004, S. 90ff. und
351
S. 148). Die kommunistische Machtergreifung brachte ein Reformprogramm mit sich, welches zum einen die Durchführung einer Landreform nach sozialistischem Vorbild, mittels
derer das afghanische Feudalsystem zerschlagen werden sollte, und zum anderen eine Alphabetisierungskampagne beinhaltete. Da diese Reformen die vorhandenen Wirtschafts- und
Sozialstrukturen nicht berücksichtigten und auch den vorherrschenden islamischen Vorstel352
lungen hinsichtlich Landbesitz widersprachen, bildete sich in verschiedenen Teilen des
Landes ein bewaffneter Widerstand gegen das kommunistische Regime (SCHETTER 2004,
S. 96f.). Als 1979 der Machterhalt der kommunistischen Regierung zunehmend in Frage
gestellt war, startete die Sowjetunion vom 24. – 27. Dezember 1979 eine Militärinvasion zur
Unterstützung der regierenden DVPA (SCHETTER 2004, S. 98ff.).
Es begann ein 10 Jahre andauernder Kampf der Sowjetunion und der afghanischen Regierungstruppen gegen die – von den USA, einigen europäischen Staaten, Pakistan, Saudi-Arabien
und dem Iran unterstützten – islamischen Widerstandsgruppen, den sog. Mujaheddin (GICHD
353
2004b, S. 92; SCHETTER 2004, S. 100f.). Da sich die Kontrolle durch die sowjetischen Truppen
im wesentlichen auf die großen Städte und die Ringstraße des Landes beschränkte, während
sich 80 bis 90 Prozent des Landes unter dem Einfluss der verschiedenen Mujaheddin-Gruppen
befand, setzte die Sowjetunion der durch den Hindukusch begünstigten Guerillataktik der
Mujaheddin eine Politik der „verbrannten Erde“ entgegen (SCHETTER 2004, S. 103f). Die Siedlungen entlang der Überlandstraßen sowie im Umkreis der Städte und strategisch wichtiger
Stützpunkte wurden durch Flächenbombardierungen vollständig zerstört und die Bevölkerung
durch die gezielte Bombardierung von Dörfern, Bewässerungssystemen und landwirtschaft354
lichen Flächen zur Flucht in die Städte oder in die angrenzenden Länder gezwungen. Ziel
dieser militärischen Vorgehensweise war die Zerstörung der Nachschublinien der Guerillakämpfer sowie die Unterbindung der Unterstützung der Mujaheddin durch die afghanische
350
Detaillierte Analysen der aktuellen Situation der ländlichen afghanischen Bevölkerung bieten die vom Feinstein
International Famine Center der amerikanischen Tufts University durchgeführten Studie „Human Security and Livelihoods of Rural Afghans, 2002-2003“ (TUFTS UNIVERSITY 2004), der Weltbankreport „Afghanistan – Poverty, Vulnerability
and Social Protection – An Initial Assessment“ (WORLDBANK 2005a) sowie die Studie „National Risk and Vulnarability
Assessment“ des World Food Programms (VAM 2004).
351
Am 16. September ernannte sich Hafizullah Amin, der Führer des radikaleren Flügels der DVPA, zum neuen
Präsidenten und seine khalq- (Volks-) Partei übernahm die Regierung (SCHETTER 2004, S. 90 u. S. 96f.).
352
Die Alphabetisierungskampagne stieß bei der ländlichen Bevölkerung aufgrund der Art und Weise der Durchführung auf Ablehnung. So wurde unter Missachtung der vorhandenen Gesellschaftsstrukturen koedukativ unterrichtet.
Auch altersbedingte gesellschaftliche Positionen wurden nicht berücksichtigt, da auch ältere Menschen zum Unterricht gezwungen wurden. Des Weiteren wurde mit der Bodenreform der im Islam geltenden Vorstellung des unantastbaren Landbesitzes entgegengewirkt (SCHETTER 2004, S. 97).
353
Die ersten 10 Jahre des Afghanistankrieges standen unter dem Zeichen des Kalten Krieges. Über das direkte
Eingreifen der sowjetischen Truppen sowie über die finanzielle Unterstützung der Widerstandsgruppen durch die
Amerikaner fand bis in die späten 80er Jahre ein sog. Stellvertreterkrieg zwischen den Großmächten USA und der
Sowjetunion statt (SCHETTER 2004, S. 101 u. S. 112).
354
Bis zum Abzug der sowjetischen Truppen 1989 sind den Bombardierungen durch die Sowjetunion 1-1,6 Mio. Afghanen zum Opfer gefallen. Das Umland von Kabul und Kandahar sowie das Panjschirtal im Nordosten Kabuls, in dem
1978 noch 80.000-100.000 Menschen gelebt haben, waren Mitte der 80er Jahre fast vollständig entvölkert (SCHETTER
2004, S.103f.).
140
10 Fallstudie Afghanistan
Bevölkerung. Da die Mujaheddin ihre Unterstützung aus den – aufgrund der Flucht vieler
Afghanen vor der sowjetischen Invasion – in Pakistan aber auch im Iran entstandenen Flüchtlingslagern erhielt, wurden auch die Regionen im Grenzgebiet insbesondere zu Pakistan kontinuierlich bombardiert (SCHETTER 2004, S. 103f.).
Als Ende der 80er Jahre zunehmend deutlich wurde, dass die Sowjetunion den Krieg in Afgha355
nistan nicht gewinnen konnte, wurde unter Gorbatschow das Ende der sowjetischen Be356
satzung Afghanistans eingeleitet. Aber auch mit dem Abzug der letzten sowjetischen Truppen am 15. Februar 1989 fand in Afghanistan keine Rückkehr zum Frieden statt. Die Kämpfe
zwischen den verschiedenen Mujaheddin-Gruppen und den kommunistischen Regierungstruppen unter Najibullah setzten sich bis zum Zusammenbruch des kommunistischen Regimes
357
im April 1992 fort (SCHETTER 2004, S. 112ff.). Auch eine im gleichen Monat eingesetzte Übergangsregierung, die sich aus den unterschiedlichen Widerstandsgruppen zusammensetzte,
konnte den Frieden im Lande aufgrund eines nur sehr begrenzten regionalen Einflusses und
358
Auseinandersetzungen zwischen den Koalitionspartnern nicht wiederherstellen. Es folgten
Jahre des Bürgerkriegs zwischen unterschiedlichen Mujaheddin-Gruppen und politischen
Gruppierungen, die zu einem Zerfall des afghanischen Staates in einzelne regionale Kleinstaaten – die unter der Kontrolle einzelner Warlords und Milizen standen – führten (SCHETTER
359
360
2004, S. 118f.). Im Sommer 1994 begannen die Taliban (übersetzt: Religionsstudenten),
361
vom Süden des Landes aus weite Teile Afghanistans unter ihre Kontrolle zu bringen. Als
Kabul 1996 von den Taliban eingenommen wurde, schlossen sich die oppositionellen Parteien
zur sog. ‚Nordallianz’ zusammen und bildeten vom Norden aus einen bewaffneten Widerstand
gegen den Vormarsch der Taliban. Es entstand eine neue Konfliktlinie, die das zuvor fragmentierte Land in die nördlichen und südlichen Regionen teilte (SCHETTER 2004, S. 127). Nach Konflikten innerhalb der Nordallianz und einer Großoffensive der Taliban kontrollierte die Taliban 1998 über 90 Prozent des Landes und nur das Gebiet Bandakhschan und Panjschirtal im
Norden Afghanistans blieb unter der Kontrolle der Nordallianz (SCHETTER 2004, S. 129). Das
Bestreben der Taliban, Afghanistan zu einem islamischen ‚Gottesstaat’ aufzubauen, ging zum
einen mit einer Verschlechterung der internationalen Beziehungen und zum anderen mit
einer zunehmenden Abhängigkeit von dem islamischen Terrornetzwerk Al-Qaida einher
(SCHETTER 2004, S.133f.; STRAND 2004b, S.40).
Im Anschluss an die Anschläge vom 11.September 2001 auf das World Trade Center und der
Weigerung des Taliban-Regimes, Osama bin Ladin an die USA auszuliefern, begann 2001 mit
der Operation Enduring Freedom der ‚Globalen Koalition gegen den Terror’ (Coalition against
Terrorism) die letzte Phase des Afghanistankriegs. Die Flächenbombardierungen von Stellungen der Taliban durch die US-amerikanische Luftwaffe sowie die logistische Unterstützung
der Nordallianz durch die USA und Großbritannien führte zu einem schnellen Zusammen362
bruch des Taliban-Regimes (SCHETTER 2004, S. 136f.). Die Regierung des Landes wurde von
355
Die Intensivierung der militärischen Angriffe von Seiten der sowjetischen Truppen 1986 führte auf der gegnerischen Seite zu einer Verstärkung der Unterstützung durch die USA. 1987 wurden mit Hilfe amerikanischer StingerAbwehrraketen ungefähr 270 sowjetische Kampfflugzeuge abgeschossen (SCHETTER 2004, S. 112).
356
Der Abzug der Sowjetunion aus Afghanistan wurde in dem am 14.April 1988 in Genf geschlossenen Friedensvertrag
(‚Geneva Accord’) zwischen der afghanischen, pakistanischen Regierung, der Sowjetunion und den USA unter Ausschluss der Mujaheddin-Gruppen festgelegt (vgl. SCHETTER 2004, S.113).
357
Näheres zu den unterschiedlichen Mujaheddin-Gruppierungen und Konfliktparteien vgl. SCHETTER 2004, S. 110f.
358
Die Einrichtung einer Übergangsregierung wurde im sog. Peschawar-Abkommen (April 1992) zwischen den Widerstandsparteien beschlossen (SCHETTER 2004, S. 120 und S. 149).
359
Besonders betroffen von diesen Auseinandersetzungen war die Stadt Kabul, die zur Zeit der sowjetischen Besatzung
weitestgehend unversehrt geblieben war, in den Kämpfen seit 1992 jedoch fast vollständig zerstört wurde (SCHETTER
2004, S. 119). Näheres zu den Auseinandersetzungen in und um Kabul von 1992 bis 1993 vgl. HRW 2005.
360
Die Taliban ist eine in den Flüchtlingslagern in Pakistan entstandene, fundamentalistisch islamische Gruppierung,
die sich die Befreiung Afghanistans von den Mujaheddin zum Ziel gesetzt hatte. Der Aufbau der Taliban wurde von
der pakistanischen Regierung und Saudi-Arabien unterstützt und auch den USA wird eine indirekte Förderung bzw.
Billigung dieser radikal-islamischen Gruppierung nachgesagt (SCHETTER 2004, S. 125f.).
361
Der schnelle Vormarsch der Taliban gelang unter anderem aufgrund der anfänglichen Unterstützung der von den
Mujaheddin desillusionierten Bevölkerung (STRAND 2004b, S. 40).
362
Am 07. Oktober 2001 begann die Operation Enduring Freedom und am 08. Dezember 2001 verloren die Taliban mit
Kandahar ihre letzte Stellung innerhalb Afghanistans und zogen sich in die südafghanisch-pakistanische Grenzregion
zurück (SCHETTER 2004, S. 136f.).
141
10 Fallstudie Afghanistan
363
einer im Rahmen des sog. ‚Bonner Abkommens’ im Dezember 2001 vereinbarten Übergangsregierung unter Präsident Hamed Karzai übernommen (SCHETTER 2004, S. 137f.; STRAND 2004b,
S. 40) und durch den Einsatz der unter UN-Mandat stehenden International Security Assistance Force (ISAF) gestützt, die bis heute in verschiedenen Städten Afghanistans stationiert ist (LIBRARY OF CONGRESS 2005, o.S.; SCHETTER 2004, S. 138ff.). Auch wenn seither mit
364
der Verabschiedung einer neuen Verfassung und demokratischen Wahlen politische Fortschritte in Richtung eines stabilen afghanischen Staates gemacht wurden, erreicht der Einfluss
365
der Regierung bis heute nicht alle Regionen des Landes (LIBRARY OF CONGRESS 2005, o.S.).
Das heutige Afghanistan ist gekennzeichnet durch immer wieder aufflammende regionale
Konflikte in den nach wie vor von Warlords kontrollierten Landesteilen. Sie sind, wie auch die
Sprengstoffanschläge in den Städten oder die Angriffe auf ISAF-Truppen und Mitarbeiter von
Hilfsorganisationen in den letzten Jahren, Ausdruck für die politische Instabilität und schlechte Sicherheitslage des Landes (SCHETTER 2004, S. 141ff.; ICBL 2005a, o.S.). Der seit 2002 durch
internationale Investitionen geförderte Wiederaufbau des Landes konzentriert sich deshalb
insbesondere auf die Hauptstadt Kabul, wodurch der Stadt-Land-Gegensatz zunehmend verstärkt wird (SCHETTER 2004, S. 143).
Verschärft wird die instabile Situation in Afghanistan durch die vorhandene Flüchtlings366
problematik mit den weltweit zweithöchsten Flüchtlingszahlen.
Die kontinuierlichen
Kampfhandlungen führten immer wieder zu neuen Flüchtlingsbewegungen. 2002 lebten ca. 6
Millionen afghanische Flüchtlinge – das heißt ungefähr ein Viertel der afghanischen Bevölkerung – außerhalb der Landesgrenzen und eine weitere Million Afghanen waren als IDPs in367
nerhalb des Landes auf der Flucht (UNDP 2004a, S. 42). Die mit dem Ende des TalibanRegimes einsetzende große Rückkehrwelle, in deren Zuge bis 2004 ca. 2,5 Millionen Flüchtlinge nach Afghanistan zurückkehrten (TISA 2004d, S. 4), stellt das vom Krieg zerstörte Land bis
heute vor die schwierige Aufgabe, die Versorgung der Bevölkerung sicherzustellen (SCHETTER
368
2004, S. 143). Schon während des Krieges hat der hohe Anteil an Flüchtlingen zu einer Zerstörung der sozialen Strukturen beigetragen, da sich die regionale Verteilung sowie die zahlenmäßige Stärke der verschiedenen ethnischen Gruppen durch die Bevölkerungsbewegungen
stark verschoben hat und darüber hinaus viele traditionelle Herrschaftsstrukturen durch neue
religiös oder ethnisch begründete Militärstrukturen ersetzt wurden (UNDP 2004a, S. 9; vgl.
SCHETTER 2004, S. 103f.).
Zusammen mit der kriegsbedingten Zerstörung der landwirtschaftlichen und industriellen
Produktionsbasis sowie der Infrastruktur des Landes birgt die Veränderung der sozialen Strukturen ein hohes Konfliktpotenzial, das den Friedensprozess in Afghanistan über längere Zeit
gefährden kann (SCHETTER 2004, S. 144f.; UNDP 2004a, S. XXV).
363
Das ‚Bonner Abkommen’ ist das Ergebnis der Bemühungen der internationalen Gemeinschaft, eine Lösung für das
drohende Machtvakuum in Afghanistan zu finden (SCHETTER 2004, S. 137). Unter Einbeziehung verschiedener politischer Gruppierungen aus dem Widerstand gegen die Taliban wurde mit dem ‚Bonner Abkommen’ der Grundstein für
einen politischen Wiederaufbau Afghanistans in einer Post-Taliban-Ära gelegt (SCHETTER 2004, S. 137f.; STRAND 2004b,
S. 40). Näheres zum ‚Bonner Abkommen’ und dessen Bedeutung für den afghanischen Staat vgl. SUHRKE et al. 2004.
364
Anfang 2004 verabschiedete die verfassungsgebende Große Ratsversammlung (‚Constitutional Loya Jirga’) eine
neue Verfassung mit der Afghanistan zur Islamischen Republik erklärt wurde (AA 2006b, o.S.). Am 09. Oktober fanden
die ersten demokratischen Wahlen eines Staatspräsidenten statt, aus denen Karzai mit 55,4% der Stimmen als Sieger
hervorging (AA 2006b, o.S.; LIBRARY OF CONGRESS 2005, o.S.).
365
Zur Problematik friedensbildender Maßnahmen in Afghanistan vgl. SUHRKE et al. 2002. Für einen Einblick in die
Bemühungen zum Aufbau demokratischer Strukturen auf lokaler Ebene vgl. BOESEN 2004.
366
Laut UNDP stellen die palästinensischen EDPs weltweit die größte Flüchtlingsgruppe dar (UNDP 2004a, S. 41f.).
367
Von den ca. 6 Mio. Flüchtlingen lebte der größere Teil in pakistanischen Flüchtlingslagern (UNDP 2004a,
S. 42). Näheres zu den Flüchtlingsbewegungen während des Krieges vgl. MARSDEN/TURTON 2004, Kapitel 6 „Internal
Displacement in Afghanistan“, S. 22-35.
368
2004 lebten immer noch 3,4 Mio. Afghanen in den pakistanischen und iranischen Flüchtlingslagern. Von den IDPs
waren innerhalb dieser 2 Jahre der Großteil – bis auf geschätzte 200.000 – in ihre ursprünglichen Siedlungsgebiete
zurückgekehrt (UNDP 2004a, S. 42; TISA 2004d, S. 4).
142
10 Fallstudie Afghanistan
10.1.3 Art und Ausmaß der Landminenkontaminierung
Afghanistan gehört nach dem 23-jährigen Krieg – trotz der mittlerweile seit 17 Jahren durchgeführten Mine-Action-Aktivitäten (vgl. Kapitel 10.2) – zu den am stärksten verminten Ländern
dieser Welt (GICHD 2004b, S. 98), was auch die Angaben über die Minenunfälle mit ungefähr
369
100 Minenopfern (verletzt oder getötet) pro Monat bestätigen (MAPA o.J.a, S.5). Die heutige
Landminenkontaminierung Afghanistans ist insbesondere zurückzuführen auf die ersten
10-13 Jahre des Afghanistankrieges – der Zeit der sowjetischen Besatzung bis zum Zusammenbruch des kommunistischen Regimes – und den massiven Einsatz der Landminentechnologie durch die sowjetischen Besatzungstruppen und die Regierungstruppen des kommunistischen Regimes (HARPVIKEN 2002, S. 932).
Von Seiten der sowjetischen Besatzungstruppen und den kommunistischen Regierungstruppen
wurden in dieser Zeit sowohl Personen- als auch Fahrzeugminen zum Schutz wichtiger militärischer Positionen und Militärbasen vor Angriffen der Mujaheddin eingesetzt (HARPVIKEN 2002,
S. 932; ICBL 1999, S. 435). Auch die Stadtränder und Transportwege wurden gezielt vermint,
um den Vormarsch der Mujaheddin in die Städte zu verhindern (ICBL 1999, S. 435). Neben
dieser zum Teil eher defensiven Nutzung der Technologie wurden Landminen von der Regierungs- und Besatzerseite vor allem aber offensiv zur Terrorisierung und Vertreibung der
370
Bevölkerung eingesetzt (ICBL 1999, S. 435; SCHETTER 2004, S. 103).
Dörfer und Gebiete, in denen Zivilisten lebten bzw. die von Zivilisten genutzt wurden und
sich entlang der Überlandstraße (‚Ringstraße’) und in der Umgebung der Städte befanden,
wurden gezielt vermint, um den Zugang zu landwirtschaftlichen Arealen und Siedlungsflächen zu blockieren bzw. zu begrenzen. Durch die Zerstörung der lokalen Ökonomie sollte
die ländliche Bevölkerung zur Flucht in die sowjetisch kontrollierten Städte oder in die Nachbarländer gezwungen werden (IFCP o.J., S. 2; SCHETTER 2004, S. 103) und den Mujaheddin
– durch das Wegfallen der materiellen und politischen Unterstützung von Seiten der zivilen
Bevölkerung – die Basis für den Widerstand genommen werden (IFCP o.J., S. 2). Ein Großteil
dieser Minen wurde über Flugzeuge und Hubschrauber ausgebracht (ICBL 1999, S. 435), wie
z.B. auch die sog. Schmetterlingsmine PFM-1 russischer Herkunft (HARPVIKEN 2002, S. 932), die
aufgrund ihres Aussehens Ähnlichkeit mit Kinderspielzeug aufweist und daher insbesondere
Opfer unter Kindern gefordert und somit zur Demoralisierung und Vertreibung der Bevölkerung beigetragen hat (SCHETTER 2004, S. 103).
Seitens der Mujaheddin wurden in diesem Zeitraum Fahrzeugminen einerseits auf Straßen zur
Blockade von Truppen- und Versorgungstransporten und somit zur Einschränkung der Mobilität der gegnerischen Truppen verlegt (HARPVIKEN 2002, S. 932; ICBL 1999, S. 435). Andererseits
sollten die von den Mujaheddin um Dörfer ausgebrachten Fahrzeugminen ihnen und der zivi371
len Bevölkerung Schutz vor den Angriffen der sowjetischen Panzer bieten (IFCP o.J., S.2).
Regionale Zielgebiete für die Verminung in dieser ersten Hälfte des Krieges waren insbesondere das Grenzgebiet zu Pakistan – eine Versorgungslinie der Mujaheddin (IFCP o.J., S. 2) –
und die Regionen entlang des Salang-Highways, der Verbindungsstraße Kabuls mit der ehema372
ligen Sowjetunion (ICBL 1999, S. 435).
In dem nach 1992 einsetzenden Bürgerkrieg sind Landminen – sowohl Fahrzeug- als auch
Personenminen – von allen beteiligten Mujaheddin-Gruppen, der späteren Nordallianz und
den Taliban eingesetzt worden (HARPVIKEN 2002, S. 932; ICBL 1999, S. 435), wobei es sich hierbei vor allem um zurückgelassene Waffen der sowjetischen Armee handelte (BOHLE 2005:
369
Für das Jahr 2002 werden monatliche Minenopferzahlen von 150-300 Verletzten oder Toten angegeben MAPA o.J.a,
S. 5). Die im Vergleich zu 2004/2005 höher ausfallenden Opferzahlen sind unter anderem auf die zunehmende Flüchtlingsrückkehr nach dem Zusammenbruch des Taliban-Regimes zurückzuführen. Viele Flüchtlinge wurde Opfer von
Minenunfällen, da ihnen die Minenfelder in den neuen Siedlungsgebieten nicht bekannt waren (GICHD 2004b, S. 100).
Insgesamt sind Angaben zu Opferzahlen in Afghanistan nur sehr ungenau und daher nicht als alleiniger Indikator für
das Ausmaß der Kontaminierung zu betrachten (HARPVIKEN 2002, S. 933). Das liegt zum einen an dem Fehlen eines
zentralen Erfassungssystems, zum anderen aber auch daran, dass viele Minenopfer sterben, bevor sie medizinische
Hilfe erhalten und dementsprechend nicht registriert werden (ICBL 2005a, o.S.).
370
Vgl. Kapitel 3.2.
371
Hinsichtlich einer eventuellen offensiven Nutzung der Landminen gegen die Zivilbevölkerung von Seiten der
Mujaheddin sind keine Angaben vorhanden.
372
Weite Teile des Landes sind nach 10 Jahren sowjetischer Besatzung neben den Landminen auch von anderen UXO
kontaminiert (MCGRATH 2002, S. 3)
143
10 Fallstudie Afghanistan
INT). Der Einsatz konzentrierte sich vor allem auf Kabul und das Umland (ICBL 1999, S. 435),
373
sowie auf die am stärksten umkämpften Gebiete, wie die Shomali-Ebene im Norden Kabuls
374
aber auch in 2 Distrikten im Nordwesten der Provinz Badghis (HARPVIKEN 2002, S. 932).
1998 wurde die Landminentechnologie von den Taliban aufgrund ihrer Wirkungsweise als
‚unislamisch’ abgelehnt und seitdem offiziell auf ihren Einsatz verzichtet (ICBL 1999, S. 433),
375
während die Kämpfer der Nordallianz weiterhin Landminen ausbrachten. Trotz der offiziell
ablehnenden Haltung gegenüber dieser Waffe bestätigten jedoch Berichte die weitere Nutzung
376
von Landminen auch von Seiten der Taliban (ICBL 1999, S. 435; ICBL 2001, S.498). In den
Auseinandersetzungen im Rahmen der Operation Enduring Freedom 2001 und 2002 setzten
sowohl die Truppen der Nordallianz, als auch die Taliban und Al-Qaida Kämpfer Landminen
und booby-traps entlang der Frontlinien und an den Flughäfen ein. Wie auch schon in den
90er Jahren war dieser Einsatz eher begrenzt (HARVIKEN 2002, S. 932), was auf die schnellen
regionalen Verlagerungen der Frontlinien (ICBL 2002, S. 592) und der daraus resultierenden
Gefahr für die eigenen Truppen zurückzuführen ist. Bis 1998 wurde von einer Anzahl von insgesamt 10 Millionen verlegter Landminen auf afghanischem Boden ausgegangen. Diese Zahl
wurde jedoch im Rahmen einer Studie des amerikanischen Department of State revidiert und
377
auf 5-7 Millionen geschätzt (HRW 2001, S. 2). Für eine Übersicht der in Afghanistan eingesetzten Minentypen vergleiche Tabellen 22 und 23 im Anhang.
Die Angriffe der US-amerikanischen Luftwaffe von 2001-2002 haben zusätzlich zur vorhandenen Landminenproblematik eine starke Kontaminierung weiter Landesteile Afghanistans mit
UXO – insbesondere den Blindgängern der Streubombensubmunition – hervorgerufen. In den
232 Luftangriffen vom Oktober 2001 bis März 2002 wurden laut der im „Human Rights Watch
Report“ über den Streubombeneinsatz in Afghanistan zitierten Angaben des USamerikanischen Verteidigungsministeriums 1.228 Streubomben mit 2248.056 Bomblets über
378
Afghanistan abgeworfen (HRW 2002, S. 15). Der Einsatz konzentrierte sich auf Militärbasen
(z.B. in der Provinz Herat), Flughäfen, Frontlinien (insbesondere in der Kunduz-Provinz und
der Shomali Ebene), Trainingscamps und Waffenlager, sowie auf die Kommunikationsinfrastruktur (HRW 2002, S. 15f.). Aber auch Dörfer und die Höhlensysteme in Zentralafghanistan,
die als Versteck der Taliban und Al-Qaida Truppen galten, wurden stark bombardiert (HRW
2002, S. 1 u. S. 15). Als Folge des Streubombeneinsatzes sind ca. 12.400 bis 18.000 UXO (HRW
379
2002, S. 1 u. S. 15; MCGRATH 2002, S. 3) auf einer Fläche von über 500 km² (GICHD 2004b,
380
S. 98; ICBL 2003, S. 51) zurückgeblieben, die neben einer zusätzlichen Kontaminierung die
erneute Räumung von bereits von Minen gesäuberten Flächen erforderlich macht (LANDMINE
381
ACTION 2003, S. 36).
373
Die Shomali-Ebene (Shomali Plain) ist eine ca. 80 km lange und 30 km breite Hochebene im Norden Kabuls. Das
früher fruchtbare und wasserreiche Tal hat sich durch 23 Jahre Krieg zu einem verminten Wüstengebiet gewandelt
(ONE STEP BEYOND o.J., o.S.).
374
Als ein weiteres vermintes Gebiet ist hier auch die afghanisch-tadschikische Grenze zu nennen, die 2000 – ungeachtet der Mitgliedschaft Tadschikistans an der Ottawa-Konvention – von der russischen Armee vermint wurde (HRW
2001, S. 4).
375
So wurde der im Jahre 1998 stattgefundene Einsatz tausender Minen in der Salang-Region von einem Offizier der
Regierungstruppen (Nordallianz) bestätigt und als wesentlicher Grund für die Verhinderung einer Offensive der Taliban bezeichnet (ICBL 1999, S. 435).
376
Laut Landmine Monitor Report von 1999 haben die Taliban 1998 einen 10 km langen Streifen in der Kapisa-Provinz
im Norden Kabuls vermint (ICBL 1999, S. 435). Zur offiziellen Position der Taliban gegenüber der Landminentechnologie siehe ICBL 1999, S. 432f. und ICBL 2000, S. 455.
377
Zur Problematik der absoluten Zahlen verlegter Minen siehe Kapitel 4.
378
In erster Linie handelte es sich hierbei um die Submunition BLU-97 (BOHLE 2005: INT; ICBL 2002, S. 589). Umstritten in diesem Zusammenhang ist die Vermutung, die US-amerikanischen Truppen hätten in Afghanistan das CBU-89
Gatorsystem – ein mit Personen- und Fahrzeugminen bestücktes Mischsystem – eingesetzt (HRW 2002, S. 4ff.). Laut
Angaben des afghanischen Mine Action Centers gab es diesbezüglich aber keine Hinweise, die diesen Einsatz bestätigen würden (HARVIKEN 2002; S.932).
379
Die Angabe von 12.400 Blindgängern beruht auf Schätzungen, die anhand der eingesetzten Streubomben und einer
Versagerquote von 5% vorgenommen wurde (HRW 2002, S. 1 und S. 15). Rae MCGRATH, Gründer der Mines Advisory
Group, schätzte 2002 basierend auf Erfahrungswerten des CBU-87-Einsatzes im Kosovo und im Golfkrieg und auf
Aussagen von Spezialisten in Afghanistan die Anzahl der Blindgänger auf 18.000 Stück (MCGRATH 2002, S. 3; HARPVIKEN
2002, S. 932).
380
Eine detaillierte Analyse der Folgen von Luftangriffen und Bodeneinsätzen im Rahmen der Operation Enduring
Freedom in den 600 von diesen Angriffen betroffenen Communities bietet die 2002 durchgeführte Studie „Landmines,
War and Victim Dynamics – Contamination Assessment of Afghanistan“ (VVAF 2003).
381
Die Räumung dieser Flächen wurde durch die Bereitstellung detaillierter Informationen über die Abwurfstellen der
Streubomben durch die internationalen Koalitionstruppen zum Teil vereinfacht (HARPVIKEN 2002, S. 932). Bis Dezem-
144
10 Fallstudie Afghanistan
Einen weiteren Problembereich hinsichtlich der Kontaminierung des Landes stellen bis heute
die von den sowjetischen Truppen beim Abzug zurückgelassenen Kampfmittellagerbestände
dar. Diese befinden sich – im ganzen Land verteilt – häufig in ungeschützten oder offenen
Bunkern und bergen aufgrund falscher Lagerung und der klimatischen Bedingungen ein hohes Gefahrenpotenzial (BOHLE 2005: INT). Darüber hinaus hat sich die Bevölkerung in verschiedenen Fällen Zutritt zu den Lagern verschafft, um über die Sammlung und den Verkauf
382
von Altmetallen und Sprengstoffen ihren Lebensunterhalt zu sichern (BOHLE 2005: INT). Im
Rahmen der Operation Enduring Freedom wurden diese Lagerbestände gezielt bombardiert,
aber nur zum Teil zerstört bzw. haben die durch die Bombardierung ausgelösten Explosionen
zu einer Verteilung der Waffen und Munitionsrückstände bis hin zu einem Radius von 5 km
geführt (GICHD 2004b, S. 98).
Anhand der letzten beiden Problembereiche wurde deutlich, dass Afghanistan nicht nur ein
Landminenproblem aufweist, sondern UXO und alte Kampfmittellagerbestände die Situation
im Land verschlimmern.
Nach der 23-jährigen Kriegsgeschichte ist die Landminenkontaminierung in Afghanistan über
das gesamte Land verteilt. Mit der im Laufe der Zeit kontinuierlich durchgeführten Surveys
wurde sich einer genaueren Einschätzung des Ausmaßes der Kontaminierung stetig angenä383
hert und Anfang 2004 eine Gesamtfläche von 872 km² als von Landminen kontaminiert eingeschätzt (MAPA o.J.d, o.S.). Die Ergebnisse der verschiedenen Surveys haben gezeigt, dass in
Afghanistan insbesondere Weide- und Agrarflächen, Bewässerungssysteme, Siedlungsgebiete,
Straßen und Fußwege sowohl in den städtischen als auch ländlichen Gebieten von der Landminenkontaminierung betroffen sind (GICHD 2004b, S. 98; HRW 2001, S. 2). Auch wenn die
Angaben bezüglich des genauen Anteils der betroffenen Fläche in den letzten Jahren aufgrund
384
des aus Sicherheitsgründen erschwerten Zugangs zu manchen Regionen und aufgrund von
kontinuierlichen Räumaktivitäten variiert haben, ist die prozentuale Verteilung auf die einzelnen Landnutzungstypen annähernd gleich geblieben (vgl. Tabelle 10).
Tab. 10: Durch Landminen blockierte Ressourcen in Afghanistan
Jahr
Gesamtfläche
Agrarflächen
Weideflächen
Siedlungsflächen
Bewässerung
Straßen
1999
in km²
868
228
531
35
9
65
1999
in % der
Gesamtfläche
26%
61%
4%
1%
7%
2002
in km²
780
206
500
25
4
46
2002
in % der
Gesamtfläche
26%
64%
3%
0,5%
6%
Quelle: Eigene Zusammenstellung nach MCPA 1998, o.S. (Angaben für 1999);
385
ICBL 2003, S. 52 (Angaben für 2002).
ber 2003 waren 170 dieser Angriffsflächen geräumt, während die restlichen 102 Abwurfgebiete zu diesem Zeitpunkt
aus Sicherheitsgründen oder aufgrund ihrer Unerreichbarkeit in den Wintermonaten weiterhin zur Räumung ausstanden (MAPA o.J.d, o.S.)
382
Auch wenn diese Praxis zu vielen Opfern geführt hat, sind die Altmetallpreise relativ hoch, so dass – ebenso wie bei
der Sammlung von Minen und UXO auf den Minenfeldern – die Bevölkerung das Risiko aufgrund fehlender Alternativen eingeht. Vgl. Kapitel 6.1.
383
Schon während des Afghanistankrieges wurden verschiedene Surveys durchgeführt, wie z.B. der 1994 von der
afghanischen NGO MCPA (Mine Clearance and Planning Agency) weltweit erste landesweite Survey zur Erfassung des
Ausmaßes der Landminenkontaminierung – mittels dessen 456 km² als kontaminierte Fläche ausgemacht wurden
(HARPVIKEN 2002, S. 936) – oder auch die 1997/98 ebenfalls von MCPA durchgeführte „Socio-Economic Impact Study
of Landmine and Mine Action Operations – Afghanistan“ (MCPA 1998). Außerdem fanden kontinuierlich Technical
Surveys im Vorfeld konkreter Maßnahmen statt (HARPVIKEN 2002, S. 936).
384
Mit der langsamen politischen Stabilisierung und der Verbesserung der Sicherheitslage nach dem Zusammenbruch
des Taliban-Regimes werden seit 2002 mit einer jährlichen Rate von 12-14 km² betroffener Fläche neue Minenfelder
identifiziert. Lange Zeit unzugänglich waren vor allem auch ca. 100 km² der ehemaligen Gebiete der Nordallianz
(TISA 2004c, S. 3).
385
Die Abweichungen von 100% ergeben sich aufgrund der Rundung bei der Berechnung der Prozentangaben (Anmerkung der Verfasserin).
145
10 Fallstudie Afghanistan
In Afghanistan beeinträchtigt demnach ein Großteil der Landminenkontaminierung – hierbei
auch UXO inbegriffen – die Weide- und Agrarflächen, was auch die neuesten Daten aus dem
Ende 2005 fertig gestellten Landmine Impact Survey für Afghanistan (ALIS) bestätigten (SAC
386
2005a, S. 45). Darüber hinaus stellt sich die aktuelle Landminenproblematik laut der ALISErgebnisse folgendermaßen dar: In Afghanistan sind 715 km² der Gesamtfläche und insgesamt
2.368 Communities in 259 der 329 Distrikte von einer Landminenkontaminierung betroffen,
was 8 Prozent der gesamten Communities entspricht. Das Leben von 4,2 Millionen Afghanen,
das heißt 15 Prozent der Gesamtbevölkerung, wird durch das Vorhandensein von Landminen
beeinträchtigt. Wie sich auch aus der dargestellten Verwendung der Landminentechnologie
im Afghanistankrieg ableiten lässt, konzentrieren sich die Minenfelder vor allem auf den
Norden und Osten des Landes und im Süden auf die Gebiete um die größeren Städte. Aber
auch in den anderen Regionen des Landes sind – bis auf die Provinz Uruzgan im Zentrum des
Landes – Minenfelder vorhanden (SAC 2005a, S.19f.).
Aufgrund des Ausmaßes der Kontaminierung – also der regionalen und flächennutzungsbezogenen Verteilung – stellen Landminen ein großes Hindernis für den Wiederaufbau und die
Entwicklung des afghanischen Staates dar (HRW 2001, S. 2001). Zum einen sind für den Aufbau der Ökonomie dringend erforderliche Flächen und Verkehrswege durch Landminen
blockiert, was sich negativ auf den industriellen Sektor, die Schaffung von Beschäftigungsmöglichkeiten, das Marktsystem und somit auf die gesamte wirtschaftliche Entwicklung auswirkt
(ICPF o.J., S. 3). Zum anderen sind vor allem aber auch die dringend für die Versorgung der
Bevölkerung benötigten landwirtschaftlichen Flächen und Siedlungsgebiete von der Kontaminierung betroffen (vgl. Tabelle 10), was – vor dem Hintergrund der Flüchtlingsproblematik
und den agrarisch geprägten Gesellschaftsstrukturen – die Sicherung der Grundbedürfnisse
insbesondere der Bevölkerung in den ländlichen Regionen über längere Zeit in Frage stellt.
Die Landminenkontaminierung in dem sich zwischen der Humanitären Not- und der Transformationsphase befindenden afghanischen Staat (vgl. Kapitel 6.4) stellt somit große Anforderungen an das nationale Mine-Action-Programm, das auf die unterschiedlichen Aspekte der
Landminenproblematik mit angemessenen Lösungsstrategien reagieren muss. Wie die MineAction-Strukturen in Afghanistan aufgebaut sind und auf welchen Methoden und Instrumenten
Planung und Prioritätensetzung basieren, wird im Folgenden erläutert.
10.2 Das nationale Mine-Action-Programm
Das afghanische Mine-Action-Programm (Mine Action Programme for Afghanistan – MAPA)
wurde 1989 von den UN ins Leben gerufen und gehört heute mit einem Budget von 97,2
387
Millionen US $ für das Jahr 2004 (MAPA o.J.a, S. 5) zu den größten nationalen Mine-Action388
Programmen weltweit (GICHD 2004b, S. 101). In der Erwartung des schnellen Aufbaus einer
neuen afghanischen Regierung nach Abzug der sowjetischen Truppen und damit verbunden
einer Rückkehr des Landes zu einer stabilen politischen Lage, die Wiederaufbaumaßnahmen
sowie eine Flüchtlingsrückkehr nach sich ziehen würde, und vor dem Hintergrund der vorhandenen Landminenproblematik wurden 1988 mit der Operation Salaam die ersten UN-initiierten Mine-Action-Aktivitäten in Afghanistan durchgeführt (GICHD 2004b, S. 100; HARPVIKEN
2002, S. 934). Ziel dieser in den pakistanischen Flüchtlingslagern organisierten Trainingsmaßnahmen war die Ausbildung von Flüchtlingen zu Minenräumern, die nach der Rückkehr in
ihre afghanischen Siedlungsgebiete die dort vorhandenen Minen räumen sollten. Operation
386
Der ALIS gibt an, dass 74% der verminten bzw. vermutlich verminten Gebiete eine Blockade von Weideland, 34%
eine Blockade von Flächen für den Regenfeldbau und 24% eine Blockade von bewässertem Ackerland darstellen (SAC
2005a, S. 45). Aufgrund der dem ALIS zugrunde liegenden Erhebungsmethoden waren Mehrfachnennungen hinsichtlich der Art der durch Landminen verursachten Blockade möglich, weshalb die Prozentangaben in der Summe 100%
überschreiten. Darüber hinaus wurden keine genauen Angaben zur Größe der Fläche erfasst, wodurch eine direkte
Gegenüberstellung der Ergebnisse innerhalb der Tabelle nicht durchführbar ist (vgl. Kapitel 8.1).
387
Diese Angaben beziehen sich auf das Haushaltsjahr 1383 nach der afghanischen Zeitrechnung, was dem Zeitraum
vom 21. März 2004 bis 20. März 2005 im westlichen Kalender entspricht. Die Datenerhebung in Afghanistan basiert
aber auf der westlichen Zeitrechnung und beinhaltet daher die Zeit zwischen dem 01. April 2004 und dem 31. März
2005 (MAPA o.J.a, S. 2).
388
Das Jahresbudget für 2004 wurde dem MAPA von 16 bilateralen Gebern und der EU zur Verfügung gestellt. Von
dem Gesamtjahresbudget sind 2004 60,5% in die Humanitäre Minenräumung, 18% in die Durchführung von Surveys,
8% in Trainings- und Kapazitätenbildungsmaßnahmen, 6,5% in die Koordinierung, 5% in die MAPA-Strukturen und
2% in Maßnahmen der Mine Risk Education geflossen. Insgesamt wurden von 1991 bis 2005 435 Mio. US $ von verschiedenen Gebern in Mine-Action-Aktivitäten in Afghanistan investiert (ICBL 2005a, o.S.).
146
10 Fallstudie Afghanistan
Salaam wurde aber zum einen aufgrund der geringen Anzahl tatsächlich nach dem Training
389
ins eigene Land zurückkehrender Flüchtlinge, zum anderen auch wegen fehlender Sicherheitsstandards und Kontrollmöglichkeiten sowie mangelnder medizinischer Versorgung im
Falle eines Räumunfalls von verschiedenen Seiten als Misserfolg gewertet und die Durchführung der Mine-Action-Maßnahmen umstrukturiert (EATON et al. 1997, Nr. 63; GICHD 2004b,
S. 100; ICPF o.J., S. 4.).
In Ermangelung einer funktionierenden nationalen Autorität in Afghanistan wurde 1989
innerhalb der Strukturen des UN-Organs UNOCHA (United Nations Office for the Coordination
390
of Humanitarian Assistance) das MAPA als zentraler Planungs-, Regulierungs-, Koordinierungs- und Ressourcenmobilisierungsmechanismus für die in Afghanistan durchzuführenden Mine-Action-Aktivitäten eingerichtet (vgl. EATON et al. 1997, Nr. 64 und HARVIKEN 2002,
S. 934f.). Das MAPA übernahm mit dem von Islamabad (Pakistan) aus operierenden United
Nations Mine Action Center for Afghanistan (UNMACA bzw. MACA) sowohl die Strategieentwicklung für einen nationalen Lösungsansatz für die Landminenproblematik, was den Funktionen einer nationalen Mine-Action-Behörde entspricht, als auch die Koordinierungsmaßnahmen eines Mine Action Centers (MAC) (EATON et al. 1997, Nr. 64f.; GICHD 2004b,
S. 101). Für die Durchführung der Maßnahmen wurden zwischen 1989 und 1991 mit Hilfe von
UNOCHA 5 afghanische Mine-Action-NGOs mit unterschiedlichen Arbeitsschwerpunkten ge391
gründet (vgl. Tabelle 11). Durch die auf diese Weise aufgebauten nationalen Mine-ActionStrukturen sollte die von Programmbeginn an geplante spätere Integration in nationale
Regierungs- und Verwaltungsstrukturen vereinfacht werden (EATON et al. 1997, Nr. 65; ICPF
o.J., S. 4).
Tab. 11: Übersicht über afghanische Mine-Action-NGOs
Name
ATC
MCPA
Afghan Technical Consultants
Mine Clearance and
Planning Agency
MDC
Mine Detection Dog
Centre
OMAR
Organization for Mine
Awareness and Rehabilitation
Demining Agency for
Afghanistan
Monitoring, Evaluation
and Training Agency
DAFA
META
Gründungsjahr
1989
Arbeitsschwerpunkt
Manuelle Räumung
1989
Durchführung von Surveys
Kartierung und Markierung von Minenfeldern
Vorbereitung von Arbeitsplänen
Aktualisierung der Datenbank
Minensuchhunde
1989 von RONCO/USAID aufgebaut
Seit 1994 unabhängige NGO
1990
Mine Risk Education
später auch Minenräumung
1990
Manuelle Räumung
Seit 1989 integraler
Bestandteil von MAPA
Seit 1997
unabhängige NGO
Technische und ManagementTrainingsmaßnahmen
Monitoring und Evaluierung der
Mine Action Aktivitäten
Qualitätsmanagement
Quelle: Eigene Zusammenstellung nach MAPA o.J.b, S. 27-35; MAPA o.J.d, o.S.
389
Von den ungefähr 12.000 bis 15.000 ausgebildeten Flüchtlingen sind nur geschätzte 500 als Minenräumer nach
Afghanistan zurückgekehrt (ICPF o.J., S. 4). Näheres zur Operation Salaam vgl. ICPF o.J., S. 4f.
390
Dieses UN-Organ, das zur Koordinierung länderspezifischer humanitärer und ökonomischer Hilfsprogramme
von den UN eingerichtet wurde, nahm die Arbeit unter dem Namen United Nations Office of the Coordinator of
Humanitarian and Economic Assistance Programmes relating to Afghanistan (UNOCA) auf und wurde 1992 in
UNOCHA (vgl. Kapitel 6.3) umbenannt (HARPVIKEN 2002, S. 934f. und S. 942; ICPF o.J. S. 2).
391
Grund für die Wahl dieses Ansatzes (dem Aufbaus lokaler Mine-Action-Kapazitäten) war zum einen, dass UNOCHA
eine direkte Involvierung in operationelle Aktivitäten vermeiden wollte (ICPF o.J., S.4), zum anderen aber auch die zu
diesem Zeitpunkt nur geringe Anzahl existierender internationaler Mine-Action-Organisationen (vgl. Kapitel 6.3) und
die politische Situation und Sicherheitslage im Lande, die den Einsatz externer Fachkräfte erschwerten (vgl. ICPF o.J.,
S. 4; GICHD 2004b, S. 100). Näheres zu den Hintergründen des Aufbaus lokaler NGOs in Afghanistan und den Vorteilen
dieses Ansatzes vgl. ICPF o.J., S.4 und S.7ff.; EATON et al. 1997, Nr. 65f. und GICHD 2004b, S. 91-130.
147
10 Fallstudie Afghanistan
Der Grundaufbau der Mine-Action-Strukturen bzw. des MAPA mit der von Beginn an vorgenommen klaren Trennung zwischen Koordinierung und Durchführung von Maßnahmen
(EATON et al. 1997, Nr. 64) sowie einem hohen Anteil an lokalen Mine-Action-NGOs hat sich bis
heute im Wesentlichen nicht verändert (MACG 2005, S. 4; HARPVIKEN 2002, S. 935). Der Aufgabenbereich des UNMACA (vgl. Kapitel 7.2) – seit 2002 nach Kabul verlegt und unter der Kontrolle von UNMAS – umfasst in dessen Funktion als Koordinierungscenter unter anderem Prioritätensetzung, Planung und Vergabe der Maßnahmen, technische und finanzielle Unterstützung der durchführenden Organisationen sowie Evaluierungsmaßnahmen für die landesweiten Mine-Action-Aktivitäten (GICHD 2004b, S. 101; HARPVIKEN 2002, S. 935). Unterstützt wird
die Arbeit des MACA von der afghanischen NGO Monitoring, Evaluation and Training Agency
(META), die für den Bereich der Trainingsmaßnahmen und des Qualitätsmanagements verantwortlich ist (BOHLE 2005: INT) und der mit der Datenerhebung bzw. Durchführung von
Surveys beauftragten NGO Mine Clearance and Planning Agency (MCPA). Insgesamt hat sich
das dem MAPA zur Verfügung stehende Akteursspektrum innerhalb der letzten 17 Jahre um
internationale NGOs (wie z.B. DDG und HALO-Trust) und kommerzielle Firmen (wie z.B.
392
RONCO) auf insgesamt 16 Organisationen erweitert (vgl. Tabelle 24 im Anhang). Derzeit
beschäftigen das UNMACA und die durchführenden Organisationen, die zusammen das MAPA
393
ausmachen, um die 10.000 Mitarbeiter, deren Arbeit über 7 regionale Büros – sog. Area Mine
394
Action Centers (AMACs) – auf Provinz- und Distriktebene koordiniert und überwacht wird
395
(BOHLE 2005: INT; DUCLAUX 2006: INT). Die Strukturen des MAPA mit einer für die landesweiten Mine-Action-Maßnahmen verantwortlichen zentralen Koordinierungs- und Planungsstelle, sowie die Arbeitsweise mit einem im internationalen Vergleich hohen Anteil einheimischen Personals haben in den letzten 17 Jahren in Afghanistan – also auch während der Zeit
der bewaffneten Auseinandersetzungen – die kontinuierliche und effektive Durchführung von
396
Räumaktivitäten und Surveys ermöglicht (HARVIKEN 2002, S. 935ff.).
Nach dem Zusammenbruch des Taliban-Regimes und einer Unterbrechung der Mine-ActionAktivitäten während der Operation Enduring Freedom (ICBL 2002, S. 588f.) haben sich mit der
Entstehung neuer nationaler Regierungsstrukturen Veränderungen für das MAPA ergeben
(vgl. Abbildung 27). Die Planung und Koordinierung der landesweiten Mine-Action-Aktivitäten
obliegt weiterhin dem UNMAS unterstellten UNMACA, das von UNOPS, UNDP und UNICEF
397
unterstützt wird.
392
Zu den wichtigsten Akteuren im Bereich der operationellen Mine Action gehören die in Tabelle 13 im Anhang aufgeführten afghanischen NGOs, sowie DDG und HALO-Trust. Näheres zu diesen und den weiteren, vor allem im Bereich der Victim Assistance und Mine Risk Education aktiven Organisationen vgl. MAPA o.J.b, S.27ff. und MAPA o.J.d,
o.S.
393
Ausgehend von 432 ausgebildeten afghanischen Minenräumern in den Anfangsjahren des Programms (1990) zeigt
die heutige Beschäftigtenzahl, dass eine starke Ausdehnung des MAPA in den letzten Jahren stattgefunden hat (MAPA
o.J.a, S. 8).
394
Diese AMACs sitzen in Kabul, Mazar-i-Sharif, Kandahar, Jalalabad, Herat, Gardez und Kunduz und arbeiten direkt
mit den Communities, der Provinz- und Distriktverwaltung, anderen UN-Organen und Hilfsorganisationen zusammen
(DUCLAUX 2006: INT).
395
Die Koordinierung der regionalen Mine-Action-Aktivitäten beinhaltet auch die Erarbeitung jährlicher Arbeitspläne
in Zusammenarbeit mit vor Ort aktiven Mine-Action-Organisationen. Diese Pläne werden anschließend vom UNMACA
auf Unstimmigkeiten, z.B. im Hinblick auf die nationale Prioritätensetzung, überprüft bzw. gegebenenfalls angepasst
und an die AMACs zur Durchführung gegeben (vgl. DANIDA o.J., o.S.).
396
So waren 2001 von 5000 Beschäftigten im Rahmen des MAPA nur weniger als 10 ausländische Fachkräfte. In
Cambodia – in Größe und Umfang des Programms mit Afghanistan vergleichbar – hingegen, lag der Anteil mit bis zu
70 externen Arbeitskräften wesentlich höher. Ungeachtet des hohen Anteils lokalen Personals innerhalb des MAPA
wird jedoch die hohe Konzentration externer Mitarbeiter im mittleren Management des Programms und die mangelnde Kapazitätenbildung in diesem Bereich kritisiert (vgl. HARVIKEN 2002, S. 935ff.).
397
Die Zusammenarbeit des UNMACA mit den 3 UN-Organen UNOPS, UNDP und UNICEF orientiert sich an deren
Arbeitsschwerpunkten (vgl. Kapitel 6.3). UNOPS unterstützt das UNMACA hinsichtlich Vertragsgestaltung, Finanzierung und Management und darüber hinaus auch im technischen Bereich. UNDP ist über Berater an der Kapazitätenbildung beteiligt, während UNICEF technische Experten für die Koordinierung der Mine-Risk-EducationMaßnahmen bereitstellt (DUCLAUX 2006: INT).
148
10 Fallstudie Afghanistan
Abb. 27: Koordinierungsstrukturen des Mine-Action-Programms Afghanistan MAPA
398
(Eigene Darstellung nach DUCLAUX 2006: INT)
Für die Entwicklung der übergeordneten MAPA-Strategiepläne ist 2003 von der afghanischen
Regierung die sog. Mine Action Consultative Group (MACG) eingerichtet worden (MAPA o.J.b,
S. 21). Diese Arbeitsgruppe, an der unterschiedliche Ministerien, das UNMACA, die durchführenden Mine-Action-Organisationen, sowie Geber und verschiedene in Afghanistan vertretene
UN-Organe beteiligt sind, dient der Verbesserung der Koordinierung der Mine-Action-Pläne
399
mit anderen nationalen Wiederaufbauprogrammen aber auch der Stärkung des Einflusses
der Regierung auf die nationalen Mine-Action-Aktivitäten (MAPA o.J.a, S. 8; vgl. ICBL 2005a,
o.S.).
Insgesamt haben sich seit der Ratifizierung der Ottawa-Konvention (01. März 2003) die Vorstellungen der Regierung hinsichtlich einer vollständigen Übernahme der Eigenverantwortung für das Mine-Action-Programm konkretisiert. Derzeit werden die von der dafür zuständi400
gen Mine Action Task Force (MATF) ausgearbeiteten Entwürfe für die Einrichtung einer
neuen nationalen Mine-Action-Autorität innerhalb der afghanischen Regierungsstrukturen von
den beteiligten Akteuren diskutiert und eine baldige Übergabe der Mine-Action-Strukturen an
eine nationale Mine-Action-Behörde ist absehbar (MAPA o.J.a, S. 8; vgl. ICBL 2005a, o.S.).
10.3 Instrumente für die Mine-Action-Planung in Afghanistan
Die im Kapitel 10.2 beschriebenen zentralen Planungs- und Koordinierungsstrukturen in
Afghanistan zeigen, dass ein Erfolg des MAPA in hohem Maße von einer angemessenen nationalen Strategie abhängt. Das Ausmaß der Landminenkontaminierung – laut ALIS sind 715 km²
betroffen – sowie die Verpflichtung des Staates, mit Unterzeichnung der Ottawa-Konvention
bis 2013 alle Minen zu räumen, machen eine angemessene Planung notwendig (MAPA o.J.a,
S. 8; SAC 2005a, S. 9). Da die derzeitige Räumgeschwindigkeit 30 km² pro Jahr beträgt (SAC
401
2005a, S. 13), würde es mehr als 20 Jahre dauern, bis alle derzeit identifizierten Minenfelder
398
Das in der Abbildung aufgeführte UNAMA ist das 2002 für die Unterstützung der Übergangsregierung eingerichtete
UN-Organ United Nations Assistance Mission for Afghanistan, das in verschiedenen Bereichen des Wiederaufbaus
Afghanistans involviert ist (UNDP 2004a, S. 82).
399
Die Mine-Action-Strategien sind Bestandteil der nationalen Entwicklungs- und Wiederaufbaustrategien (SAC 2005a,
S. 208). Darüber hinaus unterstützt das MAPA mit dem „Mine Action for Peace“ (MAP) Programm, in dessen Rahmen
ehemalige Konfliktbeteiligte zu Minenräumern ausgebildet werden, das nationale Programm zur Entwaffnung, Demobilisierung und Reintegration (Disarmement, Demobilization and Reintegration, DDR). Näheres zum MAP vgl.
STRAND 2004a.
400
Das MATF wurde Anfang 2004 innerhalb der MACG zur Erarbeitung einer Übergabestrategie eingerichtet (MAPA
o.J.a, S. 8; vgl. ICBL 2005a, o.S.).
401
Die Räumung ehemaliger Kampfgebiete, sog. battle areas, die keine Minen enthalten, aber mit ERW bzw. insbesondere UXO kontaminiert sind, weist mit durchschnittlich 60 km² pro Jahr eine höhere Räumquote auf (UNMAS 2003a,
149
10 Fallstudie Afghanistan
402
geräumt sind. Andererseits hat die Regierung aber bis 2013 nur 7 Jahre Zeit. Eine annähernde Lösung des Landminenproblems kann demnach – neben einem erforderlichen Ausbau der
MAPA Kapazitäten – nur über eine sinnvolle Prioritätensetzung hinsichtlich der Wichtigkeit
von Gebieten für die Verbesserung der Lebensumstände der Bevölkerung und die Entwick403
lung des Landes erreicht werden (vgl. Kapitel 7.1). Welchen Beitrag die seit 2002 in Afghanistan eingesetzten Instrumente ALIS und IMSMA zu einer Verbesserung der Planung des MAPA leisten können und welchen Stellenwert sie innerhalb des afghanischen Mine-ActionKontextes einnehmen, wird im Folgenden anhand ihrer landesspezifischen Durchführung und
Anwendung erläutert.
10.3.1 Die Einführung von LIS und IMSMA
Die Nutzung von Surveys hat in Afghanistan im Rahmen des MAPA eine lange Geschichte.
Schon während des Krieges wurde 1993 der weltweit erste landesweite Survey zur Erfassung
des Ausmaßes der Landminenkontaminierung durchgeführt. Im Laufe der Jahre wurde dieser
durch Technical Surveys, sowie auch Studien zur Einschätzungen der sozioökonomischen
404
Auswirkungen von Landminen ergänzt (HARPVIKEN 2002, S. 936; vgl. MCPA 1998). Die Daten
wurden in einer Datenbank, dem 1990 von MCPA entwickelten Management Information
405
System (MIS) verwaltet und dienten bis 2005 als Planungsgrundlage für die Mine-ActionMaßnahmen in Afghanistan (ATIQULLAH 2005: INT). Zusätzlich wurden von der seit 1988/89
vor allem im Zentrum und Norden des Landes tätigen Mine-Action-NGO HALO-Trust die Informationen über eigene Surveys und Räumaktivitäten separat gesammelt (FARID 2005: INT;
ICBL 2005a, o.S.). Mit den politischen Veränderungen nach dem Zusammenbruch des TalibanRegimes, der Unterzeichnung der Ottawa-Konvention und der damit verbundenen stärkeren
Involvierung der internationalen Gemeinschaft in den Wiederaufbau und die Mine-ActionAktivitäten (vgl. Kapitel 10.1.2 und Kapitel 10.2), die unter anderem auch einen Anstieg des
406
UNMAPA Budgets mit sich brachte (vgl. Abbildung 28), stieg bei den Mine-Action-Akteuren
der Bedarf an einer aktuellen landesweiten Einschätzung der Landminenkontaminierung
407
(FRUCHET/KENDELLEN 2006; S. 36). Aus diesem Grund wurde im November 2002 von UNDP,
SAC und der EU die Durchführung eines afghanischen LIS (vgl. Kapitel 8.1) vereinbart (SAC
408
2005a, S. 187).
Definition 3.18.; SAC 2005a, S. 13), da UXO meist auf der Bodenoberfläche verbleiben und somit eine schnellere Räumung ermöglichen (vgl. Kapitel 3.3.3).
402
Anhand der aktuellen ALIS-Daten wird die für eine effektive Reduzierung der Unfallgefahr und Durchführung von
Wiederaufbaumaßnahmen erforderliche Fläche auf 315 km² der insgesamt 715 km² geschätzt. Die Konzentration auf
diese Flächen würde – unter Beibehaltung der aktuellen Arbeitsweise und Ausstattung – bis zu 10 Jahre in Anspruch
nehmen und demnach auch eine jährliche Abwägung des Ressourceneinsatzes erfordern (SAC 2005a, S. 70f.).
403
Da nicht von allen Minenfeldern das gleiche Gefahrenpotenzial bzw. Entwicklungshemmnis ausgeht, gilt es vor
dem Hintergrund des benötigten langen Zeitraums für die vollständige Lösung des Landminenproblems, die Minenfelder vorrangig zu berücksichtigen, deren Räumung weit reichende positive Auswirkungen auf die Lebensumstände
der Bevölkerung sowie die Entwicklung des Landes haben (vgl. Kapitel 7.1).
404
Diese Studien erfassten die sozioökonomischen Auswirkungen auf Basis einer Kosten-Nutzen-Analyse (vgl.
Textbox 14). Vgl. hierzu WORLDBANK 2001 und MCPA 1998.
405
Die Verantwortung für MIS wurde 2001 von MCPA an UNMACA übergeben (ATIQULLAH 2005: INT).
406
Von 2001 bis 2004 stieg das Budget für Mine Action in Afghanistan von 14,1 Mio. US $ auf 97,2 Mio. US $ (ICBL 2003,
S. 59; ICBL, 2005a, o.S.).
407
Die vorhandenen Daten – zum Teil noch auf dem Stand der MCPA-Studie von 1993 – wurden diesbezüglich nicht
als ausreichend eingeschätzt, da sie zu Kriegszeiten erhoben wurden und aus Sicherheitsgründen nicht alle Gebiete
abdeckten bzw. die in den letzten Kriegsjahren neu verlegten Minenfelder sowie auch die Veränderungen der Bedürfnisstrukturen der Bevölkerung nicht beinhalteten (ATIQULLAH 2005: INT).
408
Die ersten Ansätze zur Durchführung eines LIS in Afghanistan von Seiten des SAC und UNMAS gab es schon
2000 zur Zeit des Taliban-Regimes. Aufgrund des mangelnden Interesses der internationalen Gemeinschaft an einer
Zusammenarbeit mit den Taliban und des militärischen Eingreifens der sog. Coalition against Terrorism wurde der
ALIS zu diesem Zeitpunkt nicht durchgeführt (FRUCHET/KENDELLEN 2006, S. 36).
150
10 Fallstudie Afghanistan
Jahresbudget des UNMAPA 1991-2004
120
100
80
Millionen US$
60
40
20
0
Jahresbudget
19911994
1995
1996
1997
1998
1999
2000
2001
2002
2003
2004
53,4
15,6
17,8
20,2
27
21,9
22,8
14,1
64,3
75,2
97,2
Abb. 28: Jahresbudget des MAPA 1991-2004
(Eigene Zusammenstellung nach ICBL 1999, S. 438; ICBL 2000, S.457;
ICBL 2002, S. 597; ICBL 2003, S. 59; ICBL 2004, S.83; ICBL 2005a, o.S.)
Unter Berücksichtigung der langjährigen Erfahrung der Mine-Action-Akteure in Afghanistan
wurde für den ALIS eine modifizierte Form des Landmine Impact Surveys – der sog. Retrofit
Landmine Impact Survey – gewählt, wobei die in einem Land vorhandenen für Landminen
409
relevanten Daten in den Survey-Prozess mit einbezogen werden (vgl. SAC 2003d, S. 1).
Der ALIS sollte entsprechend seines zugrunde liegenden Konzeptes anhand neuer sozioökonomischer Daten eine Kategorisierung der Communities liefern sowie die über die Jahre
(seit 1988/89) angesammelten Daten aktualisieren und in einer einheitlichen Datenbank
zusammenführen. Weiterhin sollten die zuvor auf Flächenangaben basierenden Minenfeldinformationen auf die Commuity-Ebene übertragen werden, um eine bessere Einschätzung
der Auswirkungen der Landminenkontaminierung auf die Bevölkerung zu erhalten (SAC
2005a, S. 8). Für den Aufbau der neuen Datenbank wurde gemäß dem internationalen Standard das Informationsmanagementsystem IMSMA (vgl. Kapitel 8.2) in Afghanistan eingeführt
(SAC 2005a, S. 201). Die lokale NGO MCPA wurde im Mai 2003 vom SAC beauftragt, den
neuen für Afghanistan spezifischen LIS durchzuführen. Es wurden von November 2003
bis November 2004 Community Interviews in 9.000 vom EOC und anhand der vorhandenen
Daten identifizierten, vermutlich von Minen betroffenen Communities durchführt
(FRUCHET/KENDELLEN 2006; S. 36; SAC 2005a, S. 187). Im Januar 2005 – also über 2 Jahre
nach der Entscheidung, den ALIS durchzuführen – wurden die aktualisierten Daten bzw. die
auf IMSMA basierende Datenbank an das UNMACA für die Restrukturierung der Mine-ActionAktivitäten übergeben. Die Fertigstellung des ALIS-Abschlussberichtes hat noch ein wie410
teres Jahr in Anspruch genommen (SAC 2005a, S. 187ff.), wobei dieser nicht als das eigentliche Ergebnis des ALIS zu betrachten ist, sondern vielmehr die mittels IMSMA zentral verwalteten, standardisierten Datenmengen, deren Analyse die Planung des MAPA verbessern sollen
(MACDONALD 2005: INT).
409
Näheres zu den Richtlinien für die Durchführung eines Retrofit-LIS und den erforderlichen Arbeitsschritten vgl. SAC
2003d.
410
Die Veröffentlichung des Abschlußberichtes wurde im Hinblick auf den UN-Zertifizierungsprozess (vgl. Kapitel
8.1.3.1) und die Überprüfung des Berichtes durch die afghanische Regierung für März 2006 angesetzt (SAC 2005a,
S. 189).
151
10 Fallstudie Afghanistan
10.3.2 Die Umsetzung des LIS
Wie in Kapitel 8.1.3.1 und Kapitel 8.1.3.2 gezeigt wurde, wird Anwendbarkeit und Nutzen der
LIS-Ergebnisse von den Mine-Action-Akteuren unterschiedlich und zum Teil sehr kritisch bewertet. Welche neuen Ansätze bei der Durchführung des ALIS verfolgt wurden bzw. werden,
um die Akzeptanz bei den Mine-Action-Akteuren zu steigern – nicht zuletzt auch um durch die
Sicherstellung der aktiven Nutzung die Investition von 3.004.494 US $ (SAC 2005a, S. 11) in die
Durchführung zu rechtfertigen – wird im Folgenden an ausgewählten Beispielen erläutert.
Zusätzlich wird in diesem Zusammenhang auf einzelne Schwächen des für Afghanistan spezifischen LIS herausgestellt. Im Hinblick auf die kurze Zeitspanne seit Fertigstellung des ALIS
und daher bisher fehlenden Evaluierungen basieren die folgenden Ausführungen im Wesentlichen auf den Informationen aus der Expertenbefragung.
10.3.2.1 Durchführung des LIS
Zur Steigerung der Akzeptanz bei den Mine-Action-Akteuren vor Ort war die Integration
des Survey-Prozesses in die vorhandenen Mine-Action-Strukturen von Beginn an im Konzept
des ALIS verankert. Zum einen wurden – wie schon angesprochen – durch die Einbeziehung
der vorhandenen Daten (sowohl der MIS- als auch der HALO-Trust-Daten) die Kenntnisse
der Mine-Action-Akteure in den ALIS einbezogen. Ungeachtet der mit der Überprüfung des
Retrofit-Ansatzes des ALIS beabsichtigten Aktualisierung der Daten, bestanden während der
Durchführung des ALIS seitens einzelner Akteure aber weiterhin Vorbehalte hinsichtlich der
Erfordernis einer solchen Überprüfung und Erweiterung der existierenden Datenmengen
411
(KENDELLEN 2005: INT; MOHIBZADA 2005: INT). Zum anderen wurde für die Durchführung
der Community Interviews mit MCPA eine lokale NGO ausgewählt, die auf eine sechzehnjähri412
ge Erfahrung in der Durchführung von Surveys sowie dementsprechende Fachkenntnisse
zurückgreifen konnte (ATIQULLAH 2005: INT). Darüber hinaus war MCPA mit den lokalen
Rahmenbedingungen vertraut und der Bevölkerung aufgrund vorangegangener Aktivitäten
bekannt, wodurch die Arbeit und Kommunikation mit der lokalen Bevölkerung vereinfacht
und trotz der schwierigen Sicherheitssituation im Lande die Untersuchung von 324 der
329 Distrikte ermöglicht wurde (SAC 2005a, S. 200 u. S. 329). Problematisch in diesem Zusammenhang erwies sich die Untersuchung der südlichen Regionen um Kandahar, da sich
Mitglieder der ursprünglichen Survey Teams aufgrund der dortigen Sicherheitslage weigerten,
die Community Interviews durchzuführen. Um dennoch diese Gebiete weitestgehend abdecken
zu können, mussten die Survey Teams umstrukturiert bzw. 50 Prozent der insgesamt 30 ZweiPersonen-Teams durch regionale, neu ausgebildete Kräfte ersetzt werden (SAC 2005a,
413
S. 149ff.; ATIQULLAH 2005: INT; KENDELLEN 2005: INT; MACDONALD 2005: INT).
In der Zusammensetzung der Teams wurde durch den Einsatz je eines in Kartierung erfahrenen MCPA Mitarbeiters den Wünschen des UNMACA hinsichtlich genauerer Daten zur Lage
der Minenfelder entsprochen. Deshalb ist anzunehmen, dass die diesbezüglich im Rahmen
anderer LIS-Prozesse geäußerte Kritik der Ungenauigkeit der Lagebeschreibungen nicht in
dieser Weise auf den ALIS zu beziehen ist (SAC 2005a, S. 150). Inwieweit trotzdem die Qualität
der Flächenangaben Anlass zur Beanstandung bietet, wird sich aufgrund der bisher relativ
kurzen Anwendung der Daten in der Praxis erst in den nächsten Jahren zeigen. Eine wesentliche, bereits jetzt festzustellende Schwäche des ALIS hingegen liegt in der Repräsentativität der
ausgewählten Interviewpartner. Obwohl das Konzept des LIS eine möglichst repräsentative
Beteiligung aller Bevölkerungsgruppen vorsieht (SAC 2003f, S. 3; vgl. auch Kapitel 8.1.2.3
und Kapitel 8.1.3.1), blieb die weibliche Bevölkerung in Afghanistan weitestgehend aus dem
Survey-Prozess ausgeschlossen. Weder an den Survey Teams, noch den Community Interviews
waren Frauen beteiligt, was auf die soziokulturellen Hintergründe der islamischen Gesell411
In diesem Zusammenhang wurden insbesondere die Mitarbeiter der AMACs, sowie auch die NGO HALO-Trust
genannt (MOHIBZADA 2005: INT). Der Vorbehalt HALO-Trust gegenüber dem ALIS wird daran deutlich, dass diese
Organisation im Anschluss an die Fertigstellung des ALIS die Überprüfung der Ergebnisse durch eigene Surveys für
notwendig erachtet hat (FARID 2006: INT).
412
Neben den in Afghanistan durchgeführten Surveys war MCPA auch für die Durchführung des LIS im Yemen verantwortlich (SAC 2005a, S. 8).
413
Umstrukturierungen dieser Art waren weder im Zeitrahmen noch im Budget mit einkalkuliert (MACDONALD 2005:
INT).
152
10 Fallstudie Afghanistan
schaftsstrukturen zurückgeführt wird (vgl. SAC 2005a, S. 153). Wie aber schon anhand des
Yemen-Beispiels (vgl. Kapitel 8.1.3.1) gezeigt wurde, besteht somit die Gefahr, dass die Lebenswelt einer bestimmten Bevölkerungsgruppe – im Falle Afghanistans die der Frauen – bei
der Einschätzung der sozioökonomischen Auswirkungen unterrepräsentiert ist. Vor dem Hintergrund, dass der Frauenanteil an den Arbeitskräften in der Landwirtschaft bei geschätzten
70 Prozent liegt (ADB 2003, S. 3) und diesbezügliche Blockaden erhoben werden sollten, wurde im Rahmen des ALIS eine wichtige Informationsquelle zur Einschätzung der von Land414
minen verursachten Auswirkungen nicht genutzt. Ob dieser Aspekt bei den durchführenden
Akteuren in der weitergehenden Verwendung der ALIS-Daten mit berücksichtigt wird, ist fraglich, da im Rahmen der Experteninterviews hinsichtlich der Repräsentativität der Ergebnisse
415
diese Problematik nicht thematisiert wurde.
Insgesamt war die Durchführung des ALIS – wie bei einem solchen komplexen Ansatz in
einer Postkonfliktgesellschaft zu erwarten war – begleitet von logistischen, organisatorischen
und vor allem auch sicherheitsbedingten Schwierigkeiten (KENDELLEN 2005: INT). Insbesondere der Sicherheitsaspekt, aber auch die landesspezifischen klimatischen und geographi416
schen Bedingungen haben die Durchführung des ALIS erschwert (ATIQULLAH 2005: INT; MOHIBZADA 2005: INT). Die flexible Nutzung von lokalen Transportmitteln (wie z.B. Esel) zur Erreichung entlegener Gebiete oder auch vor Ort angemietete Pkws zur Reduzierung der
Gefahr von Überfällen haben im großen Maße zur erfolgreichen Durchführung des ALIS beigetragen (SAC 2005a, S. 199f.; MACDONALD 2005: INT).
10.3.2.2 Der Afghanistan spezifische ‚Mine Impact Score’
Ein kritischer Aspekt bezüglich der Repräsentativität und Aussagekraft der LIS-Daten ist, wie
in Kapitel 8.1.2.1 dargestellt wurde, der der Kategorisierung der Communities zugrunde gelegte Mine Impact Score. In Afghanistan wurden die Indikatoren und deren Gewichtung von Vertretern unterschiedlicher Ministerien, sowie unter Beteiligung von UNMACA, UNDP, UNOPS,
UNHCR, SAC und der MCPA vor der Durchführung der Community Interviews festgelegt
(KENDELLEN 2005: INT). Anhand Tabelle 12 wird deutlich, dass die Indikatoren Wasserressourcen und Siedlungsfläche entsprechend des landesspezifischen Kontextes (vgl. Kapitel 10.1)
höher bewertet wurden.
Tab. 12: Sozioökonomische Indikatoren im ALIS ‚Mine Impact Score’
Bewässertes Ackerland blockiert
Wenn ja,
1 Punkt
Regenbewässertes Ackerland blockiert
Wenn ja,
1 Punkt
Weideland blockiert
Wenn ja,
1 Punkt
Wasserressourcen blockiert
Wenn ja,
2 Punkte
Siedlungsfläche blockiert
Wenn ja,
2 Punkte
Straßen blockiert
Wenn ja,
1 Punkt
Entwicklungsbezogene & wirtschaftliche Aktivitäten blockiert
Wenn ja,
2 Punkte
Quelle: MACDONALD 2005: INT (aus dem Englischen übersetzt).
Ebenso wurde mit der Aufteilung der landwirtschaftlichen Fläche und deren gleichwertigen
Gewichtung regionalen Unterschieden zwischen dem Norden und dem Süden des Landes
Rechnung getragen, wodurch der Entstehung potentieller Konflikte hinsichtlich der Bevorzugung einer Region entgegengewirkt wurde (MACDONALD 2005: INT). Der Indikator ‚Blockade
entwicklungsbezogener und wirtschaftlicher Aktivitäten’ sollte zur Erfassung der Behinderung
414
Als wichtig erachtet wurde aber die Beteiligung der Kuchis, deren Betroffenheit von Landminen durch spontane
Interviews erfasst wurde (SAC 2005a, S. 38f.).
415
Nur der Director for Survey des SAC Mike KENDELLEN hat im Bezug auf Probleme der Repräsentativität der Interviewpartner festgestellt: „The field supervisors request that a representative group of people be chosen and that women
must be represented. In Afghanistan, however, no women participated” (KENDELLEN 2005: INT).
416
So wurde z.B. bei der Planung der Community Interviews die mit den Jahreszeiten verbundene Unzugänglichkeit
der hochgelegenen Gebiete nicht berücksichtigt (MOHIBZADA 2005: INT).
153
10 Fallstudie Afghanistan
von Entwicklungs- und Wiederaufbauprojekten durch Landminen dienen. Da aber der Bevölkerung diesbezügliche Pläne häufig nicht bekannt waren und demnach nur 9 Prozent der befragten Communities diesen Indikator als von einem Minenfeld ausgehendes Problem genannt
haben (SAC 2005a, S. 45), ist die Aussagekraft dieses Indikators als sehr gering einzuschätzen.
Dieses Beispiel zeigt, dass die bisher nicht im Konzept vorgesehene Möglichkeit einer Anpassung der Indikatoren bzw. der Gewichtung während eines LIS-Prozesses die Aussagekraft der
Ergebnisse steigern könnte. Im Fall des ALIS hätte somit der Indikator ‚Blockade entwicklungsbezogener und wirtschaftlicher Aktivitäten’ nach den ersten wenig aussagekräftigen Angaben der Bevölkerung durch einen an die lokalen Bedürfnisstrukturen besser angepassten
417
Indikator ersetzt werden können (KENDELLEN 2005: INT). Trotz dieser Schwäche wird die
Gewichtung der Indikatoren als angemessen betrachtet (MACDONALD 2005: INT; MOHIBZADA
2005: INT) bzw. auf die Möglichkeit der nachträglichen Anpassung durch Analysen mit Hilfe
der IMSMA-Software verwiesen (KENDELLEN 2005: INT).
Die in Kapitel 8.1.3.1 erläuterte Problematik der Übergewichtung der Opferzahlen bei der
Berechnung des Mine Impact Scores wird auch im Rahmen des ALIS als nicht angemessen und
daher überarbeitungsbedürftig bewertet. Die Erfahrungen der Survey Teams haben gezeigt,
dass für Afghanistan die Anzahl der Minenunfälle ein repräsentativeres Bild der Situation in
418
vielen Communities ergeben würde. Darüber hinaus müsste auch im Bereich der sozioökonomischen Blockaden, laut HAYATULLAH WAHDAT, Country Team Leader für den ALIS, die
Einbeziehung von bestehenden Alternativen zu blockierten Flächen ermöglicht werden (SAC
2005a, S. 203; vgl. auch MOHIBZADA 2005: INT). In diesem Zusammenhang wird von verschiedenen Experten auf das diesbezügliche Modifizierungspotenzial der IMSMSA-Software verwiesen, da eine Anpassung während der Durchführung den Datenerhebungsprozess verkomplizieren würde (KENDELLEN 2005: INT).
10.3.2.3 Die ‚Landmine Impact Assessment Teams’ (LIATS)
Eine wesentliche Verbesserung ist im Rahmen des ALIS bezüglich der immer wieder angeführten Kritik, der LIS liefere nur ein Standbild der Situation zu einem gegeben Zeitpunkt und
die Daten wären schon nach kurzer Zeit nicht mehr für die Planung von Mine-ActionMaßnahmen verwendbar (vgl. Kapitel 8.3), eingeführt worden: Erstmalig im Laufe der LISGeschichte wurde von den durch den LIS-Prozess aufgebauten Strukturen profitiert, indem
nach Beendigung der Datenerhebung 21 der Survey Teams langfristig den regionalen MineAction-Centern als sog. Landmine Impact Assessment Teams (LIATS) zugewiesen wurden. Die
Aufgabe der LIATS besteht in der kontinuierlichen Überprüfung und Aktualisierung der ALISDaten sowie der Untersuchung bisher nicht erfasster Communities (MOHIBZADA 2005: INT). Auf
diese Weise können die in IMSMA enthaltenen Daten den veränderten Rahmenbedingungen
angepasst und eine Angleichung der Einstufung der Communities vorgenommen werden
419
(DUCLAUX 2006: INT).
Auch wenn mit der Einführung der LIATS in Afghanistan die Möglichkeiten geschaffen wurden, den ALIS als kontinuierlichen Prozess der Datenerhebung zu nutzen, so zeigen folgende
Aspekte, dass auch in Afghanistan ein weiterer Bedarf hinsichtlich der Förderung der Kapazitätenbildung in der Datenverarbeitung zum einen und der Verbesserung der Transparenz des
ALIS-Prozesses zum anderen besteht. Die Aktualisierung der Daten durch die Erhebungen der
LIATS wird aufgrund technischer Schwierigkeiten und der bisher nicht ausreichend vorhandenen lokalen Kapazitäten zur Lösung derartiger Probleme in Frage gestellt (KENDELLEN 2005:
INT; MACDONALD 2005: INT). Dadurch wird das Vertrauen der Akteure in die Verlässlichkeit
der Daten geschwächt, was sich auf die Akzeptanz der Daten von Seiten der Akteure auswirkt
und den Ansatz eines als Prozess verstandenen LIS gefährdet (FASTH 2005: INT).
417
Da für den Bereich der sozioökonomischen Blockade insgesamt nur 10 Punkte zur Verfügung stehen, kann ein
solcher unangemessener Indikator, der 2 Punkte ‚blockiert’, das Gesamtergebnis des Mine Impact Scores verfälschen
(vgl. Kapitel 8.1.2.1).
418
Die Begründung für eine solche Anpassung gleicht der in Kapitel 8.1.3.1 dargestellten Problematik.
419
So kann eine Community nach abgeschlossener Räumung einer bestimmten Fläche niedriger eingestuft werden,
obwohl noch weitere Minenfelder vorhanden sind, von denen aber nur eine geringe Gefahr ausgeht (vgl. ATIQULLAH
2005: INT).
154
10 Fallstudie Afghanistan
Darüber hinaus besteht auch in Afghanistan die Problematik der Verfügbarkeit der Daten für
die Akteure bzw. des eingeschränkten Zugangs zu den in IMSMA verwalteten Informationen.
Derzeit werden monatlich nur schreibgeschützte Informationen an die durchführenden Akteure weitergegeben (MOHIBZADA 2005: INT). Da die Informationen in dieser Form nur begrenzte
Analysemöglichkeiten bieten, darüber hinaus den durchführenden Organisationen die tatsächliche Aktualität der Daten aufgrund mangelnder Transparenz der Datenverarbeitungsprozesse
nicht ersichtlich ist, müssten in diesem Bereich Veränderungen erfolgen, um eine effektivere
Nutzung der ALIS-Daten langfristig zu garantieren. Inwieweit die Einführung der neuen IMSMA-Version 4 dazu beitragen kann, wird auch in Afghanistan von der Informationspolitik der
verantwortlichen Regierungsorgane abhängen (MACDONALD 2005: INT).
10.3.2.4 Die Ergebnisse des LIS
Im Hinblick auf die Verbesserung der Datengrundlage für die Mine-Action-Planung lassen sich
die wichtigsten Ergebnisse der soziökonomischen Datenerhebung und des Retrofit-Ansatzes
des ALIS wie folgt zusammenfassen (vgl. auch Tabelle 13).
Tab. 13: Auszug aus den Ergebnissen des ALIS
Anzahl vermuteter Minenfelder
Gesamt
High Impact
Medium Impact
Low Impact
4.514
718
1.055
2.741
Weidefläche
Regenbewässertes Ackerland
Künstlich bewässertes Ackerland
Straßen
Wasser
Siedlungsfläche
71%
28%
19%
18%
7%
13%
Blockade von
Betroffene Communities
Gesamt
High Impact
Medium Impact
Low Impact
75% der betroffenen Communities liegen in 12 der 32 Provinzen
7% der insgesamt 33.000 Communities sind von Landminen betroffen
281
480
1607
Betroffene Bevölkerung
Gesamt
High Impact
17% der Gesamtbevölkerung sind von Landminen betroffen
Minenopfer
(in den letzten 2 Jahren)
Gesamt
90% der Opfer waren männlich
63% der Opfer waren zwischen 15 und 44 Jahre alt
17% der Opfer waren zwischen 5 und 14 Jahre alt
4,2 Millionen
1,6 Millionen
2.245
Tätigkeit zum Zeitpunkt
des Unfalls
Feuerholzsammeln, Wasserholen
29%
Viehweiden
28%
Ackerbau
14%
Spielen/Hantieren mit Landminen
5%
und/oder UXO
42% der überlebenden Opfer nach dem Unfall ohne Beschäftigungsmöglichkeit
Quelle: SAC 2005 ALIS, S.19, S. 26, S. 33f. u. S. 45.
155
10 Fallstudie Afghanistan
Die Überprüfung der vorhandenen Daten hat ergeben, dass 50 Prozent der in den Datenbanken und anderen Quellen enthaltenen und bisher zur Planung genutzten Informationen nicht
420
mehr zutreffend waren. Zum einen wurden Gebiete trotz abgeschlossener Räumung als
vermint geführt. Sie konnten in der IMSMA-Datenbank als geräumt gekennzeichnet werden
(KENDELLEN 2005: INT). Zum anderen wurden neu identifizierte Minenfelder aufgenommen.
Durch diese Korrektur konnte die in Afghanistan von Landminen betroffene Fläche um 15
421
Prozent reduziert werden (SAC 2005a, S. 9). Darüber hinaus sind die zuvor auf die Größe der
Minenfelder bezogenen Daten auf die Einheit der Communities umgestellt worden, wodurch
eine an der Reduzierung der Auswirkungen gemessene Beurteilung des Fortschritts des MAPA
422
ermöglicht wird (FRUCHET/KENDELLEN 2006, S. 36; SAC 2005a, S. 13).
Insgesamt hat sich das Gesamtbild des in Afghanistan vorhandenen Ausmaßes der Landminenkontaminierung durch den ALIS verändert. Vor der ALIS-Durchführung wurde von einer
Gleichverteilung der Minenfelder im gesamten Landesgebiet, sowie aufgrund der Größe der
Minenfelder in den südlichen und südwestlichen Regionen von einer stärkeren Betroffenheit
423
der dort ansässigen Bevölkerung ausgegangen.
Wie der in Abbildung 29 dargestellten Verteilung der betroffenen Communities zu entnehmen
ist, hat der ALIS ergeben, dass sich – gemessen an den Auswirkungen auf die Communities –
die am stärksten betroffenen Gebiete auf 12 der 32 Provinzen im Zentrum und Norden des
424
Landes konzentrieren (FRUCHET/ KENDELLEN 2006, S. 37).
Demnach kann durch eine
Schwerpunktverlagerung der Mine-Action-Aktivitäten auf diese Regionen das Landminenproblem gezielter angegangen werden, und im Hinblick auf die in diesen Regionen höhere
Bevölkerungskonzentration (vgl. Abbildung 37 im Anhang) die Lebensumstände einer größeren Bevölkerungsgruppe verbessert werden.
420
Gebiete wurden entweder durch nicht in die Datenbank aufgenommene professionelle Räummaßnahmen oder
durch Village Demining von Landminen befreit.
421
Die gesamte betroffene Fläche wurde vor dem ALIS von UNMACA auf 850 km² geschätzt, während der ALIS eine
Gesamtfläche von 715 km² angibt (SAC 2005a, S. 9).
422
Vor dieser Umstellung wurde der Erfolg der Maßnahmen in reduzierter Quadratmeterfläche gemessen, was im
Hinblick auf den im Kapitel 7.1 dargestellten Paradigmenwandel und die damit verbundene Einsicht, dass nicht die
Größe des Minenfeldes bzw. die Anzahl der Minen ausschlaggebend für das Ausmaß der Auswirkungen sind, sondern
vielmehr die durch Minen hervorgerufene Blockade der Nutzung eines betroffenen Gebietes (vgl. Kapitel 7.1).
423
Die regionale Konzentration der für 2004/05 geplanten Maßnahmen der Humanitären Minenräumung auf den Süden des Landes spiegelt diese ursprüngliche Einschätzung der Situation wieder (vgl. MAPA o.J.d, S. 4f.).
424
Insgesamt liegen 75% der betroffenen Flächen in den 12 Provinzen, von denen die Provinzen Kabul, Parvan und
Baghlan eine stärkere Konzentration aufweisen (FRUCHET/KENDELLEN 2006, S. 37).
156
10 Fallstudie Afghanistan
Abb. 29: Verteilung der betroffenen ‚Communities’ nach dem ALIS ( UNMACA, Dez. 2004)
157
10 Fallstudie Afghanistan
Weiterhin hat der ALIS gezeigt, dass die landesweiten Opferzahlen aus Unfällen in 28 Prozent
der Communities resultieren. Das bedeutet, die Reduzierung der Opferzahlen könnte durch
eine gezielte Räumung von 100 km² in diesen Communities erreicht und die Planung der MAPA
diesbezüglich ausgerichtet werden. Außerdem ergeben die Analysen der ALIS-Datenbank,
dass die Räumung von weniger als der Hälfte der gesamten betroffenen Fläche (315 km² von
715 km²) ausreichen würde, um sowohl das direkte Risiko für die Bevölkerung zu reduzieren,
als auch die für dringend benötigte Wiederaufbaumaßnahmen und Herstellung der Infrastruktur benötigten Flächen zur Verfügung zu stellen (FRUCHET/ KENDELLEN 2006, S. 38; SAC 2005a,
S. 12).
Aufgrund der genannten Ergebnisse kann der ALIS – trotz der genannten Kritikpunkte – als
Fortschritt für die Mine-Action-Aktivitäten in Afghanistan bewertet werden. Insbesondere die
Einführung der auf IMSMA basierenden Datenbank und der über den Einsatz der LIATS verfolgte Ansatz, den ALIS nicht als Event sondern als Prozess zu verstehen, bietet viele Möglichkeiten für die weitere Planung der Mine-Action-Aktivitäten. Dies bestätigen auch die Aussagen
425
der Experten, indem sie die aus dem ALIS resultierende neue Einschätzung der landesweiten Kontaminierung als der Situation angemessen und als guten Ausgangspunkt für weitere
Analysen bewerten (KENDELLEN 2005: INT; MACDONALD 2005: INT; ATIQULLAH 2005: INT). Auch
wenn von einigen Akteuren an der Kritik der Qualität der auf Communitiy Interviews basierenden Datenerhebung festgehalten und die Durchführung eigener Surveys zur Einschätzung der
426
Situation als erforderlich erachtet wird (FASTH 2005: INT), stößt der ALIS-Prozess im Vergleich zu den LIS in anderen Ländern auf eine höhere Akzeptanz in dem breiten Akteursspektrum (KENDELLEN 2005: INT). Diese ist nicht zuletzt auf die Verbesserungen im Hinblick
auf die methodischen Kritikpunkte und die Fortführung der Datenerhebung nach Abschluss
der eigentlichen Untersuchung zurückzuführen und kann somit zu einer effektiveren Nutzung
der ALIS-Ergebnisse beitragen.
10.4 Prioritätensetzung im Rahmen des
‚Mine Action Program for Afghanistan’ (MAPA)
Die Ergebnisse des ALIS und die Beurteilung der Experten verdeutlichen, dass aufgrund der
Aktualisierung und Erweiterung der Daten und des Ansatzes der sog. community-based Erhebung der Landminenproblematik eine verbesserte Datengrundlage für die nationale Strategieentwicklung und Prioritätensetzung geschaffen wurde (MACDONALD 2005: INT). Anhand der
Prioritätensetzung des MAPA für das Jahr 2006/07 (vgl. Tabelle 25 im Anhang) wird deutlich,
dass die Kategorien des ALIS in die Prioritätensetzung Eingang gefunden haben und die zuvor
an Risiko- bzw. Unfallreduzierung, Flüchtlingsproblematik und dem Wiederaufbau orientier427
ten Prioritäten des MAPA (vgl. Tabelle 26 im Anhang) erweitert wurden. Da der ALIS die
grundlegende Problematik der Verminung von landwirtschaftlichen Flächen, Siedlungsgebieten, Straßen und Bewässerungssystemen, sowie das hohe Unfallrisiko in einigen Regionen
bestätigt hat, ist dieser Bereich der Prioritätensetzung weitestgehend übernommen worden.
Hervorzuheben ist an dieser Stelle, dass eine Differenzierung zwischen High Impact und High
Priority berücksichtigt wurde (vgl. Kapitel 8.1.2). Zwar orientiert sich die Grundeinteilung an
den Kategorien High Impact, Medium Impact und Low Impact und somit an den Bedürfnissen
der lokalen Bevölkerung, sieht aber auch die Räumung von Low Impact Communities vor,
wenn dadurch Wiederaufbaumaßnahmen ermöglicht werden.
425
Der ALIS bietet mit einer Wahrscheinlichkeit von 95% die Sicherheit, dass nicht mehr als 568 betroffene Communities nicht erfasst wurden (SAC 2005a, S. 167).
426
Die Kritik des Programmmanagers der NGO DDG konzentriert sich auf die Problematik der Vertretung von Eigeninteressen im Rahmen von Community Interviews. Darüber hinaus wird auch die Kategorisierung der Communities als
nicht angemessen betrachtet (vgl. FASTH 2005: INT).
427
Die an Risiko- bzw. Unfallreduzierung, der Flüchtlingsproblematik und dem Wiederaufbau orientierten Prioritäten
spiegeln die aktuelle Position des Landes zwischen den Post-Konfliktphasen der Humanitären Notsituation und Transformationsphase wieder (vgl. Kapitel 6.4).
158
10 Fallstudie Afghanistan
Dass diese Interpretation der ALIS-Daten im Sinne des Konzeptes ist, macht auch der diesbezügliche Hinweis KENDELLENS deutlich:
„Too often the categories of high, medium and low impact are considered the equivalent of high, medium and low priority. This is an incorrect assumption and very
unfortunate. […] Mine Action must be tied into overall national and provincial
development and reconstruction plans, which could lead to clearing low impacted
communities in order to repair bridges and roads and gain access to water and
agricultural land“
(KENDELLEN 2005: INT).
Insgesamt hat der LIS aufgrund der in Afghanistan angewandten Erweiterung der Datenerhebung und des Prozessverständnisses ein großes Potenzial, zur Verbesserung von Planung und
Prioritätensetzung aber auch zur Integration von Mine Action in die Entwicklungspläne beizutragen, wie das folgende Beispiel verdeutlicht. Im Hinblick auf die gesamtgesellschaftlichen
Entwicklungspläne und der Erkenntnis, dass Landminen ein wesentliches Hindernis für die
Entwicklung des Landes darstellen, wurde die Erhebung der ALIS-Daten um die Erfassung
von für die Infrastruktur relevanten Daten erweitert (SAC 2005a, S. 156). Eine direkt an
den Abschluss der Datenerhebung anschließende Analyse der diesbezüglichen Daten hat verdeutlicht, welchen Beitrag der ALIS zur Prioritätensetzung leisten kann. Abbildung 30 zeigt,
welche Minenfelder Wiederaufbaumaßnahmen im Bereich des Straßensystems blockieren (zur
Blockade bewässerter Ackerflächen vgl. auch Abbildung 38 im Anhang).
Abb. 30: Minenfelder, die den Wiederaufbau des Straßensystems blockieren
(SAC/UNMACA 2005, S. 4)
159
10 Fallstudie Afghanistan
Mit Hilfe der detaillierten ALIS-Daten bezüglich der Fläche und den auf diese bezogenen zu
erwartenden Räumkosten wird eine Kalkulation der in die Wiederaufbaumaßnahmen einzubeziehenden Kosten sowie des erforderlichen Zeitrahmens ermöglicht (vgl. Tabelle 14). Darüber hinaus können die Bedürfnisse der Bevölkerung über den Community-Bezug gezielt mit
in die Auswahl von Projekten einbezogen werden (vgl. SAC/UNMACA 2005). Inwieweit diese
Möglichkeiten für die Planung ausgenutzt werden, ist aus den derzeit zur Verfügung stehenden Informationen nicht ersichtlich und wird vermutlich erst in den kommenden Jahren zu
beurteilen sein.
In diesem Zusammenhang muss auch im afghanischen Kontext auf die Problematik der für
eine solche Nutzung der umfassenden LIS-Daten erforderlichen Kapazitäten zur Datenanalyse
hingewiesen werden, da die IMSMA-gestützte Datenbank – wie gezeigt – weit mehr Informationen umfasst, als die Kategorisierung von Communities. Die Anforderung eines externen
SAC-Teams durch das UNMACA zur Erstellung der schon erwähnten Analyse der Daten für die
Anpassung der Strategien hinsichtlich der Wiederaufbaumaßen lässt darauf schließen, dass im
Rahmen des MAPA – wie auch in vielen anderen Mine-Action-Programmen – der Bereich der
Datenanalysekapazitäten einer weiteren Förderung bedarf. Wichtig ist dieser Aspekt vor allem
im Hinblick auf das Erreichen der anhand der ALIS-Daten formulierten Ziele, bis 2013 alle
Minenfelder und bis 2015 alle UXO zu räumen (FRUCHET/KENDELLEN 2006, S. 38).
Tab. 14: Kostenkalkulation für die Straßenräumung nach ALIS
Strecke
Kabul
Puli Khumri
Kunduz
Faizabad
Puli-Khumri
Mazar-iSharif
Mazar-iSharif
Shibirghan
Shibirghan
Herat
Gesamt
Länge
(km)
Anzahl
der
Minenfelder
Zu räumende
Fläche in m²
429
Minimum
430
Maximum
Räumkosten
pro m²
428
in US $
Erforderliches
Budget für die
Räumung in US $
Minimum
Maximum
226
63
1355.046
4.265.211
0,9
1220.000
3.839.000
255
19
405.764
753.379
0,9
365.000
678.000
157
8
108.046
407.990
0,9
97.000
367.000
162
3
11.494
14.408
0,9
10.000
13.000
681
12
402.501
1249.942
0,9
362.000
1.125.000
1.481
105
2.282.850
6.690.930
2.054.000
6022.000
Quelle: SAC/UNMACA 2005, S. 11 (leicht verändert und übersetzt).
Auch im Bereich der Prioritätensetzung auf lokaler Ebene bzw. operationeller Ebene, wo
es darum geht zu entscheiden, welches Minenfeld zuerst zu räumen bzw. welche Maßnahmen
– Räumung, Markierung oder MRE – durchzuführen sind, ist fraglich, ob der potentielle Nut431
zen der Informationen des ALIS bzw. der IMSMA-Datenbank vollständig ausgenutzt wird.
In Kapitel 8.2 wurde deutlich, dass der LIS auf der operationellen Ebene durch weitere Instrumente zur Prioritätensetzung ergänzt werden muss, die den Nutzen der Räumung für die
Bevölkerung mit einbeziehen, um so auch auf lokaler Ebene eine angemessene Prioritätensetzung vorzunehmen (vgl. Kapitel 7.3.3). Auch in Afghanistan wird dieser Ansatz von MineAction-NGOs verfolgt, wie der in Tabelle 15 dargestellte Prioritätenfindungsprozess der NGO
HALO-Trust zeigt.
428
Die Räumkosten können je nach Bodenbeschaffenheit, etc. variieren.
Diese Flächenangabe bezieht sich auf den Teil des Minenfeldes, der direkt auf der Straße und innerhalb eines seitlichen Sicherheitsabstands von 100 m liegt.
430
Diese Flächenangabe bezieht sich auf das gesamte Minenfeld.
431
Dieser Aspekt ist insbesondere deshalb fraglich, da auch die effektive Nutzung der Daten für die MAPA-Planung
bisher angezweifelt wird (MACDONALD 2005: INT).
429
160
10 Fallstudie Afghanistan
Da aber nicht alle Organisationen über ein solches klares System verfügen sondern entsprechend der vorgefundenen Gegebenheiten agieren, könnte die Bereitstellung aktueller, detaillierter IMSMA Daten für die Akteure den Nutzen des ALIS für die Prioritätensetzung auf regio432
naler und lokaler Ebene erheblich steigern. Darüber hinaus könnte durch die Einrichtung
der Möglichkeit einer Datenanalyse durch einzelne Akteure der Umfang von zusätzlich zu
erhebenden Daten für konkrete Projekte reduziert werden und den Einsatz der somit eingesparten Ressourcen für andere Aktivitäten ermöglichen.
Tab. 15: HALO TRUST Prioritätensetzung
1a Emergency
Minefield in a populated area or is soon to be re-settled/re-used. Locals use the area even though it is mined
1b High
Minefield CLOSE to a populated area. Blocks access to other infrastructure or agricultural
(irrigated) land. Locals use the area even though it is mined.
1c Medium
Minefield CLOSE to a populated area. Blocks access to other infrastructure or agricultural
(rain fed) land. Locals know the area is mined and can avoid it.
2 Low
Minefield AWAY from populated area. Blocks access to other infrastructure or agricultural
(rain fed) land. Locals know the area is mined and can avoid it.
2 Minimum
Minefield AWAY from populated area. No infrastructure or agriculture blocked. Locals know the area is mined
and can avoid it.
Factors considered:
1. Has a request for clearance been received?
2. What blockage does the mined area causes to habitation, productive land or infrastructure?
3. The risk of accidents if mines or items of UXO are not cleared
(with due consideration given to the number of accidents that have occurred in the past).
4. The type of land use before the mines were laid and the proposed use after clearance.
5. The likely delay between clearance and the use of the land.
6. Other factors such as how quickly the land can be used – e.g. proposed NGO projects which cannot
proceed due to the presence of mines.
7. Government priorities or requests with clear humanitarian or developmental objectives.
Quelle: FARID 2005: INT.
10.5 Fazit und Ausblick für das
‚Mine Action Program for Afghanistan’ (MAPA)
Zusammenfassend ist festzuhalten, dass Mine Action in Afghanistan seit 1989 einen langen
Weg gegangen ist. Obwohl das MAPA im Laufe der Zeit erfolgreich gearbeitet hat und von
433
1989 bis 2005 insgesamt 328 km² verminte Fläche und 300.000 Fahrzeugminen, 22.000
Personenminen sowie 7 Millionen UXO geräumt wurden (ICBL 2005a, o.S.), zählt Afghanistan
nach wie vor zu den am stärksten verminten Ländern der Welt. Der Aufbau nationaler Kapazitäten bzw. insgesamt die Strukturen des MAPA, die Stärkung der Eigenverantwortlichkeit
der Regierung und nicht zuletzt die Integration der Mine-Action-Maßnahmen in die nationale
Planung bieten gute Vorraussetzungen für das Erreichen einer weit reichenden Lösung des
Landminenproblems in Afghanistan. Mit der Einführung von IMSMA und dem LIS in den
afghanischen Mine-Action-Kontext sind wichtige Schritte in Richtung einer Steigerung der
Effektivität des MAPA unternommen worden, auch wenn weiterhin Verbesserungsbedarf
in Bereichen wie der Informationspolitik und Kapazitätenbildung bestehen. Insbesondere
432
Der Programmmanager der NGO DDG Fasth äußerte sich diesbezüglich folgendermaßen: „To give a list of what
criteria that has priority is difficult as the circumstances on the spot often decides the priority“ (FASTH 2005: INT).
433
Hinzu kommt eine von ERW-Kontaminierung befreite Fläche von 623 km² (ICBL 2005a, o.S.).
161
10 Fallstudie Afghanistan
der Ansatz der LIATS kann für zukünftige LIS-Prozesse in anderen Ländern als Vorbild
gelten (vgl. SAC 2005a, S. 205), womit Mine Action in Afghanistan ein weiteres Mal in der
Geschichte der Disziplin eine Vorreiterrolle hinsichtlich der Entwicklung und Anwendung
innovativer Ansätze einnimmt. Anzumerken bleibt, dass bei einem erforderlichen Gesamtbudget bis 2013 von 500 Millionen US $ (ICBL 2005a, o.S.) – trotz der positiven Entwicklungen
hinsichtlich einer effektiveren Gestaltung der Mine-Action-Aktivitäten – der Erfolg des Programms von einer gesicherten Finanzierung abhängt. Aufgrund der starken Involvierung
der internationalen Gemeinschaft in den Wiederaufbau Afghanistans, was nicht zuletzt auf das
geopolitische Interesse der Geber zurückzuführen ist, aber ebenso aufgrund der Verantwor434
tungsübernahme der afghanischen Regierung auch in finanzieller Hinsicht kann von einer
ausreichenden Bereitstellung finanzieller Ressourcen ausgegangen werden. Unter der Vorraussetzung einer weiterhin stabilen politischen Situation bestehen demnach gute Aussichten,
die Landminenkontaminierung in Afghanistan langfristig zu beseitigen und somit einen Beitrag zur Entwicklung des Landes zu leisten.
434
2005 wurden 1,6 Mio. US $ von der Regierung für Mine-Action-Maßnahmen zur Unterstützung der Wiederherstellung von Straßen zur Verfügung gestellt (ICBL 2005a, o.S).
162
11 Vergleich der Mine-Action-Programme Mozambique und Afghanistan
IV SYNTHESE DER FALLBEISPIELE UND FAZIT
11 Vergleich der Mine-Action-Programme
Mozambique und Afghanistan
Die Mine-Action-Programme von Mozambique und Afghanistan gehören zu den Programmen
der ersten Generation und konnten bei ihrer Entstehung daher nicht auf umfangreiche Erfahrungen anderer Programme zurückgreifen. Wie an den Fallbeispielen deutlich wurde, unterscheiden sich die beiden Programme in vielerlei Hinsicht. In Afghanistan ist es den UN
gelungen, von Beginn an Strukturen aufzubauen, die auf lokalen Kapazitäten basieren, womit
die Übernahme der Verantwortung für die Landminenproblematik durch afghanische Akteure
gefördert und gestärkt wurde. Mit der Einrichtung des MAPA wurde gleich zu Anfang ein landesweiter Koordinierungsmechanismus geschaffen, der sich seitdem zu einer leistungsfähigen
Planungs- und Koordinierungsinstitution entwickelt hat. In Mozambique dagegen konzentrierten sich die UN-Aktivitäten in den ersten Jahren fast ausschließlich auf die für die UNOMOZMission erforderlichen Maßnahmen, und die Initiative für weiter reichende Mine-ActionMaßnahmen ging von einzelnen internationalen Mine-Action-NGOs aus. Die UN nahmen insgesamt nur wenig Einfluss auf die Gestaltung und den Aufbau des nationalen Mine-ActionProgramms. Bis zur Gründung des IND – 6 Jahre nach Start von Mine Action in Mozambique –
existierte kein funktionsfähiger Koordinierungsmechanismus und bis heute konnte sich die
nationale Mine-Action-Behörde nicht in der ihr zugedachten Führungsrolle etablieren.
Im operationellen Mine-Action-Bereich stellen in Afghanistan nationale Mine-Action-NGOs die
Hauptakteure dar, während sich dieser Bereich in Mozambique fest in der Hand von wenigen
internationalen Organisationen befindet. Dadurch, dass nationale Kapazitäten eine führende
Rolle ausfüllen, wurden in Afghanistan die Voraussetzungen dafür geschaffen, dass das MineAction-Programm in absehbarer Zukunft vollständig an nationale Akteure übergeben werden
kann. Die Zukunft des Mine-Action-Programms in Mozambique jedoch ist nach dem Abzug
der internationalen Organisationen ungewiss. Bereits heute ist – nach Auflösung von ADP – für
die gesamte südliche Region des Landes, wo weiterhin bisher unbekannte verminte Gebiete
identifiziert werden, keine humanitäre Mine-Action-Organisation verfügbar.
Bezüglich der zur Planung und Prioritätensetzung eingesetzten Instrumente, wie dem LIS
und dem IMSMA-gestützten Datenmanagementsystem, bestanden bei deren Einführung in den
beiden Ländern sehr verschiedene Rahmenbedingungen und Voraussetzungen. In Verbindung
damit wurden mit der Durchführung des LIS unterschiedliche Zielsetzungen verfolgt. In
Mozambique wurde mit dem LIS die erste landesweite Datengrundlage geschaffen, durch die
erst eine nationale Planung ermöglicht wurde. In Afghanistan diente der LIS zur Überprüfung,
Aktualisierung und Standardisierung der Daten – unter anderem mit dem Ziel, eine zentrale
und einheitliche Datenbank zu erstellen – und verfolgte daher mit dem Retrofit einen neueren
Ansatz im Rahmen des LIS-Konzeptes. Bei der Durchführung des LIS in Afghanistan wurden
viele Erfahrungen und Fehler, die in früheren Landmine Impact Surveys gemacht wurden,
berücksichtigt, um die Ergebnisse der Erhebungen zu optimieren und damit eine höhere
Aussagekraft des Surveys zu erzielen. Die lokalen Mine-Action-Akteure wurden aktiv in den
Survey-Prozess einbezogen und die NGO MCPA, die mit der Durchführung des LIS beauftragt
wurde, gilt als für die Realisierung von Mine-Action-Surveys anerkannte und erfahrene Organisation, womit die Voraussetzungen für die Akzeptanz und Nutzung der Ergebnisse geschaffen wurden. In Mozambique dagegen wurde mit CIDC eine Organisation für die Durchführung
des MLIS ausgewählt, die weder über einen Mine-Action-Hintergrund in Mozambique noch
über Survey-Erfahrungen verfügte, was bereits im Vorfeld seitens der in Mozambique aktiven
Mine-Action-Akteure zu Misstrauen gegenüber den Ergebnissen führte, welches durch einen
Mangel an Kooperation und Dialog noch gesteigert wurde. Diese Voraussetzungen und die
Tatsache, dass die Ergebnisse des MLIS anderen Surveys gegenüber große Abweichungen
163
11 Vergleich der Mine-Action-Programme Mozambique und Afghanistan
aufwiesen, hatten bzw. haben zur Folge, dass im Prinzip das IND der einzige Akteur ist, der
seine Planung auf die MLIS-Daten stützt.
Ein wesentlicher Fortschritt des ALIS gegenüber früheren Surveys wie dem MLIS besteht
darin, dass der LIS in Afghanistan nicht als einmaliges Ereignis sondern als Prozess der Datenerhebung und gestaltet wurde, in dem die zukünftige, kontinuierliche Aktualisierung der
Daten und Informationen durch die Einführung der LIATS gewährleistet werden soll. Dahingegen besteht in der mangelhaften Aktualisierung der Daten eine der größten Schwächen des
nationalen Mine-Action-Programms von Mozambique.
Mine Action in Afghanistan nimmt im Programm der Regierung als Voraussetzung für Friedenskonsolidierung und Wiederaufbau einen hohen Stellenwert ein, und genießt darüber
hinaus große Aufmerksamkeit und finanzielle Unterstützung seitens der internationalen
Gebergemeinschaft. Der Fortbestand des Programms erscheint demnach für die nächsten Jahre gesichert, so dass mit erheblichen Fortschritten hinsichtlich einer effektiven und langfristigen Reduzierung der durch die Landminenkontaminierung verursachten Auswirkungen auf
die Bevölkerung zu rechnen ist. In Mozambique bestimmen mittlerweile andere, im gesamtgesellschaftlichen Kontext schwerer wiegende Probleme, wie z.B. AIDS und Malaria, die internationale Zusammenarbeit, was mit einer Reduzierung des bilateral zur Verfügung gestellten
Mine-Action-Budgets verbunden ist. Mit der Einstufung der Landminenkontaminierung in
Mozambique als ‚handhabbares’ Problem ist das Risiko verbunden, dass die weiterhin durch
Landminen bestehende Gefahr für die lokale Bevölkerung unterschätzt wird. Aufgrund der
gesellschaftlichen Dynamik können bereits als Mine Impact-Free klassifizierte Gebiete binnen
kurzer Zeit wieder zu einem humanitären Problem in Mozambique werden. Zur Vermeidung
einer solchen Entwicklung erscheint die möglichst umfassende Integration von Mine Action in
die Programme verschiedener Sektoren als augenblicklich einziger angemessener Lösungsansatz, was aber ein stärkeres Engagement der Regierung im Bereich Mine Action voraussetzt.
Auch wenn beide Mine-Action-Programme als erfolgreich eingeschätzt werden, liegt die Ursache dafür in Afghanistan in den in ihrem Aufbau auf Nachhaltigkeit ausgerichteten Strukturen,
während in Mozambique Initiative und Engagement der internationalen Mine-ActionOrganisationen und der bilateralen Geber ausschlaggebend waren.
Insgesamt haben die Erfahrungen aus beiden Ansätzen, die – wie die Ausführungen in den
Fallbeispielen zeigen – sehr unterschiedlich konzipiert sind, in großem Ausmaß zur Weiterentwicklung und Verbesserung von Mine-Action-Methoden und Instrumenten beigetragen.
164
12 Fazit
12 Fazit
Obwohl Mine Action eine noch sehr junge Disziplin ist, wurden innerhalb kurzer Zeit immense Fortschritte hinsichtlich einer effektiven und nachhaltigen Reduzierung des durch Landminen verursachten Leids der betroffenen Bevölkerung erzielt. Insbesondere mit dem Landmine
Impact Survey LIS und IMSMA, dem Informationsmanagementsystem für Mine Action, die
ihren Ursprung in dem Paradigmenwandel von Mine-Centred zu People-Centred haben und
sozioökonomische Faktoren im Zusammenhang mit der Landminenproblematik in den Vordergrund stellen, wurden solide Instrumente zum Informationsmanagement und damit zur
Effektivitätssteigerung der Planung und Durchführung von Mine-Action-Maßnahmen entwickelt. Auch wenn sich LIS und IMSMA bereits als Standardinstrumente im Rahmen von
Mine Action durchgesetzt haben, bedürfen sie einer kontinuierlichen Weiterentwicklung
und Verbesserung hinsichtlich der ihnen zugrunde liegenden Methoden. Darüber hinaus sollten verstärkt auch andere Ansätze zum Impact Assessment komplementär zum LIS eingesetzt
werden, um zu gewährleisten, dass die verschiedensten relevanten Aspekte und Perspektiven
berücksichtigt werden. Wie die Ausführungen in dieser Arbeit verdeutlichen, ist vor allem
Flexibilität und Anpassungsfähigkeit der Instrumente und Methoden an den jeweiligen landesspezifischen Kontext von entscheidender Bedeutung, da es auch für die Landminenproblematik aufgrund ihrer Komplexität keine universellen Lösungsansätze geben kann.
Die daraus resultierenden komplexen Anforderungen an Mine Action erfordern interdisziplinäre und multidimensionale Herangehensweisen, um einen nachhaltigen Beitrag zur
Verbesserung der Lebensumstände der von Landminen betroffenen Bevölkerung leisten zu
können. Wie die Erfahrungen aus den Mine-Action-Programmen zahlreicher Länder belegen,
ist eine wesentliche Voraussetzung für die Nachhaltigkeit von Mine Action der Aufbau und
die Förderung nationaler Kapazitäten. Die Fallbeispiele Afghanistan und Mozambique verdeutlichen, dass dies bisher in sehr unterschiedlichem Ausmaß und mit variierendem Erfolg
umgesetzt wurde, woraus sich insgesamt die Notwendigkeit einer Verstärkung der diesbezüglichen Bemühungen ergibt. Aus diesem Grund stellt der Bereich der Kapazitätenbildung
auch gegenwärtig einen Schwerpunkt in den Forschungsaktivitäten im Rahmen von Mine
Action dar.
Über lange Zeit wurde die Minenräumung in den Bereich des Militärischen verwiesen, weshalb Mine Action insbesondere in den Anfangsjahren eine relativ isolierte Position im Rahmen
von humanitären Maßnahmen einnahm. Mit der zunehmenden Erkenntnis, dass Mine Action
nicht von Bemühungen zur Friedenkonsolidierung, weiteren Maßnahmen der Humanitären
Hilfe und Anstrengungen zum Wiederaufbau und zur Entwicklung eines Landes getrennt
werden kann, haben sich erste Ansätze entwickelt, Mine Action in einen größeren Kontext
zu setzen. Insbesondere zum Bereich der Entwicklungszusammenarbeit besteht ein enger
Zusammenhang: Landminen stellen in großem Ausmaß ein Entwicklungshemmnis dar, weshalb Mine Action als ein Instrument zur Entwicklung zu betrachten ist und daher in die
Entwicklungszusammenarbeit stärker zu integrieren ist bzw. die Maßnahmen beider Bereiche
zu koordinieren sind. Aufgrund der ähnlichen Zielsetzung von Mine Action und Entwicklungszusammenarbeit – nämlich die Lebenssituation derjenigen Bevölkerungsgruppen, die eine
besonders hohe Vulnerabilität hinsichtlich ihrer Grundbedürfnisbefriedigung aufweisen,
zu verbessern – besteht ein großes Potenzial für Mine Action, aus den Erfahrungen der Entwicklungszusammenarbeit zu lernen. Dies gilt z.B. für gender-orientierte oder partizipative
Ansätze aus Konzepten wie der ‚Ländlichen Regionalentwicklung’ und insbesondere auch
für die Integration von Monitoring und Evaluierung in den gesamten Programm- bzw. Projektzyklus.
In ähnlicher Weise ist auch eine engere Einbindung von Mine Action in nationale politische
Programme z.B. des Wiederaufbaus, des Gesundheitswesens oder der Armutsbekämpfung
anzustreben, in denen Mine Action als fester Bestandteil institutionalisiert werden sollte. Hinsichtlich diesbezüglicher Strategien und Koordinierungskonzepte besteht jedoch gegenwärtig
noch Forschungsbedarf.
165
12 Fazit
Insgesamt ist festzuhalten, dass mit Mine Action ein zunehmend effektiverer Lösungsansatz
hinsichtlich der Landminenproblematik zur Verfügung steht, und dass Mine Action in den
letzten 15 Jahren einen großen Beitrag zur Reduzierung der durch Landminen verursachten
sozioökonomischen Auswirkungen auf die Bevölkerung geleistet hat. Es besteht aber weiterhin umfangreicher Forschungs- und Handlungsbedarf, wenn eine kontinuierliche Annäherung
an das mit der Ottawa-Konvention verfolgte Ziel einer minenfreien Welt ermöglicht werden
soll.
166
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V LITERATUR UND ANHANG
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14 Auswahl themenrelevanter Internetseiten
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Projekte der Minenräumung und Minenopferhilfe
sammelt
http://www.landmines.org
Aktionsbündnis landmine.de
Deutsche Sektion der ICBL
http://www.landmine.de
AMAC – Assistance too
Mine-Affected Communities
(Projekt von PRIO – International Peace Research
Institute Oslo)
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GICHD –Geneva International Centre
for Humanitarian Demining
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Handicap International
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Hontstav
(Hersteller von mechanischem Minenräumgerät)
http://www.hontstav.com
HRW – Human Rights Watch
http://www.hrw.org
ICBL – International Campaign
to Ban Landmines
http://www.icbl.org
ICRC – International Red Cross Committee
http://www.icrc.org
Landmine Action
(Britische Sektion der ICBL)
http://www.landmineaction.org
MAIC – Mine Action Information Center
James Madison University
(Journal of Mine Action)
http://maic.jmu.edu
Medico International
http://www.medico-international.de
MgM – Menschen gegen Minen
http://www.mgm.org
MineWolf Systems
(Hersteller von mechanischem Minenräumgerät)
http://www.minewolf.com
„One-Step-Beyond“
Multi-Media-Kunstprojekt von Lukas Einsele,
das über Landminen und ihre Opfer berichtet
http://www.one-step-beyond.de
SAC – Survey Action Center
http://www.sac-na.org
„Sagt nein zu Streumunition!“
Deutsche Informations- und Aktionswebseite
zur Streubombenproblematik
http://www.streubomben.de
„Stop cluster munitions – Stop killing civilians“
Internationale Informations- und Aktionswebseite
zur Streubombenproblematik
http://www.stopclustermunitions.org
Studiensammlung Landminentechnik
Von Frank Masche
http://www.landminen.de
187
14 Auswahl themenrelevanter Internetseiten
UNDP – United Nations Development
Program
http://www.undp.org
UNHCR – United Nations
High Commissioner for Refugees
http://www.unhcr.org
UNICEF – United Nations Childrens’ Fund
http://www.unicef.org
UNIDIR - United Nations Institute for
Disarmament Research
(Zeitschrift Disarmament Forum)
http://www.unidir.org
UNMAS – United Nations Mine Action
Service
http://www.mineaction.org
VVAF – Vietnam Veterans of America
Foundation
(inzwischen umbenannt in
‘Veterans for America’)
http://www.veteransforamerica.org
insbesondere :
188
http://www.veteransforamerica.org/ModuleID/119
und
http://www.veteransforamerica.org/ModuleID/239
15 Interviews und Expertengespräche
15 Interviews und Expertengespräche
15.1 Experten aus verschiedenen Mine-Action-Bereichen
NAME
Organisation und Position
Art der Befragung
BOHLE,
Vera
Spezialistin für
Minenräumung, Evaluierung und
Qualitätskontrolle
Telefonische Interviews
am 14.12.2005 und 16.12.2005
DIRSCHERL,
Johannes
Auswärtiges Amt,
Referent
Humanitäres Minenräumen
Persönliche Gespräche in Genf
vom 21. bis zum 24. September 2005
Telefonisches Interview am 18.12.2005
KENDELLEN,
Mike
SAC, Director for Survey
Schriftliches Experteninterview (2005)
QADEEM KHAN,
Tariq
UNDP Senior Technical Advisor
Mine Action
Capacity Development, Sudan
Persönliches Gespräch in Genf
am 21. September 2005
RYCHENER,
Jean-Paul
GICHD/ IMSMA/
Stockpiles Destruction
Specialist
Schriftliches Experteninterview (2006)
Persönliches Gespräch in Genf
am 22. September 2005
Schriftliches Experteninterview (2005)
189
15 Interviews und Expertengespräche
15.2 Experten des Mine-Action-Programms von Mozambique
NAME
Organisation und Position
Art der Befragung
BROWN,
Steven
RONCO Consulting Corporation,
Schriftliches Experteninterview (2005)
DELECOURT,
Giles
Handicap International
Country Director Mozambique
Schriftliches Experteninterview (2006)
KABIR,
Lutful
UNDP, Chief Technical Advisor beim
IND Mozambique
Persönliche Gespräche in Genf
am 22. und 23. September 2005
KRÜSSEN,
Hans Georg
MgM, Direktor
Telefonisches Interview
am 9. Dezember 2005
MILLARD,
Ananda S.
GICHD,
IMSMA-Training Manager
Persönliche Gespräche in Genf
am 21. und 23. September 2005
PATERSON,
Ted
GICHD Evaluation Manager
Persönliches Gespräch in Genf
am 22. September 2005
SEKKENES,
Sara
NPA Mine Action
Program Manager Mozambique
Persönliche Gespräche in Genf
am 21. und 22. September 2005
Schriftliches Experteninterview (2006)
Emailverkehr, Telefonate
Schriftliches Experteninterview (2006)
15.3 Experten des Mine-Action-Programms von Afghanistan
NAME
Organisation und Position
Art der Befragung
ATIQULLAH,
Haji
MCPA, Director, Afghanistan
Persönliches Gespräch in Genf
am 21. September 2005
DUCLAUX,
Denise
UNMACA, External Relations, Afghanistan
Schriftliches Experteninterview (2006)
FARID,
Homayoun
HALO-Trust Afghanistan
Programme Manager
Schriftliches Experteninterview (2006)
FASTH,
Roger
Danish Demining Group,
Acting Programme Manager Afghanistan
& Operational Manager
Schriftliches Experteninterview (2005)
HAKIMI,
Shohab
MDC, Director Afghanistan
Schriftliches Experteninterview (2006)
MACDONALD,
Alan
SAC,
Team Leader LIS Afghanistan
Schriftliches Experteninterview (2006)
MOHIBZADA,
Abdul Ghafar
UNMACA Afghanistan
Schriftliches Experteninterview (2005)
Schriftliches Experteninterview (2005)
190
16 Exemplarische Interviewfragebögen
16 Exemplarische Interviewfragebögen
16.1 Mozambique
Name:
Organization:
Please outline your position and the scope of responsibilities and activities within your position.
1
Mine Action and Priority-Setting
How does NPA set priorities regarding a certain mine action task?
–
–
–
–
Principles and criteria applied while setting priorities
Main sources of information referred to
Actors involved in this process (donors, National Mine Action Authorities
(National Strategic Plan / LIS), lower level administration, communities?)
Linking priorities from different levels (donor level, national level, level of your own organization, community level)
Which is your procedure when priorities diverge in key issues?
–
2
Has your organization been involved in the development of the
„Five-Year National Mine Action Plan 2002-2006” for Mozambique?
Landmine Impact Survey
The IMAS definition of the LIS is as follows:
“The LIS is an assessment of the socio-economic impact caused by the actual or perceived
presence of mines and UXO, in order to assist the planning and prioritisation of mine action
programmes and projects.”
And in the words of the Survey Working Group:
“LIS are intended to facilitate the prioritising of human, material and financial resources supporting
humanitarian mine action at the national, regional, and global level”.
2.1
The Landmine-Impact-Survey-Concept
What is your opinion about the LIS-concept in general:
–
–
What are its advantages and disadvantages regarding the objectives mentioned above?
In your opinion: Is the LIS an appropriate instrument for assessing the socio-economic impacts of landmines / UXO on affected communities?
–1–
191
16 Exemplarische Interviewfragebögen
2.2
Landmine Impact Survey and Mine Action practice in Mozambique
2.2.1
The Mozambique LIS (MLIS) was completed in 2000/2001. NPA started mine action
in the country in 1993.
On which principles has the planning of your projects been based before?
2.2.2
The period directly after the LIS was published
Although the LIS did not cover the whole country and although deviations from other survey
findings (e.g. conducted by the HALO Trust) were identified quickly:
Which significance did the MLIS have for planning and priority-setting of mine action programmes within your organization during this period?
Has the decision to implement a specific mine action project primarily been based on the
impact categories identified by the MLIS?
2.2.3
Today’s situation
Within the “Annual Plan of Demining Priorities 2005” from the National Demining Institute
(IND) it is mentioned that the LIS still is the main source of information for defining demining
priorities, although in the meantime large discrepancies to the actual situation have also
been admitted.
Which role does the MLIS play within the national strategic planning today?
Which are the main sources of information used for priority-setting complementing
the LIS findings?
In this context: To which extent is NPA bound to IND’s directives?
Does coordination with the IND work well?
2.2.4
Do you apply any other tools for priority-setting?
If you do so, which ones do you use?
What are its / their advantages in comparison to the LIS-concept?
3
Information Management System for Mine Action
The GICHD has developed the Information Management System for Mine Action (IMSMA) which is
supposed to provide for data collection, information analysis and project management. It is a database created for the staffs of MACs at national and regional level, and by the implementers of mine
action projects.
3.1
What is your opinion about this concept in general?
–2–
192
16 Exemplarische Interviewfragebögen
3.2
Please give a statement concerning the applicability of IMSMA in the field!
Do all important actors have access to this database?
–
–
–
Accessibility / providence of internet-connected computers
Capacity to apply the specific IMSMA software
Do the actors actually use IMSMA?
To which extent does NPA rely on data provided by the IMSMA database?
3.3
Is the information within the Mozambique IMSMA database maintained and regularly
updated in a reliable way?
Are the data NPA collects in the field entered into the database?
3.4
Do you have any propositions for an amelioration of the IMSMA database?
3.5
Do you think the IMSMA database will play a more significant role for
mine action in future?
–
4
In general / for the case of Mozambique
Cooperation and exchange of information and experiences
It has often been criticized that mine action suffers from a lack of cooperation and exchange
of information and experiences (especially in the early years). Have you experienced any
improvement concerning this situation (also regarding operators from other humanitarian
assistance and development sectors or an exchange of experiences between different
mine-affected countries)?
–3–
193
16 Exemplarische Interviewfragebögen
16.2 Afghanistan
Name:
Organization:
Please outline your position and the scope of responsibilities and activities within your position.
1
Landmine Impact Survey
The IMAS definition of the LIS is as follows:
“The LIS is an assessment of the socio-economic impact caused by the actual or perceived
presence of mines and UXO, in order to assist the planning and prioritisation of mine action
programmes and projects.”
And in the words of the Survey Working Group:
“LIS are intended to ‚facilitate the prioritising of human, material and financial resources supporting
humanitarian mine action at the national, regional, and global level”.
1.1
The Afghan Landmine Impact Survey
1.1.1
Issues concerning indicators and their weighting within the Afghan LIS
Which indicators were selected corresponding to the specific national situation?
On which basis has the selection of indicators and their weighting been determined?
Do the indicators selected and their weighting meet regional differences within the
country?
Which weighting do the different socio-economic impact indicators obtain?
(table of points)
Has the weighting-process actually responded to discrepancies reported from the
interviewers in the field during the community investigation?
1.1.2
Which were the main problems occurring during the preparation and implementation
of the LIS in Afghanistan?
E.g. concerning the following issues
–
Methodology
○ Identification / representativity of key informants for EOC and group interviews
– Personnel and training
– Contradictory information
– Flux of information (in all directions)
– Security situation
– Acceptance and understanding of the LIS project by all participants
– ….
Please add a statement about your assessment of the quality, reliability and validity
of data gathered on the community level.
1.1.3
Does the Afghan LIS serve its purpose?
What are the main outputs of the Afghan LIS and which are its limits?
Do you think the Afghan LIS will sufficiently and representatively reflect the socioeconomic impacts of landmines / UXO on the affected population throughout the whole
country of Afghanistan?
1.1.4
If you were asked to conduct the LIS for Afghanistan once again, what would you
improve?
–1–
194
16 Exemplarische Interviewfragebögen
1.2
The Landmine-Impact-Survey-Concept
1.2.1
What is your opinion about the LIS-Concept in general?
–
–
What are its advantages and disadvantages regarding the objectives mentioned above?
Is the LIS an appropriate instrument for assessing the socio-economic impacts of landmines /
UXO on affected communities?
1.2.2
Is the Mine Impact Score an appropriate means to translate the information gathered
into impact categories? For example:
Are alternatives to blocked resources developed by an affected community
considered when categorizing the level of impact? (I.e. is the impact regarded as
lower in comparison to a community without such alternatives?)
Within the Mine-Impact-Score-calculation a relatively high value is attached to the
number of mine / UXO victims. Is such a high value justified in spite of the following
scenarios?
An incident caused by one landmine can result in one or several victims. (Regarding
this aspect could the number of incidents be a more appropriate indicator?)
– People who suffer (or even die) because of blocked access to proper drinking water
or food resources (causing diseases and malnutrition) due to the presence of landmines are de facto landmine victims. But they are not comprised into the landmine
victim statistics. In other words: a village in which no landmine incident was recorded
must not necessarily be less affected than a village where accidents occurred.
–
Are facts like the following not of importance to assess the level of impact more
precisely?
The mine impact score indicates that people are suffering from blockages to basic
needs, but it does not differentiate between the number of people affected and the
extent to which they are affected.
– Equally it gives no information about how many people would benefit from the clearance of a certain minefield (e.g. in the context of land tenure systems and ownership).
–
–2–
195
16 Exemplarische Interviewfragebögen
1.2.3
Flux of LIS information during the survey implementation
From starting the community surveys until the publication of the final report it takes about 1 up to 2
years.
During this time significant changes concerning the issues investigated may occur:
Due to the return or migration of IDPs and EDPs the number of the inhabitants of an
affected village may drastically change (⇒ potential changes in number of landmine
incidents; higher or lower pressure on areas needed for settlement or cultivation, on
infrastructure facilities; etc.)
– Due to running projects of humanitarian assistance, reconstruction or development
aid the livelihood conditions of villages investigated might have changed.
–
In which way are such potentially significant changes considered within the impact
categorization occurring in the final report?
During the ongoing survey implementation data already gathered might be of high
value e.g. for HMA operators or other actors involved.
Are these data available before the entire LIS has been completed?
2
Information Management System for Mine Action
The GICHD has developed the Information Management System for Mine Action (IMSMA) which is
supposed to provide for data collection, information analysis and project management. It is a database created for the staffs of MACs at national and regional level, and by the implementers of mine
action projects.
2.1
What is your opinion about this concept in general?
2.2
Please give a statement concerning the applicability of IMSMA in the field!
Do all important actors have access to this database? (e.g. accessibility of internetconnected computers)
Capacity to apply the IMSMA-specific software (local external users and local IMSMAstaff)
Do the actors actually use IMSMA?
2.3
Is the information within the Afghanistan IMSMA database maintained and regularly
updated in a reliable way?
2.4
Do you have any propositions for an amelioration of the applicability of the IMSMA
database?
2.5
Do you think that the IMSMA database will play a significant role for mine action in
future?
In general / for the case of Afghanistan
–3–
196
17 Abbildungen, Tabellen und Textboxen
17 Abbildungen, Tabellen und Textboxen
Tab. 16: Beispiele für Minen-Zündmechanismen
Beschreibung
Minentyp
Druckzünder
(Pressure)
Die Mine wird durch direkten Druck
von oben ausgelöst.
sowohl bei Fahrzeugminen als
auch bei Personenminen weit
verbreitet
Stolperdraht
(trip wire)
Die Mine ist mit einem Draht ausgestattet, der am freien Ende befestigt
wird. Sie reagiert auf zunehmende
Drahtspannung
Die Mine explodiert, wenn ein zuvor
angebrachter Gegenstand, der einen
gewissen Druck auf den Zünder
ausübt, entfernt wird.
vor allem Splitterminen
(z.B. Stockminen) und Springsplitterminen
Splitterrichtmine, auch sog.
Claymore-mine
Wird vor allem im Bereich der
Fahrzeugminen als sog. Aufhebesperren verwendet
Die Mine ist mit gespanntem Sensordraht (Unterbrechungsdraht) versehen, der auf ‚Überfahren’ oder ‚Betreten’ reagiert.
Wird bei Personen- oder bei
Fahrzeugminen verwendet
Eine dünne Stange, die mit dem
Zünder verbunden ist, ragt aus der
Mine heraus und aktiviert schon bei
einem relativ geringen Druck die
Sprengladung
Zündmechanismus von Fahrzeugminen
kann auch durch wenige Kilogramm, dementsprechend
ebenso von Menschen ausgelöst werden
Die Mine wird durch Geräusche
ausgelöst, wenn sich ein Opfer bzw.
Fahrzeug auf eine festgelegte Distanz nähert.
Zündmechanismus von Fahrzeugminen
Magnetzünder
(magnetic-influence)
Die Mine reagiert auf Veränderungen
des Magnetfeldes
Vor allem Fahrzeugminen
Da Magnetzünder auch auf
Metalldetektoren reagieren, sind
sie bei der Räumung besonders
gefährlich.
Elektro-/ Fernzünder
(electrical / command
detonation)
Fernzündung der Mine entweder
über Zündkabel mit Zündgerät oder
per Funk
Zündmechanismus von
Fahrzeugminen
Zugzünder
(pull)
DruckEntlastungszünder
(pressure-release)
Aufhebeschutz/
Entlastungszünder
(anti-handling device)
(anti-lift device)
Unterbrechungsdraht
(break wire)
Zug-Entlastungszünder
(tension-release)
Knickzünder
(tilt rod)
Akustische
(acoustic)
Nähe
(proximity)
Quelle: Eigene Zusammenstellung
nach KÜCHENMEISTER 1999, S. 11; LANDMINE ACTION et al. 2001, S. 21ff.
197
17 Abbildungen, Tabellen und Textboxen
Abb. 31: Minewolf – Tiller ( MINEWOLF)
Abb. 32: Das Minewolf-Toolbox-System ( MINEWOLF)
198
17 Abbildungen, Tabellen und Textboxen
Abb. 33: MgM – Rotar ( MGM)
Abb. 34: MgM – Mulcher ( MGM)
Abb. 35: Diana 44 T mit Vegetationsschneidevorrichtung ( HONTSTAV)
199
17 Abbildungen, Tabellen und Textboxen
Tab. 17: Allgemeine, demographische und ökonomische Informationen zu Mozambique
435
Allgemeine Landesinformationen
Ländername
Republik Mozambique
(Républica de Moçambique)
Lage
Südostafrika (afrikanische Ostküste)
o
o
o
Zwischen 10 27’ und 26 56’, südlicher Breite und 30 12’
o
und 40 51’ östlicher Länge
Größe
a)
Gesamt: 801.590 km²
Landesfläche: 784.090 km²
Wasserfläche (Flüsse und Binnengewässer):
17.500 km²
Hauptstadt
Maputo
Staats- und Regierungsform
Verwaltungsstruktur
Republik, Präsidialdemokratie
b)
10 Provinzen + Stadt Maputo mit Provinzstatus, zentralistischer Verwaltungsaufbau
Konflikte:
1964-1975 Unabhängigkeitskrieg
1976-1992 Bürgerkrieg
Demographische Informationen
Bevölkerung (2004)
c)
19,1 Millionen
jährliches Wachstum 1,8%
Bevölkerungsdichte
Lebenserwartung (2004)
23,875 Personen/km²
d)
41,8 Jahre
Anteil der Bevölkerung,
e)
die unter der Armutsgrenze lebt (2003)
c)
HDI (2003)
e)
HDR-Rang
Anteil städtische Bevölkerung (2003)
Analphabetenrate (2003)
Stadt
Land
c)
e)
(1990: 0,311)
35,6%
53,6%
36,7%
65,7%
Bevölkerung mit dauerhaftem Zugang
c)
zu sanitären Einrichtungen (2002)
Bevölkerung mit dauerhaftem Zugang
c)
zu sauberem Wasser (2002)
Geschätzte Zahl an Flüchtlingen
zur Zeit des Friedensabkommens
f)
im Oktober 1992
HIV/-AIDS-Rate (15-49jährige) 2004
436
54%
0,379
168
27%
42%
2 Mio EDPs
4,5 Mio IDPs
g)
13,8%
(Tendenz steigend: Schätzungen für 2010: ca. 16%)
(Fortsetzung auf der folgenden Seite)
435
Die statistischen Daten über Mozambique variieren je nach Quelle beträchtlich und sind daher als ‚Richtwerte’ und
unter Vorbehalt zu verstehen.
436
Der Human Development Report 2005 gibt an, dass 69,4% der Gesamtbevölkerung von Mozambique im Jahr 2002
unter der nationalen Armutsgrenze lebten (UNDP 2005, S. 229).
200
17 Abbildungen, Tabellen und Textboxen
Ökonomische Informationen
Bruttoinlandsprodukt (2004)
BIP zu laufenden Preisen
Reales Wachstum
Pro-Kopf-Einkommen/Jahr
d)
Wirtschaftsstruktur:
Sektorale Anteile am
h)
Bruttoinlandsprodukt 2004
437
Dienstleistungen
438
Industrie
Landwirtschaft einschl. Fischerei
(vorwiegend Subsistenzwirtschaft)
landwirtschaftlich nutzbare Fläche
i)
(Ackerland)
Bewirtschaftete Fläche für Ackerfrüchte und
i)
Dauerkulturpflanzen (2003)
j)
Weideland (2000)
Wichtigste
k)
landwirtschaftliche Erzeugnisse:
Für den Export (cash crops):
6,1 Mrd. US $
7,2% (jährlich)
270 US $
Anteil am BIP
Beschäftigte Bev.
48%
27%
25%
15%
5%
80%
360.000 km² (46%)
49.000 km² (6,25%)
440.000 km² (56%)
439
Baumwolle, Tabak, Cashew, Zuckerrohr, Kokosnüsse, Tee,
Paprika, Sojabohnen, Sesam, Sonnenblumen, Zitrusfrüchte
Für den Grundnahrungsmittelbedarf
(food crops):
Cassava, Mais, Sorghum, Bohnen, Erdnüsse, Hirse, Reis
Nutzvieh:
Rinder, Ziegen, Geflügel, Schweine
a) CIA 2006b, o.S.
b) AA 2006c, o.S.
c) UNDP 2005, S. 229, 235 und S. 243
d) W ORLBANK 2006a, o.S.
e) W ORLBANK 2006b, o.S.
f) ROBERTS/W ILLIAMS 1995, S. 207.
g) VENRO 2005, S. 7
h) IMF 2005, S. 7f.
i) W ORLBANK 2005b, S. 72.
j) FAO o.J., o.S.
k) FAO/WFP 2005, S. 5f.
Quelle: Eigene Zusammenstellung aus den unter a) bis k) genannten Quellen.
437
Die Angaben für den Dienstleistungssektor umfassen Transport und Kommunikation, Handel, Restaurants, Hotels,
Finanzdienstleistungen, Immobilien und Verpachtung, Firmendienstleistungen, öffentliche Verwaltung und weiteres.
438
Die Angaben für den Industriesektor umfassen Bergbau, Fertigungsindustrie, Elektrizitäts- und Wasserwerke, Baugewerbe und weiteres.
439
Über 90% der Fläche für den Anbau von Grundnahrungsmitteln.
201
17 Abbildungen, Tabellen und Textboxen
Tab. 18: Landminentypen in Mozambique
Hersteller der Minen
Minenkennzeichnung
Minentyp / Wirkungsweise
Belgien
PRB M409 (NR 409)
Personenmine
PRB M 966
Personen-Springsplittermine
Bulgarien
PSM-1
Personenmine
China
Type 59
Personen-Splittermine
Type 69
Personen-Springsplittermine
Type 72
Personen-Sprengmine
Type 72B
Personen-Sprengmine
PPm-2
Personenmine
PP Mi-Sr II
Personen-Splittermine
PT Mi-Ba III
Fahrzeug-Sprengmine
Frankreich
MI APDV 59 (M 59)
Personen-Sprengmine
Deutschland
DM-11
Personenmine
DM-31
Personenmine
(DDR)
PPM-2
Personen-Sprengmine
Großbritannien
Mk 5
Fahrzeug-Sprengmine
Mk-5 HC
Fahrzeug-Hohlladungsmine
No. 6 (Carrot)
Personenmine
Indien
M 14
Personenmine
Italien
AUPS
Personenmine
VAR-40
Personenmine
VAR-100
Personenmine
V-69 (Valmara 69)
Personen-Springsplittermine
Jugoslawien
VS-50
Personenmine
PROM-1
Personenmine
Österreich
ATM 2000 E
Fahrzeugmine
Portugal
Black Widow
Personenmine
Rumänien
Dancing Mine
Personenmine
M/966 – B
Personen-Splittermine
M7969
Personenmine
M969 (MAPS)
Personen-Sprengmine
M966
Personen-Splittermine
MAT-76
Fahrzeug-Sprengmine
(Fortsetzung auf der folgenden Seite)
202
17 Abbildungen, Tabellen und Textboxen
Hersteller der Minen
Russland (UdSSR)
Süd Afrika
Tschechien
(Tschechoslowakei)
USA
Zimbabwe
(Rhodesien)
Minenkennzeichnung
MON-50
MON-100
MON-200
MPM
OZM-2
OZM-3
OZM-4
OZM-72
PMD-6/M
PMN
PMN-2
POMZ-2
POMZ-2M
SPM
TM-46/TMN-46
TM-57
TM-62
TM-62D
TM-62M
TM-62P
TMD 41
TMD-44
TMD-B
TMK-2
TMN-46
Claymore-Type
M2A2
Mini-Claymore
No. 69
R2M1
R2M2
PP Mi-Sr
Minentyp / Wirkungsweise
Personen-Splitterrichtmine
Personen-Splitterrichtmine
Personen-Splitterrichtmine
Haftmine
Personen-Springsplittermine
Personen-Springsplittermine (Gruppenmine)
Personen-Springsplittermine (Gruppenmine)
Personenmine (Gruppenmine)
Personen-Sprengmine
Personen-Sprengmine
Personenmine
Personen-Splittermine (Gruppenmine)
Personen-Splittermine
Haftmine
Fahrzeug-Sprengmine
Fahrzeug-Sprengmine
Fahrzeug-Sprengmine
Fahrzeugmine
Fahrzeugmine
Fahrzeugmine
Fahrzeugmine
Fahrzeug-Sprengmine
Fahrzeug-Sprengmine
Fahrzeug-Hohlladungsmine
Fahrzeugmine
Personen-Splitterrichtmine
Personenmine
Personen-Splitterrichtmine
Personenmine
Personenmine
Personenmine
Personen-Springsplittermine
PRB M409
PT Mi-Ba III
MV-5
Claymore M18A1
M 14
M 16 A 1
M 16 A 2
M 18 A 1
RAP-1
RAP-2
RPG-7
TAPS
Ploughshare
Personenmine
Fahrzeug-Sprengmine
Fahrzeugmine
Personen-Splitterrichtmine
Personenmine
Personenmine
Personenmine
Personenmine
Personenmine
Personenmine
Fahrzeugmine
Personen-Splitterrichtmine
Personenmine-Splitterrichtmine
(Gruppenmine)
Quelle: Eigene Zusammenstellung nach
LANDMINE.DE o.J.b; ROBERTS/WILLIAMS 1995, S. 212 ; LANDMINE ACTION et al. 2001, S. 80.
203
17 Abbildungen, Tabellen und Textboxen
Tab. 19: Bilaterale Finanzierung von Mine Action in Mozambique (2004)
Bilaterale Geber
Dänemark
Deutschland
Bereitgestellte
Mittel (US $)
53.936
186.570
1.119.420
EU
Finanzierte Aktivitäten
Minenräumung, Kapazitätenbildung, MRE
Minenräumung in Limpopo
Minenräumung
Frankreich
425.953
an UNDP
Irland
680.359
Mine Action in Niassa und Inhambane
Japan
683.310
Minenräumung durch HALO-Trust & Handicap International
Kanada
576.170
Integrierte Mine Action einschl. Victim Assistance
Neuseeland
277.013
ADP; Minenräumung
Niederlande
1.034.099
Norwegen
1.486.866
Österreich
248.760
Minenräumung durch Handicap International
Schweden
408.274
Minenräumung durch NPA
Schweiz
728.000
Mine Action in Cabo Delgado
50.000
Südkorea
3.992.000
USA
Gesamt
IND
Minenräumung durch HALO-Trust & NPA
NPA Mine Action
über den UN Voluntary Trust Fund
HALO-Trust, FADM (über RONCO), QRDF-Operationen
11.950.730
7.900.00
Laufende Kosten, Materialanschaffung, Übernahme der
Einfuhrsteuern für den Import von Minenräum-Ausrüstung für die
Mine-Action-Organisationen
Quelle: Eigene Zusammenstellung nach ICBL 2005c, o.S.
204
17 Abbildungen, Tabellen und Textboxen
Tab. 20: Übersicht über die Ergebnisse des MLIS nach Provinzen
Provinz
Betroffene
Dörfer
Gesamtanzahl
Dörfer
Betroffene
Bevölkerung
Gesamtbevölkerung
Anzahl
SMAs
Gesamtfläche
SMAs in
km²
Gesamtfläche in
km²
Cabo
Delgado
84
873
170.566
1.525.634
166
106,17
82,625
Gaza
46
648
90.766
1.266.431
70
57,28
75,709
157
808
373.033
1.326.848
261
30.32
68.615
Manica
60
678
89.823
1.207.332
110
20,44
61,661
Maputo
100
433
126.592
2.048.610
184
41,99
36,358
Nampula
81
2.527
178.152
3.410.141
130
155,74
81,606
Niassa
40
852
60.379
916.672
62
23,15
129,056
Sofala
52
661
134.156
1.516.166
102
14,08
68,018
Tete
58
1.341
93.596
1.388.205
89
22,26
100,724
Zambezia
113
2.613
171.527
3.476.484
200
86,93
105,008
Gesamt
791
11.434
1.488.590
18.082.523
1.374
558,36
799,380
Inhambane
Quelle: GICHD/UNDP 2001, S. 188.
205
17 Abbildungen, Tabellen und Textboxen
Abb. 36: Verteilung der von Landminen betroffenen ‚Communities’
nach ‚Landmine-Impact-Score’-Kategorien ( IND)
206
17 Abbildungen, Tabellen und Textboxen
Tab. 21: Allgemeine, demographische und ökonomische Informationen zu Afghanistan
Allgemeine Angaben
Ländername
Fläche
Hauptstadt
Staats- und Regierungsform
Verwaltungsstruktur
Demographische Angaben
Bevölkerung (2003)
Jährliche Bevölkerungswachstumsrate (2003)
Flüchtlinge
Geschätzt für 2003:
Geschätzt für 2004:
Bevölkerungsdichte
Stadt:
Land:
Bevölkerungsverteilung
Städtische Bevölkerung:
Ländliche Bevölkerung:
Bevölkerungsanteil unter 15 Jahre an der
Gesamtbevölkerung
Durchschnittliche
Lebenserwartung (2003)
Alphabetisierungsrate (2003)
(15 Jahre oder älter)
Männer
Frauen
Anteil der Bevölkerung ohne
Zugang zu sicherem Trinkwasser
Wirtschaftliche Daten
Bruttoinlandsprodukt (BIP)
(Geschätzt für 2002)
Anteil der Wirtschaftssektoren am BIP (Geschätzt für 2002)
Landwirtschaft
Industrie
Dienstleistung
Jährliches Pro-Kopf-Einkommen (Geschätzt
für 2002)
HDI Index (2002)
HDI Rang (2002)
a
AA 2006a, o.S.
b
UNPD 2004a, S. 275ff.
c
TISA 2004a, S.4
d
SAC 2005a, S. 7
a
Islamische Republik Afghanistan
a
Ca. 650.000 km²
a
Kabul
a
Republik, Präsidialsystem mit 2 Vizepräsidenten
d
32 Provinzen
d
329 Distrikte
23,85 Mio.
b
2,5%
b
b
5,6 Mio.
c
3,4 Mio.
b
40 Personen/km²
b
489 Personen/km²
b
0,7 Personen/km²
b
28,8%
b
71,2%
50,16%
b
44,5 Jahre
b
28,7%
b
b
43,2%
b
14,1%
60%
b
4,05 Milliarden US $
b
b
52%
b
24%
b
24%
190 US $
b
0,346
b
173
b
Quelle: Eigene Zusammenstellung nach
AA 2006a, o.S.; UNPD 2004a, S. 275ff.; TISA 2004a, S. 4 u. SAC 2005a, S. 7.
207
17 Abbildungen, Tabellen und Textboxen
Tab. 22: Verwendete Personenminen in Afghanistan
Herstellerland der
Minen
Minenkennzeichnung
Minentyp
Zielausrichtung
Minentyp
Wirkungsweise
Belgien
NR-127
Personenmine
k.A. (keine Angaben)
China
Type 69
Personenmine
Springsplittermine
Type 72
Personenmine
Sprengmine
Italien
SB-33
Personenmine
Sprengmine
Jugoslawien
PMA-15
Personenmine
k.A.
Pakistan
MD-2
Personenmine
k.A.
P2-Mark 3
Personenmine
k.A.
G-Vata 6
Personenmine
k.A.
MON-50
Personenmine
Splitterrichtmine
MON-90
Personenmine
Splitterrichtmine
MON-100
Personenmine
Splitterrichtmine
MON-200
Personenmine
Splitterrichtmine
Russland
MS-3
Booby Trap
OZM-3
Personenmine
Springsplittermine
OZM-4
Personenmine
Springsplittermine
OZM-72
Personenmine
Springsplittermine
OZM-UUK-AP
Personenmine
k.A.
PDM-2
Personenmine
k.A.
PFM-1
Personenmine
k.A.
PFM-1/5
Personenmine
Sprengmine
PMD 6
Personenmine
k.A.
PMD 6/M
Personenmine
Sprengmine
PMN
Personenmine
Sprengmine
PMN-2
Personenmine
Sprengmine
POM-2.5
Personenmine
Splittermine
POMZ
Personenmine
k.A.
POMZ-2
Personenmine
Splittermine
POMZ-2M
Personenmine
Splittermine
Singapur
VS-MK 2
Personenmine
k.A.
Tschechien
PP MI-SR
Personenmine
k.A.
PP MI-SR II
Personenmine
k.A.
PT-MI-K
Personenmine
k.A.
Pt-Mi-K
Personenmine
k.A.
RAP-2
Personenmine
k.A.
Zimbabwe
Quelle: Eigene Zusammenstellung nach ICBL 1999, S. 436; LANDMINE.DE o.J.a.
208
17 Abbildungen, Tabellen und Textboxen
Tab. 23: Verwendete Fahrzeugminen in Afghanistan
Herstellerland der
Minen
Minenkennzeichnung
Minentyp
Zielausrichtung
Minentyp
Wirkungsweise
Großbritannien
Mark 7
Fahrzeugmine
Sprengmine
Mark 2
k.A.
k.A.
SH-55
Fahrzeugmine
Sprengmine
TC-2.4
Fahrzeugmine
k.A.
TC/3.6
Fahrzeugmine
Sprengmine
TC/6
Fahrzeugmine
Sprengmine
Jugoslawien
TMA-5
Fahrzeugmine
Sprengmine
Russland
PGMDM
Fahrzeugmine
Sprengmine
TC-6-AT
Fahrzeugmine
k.A.
TM-41
Fahrzeugmine
k.A.
TM-46/TMN-46
Fahrzeugmine
Sprengmine
TM-57
Fahrzeugmine
Sprengmine
TM-62B
Fahrzeugmine
Sprengmine
TM-62M
Fahrzeugmine
Sprengmine
TM-72
Fahrzeugmine
k.A.
TMB-44 AT
Fahrzeugmine
k.A.
TMD-44
Fahrzeugmine
Sprengmine
TMD-B
Fahrzeugmine
Sprengmine
TMK-2
Fahrzeugmine
k.A.
TMN-46
k.A.
k.A.
Italien
Quelle: Eigene Zusammenstellung nach ICBL 1999, S. 436; LANDMINE.DE o.J.a.
209
17 Abbildungen, Tabellen und Textboxen
Tab. 24: Durchführende Mine Action Organisationen in Afghanistan
Name
(Gründungsjahr)
ATC
Afghan Technical Consultants
(Oktober 1989)
DAFA
Demining Agency for
Afghanistan
(Mai 1990)
MCPA
Mine Clearance and Planning
Agency
(November 1989)
MDC
Mine Detection Dog Centre
(Aufgebaut 1989 von
RONCO/USAID,
seit 1995 unabhängige NGO)
OMAR
Organization for
Mine Awareness and
Rehabilitation
(August 1990)
AREA
Agency for Rehabilitation and
Energy Conservation in Afghanistan
(1996)
META
Monitoring, Evaluation and Training Agency
(Seit 1989
integraler
Bestandteil von MAPA,
seit 1997 NGO)
DDG
Danish Demining Group
1998
(Arbeitsbeginn in
Afghanistan)
HALO Trust
1988
(Arbeitsaufnahme in
Afghanistan)
Arbeitsbereich
Mitarbeiter
Afghanische Mine Action NGOs
Humanitäre
1.929
Minenräumung
EOD
Battle area
MRE
Humanitäre
1.346
Minenräumung
MRE
Region
10
Osten
5,4
Westen/
Süden
Surveys
Kartierung und
Markierung von Minenfeldern
Minenräumung im
Rahmen der Surveys
MDD
k.A. (keine
Angaben)
k.A.
Landesweit
1.570
8,9
Landesweit
Humanitäre
Minenräumung
Mine Risk Education
EOD
MDD
Minenräumprogramme
(community-based)
1.035
5,4
Landesweit
388
1,25
k.A.
Technische und
ManagementTrainingsmaßnahmen
Monitoring und
Evaluierung der Mine Action
Aktivitäten
Qualitätsmanagement
241
1,5
Landesweit
3
Landesweit
k.A.
Zentrum/
Norden
Internationale Mine Action NGOs
Humanitäre
310
Minenräumung
Survey
MRE
Manuelle und
maschinelle Räumung
EOD
Surveys
MRE
k.A.
Quelle: Eigene Zusammenstellung nach
MAPA o.J.b, S. 27-35; MAPA o.J.d, o.S.; ICBL 2005a, o.S.
210
Jahresbudget
2004
in Mio.
US $
17 Abbildungen, Tabellen und Textboxen
Abb. 37: Bevölkerungsdichte in Afghanistan ( UNDP/AIMS)
211
17 Abbildungen, Tabellen und Textboxen
Tab. 25: MAPA-Prioritätensetzung 2006/07
Priorty One:
ALIS high impacted communities and /or
Casualties – Where civilian mine/UXO casualties are occurring at an estimated rate indicating a clear and
imminent danger and/or
Repatriation – Where demining is needed to support repatriation of refugees or IDPs who are currently
returning or will return immediately upon the completion of clearance activities, and/or
Rehabilitation/ Development – Mine Action requests to support rehabilitation/Development projects that
are planned to commence immediately once clearance activities have been completed and/or
Other – Request to clear areas vital to the population (life saving/life sustaining) and no other alternatives
exist (e.g. hospitals, village water supplies/wells)
Priority Two:
ALIS medium impacted communities, and/or
Casualties – Areas where the estimated rate of civilian mine/ERW casualties indicate a significant danger
and/or
Rehabilitation/Development – Requests where plans for operations have been completed, but where
funds are not currently available to undertake the project and/or
Repatriation – Requests to support repatriation of refugees/IDPs where the return is likely to occur within
12 months of the task being completed, and/or
Other – Request that are significant (but not vital) to the economy or general well-being of a community
Priority Three:
ALIS low impacted communities, and/or
Rehabilitation/Development – Requests where the project concept has been approves but where detailed
plan and/or funds will not be available for at least one to two years, and/or
Repatriation – Requests to support repatriation of refugees/IDPs where the return is likely to occur in the
next one to two years, and/or
Other – Request where clearance would make some contribution to the ongoing economic development
and physical well being of the population (endorsed by local council/shura)
Priority Four:
All requests not covered in Priorities 1-3 where demining will improve local conditions
Quelle: MAPA o.J.c, S. 9f.
212
17 Abbildungen, Tabellen und Textboxen
Tab. 26: MAPA-Prioritätensetzung 2004/05
Priority One:
Rehabilitation/ Development– Mine Action requests to support rehabilitation/development projects that are
planned to commence immediately clearance activities have been completed. The requesting organisation
must provide proof that funds are available for rehabilitation tasks to begin immediately, once clearance is
completed, or
Repatriation – Mine Action requests to support repatriation of refugees or internally displaced persons
(IDP) who are currently returning or will return immediately upon the completion of clearance activities.
Evidence must be provided (e.g. by UNHCR or local authorities) that refugees or IDP will return, or
Casualties – Where civilian mine/UXO casualties are occurring at an estimated rate indicating a clear and
imminent danger (e.g. more than one victim per month) for the population in a specific village or localised
area, or
Other – Request to clear areas vital to the population (life saving/life sustaining) and no other alternatives
exist (e.g. hospitals, village water supplies/wells). These requests must be endorsed by the local council/shura and benefit the community as a whole. Areas to be utilised by relief agencies for urgent or essential operations (e.g. IDP/refugee camps, emergency facilities required to support disaster relief operations).
Priority Two:
Rehabilitation/Development – Requests where plans for operations have been completed, but where
funds are not currently available to undertake the project, or
Repatriation – Requests to support repatriation of refugees/IDPs where the return is likely to occur within
12 months of the task being completed, or
Casualties – Areas where the estimated rate of civilian mine/ERW casualties indicate a significant danger
(e.g. more than one victim per month) for the population in a specific village or localised area, or
Other – Request that are significant (but not vital) to the economy or general well-being of a community.
These requests must be endorsed by the local council/shura and benefit the community as a whole. This
may include major economic infrastructure assets (e.g. factories, roads, bridges), community facilities (e.g.
schools, mosques, cemeteries), essential agricultural and grazing land, production and commercial facilities.
Priority Three:
Rehabilitation/Development – Requests where the project concept has been approves but where detailed
plan and/or funds will not be available in the medium term (i.e. 1-2 years), or
Repatriation – Requests to support repatriation of refugees/IDPs where the return is likely to occur in the
medium term (i.e. 1-2 years), or
Casualties – Areas where the estimated rate of civilian mine/ERW casualties indicate a limited but remaining danger (e.g. less than one victim every six months) for the population in a specific village or localised
area, or
Other – Request where clearance would make some contribution to the ongoing economic development
and physical well being of the population (endorsed by local council/shura)
Priority Four:
Rehabilitation/Development – All requests not covered in Priorities 1-3, or
Repatriation – All requests not covered in Priorities 1-3, or
Casualties – Areas in which no civilian casualties have occurred however the area(s) are within one kilometre of permanent population zones (residential areas, roads, canals or agricultural areas), or
Other – Areas where permanent alternatives exist but clearance will improve local conditions or strengthen
the economic structure of the area (e.g. clearance of a more direct road between two districts).
Priority Five:
All other requests not covered in Priorities 1-4 (e.g. hilltops and mountainsides where the presence of
mines does not affect the normal life of the people).
Quelle: MAPA o.J.d, o.S.
213
17 Abbildungen, Tabellen und Textboxen
Abb. 38: Minenfelder, die bewässertes Ackerland blockieren (SAC/UNMACA 2005, S. 7)
214
Bochumer Geographische Arbeiten
begründet von Peter Schöller
herausgegeben vom Geographischen Institut der Ruhr-Universität Bochum
Schriftleitung: Jean-Claude Müller, Astrid Seckelmann, Lienhard Lötscher
Band 1
Band 2
Band 3
Band 4
Band 5
Band 6
Band 7
Band 8
Band 9
Band 10
Band 11
Band 12
Band 13
Band 14
Band 15
Band 16
Band 17
Band 18
Band 19
Band 20
Band 21
Band 22
Band 23
Band 24
Band 25
Band 26
Band 27
Band 28
Band 29
Band 30
Band 31
Band 32
Band 33
Band 34
Band 35
Band 36
Band 37
Band 38
Band 39
Bochum und das mittlere Ruhrgebiet (vergriffen)
Fritz-Wilhelm Achilles: Hafenstandorte und Hafenfunktionen im Rhein-Ruhr-Gebiet (vergriffen)
Alois Mayr: Ahlen in Westfalen (vergriffen). Als Band 2 der "Quellen und Studien zur Geschichte der Stadt Ahlen" (Selbstverlag der Stadt
Ahlen) noch erhältlich. Halbleinen 2,50 €
Horst Förster: Die funktionale und soziogeographische Gliederung der Mainzer Innenstadt. 1969, 94 S., 21 Abb., 42 Tab., 4 Bildtafeln,
4 beigegebene Karten (davon 2 farbig). Kartoniert 2,50 €
Heinz Heineberg: Wirtschaftsgeographische Strukturwandlungen auf den Shetland-Inseln. 1969, 142 S., 27 Tab., 54 einzelne Karten und
Diagramme, 10 Bilder. Kartoniert 2,50 €
Dietrich Kühne: Malaysia - Ethnische, soziale und wirtschaftliche Strukturen. 1970, 286 S., 23 Abb. und Karten. Kartoniert (vergriffen)
Zur 50. Wiederkehr des Gründungstages der Geologischen Gesellschaft zu Bochum. (Festschrift mit 6 Beiträgen), 1970, 80 S., 41 Abb.,
7 Karten. Kartoniert 2,50 €
Hanns Jürgen Buchholz: Formen städtischen Lebens im Ruhrgebiet - untersucht an sechs stadtgeographischen Beispielen. 1970, 100 S.,
9 Farbkarten, 17 Abb., 16 Bilder, 51 Tab. Kartoniert (vergriffen)
Franz-Josef Schulte-Althoff: Studien zur politischen Wissenschaftsgeschichte der deutschen Geographie im Zeitalter des Imperialismus.
1971, 250 S., (vergriffen)
Lothar Finke: Die Verwertbarkeit der Bodenschätzungsergebnisse für die Landschaftsökologie, dargestellt am Beispiel der Briloner Hochfläche. 1971, 104 S., 5 Abb.,16 Tab., 6 Karten. Kartoniert 2,50 €
Gert Duckwitz: Kleinstädte an Nahe, Glan und Alsenz. Ein historisch-geographischer, wirtschafts- und siedlungsgeographischer Beitrag zur
regionalen Kulturlandschaftsforschung. 1971, 172 S., 23 Tab., 48 Karten und Diagramme. Kartoniert (vergriffen)
Hans-Winfried Lauffs: Regionale Entwicklungsplanung in Südbrasilien. Am Beispiel des Rio dos Sinos-Gebietes. 1972, 232 S., 27 Tab.,
27 Abb., 2 Farbkarten. Kartoniert (vergriffen)
Ländliche Problemgebiete. Beiträge zur Geographie der Agrarwirtschaft in Europa. 1972, 208 S., 30 Abb. Kartoniert (vergriffen)
Peter Schöller, Hans H. Blotevogel, Hanns J. Buchholz, Manfred Hommel: Bibliographie zur Stadtgeographie. 1973, 158 S. Kartoniert
(vergriffen)
Liberia 1971. Ergebnisse einer Studienbereisung durch ein tropisches Entwicklungsland. Von K. Hottes, H. Liedtke, J. Blenck, B. Gerlach,
G. Grundmann, H.H. Hilsinger, H. Wiertz. 1973, 170 S., 11 Tab., 53 Abb. Kartoniert (vergriffen)
Trends in Urban Geography. Reports on Research in Major Language Areas. Edited by Peter Schöller. 1973, 75 S., 4 Tab., 6 Abb. Kartoniert
2,50 €
Manfred Hommel: Zentrenausrichtung in mehrkernigen Verdichtungsräumen an Beispielen aus dem rheinisch-westfälischen Industriegebiet.
1974, XII, 186 S., 82 Tab., 23 Karten und Diagramme. Kartoniert 2,50 €
Hans Heinrich Blotevogel: Zentrale Orte und Raumbeziehungen in Westfalen vor der Industrialisierung (1780-1850). 1975, X, 268 S.,
13 Tab., 63 Abb. Gebunden 2,50 €
Hans-Ulrich Weber: Formen räumlicher Integration in der Textilindustrie der EWG. 1975, XII, 114 S., 45 Abb., 28 Tab. Kartoniert 2,50 €
Klaus Brand: Räumliche Differenzierungen des Bildungsverhaltens in Nordrhein-Westfalen. 1975, XI, 167 S., 15 Abb., 31 Tab., 16 Karten.
Kartoniert 2,50 €
Winfried Flüchter: Neulandgewinnung und Industrieansiedlungen vor den japanischen Küsten. Funktionen, Strukturen und Auswirkungen der
Aufschüttungsgebiete (umetate-chi). 1975, XII, 192 S., 28 Abb., 16 Tab., 8 Bilder. Kartoniert (vergriffen)
Karl-Heinz Schmidt: Geomorphologische Untersuchungen in Karstgebieten des Bergisch-Sauerländischen Gebirges. Ein Beitrag zur Tertiärmorphologie im Rheinischen Schiefergebirge. 1975, XII, 170 S., 24 Abb., 17 Tab., 1 Karte, Kartoniert 2,50 €
Horst-Heiner Hilsinger: Das Flughafen-Umland. Eine wirtschaftsgeographische Untersuchung an ausgewählten Beispielen im westlichen
Europa. 1976, 152 S., 9 Tab., 13 Fotos und Luftbilder. Kartoniert 2,50 €
Niels Gutschow: Die japanische Burgstadt. 1976, 138 S., zahlreiche Tab., Abb., Fotos und Karten. Kartoniert 2,50 €
Arnhild Scholten: Länderbeschreibung und Länderkunde im islamischen Kulturraum des 10. Jahrhunderts. Ein geographischer Beitrag zur
Erforschung länderkundlicher Konzeptionen. 1976, 148 S., 4 Abb., 3 kartographische Skizzen. Kartoniert 2,50 €
Fritz Becker: Neuordnungen ländlicher Siedlungen in der Bundesrepublik Deutschland. 1976, 120 S., 23 Tab., 13 Karten, 8 Abb. Kartoniert
(vergriffen)
Werner Rutz: Indonesien - Verkehrserschließung seiner Außeninseln. 1976, 182 S., 62 Tab., 16 mehrfarbige Karten, 2 Graphiken. Kartoniert
(vergriffen)
Wolfgang Linke: Frühes Bauerntum und geographische Umwelt. Eine historisch-geographische Untersuchung des Früh- und Mittelneolithikums westfälischer und nordhessischer Bördenlandschaften. 1976, 205 S., 14 Tab., 9 Verbreitungskarten, 93 Karten mit Katalog.
Kartoniert 2,50 €
Dorothee Hain: Velbert - ein kontaktbestimmter Wirtschaftsraum. 1977, 228 S., 57 Tab., 12 Abb., 37 Karten. Kartoniert 2,50 €
Bernhard Butzin: Die Entwicklung Finnisch-Lapplands. Ansatz zu einem Modell des regionalen Wandels. 1977, 190 S., 43 Tab., 64 Abb.,
1 Übersichtskarte. Kartoniert 2,50 €
Heinz-Josef Gramsch: Die Entwicklung des Siegtales im jüngsten Tertiär und im Quartär. 1978, 196 S., 30 Tab., 35 Abb. Kartoniert 2,50 €
Anne-Marie Meyer zu Düttingdorf: Klimaschwankungen im maritimen und kontinentalen Raum Europas seit 1871. 1978, 140 S., 16 Tab.,
128 Abb. Kartoniert 2,50 €
Herbert Kersting: Industrie in der Standortgemeinschaft neuer Binnenhäfen. 1978, 200 S., 47 Tab., 25 Abb. Kartoniert 2,50 €
Wilfried Dege: Zentralörtliche Beziehungen über Staatsgrenzen. Untersucht im südlichen Oberrheingebiet. 1979, 184 S., 18 Tab., 10 Karten
im Anhang. Kartoniert 2,50 €
Johannes Karte: Räumliche Abgrenzung und regionale Differenzierung des Periglaziärs. 1979, 226 S., 23 Abb., 27 tabell. Übersichten.
Kartoniert 2,50 €
Wilhelm Kuttler: Einflußgrößen gesundheitsgefährdender Wetterlagen und deren bioklimatische Auswirkungen auf potentielle Erholungsgebiete. 1979, 129 S., 26 Tab., 39 Abb., 1 Karte. Kartoniert (vergriffen)
Otto Sporbeck: Bergbaubedingte Veränderungen des physischen Nutzungspotentials. Dargestellt am Beispiel des linksrheinischen Braunkohlenreviers. 1979, 202 S., 24 Tab., 41 Abb., 19 Karten im Anhang, 4 Deckblätter. Kartoniert 2,50 €
Peter Schöller, Willi Walter Puls, Hanns J. Buchholz (eds.): Federal Republic of Germany. Spatial Development and Problems. 1980, 68 S.,
22 Tab., 40 Abb. Kartoniert (vergriffen)
Karlheinz Hottes and F.E.I. Hamilton (ed.): Case Studies in Industrial Geography. 1980, 147 S., 28 Tab., 25 Abb. Kartoniert 2,50 €
Band 40
Band 41
Band 42
Band 43
Band 44
Band 45
Band 46
Band 47
Band 48
Band 49
Band 50
Band 51
Band 52
Band 53
Band 54
Band 55
Band 56
Band 57
Band 58
Band 59
Band 60
Band 61
Band 62
Band 63
Band 64
Band 65
Band 66
Band 67
Band 68
Band 69
Band 70
Band 71
Band 72
Band 73
Band 74
Band 75
Band 76
Herbert Liedtke (Hrsg.): Beiträge zur Glazialmorphologie und zum periglaziären Formenschatz. 1981, 140 S., 4 Tab., 60 Abb., 5 Bilder.
Kartoniert 2,50 €
Manfred Hommel: Die Bedeutung der Industrial Estates als Entwicklungs- und Planungsinstrument für industrielle Problemgebiete: Das
Beispiel Schottland. 1983, 144 S., 26 Tab., 34 Abb., 17 Karten. Kartoniert 2,50 €
Detlef Schreiber, Karlheinz Hottes (Hrsg.): Stausee Kemnade. Geographische Beiträge im interdisziplinären Forschungsprojekt der RuhrUniversität Bochum. 1982, 131 S., 32 Tab., 39 Abb., 10 Karten. Kartoniert 2,50 €
Günter R. Janhofer: Problemklima Südkalifornien. Klimakartierung der westlichen USA nach dem Verfahren von Schreiber. 1983, 120 S.,
12 Tab., 48 Abb., 1 Farbkarte. Kartoniert 2,50 €
Hans-Jürgen Klink und Herbert Liedtke (eds.): Physical Geography in the Federal Republic of Germany. 1984, 93 S., 14 Tab., 34 Abb.,
1 Farbkarte. Kartoniert 2,50 €
Rainer Glawion: Die natürliche Vegetation Islands als Ausdruck des ökologischen Raumpotentials. 1985, 220 S., 72 Tab., 56 Abb.,
6 Karten im Anhang (davon 5 farbig). Kartoniert 2,50 €
Werner Herzog: Kartographie und Bürgerbeteiligung im Rahmen der vorbereitenden Bauleitplanung. Empirische Untersuchungen zur kartographischen Kommunikation. 1986, 180 S., 21 Tab., 40 Abb. und Fotos, 16 Übersichten, 7 farbige Beilagen. Kartoniert 2,50 €
Wilhelm Kuttler: Raum-zeitliche Analyse atmosphärischer Spurenstoffeinträge in Mitteleuropa. 1986, 220 S., 56 Tab., 159 Abb. Kartoniert
2,50 €
Rolf Heyer: Funktionswandel innerstädtischer grünbestimmter Freiräume in deutschen Großstädten. 1987, 254 S., 33 Tab., 74 Abb.,
22 Karten im Anhang. Kartoniert 2,50 €
Thomas Littmann: Jungquartäre Ökosystemveränderungen und Klimaschwankungen in den Trockengebieten Amerikas und Afrikas. 1988,
223 S., 8 Tab., 22 Abb., 4 Karten. Kartoniert 2,50 €
Rolf Heyer und Manfred Hommel (Hrsg.): Stadt und Kulturraum. Peter Schöller zum Gedenken. 1989, 247 S., 26 Tab., 8 Fotos, 30 Karten,
2 Übersichten. Kartoniert 2,50 €
Horst Förster und Bronislaw Kortus (Hrsg./eds.): Sozialgeographische Probleme der Agglomerationen von Krakau und Oberschlesien /
Social Geographical Problems of the Cracow and Upper Silesia Agglomerations. 1989, 178 S., 31 Tab., 32 Diagramme, 6 Fotos, 30 Karten
im Text, 1 mehrfarbige Karte als Beilage. Kartoniert 2,50 €
Winfried Flüchter: Hochschulstandorte und Bildungsverhalten unter Aspekten der Raumordnung in Japan. 1990, 277 S., 48 Tab., 40 Abb.,
davon 15 Farbkarten im Anhang. Kartoniert 2,50 €
Peter Reinirkens: - Siedlungsböden im Ruhrgebiet - Bedeutung und Klassifikation im urban-industriellen Ökosystem Bochums. 1991,
146 S., 29 Tab., 32 Abb., 3 Karten. Kartoniert 2,50 €
Harald Mark: Karststudien in Thailand. 1991, 162 S., 8 Tab., 65 Abb., davon 22 Karten, 26 Photos. Kartoniert 2,50 €
Eberhard Kroß: Die Barriadas von Lima - Stadtentwicklungsprozesse in einer lateinamerikanischen Metropole. 1992, 415 S., zahlreiche
Karten, Photos und Tab. Kartoniert 49,- €
Rainer Glawion: Waldökosysteme in den Olympic Mountains und im pazifischen Nordwesten Nordamerikas. Geoökologisch-vegetationsgeographische Analysen und Bewertungen. 1993, 145 S., 28 Abb., 27 Tab. Kartoniert 21,- €
Jürgen Schewe: Touristische Stadtkarten: raumbezogene Informations- und Werbemittel im Städtetourismus. 1992, 153 S., 65 Abb., darunter zahlreiche Kartenausschnitte, 19 Tab. Kartoniert 21,- €
Heiner Dürr und Jürgen Gramke (Hrsg.): Das Ruhrgebiet im Wandel - Regionales Erbe und Gestaltung für die Zukunft. Festschrift zum
49.Deutschen Geographentag Bochum. 1993, 207 S., 57 Abb., 8 Tab. Kartoniert 17,50 €
Thomas Littmann: Immissionsbelastung durch Schwebstaub und Spurenstoffe im ländlichen Raum Nordwestdeutschlands. 1994, 147 S.,
90 Abb., 10 Tab. Kartoniert 21,- €
Ulrike Grabski-Kieron: Leitziele der Landschaftspflege für die Agrarlandschaft Brandenburgs - Beiträge zur ländlichen Entwicklung im Raum
Königs Wusterhausen. 1995, 143 S., 29 Abb., 20 Karten (darunter 2 mehrfarbig), 29 Tab. Kartoniert 22,50 €
Thomas Held: Stoffhaushaltliche Untersuchungen in Kleingärten der Stadt Witten/Ruhr mit besonderer Berücksichtigung der Schwermetalle.
1996, 152 S., 58 Abb., 79 Tab. Kartoniert 19,- €
Jürgen Herget: Die Flußentwicklung des Lippetals. 1997, 144 S., 9 Tab., 26 Abb., 25 Karten. Kartoniert 19,- €
Andreas Pflitsch: Untersuchung der räumlichen Repräsentanz lokaler Windverhältnisse für die Ausbreitung von Stäuben im Nahbereich
bodennaher Emissionsquellen. Bochum. 1998, 118 S., 1 CD ROM, 8 Karten nur auf CD, 21 Abb. nur auf CD, 28 Tab. Kartoniert 19,50 €
Elmar Jasper: Verkehrspolitik in Heidelberg. Die politisch-administrative Bearbeitung des Verkehrsproblems in Deutschlands "Bundeshauptstadt für Natur- und Umweltschutz 1996/1997” 1998, 94 S., 11 Abb., 2 Tab. Kartoniert 12,50 €
Jürgen Steinrücke: Changes in the Northern Hemispheric Zonal Circulation in the Atlantic-European Sector since 1881 and their Relationship
to Precipitation Frequencies in the Mediterranean and Central Europe. 1998, 137 S., 60 Abb., 37 Tab., 22 Karten. Kartoniert 19,- €
Benedikt M. Rey: Piktogramme und ihre Bedeutung in der Kartographie. 1999. 120 S., 29 Abb., 13 Tab., 17 Diagramme. Kartoniert 16,- €
Dirk Bronger: Lhasa. Vom Zentrum des Tibetischen Buddhismus zu einem Chinesischen Regionalzentrum. Historische, strukturelle und
funktionale Entwicklung 633-1998 n. Chr.. 2001. 103 S., 23 Abb., 10 Figuren., 3 Tab., 20 Fotos. Kartoniert 15,- €
Monika Bürger: Windrelevante Reliefklassifizierung. Parametrisierung des Orographieeinflusses auf mesoskalige Strömungsfelder als
Grundlage einer windklimatologisch relevanten Orographietypisierung. 2002. 137 S., 68 Abb., 5 Karten, 63 Tab. Kartoniert 17,- €
Lutz Trettin: Abfallwirtschaft und informeller Sektor in der City of Calcutta. Struktur, Funktionsweise und Verwundbarkeit des Entsorgungssystems einer südasiatischen Metropole. 2002. 221 S., 54 Abb., 26 Karten, 16 Tab. Kartoniert 9,- € (vergriffen)
Stefan Harnischmacher: Fluvialmorphologische Untersuchungen an kleinen, naturnahen Fließgewässern in Nordrhein - Westfalen – eine
empirische Studie. 2002. 318 S., 215 Abb., 29 Karten, 4 Fotos, 30 Tab. Kartoniert 15,- €
Antje Tönnis: Neue Nachhaltigkeit im Wald Deutsche und kanadische Forstwirtschaft zwischen weltweiten Verhandlungen und Projekten vor
Ort. 2004. 152 S., 45 Abb., 10 Tab. Kartoniert 10,- €
Markus Schwabe: Ein Neues Stadtmodell für die Postindustrielle Stadt? Eine sozialräumliche Untersuchung französischer Städte. 2005.
244 S., 160 Abb. teilweise farbig, 31 Tab. Kartoniert 12,- €
Michael Dohlen: Ein Stoffbilanzierung in urbanen Waldökosystemen der Stadt Bochum. 2006. 162 S., 53 Abb. teilweise farbig, 46 Tab.
Kartoniert 12,- €
Angela Hof: Land Use Change and Land Cover Assessment in Grazing Reserves in Northwest Nigeria – A Geographical Analysis Based on
Remote Sensing and Geographic Information Science. 2006. 124 S., 49 Abb. teilweise farbig, 32 Tab. Kartoniert 10,- €
Armin Hartmann: Aktivierung von Altstandorten für den Wohnungsbau. Nachhaltige Flächenbewirtschaftung am Beispiel der ehemaligen
Seilwerke "Puth" in Hattingen. 2006. 117 S., 46 Abb., 29 Karten, 6 Tab., 25 Fotos. Kartoniert
Peter Chifflard: Der Einfluss des Reliefs, der Hangsedimente und der Bodenvorfeuchte auf die Abflussbildung im Mittelgebirge – Experimentelle Prozess-Studien im Sauerland. 2006. 172 S., 99 Abb. teilweise farbig, 38 Tab., 6 Fotos. Kartoniert
Materialien zur Raumordnung
begründet von Karlheinz Hottes
herausgegeben vom Geographischen Institut der Ruhr-Universität Bochum
Schriftleitung: Carsten Jürgens
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Karlheinz Hottes und Dietrich Kühne: Verkehrsfeld Lünen/Nord. 1969
Karlheinz Hottes und Dietrich Kühne: Die Verkehrsfelder Lünen West und Süd. 1969
Karlheinz Hottes und Hanns Jürgen Buchholz: Stadtbahntrassen und Citystruktur in Bochum. 1970 (vergriffen)
Traute Weinzierl: Raumordnende Flurbereinigungsmaßnahmen in Fremdenverkehrsgebieten. 1970
Karlheinz Hottes und Josef Niggemann: Flurbereinigung als Ordnungsaufgabe. 1971 (vergriffen)
Jean-Claude Marandon: Der kombinierte Güterverkehr Schiene/Straße in der BRD als Faktor der Industrieansiedlung. 1973 (vergriffen)
Karlheinz Hottes und Günter Grundmann: Bewertung der Flächennutzung im Gebiet südlich des Hauptbahnhofes Bochum. 1972 (vergriffen)
Karlheinz Hottes und Fritz Becker: Wört - Eine ländliche Gemeinde im strukturräumlichen Entwicklungsprozeß Ostwürttembergs.1973. 1,- €
Hanns Jürgen Buchholz, Heinz Heineberg, Alois Mayr und Peter Schöller: Modelle kommunaler und regionaler Neugliederung im RheinRuhr-Wupper-Ballungsgebiet und die Zukunft der Stadt Hattingen. 1971. 1,- €
Karlheinz Hottes, Hanns Jürgen Buchholz und Manfred Hieret: Bochum-Gerthe. Analyse und Vorschläge zur Entwicklung. 1972 (vergriffen)
Karlheinz Hottes und Fritz Becker: Langenberg im bergisch-märkischen Grenzsaum. 1972 (vergriffen)
Karlheinz Hottes und Horst H. Hilsinger: Die Verkehrsfelder Lünen-Ost. 1972. 1,- €
Peter Michael Pötke: Retirement und Tourismus an der Westküste Floridas. 1973. 1,- €
Karlheinz Hottes, Rainer Teubert und Wilhelm von Kürten: Die Flurbereinigung als Instrument aktiver Landschaftspflege. 1974 (vergriffen)
Dietrich Badewitz: Der Odenwaldkreis - ein Wirtschaftsraum? Zum Problem der Abgrenzung von Wirtschaftsräumen. 1974. 1,- €
Karlheinz Hottes, Fritz Becker und Josef Niggemann: Flurbereinigung als Instrument der Siedlungsneuordnung. 1975 (vergriffen)
Herbert Becher, Gabriele Erpenbeck, Wilhelm Dahl, Ernst Zieris, Karlheinz Hottes, Uwe Meyer: Integration ausländischer Arbeitnehmer.
Siedlungs-, Wohnungs-, Freizeitwesen. 1977 (vergriffen)
Karlheinz Hottes, Rainer Teubert: Vertriebene und Flüchtlinge im Rheinisch-Westfälischen Industriegebiet. 1977 (vergriffen)
Bernd Hupfeld: Der Flughafen Düsseldorf als ein Zentrum des Luftfrachtverkehrs. 1978 (vergriffen)
Franz-Josef Paus und Sabine Rhode-Doetsch: Abgrabungen als Raumordnungsproblem im Regierungsbezirk Düsseldorf. 1978 (vergriffen)
Robert Marks: Ökologische Landschaftsanalyse und Landschaftsbewertung als Aufgaben der Angewandten Physischen Geographie, dargestellt am Beispiel der Räume Zwiesel/Falkenstein (Bayer. Wald) und Nettetal (Niederrh.). 1979 (vergriffen)
Reinhold E. Lob, Hans-Werner Wehling: Die Nutzungsstruktur des Essener Innenstadt. 1980 (vergriffen)
Walter Ziegler: Privatisierte Wohnkolonien. Beispiele aus dem Ruhrgebiet. 1983 (vergriffen)
Hannelore Wiertz: Prinzipien innerstädtischer Gliederung von Madras. Ansätze zu einer planerischen Bestandsaufnahme. 1983. 1,- €
Wilhelm Kuttler und Detlef Schreiber (Hrsg.): Stadt- und geländeklimatische Untersuchungen im südlichen Münsterland. 1984. 1,- €
Derek R. Diamond, Karlheinz Hottes, Wu-Chuan-chun (eds.): Regional Planning in Different Political Systems. - The Chinese Setting. 1984.
1, €
Karlheinz Hottes und Harald Uhlig (Hrsg.): Probleme der Entwicklungsländerforschung in Süd- und Südostasien. 1984. 1,- €
Peter Schöller (Hrsg.): Auswirkungen der kommunalen Neugliederung, dargestellt an Beispielen aus Nordrhein-Westfalen. 1984. 1,- €
Jürgen Dodt, Hans Friedrich Gorki, Werner Herzog, Heinz Pape, Angela Schöppner: Bibliographie zur Stadtkartographie - A Bibliography of
Urban Cartography. 1985. 1,- €
Wolfgang Schulte: Florenanalyse und Raumbewertung im Bochumer Stadtbereich. 1985 (vergriffen)
Ralf-Rainer Braun, Wolfgang M. Kaerkes: Bibliographie zur Stadtökologie und ökologischen Stadtplanung. 1985. 1,- €
Karlheinz Hottes, Egbert Wever, Hans-Ulrich Weber (eds.): Technology and Industrial Change in Europe. 1986. 1,- €
Hans-Peter Noll: Bergbau und Umwelt. Eine Auswahlbibliographie zur Nordwanderung des Ruhrbergbaus. 1987. 1,- €
Frank Erzner: Die Stellung Bochums und Dortmunds im Interaktionsfeld des Flughafens Düsseldorf. 1987. 1,- €
Wolfgang M. Kaerkes: Zur Bedeutung urbaner Freiflächen - dargestellt an Beispielen aus dem mittleren Ruhrgebiet. 1987. 1,- €
Angela Schöppner: Urlaub auf dem Bauernhof. Eine fremdenverkehrsgeographische Untersuchung. 1988 (vergriffen)
Peter M. Klecker: Die Geomorphologische Detailkartierung des Blattes 3520 Loccum - EDV-gestützte Auswertung und Anwendung in der
ökologischen Planung. 1989 (vergriffen)
Fritz Becker und Karlheinz Hottes (Hrsg.): Stadtrandentwicklungen in Indien: Planung, Ausbau, Wandel. 1989
Jai-Han Kim: Die Auswirkungen der Grenzziehung auf die Grenzgebiete - ein Vergleich zwischen Südkorea und der Bundesrepublik
Deutschland. 1990. 1,- €
Karlheinz Hottes und Horst Förster (Hrsg.): Bergbau und Regionalentwicklung in Nordamerika. 1991. 1,- €
Wolfgang Beckröge: Dreidimensionaler Aufbau der städtischen Wärmeinsel am Beispiel der Stadt Dortmund. 1990 (vergriffen)
Barbara Laaser: Konzentrationsgradienten von Pflanzennährstoffen im Kontaktbereich von Äckern und Auen. 1992. 1,- €
Gert Duckwitz und Horst-Jürgen Wienen (Hrsg.): Städtische Lebensverhältnisse im Spiegel der Bürgermeinung. 1990 (vergriffen)
Jürgen Steinrücke: Atmosphärischer Eintrag von Nähr- und Schadstoffen in einem Naturschutzgebiet im ländlichen Raum. 1991 (vergriffen)
Karsten Schreiber: Das Navajogebiet und seine Institutionen im Umbruch der Industrialisierung. 1991. 1,- €
Volker Duddek: Kompostierung organischer Garten- und Haushaltsrückstände. Konzept zur Einführung der Biotonne - dargestellt am Beispiel der Stadt Gelsenkirchen. 1994. 7,- €
Henry Bakis, Karlheinz Hottes und Hans-Ulrich Weber (ed.): Telecommunications and emerging spatial and economic organisation.1995.
6,50 €
Andreas Bendig: Ökologische Bewertung von Hochwasserrückhaltebecken am Beispiel von zwei Standorten im Ruhrgebiet. 1995. 7,- €
Thomas Held & Jürgen Herget: Forum Angewandte Geographie: ”Dezentrale Regenwasserbewirtschaftung”. 1997 (vergriffen)
Bernhard Butzin: Zur Zukunft des Ruhrgebiets. Materialien einer Spurensuche. 1998
Klaus Pirke: “Ohne Drähte läuft da sowieso nichts...” Mieterinteressen und Partizipation in der Erneuerung denkmalwerter Arbeitersiedlungen
des Ruhrgebiets. 1998. 7,50 €
Jürgen Herget & Thomas. Held: Forum Angewandte Geographie: ”Fließgewässerrenaturierung”. 1998 (vergriffen)
Tanja Runkel: Die Entwicklung eines Informationssystems zur Niederschlagsversickerung am Beispiel der Stadt Wuppertal”. 1999. 6,50 €
Katja Holzmüller, Harald Zepp, Reinhold Müller, Michael Jung: Landschaftsökologische Untersuchungen im Bergischen Freilichtmuseum.
1999. 4,50 €
Band 55
Band 56
Band 57
Band 58
Band 59
Band 60
Band 61
Band 62
Band 63
Band 64
Band 65
Band 66
Band 67
Band 68
Band 69
Band 70
Band 71
Otto Sporbeck, Jörg Borkenhagen, Klaus Müller-Pfannenstiel, Josef Lüchtemeier: Leitfaden für Umweltverträglichkeitsstudien zu Straßenbauvorhaben. 1999. 8,- €
Sebastian Kisters: „Ruhrpott, Ruhrpott!“. Wie die Europapokaltriumphe von Schalke 04 und Borussia Dortmund Image und Identität des
Ruhrgebiets veränderten... . 2000. 6,50 €
Stefan Waluga, Thomas Held, Jürgen Herget: Forum Angewandte Geographie: „GIS in der Praxis“. 2000. 5,- €
Volker Hecht & Christian Weis: Border Crossings in Southern Africa. Regional Development through Economic Integretion and Road Transport Strategies. 2001. 6,50 €
Britta Freis & Marlon Jopp: Messen und Verstehen in der Wissenschaft. 2001. 7,50 €
Johannes Immanuel Wamser: Mumbai – Standort für deutsche Firmen? Analyse und Bewertung der indischen Megastadt Bombay als
„globales“ Investitionsziel deutscher Unternehmer. 2002. 7,- €
Johannes Flacke, Thomas Held & Jürgen Herget: Forum Angewandte Geographie: „Lokale Agenda 21“ 2002. 5,- €
Khanh Hung Duong: Regionalentwicklung in Vietnam: Ausmaß und Dynamik des regionalen Entwicklungsgefälles in den 90er Jahren.
2003. 7,50 €
Jürgen Dodt, H. Mark, G. Ruppel: Kriegsbedingte Kontaminationsanteile auf altlastverdächtigen Altstandorten. Ein praxisbezogener Erfassungsansatz bei Standortrecherchen. 2003. 6,50 €
Stefan Harnischmacher, Jürgen Herget & Thomas Held: Forum Angewandte Geographie: ”EU-Wasserrahmenrichtlinien”. 2005 . 7,- €
Erstellt vom: Öko-Zentrum NRW Hamm. Arbeiten im Park. Anspruch und Realität qualitätsorientierter Gewerbeflächenentwicklung.
Evaluation des Modellvorhabens des Grundstücksfonds Nordrhein-Westfalen anhand von 19 Projekten des Brachflächenrecyclings.
2005. 8,- €
Bernhard Butzin, Peter Noll: Sustainable Brownfield Regeneration in Europe. Improving the quality of derelict land recycling. 2005. 6,- €
Jana Eglitis, Elmar Schulte-Tigges: Lokale „Livelihoods“ und Ökotourismus. Beispiele aus West-Zambia – Potenziale und Konflikte.
2005. 8,- €
Thomas Oversteeg: Transparenz und Nachvollziehbarkeit durch Wissensmanagement an einem Beispiel aus der Essener Wirtschaftsförderung (EWG). 2005. 6,- €
Meerha Choa: Selbstgenutztes Wohneigentum im Bestand als Strategie für die Aufwertung innerstädtischer Altbauquartiere in den
neuen Bundesländern. Dargestellt am Beispiel Selbstnutzerprogramm in Leipzig. 2007. 6,- €
Otto, Karl-Heinz (Hg.): Industriewald als Baustein postindustrieller Stadtlandschaften – Interdisziplinäre Ansätze aus Theorie und Praxis am
Beispiel des Ruhrgebiets. 2007.
Anne Dailly Hamdorf & Marion Gnanko Geisler: Landminen – Auswirkungen auf Gesellschaften in Entwicklungsländern. Mit den
Fallbeispielen Afghanistan und Mozambique. 2007.
Vertrieb und Anfragen bezüglich Schriftentausch:
Geographisches Institut der Ruhr-Universität, Selbstverlag, D-44780 Bochum, Universitätsstraße 150
Sonderreihe Bochumer Geographische Arbeiten
Band 1
Band 2
Band 3
Band 4
Band 5
Band 6
Band 7
Band 8
Band 9
Band 10
Band 11
Band 12
Band 13
Band 14
Wilhelm von Kürten: Landschaftsstruktur und Naherholungsräume im Ruhrgebiet und in seinen Randzonen. 1973, 320 S., 12 Tab., 47 Abb.
und Karten (teils mehrfarbig und großformatig). Gebunden (vergriffen)
Julius Hesemann: Geologie Nordrhein-Westfalens. 1975, 416 S., 119 Tab., 225 Abb. Gebunden 2,50 €
Detlef Schreiber: Entwurf einer Klimaeinteilung für landwirtschaftliche Belange. 1973, 104 S., 20 Abb., 13 teils mehrfarbige Karten im Anhang.
Kartoniert 2,50 €
Werner Mikus: Verkehrszellen. Beiträge zur verkehrsräumlichen Gliederung am Beispiel des Güterverkehrs der Großindustrie ausgewählter
EG-Länder. 1974, 192 S., 15 Tab., 35 Abb., 25 Karten. Kartoniert 2,50 €
Dirk Bronger: Formen räumlicher Verflechtung von Regionen in Andhra Pradesh/Indien als Grundlage einer Entwicklungsplanung. Ein Beitrag
der Angewandten Geographie zur Entwicklungsländerforschung. 1976, 268 S., 43 Tab., 43 Karten (teils mehrfarbig und großformatig),
10 Figuren und Diagramme. Gebunden 2,50 €
Karlheinz Hottes und P. Michael Pötke: Ausländische Arbeitnehmer im Ruhrgebiet und im Bergisch-Märkischen Land. Eine bevölkerungsgeographische Studie. 1977, 110 S. und 114 S. Anhang, 83 Tab., 20 Abb., 64 Karten. Kartoniert 2,50 €
Heinz Pape: Er Riad. Stadtgeographie und Stadtkartographie der Hauptstadt Saudi-Arabiens. 1977, 150 S., 47 Abb., 16 Tab., 8 Fotos,
5 Kartenbeilagen im Anhang. Kartoniert 2,50 €
Jürgen Dodt und Alois Mayr (Hrsg.): Bochum im Luftbild (vergriffen)
Heinz Heineberg: Zentren in West- und Ost-Berlin. Untersuchungen zum Problem der Erfassung und Bewertung großstädtischer funktionaler
Zentrenausstattungen in beiden Wirtschafts- und Gesellschaftssystemen Deutschlands. 1977 (vergriffen)
Hanns Jürgen Buchholz: Bevölkerungsmobilität und Wohnverhalten im sozialgeographischen Gefüge Hong Kongs. 1978 (vergriffen)
Horst Förster: Nordböhmen. Raumbewertungen und Kulturlandschaftsprozesse 1918-1970. 1978, 208 S., 41 Abb., 75 Tab., 2 Figuren,
3 Tafeln. Kartoniert (vergriffen)
Jean-Claude Marandon: Auslandsinvestitionen. Räumliche Verteilung und räumliche Auswirkung von ausländischen Industrieansiedlungen in
Belgien, Frankreich, Süditalien und in der Bundesrepublik Deutschland. 1983, 184 S., 55 Abb., 71 Tab., 24 Fotos. Kartoniert 2,50 €
Dieter Glatthaar & Jürgen Herget (Hrsg.): “Physische Geographie und Landeskunde – Festschrift für Herbert Liedtke. 1998,154 S. Kartoniert
12,50 €
Thomas Schmitt (Hrsg.): Themen, Trends und Thesen der Stadt- und Landschaftsökologie _ Festschrift für Hans-Jürgen Klink. 2003, 159 S.
Kartoniert 15,00 €
Vertrieb: örtlicher Buchhandel oder Selbstverlag
Geographisches Institut der Ruhr-Universität, Selbstverlag, D-44780 Bochum, Universitätsstraße 150