Epilog zum Fernsehen - Bertz + Fischer Verlag
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Epilog zum Fernsehen - Bertz + Fischer Verlag
Fernsehen wider die Tabus Epilog zum Fernsehen D as Fazit war verbittert. Als Amos Vogel anno 1997 für die erste Neuauflage seiner berühmten Studie Film als subversive Kunst. Kino wider die Tabus ein Vorwort schreibt, stellt er an den Beginn eine Generalabrechnung mit dem US-amerikanischen Fernsehen. Für ihn hat es eine radikale Verkümmerung künstlerischer Praxis nicht nur begünstigt, sondern verursacht, durch homogenisierende Verflachung und eine »universelle Nivellierung, eine betäubende, bösartige Fadesse«. Während Vogel dem Kino noch immer artistisches Potenzial attestiert, sieht er Organisation und Inhalte des Fernsehens zugleich als Grund wie auch als Ausdruck einer von Konsumismus und Kommerzialisierung beherrschten Kultur, die den Intellekt beleidige: »Der Raum, in dem diese Infantilisierung der Menschheit am klarsten hervortritt, ist die monströse Struktur des amerikanischen Fernsehens. Zum ersten Mal in der Geschichte wird das mächtigste Massenmedium einer Gesellschaft ausschließlich von der Werbewirtschaft und vom Markt kontrolliert, ausschließlich geleitet von kommerziellen Geboten, gesättigt von allgegenwärtigen Werbungen, die bestimmte Publikumsmengen an die Werbekundschaft ver8 Epilog zum Fernsehen mitteln (statt dem Publikum ein Programm), und einem breiten Spektrum von Kanälen, die 365 Tage im Jahr vor allem Müll ausstrahlen«3. Hier werden ›Kunst‹ und ›Kommerz‹ gegeneinander ausgespielt, das Fernsehen als Teil einer »Bewusstseinsindustrie« diffamiert, die durch ihre ebenso schematischen wie manipulatorischen Produkte einen universellen »Verblendungszusammenhang« konstituiert4. Nicht nur für die Degeneration der Massenmedien, auch für den Niedergang der gesamten Kultur ist das US-Fernsehen verantwortlich gemacht. So generalisierend der Überblick, so finalisierend die Conclusio. Im selben Jahr, in dem Vogel seine polemischen Zeilen formuliert, startet der US-amerikanische Pay-TV-Sender HBO seine bahnbrechende Eigenproduktion Oz (1997–2003), die einen neuen Typus seriellen Erzählens etabliert. Er ist definiert durch multiple Konflikte, die sich nicht länger auf eine Episode beschränken, sondern die einzelnen Folgen aufeinander aufbauen lassen, sie zu makrostrukturellen Handlungsbögen (story archs) verflechten. Diverse Erzählstränge ziehen sich durch mehrere Episoden oder ganze Staffeln mit der Konsequenz, dass eine Verknüpfung der einzelnen Folgen nach dem Prinzip der Fortsetzungsserie (serial) – im Gegensatz zur 9 Fernsehen wider die Tabus Ein neuer Typus seriellen Erzählens: Oz Episodenserie (series) mit in sich abgeschlossenen Folgegeschichten – chronologisch erfolgt und auch auf diese Weise rezipiert werden muss, die Abfolge der Episoden also nicht beliebig ist. Hier wird nicht eine Geschichte immer wieder erzählt, hier wird eine Geschichte immer weiter erzählt. Konflikte sind daher als Entwicklungsprozesse zu etablieren, was die Komplexität narrativer Entwürfe potenziert. Der Medienwissenschaftler Glen Creeber attestiert hier ungewöhnliche Strukturen in Form von »flexinarrative cumulative storylines«5, die konventionellere Muster des Erzählens im US-amerikanischen 10 Epilog zum Fernsehen Ausgeklügelte Serialisierung: Six Feet Under TV verdrängen, eine ästhetische Differenz, auf die auch sein Kollege Jason Mittell hinweist: »distinct for its use of narrative complexity as an alternative to the conventional episodic and serial forms that have typified most American television since its inception«6. Auf den Erfolg von Oz bei Publikum und Kritik lässt HBO rasch weitere Serien wie The Sopranos (1999–2007), Six Feet Under (2001–2005), The Wire (2002–2008), Carnivàle (2003–2005) oder Deadwood (2004–2006) folgen, mit denen der Sender seinen Ruf als Innovator seriellen Erzählens weiter kultiviert, indem das Raffinement der 11 Fernsehen wider die Tabus Komplexes Erzählen: Dexter Erzählweisen noch einmal radikalisiert wird. Dem Beispiel von HBO – inzwischen spricht man von einem »HBO aftereffect«7 – folgen zusehends auch andere Sender, der Pay-TV-Kanal Showtime lanciert mit The L Word (2004–2009), Huff (2004–2006), Sleeper Cell (2005–2006), Brotherhood (2006–2008) oder Dexter (2006ff.) vergleichbar komplexe Serien, und auch die Kabel-Sender FX und ABC starten betont ›anspruchsvolle‹ Programme: The Shield (2002–2008), Nip/Tuck (2003–2008), Rescue Me (2004ff.), Damages (2007–2010) oder Justified (2010f.) zum einen, Mad Men (2007ff.), Breaking Bad (2008ff.), Rubicon (2010f.), The Walking Dead 12 Epilog zum Fernsehen Anspruchsvolles Fernsehen: Nip/Tuck (2010f.) oder Hell on Wheels (2011) zum anderen. In unterschiedlicher Intensität verfolgen auch diese Serien narrative Strategien jenseits zuvor gültiger Normen: Sie zeichnen sich – trotz immer noch existierender »stand-alone episodes«8 – tendenziell durch ein Geflecht aus Haupt- und Nebenhandlungen aus, die auf komplexe Weise miteinander verwoben werden. Für den Medienwissenschaftler Steven Johnson ergibt sich bei diesen Serien damit eine exzeptionell ausgefeilte Dramaturgie, die eine deutliche Affinität zum Experiment aufweist. Er bezeichnet das basale dramaturgische Modell als »multithreading«9, womit er eine komplexe 13 Fernsehen wider die Tabus Innovative Serie: Mad Men Konstruktion aus zahlreichen verschiedenen Handlungssträngen mit unterschiedlichen, interagierenden Protagonisten bezeichnet, die sich auch eines episodischen und elliptischen Erzählens bedient. Dieser Dramaturgie geht es darum, Beziehungen zu knüpfen, ein Netz zu spinnen. So laufen bevorzugt narrative Fäden nebeneinander, ohne notwendigerweise einer entwirrenden Instanz zu unterliegen. Eher spiegeln sich einzelne Erzählstränge gegenseitig und reichern sich an. Es handelt sich um viele verschachtelte »erzählerische Linien, die sich periodisch kreuzen«, wodurch ihre »Verknüpfung, 14 Epilog zum Fernsehen das Vorhandensein von Effekten der einen auf die anderen«10 garantiert ist. Nicht selten werden diese narrativen Netze in einem ausgesprochen langsamen Erzähltempo ausgebreitet und dabei betont locker gesponnen, ist das Fragmentarische der Erzählung durchaus prätentiös ausgestellt11. Dadurch erreichen viele der aktuellen US-amerikanischen Serien nicht nur ein hohes Maß an Selbstreferenzialität, sondern auch eine neue Unübersichtlichkeit, die das erzählerische Setting außerordentlich multidimensional wirken lässt12. Es entsteht durch die Vielzahl der Protagonisten ein Panorama der Perspektiven, das weniger ein homogenes Bild formen will als vielmehr ein Kaleidoskop heterogener Bilder darstellt. Somit wären die neuen Serien vielleicht weniger als indexikalisch operierende Sichtbarkeitsmaschinen zu begreifen, ihr Diskurs ließe sich eher als ein Interface virtueller Fenster und Links beschreiben, das audiovisuelle Informationen archiviert. Die apokalyptische Bestandsaufnahme von Amos Vogel aus dem Jahr 1997 hat sich damit kaum eine Dekade später in ihr Gegenteil verkehrt. The Sopranos etwa gelten heute als »a contemporary American masterpiece«13, wenn nicht gar als »the greatest work of American popular culture of the last quarter century«14. Nun wird das US-Fernsehen 15 Fernsehen wider die Tabus emphatisch als Instanz eines »positive brainwashing«15 gerühmt, die ihr Publikum zu »amateur narratologists«16 mache, indem sie intellektuelle Leistungen nicht nur ermögliche, sondern sogar stimuliere. Mit seinen aktuellen Serien gilt das amerikanische Fernsehen heute als Prototyp avancierten Erzählens, das besonderen Vorbildcharakter reklamieren könne mit Qualitäten wie »Wagemut, Kreativität und Anspruch«17. Das Serielle ist damit nicht mehr abschätzig unter den Verdacht der unoriginellen Wiederholung gestellt, es besitzt jetzt ›werthaften‹ Kunstcharakter, gilt als autonomes ›Artefakt‹. Nicht länger wird demzufolge ein später Sieg des US-amerikanischen ›Medienimperialismus‹ beklagt, sondern stattdessen »der Triumph einer Erzählweise« gefeiert, »die intellektuelle Herausforderung durch ästhetische und inhaltliche Innovationen erzeugt«18. Einzelne Serienfolgen sind zwar noch immer kosteneffizient, jedoch nun nicht selten teurer produziert als Spielfilme (zwischen 4,5 und 6,5 Millionen, bei der HBO-Serie Rome [2005–2007] und bei Boardwalk Empire [2010f.] fast 10 respektive 20 Millionen Dollar19). Besonderer Wert wird auf eine ›filmische‹ Ästhetik gelegt, die sich möglichst weit von den berüchtigten ›Talking Heads‹ früherer Serien entfernt und nicht länger dem Kino vorbe16 Epilog zum Fernsehen Multidimensionalität im TV: Breaking Bad halten ist: Gedreht wird mit nur einer Kamera, meist auf 35mm, sowohl für Innen- als auch Außenaufnahmen, man setzt auf Breitbild, es dominiert eine kontrastreiche Lichtsetzung, fluide Kamerabewegungen öffnen den Raum, ein sorgfältiger Schnitt pointiert die dramatische Handlung. Hinzu kommen musikalische Akzentuierungen, die an die Erzählung gekoppelt sind und zugleich mit dem popkulturellen Wissen des Zuschauers spielen. Durch Sorgfalt in der Produktion können so ästhetische Muster ein neues »Qualitätsfernsehen« stiften20. Wo Amos Vogel seine utopischen Hoffnungen noch auf das Kino fokussiert, haben sich inzwischen 17 Fernsehen wider die Tabus Filmische Ästhetik: Boardwalk Empire die Zuschreibungen umgekehrt. Nun gilt das Kino als ein reaktionäres Medium, das zu seinen ›primitiven‹ Wurzeln bei Jahrmarkt und Varieté zurückkehrt, während das lange als ›proletarisch‹ diffamierte Fernsehen ein ungeahntes ›künstlerisches‹ Potenzial aktualisiert, zu einem autonomen »künstlerischen Feld« wird, das im Sinne Pierre Bourdieus die »Umkehrung des ökonomischen Gesetzes zu seinem Grundgesetz erhebt«21. Fernsehen ist plötzlich ein Raum legitimer Kunstproduktion, dem symbolisches Kapital und damit artistische Güte zugeschrieben wird. Diese ästhetische Disposition ver18 Epilog zum Fernsehen schiebt tradierte Vorurteile, ein neuer Glaube an ›künstlerische‹ Wertproduktion ist entstanden. Das Kino habe ein Problem, das Fernsehen sei die Lösung: »Während sich die Studios in Hollywood vom filmischen Erwachsenendrama zugunsten von 3DSpektakeln, Fantasy- und Videospielverfilmungen verabschieden, wird das Fernsehen zur Zuflucht der Drehbuchautoren, denen ihr Schreiben wichtig ist«22. Oder alternativ dazu: »Während das US-Kino sich mit Hilfe modernster Tricktechnik zu den Ursprüngen des Mediums zurückpixelt, transferiert das Fernsehen die Erzählkultur des 19. Jahrhunderts in die Bildermedien-Moderne«23. Es ist in den Feuilletons die Rede von einem »endgültigen Untergang des Kinos«, gekoppelt an die Frage: »[w]as [...] es noch ausrichten soll [...] mit seinen immer gleichen Geschichten und simpel gestrickten Plots, wenn Regisseure und Produzenten im Fernsehen so viel verschlungenere und unterhaltsamere Geschichten erzählen dürfen?«24 Natürlich wird hier ignoriert, dass das institutionalisierte Repräsentationskino sich mitnichten an einer monolithischen Wiederkehr des »Cinema of Attractions«25 abarbeitet, sondern ebenfalls immer stärker ein avanciertes Erzählen pflegt, von dem Filme wie ADAPTATION von Spike Jonze (2002), Tarantinos KILL BILL (2003, 2004), 19 Fernsehen wider die Tabus Michel Gondrys ETERNAL SUNSHINE OF THE SPOTLESS MIND (2004), THE BOX (2009) von Richard Kelly oder INCEPTION (2010) von Christopher Nolan nachhaltig Zeugnis ablegen26. Ferner bleibt der neuerliche Triumph von ›Reality-TV‹ mit Serien wie Survivor (2000ff.; CBS), The Amazing Race (2001ff.; CBS), American Idol (2002ff.; Fox), The Apprentice (2004ff.; NBC) oder Hell’s Kitchen (2005ff.; Fox) gänzlich ausgeblendet. Neben diese zweifelhafte Dichotomisierung von Kino und TV – die zudem weder institutionell (horizontale Integration in Medienkonzerne) noch personell (crossmediale Beschäftigung von Kreativkräften) aufrecht zu erhalten ist – tritt im feuilletonistischen Diskurs eine Parallelisierung des Fernsehens mit einem älteren Medium. Es wird nicht nur konstatiert, dass die aktuellen Serien im »Vergleich zu dem, was [...] im Kino läuft, [...] schlicht interessanter, gewagter, anspruchsvoller« seien, sondern auch: »epischer«27. Die neuen US-amerikanischen Serien, so argumentiert ebenfalls Sascha Seiler, nähmen »eher den epischen Roman zum Vorbild als das [...] von starken ästhetischen Limitierungen betroffene Kino«28. Intensiv feiert das Feuilleton amerikanisches Fernsehen plötzlich als legitimen Erben bürgerlicher Kunst und ganz besonders als Renaissance eines ›realisti20 Epilog zum Fernsehen Avanciertes Erzählen im Kino: INCEPTION schen‹ Erzählens, das die moderne Literatur zu Beginn des 20. Jahrhunderts endgültig desavouiert29. The Wire, schreibt etwa die Frankfurter Allgemeine Zeitung, sei »[e]in Balzac für unsere Zeit«. Hier werde die generische Disposition transzendiert, hier weite »sich die Krimiserie zum Gesellschaftspanorama«, zu einer »Soziologie mit erzählerischen Mitteln«, sodass im »urbanen Mikrokosmos Baltimore ein hochdifferenziertes Bild der sozialen Wirklichkeit Amerikas«30 entstehe. Es gehe den Machern, konstatiert ebenso die Berliner Zeitung, um nichts weniger als darum, »in einem gesellschaftlichen Epos den Wandel der Großstädte im 21. Jahrhundert nach[zuzeichnen], den moralischen Verfall, den Druck der Globalisierung auf die westlichen Industriestädte, den Rassismus«31. Diese vermeintlich analytische Beschäftigung mit ›ernsten‹ und ›wich21 Fernsehen wider die Tabus Angewandte Soziologie: The Wire tigen‹ Sujets bildet ein entscheidendes Kriterium für die Nobilitierung einer Fernsehserie zum ›QualitätsTV‹. Indem die Darstellung emotionaler Konflikte zur Thematisierung kollektiver Identitäten ausgebaut ist, konstituiert sich ein im Fernsehen tatsächlich bis dato eher unüblicher Überschuss an direkten Referenzen auf Verstrickungen von Legislative, Judikative und Exekutive. Hinzu kommt die Darstellung des Themas durch Bedeutungsträger, die immer wieder auf ein historisches Erzählmodell rückgeführt werden. The Wire stehe damit geradezu paradigmatisch für die Ästhetik der neuen US-amerikanischen Fern22 Epilog zum Fernsehen sehserie: »Ihr Aufbau und ihre Kunst der Verdichtung und des Schnitts entsprechen den Verfahren der großen Gesellschaftsromane des 19. Jahrhunderts«. Auch wenn die TV-Serie als audiovisuelles Medium nicht über spezifisch literarische Techniken wie etwa psychologische Introspektion verfügt, so nähert sie sich nach Meinung des Feuilletons in der Kontextualisierung der vielfältigen Beziehungen dennoch sukzessive der Mehrdimensionalität epischer Erzählungen an. Ihre daraus resultierende Komplexität mache eine ähnliche rezeptionsseitige Anstrengung von Nöten, wie sie literarische Produktion einfordere. Für den Zuschauer sei es schier »unerlässlich, zurückzuspringen, Dialoge oder Szenen noch einmal anzusehen, also die Serie wie ein Buch [zu] ›lesen‹«32. Deshalb lebe und leide »man mit den Helden, wie man es sonst nur in Romanen tut«, während, so der erneute Schlenker, »im Kino die soundsovielte Fortsetzung der Geschichte natürlich völlig egal ist, weil sie im Grunde schon zu Ende erzählt war«33. Eine Serie wie The Wire wird aber nicht nur dem Kino gegenübergestellt, sie wird auch gegenüber der eigenen Gattung verteidigt. Das Feuilleton würdigt die Transgression von generischen Elementen und medialen Prädispositionen und feiert im gleichen Atemzug die Neudefinition gängiger Serienformate 23 Fernsehen wider die Tabus durch ein episches Erzählen. In diesem Sinne merken selbst Der Freitag und die taz an, dass The Wire »weniger eine Polizeiserie als vielmehr der Roman einer Stadt«34 sei, dass hier das Äquivalent vorliege »zu den eminenten Textarchitekturen der bürgerlichen Epoche«. Also demnach »Riesenwerke, die über den Fortgang von sechs, sieben oder mehr Staffeln gesellschaftliche Panoramen auffächern, wie es bislang nur die epische Literatur vermochte«35. Diese bisher ungekannte »umfassende, epische Breite, mit der hier verschiedene gesellschaftliche Milieus und Einrichtungen durchleuchtet werden«, habe der Serie zu Recht den Vergleich mit ›großen‹ Romanciers des 19. Jahrhunderts eingebracht: »The Wire Schauen fühlt sich tatsächlich mehr an wie Literaturlesen als wie Fernsehen«, eben weil »die einzelnen Episoden wie Kapitel eines Buches funktionieren«36. So sei David Simon, der ›Schöpfer‹ von The Wire, »ein moderner Dickens oder Dostojewski«37, der »den Nobelpreis für Literatur verdient«38 habe. Will man die hier gezogenen Analogien zwischen verschiedenen medialen Formen hinsichtlich ihrer ideologischen Implikationen betrachten, dann fällt nicht nur auf, dass das Fernsehen über das kulturelle Prestige eines anderen Mediums aufgewertet ist, sondern auch, dass diese Art der Produktionen für eine aus24 Epilog zum Fernsehen Roman einer Stadt: The Wire gewählte Zielgruppe ausdrücklich begrüßt wird. Die neuen Serien sprechen kein Massenpublikum an, sie richten sich an eine privilegierte Elite: »An educated upper-middle class«39. Dem Feuilleton freilich ist daran gelegen, durch die Adelung von TV-Serien zu ›anspruchsvoller‹ Kunst ihre eigene Beschäftigung mit dem Gegenstand zu legitimieren und damit gleichzeitig eine möglichst große Leserschaft anzusprechen, die sich wiederum aus dem identischen Zielpublikum von Feuilleton und ›Qualitätsfernsehen‹ rekrutiert: aus dem Bildungsbürgertum. Auszug aus: Ivo Ritzer: Fernsehen wider die Tabus. Sex, Gewalt, Zensur und die25 neuen US-Serien © Bertz + Fischer Verlag. ISBN 978-3-86505-707-5 http://www.bertz-fischer.de/fernsehenwiderdietabus.html