Narrenschiff BZ Basel

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Narrenschiff BZ Basel
DIENSTAG, 28. APRIL 2015
NORDWESTSCHWEIZ
KULTUR
32
«Veränderung tut
immer weh.»
Chris Dercon, designierter Intendant der Berliner
Volksbühne, über seine Aufgabe, das Theater in die
Zukunft zu führen.
C’est fou! Renaissance meets Rap
«Narrenschiff» Das verrückte trinationale Spektakel überschreitet morgen in der Martinskirche alle Grenzen
VON DANIEL NUSSBAUMER
«Es war für mich anfangs sehr seltsam,
verrückte Posen anzunehmen und Grimassen zu schneiden.» Die kurdischstämmige Muttenzer Gymnasiastin Yaren ist bei ihrem verrückten Treiben
aber nicht allein. Sie steht mit 150 Jugendlichen aus drei Ländern auf der
Bühne der Musikhochschule in Freiburg im Breisgau. Es singen, lachen,
kreischen, schnalzen und tanzen Schülerinnen und Schüler des Gymnasiums
Muttenz, des Deutsch-Französischen
Gymnasiums in Freiburg und des Centre de Formation de Musiciens Intervenants in Sélestat. Sie proben die szenische Performance «Narrenschiff – Un
oratorio électro-médiéval», zusammen
mit einem Sänger in frühneuzeitlicher
Robe, einem glatzköpfigen Rapper, einer Performerin im schrägsten LadyGaga-Outfit, sechs Tänzerinnen und
Tänzern, einer Handvoll Musikern mit
Trommel, Drehleier und Sackpfeife
und einer kompletten Funkjazzband.
«Ich freue mich am meisten darauf, einen fünf Jahre lang gehegten Traum jetzt
doch noch zu realisieren. Aber man
muss total verrückt sein, ein solches Projekt anzureissen und durchzuführen»,
sagt Projektleiter Mathias Schillmöller
aus Freiburg. Und weiter: «Das Ganze ist
in erster Linie ein riesiger Kommunikationsaufwand. C’est un groupe d’amis, und
man muss auch gern zusammen ein Bier
trinken wollen.» Musiklehrer und Chorleiter Christoph Huldi aus Muttenz, der
das Spektakel hauptsächlich dirigiert,
freut sich jetzt auf den Moment, wo alle
Einzelelemente zusammenwachsen und
zur Kunst werden.
Dieser grenzüberschreitende Event,
der in Freiburg am Samstag bereits
stattgefunden hat, wiederholt sich einmalig morgen Mittwochabend in der
Martinskirche, wenige Meter entfernt
von der Augustinergasse, wo Sebastian
Brant im Jahr 1494 sein Hauptwerk,
«Das Narrenschiff», verfasste, und ganz
in der Nähe von Erasmus von Rotterdams Grab im Basler Münster. Dessen
«Lob der Torheit» bildet die zweite
Textgrundlage.
Aktuelle Bestseller
Brant kritisierte in seiner Moralsatire
die menschlichen Laster und Torheiten, während Erasmus die Torheit in einer Frau personifizierte und in der Verrücktheit auch kreatives Potenzial und
gedankliche Grenzüberschreitung auslotete. Die beiden europäischen Bestseller des 15. Jahrhunderts sind in unserer Zeit des Übergangs verstörend aktu-
Jazzfestival
Schweizer Jazz in
Bremen im Fokus
Die nächste Musikfachmesse «jazzahead!»
in Bremen steht ganz im Zeichen der
Schweizer Jazzmusik: Die Schweiz ist das
Gastland der Messe 2016. Pro Helvetia, die
Fondation Suisa und das Schweizer Musik-Syndikat (SMS) werden gemeinsam
den Schweizer Auftritt verantworten. Die
Nomination als Gastland sei eine «einmalige Gelegenheit für die Schweizer Szene,
sich an diesem international bedeutendsten Jazz-Treffpunkt zu präsentieren»,
schrieben die Verantwortlichen.
Die Messe findet vom 21. bis 24. April
2016 in Bremen statt, die Organisatoren
rechnen mit über 3000 Fachteilnehmern. Zur Messe gehört auch ein Showcase-Festival mit Livekonzerten. (SDA)
DANIEL NUSSBAUMER
Schülerinnen inszenieren die Selbstverliebtheit – eine von vielen Torheiten, die seit über 500 Jahren Konjunktur haben.
ell und thematisch gerade auch für Jugendliche besonders zugänglich. Denn
wenig tun sie in kurzen gemeinschaftlichen Auszeiten lieber, als einander die
Clips von Menschen auf dem Smartphone zu zeigen, die sich besonders
peinlich oder verrückt verhalten haben. Verrückte gelten einerseits als gefährlich – andererseits oft auch als cool.
Und diese Tore des digitalen Zeitalters
halten den Jungen den Spiegel vor und
lassen sie sich fragen: Was ist normal?
Wie bin ich? Was ist menschlich? Was
wird aus der Menschheit?
Während der literarische Gehalt, die
menschliche Torheit, zeitlos ist und
von der Geld- und Machtgier über die
narzisstische Selbstdarstellung bis zum
alltäglichen
Beziehungswahnsinn
reicht, prallen in der musikalischen
Zeitreise aus Renaissance (hervorragend: Sebastian Mattmüller alias Sebas-
tian Brant), Klassik, Romantik, Pop und
Rap Welten aufeinander. Erasmus ist
ein französischsprachiger Rapper (Yan
Gilg). Als seine literarische Figur «La
Folie» (Torheit, Verrücktheit) betört
und verstört die experimentelle Sängerin Marie Schoenbock das Publikum
mit Stimmgewalt, Charme und schriller
Verspieltheit. Hinzu treten als visuelles
Medium die Filmprojektionen aus den
schulischen Videoateliers von Gilles
Dupas. Sie illustrieren und verfremden
die närrische Fahrt mal ästhetisch und
heiter, dann wieder fratzenhaft unheimlich, und sie untertiteln die Lieder
auf Französisch und Deutsch.
Trinationale Trägerschaft
Getragen wird das Projekt laut Regisseur Schillmöller seit Anbeginn von der
Faszination des Triregionalen. Es sei eine besondere Herausforderung gewe-
sen, so viele junge Menschen aus ihrem
normalen schulischen Alltag in drei
Ländern herauszuholen und die gemeinsamen Proben zu organisieren.
Der Oberrhein funktioniert in diesem
Projekt als ein gemeinschaftlicher Kulturraum – eine Idee, die sowohl von
staatlichen Stellen als auch von privaten Sponsoren der drei Staaten finanziell unterstützt wurde.
Und was sagen die Jugendlichen selber dazu? Überraschenderweise waren
nicht die nationalen oder sprachlichen
Barrieren anfänglich das Problem, sondern die Altersunterschiede. Gymnasiastin Yaren: «Wir waren zuerst Einzelgrüppchen, jedes für sich. Die Leute
vom Deutsch-Französischen Gymnasium sind zum Teil viel jünger als wir.
Aber in Breisach bei den gemeinsamen
Proben sind wir zusammengewachsen.»
Das sieht und hört man: Der Narren-
Einladung zum Ausbrechen
Theater Als Rentier über den
Gurten spazieren oder sich von
Blinden Bern schildern lassen –
das Theaterfestival Auawirleben lädt ein, gegen den Mainstream zu schwimmen.
VON IRENE WIDMER
«Der Underdog von gestern ist der
Mainstream von morgen» heisst es beispielsweise über die Performance «#6 –
Queer Sells» des Duos White on White.
Darin erproben der Schwede Iggy
Malmborg und der Deutsche Johannes
Schmitt die Werbewirksamkeit einer
Kombination aus Mainstream-Merkmalen und Minderheitenbonus.
Saubannerzug der Outsider
Auch «Human Resources» mit Randständigen und Behinderten der Compagnien kraut_produktion und Theater
Hora bewegt sich im Spannungsfeld
zwischen gesellschaftlich normierter,
ökonomisch optimierter Existenz und
der menschlichen «Ausschussware».
Die Darsteller bilden gemäss Programm
einen «Saubannerzug», der das unrentable Outsidertum zelebriert.
Nach draussen geht es mit den Finnen
von Other Spaces und ihrer «Reindeer
Safari»: Nach einer Einführung in das Sozialverhalten der Rentiere bilden die Zu-
schauer selber eine Herde und gehen auf
eine dreistündige Wanderschaft, auf der
sie den Gurten als Herdentier erkunden.
Neue Sichtweisen eröffnet der installative Spaziergang «Sights» der Tessiner
Trickster-p. Die Gruppe stellt an markanten Orten in Bern spezielle Telefonkabinen auf, in denen man den Schilderungen blinder «Reiseleiter» lauschen kann.
Neben den 14 kostenpflichtigen Produktionen bietet das Festivalzentrum im
Progr kleinere musikalische und theatralische Programme. An Stammtischen
kann man sich spätabends mit den
Künstlern unterhalten. (SDA)
Festival Auawirleben vom 30. April bis
am 10. Mai im Progr, Bern.
schiff-Chor ist eine starke Einheit. Seine
Untergruppen sind nicht nach Herkunft
gegliedert, sondern nach Stimmlagen.
Seine Sängerinnen und Sänger verkörpern in dem Prozess, was Erasmus in
der Figur des französischen Rappers so
ausdrückt: «On ne naît pas homme, on
le devient.» Der Mensch im humanistischen Verständnis ist nicht bloss die
Summe seiner Gene und angeborenen
Triebe, sondern er entwickelt sich erst
durch seine Geisteskraft. Und diese will
kreativ gefordert und inspiriert werden.
So soll es auch dem Publikum gehen.
Chorleiter Huldi meint: «Wer zu unserer
Performance kommt, ist verrückt – wer
sie sich entgehen lässt, ist ein Narr.»
Einzige Aufführung: Mittwoch,
29. April, 19.30 Uhr in der Martinskirche
Basel. Tickets ab 18.30 Uhr an der
Abendkasse.
Fernsehpreis
Auszeichnung nach
vier Jahrzehnten
Die seit 1973 laufende Soap Opera «Schatten der Leidenschaft» ist unter den Gewinnern der diesjährigen Daytime-Emmys. Die tägliche Serie, im Original «The
Young and the Restless», holte am Sonntagabend in Los Angeles die Trophäe als
«Bestes Drama». Den Top-Preis muss sie
sich mit der Drama-Serie «Zeit der Sehnsucht» («Days of our Lives») teilen.
Die Daytime-Emmys wurden zum 42.
Mal von der amerikanischen Fernsehakademie vergeben. Die Preise werden
für Programme verliehen, die vor 18
Uhr im US-Fernsehen laufen. Neben den
Soaps werden auch Talk- und Spielshows, Familiensendungen und Specials
ausgezeichnet. (SDA)