Rechtsmedizin - Universitätsklinikum Düsseldorf
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Universitätsklinikum Düsseldorf 1 Institut für Rechtsmedizin Direktorin: Univ.-Prof. Dr. med. S. Ritz-Timme Skriptum Rechtsmedizin für Studierende der Medizin Überarbeitung des vom Institut für Rechtsmedizin der Universität Bern entwickelten Skriptes, mit freundlicher Genehmigung der Berner Autoren 2 Inhaltsverzeichnis Seite 1. Einführung in die Rechtsmedizin 3 2. Thanatologie: Sterben und Tod, Leichenerscheinungen, Todeszeitschätzung 4 3. Vital Reaktionen 4. Natürlicher Tod 5. Die ärztliche Leichenschau 17 6. Der plötzliche Säuglingstod (SIDS) 37 7. Stumpfe Gewalt 39 8. Scharfe Gewalt 42 9. Schuss 44 10. Sauerstoffmangel: Ersticken: Strangulation, Lagebedingtes Ersticken, Ertrinken 50 11. Verkehrsunfall 53 12. Thermische Schäden: Hitze, Kälte 57 13. Strom, Blitz 60 14. Identifikation 63 15. Klinische Rechtsmedizin 66 11 Nicht-natürlicher Tod 13 15.1 Körperverletzungen 66 15.2 Kindesmisshandlungen 68 15.3 Sexualdelikte 72 15.4 Häusliche Gewalt 74 16. DNA-Analysen, Spurenkunde, Abstammungsbegutachtung 79 17. Fahreignung/Fahrfähigkeit 86 18. Forensische Toxikologie: Blutalkohol, Drogen und Medikamente im Strassenverkehr, Vergiftungsverdacht beim Toten 87 19. Der medizinische Behandlungsfehler 94 20. Juristischer Teil, Arztrecht 97 21. Mögliche Prüfungsfragen für das medizinische Staatsexamen 101 22. Anhang: Auswahl an für Ärzte relevante Rechtsnormen 105 1. Einführung in die Rechtsmedizin 3 Definition des Faches: Die Rechtsmedizin beschäftigt sich mit Fragen aus der straf-, zivil- und versicherungsrechtlichen Praxis, die nur mit wissenschaftlichen Methoden (Medizin, Chemie, Biologie) beantwortet werden können. Die k l a s s i s c h e n Bereiche der Rechtsmedizin umfassen heute die forensische Medizin, die forensische Chemie sowie die forensische Molekularbiologie. Angrenzende Disziplinen sind die forensische Psychiatrie (z.B. Beurteilung der Schuldfähigkeit), die forensische Odontologie (z.B. Identifikationen, Bissverletzungen) sowie die forensische Wundballistik (z.B. Rekonstruktion von Schussverletzungen). Forensisches Denken: − De omnibus dubitandum (d.h. man muss an allem zweifeln) − Vom Befund zur Anamnese (Rekonstruktion eines in der Vergangenheit liegenden Ereignisses) Von besonderer Bedeutung sind dabei: 1. die Objektivität 2. logisches Denken 3. das Case-Management (Zusammenarbeit mit verschiedenen Fachdisziplinen) 4. das Rechtsverständnis 5. die gemeinverständliche Sprache 6. die Dolmetscherfunktion für das Gericht Geschichtliches: Das Fach ist dort entstanden wo sich Rechtsordnungen etabliert haben: − Codex Hammurabi (1750 v.Chr.) - Folgen eines Kunstfehlers − Lex allemanorum (7. Jh.): Zivilrechtliche Aspekte − Rechtsleben der oberitalienischen Städte im Mittelalter: Erste gerichtliche Sektion 1301 − 1532 Gesetzeswerk Carolina; Definitive Institutionalisierung des Faches im Gesetzestext − Felix Platter 15./16. Jh. (Basel) - Vater der helvetischen Rechtsmedizin − 1804: Erster Lehrstuhl in Wien 2. Thanatologie (Lehre vom Tod) 4 2.1 Sterben und Tod Definitionen und Erläuterungen: - Vita minima = Scheintod = reanimierbar: Fehlende Lebenszeichen, fehlende sichere Todeszeichen. Kommt selten, dann aber vor allem bei Unterkühlung und/oder Intoxikation vor. - Vitalreaktionen: Unter Vitalreaktionen versteht man Befunde, die darauf hinweisen, dass die schädigende Einwirkung auf den Körper während des Lebens stattgefunden hat (siehe Kap. 3). - Supravitale Reaktionen: Von praktischer Bedeutung für die Schätzung der Todeszeit sind hier: Reaktion der Skelettmuskulatur auf Reize nach Eintritt des Individualtodes mit Muskelkontraktion auf mechanischen Reiz (Idiomuskulärer Wulst nach Schlag auf den Muskel) oder elektrischen Reiz; ferner Pupillenreaktion auf Augentropfen (Mydriatica bzw. Myotica). - Individualtod = irreversibler Herzstillstand und/oder irreversibler Hirnausfall = nicht reanimierbar, aber an Herz-Lungenmaschine am „Leben“ zu erhaltender Organismus. Die Entnahme von Organen zur Transplantation setzt die Feststellung des Individualtodes voraus (gilt natürlich nicht für eine sog. „Lebendspende“! z.B. Knochenmark) 5 - Organtod = endgültiger Funktionsausfall der Organe und Organsysteme - Postmortale Veränderungen: = „Leichenerscheinungen“: siehe 2.2. 2.2 Leichenerscheinungen Sie dienen: - zur sicheren Todesfeststellung. Merke: Die drei sicheren Todeszeichen sind: Totenflecken, Totenstarre und Fäulnis! - zur Schätzung der Todeszeit (siehe 2.3) - gelegentlich zur Diagnose der Todesursache (z.B. hellrote Totenflecken bei CO-Vergiftung, spärliche oder fehlende Totenflecken bei Verbluten etc.) 2.2.1 Totenflecken (Livor mortis oder Livores) = blau-violette, anfänglich fleckförmige, später flächenhafte Verfärbung der Haut an den der Erde zugewandten Körperstellen mit Aussparung der Aufliegeflächen. Entstehung durch Blutfülle der Blutgefässe infolge Absinken des nicht mehr zirkulierenden Blutes entsprechend der Schwerkraft. Allmähliche Eindickung des Blutes, weshalb sich die Totenflecken später nicht mehr wegdrücken oder umlagern lassen (s. Todeszeitschätzung). „Vibices“ = postmortale, kleine, punktförmige Austritte von Blut in die Haut innerhalb der Totenflecken. Auftreten der Totenflecken: bereits ca. 20 - 30 Minuten nach Todeseintritt. Merke: Totenflecken sind das früheste sichere Todeszeichen! Spärliche oder fehlende Totenflecken bei Blutarmut oder Blutverlust und bei Leichen, die aus tiefem Gewässer geborgen werden (Wasserdruck komprimiert die Hautgefäße von aussen, analog den „Aufliegestellen“). Hellrot verfärbte Totenflecken bei CO-Vergiftung und bei Kälte (siehe Kap.12). 2.2.2 Totenstarre (Rigor mortis) Allmählich starr werdende Muskulatur durch postmortalen Zerfall von Adenosintriphosphat (ATP) im Muskel. Keine Lageveränderung der Extremitäten durch Eintritt der Totenstarre aber allmählicher Schluss des Kiefers. 6 N.B.: Beim Todeseintritt werden alle Muskeln schlaff. Die Gesichtsmuskulatur erschlafft und der Leichnam sieht deshalb, auch wenn der Tod qualvoll war, friedlich aus. Auftreten der Totenstarre: i.d.R. 2 - 3 Stunden nach Todeseintritt. Zunächst nur leichte Steifigkeit beim passiven Bewegen in den Gelenken, dann immer stärker werdende, nach ca. 8 Stunden vollständige Starre. Passive Überwindung nur mit sehr grossem Kraftaufwand möglich. Nach ca. 2 - 3 Tagen spontane Lösung der Starre durch Autolyse (s.u.). Auftreten, Fortschreiten und Lösung der Totenstarre stark temperaturabhängig, da chemischer Zerfallsprozess. Bei tiefer Außentemperatur verlangsamter, bei hoher Temperatur beschleunigter Prozess. Spezielles: Oft keine Totenstarre bei Leichen aus fließenden Gewässern, da Leiche dauernd bewegt wird und sich Starre nicht ausbilden kann. Rascher eintretende Starre nach Muskelarbeit mit ATP-Verlust, z.B. in den Beinen bei verunfalltem Radrennfahrer. 2.2.3 Fäulnis, Autolyse, Verwesung, Mumifikation, Skelettierung = späte Leichenerscheinungen Fäulnis = anaerobe bakterielle Zersetzung. Bakterien stammen aus Dickdarm oder MundNasenbereich. Entsprechend beginnt Fäulnis entweder im Dickdarm (häufig) oder im Gesicht (seltener). Durch bakterielle Eiweisszersetzung entstehen schweflige Verbindungen; roter Blutfarbstoff Hämoglobin wird in Sulfhämoglobin (grün) umgewandelt. Bildung von übelriechenden Fäulnisgasen. Frühestes Fäulniszeichen ist eine Grünverfärbung der Haut im rechten Unterbauch, weil hier der Dickdarm am nächsten zur Bauchhaut liegt. DD: Hämatom! Fäulnis schreitet entlang des Gefässnetzes voran, Hautgefäße zeichnen sich ab (sog. „durchschlagendes Venennetz“), die ganze Haut verfärbt sich grün-schwarz, Gasdruck bläht den Körper auf, es kommt zu Blasenbildungen der Haut und zu Austritt rötlicher, übelriechender Flüssigkeit aus Mund und Nase. DD: Blutaustritt! Fäulnisentwicklung ist stark temperaturabhängig. Im Sommer evtl. schon nach einem Tag deutlich erkennbar. 7 Autolyse = Zersetzung des Gewebes durch körpereigene Substanzen (Magensäure, Enzyme),Bsp: Zerstörung der Magenschleimhaut durch Magensäure. Verwesung = Auf die Fäulnis und Autolyse folgende, aerobe bakterielle Zersetzung des Körpers. Mumifikation = Vertrocknung. Beginnt in trockenem Milieu bereits nach wenigen Tagen an Fingern, Nasenspitze, Lippen und Hodensack in Form einer dunklen Verfärbung und ledrigen Veränderung der Haut. Nach Monaten kann der ganze Körper mumifiziert sein. Skelettierung: Freilegung der Knochen durch Gewebezerfall und/oder Tierfraß. Im Wald ist vollständige Skelettierung durch Insekten etc. innerhalb von Wochen möglich. Fettwachsbildung (Adipocire): Umwandlung des Körperfettes (ungesättigte Fettsäuren) in feuchtem, sauerstoffarmem Milieu (Wasser, feuchtes Lehmgrab etc.) in weiss- graue, harte, z.T. krümelige Masse. Dauer: Monate bis Jahre. „Leichengift“: existiert nicht, d.h. eine gesunde Person wird nach dem Todeseintritt nicht giftig oder infektiös. Die Seuchengefahr nach Naturkatastrophen beruht nicht auf den herumliegenden Toten, sondern auf der mangelnden Hygiene und der generellen Verschmutzung des Trinkwassers. Eine Übertragung einer (zu Lebzeiten akquirierten) Infektion von einer Leiche auf eine lebende Person ist aber grundsätzlich über Hautwunden möglich, weshalb Handschuhe bei der Leichenuntersuchung zu tragen sind. Bei Obduktionen ist diese Infektionsgefahr durch Aerosolbildung erhöht (z.B. Tuberkulose). Mumien können auf ihrer Oberfläche Aspergillen (Pilze) aufweisen, welche für die Untersucher gesundheitsschädigend sein können. 2.3 Todeszeitschätzung Kriminalistisch wichtig zur Alibi-Abklärung beim Tötungsdelikt und generell zur Überprüfung von Angaben von Zeugen. Merke: Todeszeit bedeutet nicht zwingend Tatzeit, da ein längeres Überleben nach der Tat in gewissen Fällen möglich ist! 8 2.3.1 Verhalten der Totenflecken - Auftreten nach 20 - 30 Minuten, - wegstreichbar (leichtes Darüberstreichen) bis ca. 3 - 4 Stunden post mortem, - auf kräftigen Fingerdruck verdrängbar bis ca. 20 - 30 Stunden post mortem. Umlagerbarkeit der Totenflecken: nur in speziellen Fällen anzuwenden: - vollständig umlagerbar bis ca. 6 Std. post mortem (Drehen der Leiche auf die gegenüberliegende Seite: nach ca. 20 - 30 Minuten Auftreten von Totenflecken an den nun unten liegenden Partien, an jetzt oben liegenden Partien verschwinden die Flecken gänzlich), - partiell umlagerbar zwischen ca. 6 - 12 Std. post mortem: Flecken „wandern“ nur teilweise, d.h. Leichnam hat nach der Umlagerung vorne und hinten Totenflecken, - nicht mehr umlagerbar bei mehr als ca.12 Std. post mortem: kein „Wandern“ der Flecken mehr. vollständig umlagerbar teilweise umlagerbar nicht mehr umlagerbar wegdrückbar 20-30 min 12 h 6h t 20-30 h Totenflecken 2.3.2 Verhalten der Totenstarre - Auftreten nach ca. 2 - 3 Stunden (bei normaler Raumtemperatur), - zunehmend schwerer überwindbar („brechbar“) bis ca. 8 Stunden, dann vollständig ausgebildet, - Wiederauftreten nach erster „Brechung“ nur innerhalb der ersten ca. 8 Stunden post mortem. Bei späterem Brechen: kein Auftreten mehr, - spontane Lösung durch Autolyse nach ca. 2 - 3 Tagen (Temperatur-abhängig). 9 Intensität Neubildung möglich Stark Temperatur-abhängig! t 2-3 h 8h Totenstarre 2-3 Tg 2.3.3 Auskühlung Durch Sistieren des Stoffwechsels sinkt die Körperkerntemperatur nach Todeseintritt allmählich ab, abhängig von Außentemperatur, Körperfülle, Bekleidung/Bedeckung, Luftbewegung und Feuchtigkeit. Die Abkühlungskurve verläuft nicht linear: praktisch keine Abkühlung (Plateaubildung) in den ersten 2 Stunden postmortal (p.m.), steilerer Abfall bis ca. 27 Grad, flacherer Abfall bis zur Angleichung an Außentemperatur (S-förmiger oder sigmoidaler Kurvenverlauf). Faustregel nach 2. Stunde p.m.: Abfall von 0,5 - 1 Grad Celsius pro Stunde. Voraussetzung ist die korrekte Messung im Körperkern mit tauglichem Messfühler. Klinisch wird die Oesophagus-Temperatur (Speiseröhre), rechtsmedizinisch die Rektaltemperatur (Mastdarm) gemessen. Rektal muss ein geeignetes Thermometer (NICHT: Fieberthermometer) mindestens 8 cm ab ano (After) eingeführt werden. Daneben immer Umgebungstemperatur, Wassertemperatur (bei Wasserleichen) messen. Heute stehen zur Todeszeitschätzung aufgrund von Kerntemperatur, Umgebungstemperatur und Bekleidung/Bedeckung/Konstitution brauchbare Computerprogramme zur Verfügung. Beachte: Auskühlung ist kein sicheres Todeszeichen! Tiefe Kerntemperatur ist auch zu Lebzeiten bei Unterkühlung möglich! Unterkühlte zeigen u.U. keine Lebenszeichen, aber auch keine sicheren Todeszeichen = Scheintod = vita minima. 10 Dagegen müssen eine tiefe Rektaltemperatur und sichere Todeszeichen, die auf eine kurze Todeszeit hinweisen, an einen kurz zuvor eingetretenen Unterkühlungstod denken lassen. Plateauphase Stark abhängig von: - Umg ebungstemp. - Bekle idung/Bedeckung - Feuc htigkeit 36,5 ° Körpertemperatur Faustregel: 0.5-1°/h Umgebungstemperatur t 2h Rektaltemperatur 2.3.4 Muskelreaktion auf mechanischen oder elektrischen Reiz - Sog. supravitale Reaktion (siehe 2.1) - Schlag auf Armmuskel mit schwerem Reflexhammer: Auslösung einer lokalen Muskelkontraktion (idiomuskulärer Wulst) bis ca. 8 - 10 Std. post mortem. - definierte elektrische Reizung der mimischen Gesichtsmuskulatur: Reaktion bis ca. 15 Std. post mortem. 2.3.5 Beurteilung des Mageninhaltes Füllungszustand des Magens und Verdauungszustand der Speisen können bei bekannter letzter Mahlzeit in relativ grobem Rahmen zur Schätzung der Todeszeit herangezogen werden. 2.3.6 Kriminalistische Todeszeitschätzung - letzte Leerung des Briefkastens bzw. neueste Zeitungen in der Wohnung - aufgeschlagenes TV-Programm (heutzutage sehr wichtig) - letzter Gebrauch von passwortgeschütztem Computer/Handy - Abreisskalender in Wohnung (heute selten) 11 3. Vital Reaktionen Unter vital Reaktionen versteht man Befunde, die darauf hinweisen, dass die schädigende Einwirkung auf den Körper während des Lebens stattgefunden hat. Damit ist eine Abgrenzung zu postmortalen (d.h. nach Eintritt des Todes gesetzten) Verletzungen möglich. Unter agonalen Verletzungen versteht man solche, die während des Todeseintrittes entstanden sind. Sie weisen nur ganz diskrete vital Zeichen auf. Vital Reaktionen haben bei der rechtsmedizinischen Klärung und Rekonstruktion von Todesfällen eine sehr grosse Bedeutung. 3.1 Vital Reaktionen von Seiten des Kreislaufs: • Verblutungszeichen. DD: postmortaler Blutverlust, bei Verletzungen an den abhängigen Körperregionen (d.h. im Totenfleckenbereich) möglich • Einflussstauungszeichen: z.B. Stauungsblutungen, Perthes’sche Druckstauung • Verschiedene Embolieformen: − Fettembolie des grossen und kleinen Kreislaufs (wichtig!) − Luftembolie (Halsvenenverletzung, Abtreibung mit „Frauendusche“ (heute selten) − Gewebsembolien: Knochenmark, Leberzellen, Fruchtwasserbestandteile • Lokale Vitalreaktion durch Kreislauftätigkeit: − Krustenbildung (Wundschorf, nicht zu verwechseln mit Vertrocknung) − Schwellung − Entzündungsreaktionen 3.2 Vital Reaktionen von Seiten der Atmung: • Aspirationsbefunde (Russ, Mageninhalt, Blut, Gehirnteilchen, Ertrinkungsflüssigkeit) • Einatmung von giftigen Gasen (z.B. Kohlenmonoxid) • Vollständig kollabierte Lunge bei Pneumothorax (Lufteintritt in die Brusthöhle) • Hautemphysem (Luft in der Haut) bei Thoraxverletzungen. Befund: beim Tasten deutliches Knistern in der Haut spürbar. 3.3 Vital Reaktionen von Seiten des zentralen Nervensystems: • „Krähenfüsschen“ in den äusseren Augenwinkeln bei Bränden und Explosionen: Aussparungen von Berußungen in den Falten, die durch das Zusammenkneifen der Augen beim Brand oder der Explosion entstanden. 12 • Verschlucken von Blut • Aushusten von Blut 3.4 Vital Reaktion von Seiten des Stoffwechsels: • Giftmetabolismus: Nachweis von Abbaustoffen (Metaboliten) aufgenommener Substanzen im Harn 13 4. Natürlicher Tod Nicht-natürlicher Tod Feststellung der Todesart bei der ärztlichen Leichenschau Ärztinnen und Ärzte sind verpflichtet, unverzüglich nach Erhalt der Todesanzeige die unbekleideten Toten persönlich zu besichtigen und zu untersuchen (Leichenschau) sowie die Todesbescheinigung auszustellen und auszuhändigen. Dieser Absatz des nordrheinwestfälischen Bestattungsgesetzes beschreibt kurz und prägnant die (bundesweit geltenden) ärztlichen Verpflichtungen bei der Leichenschau. Angezeigt ist der Tod einem Arzt auch, wenn ein Mensch unter seiner betreuenden Anwesenheit verstirbt oder der herbeigerufene Arzt/Ärztin Anzeichen eines bereits vorher eingetretenen Todes feststellt. Die ärztliche Leichenschau endet also nicht mit der Feststellung, dass keine klinischen Maßnahmen mehr erforderlich sind, sondern umfasst grob geordnet die folgenden Tätigkeiten: ☻ Feststellung des Todes ☻ Feststellung der Personalien ☻ Feststellung der Todeszeit ☻ Feststellung der Todesart ☻ Feststellung der Todesursache und des Grundleidens Besondere Probleme bereitet vielen Medizinern die richtige Feststellung der Todesart. Während die Feststellung der Todesursache eine ärztliche Einschätzung von Vorerkrankungen und akutem finalen Geschehen erfordert, wird bei der Feststellung der Todesart vom Arzt eine rechtlich relevante Zuordnung zu den Kategorien „natürlicher Tod“ und „nicht-natürlicher Tod“ gefordert; für unklare Fälle findet sich auf den Leichenschauscheinen der Bundesländer die jeweils etwas unterschiedlich bezeichnete Kategorie „nicht aufgeklärt“ (ob natürliche oder nichtnatürliche Todesart). Diese Zuordnung hat direkte Konsequenzen für Rechtsstaat und innere Sicherheit. Dem leichenschauenden Arzt muss klar sein, welche Schlüsselrolle ihm in diesem Moment zukommt. Allein von seiner Beurteilung hängt es in diesem Moment ab, ob unter Umständen notwendigen strafrechtlichen, zivil- oder versicherungsrechtlichen Konsequenzen rechtzeitig (oder überhaupt) Genüge getan wird. Wird ein „natürlicher Tod“ bescheinigt, erfolgt die Bestattung ohne Einschaltung der Ermittlungsbehörden. Wird also fälschlicherweise bei einem Tötungsdelikt ein „natürlicher“ Tod bescheinigt, erlangen die Ermittlungsbehörden noch nicht einmal Kenntnis von dem Fall !!! Eine Vielzahl nicht aufgeklärter Tötungsdelikte ist tatsächlich auf eine solche Konstellation zurückzuführen. Bei Feststellung eines „nicht-natürlichen“ oder „nicht aufgeklärten“ Todesart besteht eine Meldepflicht; die Polizei muss informiert werden, es wird ermittelt. Ein Todesfall muss auch dann gemeldet werden, wenn die Identität der verstorbenen Person unklar ist (auch wenn ein natürlicher Tod vorliegt). Daraus ergeben sich die in der folgenden Abbildung skizzierten Zusammenhänge: 14 Definitionen: „Natürlicher“ – „nicht-natürlicher Tod • Ein „natürlicher“ Tod ist ein Tod aus krankhafter Ursache, der völlig unabhängig von rechtlich bedeutsamen äußeren Faktoren eingetreten ist. • „Nicht-natürlich“ ist ein Todesfall, der auf ein von außen verursachtes, ausgelöstes oder beeinflusstes Geschehen zurückzuführen ist – und zwar (merke!) unabhängig von der Verschuldensfrage (auch Unfälle, Suizide etc. sind „nichtnatürliche Todesfälle) !!! • Ungeklärt ist ein Todesfall, bei dem die Todesursache durch Leichenschau unter Berücksichtigung der Anamnese nicht erkennbar ist. Merke: Entscheidend ist, was am Anfang der Kausalkette steht! Problemfall: Spättod nach Einwirkung von Gewalt Sehr häufig wird der Fehler gemacht, die direkte oder indirekte Kausalität zwischen einer Gewalteinwirkung und dem zeitlich verzögerten Todeseintritt zu übersehen. Ein typisches Beispiel ist der Oberschenkelhalsbruch des älteren Menschen mit nachfolgender Ruhigstellung, in deren Folge es durch die Immobilisierung zu einer hypostatischen Pneumonie oder einer Lungenembolie mit nachfolgendem Ableben kommt. Viel zu häufig wird hier als Todesursache die Pneumonie oder die Lungenembolie als Todesursache angegeben und wegen der vermeintlichen inneren, krankhaften Ursache ein natürlicher Tod bescheinigt. Die nächste Abbildung zeigt einen besonders groben Fall der Fehlbescheinigung eines „natürlichen Todes“: 15 Hier wurde die Kausalkette nicht korrekt analysiert. Der ärztliche Leichenbeschauer hätte sich lediglich die Frage stellen müssen, ob man das schädigende Ereignis (hier der Sturz vom Fahrrad) hinweg denken kann, ohne dass der Erfolg (das Ableben) ausbleibt. Das ist im vorliegenden Beispiel eindeutig zu verneinen: Ohne den Sturz vom Fahrrad wäre es nicht zur Schädelbasisfraktur und damit nicht zur posttraumatischen intrakraniellen Blutung und dem Ableben gekommen. Es liegt eine Kausalkette vor und damit handelt es sich um einen nichtnatürlichen Tod. Problemfall: Der iatrogene Tod Grosse Probleme macht in der Praxis die richtige Einordnung des iatrogenen Todes – besonders beim „Extremfall“, den mors in tabula, den Tod auf dem Operationstisch. Stellen wir wieder einmal die oben bereits erfolgreich angewandte Frage: Wäre der Erfolg (der Tod) zum gleichen Zeitpunkt eingetreten, wenn man das „schädigende“ Ereignis (die Operation) hinweg denkt? Wenn man von einer absoluten Notoperation (geplatztes Aneurysma, unstillbare Blutung etc.) einmal absieht, wohl kaum. Der Patient wäre unter Umständen ein paar Tage später, ein paar Wochen später oder bei einem Bagatelleingriff überhaupt nicht verstorben. Dieser iatrogene Tod war folglich ein nichtnatürlicher Tod. Das führt aber direkt zu einem häufig auftretenden Missverständnis: Der nichtnatürliche Tod ist zwar ein Ereignis, das durch Einwirkung von außen provoziert und verursacht wird, er impliziert aber nicht zwingend ein Fremdverschulden. Der Operateur muss keinen Fehler gemacht haben, grosse Operationen haben nun mal leider ein gewisses Letalitätsrisiko. Infolge schicksalhafter Verknüpfungen kann es postoperativ zu letztendlich tödlichen Komplikationen kommen. Um es noch einmal plakativ zu verdeutlichen: Der nichtnatürliche Tod verlangt keinen Mörder. Damit verlangt die Variante des iatrogenen Todes auch keinen Kunstfehler, keine Fahrlässigkeit oder grobe Fahrlässigkeit des Arztes. Diese muss aber ausgeschlossen werden, daher ist jeder nichtnatürliche (und auch ungeklärte) Tod den Ermittlungsbehörden (der Polizei) zu melden. Die Praxis zeigt eindeutig, dass das Vermeiden einer korrekten Meldung oder gar der Versuch des 16 „Vertuschens“ eines möglichen ärztlichen Fehlverhaltens („Kunstfehler“) für die betroffenen Ärzte sehr schädlich sein kann. Sehr häufig führt das durch die Meldung ausgelöste Todesermittlungsverfahren und die dann i.d.R. durchgeführte Obduktion sogar zur Entlastung der Kollegen. 17 5. Die ärztliche Leichenschau 5.1 Rechtlicher und historischer Hintergrund Jeder Arzt hat sich nach entsprechenden Vorschriften der Verpflichtung zu unterziehen, den Tod eines Menschen festzustellen. Dies dient zugleich der Feststellung der nicht mehr möglichen Behandlung des Patienten und der Wahrnehmung öffentlicher Verpflichtungen im Gesundheitswesen (Todesfeststellung). Das Leichenwesen wird länderrechtlich geregelt. Für Nordrhein-Westfalen bestimmte jahrelang die Ordnungsbehördliche Verordnung über das Leichenwesen (zuletzt in der Fassung vom 02.12.2000) den Umgang mit der Leiche. Mit dem Jahr 2003 erhielt nun auch NRW ein Bestattungsgesetz. Dass dies nach ca. 50 Jahren an der Zeit war, belegt allein die Tatsache, dass über diesen gesamten Zeitraum eine Feuerbestattung in der Ordnungsbehördlichen Verordnung nicht geregelt war. Wenn etwas im Länderrecht nicht geregelt ist, gilt Bundesrecht. Folglich galt in NRW für die immer zahlreicher werdenden Fälle von Feuerbestattung das Reichs-Feuerbestattungsgesetz von 1934 sowie die dazu ergangene Verordnung von 1938. Das Gesetz trägt peinlicherweise auch heute noch die Unterschrift des damaligen Reichskanzlers. In NRW wurde im neuen Bestattungsgesetz die Feuerbestattung geregelt. Für einige andere Bundesländer gilt das Reichs- Feuerbestattungsgesetz weiterhin. Eine weitere Änderung, die bereits im Jahr 2000 gültig wurde, betraf die Todesbescheinigung NRW. Diese war seit 01.01.2002 zwingend zu verwenden. Die aus dem Jahr 1997 stammenden Todesbescheinigung hatte somit keine sehr lange Gültigkeitsdauer. Im Jahr 2004 erschien bereits wiederum eine neue Version, die einzige Änderung betraf allerdings nur die nochmalige Versicherung des leichenschauenden Arztes, eine komplette Leichenschau durchgeführt zu haben. Bereits im Jahr seines Erscheinens wurde der 1997 geschaffene Vorläufige Leichenschauschein (gedacht für Ärzte im öffentlichen Rettungsdienst) wieder abgeschafft. Dieser Schein war erheblich kürzer ausgeführt und sollte nur die Identität und die klinische Todesfeststellung regeln. Die ausführliche Leichenschau sollte ein anderer Arzt vornehmen. De facto war dieser Schein aber bereits im August 1997, also ein paar Monate nach seiner Einführung, wieder aus dem Verkehr gezogen worden, da die Verwendung behördlicherseits auf den Fall eingeschränkt wurde, dass der Notarzt während einer Leichenschau einen neuen Einsatzbefehl erhielt. Dieser Fall war aber schon immer und ist immer noch durch den Begriff des "übergesetzlichen Notstandes" bzw. über eine Güterabwägung zwischen der Bedeutung der vollständigen Leichenschau und dem möglicherweise lebensrettenden neuen Einsatz geregelt. Natürlich steht die Verpflichtung des Notarztes, Leben zu retten, über der Verpflichtung zur vollständigen Leichenschau. Soweit er nicht sogleich sichere Todeszeichen feststellen konnte, musste er ohnehin später zurückkehren. Dies ist durch den Grundsatz, dass die Leichenschau "unverzüglich" (ohne schuldhaftes Zögern) wahrzunehmen ist, abgedeckt. Im neuen Bestattungsgesetz wird der Notarzt von der Durchführung einer vollständigen Leichenschau befreit. Ein auszufüllendes Dokument zur reinen Todesfeststellung (wie ein 18 vorläufiger Leichenschauschein) wurde aber offenbar von der Politik vergessen. Bei manchen Notärzten hat es sich eingespielt, eine Kopie des Einsatzprotokolls am Ort des Geschehens zurückzulassen. In anderen Bundesländern wie Rheinland-Pfalz, Hamburg, Mecklenburg, Brandenburg, und Schleswig Holstein wird die Verwendung des vorläufigen Leichenschauscheins seit Jahren, angeblich zu voller Zufriedenheit aller Seiten, praktiziert. Für Hamburg erscheint dies schon auf den ersten Blick plausibel, da der vorläufige Leichenschauschein hier sozusagen als Transportschein ins Leichenschauhaus (Rechtsmedizin) verwendet wird. Die offizielle Leichenschau kann also sehr schnell nachgeholt werden. Ärztinnen und Ärzte sind verpflichtet, unverzüglich nach Erhalt der Todesanzeige die unbekleideten Toten persönlich zu besichtigen und zu untersuchen (Leichenschau) sowie die Todesbescheinigung auszustellen und auszuhändigen (Bestattungsgesetz NRW). Angezeigt im Sinne des §12 Abs. 3 ist der Tod einem Arzt auch, wenn ein Mensch unter seiner betreuenden Anwesenheit verstirbt oder der herbeigerufene Arzt Anzeichen eines bereits vorher eingetretenen Todes ärztlich feststellt. Die ärztliche Leichenschau endet also nicht mit der Feststellung, dass keine klinischen Maßnahmen mehr erforderlich sind, sondern umfasst grob geordnet die folgenden Tätigkeiten: ☻ Feststellung des Todes ☻ Feststellung der Personalien ☻ Feststellung der Todeszeit ☻ Feststellung der Todesart ☻ Feststellung der Todesursachen ☻ Feststellung des Grundleidens Zur Erfüllung seiner Pflicht zur Leichenschau hat der Arzt die Leiche persönlich zu besichtigen und zu untersuchen. Diese Verpflichtung setzt die ☻ vollständige Entkleidung ☻ die allseitige Besichtigung ☻ und die Inaugenscheinnahme aller Körperöffnungen voraus. Nur durch ein solches Vorgehen können sichere Zeichen für den Tod erkannt und Fehlentscheidungen bei der Frage, ob Anhaltspunkte für einen nicht natürlichen Tod vorliegen, vermieden werden. Einen maßgeblichen Anteil der ärztlichen Leichenschau macht die Feststellung der sicheren Zeichen des Todes aus (vgl. dazu Abschnitt 2). 19 5.2 Die ärztliche Todesbescheinigung im Allgemeinen Die Todesbescheinigung dient auch dazu, Anhaltspunkte über die Todesart zu gewinnen. Nur mit der Festlegung, dass es sich um einen natürlichen Tod handelt, wird die folgenlose Beurkundung des Todes durch den Standesbeamten möglich. Weitergehende Untersuchungen finden dann nicht statt. Dem Arzt obliegt daher eine besondere Verantwortung, wenn er aufgrund von Vorkenntnissen und Auffindesituation sowie eigenen ärztlichen Untersuchungen den natürlichen Tod bescheinigt. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass lediglich in 50 % der Fälle die im Totenschein dargelegten Erkrankungen einer nachfolgenden Beurteilung nach Leichenöffnung standgehalten haben („Görlitzer Studie“!). Jede andere Festlegung, sei es, dass Anhaltspunkte für äußere Einwirkungen festgestellt wurden, oder dass es ungeklärt bleibt, ob es sich um einen nicht natürlichen Tod handeln könnte, hat die Einleitung eines Todesermittlungsverfahrens zur Folge. Im Rahmen eines solchen Verfahrens kommt es in der Regel zur Leichenöffnung, wenn Anhaltspunkte für ein Fremdverschulden nicht auszuschließen sind. In vielen Fällen werden aber schon im Rahmen der polizeilichen Ermittlungen diese Zweifel ausgeräumt, so dass eine Obduktion unterbleibt und die Leiche vom Staatsanwalt (zur Bestattung) freigegeben wird. Anhaltspunkte für äußere Einwirkungen sind nicht auf „Hieb-Stich-Schußverletzungen“ zu beschränken. Sie beschränken sich erst recht nicht auf solche Verletzungen, die ad hoc den Tod herbeigeführt haben. Von sehr vielen Ärztinnen/Ärzten wird verkannt, dass sie bei falscher Interpretation der Todesart (hier: nicht natürlich) den Angehörigen die Auszahlung einer eventuell vorhandenen Unfallversicherung zumindest erschweren. Bei Todesfällen in Zusammenhang mit medizinischen Eingriffen kann nicht ohne weiteres ein natürlicher Tod bescheinigt werden. Der Arzt kommt dadurch in eine schwierige Konfliktlage, wenn er aufgefordert ist, wahrheitsgemäße Angaben zu machen, die ein Todesermittlungsverfahren nach sich ziehen können. Dabei kann auch eigenes Fehlverhalten aufgedeckt werden. Aus diesem Grund haben sich andere Länder für eine Verfahrensweise entschieden, bei der der Tod durch einen besonderen Arzt des öffentlichen Gesundheitswesens festgestellt wird. Von der Todesart ist die im Vertraulichen Teil der Todesbescheinigung anzugebene Todesursache streng zu trennen. Auch wenn die Meinung vertreten wird, dass dies vielfach schwierig sei, sollte der Arzt eine wertungsfreie Todesart bezeichnen und sich dann erst mit der bewertungsbehafteten medizinischen Todesursache befassen. Dabei sollte er bedenken, dass die Ursächlichkeit auch in einem zeitlich weit zurückliegenden Ereignis gefunden werden kann. So ist z.B. der Spättodesfall (Thrombose, Lungenembolie Verletzungsereignisses. nach Unfall) in der Regel eine ursächliche Folge des 20 5.3 Mögliche rechtliche Folgen für den Arzt Über die rechtlichen Folgen, die fehlerhafte Eintragungen oder Falscheintragungen in der Todesbescheinigung haben können, bestehen häufig Unklarheiten. Deshalb sollen die rechtlichen Fragen der Ausstellung eines unrichtigen Totenscheins kurz erörtert werden. Bei der Todesbescheinigung handelt es sich um eine Urkunde im Rechtssinne, weil sie einen rechtlich erheblichen Erklärungsinhalt hat. Eine Urkundenfälschung (§ 267 l. Alt. StGB) kommt nur in seltenen Fällen in Betracht, wenn ein Arzt eine Todesbescheinigung ausstellt und ohne entsprechende Ermächtigung mit dem Namen eines anderen Arztes unterzeichnet. Eine Urkundenverfälschung (§ 267 2. Alt. StGB) ist dann in Betracht zu ziehen, wenn der von einem Arzt ausgestellte und unterschriebene Totenschein von einem anderen Arzt verändert wird, ohne dass er dazu vom Aussteller ermächtigt ist. Inhaltlich falsche Todesbescheinigungen sind schriftliche Lügen, die grundsätzlich nicht strafbar sind. Beachte: Nach Landesrecht kann das Ausstellen einer inhaltlich unrichtigen Todesbescheinigung jedoch eine bußgeldbewehrte Ordnungswidrigkeit sein (z.B. BadenWürtemberg § 49 Abs. 3 Bestattungsgesetz). Eine Falschbeurkundung (§ 348 StGB) kann auch für einen Amtsarzt nicht vorliegen, weil die Todesbescheinigung keine öffentliche Urkunde darstellt. Der Arzt kann sich jedoch einer mittelbaren Falschbeurkundung (§ 271 StGB) schuldig machen, wenn er dem Standesbeamten falsche Daten mitteilt, die ins Sterberegister eingetragen werden. Das bezieht sich auf Personaldaten einschließlich Todeszeit und Sterbeort. Die Angabe falscher Todesursachen fällt dagegen nicht unter diese Bestimmung, weil die Todesursache nicht ins Sterberegister eingetragen wird. Die Eintragung einer falschen Todesursache (z.B. natürlicher Tod statt Unfall oder Freitod) kann als Beihilfe zum Betrug (§ 263 StGB) gewertet werden, wenn durch die bewusste Falschangabe Versicherungsleistungen seitens der Hinterbliebenen erschlichen werden. Unterschlägt der leichenschauende Arzt Hinweise auf ein Fehlverhalten eines anderen Arztes oder anderer Personen, das todesursächlich gewesen sein könnte, kommt fremdbegünstigende Strafvereitelung (§ 258 StGB) in Betracht. Unterschlägt der Arzt Hinweise auf eigenes Fehlverhalten, bleibt er straffrei (§ 258 Abs. 5 StGB). Der Arzt kann nicht gezwungen werden, sich selbst zu belasten (Straflose Selbstbegünstigung) 21 Wenn ein Arzt nicht unverzüglich die Leichenschau vornimmt oder wenn er die vorgeschriebenen Untersuchungen an der Leiche unterlässt, handelt der Arzt nach landesrechtlichen Bestimmungen ordnungswidrig. Sollten sich durch eine fehlerhafte oder nur oberflächlich durchgeführte Leichenschau Folgen für andere Menschen ergeben (z.B. Folgetodesfälle bei CO-Vergiftung) kann der Arzt auch wegen eines Tötungsdelikts verfolgt werden. Folgt der Arzt nicht der Meldepflicht einer ansteckenden Krankheit und kommt es demzufolge zu weiteren Infektionen, könnte er wegen Körperverletzung belangt werden. Bei Nichtinformation der Polizeibehörde über einen fremdverschuldeten Todesfall könnte wiederum Strafvereitelung gemäß § 258 StGB in Betracht kommen. Nach dem vorgesehenen Bestattungsgesetz NRW soll dies außerdem mit einem Bußgeld belegt werden. Ordnungswidrig handelt auch ein Arzt, der nicht unverzüglich die Leichenschau vornimmt und die Todesbescheinigung aushändigt (§ 17 Nr.6 E, NRW). Fasst man das im vorliegenden Abschnitt Erwähnte zusammen, sollte dies jeden Arzt dazu bewegen, bei der Leichenschau grösste Sorgfalt walten zu lassen und den Leichenschauschein so korrekt und ausführlich wie möglich auszufüllen. Den gebotenen Meldepflichten sollte er unverzüglich nachkommen: Polizeibehörden bei nichtnatürlichem oder nicht aufgeklärtem Tod Polizeibehörden bei unbekannten Toten Gesundheitsbehörden bei bestimmten ansteckenden Krankheiten 5.4 Ärztliche Leichenschau aus Sicht der Bundesländer Wie schon eingangs erwähnt, wird das Leichenwesen auf Länderebene geregelt. Aus diesem Grunde verwundert es nicht, dass von Land zu Land Unterschiede bestehen. Auf Einzelheiten einzugehen, würde den Rahmen dieses Scriptums sprengen. Allein schon die Definition des Leichenbeschauers ist unterschiedlich geregelt. Auch die Einteilung der anzukreuzenden Todesart wird unterschiedlich gehandhabt: Nordrhein-Westfalen 22 14 3. Todesart Gibt es Anhaltspunkte für äußere Einwirkungen, die den Tod zur Folge hatten? (z.B. Selbsttötung, Unfall. Tötungsdelikt, auch durch äußere Einwirkungen evtl. mitverursachte Todesfälle, Spättodesfälle nach Verletzung) nein wenn nein, Todesart natürlich oder ungeklärt, ob natürlich/nichtnatürlicher Tod ja (Wenn ja oder ungeklärt, im Vertraulichen Teil, Blätter 2 ff. Ziff. 20 (Epikrise) nähere Hinweise (falls möglich)) Mecklenburg-Vorpommern: Anhaltspunkte für einen nicht-natürlichen Tod ja, und zwar ____________________ Todesart ungeklärt Baden-Würtemberg Anhaltspunkte für nicht natürlichen Tod ja nein Brandenburg natürlicher Tod nicht aufgeklärt nicht-natürlicher Tod Tod bei medizin. Behandlung Rheinland-Pfalz Anhaltspunke für einen nicht natürlichen Tod ja, und zwar ____________________ Todesart ungeklärt Saarland natürlicher Tod Freitod Unglücksfall nicht aufgeklärt natürlicher Tod nach Unglücksfall Schleswig-Holstein natürlicher Tod nichtnatürlicher Tod (Unfall, Selbsttötung, Tod durch strafbare Handlung oder sonstige Gewalteinwirkung) oder Anhaltspunkte für einen nicht-natürlichen Todl nicht aufgeklärt, ob natürlicher Tod oder nichtnatürlicher Tod und keine Anhaltspunkte für einen nichtnatürlichen Tod Sachsen Anhaltspunkte für einen nicht-natürlichen Tod ja, und zwar ____________________ Todesart ungeklärt Hamburg Gibt es Anhaltspunkte für nichtnatürliches Geschehen im Zusammenhang mit dem Todeseintritt? (Selbsttötung, Unglücksfall oder Tod durch äußere Einwirkung, bei der das Verhalten eines Dritten eine Ursache gesetzt haben könnte, Spättod nach Verkehrsunfall, Lungenembolie durch unfallbedingtes Krankenlager etc.)ll nein ja Todesart ungeklärt nicht natürlicher Tod ungewiss Berlin natürlicher Tod Bei nicht natürlichem Tod Beschreibung des Ereignisses, das zum Tode geführt hat Welche Verletzungen oder Einwirkungen (z.B. äußere Anzeichen einer gewaltsamen Einwirkung wurden festgestellt Niedersachsen natürlicher Tod nicht natürlicher Tod (z.B. Unfall, Selbstmord, Vergiftung, Folge des -ggfls. auch zurückliegenden - Verhaltens eines Anderen, sonstige Gewalteinwirkung) Anzeichen eines nicht natürlichen Todes an der Leiche____________________________________________ Sonstige Umstände (bei nicht natürlichem Tod)__________________________________________________ 23 Sachsen-Anhalt natürlicher Tod nicht aufgeklärt nicht-natürlicher Tod (inkl. Verdacht) Sind Anhaltspunkte für einen nichtnatürlichen Tod (Tod durch fremde Hand, Selbsttötung oder Unfall) vorhanden, ist die Todesart nicht aufgeklärt oder handelt es sich um einen unbekannten Toten, ist unverzüglich die Polizei (Tel. 110) zu benachrichtigen. Thüringen natürlicher Tod nicht aufgeklärt nicht-natürlicher Tod (inkl. Verdacht) Sind Anhaltspunkte für einen nichtnatürlichen Tod (Tod durch fremde Hand, Selbsttötung oder Unfall) vorhanden, ist die Todesart nicht aufgeklärt oder handelt es sich um einen unbekannten Toten, ist unverzüglich die Polizei (Tel. 110) zu benachrichtigen. Hessen Anhaltspunkte für einen nicht-natürlichen Tod ja, Erläuterung, wenn möglich_________________________________________________ Todesart ungeklärt Bremen Gibt es Anhaltspunkte für nichtnatürliches Geschehen im Zusammenhang mit dem Todeseintritt? (Selbsttötung, Unglücksfall oder Tod durch äußere Einwirkung, bei der das Verhalten eines Dritten eine Ursache gesetzt haben könnte, Spättod nach Verkehrsunfall, Lungenembolie durch unfallbedingtes Krankenlager etc.)ll ja nein IRM-/GA-Fall gem. § 8 Abs. 3 BremGLW Fötaltod in med. Einrichtung Bayern natürlicher Tod nicht natürlicher Tod* (Unfall, Selbstmord, Tod durch strafbare Handlungen oder sonstige Gewalteinwirkung) nicht aufgeklärt, ob natürlicher oder nicht natürlicher Tod *Es genügen bereits Anhaltspunkte , die für einen nicht natürlichen Tod sprechen. 5.5 Die Todesbescheinigung NRW Trotz aller Unterschiede geht es beim Ausfüllen der Todesbescheinigung um Beantwortung derselben Fragen. Im Folgenden werden Sie durch die Todesbescheinigung NRW „geführt“; die Hinweise sind grundsätzlich natürlich auch auf die Todesbescheinigungen anderer Bundesländer zu übertragen. 5.5.1 Allgemeines Die seit dem 01.01.02 in NRW gültige Todesbescheinigung (Änderung 2004 in nur einem Punkt) weist gegenüber dem Vorgängermodell nur noch insgesamt 5 Blätter auf: Einmal den nichtvertraulichen und zum anderen den vertraulichen Teil in vierfacher Ausfertigung. Hier finden sich jeweils unterschiedliche Felder geschwärzt. Die Bestimmung der einzelnen Bögen lautet wie folgt: • Nichtvertraulicher Teil: Untere Gesundheitsbehörde über das Standesamt • Vertraulicher Teil (rot). Untere Gesundheitsbehörde zum Verbleib 24 • Vertraulicher Teil (blau): Untere Gesundheitsbehörde zur Einsichtsgewährung an Krebsregister und zur Weiterleitung an die untere Gesundheitsbehörde der Wohnsitzgemeinde • Vertraulicher Teil (gelb) Untere Gesundheitsbehörde zur Weiterleitung an Landesamt für Statistik und Datenverarbeitung • Vertraulicher Teil (weiss) Für den leichenschauenden Arzt zur Dokumentation Im DIN-A4-Umschlag findet der leichenschauende Arzt des weiteren einen roten Umschlag im DINA5-Format. Der rote Umschlag ist für die 3 Exemplare des Vertraulichen Teiles gedacht und an den Standesbeamten zu adressieren, der die Aufgabe hat, den ungeöffneten Inhalt an die zuständige untere Gesundheitsbehörde zu senden. Der grosse DIN-A4-Umschlag beinhaltet den Nichtvertraulichen Teil und ist an den Standesbeamten zu adressieren. Dieser Umschlag wird nicht verschlossen. Auf den folgenden beiden Seiten finden sich "Vertraulicher Teil" und "Nichtvertraulicher Teil" in-toto abgebildet. Es handelt sich hier um die Versionen, die von der Druck-und-Medien-GmbH hergestellt werden. Insgesamt wurden wiederum drei Druckereien mit der Herstellung betraut. Wie beim Vorgänger des jetzt gültigen Totenscheins resultieren daraus farblich und in der graphischen Aufteilung unterschiedliche Versionen; nicht gerade zur Erleichterung für den leichenschauenden Arzt. Im folgenden Text soll auf die einzelnen Punkte, zu denen der leichenschauende Arzt Stellung beziehen muss, eingegangen werden. 5.5.2 Nichtvertraulicher Teil Personalangaben 1. Personalangaben 1 Name (ggf. Geburtsname), Vorname(n) 2 Straße 4 PLZ, Wohnort, Kreis 5 Geburtsdatum 7 Geschlecht männlich weiblich 8 Identifikation nach eigener Kenntnis Personalausweis/ Reisepass 3 6 Hausnummer Geburtsort, Kreis Angaben Angehöriger/Dritter nicht möglich (kein Eintrag unter 1-6) Hier werden die Personalangaben (Familienname, Geburtsname, Vorname und Wohnadresse) abgefragt. Der leichenschauende Arzt sollte nur die ihm bekannten Angaben machen. Ist ihm irgendetwas unklar, sollte er entweder die Eintragung unterlassen oder aber vermerken, dass er 25 sich beispielsweise auf Angaben von Angehörigen (Siehe Punkt 8) beziehen musste. Der Arzt sollte sich auch nicht scheuen, eigene handschriftliche Vermerke hinzuzufügen; er soll sich nicht in das starre, vorgegebene Schema pressen lassen. Blatt 1 der Todesbescheinigung NRW: Nichtvertraulicher Teil 26 Blatt 5 der Todesbescheinigung NRW als Beispiel für den Vertraulichen Teil (bis auf geschwärzten Teil identisch mit Blatt 2-4) Ein Beispiel wäre hier der Zusatz Angaben Polizei. Keinesfalls sollte man wie im unten dargestellten Beispiel reagieren: 27 Wenn die Identität nicht geklärt ist, muss die Polizei verständigt werden! Der einzige Eintrag, der dem leichenschauenden Arzt dann bleibt, ist: "nicht möglich" Feststellung des Todes/Sterbezeitpunkt 2. Feststellung des Todes/Sterbezeitpunkt 9 10 Nach eigenen Feststellungen Nach Angaben Angehöriger/Dritter am Falls Sterbezeitpunkt nicht bestimmbar: Leichenauffindung am Tag Monat Jahr Tag Monat Jahr StundenMinuten um StundenMinuten um Unter Punkt 9 und 10 kann alternativ der Sterbezeitpunkt oder der Zeitpunkt der Leichenauffindung angegeben werden. Im Zweifelsfall sollte der Zeitpunkt der Leichenauffindung angegeben werden. Keinesfalls sollte sich der Arzt diesbezüglich auf Diskussionen einlassen. Immer wieder sind uns Fälle zu Ohren gekommen, in denen seitens anwesender Polizeibeamter auf eine Festlegung zum Sterbezeitpunkt gedrängt wurde. Hier wäre als Beispiel ein Stapel nicht in die Wohnung hereingeholter Tageszeitungen oder ähnliches zu nennen. Mag dies aus kriminalistischer Sicht auch ein - allerdings sehr vager - Hinweis auf die Sterbezeit sein, der Arzt unterschreibt den Leichenschauschein und muss die dort gemachten Aussagen fachlich vertreten können! Im Zweifelsfall sollte der Eintrag also immer unter Punkt 10 erfolgen: Leichenauffindung und gegebenenfalls der Zusatz unter Punkt 9: Nach Angaben Angehöriger/ Dritter. Eine handschriftliche Präzisierung - beispielsweise: durch Polizei - kann auch hier nicht schaden. An dieser Stelle endet das Durchschreibeverfahren, der leichenschauende Arzt muss die folgenden Blätter nach hinten hochklappen, um nicht später die Angaben im Vertraulichen Teil bereits überschrieben vorzufinden! Sterbeort / Auffindeort Zusatzangabe für totgeborene oder in der Geburt gestorbene Leibesfrüchte von mindestens 500 g (als Sterbezeitpunkt gilt der Geburtszeitpunkt) 11 Sterbeort 12 Auffindeort, falls nicht Sterbeort 13 als tote Leibesfrucht geboren in der Geburt verstorben Name der Einrichtung (Krankenhaus/Heimes o.ä.) Straße, Hausnummer PLZ, Ort oder Stempel der Einrichtung (falls vorhanden) Sollten dem Arzt irgendwelche Zweifel kommen, ob es sich um den tatsächlichen Sterbeort handelt oder nicht, sollte er dies durch Wahl des Feldes 11 deutlich machen. Immer wieder kommt es vor, dass Leichen aus einem Grund, den der leichenschauende Arzt nicht ahnen kann, an einem anderen Ort abgelegt werden. Dahinter muss nicht unbedingt ein Kapitaldelikt stehen; hat der Arzt 28 jedoch ausreichende Zweifel haben, sollte er zusätzlich zu seiner Eintragung die Polizei informieren. Eine Abklärung der Fundsituation ist deren Aufgabe. Natürlich können sich hier auch für den Arzt bei einer gründlichen Leichenbesichtigung deutliche Indizien ergeben. Man sollte beispielsweise die oft innerhalb der Totenflecken zu findenden Abblassungen mit der Unterlage der Leiche vergleichen. Ergeben sich hier Widersprüche? Finden sich an Ober- und Unterseite der Leichen fixierte Totenflecken? Dann muss die Leiche innerhalb der letzten etwa 10 Stunden umgelagert worden sein. Dies sind Rückschlüsse, die vom leichenschauenden Arzt erwartet werden. Er hat dann die Aufgabe, die weitere Aufklärung des Todesfalles in die Wege zu leiten. Zu den Angaben für Totgeborene muss das Personenstandsgesetz herangezogen werden. Dort lautet der § 29: (1) Eine Lebendgeburt, für die die allgemeinen Bestimmungen über die Anzeige und die Eintragung von Geburten gelten, liegt vor, wenn bei einem Kind nach der Scheidung vom Mutterleib entweder das Herz geschlagen hat oder die Nabelschnur pulsiert oder die natürliche Lungenatmung eingesetzt hat. (2) Hat sich keines der in Abs. 1 genannten Merkmale des Lebens gezeigt, beträgt das Gewicht der Leibesfrucht jedoch mindestens 500 Gramm, so gilt sie im Sinne des Paragraphen 24 des Gesetzes als ein totgeborenes oder in der Geburt verstorbenes Kind. (3) Hat sich keines der in Abs. 1 genannten Merkmale des Lebens gezeigt und beträgt das Gewicht der Leibesfrucht weniger als 500 Gramm, so ist die Frucht eine Fehlgeburt. Sie wird in den Personalstandsbüchern nicht beurkundet. Die Differenzierung in "als tote Leibesfrucht geboren" oder "in der Geburt verstorben" wird sicherlich nur bei eingeleiteter geburtshelferlicher Diagnostik sicher möglich sein, es sei denn, es finden sich bereits so deutliche Mazerationserscheinungen, dass vom makroskopischen Aspekt her von einem länger zurückliegenden Tod ausgegangen werden kann. Todesart Der leichenschauende Arzt gelangt hier zu der entscheidenden Fragestellung. Die von ihm getroffene Feststellung entscheidet über den weiteren "Weg" der Leiche. Entscheidet er sich für die Feststellung einer natürlichen Todesart, kann die Leiche bestattet werden, ohne das irgendeine Ermittlungsbehörde davon Kenntnis erhält. Die Sterbeurkunde wird ausgestellt, irgendwann wird der Vertrauliche Teil des Leichenschauscheins vom Gesundheitsamt ausgewertet; dann ist die verstorbene Person aber in aller Regel längst beerdigt, eventuelle Spuren am Sterbeort (Tatort ?) sind längst beseitigt. 29 14 3. Todesart Gibt es Anhaltspunkte für äußere Einwirkungen, die den Tod zur Folge hatten? (z.B. Selbsttötung, Unfall. Tötungsdelikt, auch durch äußere Einwirkungen evtl. mitverursachte Todesfälle, Spättodesfälle nach Verletzung) nein wenn nein, Todesart natürlich oder ungeklärt, ob natürlich/nichtnatürlicher Tod ja (Wenn ja oder ungeklärt, im Vertraulichen Teil, Blätter 2 ff. Ziff. 20 (Epikrise) nähere Hinweise (falls möglich)) Der Arzt kann sich gar nicht bewusst genug sein, was an dieser Stelle von seiner Entscheidung abhängt. Kreuzt er den unnatürlichen oder nicht aufgeklärten Tod an, muss die Polizei verständigt werden. Die Leiche darf nicht abtransportiert werden. Der Arzt ist verpflichtet, vom Moment des Erkennens dieser Todesart an, keine möglichen Tatspuren zu verwischen. Im Zweifelsfall sollte er seine Leichenschau beenden und erst nach Eintreffen der Polizei fortsetzen. Der Hinweis, im Falle eines nichtnatürlichen oder nicht aufgeklärten Todes nähere Erläuterungen abzugeben, könnte im Zweifelsfall zu einer leichtfertigen Entscheidung in Richtung "natürliche Todesart" führen. Eigentlich sollte - umgekehrt - beim Festellen einer natürlichen Todesart wenige Sätze der Erklärung verlangt werden. Warum dies nicht so ist, sondern eben umgekehrt, konnte man vor wenigen Jahren in einem Schreiben aus dem Gesundheitsministerium lesen, wo es hieß: Hiermit soll erreicht werden, dass die Kripo nicht in völlig unbegründeten Fällen am Ort des Geschehens auftritt und die verstörten Trauernden Protestbriefe an die Ministerien und den Landtag verfassen. Ärzte sind keine Kriminalisten. Man kann von ihnen erwarten, dass sie die Umgebung der Leiche in Augenschein nehmen, man kann hingegen nicht erwarten, dass sie kriminalistisch Hinweise auf einen nichtnatürlichen Tod suchen. Sollte sich neben der Leiche beispielsweise ein Glas mit eingetrockneten weißlichen Anhaftungen finden, so kann dies als Verdacht auf einen Suizid gelten. Findet der Arzt keine einleuchtende Erklärung für diese Anhaftungen, so hat er mit dem Eintrag eines ungeklärten Todes seine medizinische und staatsbürgerliche Pflicht erledigt. Die Aufklärung des Sachverhaltes ist Aufgabe der Ermittlungsbehörden. Ein anderer, häufig vorzufindender, Fehler beim Ausfüllen von Punkt 14 besteht in der Verkennung bzw. Nichterkennung von zeitlich früherem Geschehen. Viele Todesfälle infolge von Pneumonie oder Lungenembolie sind als Spättodesfälle nach einem Unfallgeschehen zu klassifizieren. Damit fallen sie - wie auch unter Punkt 14 im Leichenschauschein deutlich erwähnt - unter die Rubrik nichtnatürliche Todesart. Eine genaue Definition der möglichen Zeitspanne zwischen dem Ereignis und dem Ableben zu geben, erscheint unmöglich. Es muss allerdings darauf hingewiesen werden, dass im Einzelfall Jahrzehnte dazwischen liegen können. Man denke einmal an bei einem Unfall im kindlichen Alter zugezogene Kopfverletzungen mit der Folge einer bleibenden Epilepsie. Ein Tod im epileptischen Anfall Jahrzehnte später ist eindeutig als Unfalltod zu werten. Dieses Beispiel macht besonders deutlich, dass Ärzte, die meinen, sie würden bei der falschpositiven Feststellung eines natürlichen Todes menschlich besonders rücksichtsvoll agieren 30 (den Angehörigen die Polizei "vom Halse halten"), schwer irren: man denke einmal an eine bestehende Unfallversicherung, die das falsch gesetzte Kreuzchen zumindest vorläufig zur Zahlungsverweigerung verwendet. Nachfolgend finden sich einige warnende Beispiele, die wie sie bei der amtsärztlichen Leichenschau (2. Leichenschau) im Krematorium immer wieder auffallen. In allen Fällen wurde im nichtvertraulichen Teil ein natürlicher Tod bescheinigt. Ein Beispiel für einen leichtfertig als natürlichen Tod eingestuften iatrogenen Tod zeigt die nächste Todesbescheinigung. Ohne Rücksicht auf vielleicht tatsächlich vorliegendes, ärztliches Fehlverhalten handelt es sich in jedem Fall um einen nichtnatürlichen Tod. Viele Ärzte meinen, mit der Meldung eines nichtnatürlichen oder nicht aufgeklärten Todes würden sie die Gründung einer "Mordkommission" veranlassen und die Angehörigen oder sich selbst zu "Angeklagten" machen. Dies ist schlichtweg falsch. Das Todesermittlungsverfahren, welches nun eröffnet wird, hat zunächst lediglich das Ziel, die Frage zu klären, ob es sich tatsächlich um einen nichtnatürlichen Tod handelt und ob ein Verschulden Dritter ausgeschlossen werden kann. Es handelt sich damit um ein Verfahren sui-generis. Sobald die Umstände geklärt sind, wird das Verfahren abgeschlossen, oftmals schon nach wenigen Stunden. Erst bei zureichenden 31 (ausreichenden) Anhaltspunkten für ein Verschulden Dritter wird das vom Täter zu Recht gefürchtete Ermittlungsverfahren eröffnet. Hier ist sicherlich auch in der Bevölkerung noch einiges an Aufklärungsarbeit zu leisten. Ein Arzt, der seine Leichenschau sorgfältig durchführt, erfüllt nur gewissenhaft seine Aufgaben - auch im Sinne des Rechtsstaates - , er verdächtigt nicht die trauernden Angehörigen eines Tötungsdeliktes. Polemischer ausgedrückt: Man muss jedem Staatsbürger zubilligen, dass er von seinem Recht auf einen natürlichen Tod Gebrauch machen konnte. Gelang dies nicht oder bleiben Zweifel, ist in seinem Sinne zu überprüfen, ob ein Verschulden Dritter vorlag oder nicht. Warnhinweise 15 4. Warnhinweise Liegen Hinweise dafür vor, daß die/der Verstorbene an einer übertragbaren Krankheit nach § 6 oder § 7 Infektionsschutzgesetz (einschl. HIV) erkrankt war? 16 nein 17 nein ja Sind besondere Verhaltensmaßnahmen bei der Aufbewahrung, Einsargung, Beförderung und Bestattung zu beachten? ja, welche? Sonstiges (z.B. Gefährdung durch Giftstoffe/Chemikalien: Die Einführung des Infektionsschutzgesetzes ist allein schon zu begrüßen, weil die leidige Diskussion um Hinweise auf eine AIDS-Erkrankung bzw. HIV-Infektion gestoppt wird. Eine ganze Reihe von Menschen hat nach dem Ableben noch Kontakt zur Leiche: Bestatter, Leichenwäscher, Thanatopraktiker, Friedhofspersonal, Krematoriumspersonal etc.. Deren gesundheitliche Gefährdung sollte als höheres Rechtsgut eingestuft werden, als das u.U. vorliegende Interesse der Angehörigen auf Geheimhaltung. Dies erfolgte mit Berufung auf die ärztliche Schweigepflicht nicht immer. Sind tatsächlich Hinweise auf eine infektiöse Erkrankung im Sinne des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) gegeben, ist zusätzlich das Gesundheitsamt zu informieren, um gegebenenfalls Schutzmaßnahmen für die Kontaktpersonen zu ergreifen. Dies sollte unverzüglich erfolgen. Nach § 6 des IfSG sind folgende meldepflichtigen Krankheiten namentlich zu melden (§6): 5.5.3 Vertraulicher Teil Sichere Zeichen des Todes 11 Totenflecke Totenstarre Fäulnis Hirntod nicht mit dem Leben vereinbare Verletzungen Die unter Punkt 11 abzuhandelnden Unterpunkte wurden bereits eingangs ausführlich diskutiert; zumindest die sicheren Todeszeichen, die da wären: Totenflecken, Totenstarre, Fäulnis und Hirntod. Hinzugefügt wird noch der Punkt "nicht mit dem Leben vereinbare Verletzungen", der auch Sinn macht. Bei einer völlig zerstörten Leiche (Eisenbahnüberfahrung, Verkehrsunfall etc.) dürfte es 32 kaum möglich sein, die klassischen Todeszeichen wie Totenflecken (Ausbluten des Körpers!) oder Totenstarre (Zerstückelung!) nachzuweisen. Der Arzt sollte sich aber davor hüten, etwa bei Amputationen von Gliedmaßen, diesen Punkt leichtfertig als alleiniges Todeszeichen anzukreuzen. 12 Reanimationsbehandlung durchgeführt nein ja Im Gegensatz zu einer früheren Version der Todesbescheinigung NRW wird lediglich die Angabe verlangt, ob versucht wurde, zu reanimieren; früher wurde hier die Angabe der Reanimationsdauer verlangt. Wer hat die Todesursache festgestellt? 13 behandelnder Arzt nicht behandelnder Arzt nach Angaben des behandelnden Arztes nicht behandelnder Arzt ohne Angaben des behandelnden Arztes Die Fragen erscheinen auf den ersten Blick etwas verwirrend, sind aber eigentlich eindeutig zu beantworten. Der behandelnde Arzt (Klinik- oder Hausarzt beispielsweise) kreuzt hier die erste Möglichkeit an; der herbeigerufene Arzt, der sich beim Hausarzt über die Anamnese erkundigt hat, kreuzt die zweite Möglichkeit an. Dem Arzt, der ohne sichere Kenntnis der Anamnese handelt, verbleibt die dritte Möglichkeit. 14 Zuletzt behandelt durch Hausarzt/ Krankenhaus(-abteilung) Name des Krankenhauses/ Arztes o.ä. Straße, Hausnummer oder Stempel (falls vorhanden) PLZ, Ort Diese Eintragungen sollen die u.U. notwendigen behördlichen Nachforschungen erleichtern. Wenn bekannt, sollte der leichenschauende Arzt diese Eintragungen nicht vergessen. Er erspart damit vielleicht auch den Angehörigen weitere Nachforschungen der Polizei. Todesursache (nicht Endzustände wie Atemstillstand, Herz-Kreislaufversagen) 15 I a) Unmittelbare Todesursache 16 b) Dies ist eine Folge von: b1)* 17 18 19 II ungefähre Zeitspanne vom Krankheitsbeginn bis Tod* b2* c) Hierfür ursächliche Grundleiden:* Mit zum Tode führende Krankheiten ohne Zusammenhang mit dem Grundleiden:* * auszufüllen, soweit dem Arzt möglich Die Punkte 15 bis 19 betreffen die genauen medizinischen Diagnosen zur Todesursache. Man versucht hier, die Beschlüsse der Weltgesundheitsorganisation in die Praxis umzusetzen. Dort wurde bereits 1967 definiert, dass „alle diejenigen Krankheiten, Leiden und Verletzungen, die entweder den Tod zur Folge hatten oder zum Tode beitrugen und die Umstände des Unfalls oder der Gewalteinwirkung, die diese Verletzungen hervorriefen“ zu erfassen sind. Damit soll sichergestellt werden, dass alle für Epidemiologie, Prävention etc. bedeutenden Angaben festgehalten werden, was zwangsläufig zur Folge hat, dass man hier die bedeutenden Zustände 33 auswählen muss und andere, unbedeutendere Zustände nicht angibt. Endzustände wie Atemstillstand oder Herzkreislaufversagen dürfen ausdrücklich nicht eingetragen werden. Die Praxis hat gelehrt, dass aber gerade diese Einträge sich in den meisten Todesbescheinigungen finden. Im Einzelfall dürfte es dem leichenschauenden Arzt in der Tat schwer fallen, hier spezifische Angaben zu machen, ohne sich beim behandelnden Arzt über die Anamnese zu erkundigen. Todesursache (nicht Endzustände wie Atemstillstand, Herz-Kreislaufversagen) 15 I 16 17 18 ungefähre Zeitspanne vom Krankheitsbeginn bis Tod* Lungenembolie Tiefe Beinvenenthrombose 2 Tage b) Dies ist eine Folge von: b1)* b2* Immobilisierung c) Hierfür ursächliche Beckenfraktur nach Fahradsturz 1 Woche Grundleiden:* a) Unmittelbare Todesursache 19 II 3 Jahre Hypertonie Mit zum Tode führende Krankheiten ohne Zusammenhang mit dem Grundleiden:* * auszufüllen, soweit dem Arzt möglich Ein Beispiel für korrekt ausgefüllte Felder zeigt die obige Abbildung. Es sollte natürlich kein Zweifel darüber bestehen, dass es sich in diesem Beispiel um einen nichtnatürlichen Tod handelt, der im nichtvertraulichen Teil des Leichenschauscheines auch so zu deklarieren ist. Des Weiteren sollte in diesem Fall – wenn möglich – auch die Epikrise ausgefüllt werden. 20 Epikrise Weitere Angaben zur Todesart (Blatt 1, Ziffer 14), falls erforderlich (z.B. Unfall, Vergiftung, Gewalteinwirkung, Selbsttötung sowie Komplikationen medizinischer Behandlung): Äußere Ursache der Schädigung (Angaben über den Hergang); bei Vergiftung zusätzlich Angabe des Mittels Hier könnten beispielsweise kurze Angaben zur Unfallursache gemacht werden, wenn sie bekannt ist. Hilfreich für spätere Nachprüfungen wäre auch die Angabe der Herkunft der Erkenntnisse (z.B. durch den Patienten selbst). Die in der Todesbescheinigung vorgegebenen Beispiele umfassen auch den Punkt „Komplikationen medizinischer Behandlung“. Das beweist, dass der Gesetzgeber in NRW den iatrogenen Tod als nichtnatürliche Todesart einstuft. Der nächste Punkt verlangt vom Arzt eine versicherungsrechtliche Wertung im Falle eines Unfalltodes. Aus diesem Grunde sollte man ausgesprochen vorsichtig mit den Eintragungen sein. Erscheint es dem Leichenbeschauer unmöglich, eine sichere Einstufung zu treffen, soll er es lieber lassen. Ein scheinbarer Unfalltod durch Fenstersturz aus der ehelichen Wohnung dürfte durch den Leichenschauer kaum von einer Tötung durch Stoß aus dem Fenster eindeutig zu differenzieren sein. 21 Unfallkategorie (bitte nur Untergruppe ankreuzen) Schulunfall (ohne Wegeunfall) Sport- oder Spielunfall (nicht in Haus oder Schule) Wegeunfall Arbeits- oder Dienstunfall (ohne Wegeunfall) häuslicher Unfall sonstiger Unfall Verkehrsunfall unbekannt Der nächste Abschnitt dürfte beim Ausfüllen keine grösseren Schwierigkeiten bereiten. Wenn keine Erkenntnisse vorliegen, wird dies so angegeben. Liegen Erkenntnisse vor, sollte vielleicht die Herkunft (z.B. Angehörige) der Information kurz vermerkt werden. 34 Bei Frauen, deren Alter eine Schwangerschaft nicht ausschließt 22 Liegt eine Schwangerschaft vor? 23 Bestehen Anzeichen für eine Schwangerschaft in den letzten 12 Monaten? nein ja unbekannt Monat nein ja Es erscheint sicherlich sinnvoll, bei stattgehabter Obduktion dies auch zu dokumentieren. In der Praxis dürfte dies allerdings kaum regelbar sein, da der Totenschein nur in seltenen Fällen dem Obduzenten vorliegt. Er ist meist schon auf seinen behördlichen Weg gegeben worden. Dies ist umso bedauerlicher, als dass nun die tatsächlich bei der Obduktion gefundene Todesursache nicht mehr eingetragen werden kann. Um die Todesursachenstatistik korrekter und damit glaubhafter gestalten zu können, wäre hier dringend eine Abhilfe zu schaffen. 24 Diagnose durch Obduktion gesichert? nein 25 ja Liegt der Obduktionsbefund bei? nein ja Der Punkt 26 soll noch einmal auf die Pflicht des Leichenschauers hinweisen, bei nichtgeklärter Identität der Leiche sowie bei nichtnatürlicher oder unaufgeklärter Todesart die Polizei zu informieren. Gelesen wird die Eintragung allerdings erst im Gesundheitsamt oder im Falle einer Feuerbestattung vom Amtsarzt bei der Feuerbestattungsleichenschau. Der Vertrauliche Teil darf ja vom Bestatter nicht gelesen werden. Warum Punkt 26 im Vertraulichen Teil aufgeschlüsselt wurde, erscheint schleierhaft. Bei Todesfällen im Krankenhaus wird der nicht vertrauliche Teil der Todesbescheinigung häufig vom Krankenhausträger selbst dem Standesamt übermittelt. Der Bestatter erfährt somit in solchen Fällen selbst beim Eintrag einer unaufgeklärten Todesart nichts davon, dass er die Leiche nicht abtransportieren darf. 26 bei ungeklärter Identität der Leiche: bei nichtnatürlicher oder ungeklärter Todesart: Polizei unterrichtet? ja nein Die nächsten Punkte (27, 28) betreffen Kinder, die unter einem Jahr verstorben sind bzw. Totgeborene. Die Fragen betreffen den Sterbeort (Krankenhaus, zuhause oder sonst wo), Mehrlingsgeburten, Geburtsgrösse und Geburtsgewicht. Auf die Definition der Totgeburt wurde bereits bei der Beschreibung des Nichtvertraulichen Teils eingegangen. Bei Kindern unter 1 Jahr und Totgeborenen 27 Wo wurde das Kind geboren? 28 Mehrlingsgeburt nein im Krankenhaus ja Geburtsgröße zuhause cm sonstiger Ort Geburtsgewicht g Der Punkt 29 muss nur bei Neugeborenen ausgefüllt werden, die innerhalb der ersten 24 Stunden post partum verstorben sind. 35 29 Bei in den ersten 24 Stunden gestorbenen Neugeborenen: Frühgeburt in der _____ Schwangerschaftswoche Lebensdauer: _____volle Stunden unbekannt Abschließend bestätigt der leichenschauende Arzt mit seiner Unterschrift und seinem Stempel die Richtigkeit seiner Angaben. Es ist ausgesprochen wünschenswert, dass sich an dieser Stelle auch eine Telefonnummer findet, die bei eventuellen Nachfragen (Amtsarzt, Polizei, Gesundheitsamt) Arbeit erspart. Desgleichen sollte der Name (wenn kein Stempel vorhanden ist) zusätzlich auch in Druckbuchstaben ausgeschrieben werden. Dem leichenschauenden Arzt muss klar sein, dass er hier bestätigt, dass sich seine Untersuchung auf die gesamte Körperoberfläche einschließlich des Rückens, die behaarte Kopfhaut und alle Körperöffnungen erstreckt hat. Ziffer 30 vertraulichen Teil, die im Durchschreibeverfahren der Ziffer 18 des nichtvertraulichen Teils entspricht, enthält also eine von den Ärzten abzugebende zusätzliche Versicherung. Die hat es allerdings in sich. Bislang versicherte der Arzt, die Leichenschau sorgfältig vorgenommen zu haben. Das muss er auch jetzt noch. Allein diese Versicherung reicht jedoch nicht mehr. Negative Erfahrungen haben das Ministerium veranlasst, den Inhalt einer sorgfältigen Leichenschau zu erläutern. Dies führt zu der zusätzlichen Versicherung, dass bestimmte Untersuchungshandlungen tatsächlich vorgenommen worden sind. Der Arzt muss daher nunmehr mit seiner Unterschrift bekräftigen, dass er „die gesamte Köperoberfläche mit Rücken, Kopfhaut und allen Körperöffnungen“ untersucht hat. Für Rechtsmediziner ist das kein Neuland. Nordrhein-Westfalen übernimmt damit praktisch die klassische Definition der Leichenschau, wie sie als medizinischer Fachbegriff verstanden wird. Mit der ausdrücklichen Einbeziehung der „Körperöffnungen“ verhält sich das Land vorbildlich auch mit Blick auf andere sonst immer als beispielhaft gepriesene Bundesländer. Der Inhalt einer Leichenschau kann nämlich nicht Ausfluss föderalistischer Eigenvorstellungen der unterschiedlichen Landesgesetze sein. Er gehört wie jede andere lege artis auszuführende ärztliche Handlung zum medizinischen Allgemeinverständnis. Bedauerlich ist allerdings, dass dieser Vorbildcharakter erst im Nachgang zum neuen Bestattungsgesetz durch Ausführungsbestimmungen zum Ausdruck kommt. Die Anregungen, den Begriff der Leichenschau als Legaldefinition in § 9 Abs. 3 Best.Ges. NRW aufzunehmen, wie dies in anderen Ländern geschehen ist, sind vom Gesetzgeber nicht aufgegriffen worden. 36 Welchen Sinn es allerdings machen soll, dem Arzt ausschließlich im vertraulichen Teil sichtbar die Möglichkeit einzuräumen, durch Ankreuzen eines „Nein-Kästchens“ den Wert seiner eigenen Leichenschau in Frage zu stellen, bleibt unerfindlich. Dazu schweigt auch der entsprechende ministerielle Runderlass und die rechtsverbindliche Ausfüllanleitung. Diese lehrt den Arzt, wie eine sorgfältige Leichenschau auszusehen hat. Teilbesichtigungen genügen nicht. Die Untersuchung hat sich vielmehr auf die gesamte Körperoberfläche einschließlich des Rückens, die behaarte Kopfhaut und aller Körperöffnungen zu erstrecken. Sollte der Leichenschauarzt also bekennen, diese Untersuchungen nicht durchgeführt zu haben, indem er das „Nein-Kästchen“ ankreuzt, mangelt es an einer vollständigen Leichenschau. Eine nicht vollständige Leichenschau wird nicht als „sorgfältig“ im Sinne von § 9 Abs. 3 Best.Ges. NRW bezeichnet werden können. Dem insoweit geständigen Arzt könnte also gem. § 19 Abs. 1 Nr. 1 Best.Ges. NRW ein Bußgeld von 3000 Euro drohen. Da scheint die nächste Version einer Todesbescheinigung bereits vorprogrammiert: Die Kästchen müssen ersatzlos gestrichen werden, auch im Interesse des Leichenschauarztes. Im übrigen hat die Ausfüllanleitung noch weitere Überraschungen bereit: Nachdem der Gesetzgeber entgegen allem fachkundigen Rat keine Regelung der Verfahrensweise bei „ungeklärtem Tod“ in das Gesetz aufgenommen hat, soll diese Lücke nun durch die Ausfüllanleitung geschlossen werden. Sie verpflichtet den Arzt zu der gleichen Verfahrensweise, wie sie § 9 Abs. 5 Best.Ges. NRW für den nichtnatürlichen Tod vorschreibt, nämlich Unterrichtung der Polizei und Sicherung vor Veränderungen. Diese Regelung entspricht den in der öffentlichen Anhörung zum Bestattungsgesetz geäußerten Vorstellungen der Fachwelt, im Gesetz sucht man sie jedoch vergeblich. Deshalb ist die Diskussion absehbar, ob das Ministerium nicht die in § 18 Best.Ges. NRW enthaltene Ermächtigung, die Anforderungen an die Todesbescheinigung zu regeln, überschreitet. Also muss weiter argumentiert werden, wer „ungeklärt“ ankreuzt, schließt einen nichtnatürlichen Tod nicht aus und muss sich entsprechend verhalten. Diesen Spagat hätte man sich im allseitigen Interesse ersparen können. Ungeklärt bleibt, wie sich Notärzte an der Leiche verhalten sollen. Sie sind zwar nicht verpflichtet, eine Leichenschau vorzunehmen, ihnen sind jedoch die Unterrichtungspflichten auferlegt worden. Wenn sie keine vitalen Zeichen mehr feststellen oder herbeiführen können, endet ihre Tätigkeit, ohne dass bereits sichere Zeichen des Todes vorhanden sind. Auf diese können sie aber nicht warten. Ihre Unterrichtungspflicht muss daher bereits zu einem früheren Zeitpunkt einsetzen. Zu dieser Zeitlücke hätte eine Klarstellung erfolgen müssen, die man jedoch im Runderlass und in der Ausfüllanleitung vergeblich sucht. 6. Der plötzliche Säuglingstod 37 Der plötzliche Säuglingstod (SIDS: Sudden Infant Death Syndrome, oder neuerdings SID: Sudden Infant Death) ist definiert als der plötzliche und unerwartete Tod eines Säuglings oder Kleinkindes ohne nachweisbare Todesursache trotz umfassender postmortaler Untersuchung (Obduktion mit chemisch-toxikologischen und klinisch-mikrobiologischen Analysen). Die Ursache des SIDS ist nach wie vor ungeklärt. Gemäss neuesten Erkenntnissen geht man von einem multifaktoriellen Geschehen aus, bei dem prädisponierende Faktoren (z.B. unreifes Atemzentrum) und äussere Einflüsse gemeinsam vorliegen müssen, um den Tod zu verursachen. Als äussere Einflüsse gelten: 1. Bauchlage 2. Überheizte Schlafräume 3. Rauchende Eltern Entsprechende Präventionskampagnen anfangs der Neunzigerjahre haben zu einem drastischen Abfall der SIDS-Inzidenz geführt. In der Schweiz ist der SIDS mit einer Inzidenz von 0,4 auf tausend Lebendgeborenen die häufigste Todesursache im Säuglingsalter (Gesamtmortalität 1,4 auf 1000); ähnliches gilt für Deutschland. Epidemiologie: • SIDS ist am häufigsten zwischen dem 2. und 5. Lebensmonat (jenseits des 10. Lebensmonat ist es selten, kann aber auch noch später auftreten). • Am häufigsten tritt es in den Wintermonaten auf. • Jungen sind häufiger betroffen als Mädchen. • Es ist unklar, ob eine familiäre Häufung besteht oder nicht (Schätzungen zufolge reicht das Risiko bei nachgeborenen Geschwistern von O bis 10fach). Wichtigste Differentialdiagnosen: • Infektionen • Stoffwechselerkrankungen (z.B. Störungen des Fettsäurestoffwechsels, die durch ein Neugeborenenscreening nicht erfasst werden) • Reye Syndrom (ca. 1000 mal seltener als SIDS, aber schwer davon zu unterscheiden • Gewaltsamer Tod: Unfälle, Kindstötungen, vor allem solche ohne äussere Spuren, z.B. Schütteltrauma (gem. einer norwegischen Studie waren ca. 2% aller plötzlich und unerwartet eingetretenen Todesfälle von Säuglingen Kindstötungen!) 38 Merke: Jeder plötzliche und unerwartete Tod eines Säuglings ist als ungeklärter Todesfall zu betrachten. Die sich daraus ergebende zwingende Meldung an die Polizei dient nicht nur dem Ausschluss eines Deliktes, sondern ganz wesentlich auch der Entlastung der Eltern vor Selbst- oder Fremdvorwürfen und kann zur Prävention von weiteren Todesfällen bei Geschwistern beitragen. SIDS-Elternorganisationen unterstützen daher die rechtsmedizinische Abklärung. 39 7. Stumpfe Gewalt Definition: Mechanische Einwirkung einer mehr oder minder begrenzten Fläche gegen den menschlichen Körper (Schlag, Sturz, Tritt, Verkehrsunfall, etc.) Biomechanik: Verschiebung und Kompression des Gewebes. Verletzungserfolg, abhängig von: • Heftigkeit • Beschaffenheit des Instrumentes • Einwirkungsfläche • Gewicht • Oberflächenstruktur • Richtung der Einwirkung • Betroffene Körperregion 7.1 Wichtige rechtsmedizinische Fragestellungen bei stumpfer Gewalteinwirkung: • Selbst- oder Fremdverletzung? • Hinweis auf Tatinstrument? • Kausalität zwischen Verletzung und Tod? • Welche Verletzung hat zum Tod geführt? Bei Lebenden: • Gefährlichkeit und Schwere der Verletzung? Cave: Jurist und Mediziner definieren die Schwere einer Verletzung nicht gleich! • Alter der Verletzung? • Reihenfolge von Verletzungen? • Rekonstruktion des Tatablaufes? 7.2 Erscheinungsformen der stumpfen Gewalt: 7.2.1 Verletzungen der Haut und der Weichteile • Hautabschürfung (Excoriation) - „ungeformt“ oder „geformt“: − An der Leiche braune Hautvertrocknung. − Epithelmoräne: Aufgeworfenes Oberhautschüppchen am „Ende“ einer tangentialen Schürfung. 40 − Geformte Hautabschürfungen: Lassen ein Muster erkennen = Positiv-„Abdruck“ (Beispiele: Stanzmarke, Hammerabdruck, Scheinwerferring, etc.). Kurativ-medizinisch unbedeutend forensisch oft entscheidend bezüglich Rückschluss auf Werkzeug und Mechanik der Entstehung. Cave: Vertrocknungen können auch postmortal entstehen • Geformte Hauteinblutung (intracutane Blutung): rot, oft aus kleinsten roten Pünktchen bestehend, im Gegensatz zu Hautrötung nicht wegdrückbar. Geformte Hauteinblutung als Positiv„Abdruck“ (z.B. Schuhsohle) oder Negativ-„Abdruck“ (Bsp. Doppelkontur bei Stockhieb). • Hämatom: Blutaustritt in das Unterhautfettgewebe: diffuse Ausbreitung, rekonstruktiv wenig geeignet, Blauverfärbung (später braun-grün-gelb, jedoch schwierige Altersschätzung), evtl. erst nach Tagen sichtbar (Lebende). • Hautwunden /Hautdurchtrennung: - Häufig: Quetschwunden (v.a. am Kopf: Schädelknochen als Widerlager). Charakteristika: Unregelmäßig gezackte Wundränder, Schürfungssäume um die Wunde herum, Gewebsbrücken in der Tiefe, Unterminierung der Wundränder, Blutunterlaufungen in der Umgebung. Verschiedene Formen: Linear, mehrstrahlig, U-förmig, etc. In der Klinik wird häufig und trotzdem morphologisch nicht korrekt von RQW = Rissquetschwunde gesprochen. − Seltener: Quetsch-Risswunden mit randständigem, über die Abschürfung reichenden Rissanteilen. Das Gewebe wird zuerst gequetscht und reisst sekundär durch tangentiale Krafteinwirkung ein. − Selten: Risswunden (z.B. Überdehnung der Haut im Leistenbereich beim Anfahren von hinten oder bei Durchspiessung von innen durch einen Knochenbruch) 7.2.2 Verletzungen der Knochen 7.2.2.1 Schädel − Berstungsbruch (spinnenförmig): breitflächige Einwirkung, meist beim Sturz auf Boden oder bei Kompression des Schädels. − Biegungsbruch (konzentrische Bruchlinien): durch lokale Einwirkung, z.B. Kante, Ecke etc. − evtl. Reihenfolge der Brüche aus Morphologie der Bruchlinie abzuleiten (zweite Fraktur endet an erster) − „Hutkrempenregel“ (Schlag = Verletzung über Hutkrempe, Sturz = Verletzung unter Hutkrempe). Aber: Gilt nur bei Sturz zu ebener Erde, nicht bei Sturz aus Höhe, Treppensturz oder Sturz gegen ein Möbelstück etc. Anwendbar nicht nur bei Knochen-, sondern auch bei Hautverletzungen am Kopf. 41 7.2.2.2 Röhrenknochen − Spiralbruch = Torsion = Verdrehung − Keilbruch („Messerer-Bruch“)= direkte Einwirkung (Basis des Keiles („Messerer- Biegungskeil“) liegt dort, wo die Gewalt einwirkte). Wichtig beim Fussgänger, der von einem Auto angefahren wird: Anfahrrichtung! 7.2.3 Verletzungen im Schädelinnern • Blutungen in die Schädelhöhle/unter die Hirnhäute: - epidural = zwischen harter Hirnhaut und Knochen - subdural = zwischen weicher und harter Hirnhaut - subarachnoidal = zwischen weicher Hirnhaut und Gehirn • Hirnkontusion (vor allem in der Hirnrinde in Form feinster Blutaustritte = Kontusionsherde): - am Ort der Einwirkung = „Coup“ - gegenüber der Einwirkung = „Contre-Coup“. ( z.B.: Sturz auf den Hinterkopf: ContreCoup im Stirnhirnbereich) - Merke: „Contre-Coup“ ist häufiger und oft grösser als „Coup“. • Hirnblutung = Blutung in das Hirngewebe (selten als Traumafolge) 42 8. Scharfe Gewalt 8.1 Schnittverletzungen: Entstehung: Durch schneidende Werkzeuge (Messer, Dolche, aber auch Glasscherben, Blechkanten, etc.) Wundform: Länger als tief, evtl. seicht, Wundränder scharf, glattwandig, keine Gewebebrücken, Wundwinkel spitz und ausgezogen (DD: Stich)! Oft ohne Einblutungen am Wundrand (schwierige DD zu postmortalem Schnitt!) Lokalisation: • Halsschnitt: durch fremde Gewalt oder eigene Selbsthandlung (typisch für Suizid: Probierschnitte: parallel, oberflächlich) • Handgelenk, Ellenbeuge, Leistenbeuge: typisch (aber nicht beweisend!) für Suizid, dann i.d.R. zahlreiche, parallel verlaufende, oft oberflächliche Schnitte (sog. Probierschnitte). Beachte: Querschnitt am Handgelenk muss sehr tief sein, um Arterien zu verletzen. Durchtrennte Arterie zieht sich zurück und rollt die Ränder ein. Dadurch stoppt die Blutung. Daher oft untaugliche Handlung für Suizid. Viel „gefährlicher“ ist die angeschnittene Arterie. • Brüste, Sexualorgane: typisch bei Sexualdelikten Todesursachen: Verbluten, Luftembolie beim Halsschnitt, Blutaspiration beim Halsschnitt. 8.1.1. Selbstverletzungen Nicht nur bei Suizid oder Suizidversuch (siehe oben), sondern immer häufiger auch im Rahmen einer Borderline-Psychose: vorwiegend pubertierende Mädchen fügen sich rezidivierend Schnitte an Armen und Beinen zu: parallel, meist oberflächlich, z.T. aber auch tiefer reichend. Seltener fügen sich Personen Selbstverletzungen durch Schnitte mit dem Ziel zu, eine Fremdeinwirkung vorzutäuschen. Charakteristisch sind die Oberflächlichkeit und die Parallelität der Schnitte, die Aussparung schmerzhafter Regionen (z.B. Brustwarzen) und die leichte Zugänglichkeit. 8.2 Stichverletzungen: Entstehung: Durch Einstoßen schmaler, dünner, spitzer Gegenstände in ihrer Längsachse. Wundform: I.d.R. tiefer als lang, spindelförmig, glattrandig, keine Gewebebrücken, Wundwinkel bei doppelschneidigem Werkzeug beidseits spitz, bei einschneidigem Werkzeug an der Seite des Messerrückens abgerundet, evtl. leicht geschürft, oft mit 2 43 kleinen Einkerbungen (durch scharfe Kanten des Messerrückens). Speziell: • Stichwunde der Haut kann länger sein als Breite der Klinge: Stich-Schnitt, flaches Auftreffen der Klinge. • Hautwunde kann kleiner sein als Klingenbreite (Elastizität der Haut, Messer mit zunehmender Klingenbreite nicht bis zum Schaft eingestochen). • Stichkanal kann länger sein als Klingenlänge (bei Kompression der Weichteile). • Bei Drehstichen: „Schwalbenschwanz“-artige Wunde. • Abgeschrägter Wundrand: Stichrichtung nicht orthograd (Winkel von 90 Grad auf die Haut). • Bei Anprall des Griffes oder der zustechenden Hand: evtl. Hauteinblutungen, Vertrocknungen. Schwierige Fragen: • Heftigkeit des Stiches? Abhängig von Kleidern, Haut (Rückenhaut ist z.B. sehr derb), Spitzigkeit und Schärfe des Instrumentes. • Opfer „ins Messer gelaufen“? Häufigster Einwand des Täters. Nur unter ganz besonderen Bedingungen möglich, meist auszuschließen! Todesursachen: Verbluten, Luftembolie, Pneumothorax (Funktionsausfall der Lunge durch Lufteintritt in Brustraum). Beachte: evtl. Verschluss der Stichwunde durch Verschiebung der Gewebsschichten. Herzbeuteltamponade: nach Herzstich Blutung in Herzbeutel mit Kompression des Herzens. Kriterien für Suizid: • Zugänglichkeit der Wundstellen • Typische Stelle (Pulsaderschnitte, Halsschnitte, Herzstiche) • Entblössung der verletzten Stelle (nicht obligat) • Händigkeit • Probierschnitte, Probierstiche • Parallelität bei Mehrfachwunden • Keine Abwehrverletzungen • Werkzeug vorhanden • Ruhiges Spurenbild • evtl. Abschiedsbrief • evtl. Schutz vor Verunreinigung der Umgebung: z.B. in Badewanne 44 9. Schuss 9.1 Schusswaffen und Munition 9.1.1 Waffenarten Es gibt Defensivwaffen, die Schutz bieten (Schutzwesten, Helme, früher Rüstungen) und Offensivwaffen die dem Angriff auf einen Gegner dienen. Offensivwaffen lassen sich in Blankwaffen (Hieb-, Stoss- und Stichwaffen) und in Wurfwaffen unterteilen. Schusswaffen gehören zu der Kategorie der Wurfwaffen. Tragbare Schusswaffen werden in zwei Gruppen eingeteilt: – Kurzwaffen Einhändig bedienbare Waffen, auch Faustfeuerwaffen genannt, – Langwaffen Zweihändig zu bedienende Waffen, auch Handfeuerwaffen genannt. Nach der Funktion werden unterschieden: – Einzellader jede Patrone wird einzeln von Hand geladen, – Repetierer Zufuhr der Patrone aus einem Magazin durch Hebelbewegung, – Halbautomat nach jedem Schuss automatische Zufuhr einer neuen Patrone, – Automat kann automatisch mehrere Schüsse nacheinander schiessen. Kurzwaffen sind unterteilt in – Pistole Halbautomat oder Einzellader. Patronen in einem Stangenmagazin (meist im Griffstück), nach dem Schuss automatischer Hülsenauswurf (nicht beim Einzellader), – Revolver Repetierer. Patronen in einer drehbaren Trommel hinter dem Lauf, Hülsen bleiben nach dem Schuss in der Trommel. Langwaffen sind unterteilt in – Büchsen Lauf mit schraubenförmigen Vertiefungen (Züge) versehen, die das Geschoss in schnelle Drehung um die Längsachse versetzen. Die Drehung (Drall) ist erforderlich, damit sich lange Geschosse im Flug nicht überschlagen (Kreisel!), – Flinten Lauf glatt, ohne Züge. Es können somit nur Geschosse verschossen werden, die ohne Drall stabil fliegen (Kugel, Zylinder, Schrotkugeln). Eine spezielle Waffenart ist die Maschinenpistole. Es ist ein Automat, der für Pistolenmunition eingerichtet ist, die aber eher zu den Langwaffen gehört. 9.1.2 45 Munition Munition ist eine Sammelbezeichnung. Sie gilt für alles Material, das mit Wurfwaffen verschossen wird. Bei Schusswaffen besteht sie in der Regel aus Geschoss (1) transportiert die für die Wirkung erforderliche Energie ins Ziel. Vollmantelgeschoss Vollgeschoss ein Kern aus weichem Material (z. B. Blei) ist von einem Mantel aus härterem Material (z. B. Tombak) vollständig umhüllt. besteht ganz aus einem Material (z. B. Blei). Deformationsgeschoss ist so konstruiert, dass es sich beim Auftreffen auf den Körper deformiert. Keine Splitterbildung. Zerlegungsgeschoss ist so konstruiert, dass es sich beim Auftreffen auf den Körper in mehrere Stücke zerlegt. 1 2 4 3 Typische Deformations- bzw. Zerlegungsgeschosse sind die sog. Teilmantelgeschosse, bei denen der Kern an der Spitze frei liegt und die Hohlspitzgeschosse, die eine von der Spitze ausgehende axiale Bohrung besitzen. Treibmittel (Pulver) (2) Brennstoff, der beim Abbrand in der geschlossenen Waffe sehr viel Gas produziert und dadurch einen hohen Druck erzeugt. Anzündvorrichtung (3) (Zündhütchen, Zündkapsel) dient zum Anfeuern des Pulvers. Hülse (4) enthält das Treibmittel und trägt Geschoss und Zündkapsel. Sind diese vier Teile zu einer Einheit zusammengefasst, so spricht man von einer Patrone. Patronen sind für die verschiedenen Waffenarten typisch. Der Bezeichnung Projektil ist ein Sammelbegriff umfasst alle geworfenen Gegenstände, also neben Geschossen auch Splitter, Steine, Pfeile usw. 9.2 Wundballistik Wundballistik ist eine interdisziplinäre Wissenschaft, in der Physik (Ballistik, Biomechanik, Frage: Was tut das Geschoss?), Medizin (Rechtsmedizin, Chirurgie, Frage: Wie reagiert der Körper?) und Rechtswissenschaften (Strafrecht, Völkerrecht) eng zusammenarbeiten. 9.2.1 Arten von Schussverletzungen Die aus physikalischer Sicht möglichen Schussverletzungen lassen sich mit Hilfe von Simulantien (Gelatine und Glyzerinseife für weiche Gewebe, Polyurethane für Knochen) experimentell simulieren. 46 – Gelatine verhält sich elastisch und gibt das dynamische Verhalten eines Geschossdurchgangs in biologischem, weichem Gewebe wieder – Glyzerinseife wird plastisch deformiert und zeigt durch die erzeugte Höhle das ungefähre räumliche Ausmaß des zerstörten Gewebes. Dieser Bereich wird temporäre Wundhöhle genannt. Es lassen sich 5 typische Arten von Schussverletzungen unterscheiden (Abbildungen von Simulationsschüssen in Glyzerinseife): Waffenart Vollmantel- und Vollgeschosse Deformationsschosse und Zerlegungsge- Langwaffen Kurzwaffen 20 cm Splitter und Abpraller Geschossverhalten: Vollmantel- und Vollgeschosse erzeugen erst einen mehr oder weniger langen geraden und engen Einschusskanal („narrow channel“), danach dreht das Geschoss um eine Querachse, bis in eine Heck-voran-Lage. Anschliessend dreht es eine Vierteldrehung zurück und schiebt sich in Querlage durch das Gewebe bis zum Stillstand. Durch das in der temporären Höhle herrschende Vakuum wird es etwas zurückgezogen, so dass es oft nicht am Ende des Schusskanals liegt. Deformations- und Zerlegungsgeschosse verformen sich ausserordentlich rasch und erzeugen die temporäre Wundhöhle unmittelbar nach dem Einschuss. Anschliessend verläuft der Schusskanal geradlinig mit ständig abnehmendem Querschnitt. Splitter Erzeugen den grössten Verletzungsquerschnitt an der Oberfläche, danach nimmt der Querschnitt des Schusskanals ständig ab. Anwendungen: - In der Kriegs- und Notfallchirurgie Diagnose von Schussverletzungen - In der Rechtsmedizin Rekonstruktion von Tatabläufen auf Grund der Schussverletzung - Rechtswissenschaften Beurteilung der Gefährlichkeit, Quantifizieren der Wirksamkeit von Geschossen. 47 9.3 Rechtsmedizinische Aspekte der Schussverletzungen 9.3.1 Es stellen sich folgende Fragen zur Klärung eines Falles: • Ein- oder Ausschuss? (wird klinisch häufig verwechselt!) • Schussdistanz? (Kriminaltechnik + Rechtsmedizin) • Schussrichtung? • Selbst- oder Fremdhandlung? • Fremdhandlung: Unfall oder Delikt? • Rekonstruktion: Stellung und Haltung des Opfers und der/des Täter/s? 9.3.2 Wundmorphologie am Einschuss in Abhängigkeit von der Schussdistanz (schematisch) Substanzdefekt Substanzdefekt Abstreifring Abstreifring Schürfsaum Schürfsaum Schmauchhof Fernschuss Relativer Nahschuss Schmauchhöhle „Platzwunde“ Stanzmarke Stanzmarke Absoluter Nahschuss am Kopf Trichterförmige Erweiterung am Knochen Absoluter Nahschuss am Kopf 9.3.3 Einschusskriterien: a) sichere: • Abstreifring/Randschwärzung um den Substanzdefekt: Abstreifung von Schmutz auf dem Projektil) • Pulverschmauch (grau-schwarz, „metallisch“) • Stanzmarke beim absoluten Nahschuss 48 b) unsichere: • Substanzdefekt (= nicht adaptierbare Wunde) • Schürfsaum (kommt auch beim Ausschuss mit Widerlager vor!) 9.3.4 Ausschusskriterien a) sichere: • Gibt es an der Haut nicht! • Platte Knochen: Trichterförmige Erweiterung des Schusskanals nach aussen b) unsichere: • adaptierbare Wunde • herausragende Haut-Gewebezipfel • fehlender Schürfsaum • fehlende sichere Einschusskriterien! Merke: Die Unterscheidung von Ein- und Ausschuss kann äusserst schwierig sein! Ein Foto sagt mehr aus als 1000 Worte – gut dokumentieren! (siehe 8.3.7) 9.3.5 Schussdistanz = „Faustregel“ • Fernschuss: mehr als ca. 1 m: kein Schmauch • Relativer Nahschuss: unter ca. 1 m: Schmauch auf der Haut • Absoluter Nahschuss: Waffenmündung aufgesetzt: Schmauch unter der Haut = Schmauchhöhle, bei weicher Unterlage auch auf der Haut. Genaue Schussdistanz – Bestimmung über kriminalistische Verfahren 9.3.6 Schussverletzungen im Körperinnern (siehe auch 7.2. „Wundballistik“) Die innere Zerstörungszone ist meistens viel grösser als das Kaliber der Munition. Man spricht von einer „temporären Wundhöhle“. Deren Länge, Form und Grösse ist abhängig von der Munition und der Energie des Geschosses. Besonders grosse Wundhöhlen resultieren bei Gewehrmunition und bei Deformationsgeschossen (Teilmantelgeschosse). Die langen Gewehrgeschosse stellen sich im Laufe des Schussverlaufes quer, die Deformationsgeschosse vergrössern ihr Kali- ber. Dadurch werden sie im Gewebe stärker abgebremst, d.h. sie geben viel Energie ab und verursachen eine besonders grosse Wundhöhle bzw. allenfalls einen grossen Ausschuss. 49 9.3.7 Unterschiede Suizid/Delikt Typisch für Suizid sind: • absoluter Nahschuss • meist Einzeltreffer: Schläfe, Stirn, Herzgegend, Mund, selten Unterkiefer, Nacken • entkleidete Einschuss-Stelle • Spuren an der Schusshand: Schmauch, Blutspritzer • Spuren an der Haltehand: Schmauch, Blutspritzer, evtl. Verletzungen Typisch für Delikt sind: • Fernschuss (selten relativer Nahschuss, ganz selten absoluter Nahschuss) • oft Mehrfach-Treffer: Brust, Bauch, Extremitäten, Rücken 9.3.8. Wichtige Hinweise bezüglich „Umgang“ mit Schussverletzungen in der Klinik • Schussdefekte in den Kleidern nicht zerstören, z.B. durch Aufschneiden. • Keine voreiligen Schlüsse betreffend Ein- und Ausschuss • Fotos (Übersicht und Detail, mit Massstab) von den Wunden anfertigen • Projektile nicht mit Metallpinzetten herausnehmen (Kratzer auf der Oberfläche können die kriminaltechnische Untersuchung stören) • Schusswunden grosszügig exzidieren, mit einem Faden am oberen Ende markieren, damit ursprüngliche Ausrichtung am Körper erkannt werden kann • Exzisate NICHT in Formalin legen (Präparate schrumpfen!), sondern in feuchte Kammer, d.h. mit NaCl-feuchter Gaze umwickeln, in Behältnis legen und bis zum Versand in Kühlschrank aufbewahren. 50 10. Sauerstoffmangel 10.1 Ersticken Definition: cerebrale Hypo- oder Anoxie = Tod durch O2-Mangel des Gehirnes. Der oftmals synonym verwendete Ausdruck ‘Asphyxie’ bedeutet eigentlich Pulslosigkeit! Vorkommen: • O2-Mangel in Aussenluft (nach Absinken < 5% O2 in Atemluft rascher Todeseintritt): extreme Höhe, enger, geschlossener Raum (z.B. Kind in Schrank), Verdrängung durch CO2 • Verlegung der Atemwege oder Behinderung des Gasaustauschs in der Lunge: Plastiksack, Knebel, Kehlkopfödem, Aspiration, Ertrinken, schwere Lungenentzündungen. Merke: Bolustod (aspirierte Nahrungsteile im Kehlkopf) ist meistens ein Reflextod! • Behinderung der Thoraxexkursion: Verschüttung, Druck auf Thorax, positionsbedingtes Ersticken (s. unten) • toxisch (Muskelrelaxantien, neurologische Erkrankungen, Tiergifte, Kampfgifte) • beidseitiger Pneumothorax • Strangulation (s. unten) • „inneres Ersticken“: extreme Anämie, Vergiftung mit CO, CN, H2S Merke: Es gibt keine beweisenden Erstickungsbefunde beim raschen Erstickungstod! Häufig hinterlässt aber die Erstickungsursache Spuren am Leichnam. 10.2 Strangulation Definition: Ersticken i n folge Kompression v.a. der Halsgefässe. Weniger bedeutsam sind Luftwege und Nerven. Meistens kein Genickbruch! • Erhängen: Kraft = eigenes Körpergewicht - typisches Erhängen: Strangmarke/Strangfurche hinter den Ohren ansteigend, Knoten im Nacken - atypisches Erhängen: alle anderen Stranglagen - komplettes Erhängen: ganzes Körpergewicht wirksam (frei hängend) - inkomplettes Erhängen: Körpergewicht teilweise wirksam (Bodenkontakt). Tod durch Erhängen ist auch im Knien oder Sitzen möglich. • Erdrosseln: Kraft = Hände via Drosselwerkzeug. Fremd- oder Selbsthandlung • Erwürgen: Kraft = Hände. Immer Fremdhandlung 51 Äusserliche Befunde bei Strangulation: • Strangmarke (Schürfung und Vertrocknung), Strangfurche (vertiefter, oft geformter Abdruck des Strangwerkzeuges), bei mehrfachen Umschlingungen gelegentlich Kammblutungen - beim Erhängen: ansteigend, i.d.R. nicht zirkulär - beim Drosseln: horizontal, zirkulär • Würgemale: unregelmässige Hautabschürfungen und Hauteinblutungen, „Kratzer“ (durch Fingernägel) • Stauungsblutungen: Augenbindehäute, Nasenschleimhäute, Trommelfell, Gesichtshaut, Augenlider, hinter Ohren. Voraussetzung für das Auftreten: Sistierter venöser Abfluss bei zumindest teilweise erhaltener arterieller Zufuhr. Deshalb fehlen i.d.R. Stauungsblutungen beim typischen Erhängen, sie sind sehr ausgeprägt beim Drosseln und Würgen. • Schleimabrinnspur („Speichelfaden“) beim Erhängen, oft vermutlich einziges vitales Zeichen. Nicht tödliche Strangulation siehe Kap. 15.1. 10.3 Positionsbedingter Erstickungstod (positional asphyxia) mit besonderer Berücksichtigung polizeilicher Festhalte- Massnahmen Gewisse Körperpositionen beeinflussen die Atmung ungünstig und können bei bestimmten Voraussetzungen zum Tod durch Ersticken führen. Positionsbedingtes Ersticken wird in der rechts- medizinischen Praxis z.B. beobachtet bei: • Sturz in eine unglückliche Endlage, aus der sich das Opfer nicht aus eigener Kraft oder nicht wegen Bewusstlosigkeit befreien kann, z.B. Treppensturz mit Endlage kopfüber in einer Ecke mit massiver Flexion im Halsbereich, Sturz in einen engen Raum mit Einklemmung von Brust und Bauch. • kraftlosem Hängen im nicht korrekt an Körpergurten befestigten Bergsteigerseil oder nicht korrekt angebrachten Fixationsgurten (Klinik!) • Verschüttung (Einsinken bis zum Hals z.B. im Sand) • Polizeilichen Festhaltemassnahmen, Massnahmen bei Abschiebungen: Stark erregte und/oder unter Drogen- (v.a. Kokain, Amphetamine) und Alkoholeinfluss stehende Personen, die sich einer polizeilichen Festnahme widersetzen, können in einen psychischen Ausnahmezustand (sog.„excited delir) geraten, der sich durch eine zunehmende Aggressivität und Schmerzunempfindlichkeit kennzeichnet. Aufgrund des erhöhten Sauerstoffbedarfs dieser Personen können polizeiliche Festhaltemassnahmen durch eine Behinderung der Atmung zum plötzlichen Herzkreislaufstillstand und zum Tod führen. • Bestimmte Arten der Fesselung/Fixierung, gefährlich sind z.B.: - Schwalbenposition („Hog-Tie-Position“): Bauchlage mit am Rücken zusammengebundenen Händen und Füssen. Verboten! 52 - Knebelung und/oder Verklebung von Mund und Nase. Verboten! - Unterarmwürgegriffe: Umgreifen des Halses mit dem Unterarm von hinten her. Hals darf nicht in Ellenbeuge geraten (beidseitiger Druck auf Halsschlagader!). „Gerader“ Unterarmgriff bei entsprechender Schulung erlaubt. Muss geübt werden. - Umklammerung des Brustkorbes von hinten („Schwitzkasten“) - Längerdauerndes Fixieren der Person in Bauchlage durch Druck auf den Hals und/oder Rumpf. Bauchlage deshalb nur so kurz wie möglich unter Beobachtung der Sprechfähigkeit („wer spricht, atmet“). Beim Auftreten von Atemproblemen oder Bewusstlosigkeit Person sofort aufrichten. - Verlegung der Atemöffnungen durch Körperteil, Gegenstände oder Aufliegen des Gesichtes am Boden. - Fesselungen, die die Atmung negativ beeinflussen (z.B. Anbinden auf einem Stuhl um den Brustkorb oder Bauch oder fest nach hinten über die Stuhllehne gezogenen Armen.) 10.4 Ertrinken Definition: Ersticken infolge Wassereinatmung (Aspiration). • typisches Ertrinken: bei vollem Bewusstsein, erhaltene Schutzreflexe: Schaumpilz vor Mund und Nase, trockene, grosse (!) Lungen, Wasser im Magen • atypisches Ertrinken: Bewusstseinstrübung, gestörte Schutzreflexe: kein Schaumpilz, feuchte, schwere Lungen → Ursache einer zugrunde liegenden Bewusstseinsstörung suchen (Schädel-Hirn-Trauma, Intoxikation, Erkrankung, etc.) • Beinahe-Ertrinken: Ertrinkungsvorgang wird zunächst einige Zeit überlebt. Tod dann meist infolge ARDS (Surfactant-Verlust!) Merke: Wasserleichen sind Problemleichen: - Fundort entspricht oft nicht Ereignisort („Tatort“) - Todeszeitschätzung erschwert, da Totenstarre wegen ständiger Bewegung und Totenflecken wegen Druck des Wassers auf die Haut oft fehlend - In fliessenden Gewässern kann Leichnam entkleidet werden (primär verdächtig!) - Identität von nackten Leichen unklar: fehlende „Biographie“, unklare Todesart - Häufig Fäulnis, weil Leichnam erst durch Fäulnisgase an Oberfläche gelangt: schwierige Befunderhebung und Ertrinkungsdiagnostik 53 11. Verkehrsunfall Die Klärung komplexer Verkehrsunfälle ist eine interdisziplinäre Aufgabe. Sie setzt die Kenntnis nicht nur der Verletzungen, Fahrzeugbeschädigungen voraus. sondern auch des Ereignisablaufes und der Eine Zusammenarbeit mit der Polizei und dem technischen Sachverständigen ist sehr wichtig. 11.1 Fragen an die Rechtsmedizin • Medizinische Unfallursachen? (Krankheit, Medikamente, Drogen) • Rekonstruktion - Von welcher Seite her angefahren? (Fussgänger, Zweiradfahrer) - Fahrerflucht: Hinweise auf Fluchtfahrzeug? - Mehrfachunfälle: wer setzte die tödlichen Verletzungen? • Kausalität zwischen Unfall und Tod? • Schutzvorrichtung (Gurt, Helm) benutzt? Schwerere Verletzungen wegen Nicht-Gebrauch? • Wer lenkte das Fahrzeug? (bei Behauptung des überlebenden Fahrzeuginsassen: der „andere“ ist gefahren) 11.2 Wichtige Anknüpfungspunkte von Unfallort und Unfallfahrzeugen • Endlage des Fussgängers: Wurfweite (s. unten) • Spurenbild: Bremsspuren, Splitterspuren, Kratzspuren, Blutspuren, Gewebespuren (Strassenbelag und Fahrzeuge) • Beschädigungsbild aussen am Fahrzeug (mit am Boden stehendem Massstab fotografiert), inkl. Unterboden, Räder. • Beschädigungsbild im Fahrzeug (Lenkrad, Armaturenbrett, Windschutzscheibe) • Spuren im Fahrzeug: Blut, Gewebe, Haare (v.a. bei Frage nach Sitzposition) • technische Schätzung der Kollisionsgeschwindigkeit (Bremsspuren, Fahrtenschreiber). 54 11.3 Bewegungsablauf des von einem PKW angefahrenen Fussgängers • Anprallverletzung am Unterschenkel durch Stossstange + evtl. Hüfte-Oberschenkel durch Kotflügel/Motorhaube • Aufwurf der Person (je schneller der PKW, desto höher wird der Fussgänger aufgeworfen) • Aufprallverletzung v.a. des Kopfes an Windschutzscheibe, A-Säule oder Dachrand (bei normaler Körpergrösse des Fussgängers und normaler Ponton-Form des PKWs kommt es bei ca. 50 km/h zum Kopfaufprall etwa in der Mitte der Frontscheibe. Bei mehr als 60-70 km/h kann der PKW unter dem hochgeworfenen Fussgänger durchfahren = Unterfahrung). In dieser Phase fährt der angefahrene Fussgänger eine gewisse Strecke mit dem Fahrzeug mit. • Sekundäre Sturzverletzung durch „Abwurf“ auf die Strasse sind meistens leichter als Anfahr- und Anprall-Verletzungen. Wurfweite = Strecke zwischen Kollisionsort und Endlage des Fussgängers. Kann in gewissen Fällen für die Rekonstruktion der PKW-Geschwindigkeit herangezogen wer- den. Beulenversatz = Am PKW von vorne nach hinten seitlich versetzte Beulen durch Eigenbewegung des quer zur Fahrtrichtung gehenden Fussgängers. Stärkerer Beulenversatz beim rennenden Fussgänger. Keilfraktur = Bruchtyp des Beines mit Bildung eines Knochenkeiles. Keilbasis liegt dort, wo die Kraft einwirkte („Messerer-Bruch“) Überfahrung = Der am Boden liegende Fussgänger wird zwischen den Rädern, d.h. ohne direkten Radkontakt, überfahren. Dabei wird der Körper durch den Unterboden des PKW verletzt. Überrollung = Der am Boden liegende Fussgänger wird durch ein oder mehrere Räder überrollt. Dabei kommt es oft zur Ablederung (Décollement) der Haut von der Muskulatur. 55 Merke: Eine Überfahrung oder Überrollung passiert praktisch nie durch das anfahrende Fahrzeug, weil die Person, wie oben beschrieben, aufgeworfen wird. Ausnahmen: Fehlendes Bremsen des PKW nach der Kollision, Anfahren eines Kindes mit tiefem Schwerpunkt, Anfahren eines Erwachsenen durch Kombi oder LKW („Kegel-Effekt“ = Person wird wie ein Kegel umgeworfen), ganz langsames Anfahren und anschliessendes Überfahren. 11.4 Bewegungsablauf des PKW-Insassen beim Frontalaufprall • Zuerst Frontdeformation und evtl. Intrusion (= Deformation der Fahrgastzelle), dann erst Vorwärtsbewegung des Insassen. • Brustanprall an Lenkrad oder Armaturenbrett (durch Gurt meistens verhindert) • Knieanprall an Armaturenbrett (durch Gurt verhindert): sog „dashboard-injury“: oft Verletzung des Hüftgelenkes. • Kopfanprall an Lenkrad bzw. Armaturenbrett oder Windschutzscheibe (Lenkradanprall kann durch Sicherheitsgurt nicht vermieden werden, daher Kombination mit Airbag). Im ungünstigsten Fall durchbricht der Kopf die Verbundglasscheibe: schwere Hals-WeichteilVerletzungen durch Glas-Spiesse! • Beim Angegurteten werden die Hände nach vorne geschleudert: evtl. leichte Innenbeschädigung der Windschutzscheibe. • Kein Schleudermechanismus (sog. „Schleudertrauma“) bei der Frontalkollision! Kommt aber bei Heckkollision vor und führt evtl. zu sehr langdauernden Beschwerden. • Hinweise auf getragene Sicherheitsgurte: sog. „Gurtmarken“ am Brustkorb entsprechend Gurtverlauf und Sitzposition, evtl. über Beckenkamm. (Technisch: Abriebspuren auf Sicherheitsgurt an den Umlenkbeschlägen). Merke: Sicherheitsgurte schützen (v.a. zusammen mit dem Airbag) sehr gut. Sie sind nur sehr selten (ca. 0,2% der schweren Unfälle) der Grund für schwerere Verletzungen als ohne Gurt. 11.5 Ärzte als Gutachter bei Verletzungen durch Verkehrsunfälle, z.B. HWSVerletzung („Schleudertrauma“) Falls Sie als Ärztin/Arzt gebeten werden, sich gutachtlich zu äußern, dann fragen Sie sich bitte: • Muss ich das wissen? • Bin ich sicher bezüglich Kausalität zwischen Unfall und Verletzungen/Folgen? 56 • Habe ich alle Angaben über den Unfall, die für eine Beurteilung der Kausalität bzw. Relevanz nötig sind, wie z.B. Art des Unfalles, Kollisionsgeschwindigkeit, Delta-v, Aufprallwinkel ....? • Habe ich alle für eine Begutachtung notwendigen Unterlagen? • Kann ich diese Unterlagen interpretieren? Wenn nein, Auftrag ablehnen, denn: Sie müssen das nicht können! 57 12. Thermische Schäden: Hitze und Kälte 12.1 Kälteeinwirkung Erfrierung = Lokale Hautnekrose durch Kälteeinwirkung, meist an Fingern, Zehnen, Nase - vitale Reaktion, die zu Lebzeiten erst Stunden nach der Erwärmung sichtbar wird. Wird beim akut an Unterkühlung Verstorbenen nie gefunden. Unterkühlung = Hypothermie = Körperkerntemperatur unter 35°C – Risikokonstellationen: • Kälteexposition (z.B. bei Bewusstlosigkeit, Hilflosigkeit, Geraten in kaltes Wasser) • Verminderte Wärmeproduktion (fehlendes Kältezittern bei Erschöpfung) • Vermehrter Wärmeverlust (z.B. Gefäss-Weitstellung unter Alkoholeinfluss) • Gestörte Temperaturregulation im Gehirn (Hypothalamus) durch zentral dämpfende Medikamenten) Beachte: Hypothermie nicht nur bei extremer Kälte, sondern auch bei Zimmertemperatur möglich! (Arbeit aus Florida: „Hypothermia in the sunny south“). Stadien der Hypothermie, Symptomatik I: Erregungsstadium, Körpertemperatur 35o C - 32o C ⇒ Langsame Willkürbewegungen ⇒ Ataktischer Gang ⇒ Muskelzittern (fehlt bei Erschöpfung) ⇒ Agitiertheit (= „angetrieben“), später Müdigkeit, Apathie (= antriebslos) II: Erschöpfungsstadium, Körpertemperatur 32o C - 28o C ⇒ Muskelzittern verschwindet; Muskeln werden steifer („Rigidität“) ⇒ Verwirrtheit, „Kälteidiotie“: paradoxe Wärmeempfindung, Entkleidung: bei späterem Todeseintritt: „verdächtige Auffindesituation“ ⇒ Somnolenz bis Bewusstlosigkeit III: Lähmungsstadium, Körpertemperatur unter 28o C (bis 14o C überlebt!) ⇒ Bewusstlosigkeit ⇒ Langsamer Puls, tiefer Blutdruck ⇒ Puls, Atmung nicht mehr feststellbar ⇒ Pupillen weit oder eng, lichtstarr ⇒ „Kältestarre“, Rigidität (im Vergleich zur Totenstarre: nicht „lösbar“) 58 ⇒ CAVE: Scheintod !!!: Keine Lebenszeichen, keine sicheren Todeszeichen ! ⇒ Tod durch Herzkammerflimmern oder Herzstillstand (Asystolie) Tod durch Unterkühlung Fundsituation: - Aussentemperatur i.d.R. (aber nicht zwingend!) unter 15o C, beachte: Wind und Nässe! - evtl. Unordnung, Entkleidung („Kälte-Idiotik“) - Kot- oder Urinabgang Leichenbefunde beim Tod durch Unterkühlung: - äusserlich (Leichenschau): - zu Totenstarre und Flecken diskrepante, zu tiefe Rektaltemperatur - Kälteflecken: Pernionen, „Frostbeulen“: blau-rot, geschwollen (Knie, Ellbogen) - Schürfungen an Knien, Ellbogen durch Kriechen, Stürzen - hellrote Totenflecken exkl. Nagelbetten: kein Beweis für Unterkühlung (können auch postmortal entstehen!), aber Hinweis auf Kälte - innerlich (Obduktion): - Magenschleimhaut-Erosionen (kleine Geschwürsbildungen) - Blutungen in inneren Muskeln (Psoas und Ileopsoas), Pankreas - evtl. Ketone und Glucose im Urin nachweisbar 12.2 Hitzeeinwirkung • Hyperthermie: Hitzschlag (generell), Sonnenstich (cerebral), Ecstasy: oft fatal auf Rave-Parties: Kombination mit Wasserverlust • Verbrennung: Feuer, Hitzestrahlung • Verbrühung: Dampf, Flüssigkeit Todesursachen • Kohlenmonoxid- (=CO)-Vergiftung (entsteht bei Verbrennung von organischem Material): Hellrote Totenflecken (im Unterschied zu hellroten Totenflecken bei Kälte sind bei CO-Vergiftung auch Nagelbetten der Fingernägel rot) • Cyanid (=CN)-Vergiftung (bei Verbrennung von Kunststoff) • Sauerstoff -Entzug (nicht zu diagnostizieren) • „Hitzeschock“: plötzlicher Tod durch extreme Hitze • „Strangulation“, v.a. beim Kleiderbrand: Stauungsblutungen! • Spättodesfälle: Schock, Multiorganversagen, „Verbrennungskrankheit“: s. Klinik Brandleiche = Problemleiche 59 • Todesart? - Häufig Unfall (Zigarette im Bett etc.) - Möglichkeit der Spurenvernichtung nach Tötung („Mordbrand“) oder Suizid - Möglichkeit, durch Brandlegung jemanden umzubringen („Brandmord“) ⇒ Suche nach Vitalreaktionen: CO/CN-Einatmung, Russeinatmung, „Krähenfüsse“ (Aussparungen von Russanhaftungen in den Hautfalten um die Augen, die während des Brandes zusammengekniffen wurden) ⇒ Toxikologie (Rauchgase, Drogen, Gifte) • Todesursache? (s. oben) • Identität? (Zähne überstehen oft einen Brand – odontologischer Vergleich!) • Todeszeitschätzung praktisch unmöglich. 60 13. Elektrischer Strom, Blitz 13.1 Elektrischer Strom Niederspannung im Haushalt und Gewerbe: Wechselstrom (Frequenz von 50 Hz) mit Spannung von 220 (bis 1000 Volt möglich) Hochspannung (ab 1000 Volt) Blitz (Spannungen bis 10'000'000 Volt) Elektrophysiologische Grundlagen Massgeblich für Schädigung des Körpers ist v.a. die Stromstärke. Bei gegebener Spannung (= U) ist die Stromstärke (= I) direkt abhängig vom Widerstand (=R) des Körpers. Ohm’sches Gesetz: U = R x I → I = U/R Von Bedeutung sind ferner die Stromflusszeit (= Kontaktzeit), die Stromflussdichte, die Stromart (Gleichstrom z.B. bei Strassenbahn) oder Wechselstrom im Haushalt), die Stromfrequenz bei Wechselspannung sowie der Weg des Stromes durch den Körper (Stromfluss durchs Herz?, siehe unten). Besonders gefährlich ist der Stromfluss durch das Herz. Die beim Haushaltsstrom gebräuchliche Frequenz von 50-60 Hz übt eine erhebliche Reizwirkung auf Nerven aus. Wechselstrom ist gefährlicher als Gleichstrom. Damit ein Stromfluss durch den Körper stattfinden kann, muss der Hautwiderstand und der Übergangswiderstand (Widerstand zwischen Haut und Erdleiter) überwunden werden. Hoher Wider- stand bei trockener Haut mit Schwielen (40’000-100'000 Ohm), tiefer Widerstand bei dünner Haut (z.B. Achselhöhle). Durchfeuchtung der Haut kann den Widerstand um das 12-fache, Eintauchen ins Wasser um das 25-fache erniedrigen. Badesalzlösungen in der Badewanne erniedrigen einerseits den Wasserwiderstand, andererseits den Hautwiderstand durch Aufweichung der Haut. Beispiel: Eine Person, die mit Gummisohlen auf trockenem Linoleumboden steht, erleidet unter Umständen keinen Schaden, während sich in der gefüllten Badewanne und bei Fusskontakt mit dem Metallabfluss bei der gleichen Spannung eine tödliche Stromstärke aufbauen kann. Stromwirkung am menschlichen Körper a) Spezifische Wirkung 61 • Reizung des Nervensystems: Beginnend bei Stromstärke zwischen 1 bis 15 mA mit einem Kribbeln in den Fingern. • Kontraktionen der Muskulatur ab 15 mA Stromstärke: → Muskelkontraktion → „Kleben bleiben“ an Stromquelle = sog. Loslassgrenze → Vorsicht bei Rettungsversuch !! • Herz: Ab 50 mA Stromstärke: Gefahr des Herzkammer-Flimmerns (vulnerable Phase während der Repolarisationsphase. EKG: T-Zacke). Merke: Haushaltstrom mit Wechselspannung von 220 V und 50 Hz ist besonders gefährlich! b) Hitzewirkung Wärmemenge Q=R·I2·t Lokale Hitzewirkung an der Durchtrittstelle des Stromes auf der Haut = Strommarke: Bei kleiner Kontaktstelle. Grau-weissliche, flache Erhabenheit mit kraterförmig eingesunkenem Zentrum. Meistens an Händen und Füssen zu finden. Bei grosser Kontaktfläche und/oder feuchter Haut (z.B. Badewanne) Strommarke nicht obligat. Innere Organe ohne morphologisch fassbare Veränderungen. Merke: Ohne Strommarke ist die Diagnose „Stromtod“ oft nur mit technischen Abklärungen möglich! c) Besonderheiten bei Hochspannung (ab 1000 Volt) Bei hohen Spannungen und grosser Stromstärke (über 1 A) kann durch Verdampfung des Metalls im Leiter ein Funkenüberschlag mit Metallisation der Haut bereits vor der Berührung des Leiters entstehen, gefolgt von einem Flammenbogen mit hohen Temperaturen von mehreren 1000° C und entsprechenden Verbrennungen. Todesursache ist hier nicht das Herzversagen, sondern Verbrennungen oder Sturzverletzungen. Kriminalistische Aspekte Merke: Bei unverletzten Leichen im Haushalt immer an Strom denken! Kontaktstellen des Körpers mit erdenden Gegenständen (in der Wanne z.B. Wasserarmaturen) suchen. Trotz Sicherungen tödliche Fehlerströme über mehrere Minuten. 62 Fehlerstromschutzschalter (FI-Schalter) unterbrechen Fehlerströme ab 10 mA vor der Durchschlagszeit (längstens nach 0,2 sec). Bekleidung und Schuhwerk beachten (Schmelzspuren, Metallübertragung). 13.2 Blitz Ausgehend vom Auftreffpunkt (Erde oder Wasser) entsteht ein „Spannungstrichter“. Vom Zentrum nach aussen abnehmende Spannungsfelder. Überbrückung grösserer Ladungsdifferenzen führt zu grösserer Spannung. Stromfluss durch Körper deshalb abhängig von Schrittgrösse („Schrittspannung“) und Schrittrichtung (Schritte vom Einschlagzentrum weg oder zum EinSchlagszentrum zu führen zu grösserem Ladungsgefälle). Gleiche Verhältnisse auch bei unter Spannung stehendem Strommasten. Blitzschläge auf den Kopf sind meist tödlich durch zentrale Lähmung (Überwärmung) oder durch Kammerflimmern. Entlang der Strombahn auf der Körperoberfläche können auf der Haut verästelte Blitzfiguren, Versengungen der Körperhaare und Metallisationen durch auf dem Körper getragene Metallgegenstände (Ringe, Gürtelschnallen etc.) beobachtet werden. Mechanische Komponente: Durch die rasche Erhitzung und explosionsartige Verdrängung der Luft können erhebliche Verletzungen am Körper und Zerreissungen der Kleidung entstehen. 63 14. Identifikation von Toten Bei jedem Todesfall ist die Frage der Identifikation des Verstorbenen zu klären. WER ist es? • Ohne Identifikation fehlen Hinweise zur Biographie und damit oft auch zur Todesart. • Ohne Identifikation darf keine Todesbescheinigung ausgestellt werden. • Ohne Identifikation bangen die Angehörigen, dass ihr Verwandter noch leben könnte. • Ohne Identifikation gilt eine Person als verschollen. Dies hat erb- und versicherungstechnische Konsequenzen. • Sichere Identifikation bei Katastrophen ist auch aus ethisch-religiösen Gründen für die Angehörigen sehr wichtig. Mit dem Ausfüllen der Todesbescheinigung liefert der Arzt den „Beweis“, dass eine bestimmte Person verstorben ist. Bei den geringsten Zweifeln ist daher eine sichere Identifikation durch Polizei und evtl. Rechtsmedizin zwingend. Die nachfolgend aufgeführten Identifikationsverfahren sind zum Teil unsicher, aber gebräuchlich. Durch Kombination von mehreren unsicheren Verfahren kann die Identität erhärtet werden. 14.1 Identifikation durch Angehörige (Direktkonfrontation): unsicher • Bei „unschönen“ Leichen gibt es falsche Erkennungen, wenn die Angehörigen nicht richtig hinsehen. Sehr stark durch Fäulnis veränderte, zerstörte oder skelettierte Leichen können aus verständlichen Gründen auf diesem Wege gar nicht mehr identifiziert werden. • Selbst bei gut erhaltenen Leichen besteht die Gefahr, dass Angehörige ihre Verwandten nicht erkennen bzw. jemanden zu Unrecht sicher identifizieren (geschehen z.B. beim Sonnentempler-Sektendrama und beim Massaker von Luxor). • Man sollte die Angehörigen anlässlich der Direktkonfrontation nach besonderen Merkmalen des/der Verstorbenen fragen und diese danach gezielt suchen. • Das „Abschiednehmen“ von einer verstorbenen Person ist sehr wichtig und sollte den Angehörigen gegebenenfalls angeboten werden, auch wenn der Leichnam „unschön“ ist. 64 14.2 Identifikation durch Effekten: unsicher • Effekten = Kleider, Schmuck, Ausweispapiere etc. • Je stärker diese Effekten direkt mit dem Körper verbunden sind (z.B. Fingerringe), um so grösser ist ihr Wert für die Identifikation. • Nicht fest mit dem Körper verbundene Effekte (inkl. Ausweise in Taschen) ergeben mögliche Hinweise, die überprüft werden müssen. • Je undurchsichtiger oder krimineller das Milieu, um so weniger darf auf die Effekten abgestützt werden. • Vorsicht bei Namens-Einnähern in Kleidern: Kleider-Austausch ist in Anstalten möglich! 14.3 Identifikation durch Dactyloskopie (Fingerabdruck): sicher • Gutes und rasches Verfahren, wenn es sich um eine erfasste Person handelt. • Ist dies nicht der Fall, muss die Polizei Vergleichs-Fingerabdrücke am Wohnort des Vermissten, z.B. am Zahnglas, sichern. • Bei faulen oder mumifizierten Leichen müssen die Finger aufwändig „aufgearbeitet“ werden, um Fingerabdrücke zu nehmen. 14.4 Identifikation durch Zähne (odontologisch): sicher • Verlässlichste Methode, v. a. auch bei Katastrophen (z.B. „Tsunami-Katastrophe). Die Zähne sind sehr widerstandsfähig, auch gegen Hitze. • Bedingung: Gute und vollständige Unterlagen (Zahnstatus, Zahnröntgenbilder, evtl. Zahnmodelle etc.) vom behandelnden Zahnarzt. Nicht selten sind die Zahnstaten mit Fehlern behaftet! 14.5 Identifikation durch Körpermerkmale: unsicher • Es sind nur die wirklich individuellen Körpermerkmale heranzuziehen, z.B. Tätowierungen (Vorsicht bei Club-Tätowierungen!), ungewöhnliche Narben, Knochenbrüche von Unfällen etc. alles übrige (Augenfarbe etc.) ist unspezifisch und ergibt nur Hinweise. • Ärzte/Ärztinnen werden u.U. von der Polizei nach besonderen Merkmalen eines vermissten 65 Patienten gefragt. • Zu Lebzeiten angefertigte Röntgenbilder (v.a. Schädel) können sehr hilfreich sein (z.B. Morphologie der Stirnhöhlen). • Bei aufgefundenen Skeletten können rechtsmedizinisch das Geschlecht, das ungefähre Alter, die ungefähre Körpergrösse bestimmt und, oft nur in groben Zügen, die Liegezeit geschätzt werden. 14.6 Identifikation durch DNA („genetischer Fingerabdruck“): sicher • Absolut zweifelsfreies Verfahren. • Vergleichs-Blutproben oder Mundschleimhaut-Abstriche müssen von engen Blutsverwandten erbracht werden. • Vergleichs-DNA der V e r m i s s t e n : durch Sicherstellung von Haarbürsten, Zahnbürsten etc. in deren Wohnungen. • Gelingt auch bei stark fäulnisveränderten oder gar skelettierten Leichen bzw. bei aufgefundenen Leichenteilen (z.B. SR 111-Absturz bei Halifax, Einsturz World Trade Center in New York). Heute sollte bei jeder Katastrophe mit zahlreichen Toten sofort mit der Asservierung von Vergleichsproben bei den Blutsverwandten bzw. in den Wohnungen der Vermissten begonnen werden. 15. Klinische Rechtsmedizin 66 15.1. Körperverletzungen Was interessiert die Polizei / den Juristen bei einer Körperverletzung? 1. Fremd- oder Selbstverletzung? 2. Art der Verletzung? (stumpf, scharf, Schuss etc.) 3. Alter der Verletzung? 4. Hinweis auf Tatinstrument? (Wundform, Spuren) 5. Richtung der Einwirkung? (Schuss, Stich) 6. Kraft, „Wucht“ eines Stiches oder Schlages? 7. Schweregrad der Verletzung, „Gefährlichkeit“ Meldung und Beurteilung von Körperverletzungen A. Probleme, die auf ärztlicher Seite verursacht werden • Der Arzt befürchtet, in Schwierigkeiten mit der Schweigepflicht zu geraten, wenn er eine Körperverletzung der Polizei meldet bzw. auf deren Anfrage darüber Auskunft gibt. Grundsätzlich darf die Schweigepflicht gebrochen werden, wenn dies durch ein höheres „Rechtsgut“ gerechtfertigt ist. Davon ist insbesondere bei Gewalt gegen Personen auszugehen, die sich selbst nicht äußern können (insbesondere Kinder, alte Menschen) und bei denen die Gefahr weiterer Misshandlungen besteht. Hier wäre das höhere „Rechtsgut“ das Wohl der Betroffenen. • Es wird nicht oder zuwenig dokumentiert (Fotos, Zeichnungen, Messungen). Empfehlung: Digitalkamera in der Notfallstation oder in der Praxis, Nutzung von Körperschemata. • Der Arzt hat Schwierigkeiten mit der Beurteilung einer Verletzung. Empfehlung: Institut für Rechtsmedizin konsiliarisch beiziehen. • Es wird theoretisiert, statt der konkrete Fall beurteilt. Es steht nämlich nicht primär die Frage, was hätte passieren können, sondern die Frage, was tatsächlich passiert ist, im Vordergrund. • Es werden zu viele Fachausdrücke oder Abkürzungen verwendet, die der Jurist nicht versteht. B. Probleme, die auf juristischer Seite verursacht werden • Es werden missverständliche Fragen gestellt, z.B. nach der „Gefährlichkeit“ oder der „Schwere“ der Verletzung: eine juristisch „gefährliche“ oder „schwere“ Verletzung ist nicht immer auch eine medizinisch schwere Verletzung! (siehe §224 und §226 StGB) • Es werden juristische Fragen gestellt, die vom Mediziner nicht zu beantworten sind: (z.B. nach Vorhersehbarkeit oder „Tötungsabsicht“) • Es werden Fragen des Allgemeinwissens gestellt, die keinen med. Experten erfordern. 67 Beispiele für häufige Fragen des Juristen / der Polizei an den Arzt 1. Welche Verletzungen hat das Opfer erlitten? (genaue Beschreibung) 2. Wie sind diese Verletzungen entstanden? Ist eine Selbstbeibringung möglich? 3. Welche Folgen hatten diese Verletzungen? 4. Befand sich das Opfer zu irgend einem Zeitpunkt in unmittelbarer Lebensgefahr? Wenn ja, worin bestand diese und wie musste sie abgewendet werden? 5. Falls keine unmittelbare Lebensgefahr bestand: Wäre eine solche mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten gewesen, wenn keine ärztliche Versorgung stattgefunden hätte? 6. Kann im jetzigen Zeitpunkt etwas über bleibende Schäden ausgesagt werden? 7. Wie lange beträgt (evtl. voraussichtlich) die Arbeitsunfähigkeit? 8. Tiefe und Richtung von Stich- oder Schusskanälen? 9. Lage lebenswichtiger Strukturen (Organe, grosse Blutgefässe) in der Nähe von Verletzungen? 10. Haben krankhafte vorbestehende Veränderungen den Ablauf der Ereignisse beeinflusst? 11. Gibt es Hinweise auf Zustände nach der Verletzung, mit denen üblicherweise nicht gerechnet werden muss und die sich erschwerend auf den Verlauf oder die Heilung auswirkten? Spezialfall einer Körperverletzung: Überlebte Strangulation (Würgen oder Drosseln) Prinzip der Strangulation: siehe Kap. 10. Strangulieren wird in der Regel entweder ohne neurologische Schäden überlebt oder führt zum Tod (Alles- oder- Nichts- Gesetz). Überlebende Opfer weisen praktisch nie „schwere“ Schäden oder Verletzungen auf. In jedem Fall ist von einer Lebensgefahr im Tatzeitpunkt auszugehen, wenn das Opfer Stauungsblutungen (objektive Befunde) im Gesicht aufweist und bewusstlos war. Der Stellenwert von alleinigen Bewusstseinstrübungen bei der Tat (subjektive Symptome) ist umstritten. Wichtig: Ein gewürgtes oder gedrosseltes Opfer sollte so rasch als möglich von einem Rechtsmediziner oder rechtsmedizinisch geschulten Arzt untersucht werden. Dabei ist insbesondere zu achten auf: - Stauungsblutungen (Augenbindehäute nach Ektropionieren, Augenlider, Gesichtshaut, Kopfschleimhäute). Die Stauungsblutungen verschwinden i.d.R. nach 1-2 Tagen. - Halshaut-Befunde (Würgemale, Strangmarken, Hämatome) - Schwellung, Druckdolenz über Kehlkopf 68 - Schluckbeschwerden - Heiserkeit - Frage nach Bewusstseinstrübung, Bewusstlosigkeit bei der Tat (genau schildern lassen) - Frage nach Atembehinderung - Frage nach Stuhl- oder Urinabgang 15.2 Kindesmisshandlung Definition Kindesmisshandlung: Gewaltsame, psychische und/ oder physische Schädigung des Kindes durch Personen, Institutionen und gesellschaftliche Strukturen, die zu Traumatisierung, Entwicklungshemmungen, Verletzungen, Invalidität oder sogar zum Tod führen können. Misshandlungs-Formen: Psychische Misshandlung Vernachlässigung (körperlich, psychisch) Körperliche Misshandlungen Sexuelle Übergriffe Münchhausensyndrom by proxy a) Psychische Misshandlung: Kaum strafrechtlich verfolgt, da schwer fassbar! Oft aber kombiniert mit anderen Misshandlungsformen. b) Vernachlässigung: Wichtiges medizinisches Instrument zum Nachweis einer körperlichen Vernachlässigung ist die Perzentilenkurve (Gewicht und Grösse)! Das Kind kommt zum Beispiel in mangelernährtem Zustand in die Klinik und nimmt bei sachgemäßer Ernährung und Pflege rasch zu. Im pädiatrischen Status sollte der Pflegezustand des Kindes beschrieben werden (Körper, Haare, Kleidung etc). Zu beachten ist weiter der Zustand der Zähne. Massive Karies zum Beispiel kann ein Hinweis auf eine Vernachlässigung sein. Psychische Vernachlässigung führt häufig zu massiven Fehlentwicklungen! c) Körperliche Misshandlung Verdächtig auf Misshandlungen sind Verletzungen an Wangen, Ohren, Rücken, Gesäß, Rückseite der Beine. Unverdächtig sind Verletzungen über den Kniegelenkstreckseiten, an den Ellbogen und an der Vorderseite der Unterschenkel (kindliches Fallen!). 69 Bei Verbrennungen und Verbrühungen muss immer an eine mögliche Misshandlung gedacht werden: • Kann sich das Kind aufgrund der motorischen Fähigkeiten die Verletzungen selber zugefügt haben? • Hochgradig verdächtig auf eine Misshandlung sind socken- bzw. handschuhartige Verbrühungen Spezialfall: Schütteltrauma des Säuglings und Kleinkindes (shaken baby syndrome) Eine besondere Form der Kindesmisshandlung, die äusserlich oft keine Verletzungen verursacht. Hintergrund ist in der Regel ein angeblich nicht stillbares Schreien eines Säuglings bzw. eines Kleinkinds. Das Kind wird t y p i s c h e r w e i s e am Rumpf oder an den Oberarmen umfasst und meistens nur wenige Male (4-5 Schüttelbewegungen genügen) heftig vor- und zurückbewegt („geschüttelt“). Der grosse und schwere Kopf, der beim Säugling zusätzlich noch ungenügend durch Muskeln gehalten wird, erfährt dabei sehr hohe Winkelbeschleunigungen. Es resultiert ein Rotationstrauma des Kopfes mit Zerreissung von Brückenvenen und subduralen Blutungen und oft einer schweren diffusen Hirnschädigung, welche über eine Hirndrucksteigerung zum Tode führen kann. Praktisch beweisend für ein Schütteltrauma sind Netzhautblutungen. Selten finden sich Rippenfrakturen oder Hämatome an Rumpf oder Armen. Typisch ist beim reinen Schütteltrauma das Fehlen eines Kopfanpralles. Es gibt aber auch kombinierte Fälle mit Schütteln und stumpfer Gewalt gegen den Kopf. Etwa ein Viertel der geschüttelten Kinder versterben, von den Überlebenden zeigen rund 75% bleibende Schäden. Anmerkung zu Todesfällen in jungem Kindesalter: Jeder plötzliche und unerwartete Tod eines Säuglings und Kleinkindes ist ein ungewöhnlicher Todesfall und somit meldepflichtig. Oft handelt es sich um einen „plötzlichen Kindstod“ oder „sudden infant death syndrome“ (SIDS). Diese Diagnose ist aber eine Ausschlussdiagnose und kann nur nach einer vollständigen Obduktion mit Histologie, Toxikologie sowie ggf. Bakteriologie / Virologie gestellt werden. Hinter jedem 20. plötzlichen Todesfall eines Säuglings oder Kleinkindes steckt aber ein Tötungsdelikt!!! Risiken für die psychische und/oder körperliche Misshandlung a) Täterseite: Kontrollverlust, psychischer und physischer Überforderung oder Unwissen (z.B. Suchtkrankheiten, psychosoziale Probleme, sehr junge Eltern) B) Opferseite: anstrengende Kinder (Bsp. chronische Krankheiten, Behinderung, Nervosität, „Schreikinder“). 70 Merke: Kindesmisshandlung gibt es in allen sozialen Schichten Checkliste körperliche Misshandlung und Vernachlässigung • Anamnese, besonders Fragen nach dem Schlafverhalten, Erziehungsschwierigkeiten etc (Cave: keine polizeiliche Befragung!) • Abklärung früherer Hospitalisationen (Kontakt Hausarzt) • Gründliche Untersuchung des Kindes: Ernährungszustand, Sauberkeit, Verhalten, psychomotorische Entwicklung, Mundhöhle, Körperhaut. • Beschreiben, zeichnen und fotografieren von Verletzungen, Narben, beachte besonders die Lokalisation der Befunde und allfällige Symmetrien. • Erstellen von persönlichen Notizen • Interdisziplinäre Besprechung, z.B. nach rechtsmedizinischem Konsil • evtl. Meldung an Jugendamt • oder Anzeige bei der Polizei • Bei Nicht-Meldung übernimmt der Arzt eine Verantwortung betr. weiterer Misshandlungen. Daher immer zusammen mit Fachleuten entscheiden! • Bei Verdacht in kinderärztlichen Praxis: evtl. Einweisung in Klinik, zur weiteren Aufklärung • Cave: Familiengespräche, Verdunkelungsgefahr!! d) Sexuelle Übergriffe bei Kindern: Definition des sexuellen Übergriffes (Finkelhor, 1986; Kempe, 1978): Einbezug von Kindern oder Jugendlichen in sexuelle Handlungen zu einem Zeitpunkt ihrer Entwicklung, zu dem sie Inhalt und Bedeutung dieser Handlungen nicht vollumfänglich begreifen können, oder in sexuelle Handlungen, die soziale Tabus der Rollendefinitionen in den Familien verletzen. Formen des sexuellen Übergriffes: Exhibitionismus; Voyeurismus; Berührungen; Verlangen, masturbiert oder gestreichelt zu werden; anale, orale und/oder vaginale Penetration. Gemäss der Untersuchungen von Halperin DS, 1996 in Genf waren von 568 befragten Mädchen und 546 Knaben im Alter von 14 - 15 Jahren: - 10,9% der Knaben und 34% der Mädchen in ihrem bisherigen Leben mindestens 1mal sexuell missbraucht worden. - 3,9 % der Knaben und 20 % der Mädchen schwerer, das heisst mit körperlichem Kontakt, ausgebeutet worden. 30% dieser Mädchen 2-5 mal, 10% mehr als 6-mal! - Täterschaft: 80% Familienmitglied; 10% bekannte Person, 10% unbekannte Person. 71 Physische Folgen von sexuellen Übergriffen: - Verletzungen im genitalen, analen und/oder oralen Bereich, sowie evtl. an anderen Körperteilen; Biss-Saugverletzungen; Fremdkörper in der Harnröhre, Blase, Vagina oder im After. Die Verletzungen können sehr diskret sein oder sogar fehlen. V erletzungen heilen bei Kindern sehr rasch! - Übertragbare Geschlechtskrankheiten (Gonorrhö, Syphilis, HIV, Hepatitis u.a.) - Schwangerschaft Psychosomatische Folgen: Schlafstörungen, Essstörungen, Bauchschmerzen, Einnässen etc. Psychische Folgen: Depressionen, Suizidversuche, Suizid, sexualisiertes Verhalten u.a.. Massnahmen aus ärztlicher Sicht bei Verdacht auf sexuelle Übergriffe: Bei diagnostischen Problemen rechtsmedizinisches Konsil; ansonsten Kontaktaufnahme mit dem Jugendamt, ggf. Anzeige bei der Polizei Checkliste sexuelle Handlungen mit Kindern: • Sorgfältige Anamnese (cave suggestive Befragung!!), offene Fragen! • Immer komplette pädiatrische Untersuchung! (z.B. Biss-Saugverletzungen, Mundhöhle, psychischer Zustand). Alle Verletzungen dokumentieren und fotografieren! • Immer kindergynäkologische Untersuchung: durch oder mit Spezialisten! Fotografische (wenn möglich kolposkopische) Dokumentation. After nicht vergessen. Abstriche für spurenkundliche Analysen innerhalb 72h unbedingt vornehmen! Bei Teenagern an mögliche Schwangerschaft denken. • Mikrobiologische Untersuchungen auf STD = sexual transmitted diseases. • Asservierung möglicher Spurenträger (Unterwäsche, Windeln, Haare etc.) • Interdisziplinäre Besprechung • Kein Einbezug möglicher Täter! • Evtl. Gefährdungsmeldung an Jugendamt • oder Melden an Polizei • Bei Nicht-Meldung übernimmt der Arzt eine Verantwortung betr. weiterer Misshandlungen. Daher immer zusammen mit Fachleuten entscheiden! e) Münchhausensyndrom by proxy - Syndrom: Definition: Vortäuschen von Krankheiten an Kindern durch ihre Eltern (meistens Mütter) durch entsprechende Manipulationen oder Gabe von Medikamenten (Bsp.: Erzeugen von 72 Exsikkose durch Gabe von Diuretika oder Laxantien, Manipulation an Wunden zur erschwerten Heilung u.a.). Selten oder selten erkannt!? 15. 3 Sexualdelikte bei Erwachsenen Es empfiehlt sich, die Untersuchungen von Opfern sexueller Gewalt durch besonders geschultes Personal in dafür eingerichteten Institutionen durchführen zu lassen. Die Untersuchung sollte so rasch als möglich, jedenfalls innerhalb von 72 Stunden nach dem Ereignis erfolgen. Sie dient nicht nur der Dokumentation und Interpretation von beweiskräftigen Verletzungen (genital und am gesamten Körper) und der Sicherung von Spuren (Sperma, Speichel, Blut, Haare, Schmutz (z.B. Waldboden), sondern auch der Behandlung sexuell übertragbarer Krankheiten oder psychischer Beeinträchtigung und ggf. der Verhinderung einer unerwünschten Schwangerschaft. Durch freundlichen, sachlichen und respektvollen Umgang mit dem Opfer, angemessene Räumlichkeiten und die kompetente Untersuchung soll dem Opfer Geborgenheit vermittelt werden, um eine sekundäre Viktimisierung zu verhindern. Die Untersuchung sollte umfassen: • Einführung, Erhebung personenbezogener Daten • Anamnese • Untersuchung, Dokumentation und Sicherstellung von Beweismitteln • Evtl. Einleitung weiterer medizinischer und/oder psychologischer Massnahmen Allgemeine und Tatanamnese: Angaben zur Tat, Datum und Zeitpunkt, Zahl der Täter, evtl. Verletzungen der/des Täters, Sexuelle Handlungen, Ejakulation, wenn ja wo?, Speichelspuren? Kleidung gewechselt, Körperpflege nach der Tat, Slipeinlagen, Binde, Tampon, letzter freiwillige Kontakt, Alkohol- und/oder Drogenkonsum vor/ während/nach dem Ereignis? Gynäkologische Anamnese: Menses, Schwangerschaft, Medikamente, Krankheiten usw. Untersuchung und Sicherstellung von Beweismitteln: • Orale Abstriche und Inspektion des Orificium • Kleidung sicherstellen (Papiersäcke) • Spuren am Körper • Verklebte Haare sicherstellen (Haare auskämmen, Vergleichskopfhaare) • Hautabstriche • Fingernägel nach Abbrüchen untersuchen, ev. Fingernagelschmutz entnehmen. 73 Körperliche Untersuchung • Lokalisation und Beschreibung von Verletzungen • Zeichnen, fotografieren • Besonders auf Halsregion achten: Schmerzen, Heiserkeit, Punktblutungen? • Brüste immer genau inspizieren, ggf. Abstriche von allen Quadranten • Biss- und Saugverletzungen mit Massstab fotografieren, Abstriche! Gynäkologische Untersuchung • Verklebte Schamhaare sicherstellen • Abstriche vom äusseren Genitale • Inspektion des Genitale und des Anus (Toluidinblaufärbung vor Speculum!) und Spurenasservation • Intravaginale Spurensicherung und Untersuchung Richtige Asservierung von Spuren: • Steriles Material, Mundschutz • Feuchte Spuren trocken asservieren • Trockene Spuren mit sterilem NaCl befeuchtetem Tupfer abwischen • Nicht zu stark rubbeln • Trocken und geschützt aufbewahren Eine Analyse potentiell DNA-haltiger Spuren wird i.d.R. nur bei erfolgter Anzeige und nach Kostenübernahme des Auftraggebers (Polizei, Staatsanwaltschaft) durchgeführt. Dabei wird durch die Analyse von Sperma-, Speichel oder Blutspuren nach einem möglichen molekulargenetischen Täterprofil gesucht. Spermaspuren können in der Regel bis zu 72 Stunden nach der Tat gefunden werden. Bei vasektomierten Tätern kann evtl. das Prostataspezifisches Antigen (PSA) bis 48h nach der Tat aus den Asservaten nachgewiesen werden: Dies beweist ein Ejakulat, lässt aber nicht zwingend eine Typisierung zu. Diagnostik, Therapie und Beratung sollte den Schluss einer Untersuchung sein und folgendes beinhalten: • Blutproben für Serologien (HIV, Syphilis, Hepatitis), Toxikologie, Alkohol, • Analyse der genitalen Abstriche auf Chlamydien, Trichomonaden und Bakterien • Urinprobe zum Nachweis von Drogen oder Medikamenten, evtl. Urinstatus • Schwangerschaftstest, ev. Schwangerschaftsprophylaxe • Evtl. Einleitung von Krisenintervention und Beratung 74 15.4 „Häusliche Gewalt“ Gewalt in Ehe und Partnerschaft Im Zusammenhang mit der aktuellen deutschen Gesetzeslage (Gewaltschutzgesetz seit 2002) hat sich das öffentliche Interesse und die gesellschaftliche Wahrnehmung des Themas „häusliche Gewalt" verstärkt. Vielerorts haben sich Betreuungsnetzwerke erweitert oder es wurden spezifische Verbundsysteme zur Betreuung von Opfern häuslicher Gewalt aufgebaut. Neben den wichtigen Beratungsschwerpunkten auf der psychosozialen und juristischen Ebene ist es bedeutsam, die gesundheitlichen Versorgungsstrukturen in diese Netzwerke zu integrieren bzw. bestehende Kooperationen zu vertiefen. In Kenntnis der Erfahrung, dass Gewalt in vielfältiger Weise krank machen kann, sind die verschiedenen Kompetenzbereiche der Gesundheitsversorgung eine weitere Voraussetzung für eine optimierte Opferbetreuung. Die aktuellste Untersuchung für die Bundesrepublik Deutschland im Auftrag des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (download unter www.bmfsfj.de Titel der Studie: „Lebenssituation, Sicherheit und Gesundheit von Frauen in Deutschland. Eine repräsentative Untersuchung zu Gewalt gegen Frauen in Deutschland.“ Schriftenreihe des BMFSFJ 2004) basiert auf einer repräsentativen Gemeindestichprobe von mehr als 10 000 Frauen im Alter zwischen 16 und 85 Jahren in ganz Deutschland. Die Befragung zielte auf Gewalterfahrungen, Sicherheitsgefühl sowie psychosoziale und gesundheitliche Situation. Als Kernaussage dieser Erhebung ergab sich folgendes: - 40 % der Frauen geben an, körperliche oder sexuelle Gewalt oder beides erfahren zu haben. - 37 % der Frauen schilderten körperliche Übergriffe. - 20 % der Frauen berichteten über (körperliche und/oder sexuelle) Gewalt durch ihren Partner. - 58 % der Frauen hatten unterschiedliche Formen der sexuellen Belästigung erlebt. - 13 % der Frauen beschrieben sich als Opfer strafrechtlich relevanter sexueller Gewalt. - 42 % der Frauen berichteten über psychische Gewalt. - 55 % der Frauen, die körperliche Gewalt erlitten hatten, sowie 44 % der Frauen, die sexuelle Gewalt erlebt hatten, trugen körperliche Verletzungen davon; bei etwa einem Drittel der Fälle waren die Verletzungen so schwer, dass medizinische Hilfe in Anspruch genommen wurde. - Das Risiko, körperliche Verletzungen aus den Gewaltsituationen davonzutragen, war dann am höchsten, wenn es sich um Gewalt durch (Ex-) Partner handelte. - Alle erfassten Formen von Gewalt gingen in hohem Maße mit psychischen Folgebeschwerden einher. - Es fanden sich deutliche Hinweise auf erhöhte gesundheitliche Beeinträchtigungen sowie auf negative Einflüsse hinsichtlich des Suchtverhaltens der Frauen, die körperliche oder sexuelle Gewalt erlebt hatten. - Alle Formen von Gewalt gingen in hohem Maße mit negativen psychosozialen Folgen für die 75 Frauen einher. Es handelt sich also nicht um eine geringe Zahl von Personen, die mit dieser Problematik zum medizinischen Hilfesystem Kontakt suchen dürften. Neben diesem Fokus auf das weibliche Geschlecht ist darauf hinzuweisen, dass sowohl wissenschaftliche Untersuchungen (z.B. Jungnitz und Walter 2004) als auch die forensischmedizinische Erfahrung auch Männer als Gewaltopfer ausweist. Eine unterschiedliche Wahrnehmung von Gewalt und der „männlich“ geprägte Umgang mit einem Gewalterleben lassen von eine hohen Dunkelziffer bei männlichen Opfern von Gewalt durch einen Partner oder die Partnerin ausgehen. Die mit Gewalt verbundenen gesundheitlichen Störungen sind vielfältig und müssen sorgfältig, umfassend und sensibel diagnostiziert und behandelt werden. Neben der Fülle von chronifizierten, z.T. psychosomatischen Störungen ist aus dem Blickwinkel der Rechtsmedizin auf die vielfältigen akuten, körperlichen Schädigung durch Einwirken von Gewalt hinzuweisen. Selbstverständlich ist auch hier die Diagnostik und Therapie - insbesondere bei medizinischen Notfällen - die führende Handlungsmaxime. Der vertrauliche, durch die ärztliche Schweigepflicht geschützte Kontakt zwischen Arzt/Ärztin und Patient/Patientin bietet hierfür den geeigneten Rahmen. Ist die Patientin oder der Patient Opfer von Gewalt geworden, so sollten der Ärztin bzw. dem Arzt im Kontext mit der notwendigen Diagnostik und Therapie - aber auch folgende Besonderheiten bewusst sein: Insbesondere im Zusammenhang mit einem akuten Gewalterleben ist die sorgfältige, umfassende und aussagekräftige Dokumentation der Verletzungsbefunde von grosser Bedeutung, um die erlittene Gewalt gegebenenfalls aus gerichtsverwertbar belegen zu können. Hierbei sind nicht nur die therapeutisch relevanten, „zu versorgenden“ Verletzungen bedeutend, vielmehr stellen auch – und in vielen Fällen als einzige Befunde – therapeutisch nicht bedeutsame, als Bagatellverletzungen zu bewertende Verletzungen wichtige potenzielle Beweise für die erlittene Gewalt dar. Bei der Dokumentation ist darauf zu achten, dass die Verletzungen detailliert und für einen Dritten nachvollziehbar beschrieben werden, wenn möglich eine Schemazeichnung und/oder Fotos angefertigt werden. Die wesentlichen Inhalte einer solchen Befunddokumentation sind in der Abb. 1 zusammengestellt. Abb. 1: Kernaspekte des ärztlichen Attestes bei Gewaltopfern 76 Das ärztliche Attest • Basis-Info – W • Befund WER? • Untersucher/in • Patient/in – W WO? – W • Ort der Untersuchung – W • Datum & Uhrzeit der Untersuchung WIE? – W • genaue Beschreibung (Größe, Form, Farbe); Skizze, Fotos WAS? – W WAS? • Art des Befundes WANN? – W WO? • anatomisch-topografische Zuordnung • Angaben zum Geschehen – W WIE? • Beurteilung (zurückhaltend) 9 Eine ausführliche, aber kompakte Anleitung ist in der Kitteltaschenkarte „Med-Doc-Card ®" zusammengestellt (download über die Internetseite des Instituts für Rechtsmedizin, Stichwort Häusliche Gewalt; dort auch weitere Informationen und Literaturverweise). Die medizinisch-therapeutisch belanglosen Verletzungsbefunde, beispielsweise die Kratzer an der Halshaut, das kleine Hämatom an der Oberschenkelinnenseite, die flohstichartigen Hautunterblutungen in der Gesichtshaut, sind für die Einordnung von Geschehensabläufen insbesondere unter rechtlichen Aspekten - von hoher Wertigkeit, belegen sie doch im Zweifel die Angaben zur erlittenen Gewalt. Zusätzlich soll aus einer Dokumentation zu Verletzungsbefunden auch eine Beantwortung der Fragen möglich sein, wie sie von Seiten der Justiz zur Klärung von Geschehensabläufen und deren juristischen Wertigkeit notwendig sind, siehe Abbildung 2. Abb. 2: Wesentliche Fragen der Justiz an eine medizinische Befunddokumentation Fragen des Juristen V Wann ist die Verletzung entstanden V Wie ist die Verletzung entstanden VWerkzeug VArt der Gewalt VHergang V Wie gefährlich war die Verletzung 8 77 Diesen Fragen kann auf der Basis einer aussagekräftigen Dokumentation nachgegangen werden, auch wenn die Beantwortung im Einzelnen nicht immer in den Kompetenzbereich des Arztes oder der Ärztin fällt, der oder die den Befund erhoben hat. Eine wichtige Ergänzung zur Befunddokumentation stellt die Sicherung von Körperflüssigkeiten, Haaren und Abstrichpräparaten für eventuelle toxikologische und molekularbiologische Untersuchungen dar. Durch die toxikologische Analyse von Blut, Urin und/oder Haaren sind Aussagen möglich, ob die so untersuchte Person u.U. unter dem Einfluss psychotroper Substanzen stand, und dadurch eventuell in ihrer freien Willensentscheidung beeinträchtigt war. Zur Erörterung dieser Aspekte ist eine möglichst zeitnahe Sicherung dieser Proben notwendig, besonders bei Verdacht auf Beibringung von Gamma-Hydroxy-Buttersäure (GHB, Liquid-Ecstasy) ist von einer aussagekräftigen Nachweisbarkeit im Blut beispielsweise nur in einem knappen Zeitfenster von ca. 8 Stunden auszugehen. Die Gewinnung von Abstrichen aus Körperhöhlen oder Abrieben von Körperoberflächen dient der Untersuchung auf sogenannte Fremd-DNA, die u.U. einem tätlichen Übergriff zugeordnet werden kann. Dies ist insbesondere bei sexueller Gewalt von hoher Bedeutung. Um eine Spurenverschleppung oder Minimierung (bis hin zum Verlust) zu vermeiden, sind derartige Spurensicherungsmaßnahmen an den Beginn einer körperlichen, speziell einer gynäkologischen Untersuchung, zu stellen. Ungenaue oder gar falsche Interpretationen von Verletzungen ohne eine vorangestellte Beschreibung sind in Zweifelsfällen wenig dienlich. Daher wird von Seiten der Rechtsmedizin empfohlen, das Augenmerk auf die beschreibende Befunddokumentation zu legen und bei Problemen – oder besser bereits im Vorfeld - die Fachkompetenz eines Rechtsmediziners/einer Rechtsmedizinerin in Anspruch zu nehmen. Denn die spezifische Kompetenz für die Feststellung und Interpretation von Verletzungen am menschlichen Körper - gerade auch unter Beachtung der juristischen Fragestellungen - ist im medizinischen Fachgebiet der Rechtsmedizin angesiedelt. Von Seiten der Rechtsmedizin können folgende Angebote unterbreitet werden: spezifische Fachberatung und Fachinformation im Allgemeinen, die Beratung im konkreten Fall und auch eine unmittelbare rechtsmedizinische Untersuchung eines Opfers mit Anfertigung eines ärztlichen Attestes. Ein solches Angebot ist auch konkret am hiesigen Institut für Rechtsmedizin etabliert. Zum Abschluss der Ausführungen zum Themenbereich „Häusliche Gewalt“ sei darauf hingewiesen, dass die Feststellung derartiger Übergriffe nicht zur Anzeige gegenüber der Ermittlungsbehörde verpflichtet. Es gibt diesbezüglich keine Meldepflicht, im konkreten Einfall kann aber durchaus 78 Handlungsbedarf bestehen, dies setzt eine Rechtsgüterabwägung des behandelnden Arztes bzw. der Ärztin voraus. Im Gesundheitswesen Tätige müssen sich – wollen sie eine gute Patientenversorgung gewährleisten – auch der Thematik „Gewalt“ zuwenden. Ein angemessene Form der Ansprache und Nachfrage zu diesem Thema ist notwendig, um Betroffene rechtzeitig zu identifizieren und in angemessene Betreuung zu vermitteln. Dies wiederum setzt neben dem Wissen um Formen und Folgen von Gewalt die Kenntnisse über das jeweils regional verfügbare Hilfenetzwerk voraus. 16. DNA-Analyse, Spurenkunde, Abstammungsbegutachtung 79 Was ist DNA? Die Erbsubstanz DNA (Abkürzungszeichen für Desoxyribo-Nucleic-Acid = Desoxyribonukleinsäure, auch als DNS bezeichnet) ist der chemische Stoff, der unsere Erbinformationen enthält. Die DNA befindet sich als fadenförmiges, etwa 1.5 m langes Molekül im Kern jeder Zelle des menschlichen Körpers. Nur einige Prozent des langen DNA-Moleküls werden von Genen (Erbfaktoren) beansprucht. Der überwiegende Teil hat verschiedenste Aufgaben im Zusammenhang mit der Organisation der Gene und ihrer Vermehrung. Dieser Teil enthält auch stumme Abschnitte ohne offensichtliche biologische Funktion. Diese Abschnitte weisen eine grosse Vielgestaltigkeit (Polymorphismus) auf, so dass jedes Individuum, mit Ausnahme eineiiger Zwillinge, einen individuellen DNA-Aufbau besitzt. Aufbau des DNA-Moleküls Die DNA ist ein fadenförmiges Molekül in Form einer in ihrer Längsachse verdrehten Strickleiter (Doppelhelix), deren Sprossen aus jeweils zwei von vier Bauelementen bestehen. Diese vier Bauelemente (oder Basen) heissen A (Adenin), G (Guanin), C (Cytosin) und T (Thymin). Zur Bildung einer einzelnen Sprosse der Strickleiter verbindet sich stets A mit T, respektive G mit C zu sog. Basenpaaren. Gene oder codierende Regionen der DNA Gene oder codierende Regionen sind mit “Perlen” vergleichbar, die im Zellkern jeder Zelle auf einer “Schnur”, dem fadenförmigen DNA-Molekül, aufgefädelt sind und das Rezept zur Bildung eines bestimmten Eiweisses (Proteins) enthalten. Gene werden zum Zwecke der Identifikation nicht untersucht. Die DNA-Profilbestimmung beschränkt sich auf “stumme” Abschnitte ohne offensichtliche biologische Funktion (sog. nicht codierende Regionen). Gene Nicht codierende Regionen der DNA Die zwischen den Genen liegenden Abschnitte des fadenförmigen DNA-Moleküls, die “Schnur der Perlenkette", codieren nicht für die Bildung spezifischer Eiweisse und werden deshalb „nicht codierende Regionen“ genannt. Die Funktion dieser DNA-Abschnitte, die den grössten Teil der 80 DNA ausmachen, ist bis heute weitgehend unbekannt. Diese nicht codierenden Abschnitte der DNA werden in der naturwissenschaftlichen Kriminalistik für Identifikationszwecke verwendet. Nicht codierende Regionen Analyse der nicht codierende Regionen der DNA Anfang der 80er Jahre wurden in den nicht codierenden Regionen der DNA kurze, sich mehrfach wiederholende Abschnitte entdeckt, deren Analyse eine individuelle Zahlenkombination ergibt und deshalb hervorragend für Identifizierungszwecke geeignet ist. Diese Abschnitte bestehen aus sich wiederholenden Blöcken von je 4 Buchstaben, (sog. 4 Basepair-Repeats), z.B. der Buchstabenabfolge A T T C. .... GC ATTC ATTC ATTC ATTC ATTC ATTC ATTC ATTC GC... Da diese Blöcke kurz sind (4 Buchstaben), hintereinander angeordnet sind und sich wiederholen, werden sie als Short Tandem Repeats (STRs) bezeichnet. Im vorliegenden Beispiel sind 8 solcher Blöcke (STRs) vorhanden. Die Zahl der Blöcke variiert von Mensch zu Mensch zwischen etwa 1 – 30, d.h. manche Menschen besitzen von der Buchstabenfolge ATTC 8 Wiederholungen, andere nur 5, andere zum Beispiel 26. Bereits daraus ergibt sich eine Unterscheidungsmöglichkeit zwischen Personen. Da jeder Mensch die Hälfte seines Erbgutes vom Vater, die Hälfte von der Mutter geerbt hat, besitzt jeder Mensch in jedem Zellkern seines Körpers zwei Kopien der DNA (z.B. ein Chromosom Nr. 1 vom Vater und ein Chromosom Nr. 1 von der Mutter). Chromosom Nr. 1 vom Vater: .... GC ATTC ATTC ATTC ATTC ATTC ATTC ATTC ATTC GC... Merkmal 1 Chromosom Nr. 1 von der Mutter: .... GC ATTC ATTC ATTC ATTC ATTC ATTC ATTC ATTC ATTC ATTC ATTC ATTC GC... Merkmal 1 81 Daraus ergibt sich, dass eine bestimmte Person immer eine bestimmte Zahl von Blöcken von seinem Vater und eine bestimmte Zahl von Blöcken von seiner Mutter geerbt hat. Mittels molekularbiologischer Analyseverfahren kann die Zahl der Blöcke auf dem väterlichen und mütterlichen DNA-Molekül exakt bestimmt werden. Im vorliegenden Beispiel wäre die erhaltene Zahlenkombination, welche diese Person bezüglich des DNA-Merkmals ATTC aufweist, die Zahlenkombination 8-12. Würde nur ein einziges Merkmal (z.B. das Merkmal ATTC) untersucht, so wäre die Diskriminationsfähigkeit gering, d.h. es ist aus populationsgenetischen Untersuchungen bekannt, dass zahlreiche Personen die Zahlenkombination 8-12 aufweisen (in der Praxis ist diese Zahlenkombination bei etwa 10 % der Bevölkerung, d.h. bei jeder 10. Person zu erwarten). Im menschlichen Erbgut sind bis heute über 5000 solcher Short Tandem Repeats bekannt, wobei sich diese Abschnitte in der Abfolge der Buchstaben unterscheiden, z.B. ATTC, AGGA, ATGC, etc. Von diesen etwa 5000 bekannten Merkmalen fanden 50-100 Eingang in die naturwissenschaftliche Kriminalistik, aus denen sich wiederum in den letzten Jahren etwa 9-13 sog. "CORE LOCI" etabliert haben. An einem zweiten genetischen Merkmal, welches untersucht wird, z.B. jenem mit der Buchstabenabfolge AGGA besitzt die im Beispiel genannte Person den Typ 3-9 . Merkmal 1 (ATTC) Gen Typ 8-12 Merkmal 2 (AGGA) Gen Typ 3-9 Der Typ 3-9 kann z.B. in 5 % der Bevölkerung vorkommen. Jedes Einzelmerkmal für sich besitzt also nur eine beschränkte Aussagekraft. Eine Person, die jedoch am ersten DNA-Merkmal den Typ 8-12 und gleichzeitig am zweiten DNAMerkmal den Typ 3-9 besitzt, ist bereits viel seltener anzutreffen, nämlich 0.1 x 0.05 = 0.005 = 0.5 % (das heisst nur 1 Person in 200 Personen weist die Zahlenkombination 8-12 und 3-9 auf. Untersucht man nun ein drittes, viertes, fünftes, usw. bis dreizehntes DNA Merkmal, so multipli- zieren sich die auf jedes Merkmal bezogenen Einzelfrequenzen. Die erhaltene Zahlenkombination weist nur eine einzige Person in der Weltbevölkerung auf (Ausnahme eineiige Zwillinge). Da im gleichen Analysegang auch das Geschlecht bestimmt wird, ergibt sich die eine BuchstabenZahlenkombination. Diese ist individualspezifisch und wird als DNA-Profil bezeichnet. 82 Beispiel: XY-34-68-1012-33-46-89-1516-45-33-88-911-1212 Die aus dem nicht codierenden Bereich der DNA erhaltene individualspezifische BuchstabenZahlenkombination ist wertneutral. Erkennbar ist einzig das Geschlecht (XX bzw. XY). Die Zahlenkombination gestattet keinerlei Rückschlüsse auf genetische Erkrankungen, Krankheitsdispositionen oder Persönlichkeitsmerkmale. Diese Buchstaben-Zahlenkombination ist deshalb für Versicherer, Arbeitgeber, etc. von keinem Interesse. Zur Bestimmung der individualspezifischen Merkmale werden ausschliesslich analytische molekularbiologische Techniken verwendet. Gentechnologische Manipulationen im Sinne von Veränderungen des Erbgutes bzw. Untersuchungen und Analysen von Genen selbst finden dabei nicht statt. Seit 1985 wurden in drei technischen Generationen die Analysemethoden ständig verfeinert. Die "PCR"-Technik (Polymerase Chain Reaction) stellt derzeit die modernste Methode zur Bestimmungen der individualspezifischen Buchstaben-Zahlenkombination dar. Die PCR ist eine Technik der Probenaufbereitung, welche die gezielte Vervielfältigung jener Abschnitte des DNA-Moleküls ermöglicht, aus denen die Buchstaben-Zahlenkombination bestimmt wird. Mit Hilfe dieser Technik können selbst aus geringsten Spurenmengen die DNA-Merkmale in einem solchen Ausmass vervielfältigt werden, dass ein lesbares individualspezifisches DNA-Profil erstellt werden kann. Neben der im Zellkern vorhandenen Kern-DNA, aus der das "klassische" DNA-Profil erstellt wird, gibt es in der Zelle noch eine zweite Art von DNA, die sog. mitochondriale DNA (mtDNA). Diese liegt ebenfalls in jeder Zelle des menschlichen Körpers in kleinen Organellen, den sog. Mitochondrien ("Kraftwerke der Zelle") und in sehr grosser Anzahl, d.h. zwischen 50 -100 000 Kopien pro Zelle vor. Im wesentlichen bestehen in der forensischen Spurenkunde vier Einsatzgebiete für mitochondriale DNA-Analysen: 1) Analyse von stark zerstörten oder sehr alten Spuren, bei denen die Kern-DNA zerstört ist. 2) Analyse von sehr kleinen Spuren, bei denen zuwenig Kern-DNA vorhanden ist. 3) Analyse von Haarschäften (Haare ohne Haarwurzel, Haarschäfte enthalten keine Kern-DNA) 4) Bestimmung der Verwandtschaft zwischen Personen, da die mtDNA in der mütterlichen Linie vererbt wird (wurde z.B. bei der Identifizierung der Zarenfamilie angewendet). 83 DNA-Analyse zum Zwecke der Identifikation einer Person bzw. eines Spurenverursachers Die DNA-Analyse wird in der Forensik angewendet, um tote Personen zu identifizieren, um eine Person als Verursacher einer biologischen Spur zu identifizieren, aber auch, um eine Person mit nie zuvor gekannter Sicherheit als Spurenverursacher auszuschliessen. Von der Leiche bzw. von der biologischen Spur (Blut, Sperma, Speichel etc.) wird mit Hilfe molekularbiologischer Techniken aus der DNA eine individualspezifische Buchstaben-Zahlenkombination erstellt Beispiel: XY-34-68-1012-33-46-89-1516-45-33-88-911-1212 Im Umgang mit DNA-Analysen zum Zwecke der Identifikation werden verschiedene Begriffe synonym verwendet, wie DNA-Profil, DNA-Code, genetischer Fingerabdruck, DNA-Fingerabdruck, DNA-Typisierungsresultat, DNA-Muster oder DNA-Identifikationsmuster. Diese Buchstaben-Zahlenkombination, das "DNA-Profil", kann nun mit anderen DNA-Profilen verglichen werden. Im Falle der Tatortspur erfolgt ein Vergleich mit dem DNA-Profil, das aus Speichelabstrichen oder einer Blutprobe von tatverdächtigen Personen gewonnen wird. Eine Identifikation ergibt sich aus einer Übereinstimmung der Buchstaben-Zahlenkombination zum Beispiel zwischen einer Tatortspur und einer Person. Beispiel: Tatortspur: XY-34-68-1012-33-46-89-1516-45-33-88-911-1212 Person A: XY-34-68-1012-33-46-89-1516-45-33-88-911-1212 Person B: XX-34-77-1212-33-44-46-79-1212-33-66-99-78 Person A passt zur Tatortspur, Person B ist als Spurenverursacher ausgeschlossen. Die DNA-Datenbank beim Bundeskriminalamt Die Speicherung von DNA-Profilen erkennungsdienstlicher behandelter Personen, verurteilter Straftäter und Tatortspuren erfolgt in der BRD seit Beginn des Jahres 1999. Die zentrale DAD wird beim Bundeskriminalamt in Wiesbaden geführt. Gutachtenbefunde zu Straftaten werden über die Landeskriminalämter weitergemeldet. In Wiesbaden erfolgt ein Abgleich mit den bereits vorliegenden DNA-Daten. Das rechtliche Procedere bei DNA-Untersuchungen wird in der Strafprozessordnung geregelt (§81). Auf politischen Druck (Datenschutz) ist das Vorgehen ausgesprochen streng geregelt. Es besteht ein Anonymisierungsgebot, dem Sachverständigen wird keine vollständige Akteneinsicht gewährt. Im Laufe der letzten Jahre wurde die 84 Straftatbestandsgrenze allerdings immer weiter gesenkt, für reine Spurenuntersuchungen (ohne Tatverdächtige) ist kein richterlicher Beschluss mehr notwendig, endlich dürfen Geschlechtsbestimmungen auch auf DNA-Ebene durchgeführt werden. Letzteres wurde seitens des Datenschutzes zunächst untersagt, da man das Geschlecht unter die schützenswerten Persönlichkeitsmerkmale subsummierte. Wohl selten wurde so oft gegen ein Gebot verstoßen, enthielten doch praktisch alle im Handel erhältlichen Untersuchungskits das Amelogenin(Geschlechts-)System. Es wurde so automatisch mitbestimmt, durfte aber nicht weitergereicht werden. Mittlerweile werden standardmäßig acht Short-Tandem-Repeatsysteme für die Datenbank untersucht. Die biostatistische Häufigkeit bei vollständiger Systemerfassung liegt meist im Bereich von 1 in mehreren Billionen Menschen, so dass ein Treffer in der Datenbank praktisch die Ermittlung des Spurenlegers bedeutet. Am 30.06.05 waren in der DAD insgesamt 415.900 Datensätze gespeichert, davon 341.208 Personen und 74.692 Spuren. Die Trefferquote lag zu diesem Zeitpunkt bei insgesamt 30.196. Im Falle der Leichenidentifikation stammt das DNA-Vergleichsmaterial von den nächsten Blutsverwandten oder von biologischen Spuren, die am Wohnort des/der Vermissten gesichert werden (z.B. Haarbürste, Zahnbürste). DNA-Analysen zur Abstammungsbegutachtung (Feststellung der Vaterschaft) Abstammungsuntersuchungen werden heute ausschliesslich mit DNA-Analytik vorgenommen. Benötigtes Material: Mundschleimhautabstriche oder Blut von Kind, Mutter und fraglichem Vater. Vorgehen: Erstellung eines DNA-Profils von Kind, Mutter und fraglichem Vater. Vergleich der vererbten Merkmale zunächst zwischen Mutter und Kind, d.h. es wird festgestellt, welches Merkmal die Mutter dem Kind vererbt hat. Das andere Merkmal muss zwingend vom biologischen Vater stammen. Besitzt der untersuchte Mann diese Merkmale nicht, ist er mit Sicherheit als Vater des Kindes ausgeschlossen. Beispiel (Merkmal 1): Mutter: 9-12 Kind: 12-14 Die Mutter hat dem Kind das Merkmal 12 vererbt, das Merkmal 14 muss also vom wahren biolo- 85 gischen Vater des Kindes stammen. Fraglicher Vater 1: 8-17 (Ausschluss) Fraglicher Vater 2: 14-21 (Einschluss) Diese Untersuchung wird an insgesamt 9-13 Merkmalen durchgeführt. Besitzt der untersuchte Mann die erforderlichen Merkmale, kommt er als Vater des Kindes in Betracht. Es werden sodann statistische Berechnungen der Vaterschaftswahrscheinlichkeit angeschlossen. Die Vaterschaft gilt als erwiesen, wenn eine Vaterschaftswahrscheinlichkeit von über 99.8 % erzielt wird. Mit DNA-Analytik wird heute in der Mehrzahl der Fälle eine Vaterschaftswahrscheinlichkeit von über 99.99 % erzielt. Die Vaterschaft gilt dann als erwiesen. In Spezialfällen kann eine Abstammungsbegutachtung auch vorgenommen werden, wenn die Mutter verstorben ist, der Vater verstorben ist oder nur Verwandte (z.B. Bruder, Schwester) für die Untersuchung zur Verfügung stehen. Diese Untersuchungen sind allerdings aufwändiger und erfordern ausgedehnte statistische Berechnungen. Spurenkunde DNA-Profile können - abhängig von Menge und Erhaltungszustand des Materials - prinzipiell aus jedem biologischen Material erstellt werden, das kernhaltige Zellen enthält. Die wichtigsten Materialien sind Blut, Speichel, Sperma, Vaginalsekret, Urin, Stuhl, Nasensekret, Haare, Weichteile und Knochen. Für die Erstellung eines DNA-Profils einer Person zu Vergleichszwecken wird am häufigsten ein Mundschleimhaut-Abstrich oder Blut verwendet. 17. Fahreignung / Fahrfähigkeit 86 Fahreignung bedeutet, dass eine Person aufgrund ihrer psychischen und physischen Grundkonstellation grundsätzlich in der Lage sein sollte, ein Fahrzeug sicher zu führen. Die Fahreignung kann z.B. wegen einer Demenz (häufig, siehe unten), einer Suchterkrankung (z.B. Alkoholismus), einer psychischen Erkrankung, einer Anfallkrankheit, eines schlecht eingestellten Diabetes mellitus (Zuckerkrankheit) etc. beeinträchtigt oder aufgehoben sein. Fahrfähigkeit bedeutet, dass eine fahrgeeignete Person zu einem konkreten Zeitpunkt fähig ist oder war, ein Fahrzeug sicher zu führen. Die Fahrfähigkeit kann z.B. wegen Einfluss von Übermüdung, Alkohol, Drogen, Medikamenten oder bei einer akut aufgetretenen Krankheit nicht gegeben sein. 87 18. Forensische Toxikologie 18.1 Alkohol, Drogen und Medikamente im Straßenverkehr und bei Straftaten 18.1.1 Relevante Gesetze 18.1.1.1 Strafgesetzbuch (StGB) § 315c Gefährdung des Straßenverkehrs (1) Wer im Straßenverkehr 1. ein Fahrzeug führt, obwohl er a) infolge des Genusses alkoholischer Getränke oder anderer berauschender Mittel oder b) infolge geistiger oder körperlicher Mängel nicht in der Lage ist, das Fahrzeug sicher zu führen, oder 2. grob verkehrswidrig und rücksichtslos a) die Vorfahrt nicht beachtet, b) falsch überholt oder sonst bei Überholvorgängen falsch fährt, c) an Fußgängerüberwegen falsch fährt, d) an unübersichtlichen Stellen, an Straßenkreuzungen, Straßeneinmündungen oder Bahnübergängen zu schnell fährt, e) an unübersichtlichen Stellen nicht die rechte Seite der Fahrbahn einhält, f) auf Autobahnen oder Kraftfahrstraßen wendet, rückwärts oder entgegen der Fahrtrichtung fährt oder dies versucht oder g) haltende oder liegen gebliebene Fahrzeuge nicht auf ausreichende Entfernung kenntlich macht, obwohl das zur Sicherung des Verkehrs erforderlich ist, und dadurch Leib oder Leben eines anderen Menschen oder fremde Sachen von bedeutendem Wert gefährdet, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (2) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 1 ist der Versuch strafbar. (3) Wer in den Fällen des Absatzes 1 1. die Gefahr fahrlässig verursacht oder 2. fahrlässig handelt und die Gefahr fahrlässig verursacht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. § 316 Trunkenheit im Verkehr (1) Wer im Verkehr (§§ 315 bis 315d) ein Fahrzeug führt, obwohl er infolge des Genusses alkoholischer Getränke oder anderer berauschender Mittel nicht in der Lage ist, das Fahrzeug sicher zu führen, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft, wenn die Tat nicht in § 315a oder § 315c mit Strafe bedroht ist. (2) Nach Absatz 1 wird auch bestraft, wer die Tat fahrlässig begeht. § 323a Vollrausch (1) Wer sich vorsätzlich oder fahrlässig durch alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel in einen Rausch versetzt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft, wenn er in diesem Zustand eine rechtswidrige Tat 88 begeht und ihretwegen nicht bestraft werden kann, weil er infolge des Rausches schuldunfähig war oder weil dies nicht auszuschließen ist. (2) Die Strafe darf nicht schwerer sein als die Strafe, die für die im Rausch begangene Tat angedroht ist. (3) Die Tat wird nur auf Antrag, mit Ermächtigung oder auf Strafverlangen verfolgt, wenn die Rauschtat nur auf Antrag, mit Ermächtigung oder auf Strafverlangen verfolgt werden könnte. § 20 Schuldunfähigkeit wegen seelischer Störungen Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen Schwachsinns oder einer schweren anderen seelischen Abartigkeit unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln. § 21 Verminderte Schuldfähigkeit Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden. 18.1.1.2 Straßenverkehrsgesetz (StVG) § 24a 0,5 Promille-Grenze (1) Ordnungswidrig handelt, wer im Straßenverkehr ein Kraftfahrzeug führt, obwohl er 0,25 mg/l oder mehr Alkohol in der Atemluft oder 0,5 Promille oder mehr Alkohol im Blut oder eine Alkoholmenge im Körper hat, die zu einer solchen Atem- oder Blutalkoholkonzentration führt. (2) 1 Ordnungswidrig handelt, wer unter der Wirkung eines in der Anlage zu dieser Vorschrift genannten berauschenden Mittels im Straßenverkehr ein Kraftfahrzeug führt. 2 Eine solche Wirkung liegt vor, wenn eine in dieser Anlage genannte Substanz im Blut nachgewiesen wird. 3 Satz 1 gilt nicht, wenn die Substanz aus der bestimmungsgemäßen Einnahme eines für einen konkreten Krankheitsfall verschriebenen Arzneimittels herrührt. (3) Ordnungswidrig handelt auch, wer die Tat fahrlässig begeht. (4) Die Ordnungswidrigkeit kann mit einer Geldbuße bis zu eintausendfünfhundert Euro geahndet werden. (5) Das Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung im Einvernehmen mit dem Bundesministerium für Gesundheit und dem Bundesministerium der Justiz mit Zustimmung des Bundesrates die Liste der 89 berauschenden Mittel und Substanzen in der Anlage zu dieser Vorschrift zu ändern oder zu ergänzen, wenn dies nach wissenschaftlicher Erkenntnis im Hinblick auf die Sicherheit des Straßenverkehrs erforderlich ist. § 24c Alkoholverbot für Fahranfänger und Fahranfängerinnen (1) Ordnungswidrig handelt, wer in der Probezeit nach § 2a oder vor Vollendung des 21. Lebensjahres als Führer eines Kraftfahrzeugs im Straßenverkehr alkoholische Getränke zu sich nimmt oder die Fahrt antritt, obwohl er unter der Wirkung eines solchen Getränks steht. (2) Ordnungswidrig handelt auch, wer die Tat fahrlässig begeht. (3) Die Ordnungswidrigkeit kann mit einer Geldbuße geahndet werden. Anlage zu § 24a (2) StVG (Stand Juni 2007) Berauschende Mittel Substanzen Cannabis Tetrahydrocannabinol (THC) Heroin Morphin Morphin Morphin Cocain Cocain Cocain Benzoylecgonin Amfetamin Amfetamin Designer-Amfetamin Methylendioxyamfetamin (MDA) Designer-Amfetamin Methylendioxyethylamfetamin (MDE) Designer-Amfetamin Methylendioxymethamfetamin (MDMA) Metamfetamin Metamfetamin Merke: Gemäß Straßenverkehrsgesetz (Ordnungswidrigkeitsrecht) ist es somit verboten, ein Kraftfahrzeug zu führen, wenn man eine BAK von 0,5 ‰ oder mehr hat, eine Atemalkoholkonzentration (AAK) von 0,25 mg/l oder mehr aufweist oder unter der Wirkung eines der in der Anlage zu § 24 a (2) StVG aufgeführten berauschenden Mittels steht. 18.1.1.3 Strafprozessordnung (StPO) § 81a (1) 1 Eine körperliche Untersuchung des Beschuldigten darf zur Feststellung von Tatsachen angeordnet werden, die für das Verfahren von Bedeutung sind. 90 2 Zu diesem Zweck sind Entnahmen von Blutproben und andere körperliche Eingriffe, die von einem Arzt nach den Regeln der ärztlichen Kunst zu Untersuchungszwecken vorgenommen werden, ohne Einwilligung des Beschuldigten zulässig, wenn kein Nachteil für seine Gesundheit zu befürchten ist. (2) Die Anordnung steht dem Richter, bei Gefährdung des Untersuchungserfolges durch Verzögerung auch der Staatsanwaltschaft und ihren Ermittlungspersonen (§ 152 des Gerichtsverfassungsgesetzes) zu. (3) Dem Beschuldigten entnommene Blutproben oder sonstige Körperzellen dürfen nur für Zwecke des der Entnahme zugrundeliegenden oder eines anderen anhängigen Strafverfahrens verwendet werden; sie sind unverzüglich zu vernichten, sobald sie hierfür nicht mehr erforderlich sind. 18.1.2 Alkohol und Fahrsicherheit Eine starke Alkoholwirkung kann insbesondere in der Anflutungsphase auftreten, so dass es infolge - Leistungseinbuße - Verlängerung der Reaktionszeit - Erhöhung der Risikobereitschaft und Selbstüberschätzung (enthemmende Wirkung des Alkohols) zu Fahrfehlern kommt. Je höher die festgestellte Blutalkoholkonzentration ist, desto wahrscheinlicher ist es aus Sicht des Gerichtes, dass sogenannte alkoholtypische Fahrfehler auch tatsächlich auf die Alkoholwirkung zurückzuführen sind. 18.1.2.1 Absolute und relative Fahrunsicherheit (Fahruntüchtigkeit*) Sobald die BAK bei 1,10 ‰ (1 ‰ + 0,1 ‰ Sicherheitszuschlag) oder darüber liegt, ist eine Fahrsicherheit eines Kraftfahrzeugsfahrers nicht mehr gegeben. Ein Kraftfahrzeugführer, der eine Blutalkoholkonzentration zum Zeitpunkt der Fahrt oder zum Zeitpunkt der Blutentnahme (bei zum Zeitpunkt der Fahrt noch nicht abgeschlossener Resorption) eine BAK von 1,10 ‰ oder mehr aufweist, wird gem. § 316 StGB bestraft (absolute Fahrunsicherheit). Liegt die Blutalkoholkonzentration bei 0,3 ‰ und mehr, aber unter 1,10 ‰, so kann der Kraftfahrzeugführer gem. § 316 nur bestraft werden, wenn durch den Nachweis von Ausfallerscheinungen das Vorliegen einer alkoholbedingten Fahrunsicherheit für das Gericht als bewiesen gilt (relative Fahrunsicherheit). Entsprechendes gilt für Fahrradfahrer ab einer BAK von 1,50 ‰ plus Sicherheitszuschlag von 0,1 ‰ (bisherige Bundesgerichtshof (BGH)-Rechtsprechung geht noch von 0,2 ‰ aus), d.h. ab 1,60 ‰. 91 *Die Begriffe Fahruntüchtigkeit oder Fahrunsicherheit finden sich unmittelbar weder im § 316 StGB noch in § 315c Abs 1 Nr. 1 StGB. Beide Begriffe bezeichnen das in beiden Straftatbeständen enthaltene Tatbestandsmerkmal „nicht in der Lage zu sein, das Fahrzeug sicher zu führen“. Nach dem Wortlaut des Gesetzes ist das Tatbestandsmerkmal nicht erst erfüllt, wenn der Täter überhaupt außerstande ist, ein Fahrzeug zu führen (Fahruntüchtigkeit), sondern schon dann, wenn er nicht mehr in der Lage ist, es sicher zu führen (P. Hentschel, 2007) 18.1.2.2 Kinetik des Alkohols Resorption (Aufnahme aus dem Magen-Darmtrakt ins Blut) Die Absorptionsrate des Alkohols hängt maßgeblich vom Konzentrationsgefälle (Alkoholkonzentration im Gastrointestinaltrakt versus Gefäßraum), Größe und Hydrophilie der Gefäßoberfläche, der Kontaktzeit und der Durchblutung ab. Die Resorption erfolgt zu 10 bis 20 % im Magen (Resorptionsfläche 0,1 bis 0,2 m2), hauptsächlich (80 bis 90 %) jedoch im Zwölffingerdarm und oberen Dünndarm (Resorptionsfläche ca. 100 m2). Im Rahmen der Begutachtung ist unter Berücksichtigung dieser Fakten die individuelle Resorptionszeit bzw. der Zeitpunkt des Beginns der Eliminationsphase und Beginn des quasi linearen Abfalls (stündliche Elimination pro kg Körpergewicht etwa 0,15 g Ethanol) nach Trinkende abzuschätzen. Die Resorptionsphase beträgt maximal 120 Minuten nach Trinkende. In der Schweiz wird grundsätzlich von einer minimalen Resorptionsphase von 20 Minuten ausgegangen, in Deutschland wird dagegen angenommen, dass die Resorption quasi mit Trinkende abgeschlossen sein kann, so dass auch bei fehlenden Trinkangaben, falls es günstiger für den Beschuldigten ist, bis zur Tatzeit zurück zu rechnen ist (siehe unten). Verteilung im Körper Der Alkohol verteilt sich im Körperwasser, nicht aber im Fett. Aufgrund der geschlechtsbedingten unterschiedlichen Fett- und Wassergehalte führt die gleiche Alkoholmenge bei gleichem Körpergewicht und normaler Konstitution beim Mann zu einem etwas tieferen Blutspiegel als bei der Frau. Der für die theoretische Blutalkoholberechnung (nach der Formel von Widmark) notwendige Verteilungs- oder Widmarkfaktors r beträgt bei Männern durchschnittlich 0,7 bis 0,8 bei Frauen 0,6 bis 0,7 (die Höhe des Verteilungsfaktors hängt von der Körperkonstitution ab). In der Regel wird in Deutschland bei der Berechnung der BAK bei Männern ein r von 0,7 und bei Frauen von 0,6 gewählt. Es gibt aber Formeln, mit deren Hilfe man den individuellen Verteilungsraum für Alkohol in Abhängigkeit von Geschlecht, Körpergewicht, Körpergröße und teilweise auch Lebensalter abschätzen kann. Abbau (Elimination) Die Eliminationsrate schwankt inter- und intraindividuell. Die minimale Eliminationsrate liegt bei 0,1 ‰ pro Stunde. Die maximale Eliminationsrate liegt in der Regel bei 0,2 ‰ pro Stunde; um mögliche Schwankungen der Elimination nach oben insbesondere während der Verteilungsphase 92 auszugleichen, hat sich in der Rechtsprechung durchgesetzt, mit einem zusätzlichen einmaligen Korrekturwert für die erste Stunde von 0,2 ‰ zu arbeiten. 18.1.2.3 Berechnung der Blutalkoholkonzentration (BAK) aufgrund von Angaben zu Trinkmenge und Trinkzeit Die Methode findet Anwendung, wenn keine Blutprobensicherstellung erfolgte; auch wird sie zur Berechnung eines sog. Nachtrunkes (Alkoholkonsum nach dem Ereignis) benötigt. Mit dieser Formel lässt sich aber auch die Ethanolmenge berechnen, die als Antidot z.B. bei einer Methanol-Vergiftung zu verabreichen ist. Formel von Widmark: BAK (‰) = Menge reiner Alkohol (g) ------------------------------------- – t x ß60 r x Körpergewicht (kg) r: Verteilungs- oder Widmarkfaktor (siehe oben) t: Zeit in Stunden seit Trinkbeginn ß60 : stündliche Elimination (minimal 0,1 ‰; siehe oben) 18.1.2.4 Rückrechnung Unter Rückrechnung versteht man die rechnerische Ermittlung der Blutalkoholkonzentration zum Zeitpunkt der Tat (der Tatzeitpunkt wird von der Polizei im Protokoll angegeben). Die Rückrechnung ist erst nach Abschluss der Resorptions- und Umverteilungsphase in der Eliminationsphase möglich. Man geht von einer linearen Elimination aus, wobei die minimale Abbaugeschwindigkeit bei 0,1 ‰ pro Stunde liegt. Als maximale Abbaugeschwindigkeit geht man von 0,2 ‰ pro Stunde plus einmaligem "Bonus" von 0,2 ‰ aus. Da im Einzelfall weder der minimale noch der maximale Abbau zwischen Tat und Blutentnahme auszuschließen ist, hängt es von der Art der Tat ab, ob für die Urteilsfindung die niedrigst mögliche Tatzeit-BAK oder höchst mögliche Tatzeit-BAK zugrunde gelegt wird. Bei Verkehrsstraftaten wird in der Regel von der niedrigst möglichen Tatzeit-BAK (wegen der bestehenden BAK-Grenzwerte, siehe oben), bei anderen Straftaten, bei denen sich das Gericht auch mit der Schuldfähigkeit eines/einer Angeklagten gemäß der §§ 20, 21 StGB (siehe oben) auseinandersetzen muss, von der höchst möglichen Tatzeit-BAK ausgegangen. Beispiel: Zwischen Tat und Blutentnahme liegen exakt 3 Stunden. Es wurde eine BAK von 0,98 ‰ gemessen. Frage 1: Welche BAK lag zur Tatzeit mindestens vor? 93 Es wird in diesem Fall nicht ausgeschlossen, dass die Resorptions- und Verteilungsphase bis 2 Stunden nach der Tat angedauert hat (maximale Resorptionszeit = 2 Stunden), so dass die Eliminationsphase erst 2 Stunden nach der Tat beginnt und nur 0,1 ‰ in der verbleibenden Stunde bis zur Blutentnahme abgebaut wurde: Tatzeit-BAK min = 0,98 ‰ + 1 x 0,1 ‰ = 1,08 ‰. Für ein Kraftfahrzeugführer würde dies bedeuten, dass ihm nicht nachgewiesen werden kann, dass er ein Kraftfahrzeug mit einer Blutalkoholkonzentration von 1,10 ‰ oder mehr (absolute Fahrunsicherheit) geführt hat. Er kann daher nur bei Vorliegen alkoholtypischer Ausfallerscheinungen (relative Fahrunsicherheit) nach dem Strafgesetzbuch verurteilt werden (vergl. §§ 315c und 316) . In jedem Fall liegt eine Ordnungswidrigkeit vor, da in seinem Blut eine Alkoholkonzentration von über 0,5 ‰ festgestellt wurde (vergl. § 24a (1) StVG). Frage 2: Welche BAK lag zur Tatzeit maximal vor? Bei der Berechnung der maximalen Tatzeit-BAK geht man davon aus, dass die Resorption schon zum Tatzeitpunkt abgeschlossen war, so dass während der 3 Stunden zwischen Tat und Blutentnahme der Alkohol abgebaut wurde und zwar mit der maximal möglichen Geschwindigkeit (incl. einmaligem Bonus von 0,2 ‰). Die maximale Tatzeit-BAK errechnet sich somit wie folgt: Tatzeit-BAK max = 0,98 ‰ + 3 x 0,2 ‰ + 0,2 ‰ = 1,78 ‰ Im Urteil würde stehen, dass nicht ausgeschlossen werden könne, dass zum Zeitpunkt der Tat (z.B. eine gefährliche Körperverletzung) der Täter eine BAK von 1,78 ‰ aufwies. Der/die Sachverständige muss sich somit damit auseinandersetzen, ob der Täter oder die Täterin, wenn er/sie eine BAK von 1,78 ‰ aufwies, derart beeinträchtigt war, dass ein AlkoholIntoxikationszustand vorlag, der eine krankhafte seelische Störung oder eine tiefgreifende Bewusstseinsstörung verursacht hat oder ob ein solcher Zustand nicht auszuschließen ist. Es ist zu prüfen, ob die Einsichtsfähigkeit oder das Steuerungsvermögen erheblich eingeschränkt oder möglicherweise sogar aufgehoben war (vergl. §§ 20,21, 323a StGB) 18.1.3 Probenentnahme und ärztliche Untersuchung Die Entnahme von Blutproben und körperliche Eingriffe für forensische Fragestellungen ist nach der Strafprozessordnung (vergl. § 81a StPO) geregelt. Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft sind Polizeibeamte. Diese ordnen, falls kein Richter erreichbar ist, selber die Blutentnahme an, da Rauschmittel innerhalb eines begrenzten Zeitraumes vollständig abgebaut sind, so dass der Untersuchungserfolg gefährdet wäre. 94 In Nordrhein Westfalen werden 2 Systeme aus Glas (wichtig für bestimmte Wirkstoffe! Warum?) für angeordnete Blutentnahmen verwendet: Für Alkohol (roter Stopfen ohne Zusätze) und für Drogen und andere berauschende Mittel (grauer Stopfen mit u.a. Fluoridzusatz, zur Hemmung des in vitro Abbaus von Cocain und anderen Stoffen sowie von Glucose). Andere im Krankenhausalltag verwendete Blutentnahmesysteme (insbesondere solche, die Plasmatrenner enthalten) sind in der Regel ungeeignet und sollten nach Möglichkeit nicht benutzt werden. Falls von der Polizei keine Blutentnahmesysteme zur Verfügung gestellt werden können, sollten Glasvenülen ohne Zusatz bzw. Entnahmesysteme für die Blutzuckerbestimmung (enthalten ebenfalls Fluorid als Stabilisator) verwendet werden. 18.1.3.1 Blutentnahme - Der ärztliche Untersuchungsbericht (siehe auch Blockpraktikum) muss sorgfältig und leserlich ausgefüllt werden. - Die Anwesenheit der Polizeibeamten bei der Entnahme und Befragung sollte wenn immer möglich zugelassen werden. Dies dient auch dem Schutz vor Handgreiflichkeiten, Bestechungsversuchen und späteren Anschuldigungen. - Immer zuerst die Blutentnahmen durchführen (sicherstellen, dass der Zeitpunkt der Entnahme – Datum und Uhrzeit – exakt festgehalten werden), dann den Untersuchungsbericht ausfüllen. - Keine alkoholischen Lösungen zur Desinfektion verwenden. - Sofort nach der Entnahme den amtlichen Kontrollzettel (Klebezettel, wird von der Polizei zur Verfügung gestellt) auf die Venüle aufkleben und sich versichern, dass Name und ggf. Entnahmezeit korrekt wiedergegeben wurden. - Bei Verdacht der Einnahme von Medikamenten, Beibringung von Stoffen (z.B. KO-Mitteln) sowie Aufnahme von z.B. LSD, Rauschpilzen, unbekannten Designerdrogen (sog. Exoten) immer auch versuchen – auf freiwilliger Basis – eine Urinprobe (kontrollierte Abgabe) zu gewinnen und zu asservieren. - Die Blutproben und ggf. die Urinprobe vor unrechtmäßigem Zugriff (z.B. Diebstahl) schützen. 18.1.3.2 Befragung gemäß Formular Hinweisen, dass Sie nicht der Schweigepflicht bezüglich der Befragung und der Untersuchung unterliegen. Der/die Betroffene (nicht Patient) ist nicht verpflichtet, Fragen zu beantworten oder aktiv Untersuchungen durchzuführen. Im Untersuchungsbefund wird festgehalten: - Körpergewicht (kg) und Körperlänge (cm) - Konstitution - bestehende Verletzungen 95 Bewertet werden: - Sprache - Bewusstsein - Erinnerung an den Vorfall und Orientierung - Denkablauf - Verhalten und Stimmung - Grad der Beeinträchtigung Geprüft werden: - Gang und plötzliche Kehrtwendung nach vorherigem Gehen - Finger-Finger- und Finger-Nasen-Prüfung: Bei der Finger-Finger-Probe führt der/die Betroffene mit geschlossenen Augen die Zeigefinger der zunächst ausgestreckten Arme etwa eine handbereit vor der Brust in einer durchlaufenden Bewegung zusammen. Bei der Finger-Nasen-Probe führt der/die Betroffene mit geschlossenen Augen den Zeigefinger des zunächst ausgestreckten Armes zügig zur Nasenspitze und zurück. Optimal ist, wenn Sie ansagen, welcher Zeigefinger zur Nase geführt wird (z.B. rechts-links-links-rechts). Es ist zu prüfen, ob der Test sicher oder unsicher durchgeführt wird. Wann der Test noch als sicher zu bewerten ist und wann eindeutig als unsicher, verlangt Erfahrung. - Nystagmusdauer (Drehnachnystagmus): Hierzu wird der/die Betroffene in 10 Sekunden mit offenen Augen 5 Mal um die eigene Achse gedreht und angehalten. Anschließend wird die Nystagmusdauer beim Fixieren des vorgehaltenen Zeigefingers oder eines Stiftes in Sekunden festgehalten; hierzu muss ein geeigneter Zeitmesser zur Verfügung stehen. - Pupillenreaktion auf Lichtreize (bei weiten Pupillen) bzw. auf Dunkelheit (bei stark verengten Pupillen). Es ist sinnvoll, festzuhalten, wie die Prüfung konkret durchgeführt wurde. 18.1.4 Andere berauschende Mittel Zu den sog. anderen berauschenden Mitteln im Sinne der §§ 315c, 316 StGB zählen Stoffe, die in ihrer Wirkung mit dem Alkohol vergleichbar sind und die ebenfalls u.a. zu Leistungseinbußen und zur Verlängerung der Reaktionszeit führen und auch eine euphorisierende, angstlösende und damit enthemmende Wirkung aufweisen oder aufweisen können. Grundsätzlich zählen alle Stoffe, die dem Betäubungsmittelgesetz unterstellt sind, zu den berauschenden Mitteln, ebenso zahlreiche Psychopharmaka, Hypnotika und Tranquilizer. 18.1.4.1 Der drogenbeeinflusste Verkehrsteilnehmer Die häufigsten bei im Straßenverkehr auffällig nachgewiesenen anderen berauschenden Mittel sind: Cannabisprodukte (z.B. Marihuana) Amphetamin und Amphetaminderivate (z.B. Ecstasy) Benzodiazepine (z.B. Diazepam oder Bromazepam) gewordenen Kraftfahrzeugführern 96 Cocain Heroin zentral wirkende Analgetika (z.B. Tramadol) Hypnotika (z.B. Zolpidem oder Zopiclon) Einen Grenzwert einer Wirkstoffkonzentration im Blut, ab dem ein Gericht von absoluter Fahrunsicherheit ausgeht, gibt es für andere berauschende Mittel nicht. Das Gericht muss die Fahrunsicherheit im einzelnen insbesondere durch Zeugenbeweis nachweisen (wie bei relativer Fahrunsicherheit nach Alkoholgenuss). Allgemeines Problem: Der Mischkonsum Von fast allen Drogenkonsumenten werden Tabakwaren und Alkohol sowie in der Regel auch Cannabis zusätzlich konsumiert. Schlaf- und Beruhigungsmittel werden regelmäßig von Heroin-, Cocain- und Amphetamin-Konsumenten eingenommen, entweder zur Verstärkung der Wirkung (bei Heroin) oder um die stimulierende, erregende Wirkung von Cocain und Amphetamin zu dämpfen. 18.1.4.2 Der Cannabis-Konsument Es wird nur Cannabis evtl. kombiniert mit Alkohol konsumiert. Andere Drogen, vorrangig Amphetamine, werden manchmal probiert. Anfangs wird der Joint, später, insbesondere bei einer Abhängigkeit, die Pfeife bevorzugt. Es sind drei Phasen der Wirkung zu unterscheiden: - die akute Phase; kurz nach Konsum (Dauer ca. 1 bis 2 Stunden, wenn sehr viel konsumiert wurde auch länger): Gang kann schleppend sein, Worte kommen schwer über die Zunge, insgesamt verlangsamt, begriffsstutzig, Augen gerötet, glasiger Blick, Pupillen weit und lichtträge. - Typische Fahrauffälligkeiten: grundloser Wechsel der Geschwindigkeit, niedrige Geschwindigkeit; Schwierigkeiten die Spur zu halten mit anschließender Lenkkorrektur; leichte Ablenkbarkeit und Konzentrationsschwächen, hierdurch keine adäquate Reaktion auf unerwartete Ereignisse; Vorfahrtsmissachtung bzw. "Übersehen" von roten Ampeln oder Fußgängern, die die Straße überqueren; keine sofortige Reaktion auf Anhaltezeichen der Polizei. - die subakute Phase; schließt sich unmittelbar an die akute Phase an bzw. liegt vor, wenn nur eine geringe Cannabismenge konsumiert wurde (Dauer ca. 4 bis 6 Stunden, evtl. auch länger): Die Trägheit der akuten Phase ist vorbei. Es besteht eher eine ausgelassene, unbekümmerte Grundstimmung (Euphorie, Wohlbefinden). Die Kritikfähigkeit ist herabgesetzt, das eigene Leistungsvermögen und die eigenen Fähigkeiten werden überschätzt, Augen gerötet bis normal, Pupillen geweitet oder normal. 97 - Typische Fahrauffälligkeiten: riskante Fahrweise mit überhöhter Geschwindigkeit; nach einem Unfall ist die Flucht nicht selten; weiterhin leichte Ablenkbarkeit und Konzentrationsschwächen, hierdurch keine adäquate Reaktion auf unerwartete Ereignisse; Vorfahrtsmissachtung bzw. "Übersehen" von roten Ampeln. - die postakute Phase; dauert offenkundig 12 bis 24 Stunden an bis dass der Cannabiskonsument wieder das Gefühl hat, völlig "klar im Kopf" zu sein. Nach regelmäßigem chronischen Konsum ist diese Zeit sehr viel länger. Es kommt zu Konzentrationsschwächen, leichter Ablenkbarkeit, Träumen. Auffälliges Verhalten wird man bei einer Verkehrskontrolle vermutlich nicht feststellen können. - Typische Fahrauffälligkeiten: sind nicht bekannt. Es kann angenommen werden, dass es zu Fahrfehlern aufgrund der mangelnden Konzentrationsfähigkeit kommt. Darüber hinaus kommt es nach Cannabiskonsum häufig zu einer Kreislauflabilität, mit Übelkeit, Schwindel, Kopfschmerzen, Zittern, kalter Schweiß und sogar Ohnmacht (aus dem Stand). Fahrer, die trotz dieser Nebenwirkungen ihr Fahrzeug führen, fallen durch eine insgesamt sehr unsichere und ungleichmäßige Fahrweise (z.B. häufiges scheinbar grundloses Anhalten, sehr langsame Geschwindigkeit usw.) auf, die sich direkt durch die vorgenannten Symptome erklären lässt. Weiterhin muss bei regelmäßigem Konsum mit dem Auftreten einer Cannabispsychose mit Wahnvorstellungen gerechnet werden. Die Personen sind verwirrt und desorientiert. 18.1.4.3 Der Heroin-Konsument Ein Heroinabhäniger ist an sich nie fahrtüchtig. Sowohl im akuten Rausch als auch in der Entzugsphase ist die Fahrtüchtigkeit nicht gegeben. Da in der Regel zusätzlich unkontrollierter Beikonsum von zentraldämpfenden Medikamenten (z.B. Valium® oder Rohypnol®) bzw. anderer Opiate/Opiode (Codein, Dihydrocodein, Methadon usw.) bzw. Alkohol stattfindet, ist auch zwischen den einzelnen Heroinapplikationen die Fahrtüchtigkeit durch die Wirkung der vorgenannten berauschenden Mittel nicht gegeben. Sehr gefährlich ist die sehr beliebte Kombination von Cocain und Heroin. Da die stimulierende Wirkung des Cocains schneller nachlässt, als die dämpfende Wirkung des Heroins (und der übrigen evtl. eingenommen Medikamente), kann es zu einer plötzlich eintretenden Bewusstseinstrübung kommen. Hat ein Fahrzeugführer diese Mischung konsumiert, sind schwerste Unfälle praktisch vorprogrammiert. Die Ausfallserscheinungen sind abhängig von dem Stadium der Heroinwirkung. In der akuten Phase steht die zentral dämpfende Wirkung im Vordergrund: insgesamt verlangsamt; schleppender, unsicherer Gang; undeutliche Sprache. Die Pupillen sind auch bei schlechten Lichtverhältnissen sehr stark verengt (Prüfung der Pupillen nicht bei starkem Lichteinfall!). Lässt die Wirkung des Heroins nach und treten die ersten Entzugserscheinungen auf, so stehen Nervosität, Unruhe, Zittern, Konzentrationsschwäche im Vordergrund. Auch sind die 98 Pupillen nicht mehr eng, sondern eher weit gestellt. Die Fahrweise ist abhängig vom aktuellen Zustand des Fahrers und der aktuellen Wirkung des Heroins und der sonstigen aufgenommenen berauschenden Mittel. Es kann die langsame, sehr unsichere Fahrweise mit Abkommen von der Fahrbahn bzw. -spur oder Auffahrunfällen im Vordergrund stehen (z.B. kurz nach Konsum, möglicherweise auch bei starken Entzugssymptomen); es kann auch eine enthemmte, aggressive Fahrweise, mit Nötigung anderer Verkehrsteilnehmer, gefährliches Überholen, Missachtung von Vorfahrtsgeboten usw. vorliegen (dies wird nach vergleichsweise geringer Heroinaufnahme bzw. nach Abklingen der stark hypnotischen Wirkung beobachtet). 18.1.4.4 Der Konsument von Stimulantien (Cocain, Amphetamin) Nach dem Konsum von Stimulantien ist die Konzentrationsfähigkeit gesteigert und werden Müdigkeitserscheinungen unterdrückt. Man erkennt deshalb nicht ohne weiteres an der Fahrweise, dass jemand unter der akuten Wirkung dieser Stoffe steht. Bei einer Kontrolle könnten die weit gestellten Pupillen, die nicht erklärbare Unruhe bzw. das nervöse Verhalten und die Redseligkeit den Verdacht einer Einwirkung von Cocain oder Amphetamin aufkommen lassen. Wenn Fahrauffälligkeiten festgestellt werden, dann steht die enthemmt Fahrweise, mit unangepasster hoher Geschwindigkeit z.B. in Kurven, in Baustellenbereichen, bei schlechten Witterungsverhältnissen usw. im Vordergrund. Der beeinflusste Fahrer überschätzt das eigene Leistungsvermögen, aber auch das seines Fahrzeuges. Viel häufiger fällt diese Konsumentengruppe in der Phase der abklingenden Cocain- oder Amphetaminwirkung auf, insbesondere wenn, was häufig vorkommt, über viele Stunden oder Tage höhere Dosen aufgenommen wurden. In der dann eintretenden Entzugsphase kommt es aufgrund des körperlichen Erschöpfungszustandes zu einem pathologischen Schlafbedürfnis und zu depressiven Verstimmungszuständen; auch beobachtet man nicht selten Orientierungsstörungen und Verwirrtheit. Es kann selbst zu Psychosen oder psychoseähnlichen Zuständen, mit Wahnvorstellungen, insbesondere mit dem Gefühl ständig beobachtet zu werden, kommen. Diese deutlichen Auffälligkeiten werden bei einer Kontrolle des Konsumenten leicht erkannt. Zu auffälliger Fahrweise kommt es durch die starke Müdigkeit (langsame bzw. wechselnde Fahrgeschwindigkeiten, Schwierigkeiten beim Spurhalten usw.) und durch die Orientierungsstörungen (nicht mehr wissen, wo man ist und wie man ans Ziel kommt; erhebliche Unsicherheiten in Kreuzungsbereichen; evtl. Anhalten des Fahrzeugs mitten auf der Fahrbahn usw.). 99 18.2 Postmortale Toxikologie - Leichenerscheinungen bei Vergiftungen 18.2.1 Allgemeines Es ist bei einem Leichenfall zu unterscheiden, ob ein Stoff akut den Tod herbeigeführt hat oder ob ein Stoff eine Person in einen hilflosen Zustand versetzt hat und diese dann auf einem anderen Weg (z.B. Ertrinken) zu Tode kam. Ob es sich bei der Substanz um ein Gift handelt und ob wir aufgrund der erzielten Wirkung von einer Vergiftung sprechen dürften, bedarf der Einzelfallentscheidung. Die Gabe eines paracetamolhaltigen Zäpfchens an ein fieberndes Kind durch die Eltern ist keine Giftbeibringung. Dennoch handelt es sich bei Paracetamol – nach entsprechender Dosierung – um einen akut hochtoxischen Stoff, der zu Leberschädigung und zum Tode führen kann. Die akute Wirkung sogenannter Gifte führt zu Funktionsstörungen bzw. Funktionsausfällen von Zielorganen. Betroffen sind insbesondere das zentrale Nervensystem und das Kreislaufsystem. In der Regel ist es nicht möglich, zu unterscheiden, ob die Funktionsstörungen Folge exogen zugefügter Substanzen (Gifte) sind oder ob sie auf sogenannte natürliche Vorgänge zurückzuführen sind. Eine tödliche Vergiftung ist von daher in der Mehrzahl der Fälle weder durch die äußere noch durch die innere Besichtigung der Leiche nachweisbar. Dies gilt insbesondere bei kriminellen Giftbeibringungen (Tötungen durch heimlich Giftbeibringung oder Giftmorde), bei denen das Opfer während der eigentlichen Tat selber nicht merkt, dass es Giftstoffe aufnimmt; Abwehrreaktionen fehlen bei tödlichen Giftbeibringungen fast immer. Die Giftaufnahme kann: - über die Atemwege (Beispiel: Kohlenmonoxid, Lösemittel wie Chloroform), - auf oralem Wege (z.B. Arsenik), - auf intramuskulärem Wege (z.B. Insulin) oder - auf intravenösem Wege (z.B. Heroin) erfolgen. Auch ist an eine mögliche Aufnahme über die Haut oder die Schleimhäute (z.B. vaginal) zu denken. 18.2.2 Untersuchung der Leiche am Leichenfundort und Leichenschau Es ist zu beachten, dass der Leichenfundort nicht der Ort des Todeseintritts und der Aufnahme von Giftstoffen sein muss. Dennoch sollte in der Umgebung der Leiche nach verdächtigen Substanzen gesucht werden. Bei Suiziden durch bewusste Einnahme einer Überdosis an Arzneimitteln, Pestiziden oder anderer Stoffe sowie bei Unglücksfällen (z.B. unbeabsichtigte Überdosierung von Heroin) kann man am Leichenfundort erste konkrete Hinweise auf ein Intoxikationsgeschehen erhalten. Verdächtiger oder auffälliger Geruch an der Leiche oder am Leichenfundort kann man z.B. nach Einnahme organophosphathaltiger Insektizide (z.B. Parathion als E605, ein CholinesteraseHemmer. Wie wirkt Parathion?) oder Kaliumcyanid (nicht jeder kann die durch Säureeinwirkung auf Kaliumcyanid freigesetzte Blausäure riechen!) erwarten. 100 Bei absichtlichen Tötungen durch Gifte, aber auch bei Suiziden nach Anleitung wird man am Leichenfundort zunächst nichts Auffälliges feststellen. Totenflecke Hellrote Totenflecke können nach tödlicher Intoxikation mit Kohlenmonoxid oder Cyanid beobachtet werden (warum?); schmutzig gräulich sind die Totenflecken nach dem akuten Tod nach der Einnahme von Methämoglobinbildnern (z.B. aromatische Armine, Nitrit usw.). Injektionsstellen Findet man an der Leiche Injektionsstellen, so besteht der dringende Verdacht, dass Fremdstoffe selbst oder durch Dritte zugeführt wurden. In diesen Fällen muss immer an eine Intoxikation gedacht werden. Cave: Injektion können aber auch von - letztlich erfolglosen Reanimationsversuchen herrühren. Überprüfung der Pupillen Zumindest bei Lebenden ist die Miosis oder die Mydriasis ein wichtiges Indiz für eine mögliche Einwirkung von z.B. organophosphathaltigen Insektiziden oder Heroin (Miosis) oder Atropin oder Cocain (Mydriasis). Durch postmortale Reaktionen (Autolyse) und der bei Todeseintritt nicht mehr auslösbaren Reaktion auf Lichtreize liefert dieses Diagnostikum für die postmortale Toxikologie nicht nur wegen seiner geringen Spezifität kaum brauchbare Ergebnisse. Temperatur Eine starke Temperaturerhöhung (maligne Hyperthermie) kann Begleiterscheinung einer tödlich verlaufenden Intoxikation (z.B. durch synthetische Drogen) sein. Verätzungen und Haarverlust Stark ätzende Stoffe wie z.B. Säuren (z.B. Schwefelsäure aus Autobatterien) hinterlassen am Körper Spuren. Äußerlich erkennbare Verätzungen können daher Indiz für eine Giftbeibringung sein. In diesen Fällen kann auch erwartet werden, dass die Speiseröhre und der Magen makroskopisch Verätzungszeichen aufweist. Der Verlust der Körperhaare insbesondere des Kopfhaars kann Hinweis auf eine einige Tage zurückliegende Einnahme von z.B. thalliumhaltigem Rattengift (in Deutschland nicht mehr im Handel), aber auch von Chemotherapeutika sein. 18.2.3 Leichenöffnung bei Verdacht einer tödlichen Vergiftung Sofern nicht im Magendarmtrakt Fremdsubtanzen oder Zeichen von Verätzungen festgestellt werden, wird man durch die Leichenöffnung in der Regel keine neuen oder konkrete Erkenntnisse über eine Intoxikation als Todesursache erhalten. Die Befunde wie z.B. das Hirnund Lungenödem nach Hypnotikaintoxikation sind unspezifisch. Die Sektion dient im Wesentlichen zur Asservierung der notwendigen Organproben für die nachfolgenden analytischtoxikologischen Untersuchungen. Folgende Asservate sind sicherzustellen (warum?): - Mageninhalt - Blut aus dem Herzen und der Schenkelvene (warum beide Entnahmeorte?) - Urin (soweit vorhanden) 101 - Leber - Gehirn Darüber hinaus sind zum Nachweis spezieller Vergiftungsfälle noch aliquote Mengen folgender Gewebe sicherzustellen: - Myokard (z.B. bei einer möglichen Digoxin-Intoxikation) - Skelettmuskulatur (u.a. zur Alkoholbestimmung an der faulenden Leiche) - Lunge (bei bestimmten Fragestellungen u.a. nach Hypnotikavergiftung) - Glaskörperflüssigkeit (z.B. bei einer Zuckerstoffwechselentgleisung - Glucose-Intoxikation) - Niere (falls kein Urin vorhanden und bei direkter oder indirekter Oxalsäurevergiftung) - Darminhalt (u.a. zum mikroskopischen Nachweis von Giftpflanzenresten) - Galle (reichert basische Stoffe an) - Haare (zum Nachweis einer zurückliegenden Giftaufnahme und des Konsumverhaltens) - Gewebe vom Injektionsort (bei Verdacht einer intramuskulären Injektion z.B. von Insulin) - Serum, welches unmittelbar nach dem Tod gewonnen wird (z.B. bei Verdacht einer Tötung durch i.v. Injektion Kalium) 18.2.4 Bewertung der an Leichengewebe erhobenen toxikologischen Befunde Der qualitative Nachweis eines Stoffes reicht nicht aus, um eine Intoxikation als Todesursache nachzuweisen. Der qualitative und quantitative Befund ist hingegen geeignet, die Todesursache festzustellen, wenn u.a. folgendes bei der Bewertung / Begutachtung mitberücksichtigt wird: - Es liegt keine andere zu Lebzeiten herbeigeführte, mit dem Leben nicht mehr vereinbare Verletzung vor. - Postmortale Konzentrationsverschiebungen (Umverteilung von Stoffen) wurden berücksichtigt. - Die am Wirkort festgestellte Konzentration eines Stoffes ist grundsätzlich geeignet, zu einer lebensbedrohlichen Vergiftung zu führen. - Die postmortale Bildung von Stoffen (z.B. Ethanol durch Fäulnisbakterien) oder der Abbau von Stoffen in der Leiche wurden berücksichtigt. - Die mögliche Toleranz/Intoleranz gegenüber Stoffen wurde berücksichtigt (Beispiel: Heroinabhängiger, Langzeitbehandlung mit Schmerzmitteln oder Psychopharmaka, genetische Unterschiede). - Der Aufnahmeweg wurde berücksichtigt (z.B. schnelle intravenöse Injektion von Kaliumchlorid). - Mögliche Interaktionen zwischen verschiedenen Stoffen wurden berücksichtigt (additive Wirkungsverstärkung mancher Stoffe; veränderter Metabolismus durch Blockierung abbauender Enzyme). 102 18.2.5 Der Prozess bei Verdacht einer Tötung mit Giftstoffen Soweit kein Geständnis des Angeklagten vorliegt, gestalten sich Prozesse wegen des Verdachtes einer Tötung durch Giftbeibringung immer langwierig, da u.a. folgende schwierige Beweisfragen von den Prozessbeteiligten gestellt werden: - Fremdbeibringung versus Selbstbeibringung - Tödliche Intoxikation versus natürlicher Tod bei Vorliegen einer Krankheit - Tötung versus indirekter Sterbehilfe - Absichtliche Gabe versus Unfall (Beispiel: ein Kind spielt mit den Tabletten der Oma) 18.3 Weitere Themen der Forensischen Toxikologie Es gibt zahlreiche weitere Themen, die zu den typischen Aufgaben der forensischen Toxikologie gezählt werden bzw. bei denen die forensisch-toxikologische Sachkunde gefragt wird. Diese werden in dem vorliegenden Manuskript nicht weiter behandelt, können aber Thema der forensisch-toxikologischen Seminare und Vorlesungen werden. Es empfiehlt sich daher, die Veranstaltungen zu besuchen und ggf. die Thematik in den entsprechenden Lehrbüchern nachzulesen. Typischen Themen sind z.B.: - Akute und chronische Vergiftungen beim Lebenden - Psychopathologische Effekte nach/als Folge von Intoxikationen ("Schuldfähigkeit") - Sucht, insbesondere Betäubungsmittel-Sucht - Münchhausen- und Münchhausen bei Proxy-Syndrom - Dotierung von Lebensmitteln oder anderen Gebrauchsgegenständen mit Giften im Rahmen von Erpressung und Terror - Dopingverdacht - Überprüfung von evtl. fehlerhaft hergestellten Arzneimittelzubereitung hinsichtlich ihrer Qualität - Qualität von Betäubungsmittel - Fahreignungsüberprüfung (Verwaltungsrecht) nach Suchtstoffkonsum - Begleitalkohole im Blut bei Nachtrunkbehauptung usw. 19. Der ärztliche Behandlungsfehler Der „ärztliche Behandlungsfehler“ ist historisch betracht ein „uraltes“ Thema. So finden sich dazu schon Ausführungen in den Gesetzbüchern des Königs Hammurabis (Babylon 1728 v. Chr. – 1686 v. Chr.), die als die älteste Gesetzessammlung der Welt gilt. Für den deutschen Sprachraum finden sich Erläuterungen in dem ersten Strafgesetzbuch von 1532 der Constitutio Criminalis Carolina. Dort wird der Behandlungsfehler wie folgt definiert:“ Wer durch Unfleiss und Unkunst und doch unfürsätzlich mit einer Arznei tötet“. Der Pathologe Rudolf Virchow (1821 – 103 1902) soll den ärztlichen Kunstfehler „als einen Mangel an gehöriger Aufmerksamkeit in medizinischen Dingen“ beschrieben haben. Aktuell ist die Verwendung des Begriffes Kunstfehler zwar in der Bevölkerung und Boulevardpresse noch weit verbreitet, in Fachkreisen findet der Begriff „ärztlicher Behandlungsfehler“ bzw. „medizinischer Behandlungsfehler Verwendung, wobei ersterer auf die behandelnden Ärzte/Ärztinnen fokusiert, letzterer alle medizinischen und pflegerischen Tätigkeiten mit einbezieht. Zur Häufigkeit und zu den verschiedenen Formen ärztlicher/medizinischer Behandlungsfehler liegen eine Vielzahl von Publikationen vor, wichtige Informationen für den ärztlichen Alltag finden sich u.a. in den regelmäßigen Publikationen der regionalen Gutachter- bzw. Schlichtungsstellen der Ärztekammern. Die faktische Zunahme von Untersuchungen unter der Fragestellung eines ärztlichen Behandlungsfehlers, sowohl bei den Institutionen der Ärztekammern als auch bei den Ermittlungsbehörden/Staatsanwaltschaften ist auf vielfältige Faktoren zurück zuführen. Neben der stetigen Weiterentwicklung der Medizin (einschließlich einer hohen Arbeitsauslastung im Gesundheitswesen), einer Veränderung der Patientenschaft (mehr ältere Menschen mit vielfältigen Erkrankungen in Kombination) sowie einer vermehrten „Absicherungs-/Defensiv-Medizin“, ist auch eine zunehmende kritische Haltung in der Reihe der Patienten und Angehörigen zu beobachten. Eine tatsächliche Zunahme von ärztlichen Behandlungsfehlern ist daraus aber nicht abzuleiten. Grundsätzlich kann ärztliches Verhalten unter folgenden Stichworten kritisch betrachtet werden: Aufklärung und Einwilligung des Patienten – o Rechtzeitigkeit, Art und Inhalt der Aufklärung, Einwilligungsfähigkeit Dokumentation o Art und Umfang, Zeitpunkt der Dokumentation Behandlungsdurchführung o „de lege artis“, Indikationsprüfung, technisches Gerät, manuelles Vorgehen (z.B. falsches operatives Vorgehen), Komplikationsmanagement Organisation o Delegationsverfahren in der ärztlichen Hierarchie (z.B. Stichwort Übernahmeverschulden, Organisationsverschulden) o Ablaufplan, Qualitätsmanagement Bezüglich sinnvoller, angemessener Verhaltensweisen für Ärzte/Ärztinnen, die sich mit dem Vorwurf eines möglichen Behandlungsfehler konfrontiert sehen, oder insbesondere im Zusammenhang mit dem Tod eines Patienten in unmittelbarem zeitlichen Kontext mit jedweder Behandlungsmaßnahme (einschließlich Diagnostik) dieser Frage gegenüber stehen, finden sich 104 in der Fachpresse Informationen zum weiteren Procedere (z.B. Fortschritte der Medizin 1999, 117: 42-43, MMW 1999, 59: 59-60). Für das Universitätsklinikum Düsseldorf liegt eine interne Leitlinie „zum dienstlichen Verhalten nach einem medizinischen Zwischenfall“ vor. Im wesentlichen beinhalten diese Informationen folgendes: • Der Dienstvorgesetzte ist in Kenntnis zu setzen, • Schuldanerkennungen sind zu unterlassen, • ein Ereignisprotokoll ist anzufertigen, • zulässige Einsichtnahmen in Patientenakten sind zu gewähren, ohne das Originale auszuhändigen sind, • es soll eine Aussprache mit den Betroffenen (Patienten und/oder Angehörigen) gesucht werden, • gegenüber den Vertretern der Ermittlungsbehörden sind die erforderlichen Unterlagen auszuhändigen, • im Falle eines Beschuldigtenstatus besteht Anrecht auf anwaltschaftliche Beratung, bevor sich zur Sache geäußert wird. • Eine Verpflichtung zur Selbstanzeige besteht nicht! • Im Sterbefall mit unklarem Hintergrund ist die Todesbescheinigung auf „ungeklärt“ auszustellen und der weitere Verfahrensweg zu beschreiten. • Weitere Regelungen im Schadensfall laufen über die jeweiligen betrieblichen bzw. privaten haftpflichtversicherungsträger. • Soll unter rechtlichen Fragestellungen durch einen Sachverständigen zur Begutachtung eines möglichen Behandlungsfehlers Stellung genommen werden, so sind i.d.R. folgende Fragen von Bedeutung: • Um welchen Schaden handelt es sich konkret (z.B. Todeseintritt, Mobilitätseinschränkung bis hin zur Lähmung, Organfunktionsschädigung, usw.) • Ist dieser Schaden durch eine Krankheit oder eine Verschlechterung einer Krankheit des betroffenen Patienten eingetreten (Krankheitskomplikation)? Oder • Ist dieser Schaden Folge einer Behandlungskomplikation, die sich innerhalb der erlaubten Risikos realisiert hat (Stichwort: immanentes Risiko (aufklärungspflichtig!)? oder • Ist dieser Schaden Folge einer Nichteinhaltung der Regeln ärztlicher Wissenschaft (good clinical practise) einschließlich eines Unterlassens notwendiger Maßnahmen. • Wird diese letzte Frage bejaht, somit ein Behandlungsfehler festgestellt, so ist der Frage nachzugehen, ob der bedingte Schaden aus dem Regelverstoß vorhersehbar und vermeidbar war. Im Einzelfall sind weitere Erörterungen zu folgenden Fragen sinnvoll: • Wurden für den voraussehbaren Schaden die entsprechenden medizinischen Vorsichtsmaßnahmen getroffen (Medikation, Notfallversorgung, Diagnostik usw.)? • Können Erläuterung zur konkreten Situation, in der sich der Schaden ereignet hat, machen 105 (Notfallsituation, Wahleingriff, ärztliches Ausbildungstand und Stand der psychophysischen Leistungsfähigkeit z.B. bei Nachtdiensteinsatz)? • Falls der Schaden durch eine hierarchisch untergeordnete Person verursacht wurde, so ist zu klären, ob die fachliche Kompetenz gegeben war (Stichwort Facharztstandard), eventuell ein Übernahme- oder Delegationsverschulden vorgelegen hat. Die Erörterung dieser Fragen kann auf der Ebene der Gutachterkommissionen oder Schlichtungsstellen der Ärztekammern unter Hinzuziehung eines breiten Facharztkollegiums in diesen Institution erfolgen. Im Strafverfahren werden zu den sich aufdrängenden Fragenkomplexe in der Regel rechtsmedizinische und spezifische Fachgutachten beauftragt. 20. Juristischer Teil, Arztrecht Rechtliche Aspekte des ärztlichen Handelns 20.1 Arzthaftung 1. In aller Regel erfolgt ärztliches Handeln auf der Grundlage eines Behandlungsvertrages (§§ 611 ff BGB). Zivilrechtliche Vertragsverpflichtung ist die Bemühung des Arztes um die Heilung oder Linderung von Leiden. Unterlaufen ihm dabei Fehler, muss er dafür einstehen - aus Vertragsverletzung - aus Schadenshaftung - aus dem Gesichtspunkt einer strafbaren Handlung Bei einer fehlerhaften Behandlung treffen grundsätzlich alle drei Haftungstatbestände zusammen. So ist der mangels wirksamer Einwilligung des Patienten vorgenommene Eingriff zugleich Körperverletzung (§§ 223 ff StGB), zum Schadensersatz verpflichtende Handlung (§§ 823 ff BGB) und Vertragsverletzung. Unterschiedlich sind die Folgen: - aus dem Vertrag schuldet der Arzt die ordnungsgemäße Erbringung der Leistung evtl. Schadensersatz (§ 249 BGB) - aus der Schadenshaftung verschuldet er neben Schadensersatz Schmerzensgeld (§ 847 BGB) - aus der Strafrechtshaftung erwächst ihm das Risiko einer Bestrafung. 2. Voraussetzung für die Haftung ist, dass der Patient als Folge des ärztlichen Handelns zu Schaden gekommen ist. Für die zivilrechtliche Haftung beschränkt sich die Haftung auf adäquate Folgen, strafrechtlich sind alle Ursachen gleichwertig (äquivalent). Die Ursache kann sowohl in von der Rechtsordnung nicht gebilligtem Tun, als auch in einem Unterlassen gebotener Handlungen liegen. Wenn eine Rechtspflicht zum Handeln gegeben 106 ist, steht das Unterlassen dem aktiven Tun gleich (§ 13 StGB); z. B.: aus dem Behandlungsvertrag, aus der tatsächlichen Behandlungsübernahme oder aus allgemeiner Hilfspflicht. 3. Von der Rechtsordnung nicht gebilligt ist ein eigenmächtiges Verhalten des Arztes. Ein Eingriff in die körperliche Unversehrtheit (Rechtsgut) darf deshalb nur unter Achtung des Selbstbestimmungsrechts (Rechtsgut) erfolgen. - Wirksam einwilligen kann nur der urteilsfähige Patient. Urteilsfähigkeit hängt nicht von einer starren Altersgrenze ab, sie ist vielmehr auf die Art und Schwere des konkreten Eingriffs zu beziehen; z. B.: Verschreibung empfängnisverhütender Mittel an Minderjährige. Kinder gelten generell als nicht einsichts- und urteilsfähig; für sie entscheiden die gesetzlichen Vertreter. Willensfreiheit bedeutet nicht Wunschfreiheit. Der Patientenwille verpflichtet den Arzt nicht zur Vornahme eines aus medizinischer Sicht unvernünftigen Eingriffs, wohl aber notwendige Eingriffe zu unterlassen. - Die Einwilligung des Patienten kann sich nur auf Eingriffe beziehen, die nicht gegen die guten Sitten verstoßen (§ 228 StGB). Unzulässig ist daher z. B.: die Verabreichung oder das Verlangen von Dopingmitteln sowie die Organspende gegen Entgelt. Gesetz- und sittenwidrige Einwilligungen sind der Verfügungsbefugnis entzogen. - Grundsätzlich kann ein Patient nur wirksam einwilligen, wenn er über Art, Umfang und Risiken des Eingriffs aufgeklärt ist. Ist die Aufklärung mangelbehaftet, leidet die Einwilligung unter einem rechtliche Fehler und ist insgesamt unwirksam. Das bedeutet, der Eingriff ist selbst dann (strafrechtlich) Körperverletzung und (haftungsrechtlich) Schadensereignis, wenn er medizinisch indiziert war, lege artis ausgeführt wurde und gelungen ist. 4. Umfang und Grenzen der Aufklärung sind häufigster Streitpunkt bei den Arzthaftungsprozessen. - Formulare ersetzen nicht das erforderliche Aufklärungsgespräch zwischen Arzt und Patienten. - Grundlage des Aufklärungsgesprächs sind die Diagnose und Behandlungsmethode. - Erfolgsaussichten, alternative Möglichkeiten und Risiken sind erörterungspflichtig. Bei eingriffstypischen Risiken werden extrem hohe Anforderungen gestellt. - Je nach Art und Schwere des Eingriffs ist dem Patienten eine angemessene Überlegungszeit einzuräumen (Rechtzeitigkeit der Aufklärung). Eine therapeutische Aufklärung (Teilaufklärung) ist in Ausnahmefällen statthaft. (Angehörigengespräch ? ) - In besonderen Fällen ist ein Verzicht auf Aufklärung anerkannt. die 107 - Gesetzlich gibt es keine Formvorschriften für die Aufklärung, so dass ihre Gültigkeit nicht von einem Schriftstück abhängt. Die Berufsordnung schreibt jedoch Dokumentation vor. - Mindestens auf Befragen ist Auskunft über eigene Erfahrungen des Arztes bei der Ausführung des beabsichtigten Eingriffs zu erteilen. 5. Die Behandlung eines nicht einwilligungsfähigen Patienten ist in aller Regel Notfallmedizin. Die Rechtfertigung des Eingriffs leitet sich in diesen Fällen aus der mutmaßlichen Einwilligung her. Die Zustimmung zum vernünftigen und medizinisch indizierten Handeln wird unterstellt, wenn der Entscheid keinen Aufschub duldet und keine entgegenstehende Willensäußerung des Patienten bekannt ist. 6. Die Behandlung eines nicht einwilligungsbereiten Patienten hat zu unterbleiben, auch wenn die Behandlung als vernünftig oder medizinisch indiziert angesehen wird. Dies ist Ausfluss des Selbstbestimmungsrechtes, das dem Patienten die Willensfreiheit gewährt, sich nach seinem Belieben zu verhalten. Ob dieses Recht schrankenlos anzuerkennen ist, muss im Einzelfall diskutiert werden. Die Grenzziehung ist schwierig, z. B.: Sterbehilfe. 7. Das Einstehen des Arztes für fehlerhafte Verhaltensweisen setzt ein Verschulden voraus. In aller Regel wird ein Fahrlässigkeitsvorwurf in Betracht kommen. - Zivilrechtlich ist die Fahrlässigkeit objektiviert. Das bedeutet, sie knüpft an die Außerachtlassung der objektiv gebotenen Sorgfalt an. Gefordert wird also die Sorgfalt eines gewissenhaft arbeitenden Arztes nach den medizinisch vorgegebenen Regeln. - Strafrechtlich ist der Vorwurf individualisiert. Das bedeutet, es muss eine persönliche Vorwerfbarkeit hinzutreten. Zu berücksichtigen sind z. B.: situationsbezogene Sorgfalt in Notfällen, Erfahrungen des Arztes, Spezialkenntnisse, Übernahmeverschulden. - Im Rahmen einer Arbeitsteilung bei der Behandlung ist die Aufteilung nach unterschiedlichen Verantwortungsbereichen anerkannt, z. B.: Chirurg/Anästhesist (Intensivmediziner). Die klare und unzweideutige Abgrenzung der Pflichtbereiche liegt im Interesse des Arztes. - Die Haftung des Arztes für Pflegepersonal (Gehilfenhaftung) kommt in Betracht, soweit das Pflegepersonal nicht zur selbständigen Arbeit berufen ist. (Behandlungspflege). Hinsichtlich der Assistenz solcher Kräfte bei ärztlichen Leistungen ist Eignungsprüfung und Überwachung angezeigt. 108 20.2 Schweigepflicht Die Schweigepflicht des Arztes ergibt sich aus dem Arzt-Patienten-Verhältnis und ist in der Berufsordnung festgeschrieben (§ 9 BOÄ). Unbefugtes Verletzen ist unter Strafe gestellt (§ 203 StGB). Unbefugt ist die Offenlegung eines Patientengeheimnisses, wenn für den Arzt kein Rederecht besteht. Ein solches Recht kann sich ergeben aus gesetzlichen Bestimmungen, z. B.: Meldung eines nichtnatürlichen oder ungeklärten Todes gem. § 9 des Bestattungsgesetzes NRW oder Meldungen nach dem Infektionsschutzgesetz. Es kann sich auch ergeben aus der Einwilligung des Patienten (z. B.: zu einem Gespräch mit Angehörigen), aus der Wahrung eigener Interessen (z. B.: zur Geltendmachung von Honorarforderungen) oder aus einer Güterabwägung (z. B.: Anzeige eines Kindesmissbrauchs, Hinweis an die Verkehrsbehörden auf nichtfahrtaugliche Personen). 20.3 Dokumentationspflicht Ausgangspunkt für die Dokumentationspflicht ist eine Grundsatzentscheidung des Bundesgerichtshofes, der sie als selbstverständliche therapeutische Pflicht gegenüber dem Patienten bezeichnet hat, dessen weitere Behandlung durch unzulängliche Dokumentation entscheidend erschwert werden kann. Sie hat Eingang in § 10 der Berufsordnung für Ärzte gefunden. Die Aufbewahrungsfrist beträgt 10 Jahre; Unterlagen über Röntgenbefunde sind 30 Jahre aufzubewahren. Der Patient hat ein Einsichtsrecht in alle objektiven Befundunterlagen. 109 21. Mögliche Prüfungsfragen Blockkurs Rechtsmedizin 1. Medizin 1. Warum ist Rechtsmedizin für jeden Arzt wichtig? 2. Definition des nicht natürlichen Todesfalles? 3. Aufgaben bei der ärztlichen Leichenschau? 4. Meldewesen bei der Leichenschau? 5. Wie stellt der Arzt sicher den eingetretenen Tod fest? (3 sichere Todeszeichen!) 6. Scheintod: Definition, Vorkommen? 7. Definition Klinischer Tod, Individualtod, Hirntod, Organtod? 8. Todesarten? Unterschied Todesart-Todesursache? 9. Strenge Definition des natürlichen Todes? 10. Was versteht man unter Todesursache? 11. Was sind die wichtigsten Hilfsmittel für die Todeszeitbestimmung? 12. Obduktionsindikationen? 13. Frühe und späte postmortale Veränderungen? 14. Was verstehen Sie unter einer agonalen Verletzung? 15. Was verstehen Sie unter einer Vitalreaktion? 16. Was ist eine supravitale Erscheinung? 18. Was verstehen Sie unter einer braunen Hautvertrocknung? 18. Welches sind die Kriterien der Quetschwunde? 19. Was eignet sich besser zur Rekonstruktion des Tatwerkzeuges: ein Hämatom oder eine intracutane Blutung? 20. Wie lassen sich Sturz- von Schlagverletzungen am Kopf unterscheiden? 21. Was ist ein Contre-Coup? 22. Welche Formen der Schädelbrüche kennen Sie und wie kommen sie zustande? 23. Welche Formen von traumatischen intrakraniellen Blutungen kennen Sie und wie entstehen sie meistens? 24. Was verstehen Sie unter einem Schütteltrauma? 25. Was ist die rechtsmedizinische Aufgabe beim tödlichen Verkehrsunfall? 26. Wo sind typische Verletzungen beim angefahrenen Fussgänger zu finden? 110 27. Wie können Sie eine Stich- von einer Schnittwunde unterscheiden? 28. Warum ist der Pulsaderschnitt oft nicht tödlich ? 29. Was sind Probier- oder Zauderschnitte/-stiche? 30. Welche Todesursachen kommen Ihnen beim Halsschnitt in den Sinn? 31. Was versteht man unter „halbscharfer“ Gewalt? 32. Wie unterscheiden Sie den Einschuss vom Ausschuss? 33. Was sind sichere Einschusszeichen? 34. Was ist ein absoluter, was ein relativer Nahschuss und was ein Fernschuss? 35. Was entscheidet über die Grösse des Ausschusses? 36. Wie asservieren Sie exzidierte Ein- und Ausschlusslücken ? 37. Was verstehen Sie unter einem Bolustod? 38. Welche Formen des Erstickens kennen Sie? 39. Welche Formen der Strangulation kennen Sie und wie unterscheiden sie sich hinsichtlich Befunden? 40. Was ist die Todesursache beim Erhängen? 41. Welcher (inobligate) äussere Befund weist auf ein Ertrinken hin? 42. Wie unterscheidet man typisches und atypisches Ertrinken? 43. Warum ist die Wasserleiche eine „Problemleiche“? 44. Welche besonderen Leichenzeichen können Wasserleichen aufweisen? 45. Was ist eine Strommarke und unter welchen Voraussetzungen entsteht sie? 46. Worauf müssen Sie achten, wenn jemand tot in der Badewanne aufgefunden wird? 47. Welche Vergiftungen können hinweisende Befunde bei der Leichenschau liefern? 48. Hellrote Totenflecken kommen bei der CO-Vergiftung und bei der in der Kälte aufgefundenen Leiche vor. Wie können Sie differenzieren? 49. Was sind typische Unterkühlungsbefunde? 50. Warum ist eine Obduktion bei Brandleichen immer sinnvoll? 51. Welche Identifikationsverfahren kennen Sie? 52. Weshalb identifiziert man bei Massenkatastrophen? 53. Warum empfehlen Sie bei SIDS eine Autopsie ? 111 54. Was verstehen Sie unter „klinischer Rechtsmedizin“? 55. Wie dokumentieren Sie am Lebenden Verletzungsbefunde, die forensisch relevant sein könnten? 56. In welchen Fällen sind Ärzte berechtigt, ohne Entbindung von der Schweigepflicht Befunde den Ermittlungsbehörden mitzuteilen? 57. Wie untersucht man ein Opfer von überlebten Würgen? Wann geht man von Lebensgefahr aus? 58. Was sind typische Lokalisationen von Hämatomen etc. bei einer Kindesmisshandlung? 59. Wie gehen Sie vor, wenn Sie bei der Untersuchung eines Kindes Verdacht auf eine Misshandlung schöpfen? 60. Was ist charakteristisch für eine Selbstverletzung? 61. Warum achtet der Arzt bei der Bearbeitung klinisch-rechtsmedizinischer Fälle auch auf die Kleidung? 2. Toxikologie 62. Welche Aufgaben hat der Arzt bezüglich Blutalkohol, Drogen und Medikamenten im Straßenverkehr zu erfüllen? 63. Wo und wie gewinnen Sie Blut für eine postmortale Blutalkoholanalyse? 64. Was verstehen Sie unter dem Anflutungsphänomen im Zusammenhang mit Blutalkohol? 65. Warum ist es wichtig zu wissen, wann der letzte Schluck Alkohol konsumiert wurde? 66. Wie groß ist die minimale bzw. maximale stündliche Eliminationsrate von Trinkalkohol? 67. Wie lange dauert die Resorptionszeit des Trinkalkohols? 68. Wie lautet und wozu dient die Widmarkformel? 69. Ist die 0,5 ‰ - Grenze ein biologischer oder juristischer Grenzwert? 70. Ab wie viel Promille Alkohol beginnt die Unfallgefahr konkret zu steigen? 71. Welche typischen Ausfallserscheinungen zeigt ein drogenbeeinflusster Verkehrsteilnehmer? 72. Was asservieren Sie bei einem k.o-Mittelfall? 73. Welche Gewebe asservieren Sie von der Leiche bei Verdacht einer Vergiftung und warum? 3. Spurenkunde und DNA 112 74. Was ist die DNA-Analyse und wo findet sie Anwendung in der Forensik? 75. Wie gehen Sie bei der Untersuchung einer Vergewaltigung vor? 76. Wie muss biologisches Spurenmaterial für DNA-Untersuchungen aufbewahrt werden? 78. Wie beraten Sie eine Frau, die wissen möchte, wer der Vater ihres Kindes ist? 79. Wie erklären Sie ihr das Prinzip der DNA-Analyse und die möglichen Resultate in verständlicher Form? Sokrates, der alte Greis, sagte oft in tiefen Sorgen: „Ach wie viel ist doch verborgen, was man immer noch nicht weiss!“ Und so ist es, - doch indessen, darf man eines nicht vergessen: Eines weiss man doch hienieden, nämlich, wenn man unzufrieden. 113 22. Anhang: Auswahl an für Ärzte relevante Bestimmungen aus dem Strafgesetzbuch, Bestattungsgesetz, BGB, BOÄ, IfSG Grundlagen der Strafbarkeit (StGB) § 13 Begehen durch Unterlassen (1) Wer es unterläßt, einen Erfolg abzuwenden, der zum Tatbestand eines Strafgesetzes gehört, ist nach diesem Gesetz nur dann strafbar, wenn er rechtlich dafür einzustehen hat, dass der Erfolg nicht eintritt, und wenn das Unterlassen der Verwirklichung des gesetzlichen Tatbestandes durch ein Tun entspricht. (2) Die Strafe kann nach § 49 Abs. 1 gemildert werden. § 14 Handeln für einen anderen (1) Handelt jemand 1. als vertretungsberechtigtes Organ einer juristischen Person oder als Mitglied eines solchen Organs, 2. als vertretungsberechtigter Gesellschafter einer rechtsfähigen Personengesellschaft oder 3. als gesetzlicher Vertreter eines anderen, so ist ein Gesetz, nach dem besondere persönliche Eigenschaften, Verhältnisse oder Umstände (besondere persönliche Merkmale) die Strafbarkeit begründen, auch auf den Vertreter anzuwenden, wenn diese Merkmale zwar nicht bei ihm, aber bei dem Vertretenen vorliegen. (2) Ist jemand von dem Inhaber eines Betriebs oder einem sonst dazu Befugten 1. beauftragt, den Betrieb ganz oder zum Teil zu leiten, oder 2. ausdrücklich beauftragt, in eigener Verantwortung Aufgaben wahrzunehmen, die dem Inhaber des Betriebs obliegen, und handelt er auf Grund dieses Auftrags, so ist ein Gesetz, nach dem besondere persönliche Merkmale die Strafbarkeit begründen, auch auf den Beauftragten anzuwenden, wenn diese Merkmale zwar nicht bei ihm, aber bei dem Inhaber des Betriebs vorliegen. Dem Betrieb im Sinne des Satzes 1 steht das Unternehmen gleich. Handelt jemand auf Grund eines entsprechenden Auftrags für eine Stelle, die Aufgaben der öffentlichen Verwaltung wahrnimmt, so ist Satz 1 sinngemäß anzuwenden. 114 (3) Die Absätze 1 und 2 sind auch dann anzuwenden, wenn die Rechtshandlung, welche die Vertretungsbefugnis oder das Auftragsverhältnis begründen sollte, unwirksam ist. § 15 Vorsätzliches und fahrlässiges Handeln Strafbar ist nur vorsätzliches Handeln, wenn nicht das Gesetz fahrlässiges Handeln ausdrücklich mit Strafe bedroht. § 16 Irrtum über Tatumstände (1) Wer bei Begehung der Tat einen Umstand nicht kennt, der zum gesetzlichen Tatbestand gehört, handelt nicht vorsätzlich. Die Strafbarkeit wegen fahrlässiger Begehung bleibt unberührt. (2) Wer bei Begehung der Tat irrig Umstände annimmt, welche den Tatbestand eines milderen Gesetzes verwirklichen würden, kann wegen vorsätzlicher Begehung nur nach dem milderen Gesetz bestraft werden. § 17 Verbotsirrtum Fehlt dem Täter bei Begehung der Tat die Einsicht, Unrecht zu tun, so handelt er ohne Schuld, wenn er diesen Irrtum nicht vermeiden konnte. Konnte der Täter den Irrtum vermeiden, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden. § 18 Schwerere Strafe bei besonderen Tatfolgen Knüpft das Gesetz an eine besondere Folge der Tat eine schwerere Strafe, so trifft sie den Täter oder den Teilnehmer nur, wenn ihm hinsichtlich dieser Folge wenigstens Fahrlässigkeit zur Last fällt. § 19 Schuldunfähigkeit des Kindes 115 Schuldunfähig ist, wer bei Begehung der Tat noch nicht vierzehn Jahre alt ist. § 20 Schuldunfähigkeit wegen seelischer Störungen Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewusstseinsstörung oder wegen Schwachsinns oder einer schweren anderen seelischen Abartigkeit unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln. § 21 Verminderte Schuldfähigkeit Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden. Störung der Totenruhe (StGB) § 168 Störung der Totenruhe (1) Wer unbefugt aus dem Gewahrsam des Berechtigten den Körper oder Teile des Körpers eines verstorbenen Menschen, eine tote Leibesfrucht, Teile einer solchen oder die Asche eines verstorbenen Menschen wegnimmt oder wer daran beschimpfenden Unfug verübt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (2) Ebenso wird bestraft, wer eine Aufbahrungsstätte, Beisetzungsstätte oder öffentliche Totengedenkstätte zerstört oder beschädigt oder wer dort beschimpfenden Unfug verübt. (3) Der Versuch ist strafbar. Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung (StGB) 116 § 174 Sexueller Mißbrauch von Schutzbefohlenen (1) Wer sexuelle Handlungen 1. an einer Person unter sechzehn Jahren, die ihm zur Erziehung, zur Ausbildung oder zur Betreuung in der Lebensführung anvertraut ist, 2. an einer Person unter achtzehn Jahren, die ihm zur Erziehung, zur Ausbildung oder zur Betreuung in der Lebensführung anvertraut oder im Rahmen eines Dienst- oder Arbeitsverhältnisses untergeordnet ist, unter Mißbrauch einer mit dem Erziehungs-, Ausbildungs-, Betreuungs-, Dienst- oder Arbeitsverhältnis verbundenen Abhängigkeit oder 3. an seinem noch nicht achtzehn Jahre alten leiblichen oder angenommenen Kind vornimmt oder an sich von dem Schutzbefohlenen vornehmen lässt, wird mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft. (2) Wer unter den Voraussetzungen des Absatzes 1 Nr. 1 bis 3 1. sexuelle Handlungen vor dem Schutzbefohlenen vornimmt oder 2. den Schutzbefohlenen dazu bestimmt, dass er sexuelle Handlungen vor ihm vornimmt, um sich oder den Schutzbefohlenen hierdurch sexuell zu erregen, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (3) Der Versuch ist strafbar. (4) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 1 oder des Absatzes 2 in Verbindung mit Absatz 1 Nr. 1 kann das Gericht von einer Bestrafung nach dieser Vorschrift absehen, wenn bei Berücksichtigung des Verhaltens des Schutzbefohlenen das Unrecht der Tat gering ist. § 174a Sexueller Mißbrauch von Gefangenen, behördlich Verwahrten oder Kranken und Hilfsbedürftigen in Einrichtungen (1) Wer sexuelle Handlungen an einer Gefangenen oder auf behördliche Anordnung verwahrten Person, die ihm zur Erziehung, Ausbildung, Beaufsichtigung oder Betreuung anvertraut ist, unter Mißbrauch seiner Stellung vornimmt oder an sich von der gefangenen oder verwahrten Person vornehmen läßt, wird mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft. (2) Ebenso wird bestraft, wer eine Person, die in einer Einrichtung für kranke oder hilfsbedürftige Menschen aufgenommen und ihm zur Beaufsichtigung oder Betreuung anvertraut ist, dadurch mißbraucht, daß er unter Ausnutzung der Krankheit oder Hilfsbedürftigkeit dieser Person sexuelle Handlungen an ihr vornimmt oder an sich von ihr vornehmen lässt. 117 (3) Der Versuch ist strafbar. § 174b Sexueller Mißbrauch unter Ausnutzung einer Amtsstellung (1) Wer als Amtsträger, der zur Mitwirkung an einem Strafverfahren oder an einem Verfahren zur Anordnung einer freiheitsentziehenden Maßregel der Besserung und Sicherung oder einer behördlichen Verwahrung berufen ist, unter Mißbrauch der durch das Verfahren begründeten Abhängigkeit sexuelle Handlungen an demjenigen, gegen den sich das Verfahren richtet, vornimmt oder an sich von dem anderen vornehmen lässt, wird mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft. (2) Der Versuch ist strafbar. § 174c Sexueller Mißbrauch unter Ausnutzung eines Beratungs-, Behandlungs- oder Betreuungsverhältnisses (1) Wer sexuelle Handlungen an einer Person, die ihm wegen einer geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung einschließlich einer Suchtkrankheit oder wegen einer körperlichen Krankheit oder Behinderung zur Beratung, Behandlung oder Betreuung anvertraut ist, unter Mißbrauch des Beratungs-, Behandlungs- oder Betreuungsverhältnisses vornimmt oder an sich von ihr vornehmen lässt, wird mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft. (2) Ebenso wird bestraft, wer sexuelle Handlungen an einer Person, die ihm zur psychotherapeutischen Behandlung anvertraut ist, unter Mißbrauch des Behandlungsverhältnisses vornimmt oder an sich von ihr vornehmen lässt. (3) Der Versuch ist strafbar. § 176 Sexueller Mißbrauch von Kindern (1) Wer sexuelle Handlungen an einer Person unter vierzehn Jahren (Kind) vornimmt oder an sich von dem Kind vornehmen lässt, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren bestraft. (2) Ebenso wird bestraft, wer ein Kind dazu bestimmt, dass es sexuelle Handlungen an einem Dritten vornimmt oder von einem Dritten an sich vornehmen lässt. (3) In besonders schweren Fällen ist auf Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr zu erkennen. 118 (4) Mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren wird bestraft, wer 1. sexuelle Handlungen vor einem Kind vornimmt, 2. ein Kind dazu bestimmt, dass es sexuelle Handlungen an sich vornimmt, 3. auf ein Kind durch Schriften (§ 11 Abs. 3) einwirkt, um es zu sexuellen Handlungen zu bringen, die es an oder vor dem Täter oder einem Dritten vornehmen oder von dem Täter oder einem Dritten an sich vornehmen lassen soll, oder 4. auf ein Kind durch Vorzeigen pornographischer Abbildungen oder Darstellungen, durch Abspielen von Tonträgern pornographischen Inhalts oder durch entsprechende Reden einwirkt. (5) Mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren wird bestraft, wer ein Kind für eine Tat nach den Absätzen 1 bis 4 anbietet oder nachzuweisen verspricht oder wer sich mit einem anderen zu einer solchen Tat verabredet. (6) Der Versuch ist strafbar; dies gilt nicht für Taten nach Absatz 4 Nr. 3 und 4 und Absatz 5. § 176a Schwerer sexueller Mißbrauch von Kindern (1) Der sexuelle Missbrauch von Kindern wird in den Fällen des § 176 Abs. 1 und 2 mit Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr bestraft, wenn der Täter innerhalb der letzten fünf Jahre wegen einer solchen Straftat rechtskräftig verurteilt worden ist. (2) Der sexuelle Missbrauch von Kindern wird in den Fällen des § 176 Abs. 1 und 2 mit Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren bestraft, wenn 1. eine Person über achtzehn Jahren mit dem Kind den Beischlaf vollzieht oder ähnliche sexuelle Handlungen an ihm vornimmt oder an sich von ihm vornehmen lässt, die mit einem Eindringen in den Körper verbunden sind, 2. die Tat von mehreren gemeinschaftlich begangen wird oder 3. der Täter das Kind durch die Tat in die Gefahr einer schweren Gesundheitsschädigung oder einer erheblichen Schädigung der körperlichen oder seelischen Entwicklung bringt. (3) Mit Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren wird bestraft, wer in den Fällen des § 176 Abs. 1 bis 3, 4 Nr. 1 oder Nr. 2 oder des § 176 Abs. 6 als Täter oder anderer Beteiligter in der Absicht handelt, die Tat zum Gegenstand einer pornographischen Schrift (§ 11 Abs. 3) zu machen, die nach § 184b Abs. 1 bis 3 verbreitet werden soll. (4) In minder schweren Fällen des Absatzes 1 ist auf Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren, in minder schweren Fällen des Absatzes 2 auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren zu erkennen. 119 (5) Mit Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren wird bestraft, wer das Kind in den Fällen des § 176 Abs. 1 bis 3 bei der Tat körperlich schwer misshandelt oder durch die Tat in die Gefahr des Todes bringt. (6) In die in Absatz 1 bezeichnete Frist wird die Zeit nicht eingerechnet, in welcher der Täter auf behördliche Anordnung in einer Anstalt verwahrt worden ist. Eine Tat, die im Ausland abgeurteilt worden ist, steht in den Fällen des Absatzes 1 einer im Inland abgeurteilten Tat gleich, wenn sie nach deutschem Strafrecht eine solche nach § 176 Abs. 1 oder 2 wäre. § 176b Sexueller Mißbrauch von Kindern mit Todesfolge Verursacht der Täter durch den sexuellen Mißbrauch (§§ 176 und 176a) wenigstens leichtfertig den Tod des Kindes, so ist die Strafe lebenslange Freiheitsstrafe oder Freiheitsstrafe nicht unter zehn Jahren. § 177 Sexuelle Nötigung, Vergewaltigung (1) Wer eine andere Person 1. mit Gewalt, 2. durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben oder 3. unter Ausnutzung einer Lage, in der das Opfer der Einwirkung des Täters schutzlos ausgeliefert ist, nötigt, sexuelle Handlungen des Täters oder eines Dritten an sich zu dulden oder an dem Täter oder einem Dritten vorzunehmen, wird mit Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr bestraft. (2) In besonders schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn 1. der Täter mit dem Opfer den Beischlaf vollzieht oder ähnliche sexuelle Handlungen an dem Opfer vornimmt oder an sich von ihm vornehmen lässt, die dieses besonders erniedrigen, insbesondere, wenn sie mit einem Eindringen in den Körper verbunden sind (Vergewaltigung), oder 2. die Tat von mehreren gemeinschaftlich begangen wird. (3) Auf Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren ist zu erkennen, wenn der Täter 1. eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug bei sich führt, 120 2. sonst ein Werkzeug oder Mittel bei sich führt, um den Widerstand einer anderen Person durch Gewalt oder Drohung mit Gewalt zu verhindern oder zu überwinden, oder 3. das Opfer durch die Tat in die Gefahr einer schweren Gesundheitsschädigung bringt. (4) Auf Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren ist zu erkennen, wenn der Täter 1. bei der Tat eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug verwendet oder 2. das Opfer a) bei der Tat körperlich schwer misshandelt oder b) durch die Tat in die Gefahr des Todes bringt. (5) In minder schweren Fällen des Absatzes 1 ist auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren, in minder schweren Fällen der Absätze 3 und 4 auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren zu erkennen. § 178 Sexuelle Nötigung und Vergewaltigung mit Todesfolge Verursacht der Täter durch die sexuelle Nötigung oder Vergewaltigung (§ 177) wenigstens leichtfertig den Tod des Opfers, so ist die Strafe lebenslange Freiheitsstrafe oder Freiheitsstrafe nicht unter zehn Jahren. § 179 Sexueller Missbrauch widerstandsunfähiger Personen (1) Wer eine andere Person, die 1. wegen einer geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung einschließlich einer Suchtkrankheit oder wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder 2. körperlich zum Widerstand unfähig ist, dadurch missbraucht, dass er unter Ausnutzung der Widerstandsunfähigkeit sexuelle Handlungen an ihr vornimmt oder an sich von ihr vornehmen läßt, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren bestraft. (2) Ebenso wird bestraft, wer eine widerstandsunfähige Person (Absatz 1) dadurch mißbraucht, daß er sie unter Ausnutzung der Widerstandsunfähigkeit dazu bestimmt, sexuelle Handlungen an einem Dritten vorzunehmen oder von einem Dritten an sich vornehmen zu lassen. 121 (3) In besonders schweren Fällen ist auf Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr zu erkennen. (4) Der Versuch ist strafbar. (5) Auf Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren ist zu erkennen, wenn 1. der Täter mit dem Opfer den Beischlaf vollzieht oder ähnliche sexuelle Handlungen an ihm vornimmt oder an sich von ihm vornehmen lässt, die mit einem Eindringen in den Körper verbunden sind, 2. die Tat von mehreren gemeinschaftlich begangen wird oder 3. der Täter das Opfer durch die Tat in die Gefahr einer schweren Gesundheitsschädigung oder einer erheblichen Schädigung der körperlichen oder seelischen Entwicklung bringt. (6) In minder schweren Fällen des Absatzes 5 ist auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren zu erkennen. (7) § 177 Abs. 4 Nr. 2 und § 178 gelten entsprechend. § 180 Förderung sexueller Handlungen Minderjähriger (1) Wer sexuellen Handlungen einer Person unter sechzehn Jahren an oder vor einem Dritten oder sexuellen Handlungen eines Dritten an einer Person unter sechzehn Jahren 1. durch seine Vermittlung oder 2. durch Gewähren oder Verschaffen von Gelegenheit Vorschub leistet, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. Satz 1 Nr. 2 ist nicht anzuwenden, wenn der zur Sorge für die Person Berechtigte handelt; dies gilt nicht, wenn der Sorgeberechtigte durch das Vorschubleisten seine Erziehungspflicht gröblich verletzt. (2) Wer eine Person unter achtzehn Jahren bestimmt, sexuelle Handlungen gegen Entgelt an oder vor einem Dritten vorzunehmen oder von einem Dritten an sich vornehmen zu lassen, oder wer solchen Handlungen durch seine Vermittlung Vorschub leistet, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (3) Wer eine Person unter achtzehn Jahren, die ihm zur Erziehung, zur Ausbildung oder zur Betreuung in der Lebensführung anvertraut oder im Rahmen eines Dienst- oder Arbeitsverhältnisses untergeordnet ist, unter Missbrauch einer mit dem Erziehungs-, Ausbildungs-, Betreuungs-, Dienst- oder Arbeitsverhältnis verbundenen Abhängigkeit bestimmt, sexuelle Handlungen an oder vor einem Dritten vorzunehmen oder von einem Dritten an sich vornehmen zu lassen, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (4) In den Fällen der Absätze 2 und 3 ist der Versuch strafbar. 122 § 182 Sexueller Missbrauch von Jugendlichen (1) Eine Person über achtzehn Jahre, die eine Person unter sechzehn Jahren dadurch missbraucht, dass sie 1. unter Ausnutzung einer Zwangslage oder gegen Entgelt sexuelle Handlungen an ihr vornimmt oder an sich von ihr vornehmen lässt oder 2. diese unter Ausnutzung einer Zwangslage dazu bestimmt, sexuelle Handlungen an einem Dritten vorzunehmen oder von einem Dritten an sich vornehmen zu lassen, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (2) Eine Person über einundzwanzig Jahre, die eine Person unter sechzehn Jahren dadurch missbraucht, dass sie 1. sexuelle Handlungen an ihr vornimmt oder an sich von ihr vornehmen lässt oder 2. diese dazu bestimmt, sexuelle Handlungen an einem Dritten vorzunehmen oder von einem Dritten an sich vornehmen zu lassen, und dabei die fehlende Fähigkeit des Opfers zur sexuellen Selbstbestimmung ausnutzt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (3) In den Fällen des Absatzes 2 wird die Tat nur auf Antrag verfolgt, es sei denn, dass die Strafverfolgungsbehörde wegen des besonderen öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung ein Einschreiten von Amts wegen für geboten hält. (4) In den Fällen der Absätze 1 und 2 kann das Gericht von Strafe nach diesen Vorschriften absehen, wenn bei Berücksichtigung des Verhaltens der Person, gegen die sich die Tat richtet, das Unrecht der Tat gering ist. Verletzung von Privatgeheimnissen (StGB) § 203 Verletzung von Privatgeheimnissen (1) Wer unbefugt ein fremdes Geheimnis, namentlich ein zum persönlichen Lebensbereich gehörendes Geheimnis oder ein Betriebs- oder Geschäftsgeheimnis, offenbart, das ihm als 1. Arzt, Zahnarzt, Tierarzt, Apotheker oder Angehörigen eines anderen Heilberufs, der für die 123 Berufsausübung oder die Führung der Berufsbezeichnung eine staatlich geregelte Ausbildung erfordert, 2. Berufspsychologen mit staatlich anerkannter wissenschaftlicher Abschlussprüfung, 3. Rechtsanwalt, Patentanwalt, Notar, Verteidiger in einem gesetzlich geordneten Verfahren, Wirtschaftsprüfer, vereidigtem Buchprüfer, Steuerberater, Steuerbevollmächtigten oder Organ oder Mitglied eines Organs einer Rechtsanwalts-, Patentanwalts-, Wirtschaftsprüfungs-, Buchprüfungs- oder Steuerberatungsgesellschaft, 4. Ehe-, Familien-, Erziehungs- oder Jugendberater sowie Berater für Suchtfragen in einer Beratungsstelle, die von einer Behörde oder Körperschaft, Anstalt oder Stiftung des öffentlichen Rechts anerkannt ist. 4a. Mitglied oder Beauftragten einer anerkannten Beratungsstelle nach den §§ 3 und 8 des Schwangerschaftskonfliktgesetzes, 5. staatlich anerkanntem Sozialarbeiter oder staatlich anerkanntem Sozialpädagogen oder 6. Angehörigen eines Unternehmens der privaten Kranken-, Unfall- oder Lebensversicherung oder einer privatärztlichen Verrechnungsstelle anvertraut worden oder sonst bekanntgeworden ist, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft. (2) Ebenso wird bestraft, wer unbefugt ein fremdes Geheimnis, namentlich ein zum persönlichen Lebensbereich gehörendes Geheimnis oder ein Betriebs- oder Geschäftsgeheimnis, offenbart, das ihm als 1. Amtsträger, 2. für den öffentlichen Dienst besonders Verpflichteten, 3. Person, die Aufgaben oder Befugnisse nach dem Personalvertretungsrecht wahrnimmt, 4. Mitglied eines für ein Gesetzgebungsorgan des Bundes oder eines Landes tätigen Untersuchungsausschusses, sonstigen Ausschusses oder Rates, das nicht selbst Mitglied des Gesetzgebungsorgans ist, oder als Hilfskraft eines solchen Ausschusses oder Rates, 5. öffentlich bestelltem Sachverständigen, der auf die gewissenhafte Erfüllung seiner Obliegenheiten auf Grund eines Gesetzes förmlich verpflichtet worden ist, oder 6. Person, die auf die gewissenhafte Erfüllung ihrer Geheimhaltungspflicht bei der Durchführung wissenschaftlicher Forschungsvorhaben auf Grund eines Gesetzes förmlich verpflichtet worden ist, anvertraut worden oder sonst bekanntgeworden ist. Einem Geheimnis im Sinne des Satzes 1 stehen Einzelangaben über persönliche oder sachliche Verhältnisse eines anderen gleich, die für Aufgaben der öffentlichen Verwaltung erfasst worden sind; Satz 1 ist jedoch nicht anzuwenden, soweit solche Einzelangaben anderen Behörden oder sonstigen Stellen für Aufgaben der öffentlichen Verwaltung bekanntgegeben werden und das Gesetz dies nicht untersagt. (3) Einem in Absatz 1 Nr. 3 genannten Rechtsanwalt stehen andere Mitglieder einer Rechtsanwaltskammer gleich. Den in Absatz 1 und Satz 1 Genannten stehen ihre berufsmäßig 124 tätigen Gehilfen und die Personen gleich, die bei ihnen zur Vorbereitung auf den Beruf tätig sind. Den in Absatz 1 und den in Satz 1 und 2 Genannten steht nach dem Tod des zur Wahrung des Geheimnisses Verpflichteten ferner gleich, wer das Geheimnis von dem Verstorbenen oder aus dessen Nachlass erlangt hat. (4) Die Absätze 1 bis 3 sind auch anzuwenden, wenn der Täter das fremde Geheimnis nach dem Tod des Betroffenen unbefugt offenbart. (5) Handelt der Täter gegen Entgelt oder in der Absicht, sich oder einen anderen zu bereichern oder einen anderen zu schädigen, so ist die Strafe Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder Geldstrafe. Straftaten gegen das Leben (StGB) § 211 Mord (1) Der Mörder wird mit lebenslanger Freiheitsstrafe bestraft. (2) Mörder ist, wer aus Mordlust, zur Befriedigung des Geschlechtstriebs, aus Habgier oder sonst aus niedrigen Beweggründen, heimtückisch oder grausam oder mit gemeingefährlichen Mitteln oder um eine andere Straftat zu ermöglichen oder zu verdecken, einen Menschen tötet. § 212 Totschlag (1) Wer einen Menschen tötet, ohne Mörder zu sein, wird als Totschläger mit Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren bestraft. (2) In besonders schweren Fällen ist auf lebenslange Freiheitsstrafe zu erkennen. § 213 Minder schwerer Fall des Totschlags War der Totschläger ohne eigene Schuld durch eine ihm oder einem Angehörigen zugefügte Misshandlung oder schwere Beleidigung von dem getöteten Menschen zum Zorn gereizt und hierdurch auf der Stelle zur Tat hingerissen worden oder liegt sonst ein minder schwerer Fall vor, so ist die Strafe Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren. 125 § 216 Tötung auf Verlangen (1) Ist jemand durch das ausdrückliche und ernstliche Verlangen des Getöteten zur Tötung bestimmt worden, so ist auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren zu erkennen. (2) Der Versuch ist strafbar. § 218 Schwangerschaftsabbruch (1) Wer eine Schwangerschaft abbricht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. Handlungen, deren Wirkung vor Abschluss der Einnistung des befruchteten Eies in der Gebärmutter eintritt, gelten nicht als Schwangerschaftsabbruch im Sinne dieses Gesetzes. (2) In besonders schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn der Täter 1. gegen den Willen der Schwangeren handelt oder 2. leichtfertig die Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung der Schwangeren verursacht. (3) Begeht die Schwangere die Tat, so ist die Strafe Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe. (4) Der Versuch ist strafbar. Die Schwangere wird nicht wegen Versuchs bestraft. § 218a Straflosigkeit des Schwangerschaftsabbruchs (1) Der Tatbestand des § 218 ist nicht verwirklicht, wenn 1. die Schwangere den Schwangerschaftsabbruch verlangt und dem Arzt durch eine Bescheinigung nach § 219 Abs. 2 Satz 2 nachgewiesen hat, dass sie sich mindestens drei Tage vor dem Eingriff hat beraten lassen, 2. der Schwangerschaftsabbruch von einem Arzt vorgenommen wird und 3. seit der Empfängnis nicht mehr als zwölf Wochen vergangen sind. (2) Der mit Einwilligung der Schwangeren von einem Arzt vorgenommene Schwangerschaftsabbruch ist nicht rechtswidrig, wenn der Abbruch der Schwangerschaft unter Berücksichtigung der gegenwärtigen und zukünftigen Lebensverhältnisse der Schwangeren nach ärztlicher Erkenntnis angezeigt ist, um eine Gefahr für das Leben oder die Gefahr einer schwerwiegenden Beeinträchtigung des körperlichen oder seelischen Gesundheitszustandes der Schwangeren abzuwenden, und die Gefahr nicht auf eine andere für sie zumutbare Weise 126 abgewendet werden kann. (3) Die Voraussetzungen des Absatzes 2 gelten bei einem Schwangerschaftsabbruch, der mit Einwilligung der Schwangeren von einem Arzt vorgenommen wird, auch als erfüllt, wenn ärztlicher Erkenntnis an der Schwangeren eine rechtswidrige Tat nach den §§ 176 bis 179 des Strafgesetzbuches begangen worden ist, dringende Gründe für die Annahme sprechen, dass die Schwangerschaft auf der Tat beruht, und seit der Empfängnis nicht mehr als zwölf Wochen vergangen sind. (4) Die Schwangere ist nicht nach § 218 strafbar, wenn der Schwangerschaftsabbruch nach Beratung (§ 219) von einem Arzt vorgenommen worden ist und seit der Empfängnis nicht mehr als zweiundzwanzig Wochen verstrichen sind. Das Gericht kann von Strafe nach § 218 absehen, wenn die Schwangere sich zur Zeit des Eingriffs in besonderer Bedrängnis befunden hat. § 218b Schwangerschaftsabbruch ohne ärztliche Feststellung, unrichtige ärztliche Feststellung (1) Wer in den Fällen des § 218a Abs. 2 oder 3 eine Schwangerschaft abbricht, ohne dass ihm die schriftliche Feststellung eines Arztes, der nicht selbst den Schwangerschaftsabbruch vornimmt, darüber vorgelegen hat, ob die Voraussetzungen des § 218a Abs. 2 oder 3 gegeben sind, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft, wenn die Tat nicht in § 218 mit Strafe bedroht ist. Wer als Arzt wider besseres Wissen eine unrichtige Feststellung über die Voraussetzungen des § 218a Abs. 2 oder 3 zur Vorlage nach Satz 1 trifft, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft, wenn die Tat nicht in § 218 mit Strafe bedroht ist. Die Schwangere ist nicht nach Satz 1 oder 2 strafbar. (2) Ein Arzt darf Feststellungen nach § 218a Abs. 2 oder 3 nicht treffen, wenn ihm die zuständige Stelle dies untersagt hat, weil er wegen einer rechtswidrigen Tat nach Absatz 1, den §§ 218, 219a oder 219b oder wegen einer anderen rechtswidrigen Tat, die er im Zusammenhang mit einem Schwangerschaftsabbruch begangen hat, rechtskräftig verurteilt worden ist. Die zuständige Stelle kann einem Arzt vorläufig untersagen, Feststellungen nach § 218a Abs. 2 und 3 zu treffen, wenn gegen ihn wegen des Verdachts einer der in Satz 1 bezeichneten rechtswidrigen Taten das Hauptverfahren eröffnet worden ist. § 218c Ärztliche Pflichtverletzung bei einem Schwangerschaftsabbruch (1) Wer eine Schwangerschaft abbricht, 1. ohne der Frau Gelegenheit gegeben zu haben, ihm die Gründe für ihr Verlangen nach Abbruch der Schwangerschaft darzulegen, 2. ohne die Schwangere über die Bedeutung des Eingriffs, insbesondere über Ablauf, Folgen, Risiken, mögliche physische und psychische Auswirkungen ärztlich beraten zu haben, 3. ohne sich zuvor in den Fällen des § 218a Abs. 1 und 3 auf Grund ärztlicher Untersuchung von 127 der Dauer der Schwangerschaft überzeugt zu haben oder 4. obwohl er die Frau in einem Fall des § 218a Abs. 1 nach § 219 beraten hat, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft, wenn die Tat nicht in § 218 mit Strafe bedroht ist. (2) Die Schwangere ist nicht nach Absatz 1 strafbar. § 219 Beratung der Schwangeren in einer Not- und Konfliktlage (1) Die Beratung dient dem Schutz des ungeborenen Lebens. Sie hat sich von dem Bemühen leiten zu lassen, die Frau zur Fortsetzung der Schwangerschaft zu ermutigen und ihr Perspektiven für ein Leben mit dem Kind zu eröffnen; sie soll ihr helfen, eine verantwortliche und gewissenhafte Entscheidung zu treffen. Dabei muss der Frau bewusst sein, dass das Ungeborene in jedem Stadium der Schwangerschaft auch ihr gegenüber ein eigenes Recht auf Leben hat und dass deshalb nach der Rechtsordnung ein Schwangerschaftsabbruch nur in Ausnahmesituationen in Betracht kommen kann, wenn der Frau durch das Austragen des Kindes eine Belastung erwächst, die so schwer und außergewöhnlich ist, dass sie die zumutbare Opfergrenze übersteigt. Die Beratung soll durch Rat und Hilfe dazu beitragen, die in Zusammenhang mit der Schwangerschaft bestehende Konfliktlage zu bewältigen und einer Notlage abzuhelfen. Das Nähere regelt das Schwangerschaftskonfliktgesetz. (2) Die Beratung hat nach dem Schwangerschaftskonfliktgesetz durch eine anerkannte Schwangerschaftskonfliktberatungsstelle zu erfolgen. Die Beratungsstelle hat der Schwangeren nach Abschluss der Beratung hierüber eine mit dem Datum des letzten Beratungsgesprächs und dem Namen der Schwangeren versehene Bescheinigung nach Maßgabe des Schwangerschaftskonfliktgesetzes auszustellen. Der Arzt, der den Abbruch der Schwangerschaft vornimmt, ist als Berater ausgeschlossen. § 219a Werbung für den Abbruch der Schwangerschaft (1) Wer öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften (§ 11 Abs. 3) seines Vermögensvorteils wegen oder in grob anstößiger Weise 1. eigene oder fremde Dienste zur Vornahme oder Förderung eines Schwangerschaftsabbruchs oder 2. Mittel, Gegenstände oder Verfahren, die zum Abbruch der Schwangerschaft geeignet sind, unter Hinweis auf diese Eignung anbietet, ankündigt, anpreist oder Erklärungen solchen Inhalts bekannt gibt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (2) Absatz 1 Nr. 1 gilt nicht, wenn Ärzte oder auf Grund Gesetzes anerkannte Beratungsstellen 128 darüber unterrichtet werden, welche Ärzte, Krankenhäuser oder Einrichtungen bereit sind, einen Schwangerschaftsabbruch unter den Voraussetzungen des § 218a Abs. 1 bis 3 vorzunehmen. (3) Absatz 1 Nr. 2 gilt nicht, wenn die Tat gegenüber Ärzten oder Personen, die zum Handel mit den in Absatz 1 Nr. 2 erwähnten Mitteln oder Gegenständen befugt sind, oder durch eine Veröffentlichung in ärztlichen oder pharmazeutischen Fachblättern begangen wird. § 219b Inverkehrbringen von Mitteln zum Abbruch der Schwangerschaft (1) Wer in der Absicht, rechtswidrige Taten nach § 218 zu fördern, Mittel oder Gegenstände, die zum Schwangerschaftsabbruch geeignet sind, in den Verkehr bringt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (2) Die Teilnahme der Frau, die den Abbruch ihrer Schwangerschaft vorbereitet, ist nicht nach Absatz 1 strafbar. (3) Mittel oder Gegenstände, auf die sich die Tat bezieht, können eingezogen werden. § 221 Aussetzung (1) Wer einen Menschen 1. in eine hilflose Lage versetzt oder 2. in einer hilflosen Lage im Stich lässt, obwohl er ihn in seiner Obhut hat oder ihm sonst beizustehen verpflichtet ist, und ihn dadurch der Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung aussetzt, wird mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft. (2) Auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren ist zu erkennen, wenn der Täter 1. die Tat gegen sein Kind oder eine Person begeht, die ihm zur Erziehung oder zur Betreuung in der Lebensführung anvertraut ist, oder 2. durch die Tat eine schwere Gesundheitsschädigung des Opfers verursacht. (3) Verursacht der Täter durch die Tat den Tod des Opfers, so ist die Strafe Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren. (4) In minder schweren Fällen des Absatzes 2 ist auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf 129 Jahren, in minder schweren Fällen des Absatzes 3 auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren zu erkennen. § 222 Fahrlässige Tötung Wer durch Fahrlässigkeit den Tod eines Menschen verursacht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. Straftaten gegen die körperliche Unversehrtheit (StGB) § 223 Körperverletzung (1) Wer eine andere Person körperlich misshandelt oder an der Gesundheit schädigt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (2) Der Versuch ist strafbar. § 224 Gefährliche Körperverletzung (1) Wer die Körperverletzung 1. durch Beibringung von Gift oder anderen gesundheitsschädlichen Stoffen, 2. mittels einer Waffe oder eines anderen gefährlichen Werkzeugs, 3. mittels eines hinterlistigen Überfalls, 4. mit einem anderen Beteiligten gemeinschaftlich oder 5. mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung begeht, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren, in minder schweren Fällen mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft. (2) Der Versuch ist strafbar. § 225 Misshandlung von Schutzbefohlenen (1) Wer eine Person unter achtzehn Jahren oder eine wegen Gebrechlichkeit oder Krankheit 130 wehrlose Person, die 1. seiner Fürsorge oder Obhut untersteht, 2. seinem Hausstand angehört, 3. von dem Fürsorgepflichtigen seiner Gewalt überlassen worden oder 4. ihm im Rahmen eines Dienst- oder Arbeitsverhältnisses untergeordnet ist, quält oder roh misshandelt, oder wer durch böswillige Vernachlässigung seiner Pflicht, für sie zu sorgen, sie an der Gesundheit schädigt, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren bestraft. (2) Der Versuch ist strafbar. (3) Auf Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr ist zu erkennen, wenn der Täter die schutzbefohlene Person durch die Tat in die Gefahr 1. des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung oder 2. einer erheblichen Schädigung der körperlichen oder seelischen Entwicklung bringt. (4) In minder schweren Fällen des Absatzes 1 ist auf Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren, in minder schweren Fällen des Absatzes 3 auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren zu erkennen. § 226 Schwere Körperverletzung (1) Hat die Körperverletzung zur Folge, dass die verletzte Person 1. das Sehvermögen auf einem Auge oder beiden Augen, das Gehör, das Sprechvermögen oder die Fortpflanzungsfähigkeit verliert, 2. ein wichtiges Glied des Körpers verliert oder dauernd nicht mehr gebrauchen kann oder 3. in erheblicher Weise dauernd entstellt wird oder in Siechtum, Lähmung oder geistige Krankheit oder Behinderung verfällt, so ist die Strafe Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren. (2) Verursacht der Täter eine der in Absatz 1 bezeichneten Folgen absichtlich oder wissentlich, so ist die Strafe Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren. (3) In minder schweren Fällen des Absatzes 1 ist auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren, in minder schweren Fällen des Absatzes 2 auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn 131 Jahren zu erkennen. § 227 Körperverletzung mit Todesfolge (1) Verursacht der Täter durch die Körperverletzung (§§ 223 bis 226) den Tod der verletzten Person, so ist die Strafe Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren. (2) In minder schweren Fällen ist auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren zu erkennen. § 228 Einwilligung Wer eine Körperverletzung mit Einwilligung der verletzten Person vornimmt, handelt nur dann rechtswidrig, wenn die Tat trotz der Einwilligung gegen die guten Sitten verstößt. § 229 Fahrlässige Körperverletzung Wer durch Fahrlässigkeit die Körperverletzung einer anderen Person verursacht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. § 230 Strafantrag (1) Die vorsätzliche Körperverletzung nach § 223 und die fahrlässige Körperverletzung nach § 229 werden nur auf Antrag verfolgt, es sei denn, dass die Strafverfolgungsbehörde wegen des besonderen öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung ein Einschreiten von Amts wegen für geboten hält. Stirbt die verletzte Person, so geht bei vorsätzlicher Körperverletzung das Antragsrecht nach § 77 Abs. 2 auf die Angehörigen über. (2) Ist die Tat gegen einen Amtsträger, einen für den öffentlichen Dienst besonders Verpflichteten oder einen Soldaten der Bundeswehr während der Ausübung seines Dienstes oder in Beziehung auf seinen Dienst begangen, so wird sie auch auf Antrag des Dienstvorgesetzten verfolgt. Dasselbe gilt für Träger von Ämtern der Kirchen und anderen Religionsgesellschaften des öffentlichen Rechts. § 231 Beteiligung an einer Schlägerei (1) Wer sich an einer Schlägerei oder an einem von mehreren verübten Angriff beteiligt, wird schon 132 wegen dieser Beteiligung mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft, wenn durch die Schlägerei oder den Angriff der Tod eines Menschen oder eine schwere Körperverletzung (§ 226) verursacht worden ist. (2) Nach Absatz 1 ist nicht strafbar, wer an der Schlägerei oder dem Angriff beteiligt war, ohne dass ihm dies vorzuwerfen ist. Gemeingefährliche Straftaten (StGB) § 315c Gefährdung des Straßenverkehrs (1) Wer im Straßenverkehr 1. ein Fahrzeug führt, obwohl er a) infolge des Genusses alkoholischer Getränke oder anderer berauschender Mittel oder b) infolge geistiger oder körperlicher Mängel nicht in der Lage ist, das Fahrzeug sicher zu führen, oder 2. grob verkehrswidrig und rücksichtslos a) die Vorfahrt nicht beachtet, b) falsch überholt oder sonst bei Überholvorgängen falsch fährt, c) an Fußgängerüberwegen falsch fährt, d) an unübersichtlichen Stellen, an Straßenkreuzungen, Straßeneinmündungen oder Bahnübergängen zu schnell fährt, e) an unübersichtlichen Stellen nicht die rechte Seite der Fahrbahn einhält, f) auf Autobahnen oder Kraftfahrstraßen wendet, rückwärts oder entgegen der Fahrtrichtung fährt oder dies versucht oder g) haltende oder liegengebliebene Fahrzeuge nicht auf ausreichende Entfernung kenntlich macht, obwohl das zur Sicherung des Verkehrs erforderlich ist, und dadurch Leib oder Leben eines anderen Menschen oder fremde Sachen von bedeutendem Wert gefährdet, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (2) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 1 ist der Versuch strafbar. 133 (3) Wer in den Fällen des Absatzes 1 1. die Gefahr fahrlässig verursacht oder 2. fahrlässig handelt und die Gefahr fahrlässig verursacht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. § 316 Trunkenheit im Verkehr (1) Wer im Verkehr (§§ 315 bis 315d) ein Fahrzeug führt, obwohl er infolge des Genusses alkoholischer Getränke oder anderer berauschender Mittel nicht in der Lage ist, das Fahrzeug sicher zu führen, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft, wenn die Tat nicht in § 315a oder § 315c mit Strafe bedroht ist. (2) Nach Absatz 1 wird auch bestraft, wer die Tat fahrlässig begeht. Schadensersatz (BGB) § 249 Art und Umfang des Schadensersatzes (1) Wer zum Schadensersatz verpflichtet ist, hat den Zustand herzustellen, der bestehen würde, wenn der zum Ersatz verpflichtende Umstand nicht eingetreten wäre. (2) Ist wegen Verletzung einer Person oder wegen Beschädigung einer Sache Schadensersatz zu leisten, so kann der Gläubiger statt der Herstellung den dazu erforderlichen Geldbetrag verlangen. Bei der Beschädigung einer Sache schließt der nach Satz 1 erforderliche Geldbetrag die Umsatzsteuer nur mit ein, wenn und soweit sie tatsächlich angefallen ist. Behandlungsvertrag (BGB) § 611 Vertragstypische Pflichten beim Dienstvertrag (1) Durch den Dienstvertrag wird derjenige, welcher Dienste zusagt, zur Leistung der versprochenen Dienste, der andere Teil zur Gewährung der vereinbarten Vergütung verpflichtet. (2) Gegenstand des Dienstvertrags können Dienste jeder Art sein. Schadensersetzpflicht (BGB) § 823 Schadensersatzpflicht 134 (1) Wer vorsätzlich oder fahrlässig das Leben, den Körper, die Gesundheit, die Freiheit, das Eigentum oder ein sonstiges Recht eines anderen widerrechtlich verletzt, ist dem anderen zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet. (2) Die gleiche Verpflichtung trifft denjenigen, welcher gegen ein den Schutz eines anderen bezweckendes Gesetz verstößt. Ist nach dem Inhalt des Gesetzes ein Verstoß gegen dieses auch ohne Verschulden möglich, so tritt die Ersatzpflicht nur im Falle des Verschuldens ein. Schweigepflicht (BOÄ) §9 Schweigepflicht (1) Ärztinnen und Ärzte haben über das, was ihnen in ihrer ärztlichen Eigenschaft anvertraut oder bekannt geworden ist – auch über den Tod der Patientin bzw. des Patienten hinaus – zu schweigen. Dazu gehören auch schriftliche Mitteilungen der Patientin bzw. des Patienten, ärztliche Aufzeichnungen, Röntgenaufnahmen und sonstige Untersuchungsbefunde. (2) Ärztinnen und Ärzte sind zur Offenbarung befugt, soweit sie von der Schweigepflicht entbunden worden sind oder soweit die Offenbarung zum Schutze eines höherwertigen Rechtsgutes erforderlich ist. Gesetzliche Aussage- und Anzeigepflichten bleiben unberührt. Soweit gesetzliche Vorschriften die ärztliche Schweigepflicht einschränken, soll die Patientin oder der Patient darüber unterrichtet werden. (3) Ärztinnen und Ärzte haben ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und die Personen, die zur Vorbereitung auf den Beruf an der ärztlichen Tätigkeit teilnehmen, über die gesetzliche Pflicht zur Verschwiegenheit zu belehren und dies schriftlich festzuhalten. (4) Wenn mehrere Ärztinnen und Ärzte gleichzeitig oder nacheinander dieselbe Patientin oder denselben Patienten untersuchen oder behandeln, sind sie untereinander von der Schweigepflicht insoweit befreit, als deren Einverständnis vorliegt oder anzunehmen ist. Infektionsschutz (IfSG) §6 Meldepflichtige Krankheiten 1. der Krankheitsverdacht, die Erkrankung sowie der Tod an a) Botulismus b) Cholera c) Diphtherie d) humaner spongiformer Enzephalopathie, außer familiär-hereditärer Formen e) akuter Virushepatitis f) enteropathischem hämolytisch-urämischem Syndrom (HUS) g) virusbedingtem hämorrhagischen Fieber h) Masern i) Meningokokken-Meningitis oder -Sepsis j) Milzbrand k) Poliomyelitis (als Verdacht gilt jede akute schlaffe Lähmung, außer wenn traumatisch bedingt) 135 l) Pest m) Tollwut n) Typhus abdominalis/Paratyphus sowie die Erkrankung und der Tod an einer behandlungsbedürftigen Tuberkulose, auch wenn ein bakteriologischer Nachweis nicht vorliegt, 2. der Verdacht auf und die Erkrankung an einer mikrobiell bedingten Lebensmittelvergiftung oder an einer akuten infektiösen Gastroenteritis, wenn a) eine Person betroffen ist, die eine Tätigkeit im Sinne des § 42 Abs. 1 ausübt, b) zwei oder mehr gleichartige Erkrankungen auftreten, bei denen ein epidemischer Zusammenhang wahrscheinlich ist oder vermutet wird, 3. der Verdacht einer über das übliche Ausmaß einer Impfreaktion hinausgehenden gesundheitlichen Schädigung, 4. die Verletzung eines Menschen durch ein tollwutkrankes, -verdächtiges oder ansteckungsverdächtiges Tier sowie die Berührung eines solchen Tieres oder Tierkörpers, 5. soweit nicht nach den Nummern 1 bis 4 meldepflichtig, das Auftreten a) einer bedrohlichen Krankheit oder b) von zwei oder mehr gleichartigen Erkrankungen, bei denen ein epidemischer Zusammenhang wahrscheinlich ist oder vermutet wird, wenn dies auf eine schwerwiegende Gefahr für die Allgemeinheit hinweist und Krankheitserreger als Ursache in Betracht kommen, die nicht in § 7 genannt sind. Die Meldung nach Satz 1 hat gemäß § 8 Abs. 1 Nr. 1, 3 bis 8, § 9 Abs. 1, 2, 3 Satz 1 oder 3 oder Abs. 4 zu erfolgen. (2) Dem Gesundheitsamt ist über die Meldung nach Absatz 1 Nr. 1 hinaus mitzuteilen, wenn Personen, die an einer behandlungsbedürftigen Lungentuberkulose leiden, eine Behandlung verweigern oder abbrechen. Die Meldung nach Satz 1 hat gemäß § 8 Abs. 1 Nr. 1, § 9 Abs. 1 und 3 Satz 1 oder 3 zu erfolgen. (3) Dem Gesundheitsamt ist unverzüglich das gehäufte Auftreten nosokomialer Infektionen, bei denen ein epidemischer Zusammenhang wahrscheinlich ist oder vermutet wird, als Ausbruch nichtnamentlich zu melden. Die Meldung nach Satz 1 hat gemäß § 8 Abs. 1 Nr. 1, 3 und 5, § 10 Abs. 1 Satz 3, Abs. 3 und 4 Satz 3 zu erfolgen. Desweiteren sind die folgenden Nachweise von Krankheitserregern meldepflichtig (§7): (1) Namentlich ist bei folgenden Krankheitserregern, soweit nicht anders bestimmt, der direkte oder indirekte Nachweis zu melden, soweit die Nachweise auf eine akute Infektion hinweisen: 1. Adenoviren; Meldepflicht nur für den direkten Nachweis im Konjunktivalabstrich 2. Bacillus anthracis 3. Borrelia recurrentis 4. Brucella sp. 5. Campylobacter sp., darmpathogen 6. Chlamydia psittaci 7. Clostridium botulinum oder Toxinnachweis 8. Corynebacterium diphtheriae, Toxin bildend 9. Coxiella burnetii 10. Cryptosporidium parvum 11. Ebolavirus 12 a) Escherichia coli, enterohämorrhagische Stämme (EHEC) b) Escherichia coli, sonstige darmpathogene Stämme 13. Francisella tularensis 14. FSME-Virus 15. Gelbfiebervirus 16. Giardia lamblia 17. Haemophilus influenzae; Meldepflicht nur für den direkten Nachweis aus Liquor oder Blut 18. Hantaviren 19. Hepatitis-A-Virus 20. Hepatitis-B-Virus 136 21. Hepatitis-C-Virus; Meldepflicht für alle Nachweise, soweit nicht bekannt ist, dass eine chronische Infektion vorliegt 22. Hepatitis-D-Virus 23. Hepatitis-E-Virus 24. Influenzaviren; Meldepflicht nur für den direkten Nachweis 25. Lassavirus 26. Legionella sp. 27. Leptospira interrogans 28. Listeria monocytogenes; Meldepflicht nur für den direkten Nachweis aus Blut, Liquor oder anderen normalerweise sterilen Substraten sowie aus Abstrichen von Neugeborenen 29. Marburgvirus 30. Masernvirus 31. Mycobacterium leprae 32. Mycobacterium tuberculosis/africanum, Mycobacterium bovis; Meldepflicht für den direkten Erregernachweis sowie nachfolgend für das Ergebnis der Resistenzbestimmung; vorab auch für den Nachweis säurefester Stäbchen im Sputum 33. Neisseria meningitidis; Meldepflicht nur für den direkten Nachweis aus Liquor, Blut, hämorrhagischen Hautinfiltraten oder anderen normalerweise sterilen Substraten 34. Norwalk-ähnliches Virus; Meldepflicht nur für den direkten Nachweis aus Stuhl 35. Poliovirus 36. Rabiesvirus 37. Rickettsia prowazekii 38. Rotavirus 39. Salmonella Paratyphi; Meldepflicht für alle direkten Nachweise 40. Salmonella Typhi; Meldepflicht für alle direkten Nachweise 41. Salmonella, sonstige 42. Shigella sp. 43. Trichinella spiralis 44. Vibrio cholerae O 1 und O 139 45. Yersinia enterocolitica, darmpathogen 46. Yersinia pestis 47. andere Erreger hämorrhagischer Fieber. Die Meldung nach Satz 1 hat gemäß § 8 Abs. 1 Nr. 2, 3, 4 und Abs. 4, § 9 Abs. 1, 2, 3 Satz 1 oder 3 zu erfolgen. (2) Namentlich sind in dieser Vorschrift nicht genannte Krankheitserreger zu melden, soweit deren örtliche und zeitliche Häufung auf eine schwerwiegende Gefahr für die Allgemeinheit hinweist. Die Meldung nach Satz 1 hat gemäß § 8 Abs. 1 Nr. 2, 3 und Abs. 4, § 9 Abs. 2, 3 Satz 1 oder 3 zu erfolgen. (3) Nichtnamentlich ist bei folgenden Krankheitserregern der direkte oder indirekte Nachweis zu melden: 1. Treponema pallidum 2. HIV 3. Echinococcus sp. 4. Plasmodium sp. 5. Rubellavirus; Meldepflicht nur bei konnatalen Infektionen 6. Toxoplasma gondii; Meldepflicht nur bei konnatalen Infektionen. Die Meldung nach Satz 1 hat gemäß § 8 Abs. 1 Nr. 2, 3 und Abs. 4, § 10 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3, 4 Satz 1 zu erfolgen. Zur Meldepflicht ergeben sich die folgenden Punkte (§8): (1) Zur Meldung oder Mitteilung sind verpflichtet: 1. im Falle des § 6 der feststellende Arzt; in Krankenhäusern oder anderen Einrichtungen der stationären Pflege ist für die Einhaltung der Meldepflicht neben dem feststellenden Arzt auch der leitende Arzt, in Krankenhäusern mit mehreren selbständigen Abteilungen der leitende Abteilungsarzt, in Einrichtungen ohne leitenden Arzt der behandelnde Arzt verantwortlich, 2. im Falle des § 7 die Leiter von Medizinaluntersuchungsämtern und sonstigen privaten oder öffentlichen Untersuchungsstellen einschließlich der Krankenhauslaboratorien, 3. im Falle der §§ 6 und 7 die Leiter von Einrichtungen der pathologisch-anatomischen Diagnostik, wenn ein Befund erhoben wird, der sicher oder mit hoher Wahrscheinlichkeit auf das Vorliegen einer 137 meldepflichtigen Erkrankung oder Infektion durch einen meldepflichtigen Krankheitserreger schließen lässt, 4. im Falle des § 6 Abs. 1 Nr. 4 und im Falle des § 7 Abs. 1 Nr. 36 bei Tieren, mit denen Menschen Kontakt gehabt haben, auch der Tierarzt, 5. im Falle des § 6 Abs. 1 Nr. 1, 2 und 5 und Absatz 3 Angehörige eines anderen Heil- oder Pflegeberufs, der für die Berufsausübung oder die Führung der Berufsbezeichnung eine staatlich geregelte Ausbildung oder Anerkennung erfordert, 6 im Falle des § 6 Abs.1 Nr. 1, 2 und 5 der verantwortliche Luftfahrzeugführer oder der Kapitän eines Seeschiffes, 7. im Falle des § 6 Abs. 1 Nr. 1, 2 und 5 die Leiter von Pflegeeinrichtungen, Justizvollzugsanstalten, Heimen, Lagern oder ähnlichen Einrichtungen, 8. im Falle des § 6 Abs. 1 der Heilpraktiker. (2) Die Meldepflicht besteht nicht für Personen des Not- und Rettungsdienstes, wenn der Patient unverzüglich in eine ärztlich geleitete Einrichtung gebracht wurde. Die Meldepflicht besteht für die in Absatz 1 Nr. 5 bis 7 bezeichneten Personen nur, wenn ein Arzt nicht hinzugezogen wurde. (3) Die Meldepflicht besteht nicht, wenn dem Meldepflichtigen ein Nachweis vorliegt, dass die Meldung bereits erfolgte und andere als die bereits gemeldeten Angaben nicht erhoben wurden. Satz 1 gilt auch für Erkrankungen, bei denen der Verdacht bereits gemeldet wurde. (4) Absatz 1 Nr. 2 gilt entsprechend für Personen, die die Untersuchung zum Nachweis von Krankheitserregern außerhalb des Geltungsbereichs dieses Gesetzes durchführen lassen. (5) Der Meldepflichtige hat dem Gesundheitsamt unverzüglich mitzuteilen, wenn sich eine Verdachtsmeldung nicht bestätigt hat. Bei der nichtnamentlichen Meldung ist folgendes zu beachten: (1) Die nichtnamentliche Meldung nach § 7 Abs. 3 muss folgende Angaben enthalten: 1. im Falle des § 7 Abs. 3 Nr. 2 eine fallbezogene Verschlüsselung gemäß Absatz 2 2. Geschlecht 3. Monat und Jahr der Geburt 4. erste drei Ziffern der Postleitzahl der Hauptwohnung 5. Untersuchungsbefund 6. Monat und Jahr der Diagnose 7. Art des Untersuchungsmaterials 8. Nachweismethode 9. wahrscheinlicher Infektionsweg, wahrscheinliches Infektionsrisiko 10. Land, in dem die Infektion wahrscheinlich erworben wurde 11. Name, Anschrift und Telefonnummer des Meldenden 12. bei Malaria Angaben zur Expositions- und Chemoprophylaxe. Der einsendende Arzt hat den Meldepflichtigen insbesondere bei den Angaben zu den Nummern 9, 10 und 12 zu unterstützen. Die nichtnamentliche Meldung nach § 6 Abs. 3 muss die Angaben nach den Nummern 5, 9 und 11 sowie Name und Anschrift der betroffenen Einrichtung enthalten. (2) Die fallbezogene Verschlüsselung besteht aus dem dritten Buchstaben des ersten Vornamens in Verbindung mit der Anzahl der Buchstaben des ersten Vornamens sowie dem dritten Buchstaben des ersten Nachnamens in Verbindung mit der Anzahl der Buchstaben des ersten Nachnamens. Bei Doppelnamen wird jeweils nur der erste Teil des Namens berücksichtigt; Umlaute werden in zwei Buchstaben dargestellt. Namenszusätze bleiben unberücksichtigt. (3) Bei den in § 8 Abs. 1 Nrn. 3 und 5 genannten Personen beschränkt sich der Umfang der Meldung auf die ihnen vorliegenden Angaben. (4) Die nichtnamentliche Meldung nach § 7 Abs. 3 muss innerhalb von 2 Wochen gegenüber dem Robert Koch-Institut erfolgen. Es ist ein vom Robert Koch-Institut erstelltes Formblatt oder ein geeigneter Datenträger zu verwenden. Für die nichtnamentliche Meldung nach § 6 Abs. 3 gilt § 9 Abs. 3 Satz 1 bis 3 entsprechend. (5) Die Angaben nach Absatz 2 und die Angaben zum Monat der Geburt dürfen vom Robert KochInstitut lediglich zu der Prüfung verarbeitet und genutzt werden, ob verschiedene Meldungen sich auf dieselbe Person beziehen. Sie sind zu löschen, sobald nicht mehr zu erwarten ist, dass die damit bewirkte Einschränkung der Prüfungen nach Satz 1 eine nicht unerhebliche Verfälschung der aus den Meldungen zu gewinnenden epidemiologischen Beurteilung bewirkt, jedoch spätestens nach zehn Jahren. 138 Bestattungsgesetz (BestG) A. Gesetz über das Friedhofs- und Bestattungswesen (Bestattungsgesetz - BestG NRW) Inhaltsübersicht Erster Abschnitt Friedhofswesen §1 §2 §3 §4 §5 §6 Friedhöfe Errichtung und Erweiterung eines Friedhofs Schließung und Entwidmung der Friedhöfe Satzungen Bestattungsbuch Zugang der Behörden Zweiter Abschnitt Bestattung §7 §8 §9 § 10 § 11 § 12 § 13 § 14 § 15 Totenwürde, Gesundheitsschutz Bestattungspflicht Leichenschau, Todesbescheinigung und Unterrichtung der Behörden Obduktion Totenkonservierung, Aufbewahrung Toter Bestattungsentscheidung Bestattungsunterlagen, Bestattungsfristen Erdbestattung, Ausgrabung Feuerbestattung Dritter Abschnitt Beförderung der Toten § 16 Beförderung § 17 Leichenpass Vierter Abschnitt Sonstige Vorschriften § 18 § 19 § 20 § 21 § 22 Verordnungsermächtigung Ordnungswidrigkeiten Aufhebungsvorschriften Überprüfung In-Kraft-Treten Anlage 1 Anlage 2 §1 Friedhöfe (1) Die Gemeinden gewährleisten, dass Tote (Leichen, Tot- und Fehlgeburten) auf einem Friedhof bestattet und ihre Aschenreste beigesetzt werden können. (2) Gemeinden und Religionsgemeinschaften, die Körperschaften des öffentlichen Rechts sind, dürfen Friedhöfe und Feuerbestattungsanlagen anlegen und unterhalten (Friedhofsträger). (3) Friedhöfe sollen mit Räumen ausgestattet sein, die für die Aufbewahrung Toter geeignet sind und ausschließlich hierfür genutzt werden (Leichenhallen). 139 (4) Friedhofsträger dürfen sich bei Errichtung und Betrieb ihrer Friedhöfe Dritter bedienen. Sie dürfen Errichtung und Betrieb der Friedhöfe, auf denen ausschließlich Totenasche im Wurzelbereich des Bewuchses beigesetzt wird, auch privaten Rechtsträgern (Übernehmern) übertragen; diese Beisetzungsstätten sind nur insoweit zulässig, als öffentlich-rechtliche Vorschriften oder öffentliche oder private Interessen nicht entgegenstehen, sie öffentlich zugänglich sind und die Nutzungsdauer grundbuchrechtlich gesichert ist; im Übrigen berechtigen und verpflichten die Vorschriften der §§ 2 und 3 auch den Übernehmer. (5) Errichtung und Betrieb seiner Feuerbestattungsanlage kann der Friedhofsträger mit Zustimmung der Genehmigungsbehörde nach § 2 Abs. 1 Satz 2 widerruflich einem Übernehmer übertragen. §2 Errichtung und Erweiterung eines Friedhofs (1) Die Errichtung und die Erweiterung der Friedhöfe der kreisangehörigen Gemeinden und der Religionsgemeinschaften im Sinne des § 1 Abs. 2 bedürfen der Genehmigung. Genehmigungsbehörde ist für Friedhöfe der Gemeinden der Kreis (Kreisordnungsbehörde) und für Friedhöfe der Religionsgemeinschaften die Bezirksregierung. Am Genehmigungsverfahren ist die untere Gesundheitsbehörde zu beteiligen. (2) Bei Friedhöfen der Religionsgemeinschaften hat die Genehmigungsbehörde das Benehmen mit der Gemeinde herzustellen. (3) Die Genehmigung ist zu erteilen, wenn der Friedhof den Erfordernissen des Wasserhaushaltsrechts und des Gesundheitsschutzes entspricht und ihr sonstige Vorschriften des öffentlichen Rechts nicht entgegenstehen. §3 Schließung und Entwidmung der Friedhöfe (1) Friedhöfe können ganz oder teilweise geschlossen werden. Die Träger haben die Schließungsabsicht unverzüglich der Genehmigungsbehörde und Religionsgemeinschaften auch der Gemeinde anzuzeigen. (2) Die völlige oder teilweise Entwidmung ist nur zulässig, wenn der Friedhofsträger für Grabstätten, deren Grabnutzungszeit noch nicht abgelaufen ist, gleichwertige Grabstätten angelegt und Umbettungen ohne Kosten für die Nutzungsberechtigten durchgeführt hat. §4 Satzungen (1) Die Friedhofsträger regeln durch Satzung Art, Umfang und Zeitraum der Nutzung und Gestaltung ihres Friedhofs und dessen Einrichtungen, insbesondere die Aufbewahrung der Toten und der Totenasche bis zur Bestattung, die Durchführung der Bestattung sowie die Höhe der Gebühren oder Entgelte für die Nutzung des Friedhofs und dessen Einrichtungen. Die Friedhofsträger können die Öffnungszeiten auch in anderer Weise bestimmen; in diesem Fall müssen diese am Friedhof ausgehängt werden. (2) Die Friedhofsträger legen für Erdbestattungen und für Aschenbeisetzungen gleich lange Grabnutzungszeiten fest, die zumindest die sich aus den Bodenverhältnissen ergebende Verwesungsdauer umfassen müssen. (3) Gebühren, die eine Religionsgemeinschaft für die Benutzung ihres Friedhofs und seiner Einrichtungen erhebt, können im Verwaltungszwangsverfahren beigetrieben werden, wenn die Satzung von der nach § 2 Abs. 1 Satz 2 zuständigen Behörde genehmigt worden ist. (4) Die Satzungen sind nach den für den Satzungsgeber geltenden Vorschriften öffentlich bekannt zu machen. §5 Bestattungsbuch (1) Die Gemeinden, die Bestattungen außerhalb eines Friedhofs nach § 14 Abs. 1 Satz 2 zugelassen haben, und die Träger von Friedhöfen und Feuerbestattungsanlagen sowie Übernehmer 140 sind verpflichtet, ein Bestattungsbuch zu führen. Es muss den Familien- und Vornamen, das Geburtsdatum und den Todestag der zu Bestattenden enthalten. Die vorgenannten Gemeinden und die Träger von Friedhöfen müssen auch den Tag der Bestattung einschließlich der genauen Bezeichnung der Grabstelle eintragen. Die Träger oder Übernehmer der Feuerbestattungsanlagen vermerken den Tag der Einäscherung, das Datum der Urnenaushändigung mit Namen und Adresse der Person, die die Urne übernommen hat, sowie die Angaben zum Verbleib der Totenasche. (2) Das Bestattungsbuch ist dreißig Kalenderjahre nach der letzten Eintragung und die zugehörigen Unterlagen sind zehn Kalenderjahre nach ihrem Ausstellungsdatum aufzubewahren. §6 Zugang der Behörden Friedhofsträger und Übernehmer haben den Beauftragten der zur Überwachung der Einhaltung der für Friedhöfe und Feuerbestattungsanlagen geltenden Rechtsvorschriften zuständigen Behörden Grundstücke, Räume und Sachen zugänglich zu machen sowie auf Verlangen die erforderlichen Auskünfte zu erteilen und die erforderlichen Unterlagen unverzüglich vorzulegen. Das Grundrecht der Unverletzlichkeit der Wohnung gemäß Artikel 13 des Grundgesetzes wird insoweit eingeschränkt. Zweiter Abschnitt Bestattung §7 Totenwürde, Gesundheitsschutz (1) Jede Frau und jeder Mann haben die Ehrfurcht vor den Toten zu wahren und die Totenwürde zu achten. (2) Soweit möglich, sind Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass Bestattungen unter Berücksichtigung des Empfindens der Bevölkerung und der Glaubensgemeinschaft, der die zu Bestattenden angehörten, vorgenommen werden können. (3) Es ist dafür zu sorgen, dass von Toten keine Gesundheitsgefahren ausgehen. Bestand zum Zeitpunkt des Todes eine meldepflichtige oder gefährliche übertragbare Krankheit oder besteht der Verdacht auf eine solche Erkrankung, so sind die Schutzvorkehrungen zu treffen, die bei der Leichenschau oder von der unteren Gesundheitsbehörde bestimmt werden. §8 Bestattungspflicht (1) Zur Bestattung verpflichtet sind in der nachstehenden Rangfolge Ehegatten, Lebenspartner, volljährige Kinder, Eltern, volljährige Geschwister, Großeltern und volljährige Enkelkinder (Hinterbliebene). Soweit diese ihrer Verpflichtung nicht oder nicht rechtzeitig nachkommen, hat die örtliche Ordnungsbehörde der Gemeinde, auf deren Gebiet der Tod eingetreten oder die oder der Tote gefunden worden ist, die Bestattung zu veranlassen. (2) Die Inhaber des Gewahrsams haben zu veranlassen, dass Leichenteile, Tot- oder Fehlgeburten sowie die aus Schwangerschaftsabbrüchen stammenden Leibesfrüchte, die nicht nach § 14 Abs. 2 bestattet werden, ohne Gesundheitsgefährdung und ohne Verletzung des sittlichen Empfindens der Bevölkerung verbrannt werden. §9 Leichenschau, Todesbescheinigung und Unterrichtung der Behörden (1) Die Hinterbliebenen sind verpflichtet, unverzüglich die Leichenschau zu veranlassen. Dies gilt auch bei Totgeburten. Hilfsweise haben diejenigen, in deren Räumen oder auf deren Grundstücken der Tod eingetreten oder die Leiche oder Totgeburt aufgefunden worden ist, unverzüglich sowohl die Leichenschau zu veranlassen als auch die Hinterbliebenen, ersatzweise die örtliche Ordnungsbehörde zu unterrichten. (2) Bei Sterbefällen in einer Anstalt, einem Krankenhaus, Pflegeheim oder einer vergleichbaren Einrichtung hat die Leitung die Durchführung der Leichenschau zu veranlassen. 141 (3) Ärztinnen und Ärzte sind verpflichtet, unverzüglich nach Erhalt der Todesanzeige die unbekleidete Leiche oder die Totgeburt persönlich zu besichtigen und sorgfältig zu untersuchen (Leichenschau) sowie die Todesbescheinigung auszustellen und auszuhändigen. Falls andere Ärztinnen und Ärzte für die Leichenschau nicht zur Verfügung stehen, ist sie von einer Ärztin oder einem Arzt der für den Sterbe- oder Auffindungsort zuständigen unteren Gesundheitsbehörde durchzuführen. Notärztinnen und Notärzte im öffentlichen Rettungsdienst sind während der Einsatzbereitschaft und während des Einsatzes, sobald sie den Tod festgestellt haben, weder zur Leichenschau noch zur Ausstellung der Todesbescheinigung verpflichtet; gesetzliche Unterrichtungspflichten bleiben unberührt, die Pflichten nach den Absätzen 5 und 6 gelten für sie entsprechend. Auf Verlangen der Ärztinnen und Ärzte, die die Leichenschau vorgenommen haben, sind die Angehörigen der Heilberufe, die die Verstorbenen oder die Mütter der Totgeburten behandelt haben, zur Auskunft über ihre Befunde verpflichtet. (4) Die Todesbescheinigung enthält im nichtvertraulichen Teil die Angaben zur Identifikation der Leiche oder Totgeburt einschließlich der bisherigen Anschrift, Zeitpunkt, Art, Ort des Todes, bei möglicher Gesundheitsgefährdung einen Warnhinweis und im vertraulichen Teil insbesondere Angaben zur Todesfeststellung, zur Todesursache sowie zu den weiteren Umständen des Todes. (5) Finden die Ärztinnen und Ärzte an den Verstorbenen Anhaltspunkte für einen Tod durch Selbsttötung, Unfall oder Einwirkung Dritter (nicht natürlichen Tod) oder deuten sonstige Umstände darauf hin, so brechen sie die Leichenschau ab, unterrichten unverzüglich die Polizeibehörde und sorgen dafür, dass bis zum Eintreffen der Polizei Veränderungen weder an Toten noch an deren Umgebung vorgenommen werden. (6) Kann die Identität Toter nicht festgestellt werden, ist nach Beendigung der Leichenschau durch diejenigen, die diese veranlasst haben, oder hilfsweise durch die Ärztin oder den Arzt unverzüglich die Polizeibehörde zu unterrichten. § 10 Obduktion (1) Tote dürfen, wenn sie zu Lebzeiten selbst, ihre gesetzliche Vertretung oder eine bevollmächtigte Person schriftlich eingewilligt haben, nach Ausstellung der Todesbescheinigung zur Klärung der Todesursache, zur Überprüfung der Diagnose oder Therapie oder zu einem sonstigen wissenschaftlichen Zweck obduziert werden. Die Obduktion umfasst auch die Entnahme von Organen und Gewebeteilen sowie deren Aufbewahrung. Die Einwilligung kann nach Aufklärung auch mit einer vorformulierten Erklärung erteilt werden. Die Krankenhausträger sind verpflichtet, anlässlich des Abschlusses eines Aufnahmevertrages nach der Einstellung zu einer Obduktion zu fragen. (2) Liegt weder eine schriftliche Einwilligung noch ein schriftlicher Widerspruch der Verstorbenen vor, finden § 3 Abs. 3 und § 4 des Transplantationsgesetzes vom 5. November 1997 (BGBl. I S. 2631) sinngemäß Anwendung. (3) Stellt die obduzierende Ärztin oder der obduzierende Arzt abweichend von der Todesbescheinigung Anhaltspunkte für einen nicht natürlichen Tod fest, ist nach § 9 Abs. 5 zu verfahren. (4) Ist die Untersuchung beendet, hat der Träger der untersuchenden Einrichtung unverzüglich die Bestattung zu veranlassen. Für Art und Ort der Bestattung gilt § 12. § 11 Totenkonservierung, Aufbewahrung Toter (1) Maßnahmen, bei denen den Toten Stoffe zugeführt werden, die die Verwesung verhindern oder verzögern, bedürfen der Genehmigung der örtlichen Ordnungsbehörde. (2) Tote sind spätestens 36 Stunden nach dem Tode, jedoch nicht vor Ausstellung der Todesbescheinigung, in eine Leichenhalle zu überführen. Auf Antrag von Hinterbliebenen kann die örtliche Ordnungsbehörde die Aufbewahrung Toter an einem anderen geeigneten Ort genehmigen, wenn ein ärztliches Zeugnis bescheinigt, dass hiergegen keine Bedenken bestehen. Dies gilt nicht für die Aufbewahrung Toter im Rahmen strafrechtlicher Ermittlungen. (3) Die Öffnung des Sarges bei der Trauerfeier oder beim Begräbnis bedarf der Genehmigung der örtlichen Ordnungsbehörde. Öffentliches Ausstellen Toter oder von Teilen bedarf der zu Lebzeiten 142 schriftlich erklärten Einwilligung der Ordnungsbehörde des Ausstellungsortes. Verstorbenen sowie der Genehmigung der § 12 Bestattungsentscheidung (1) Die Bestattung kann als Erdbestattung oder als Feuerbestattung vorgenommen werden. Art und Ort der Bestattung richten sich, soweit möglich, nach dem Willen der Verstorbenen, wenn sie das 14. Lebensjahr vollendet hatten und nicht geschäftsunfähig waren. (2) Ist keine derartige Willensbekundung bekannt, entscheiden die Hinterbliebenen in der Rangfolge des § 8 Abs. 1. Wenn die Gemeinde die Bestattung veranlasst, entscheidet sie; sie soll eine Willensbekundung nach Absatz 1 Satz 2 berücksichtigen. § 13 Bestattungsunterlagen, Bestattungsfristen (1) Die Bestattung der Leichen und Totgeburten ist erst zulässig, wenn die Todesbescheinigung ausgestellt ist und das Standesamt die Eintragung des Sterbefalles bescheinigt hat oder eine Genehmigung nach § 39 des Personenstandsgesetzes vorliegt oder wenn sie auf Anordnung der örtlichen Ordnungsbehörde des Sterbe- oder Auffindungsortes erfolgt. (2) Erdbestattungen dürfen frühestens achtundvierzig Stunden nach Eintritt des Todes vorgenommen werden. Die örtliche Ordnungsbehörde kann eine frühere Bestattung aus gesundheitlichen Gründen anordnen oder auf Antrag von Hinterbliebenen genehmigen, wenn durch ein besonderes, aufgrund eigener Wahrnehmung ausgestelltes Zeugnis einer Ärztin oder eines Arztes, die nicht die Leichenschau nach § 9 durchgeführt haben, bescheinigt ist, dass die Leiche die sicheren Merkmale des Todes aufweist oder die Verwesung ungewöhnlich fortgeschritten und jede Möglichkeit des Scheintodes ausgeschlossen ist. (3) Erdbestattungen müssen innerhalb von acht Tagen durchgeführt werden. Liegen innerhalb dieser Frist die Voraussetzungen des Absatzes 1 nicht vor, so hat die Bestattung unverzüglich nach deren Eintritt zu erfolgen. § 14 Erdbestattung, Ausgrabung (1) Leichen müssen auf einem Friedhof bestattet werden. Die örtliche Ordnungsbehörde kann eine Erdbestattung außerhalb eines Friedhofs mit Zustimmung der unteren Gesundheitsbehörde in besonderen Fällen genehmigen. (2) Tot- und Fehlgeburten sowie die aus einem Schwangerschaftsabbruch stammende Leibesfrucht sind auf einem Friedhof zu bestatten, wenn ein Elternteil dies wünscht. Ist die Geburt oder der Schwangerschaftsabbruch in einer Einrichtung erfolgt, hat deren Träger sicherzustellen, dass jedenfalls ein Elternteil auf diese Bestattungsmöglichkeit hingewiesen wird. Liegt keine Erklärung der Eltern zur Bestattung vor, sind Tot- und Fehlgeburten von den Einrichtungen unter würdigen Bedingungen zu sammeln und zu bestatten. Die Kosten hierfür trägt der Träger der Einrichtung. (3) Tote und Aschenreste dürfen nur mit Genehmigung der örtlichen Ordnungsbehörde, in deren Bezirk sie bestattet worden sind, ausgegraben werden. Die Vorschriften der Strafprozessordnung bleiben unberührt. § 15 Feuerbestattung (1) Die Feuerbestattung einer Leiche oder einer Totgeburt darf erst vorgenommen werden, wenn eine von der für den Sterbe- oder Auffindungsort zuständigen unteren Gesundheitsbehörde veranlasste weitere ärztliche Leichenschau vorgenommen und mit einer Bescheinigung nach dem Muster der Anlage 1 bestätigt worden ist, dass kein Verdacht auf nicht natürlichen Tod besteht. Anstelle der Gesundheitsbehörde nach Satz 1 darf auch die untere Gesundheitsbehörde des Einäscherungsortes die weitere ärztliche Leichenschau veranlassen und die Bescheinigung ausstellen. Lässt sich die Todesursache nach den Ergebnissen der Leichenschau und der 143 Auskünfte nach § 9 Abs. 3 Satz 4 nicht mit ausreichender Sicherheit ermitteln, ist die untere Gesundheitsbehörde befugt, zur Feststellung der Todesursache die Leiche zu obduzieren. (2) Die Leichenschau und die Bescheinigung nach Absatz 1 werden in den Fällen des § 159 Abs. 1 StPO durch die nach § 159 Abs. 2 StPO erteilte Genehmigung ersetzt. Diese muss die Erklärung enthalten, dass die Feuerbestattung als unbedenklich erachtet wird. (3) Werden Leichen oder Totgeburten zur Feuerbestattung aus dem Ausland in das Inland befördert, ist durch die untere Gesundheitsbehörde des Einäscherungsortes die Leichenschau nach Absatz 1 zu veranlassen. Die Behörde kann darauf verzichten, wenn ihr über den natürlichen Tod die zweifelsfreie Bescheinigung der am Sterbe- oder Auffindungsort zuständigen Polizei- oder Gesundheitsbehörde vorgelegt wird. (4) Die Einäscherung darf nur in der Feuerbestattungsanlage eines Friedhofsträgers oder eines Übernehmers vorgenommen werden und hat in würdiger Weise zu erfolgen. (5) Der Träger oder Übernehmer der Feuerbestattungsanlage hat die Zuordnung der Totenasche sicherzustellen. Das dauerhaft versiegelte Behältnis mit der Totenasche ist auf einem Friedhof beizusetzen; für die Beförderung zu diesem Zweck darf es den Hinterbliebenen oder ihren Beauftragten ausgehändigt werden. (6) Die Asche darf auf einem vom Friedhofsträger festgelegten Bereich des Friedhofs durch Verstreuung beigesetzt werden, wenn dies durch Verfügung von Todes wegen bestimmt ist. Soll die Totenasche auf einem Grundstück außerhalb eines Friedhofs verstreut oder beigesetzt werden, darf die Behörde dies genehmigen, wenn diese Beisetzung von Todes wegen verfügt und der Behörde nachgewiesen ist, dass die Beisetzung bodennutzungsrechtlich zulässig ist, der Beisetzungsort nicht in einer der Totenwürde widersprechenden Weise genutzt wird und dauerhaft öffentlich zugänglich ist. (7) Soll die Totenasche auf See beigesetzt werden, wird die Genehmigung erteilt, wenn diese Beisetzung von Todes wegen verfügt ist. (8) Nach Vorlage einer Genehmigung nach den Absätzen 6 oder 7 ist das Behältnis mit der Totenasche den Hinterbliebenen oder ihren Beauftragten auszuhändigen. (9) Ausnahmen von der Bestimmung des Absatzes 5 können in besonderen Fällen durch die Ordnungsbehörde des Ortes, an dem die Verwahrung der Totenasche stattfinden soll, soweit nötig, im Benehmen mit der Ordnungsbehörde des Einäscherungsortes zugelassen werden. Dritter Abschnitt Beförderung der Toten § 16 Beförderung (1) Auf öffentlichen Straßen und Wegen dürfen Tote nur in einem für diesen Transport geeigneten dicht verschlossenen Behältnis befördert werden. (2) Die Beförderung Toter oder deren Asche aus der Gemeinde des Sterbe- oder Auffindeortes ist der örtlichen Ordnungsbehörde innerhalb einer Frist von einer Woche anzuzeigen. Bei der Beförderung sind die gemäß § 13 Abs. 1 und § 15 Abs. 1 oder 2 erforderlichen Bescheinigungen mitzuführen. (3) Wird Asche zur Urnenbeisetzung befördert, genügt anstelle der Unterlagen nach Absatz 2 Satz 2 ein Auszug aus dem Bestattungsbuch mit den Angaben nach § 5 Abs. 1 Satz 2 und 4. (4) Auf die Bergung und Beförderung Toter im Rahmen strafrechtlicher Ermittlungen finden die Absätze 1 und 2 keine Anwendung. (5) Vor der Beförderung einer Leiche und einer Totgeburt in das Ausland hat die untere Gesundheitsbehörde die Leichenschau nach § 15 Abs. 1 zu veranlassen, falls nicht eine Genehmigung nach § 15 Abs. 2 vorgelegt wird. § 17 Leichenpass (1) Beförderungen von Leichen und Totgeburten über die Grenze der Bundesrepublik Deutschland sind nur mit einem Leichenpass zulässig. Für die Beförderung in das Ausland ist das Muster der Anlage 2 zu verwenden. 144 (2) Für die Beförderung in das Ausland wird der Leichenpass von der örtlichen Ordnungsbehörde ausgestellt, wenn ihr die in § 13 Abs. 1 und § 15 Abs. 1 oder 2 genannten Unterlagen vorliegen. Die Ordnungsbehörde kann Nachweise über den Verbleib der Leiche, der Totgeburt oder der Asche verlangen. Vierter Abschnitt Ergänzende Vorschriften § 18 Verordnungsermächtigung Das für das Gesundheitswesen zuständige Ministerium wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung die Anforderungen an die zu beachtenden gesundheitlichen Schutzmaßnahmen, an die Todesbescheinigung und an die übrigen Bestattungsunterlagen sowie deren Aufbewahrung festzulegen. § 19 Ordnungswidrigkeiten (1) Ordnungswidrig handelt, wer vorsätzlich oder fahrlässig 1.entgegen § 9 Abs. 1 bis 3 nicht unverzüglich die Leichenschau veranlasst, sie nicht unverzüglich oder nicht sorgfältig vornimmt oder die Todesbescheinigung nicht unverzüglich aushändigt oder die Auskünfte über Befunde verweigert, 2.entgegen § 9 Abs. 5 nicht unverzüglich die Polizeibehörde, die Staatsanwaltschaft oder das Amtsgericht unterrichtet, 3.ohne die in § 10 Abs. 1 genannten Unterlagen, ohne Einwilligung oder Zustimmung nach § 10 Abs. 2 oder ohne einen in § 10 Abs. 1 genannten Zweck Tote obduziert oder nach Abschluss der Untersuchung nicht unverzüglich die Bestattung veranlasst, 4.entgegen § 11 Abs. 1 Toten ohne Genehmigung verwesungshemmende Stoffe zuführt oder sie nicht gemäß § 11 Abs. 2 rechtzeitig in eine Leichenhalle überführt, 5.entgegen den §§ 13 und 15 Tote vor der Vorlage der in § 13 Abs. 1, § 15 Abs. 1 oder 2 genannten Unterlagen bestattet oder die Bestattung auf seinem Friedhof zulässt, 6. entgegen § 14 außerhalb eines Friedhofs Tot- oder Fehlgeburten oder ohne Genehmigung nach § 14 Abs. 1 eine Leiche bestattet, 7.entgegen § 15 Abs. 5 bis 9 als Träger oder Übernehmer einer Einäscherungsanlage die Zuordnung der Totenasche nicht sicherstellt oder Totenasche ohne Genehmigung aushändigt oder als Hinterbliebene oder Hinterbliebener hinsichtlich ihr oder ihm ausgehändigter Totenasche die Totenruhe stört oder eine mit der Genehmigung verbundene Verpflichtung nicht erfüllt oder vom Inhalt der Genehmigung oder Zulassung abweicht, 8.gegen die in § 16 Abs. 1 bis 3 und § 17 Abs. 1 genannten Vorschriften verstößt, 9.einer Rechtsverordnung nach § 18 zuwider handelt, soweit sie zu einem bestimmten Tatbestand auf diese Bußgeldvorschrift verweist. (2) Die Ordnungswidrigkeit kann mit einer Geldbuße bis zu 3000 Euro geahndet werden. (3) Verwaltungsbehörde im Sinne des § 36 Abs. 1 Nr. 1 des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten ist die örtliche Ordnungsbehörde. § 20 Aufhebungsvorschriften (1) Nachstehende Gesetze und Verordnungen werden aufgehoben: 1.das Kaiserliche Decret über die Begräbnisse vom 23. Prairial Jahr XII – Décret Impérial sur les sépultures, le 23 Prairial an XII (Bulletin des lois de l’Empire Français, 4e Série, Tome premier no. 1 à 16, Paris, Brumaire an XIII [1804], S. 75), 2.das Gesetz über die Feuerbestattung vom 15. Mai 1934 (RGS. NRW. S. 80), geändert durch Gesetz vom 3. Dezember 1974 (GV. NRW. S. 1504), 145 3.die Verordnung zur Durchführung des Feuerbestattungsgesetzes vom 10. August 1938 (RGS. NRW. S. 81), geändert durch Verordnung vom 18. Mai 1982 (GV. NRW. S. 250) und 4.die Ordnungsbehördliche Verordnung über das Leichenwesen vom 3. Dezember 2000 (GV. NRW. S. 757). (2) Nachstehende Vorschriften werden aufgehoben: 1. Zweyter Theil, Eilfter Titel, §§ 183 bis 190 sowie §§ 761 bis 765, des Allgemeinen Landrechts für die Preußischen Staaten vom 5. Februar 1794 (Erstveröffentlichung Nauck u.a., Berlin 1794), 2. § 8 Nr. 6 des Gesetzes, die Bildung und Verwaltung eines allgemeinen Kirchenvermögens für die evangelische Kirche des Landes, die Veranlagung von Kirchensteuern und die Stellung der Kirche dem Staate gegenüber betreffend, vom 12. September 1877 (GS. für das Fürstenthum Lippe, Neunter Band, S. 80). 3. Artikel 6 Abs. 1 Nr. 3 und Abs. 3 des Staatsgesetzes, betreffend die Kirchenverfassungen der evangelischen Landeskirchen. Vom 8. April 1924 (PrGS. S. 221), 4. § 15 Abs. 1 Nr. 5 und Abs. 2 des Gesetzes über die Verwaltung des katholischen Kirchenvermögens vom 24. Juli 1924 (PrGS. S. 585), 5. § 48 Abs. 1 des Ordnungsbehördengesetzes in der Fassung der Bekanntmachung vom 13. Mai 1980 (GV. NRW. S. 528), zuletzt geändert durch Gesetz vom 18. Dezember 2001 (GV. NRW. S. 870). (3) In § 1 Abs. 1 Buchstabe d sowie in § 2 Abs. 1 Buchstabe b der Zuständigkeitsverordnung zur Ausführung des Staatsgesetzes, betreffend die Kirchenverfassungen der evangelischen Landeskirchen, vom 8. April 1924. Vom 4. August 1924. (PrGS. S. 594) werden jeweils die Wörter „3 und“ gestrichen. § 21 Überprüfung Die Landesregierung überprüft nach Ablauf von fünf Jahren nach dem In-Kraft-Treten dieses Gesetzes die Auswirkungen von § 1 Abs. 4 und 5, § 2, § 9 Abs. 3, § 10 Abs. 1 bis 3, § 12 Abs. 2 Satz 2, § 14 Abs. 2, § 15 Abs. 5 und 6 und unterrichtet den Landtag. § 22 In-Kraft-Treten Dieses Gesetz tritt mit Ausnahme des § 18, der am Tage nach der Verkündung in Kraft tritt, am ersten Tag des auf die Verkündung folgenden dritten Kalendermonats in Kraft. Anlage 1 (zu § 15) Anlage 2 (zu § 17) Düsseldorf, den 4. Juni 2003 Ulrich Schmidt, Präsident