1 Einleitung Klaus V. Hinrichsen Unter dem Titel "Hirntod und
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1 Einleitung Klaus V. Hinrichsen Unter dem Titel "Hirntod und
Einleitung Klaus V. Hinrichsen Unter dem Titel "Hirntod und Schwangerschaft" hatten die Veranstalter der "Medica 1993" für den 20.11.1993 eine Podiumsdiskussion vorgesehen, in deren Mittelpunkt der "Stuttgarter Fall", die Intensivbehandlung von Frau Siegel über ihren Tod hinaus bis zur Geburtsreife ihres Kindes stehen sollte. Einleitung und Moderation sollten von der Präsidentin der Ärztekammer Schleswig-Holstein und langjährigen Vorsitzenden des Ärztinnenbundes, Frau Dr. I. Retzlaff übernommen werden. Eine Erkrankung von Frau Dr. Retzlaff machte diese Funktion unmöglich. Aus mehrjähriger sympathischer Bekanntschaft mit Frau Dr. Retzlaff war es mir eine Freude, sie in dieser Funktion vertreten zu dürfen. Zur Einleitung des Podiumsgespräches habe ich folgendes ausgeführt: Mit dem Titel der heutigen Veranstaltung "Hirntod und Schwangerschaft" bin ich nicht ganz glücklich. Ich würde lieber formulieren "Sterben und Schwangerschaft", das umschließt sowohl Schwangerschaft im Sterben wie Schwangerschaft nach dem Tode, umfaßt also auch die Phasen des hier besonders herangezogenen Falles. Noch lieber möchte ich den Titel des ergreifenden Buches von Herrn Siegel "Wir durften nicht aufgeben" aufgreifen und ihn zu den weiteren Fragen abwandeln: Wann dürfen wir aufgeben? Wann müssen wir vielleicht aufgeben? Ich kann hier einleitend nur einige wenige Probleme anrühren, die im weiteren Verlauf sachkundiger dargelegt und anschließend auch diskutiert werden. Wie durch die Umformulierung des Themas schon angedeutet, sollten wir uns nicht zu sehr an dem Begriff des "Hirntodes" festkrallen. Durch seine Definition und die daran geknüpften Diskussionen ist eigentlich nur allgemein bewußt geworden, daß der Tod des Menschen ein Vorgang, ein Prozeß ist, der uns durch sog. "sichere Todeszeichen" in Stufen angezeigt wird. Auch die seit Jahrzehnten als sicher geltenden Todeszeichen Atmungsstillstand und Kreislaufstillstand waren - historisch betrachtet - nicht immer unumstritten. Erst durch die Möglichkeiten der Intensivtherapie ist als weiteres Zeichen der vollständige Ausfall aller Hirnfunktionen, also auch die des Stammhirnes, hinzugekommen. Und es ist allein das Methodenspektrum der Intensivmedizin, das es ermöglicht hat, den unausweichlichen Zerfall aller körperlichen Funktionen teilweise zu ersetzen, zeitlich zu dehnen, und damit andere Funktionen noch zu erhalten. Damit wird es allerdings nicht leichter, die Unausweichlichkeit des Sterbens zu akzeptieren. Dies war für mich das Ergreifendste an dem Bericht von Herrn Siegel: Das unverbrüchliche Vertrauen, die Zuversicht in die Partnerin, der Glaube an ihre Existenz und ihr Mittun. 1 Ein zweites wesentliches Problem, das mir als Embryologen besonders nahe liegt, ist die Frage nach der Befindlichkeit, nach den Entwicklungsmöglichkeiten des Embryo und Feten in der besonderen Situation der sterbenden oder schon gestorbenen Mutter, die Aufhebung oder doch wesentliche Beeinträchtigung der Symbiose Mutter-Kind. Welches Risiko kommt aus dieser Beeinträchtigung, können wir es einschätzen, dürfen wir es eingehen? Dabei schließe ich für mich persönlich auch die psychologische und soziale Situation nicht aus, in die ein Kind unter diesen besonderen Umständen der sterbenden Mutter hineingeboren wird. Nur in Parenthese möchte ich hier anfügen, daß ich die immer wieder diskutierten Möglichkeiten, das Gehirn des Feten könne allmählich zunehmend die ausgefallenen Koordinierungsfunktionen der sterbenden Mutter übernehmen, mit erheblichen Zweifeln versehe. Schon rein medizinisch kann es sich ja nur um Wirkungen durch Hormone und Botenstoffe handeln, sofern diese überhaupt die Plazenta passieren, es gibt ja keine andere Verbindung zwischen Mutter und Kind. Jede direkte nervöse Regulation ist absolut ausgeschlossen. Und wir wissen kaum etwas über die Reaktion des Feten auf Mangelsituationen der Mutter. Das am besten belegte Beispiel ist die Überproduktion von Insulin durch das Kind beim mütterlichen Diabetes. Nicht ausweichen können wir auch den rechtlichen Fragen, die hier aufgeworfen werden. Sie sind unter dem Begriff der Instrumentalisierung des Körpers der Mutter mit hoher Emotion beladen kontrovers diskutiert worden. Wer ist berechtigt zur Entscheidung über eine Fortsetzung oder Nichtfortsetzung der Intensivtherapie? Wer vertritt das Kind, seine Lebensansprüche ebenso wie seine Risiken? Das leitet zwangsläufig zu den ethischen Fragen über, die mit dem Problem der Fortsetzung einer Schwangerschaft bei sterbender oder gestorbener Mutter verknüpft sind. Auch dazu werden wir Sachkundiges hören. Meine wesentliche Bitte für dieses Forum geht aber dahin, daß wir zunächst einmal aufmerksam und ohne sofortige Gegenwehr hören möchten, was uns die Teilnehmer am Podium aus ihrer jeweiligen Erfahrung zu sagen und mitzuteilen haben, bevor wir dann eigene Standpunkte in der Diskussion vertreten. Diese Podiumsdiskussion hat ihren besonderen Charakter in der Tatsache, daß hier nicht nur theoretisiert wird, sondern daß unmittelbar Betroffene sich beteiligen. So gilt unser besonderer Dank dem behandelnden Arzt, Herrn Dr. Reichel, und in noch höherem Maße dem Hauptbetroffenen, dem Ehemann und Vater, Herrn Karl-Eugen Siegel, für ihre Bereitschaft, hier teilzunehmen. 1 Hirntod und Schwangerschaft Eine Fallbeschreibung Ernst Joachim Reichelt Ich spreche hier heute eigentlich in Vertretung von Thomas Mc Keen, Oberarzt der inneren Abteilung der Filderklinik, der am 19. Juni dieses Jahres verstarb. Ich glaube, Sie werden erkennen, wie prägend er bei dem zu beschreibenden Fall-Verlauf war. Die Filderklinik ist ein Gemeinschaftskrankenhaus, ein Akut-Krankenhaus mit 216 Betten, gelegen im Landkreis Esslingen bei Stuttgart, gegründet 1975. In unser Präambel steht: Der Bau verpflichtet zum Dienst an den Kranken und zur Arbeit an der Erweiterung der Heilkunst, im Geiste Dr. Rudolf Steiners. Ein Anthroposophisches Krankenhaus. Das heißt, auf dem Boden der naturwissenschaftlichen Medizin sollen weitergehende Erkenntnisse und therapeutische Ansätze erarbeitet werden. Dies unter der Darstellung der körperlichen, der seelischen und der geistigen Qualitäten des Menschen, die sich insbesondere differenziert zeigen, je nachdem wir das Nerven-Sinnessystem des Menschen mit seinem - Wach-Bewußtsein, - das Stoffwechselsystem oder - das vermittelnde Herz-Kreislauf-Atmungssystem betrachten. Während wir das Wach-Bewußtsein auf das Nerven-Sinnes-System beziehen, haben wir im Normalfall kein waches Bewußtsein im Bereich unserer Verdauungsorgane, auch nicht im Herz-Kreislauf-Atmungssystem. Ein Bewußtsein jedoch haben wir sicher. Wir bezeichnen es als schlafend im Stoffwechselsystem, bzw. als Traum-Bewußtsein im Herz-KreislaufAtmungssystem. Ich war gebeten worden, zunächst auch klare intensivmedizinische Daten zu schildern in Verbindung mit dem Verlauf: Die damals 32-jährige Frau Gabriele Siegel wurde am 4. Juli 1991 in einem Park in Stuttgart aufgefunden, sie war bewußtlos zusammengebrochen. Ein Arzt begann mit der Reanimation, es kam der Notarzt und bei Kammerflimmern wurde defibrilliert, danach Frau Siegel in das Rot-Kreuz-Krankenhaus in Stuttgart eingeliefert: Intubiert, infundiert und unter der Therapie mit Katecholaminen und Xylocain. Zur Vorgeschichte: 1989 war eine Struma OP vorgenommen worden, wobei Teile der Nebenschilddrüsen mit entfernt worden waren. Seitdem stete Calciumsubstitution, zudem AT 10 - Gaben. Bei der stationären Aufnahme am 4. Juli waren die Elektrolyte einschließlich Calcium im unteren Normbereich. Neurologisch: Die Pupillen waren mittelweit, Lichtreaktion vorhanden, Patellar-Sehnenreflex beiderseits normal, zudem Babinski beiderseits negativ. 1 Das neurologische Konsil vom 5.7.91 ergab ein Mittelhirnsyndrom unklarer Genese: Weitergehende Fortecortin-Behandlung bei drohendem Hirnödem wurde vereinbart. Zusätzlich: Frau Siegel war schwanger, nach jahrelangem Kinderwunsch, nun in der 16. SSW. Ein erstes gynäkologisches Konsil am 8.7.91 ergab eine intakte Schwangerschaft, zeitentsprechend. Am 10. Juli wurde ein Extubationsversuch durchgeführt. Im weiteren kam es jedoch zu massiver Verschlechterung, es wurde re-intubiert. Es traten weitere Kreislaufprobleme auf mit Tachycardie und Blutdrucksenkungen. Am 14.7. entrundete Pupillen, keine Eigenbewegungen. Beim neurologischen Konsil am 16.7. wird erstmals entsprechend dem klinisch-neurologischen Befund Hirntod diagnostiziert. Ein CT bestätigte das massive Hirnödem und im EEG vom 17.7. spricht der Befund ebenfalls für den dissoziierten Hirntod. Die Schwangerschaft ist intakt und entwickelt sich nach frauenärztlichen Kontrolluntersuchungen - auch mit Ultraschalluntersuchung - zeitentsprechend. Die durchgeführte und im weiteren Verlauf beibehaltene intensivmedizinische Behandlung hatte vier Schwerpunkte: a) die Beatmung: zunächst oral, dann nasal und später per Tracheotomie, insgesamt im Verlauf unkompliziert. b) die Herzkreislaufsituation insgesamt außerordentlich labil, Schwanken der Blutdruckwerte, auch tachycarde Zustände. Die Therapie mit Isoptin, entsprechen auch mit Katecholaminen und im Verlauf zunehmend mit Magnesium. c) Infektionsprobleme, bei z. Teil septischen Temeraturschüben mit Erreger-Nachweisen aus Blutkultur, Urin und Trachealsekret, führten immer wieder zu breiten Antibiotikaabdeckungen, entsprechend den Testungen und Absprachen. Interessanterweise trat keine Pilzinfektion auf. d) Substitutions-Thearapie mit Hormonen, insbesondere Hydrocortison, zudem Mineralocorticoide, AT 10, Schilddrüsenhormon und ADH. Der Urinverlust und entsprechender Verlust von Elektrolyten, insbesondere Kalium und Calcium mußten streng bilanziert werden. Die Flüssigkeitsbilanz wurde immer positiv gehalten, da z. Teil exessives Schwitzen, auch seitendifferent auftrat. Die Ernährung erfolgte z.T. enteral über Sondenkost, z.T. parenteral, ca. 3000 kc/Tag. Der Ehemann, Herr Siegel, gestützt von der Familie, den Eltern und Schwiegereltern, bat dringend darum, alles medizinisch mögliche zu tun, insbesondere auch für das Kind. Die Ärzte nahmen das auf, ein Apnoetest als konsequenter Nachweis des Hirntodes, entsprechend der heutigen Norm, wurde nicht durchgeführt. Am 8. August wurde Frau Siegel in die Filderklinik verlegt, zur möglichst engen 1 interdisziplinären Betreuung zwischen anästhesistischer und internistischer Intensivstation und einer Frauenabteilung. Zunehmend problematisch gestaltete sich im gesamten weiteren Verlauf die Kreislaufsituation mit hypo- und hypertonen Werten und zunehmendem Regulationsbedarf durch Lagerung und Flüssigkeitsgaben. Hierdurch ließ sich die Gesamtsituation bis Ende der 28. SSW weitgehend stabil halten. Am 29.9.91 in der 29. SSW traten zunehmende Kreislauflabilitäten mit hypotonen Blutdruckphasen auf, sodaß vermehrt mit Katecholaminen therapiert werden mußte. Unter dieser Behandlung kam es zu Uteruskontraktionen mit Dezelerationen bei der Herzfrequenz des Kindes. Nach Absetzen von Katecholaminen zwar Normalbefund im CTG, aber die Kreislauflabilität erzwang erneut Katecholamingabe. Wir entschlossen uns zur Sectio caesarea und um 21.30 h erfolgte die Geburt eines Knaben, der heute über 2 Jahre alt ist. Bei der Geburt wog er 1.165 g, bei der Entlassung am 13. Dez. aus der neonatalogischen Intensivstation der Kinderklinik Esslingen nach komplikationslosem Verlauf wog er 2.400 g. Anfang dieser Woche waren Herr Siegel und sein Sohn Max letztmalig in der Filderklinik. Die Entwicklung des Kindes ist vollkommen altersgemäß. Nach dem Kaiserschnitt am 26.9.91 traten bei Frau Siegel zunächst tachycarde Rhythmusstörungen auf, am 28.9. dann Bradycardien, und sie verstarb am 28.9.91 unter den Zeichen des Herzstillstandes. Was für einen Verlauf erlebten wir nun, und warum wurden welche Entscheidungen gefällt: Ich möchte, soweit es mir möglich ist, auch dies chronologisch angehen. Wir betrachten zunächst das Ehepaar Siegel, damals schon seit Jahren verheiratet, nach langem Kinderwunsch die erste erwünschte Schwangerschaft. Gemeinsam macht man sich Gedanken zu Schwangerschaft und Erziehung und als Entbindungsort hatten sie sich die Filderklinik vorgestellt. Fruchtwasseruntersuchungen bzw. Chromosomenuntersuchungen waren bewußt nicht durchgeführt worden. Nach dem Zusammenbruch der Ehefrau und dem Beginn der Intensivtherapie am 4.7.91 wurde Herr Siegel mit der Frage des Schwangerschaftsabbruches konfrontiert. Da ihm von den Ärzten keine Therapieänderung außer Abbruch vorgeschlagen wurde, entschied er sich zunächst dagegen. Im weiteren Verlauf nach dem 17. Juli und der ausgesprochenen Befundung "Hirntod" mußte er sich erneut diese Frage stellen und war sich klar, daß er dies verantwortlich entscheiden mußte. Hierzu stellte er sich drei Fragen: 1. Was möchte ich? 2. Was möchte unser Kind? und 3. Was möchte meine Frau? Nach Konfrontation mit diesen Fragen, nicht durch Antworten, sondern durch innere Gewißheit, ganz im Sinne seiner Frau, entschloß er sich, auf Fortführung der Schwangerschaft zu bestehen. 1 Die nächste Frage war: Wen brauche ich, wer hilft die Verantwortung zu übernehmen?, da ausgesprochen war, daß auf Dauer eine Verlegung nötig würde. Die Verbindung zur Filderklinik bestand, und durch "Zufall" hatte Thomas Mc Keen Hintergrunddienst in der inneren Abteilung, als Herr Siegel sich an die Filderklinik wandte. In gemeinsamen Gesprächen wurde ein Vertrauensverhältnis aufgebaut, was letztendlich dazu führte, daß Herr Mc Keen die ärztliche Führung und Koordination übernahm. Nach Information von Ärzten, Pflegekräften, Therapeuten, Krankenhauspfarrer zeigte sich, daß die einmütige Bereitschaft bestand zu helfen, sich zu verbinden mit dieser Grenzsituation zwischen Leben und Tod, zwischen Fassbarem und Nichtfassbarem: Wo die Frage besteht, was geschieht hier: Eine Mutter, die noch nicht gestorben, ein Kind das noch nicht geboren, noch nicht lebensfähig ist. Aus allen Beteiligten und damit Verantwortung tragenden Mitarbeitern bildete sich ein Arbeitskreis mit den beiden Aufgaben - zum einen Erarbeiten der intensivmedizinischen Grundlagen und zum anderen Einbringen von Erfahrungen und Beobachtungen mit Entschluß zu weitergehenden künstlerischen Therapien, wobei der erste Ansatz war, dem Kind zu geben, was ihm fehlt. Für die künstlerischen Therapien wurde es nie als allein wichtig angesehen wurde, z.B. eine konstanten Blutdruckwert zu erreichen, das wollten wir natürlich auch, sondern es wurde auch als wichtig angesehen: wie können Mutter und Kind mit den Therapien umgehen, können sie angesprochen werden insbesondere seitens ihres Rhythmus. In der Frage des Verhaltens: Innen-außen-umgehen, mit mich selbst ganz betreffenden, bzw. von außen auf mich eindringenden Fragen. Eine solche Ansprache sollten die gestaltenden - bildenden Tätigkeiten anregen. Der therapeutische Ansatz war zuallererst das Kind, doch zeigte sich sehr schnell, daß die Mutter der therapeutische Ansprechpartner war, die als sterbenskrank erlebt wurde mit ganz unterschiedlichen Reaktionen in Wärme-, Bewegungsbildern, im Vegetativum. Zusätzlich wurde von den Intensivmedizinern eine gewaltige Lebens-Integrationskraft erlebt, insbesondere im Vergleich zu anderen Patienten. Dies wurde mit der Schwangerschaft in Verbindung gebracht. Dem Kind geben was ihm fehlt: Stimme, Klang, Atmung. Die Kunsttherapie betraf Musik und Gesang, zudem Sprachgestaltung und Heileurythmie. Für die Therapeuten waren alle Kontakte, die Begegnung jeweils erlebbar, indem sich täglich ein ganz konzentriertes Arbeitsteam fand, mit der jeweiligen Grundgeste: Ballen und Lösen Einatmen und Ausatmen. Vom Bewegungsbild in der Heileurythmie: Zusammenziehen und sich wieder öffnen. In der Musiktherapie: Mit dem Durdreiklang sich Lösen vom Körper. 1 Mit dem Molldreiklang sich wieder verbinden. Dieselbe Geste in der Sprachgestaltung: Mit dem Trochäus - lang - kurz - lang - kurz ein sich öffnen nach aussen ("in den unermeßlich weiten Räumen"). Mit dem Jambus - kurz - lang - kurz - lang ein gestaltendes,zu sich findendes Moment ("zu Pferd, zu Pferd"). In den jeweiligen Therapien war das Lösen entsprechend der Bewußtseinslage der Mutter eine leicht erreichbare Geste; dagegen das sich Konzentrieren und Ballen, Zusammenziehen, sich Finden nur schwer erreichbar. Der Begegnungsmoment dieser seelischen Ansprache, wo das Ziel der Therapie das Mitmachen von Seelenbewegungen ist, wurde sehr erleichtert, als wir uns entschlossen, während dieser Therapie von der maschinellen Beatmung auf Handbeatmung durch immer denselben Anästhesisten zu variieren. Dies, weil die Atmung, als vermittelndes Element, bei diesen Kunsttherapien immer angesprochen ist. Waren die Therapien zu intensiv, z.B. Auflegen der Laier auf die Beine oder zu intensive ballende Bewegungen, so kam es zu Krämpfen, Schwitzen; wenn der Blutdruck sank, so konnte durch den Molldreiklang eine Blutdrucksteigerung erreicht werden. Krankengymnastik hatte in dieser Hinsicht keine Auswirkung. Die Therapeuten erlebten therapeutischen Bezug zu Frau Siegel, erlebten Stabilisierendes, Harmonisierendes. Im Verlauf der letzten beiden Wochen war dies jedoch weniger möglich. Ich hatte mit Herrn Siegel besprochen, daß unser weiteres Verhalten von entsprechenden Mitteilungen, Zeichen abhängig sei, Zeichen, die wir aus unseren Beobachtungen, Handlungen und Werten zu schließen hätten. Und wir hatten beschlossen, daß dann evtl. ein Kaiserschnitt schnell nötig würde. Beim Entschluß zur Sectio caesarea vom 26.9.91 kamen die Informationen sowohl aus den klinischen Daten mit dem zunehmend labilen Herz-Kreislaufverhalten, wie von den Kunsttherapeuten, wo die Begegnung mit der Patientin immer schwieriger wurde, wie auch vom Kind mit den Herztondezelerationen, unter Kontraktionen des Uterus. Auch postoperativ war die Kreislauflabilität nicht mehr zu stabilisieren und Frau Siegel starb wie berichtet bei Herzstillstand. Mit Abstand von nun über 2 Jahren und auch mit den Erfahrungen, die wir durch die Erlanger Ereignisse haben, möchte ich darauf hinweisen, daß wir innerlich gestützt waren und erleben konnten: Die Gesinnungsgemeinschaft von Herrn Siegel mit seiner Frau. Auf dieser Basis fand sich die Vertrauensgemeinschaft zwischen Arzt und Patient, zwischen Herrn Siegel und Herrn 1 Mc Keen und dadurch wurde eine therapeutische Gemeinschaft in der Klinik gebildet, die Grundfragen zu dem Besonderen dieses Verlaufes sich zu stellen traute, und die den Mut zu therapeutischen Ansätzen in den verschiedenen Bewußtseinsbereichen hatte. Was ich mit diesen drei Gemeinschaften sagen will, ist, daß sich in den drei entscheidenden Ebenen Verantwortungsträger fanden, die bereit waren und sind, bei diesem Schicksalsweg Konsequenzen zu tragen. Die Verantwortung wurde so übernommen, nicht aus äußerer Verpflichtung, sondern weil die Einzelnen tief angesprochen waren. Wir halten den Verlauf, den wir begleiten durften, nicht für ein Modell, sondern meinen, daß wir uns dieser Konstellation von Menschen entsprechend verhalten haben. 1 Betreuung von Frau Siegel aus musiktherapeutischer Sicht 12. August - 26. Oktober 1991 Monica Bissegger In der Vorbesprechung, die mit Ärzten, Pflegenden, Kunsttherapeuten, Krankengymnasten und Pfarrerin stattfand, einigten wir uns darauf, daß von der kunsttherapeutischen Seite her mit der Musiktherapie begonnen werden sollte. Dabei überlegten wir, wie wir dem heranwachsenden Kinde am besten die fehlenden Reaktionen der Mutter vermitteln könnten. Dem Kinde fehlt der lebendige Atem-Rythmus der Mutter, an seine Stelle war eine Maschine mit stets gleichbleibender Frequenz getreten. Das Kind hörte die Stimme der Mutter mit dem ihr eigenen Melodieklang nicht mehr. Die Musik erschien uns am besten geeignet, die lebendigen und emotionalen Botschaften dem Kinde zu ersetzen. Wir überlegten, welche musikalischen Mittel und Elemente, welche Instrumente zur Anwendung kommen könnten. Dr. McKeen hatte die Idee, ein Musikinstrument direkt am Körper von Frau Siegel anzulegen und zwar im ersten Versuch auf die Beine. Die Überlegung dabei war, daß kein bewußtes Hören mehr möglich war und durch das Anlegen eines Instrumentes der Schall, und damit der Klang, verstärkt über den Körper und nicht über das Hörorgan wahrgenommen werden konnte. Ich entschied mich für die Bordun-Leier, in einem Akkord gestimmt. Die Bordun-Leier hat einen leichten, perlenden, sich ausbreitenden Klang. Weiter wollte ich auf jeden Fall die Leier mitnehmen, weil sie sich mit ihrem feinen Klang bei Schwerkranken am besten bewährt hat. Zudem sprach ich die Idee aus, für Frau Siegel zu singen und dabei die Hände auf ihren Bauch zu legen, sodaß sie und ihr Kind den Gesang besser wahrnehmen könnte. Die Frage nach der Art der Musik konnten wir im Voraus nicht beantworten - sollten es pentatonische Klänge sein, ganz auf das Kind abgestimmt, oder mehr Dur-Moll-Klänge für die Mutter? Es zeigte sich, daß aus der Ferne schwer abzuschätzen war, wie musiktherapeutisch vorgegangen werden könnte. Dafür war die eingetretene Situation zu unbekannt, ich mußte sie erst kennenlernen. Vor der ersten Begegnung mit der Patientin machte ich mich darauf gefaßt, eine "Tote" vorzufinden. Beim Betreten des Patientenzimmers fiel mir das unerbittlich gleich bleibende Geräusch der Beatmungsmaschine auf. Im Bett lag keine "Tote", es lag eine tief Schlafende vor mir. Als erstes versuchte ich, gegen diese maschinenbeherrschte Stimmung im Zimmer "anzuspielen". Auf der Leier spielte ich eine von wechselnden Dur- und Moll-Dreiklängen geprägte Melodie im 7/8 Takt, die am Schluß jeweils in den 6/8 Takt übergeht. Erst war es schwer, sich nicht von dem gleichmäßigen Beatmungsgeräusch der Maschine beherrschen zu 1 lassen. Ich spielte aber solange, bis ich das Geräusch nicht mehr als störend empfand und sich die Stimmung im Zimmer anfing zu wandeln. Die Melodie auf der Leier begleitete ich mit Summen und und den Vokalen O und A. Diesen Anfang behielt ich dann über alle folgenden Behandlungen bei. Er erwies sich als gut geeignet, die Stimmung im Zimmer zu verlebendigen, auch als später die Maschinenbeatmung durch Dr. G's Handbeatmung abgelöst wurde. Als nächstes spielte ich auf der Bordun-Leier, erst frei im Raum, dann an Frau Siegels Beine angelegt. Bald zeigte sich, daß diese Art von Klangübertragung zu stark für sie war. Ihre Beine begannen zu zucken. Diese Erfahrung sollte für alle folgenden Behandlungen richtungsweisend sein. Alles, was an Klängen an die Patientin herangebracht wurde, mußte um einiges leiser, feiner und durchsichtiger sein, gegenüber einer Behandlung bei anderen Patienten. Als es darum ging, die Hände aufzulegen, um das Gesungene für Frau Siegel und ihr Kind besser wahrnehmbar werden zu lassen, kam der Bauch als Berührungsort für mich nicht mehr in Frage. Die konkrete Situation korrigierte in unerwarteter Weise die ausgedachte Behandlungsform. Damit wurde die Zuwendung ganz eindeutig - vom Kind weg - auf die Patientin selber gelenkt. Und es sollte so bleiben, während der ganzen Behandlungsdauer über die Wochen bis zur Entbindung hin. Die "tote" Patientin belehrte uns Therapeuten, sie belehrte uns durch ihre Anwesenheit. Eine Anwesenheit, die erst nur erahnt wurde, dann im Laufe der Zeit, in der wir uns sensibilisiert hatten, zur Gewißheit wurde. Dabei machten wir die Erfahrung, daß ihre Anwesenheit, ihre Nähe nicht immer gleich blieb, sondern sich phasenweise oder auch täglich änderte, je nach Zustand. Mit dieser Zuwendung zur Patientin hin und Abwendung vom Kind weg, wurde auch klar, daß nicht die schwebende Pentatonik gefragt war als musikalisches Mittel, sondern die dem Erwachsenen entsprechende Dur-Moll-Tonalität. Mit dem Dur löst sich der Mensch ein Stück weit von seinem Körper, mit dem Moll verbindet er sich wieder mit sich selbst. Damit entsteht ein atmendes Hin und Her, was jeder Ein- und Ausatmung entspricht. Dieses atmende SichLösen und Sich-Verbinden sollte für Frau Siegel ein wichtiges therapeutisches Mittel werden. Nach der einleitenden Leier-Musik spielte ich eine Moll-Dreiklangreihe nach unten, ebenfalls auf der Leier, und eine Dreiklangreihe nach oben. Die bei der zweiten Behandlung dazu gekommene Heileurythmistin führte Frau Siegels Arm zu einer ballenden nach innen geführten Bewegung und zu einer lösenden, nach außen geführten Bewegung. Das gleiche wiederholten wir mit dem anderen Arm. Dabei zeigte sich, daß die nach innen geführte Bewegung nur in begrenztem Maße durchführbar war. Frau Siegel konnte sich nur noch wenig mit sich selber verbinden. Bald waren diese direkten Bewegungen mit Frau Siegel auch nicht mehr möglich, weil sie immer mehr Streckkrämpfe in den Armen bekam. Die verdichtende und lösende Bewegung wurde dann von der Heileurythmistin selber im Raum für die Patientin durchgeführt. Als dritter Therapieschritt folgte das Summen mit auf den Brustkorb aufgelegten Händen. Dabei habe ich immer das gleiche Lied, eine Art Hymnus in dorischer Tonart gesummt. Die 1 Phrasen dieses Liedes beginnen bewegt und enden mit einem langen Ton, was dem aktiven Einatmen und dem entspannten Ausatmen entspricht. Diese Art der Behandlung ermöglichte mir am besten mit Frau Siegel in Kontakt zu treten. Dabei war es nicht wichtig, oder gar nicht möglich, durch Augenkontakt und Beobachten der Mimik den Zustand von Frau Siegel wahrzunehmen. Der Blick auf ihr Gesicht bewirkte eher das Gegenteil, der Kontakt wurde unterbrochen. Das Wahrnehmungsorgan wurden jetzt die Hände, wodurch ich sie und sie mich wahrnehmen konnte. Jeden Tag bedeutete die Therapie ein Bemühen meiner- und unsererseits, mit der Patientin in Kontakt zu kommen, um ihr damit zu helfen, mit ihrem Körper und ihrem Kind über ihr Seelisches in Beziehung zu bleiben. Wir wurden ein therapeutisches Team, die Heileurythmistin, der Anästhesist - der die Handbeatmung übernahm - und ich. Gerade die Mithilfe des Anästhesisten bewirkte eine entscheidende Verbesserung für die Behandlung. Diese mithörende und mitempfindende Art der Beatmung schaffte eine Grundlage, eine Voraussetzung für die Therapie, ohne die sie niemals diesen Grad an Feinheit und Durchlässigkeit erreicht hätte. Frau Siegel blieb für uns während der ganzen Behandlungszeit die Begegnungsperson, obwohl durch den größer werdenden Bauch die Anwesenheit des Kindes immer deutlicher spürbar wurde. Mit Frau Siegel sind wir den Weg gegangen, haben jeden Tag versucht, ihr durch unsere Kontaktaufnahme eine Hilfestellung zu geben. Frau Siegel beteiligte sich aktiv an unserem Bemühen um ihren Zustand und den Zustand ihres Kindes. 1 Gynäkologische Überlegungen zu Hirntod und Schwangerschaft Inge Wolf Der Einstieg in die Problematik durch die Falldarstellung mit "positivem Resultat", einem sichtbaren guten Ergebnis, sozusagen zum Anfassen, bewirkt mit der Objektivierung der Diskussion gleichzeitig die Erhellung zweier Problemkreise: 1. Welchen Stellenwert hat die Hirntoddefinition im Fall von Schwangerschaft und Hirntod? 2. Was ist Behandlungsversuch beim Feten und wo beginnt das Experiment am Menschen. Ich füge noch einen dritten hinzu, der im Umgang mit dem Erlanger Fall in der Öffentlichkeit eine große Rolle spielte, ein geradezu massenhysterisches Phänomen aufdeckte: Da verunglückt eine junge Frau tödlich, die Körperfunktionen werden intensivmedizinisch aufrechterhalten, um dem Feten ein Überleben zu ermöglichen. Die Medien berichten davon und es geht der Aufschrei durchs Land: "Abschalten", als ob es sich nicht um eine Lebensrettungsmaßnahme sondern um einen Gau in einem Atomkraftwerk handle, der unser aller Leben bedroht. Es ist ein von der Psychoanalyse zu erhellendes Phänomen, daß wir Ärzte und Wissenschaftler der Gewissenlosigkeit anklagen, weil unser eigenes Gewissen überfordert ist: Soviel Geld und Aufwand für ein einziges Ungeborenes, wo weltweit die Geborenen Hungers sterben; die Ängste vor mißbräuchlichem öffentlichem Übergriff auf die private Tragödie einer jungen Frau und die Instrumentalisierung ihres Körpers. Wer von Anfang an die Diskussion und schließlich die polarisierende Wortwahl in der Diskussion verfolgte, die durch alle Schichten ging, und sie besonders in der Aussage vieler Frauen miterlebte, stellte die Hilflosigkeit und Ohnmacht gegenüber einer hochtechnisierten Welt fest, und als Folge der Undurchschaubarkeit der Geheimnisse des Lebens Ängste, Aggressivität, Ablehnung und den Ruf nach gesetzlicher Regelung. Der Entschluß behandelnder Ärzte, im Körper einer als hirntot erklärten Frau ein noch nicht außerhalb des Mutterleibes überlebensfähiges Kind so lange intensivmedizinisch zu betreuen, bis eine gewisse Lebensreife erreicht ist, konnte sich letztlich an keine wissenschaftlich belegten Erfahrungen halten, eine sogenannte Erfolgsquote des Überlebens aus einer hirntoten Mutter ist an Hand von ein paar Beispielen nicht berechenbar und ist abhängig vom Reifegrad des Ungeborenen. Sie lehnt sich weitgehend an die Chancen des Überlebens bei Spätabort bzw. Frühgeburt an, die sich immer vorzeitiger erreichen ließen, bis zu einem Zeitpunkt irgendwo zwischen der 20. und 24. Woche (je nach Berechnung der Schwangerschaft: post menstruationem, post conceptionem). Wie weit der Verletzungsgrad mütterlicher Hirnareale eine 1 Überlebensprognose erlaubt, wissen wir noch nicht. So können in diesem Konflikt zwischen Leben und Tod die Handelnden neben der zwischenmenschlichen Behutsamkeit nur die Bemühungen um Fortführung des vegetativen Lebens der Mutter setzen, also, wie wir gehört haben, intensivmedizinisch längst etablierte Maßnahmen von künstlicher Beatmung, kreislaufstützender Medikation und Sondenernährung. Auf die pflegerischen Probleme sollten wir in der Diskussion zurückkommen. Neu und das Besondere am Erlanger Fall, der deshalb in der Öffentlichkeit so aufgebauscht wurde, ist der fetale Behandlungsversuch in einem so frühen Entwicklungsstadium. Beim definitiven Hirntod der Mutter infolge Unfalls waren sonografisch Herzaktionen und Kindsbewegungen eines Feten der 12. - 14. Woche, also in der frühen Fetalperiode, in der Größenordnung bis etwa 8 cm, nachweisbar. Es fehlten 26 Wochen sogenannter Tragzeit, also mehr als ein halbes Jahr, und für eine echte Überlebenschance nach heutigen Möglichkeiten (bei 60 % von der 28. Woche an) also noch 4 - 5 Monate. Prima vista kann zunächst, wie dieser "Fall" sich darstellt, von einem fetalen Behandlungsversuch und nicht von einem gezielten Experiment mit vorher genau definierter Fragestellung die Rede sein. Ethische Beweggründe, der sogenannte Rettungswille, wie für das werdende Leben im Gesetz vorgeschrieben und verfassungsrechtlich geboten, können immerhin im Vordergrund gestanden haben, zumal die Schwangere durch das Schädelhirntrauma ein Unfallopfer, also Patientin und nicht Probantin war. Intensivmedizinische Maßnahmen hatten das Erlöschen der Hirnströme und den unwiderruflichen Untergang der Hirnfunktionen (auch des Stammhirns?) nicht aufhalten können. Die Kriterien des Hirntodes waren erfüllt. Da der Tod für die einzelne Zelle und für die Organe des Körpers nicht zeitgleich eintritt der Mensch sozusagen von oben nach unten stirbt, einem Sterbeprozeß unterliegt - hat die moderne Medizin mit der Definition "Hirntod" zumindest den Zeitpunkt des unwiderruflichen Untergangs personalen Lebens festgelegt und damit die Möglichkeit, auf legale Weise den Sterbeprozeß zu unterbrechen und durch künstliche Beatmung vegetatives Leben zu verlängern, geschaffen. Dies allerdings nur so lange, wie Restfunktionen des Stammhirns noch vorhanden sind, das verlängerte Mark intakt ist, oder im Falle einer fortgeschrittenen Schwangerschaft diese Funktionen durch das Kind übernommen werden. Dieses kann frühestens von der 22. - 24. Woche an möglich sein. Die Skepsis in der Bevölkerung, hier einen ganzen Frauenkörper zu instrumentalisieren, als Transplantat zu benutzen, hat insbesondere die Frauen spontan erfaßt. Laut Umfrage äußerten sie sich, die Ärztinnen nicht ausgenommen, mehrheitlich äußerst emotional gegen eine solche soziale Verfügbarkeit oder Verpflichtung des Körpers über den Tod hinaus, und spürten Frauenfeindlichkeit und Diskriminierung in diesen Maßnahmen auf. Die großen Zentren der Transplantationsmedizin - in der Bundesrepublik Deutschland 1 eine bereits etablierte klinische Therapie mit allein 1990 über 3000 Organverpflanzungen und noch wachsendem Erfolg - haben die spontane und populistische Welle der Ablehnung mit 15% Rückgang der Einwilligungen zur Organentnahme zu spüren bekommen. Bei der Brisanz des Themas, wo schicksalhafte Entscheidungen für die Überlebensperspektiven vieler Menschen getroffen werden, ist selbstverständlich, daß die neuen medizinischen Möglichkeiten wieder neue ethische Fragestellungen aufwerfen. Die weltweiten Diskussionen über Beginn personalen Lebens und Hirntodzeitpunkt unter Ethikern, Juristen, Moraltheologen und Medizinern unterstreichen die Aufgabe, hier einen Konsens im Dilemma einer pluralistischen Gesellschaft zu finden. Dennoch sollte hier nicht nach dem gesunden Volksempfinden vordergründig eine Verbindung zwischen den Problemen der Transplantationsmedizin, als einer allgemein verbreiteten klinischen Behandlungsmethode, und dem Erlanger Fall hergeleitet werden. Der Umstand, daß hier ein Frauenkörper in toto, dazu posthum, zum Zeitpunkt der völligen Abhängigkeit des Kindes vom mütterlichen Organismus in seinem Stoffwechsel (vegetatives Leben) künstlich im Sterbeprozeß angehalten wird, um ein Lebensrecht des Ungeborenen zu gewährleisten, geht weit über die etablierten und erfolgreichen Möglichkeiten der Transplantationsmedizin hinaus. Desgleichen haben die pränatale, perinatale und insbesondere die praediktive Medizin und ihre beeindruckenden Leistungen hier keine besondere Verantwortung zu übernehmen, vielmehr ist hier der viel allgemeinere Wertewandel verantwortlich zu machen, der durch technischen Fortschritt mit der Verschiebung der Begriffspaare Mensch-Maschine, NatürlichKünstlich, dem Kult des Möglichen und Machbaren, die Grenzziehung bei Beginn des Lebens und im Todesprozeß verschoben hat. Im Zugriff auf fundamentale Steuerungsprozesse des Lebens, z.B. in der Endokrinologie, wird seit längerer Zeit bereits grundsätzlich die Möglichkeit einer Schwangerschaft jenseits des Lebensalters natürlicher Empfängnis bei der Frau, rein theoretisch auch beim Manne, diskutiert. Es sollte also niemanden wundern, wenn hier Ängste und Abwehr bei den Frauen entstehen, die das Ansinnen ablehnen, über den Tod hinaus eine soziale Verfügbarkeit des weiblichen Körpers zuzulassen, um ein Lebensrecht des Ungeborenen vorrangig vor dem ethischen Grundsatz der Autonomie der Frau durchzusetzen. Der zutiefst frauenverachtende Ansatz dieses Denkens wird noch deutlicher, wenn man sich die Schwangerschaft wieder als Lebensprozeß in den Blick rückt. Schwangerschaft ist kein Vorgang oder Automatismus sui generis, losgelöst vom übrigen biologischen und personalen Leben und Erleben der Mutter, besser noch der Weiblichkeit. Der Embryo und der Fetus ist Teil des mütterlichen Organismus und offenbar mindestens bis zur 22. 24. Woche in allen Funktionen - nicht nur Sauerstoffversorgung - von den Steuerungsmechanismen der Mutter schicksalhaft abhängig, kann nur mit der Mutter leben und 1 muß auch mit der Mutter sterben. Daran kann auch die Intensivmedizin letztlich längerfristig über den Hirntod hinaus noch nichts ändern. Wenn Teilfunktionen des Hirnstammes noch vorhanden sind, sind maximal 3 - 4 Wochen künstlicher Beatmung beschrieben. Längere Beatmungszeiten (wie im Stuttgarter Fall) sind entweder bei Partialhirntod (Großhirntod) möglich, oder auch denkbar mit Übernahme hormonaler Steuerung durch die Leibesfrucht mit schon erfolgter Entwicklung von Zwischenhirn und Neurohypophyse. Schwangerschaft ist ein zutiefst konsumierender und an der Lebensgrundsubstanz zehrender Prozeß - sozusagen ein über etwa 280 Tage dauernder Balanceakt körperlicher, geistiger und seelischer Hochleistung, der alle vitalen und funktionalen Kräfte erfordert; hierzu hat auch in unserer Zivilisation die Natur die gesundeste Zeit des Lebens, die zwanziger Jahre, vorgesehen und läßt deshalb die Hormonproduktion bei der Frau so frühzeitig erlöschen. Zudem gibt es bei den komplizierten Steuerungsprozessen der Fortpflanzung, die wir erst bruchstückweise verstehen, in den neuronalen Bahnen und Hirnarealen gravierende geschlechtsspezifische Unterschiede. Ich nenne hier nur die Stressverarbeitung und Adaptation nach Schlaganfall in Feinmotorik und Sprache. Die Steuerungsmechanismen über Transmittersubstanzen und sogenannte Releasinghormone des Zwischenhirns und der Neurohypophyse sind unerläßliche Leistungen der Mutter, die weder durch die Plazenta ersetzt noch in der frühen Entwicklungsphase des fetalen Lebens vom Kind erbracht werden können. Eine Schwangerschaft in einer toten Mutter fortzuführen, könnte aus den bisherigen medizinischen Kenntnissen nur dann Sinn machen, wenn die Grenze der Lebensfähigkeit außerhalb des Mutterleibes, etwa die 24. Woche erreicht ist, wo bestimmte Überträgersubstanzen sowie Hormone bereits vom Kinde gebildet werden. Die Entscheidung fetaler Therapie bei einer Hirntoten wird immer aus dem konkreten Einzelfall erfolgen müssen, da trotz Sistieren der Hirnströme Restfunktionen der Stammganglien möglich, jedoch nicht nachweisbar sind. Die Auslösemechanismen der Wehentätigkeit schließlich, die zur Ausstoßung der Frucht führten, gehen offenbar noch auf das Konto der komplizierten hormonalen Steuerung des mütterlichen Organismus, oder sind Ausdruck der fehlenden Blockade der vorzeitigen Wehentätigkeit durch die Mutter, die nach einer gewissen Zeit einen kompletten Ausfall der Funktionen des Zwischenhirns und der vegetativen Zentren ausweist. Inwieweit das Kind in dieser unreifen Periode das Geschehen beeinflußt, gehört noch in den Bereich der Spekulation. Beim reifen Kind ist dies sicher der Fall. Tatsache ist, daß Wehenhemmung nicht immer gelingt, sie ist abhängig vom intakten Stoffwechsel des Stammhirns, vielleicht auch höherer Hirnareale. Bei einem kompletten Hirntod mit Untergang der Steuerungszentren muß es offenbar zwangsläufig zur Ausstoßung und zum Untergang der Frucht kommen, auch wenn durch Beatmung der Stoffwechsel des übrigen Organismus künstlich in Gang gehalten wird. 1 Nun zur Frage der möglichen Fruchtschäden bei einer solchen Verlängerung des Lebens auf künstliche Weise. Wir wissen von den Embryologen und Humangenetikern, daß die natürliche Entwicklung vom Keimling - der Blastocyste - bis zum mehr oder weniger reifen Neugeborenen und noch darüber hinaus ein Kontinuum ist. Dieser Weg ist genetisch vorprogrammiert, wobei stufenweise Stationen erkennbar sind, wo Fehlentwicklungen ein Weiterwachstum nach dem "Alles- oder Nichts-Gesetz" unmöglich machen. So sterben schätzungsweise über 60 % der Embryonen bereits vor der Implantation. Die Rate echter Fehlgeburten bis zur 10. Woche wird zu den Geburten mit 3 : 1 ins Verhältnis gesetzt. Sind aber einmal die Organstrukturen gebildet und erste Synapsen und neuronale Vernetzungen entstanden, geht das Programm des genetischen Codes weiter und es sind nachhaltige Fruchtschädigungen durch eine künstliche Sauerstoffversorgung der Mutter oder auch kreislaufstabilisierende Maßnahmen zunächst nicht zu erwarten. Die Befürchtung, hier gar Monstren am Leben zu erhalten oder zu züchten, hat sich auch im Bereich der Gentechnologie nicht bewahrheitet. Die Frage, wie früh z.B. sonografisch einfache und komplexe Bewegungsmuster beim Feten nachweisbar (12. - 14. Woche) und Anomalien sicher auszuschließen sind, ist sehr komplex und in Kürze nicht zu erläutern. Embryologen und Neurophysiologen haben hierzu im Zusammenhang mit der Schmerzentwicklung und der Speicherung sensorischer Erlebnisse bei Frühgeburten genaue Aussagen gemacht. In diesem Zusammenhang möglicher Therapieschäden muß herausgestellt werden, daß der äußerst stabile Kreislauf von schwangeren Unfallopfern weitreichende intensivmedizinische Maßnahmen auch in Erlangen nicht erforderlich machte. Dieses wird zumeist damit erklärt, daß die kindlichen Organe helfend eingreifen. Erst in zweiter Linie wird an die Schwangerschaft an sich als Hochleistungsgeschehen (z.B. erhöhte Herzleistung und Grundumsatz, an ihren Dopingund Trainingseffekt) gedacht. Wir müssen wieder lernen, die funktionellen Leistungen der Mütter - das Wunder Schwangerschaft - deutlicher herauszustellen; dann wird es leichter fallen, zu begreifen, daß zur gesunden Kindesentwicklung zu einem so frühen Zeitpunkt eine lebende und möglichst gesunde Mutter gehört. Einen Handlungsbedarf des Gesetzgebers kann man m.E. aus den Erfahrungen des Erlanger und Stuttgarter Falles nicht fordern. Intensivmedizinische Maßnahmen sind immer Einzelfallentscheidungen und gehören in die Handlungskompetenz der behandelnden Ärzte. Eine Verlagerung der Entscheidung auf eine Kommission ist keine Lösung, ein beratendes Votum einer Ethikkommission sicherlich immer hilfreich und wünschenswert. Anders als beim Embryonenschutzgesetz, wo unabsehbare Folgen des Mißbrauchs für spätere Generationen und die Beteiligung von Forschern, die nicht dem Arztrecht verpflichtet sind, zur Diskussion stehen, unterliegen intensivmedizinische Maßnahmen am Ungeborenen dem Arztrecht und der Wahrung der Menschenwürde wie beim Geborenen. 1 Die Rechte der Angehörigen und ihre Entscheidungskompetenz wären zu sichern und ggfs. durch vormundschaftliche Hilfe eine Überforderung zu vermeiden. Eine vorherige Einwilligung der Schwangeren erscheint realitätsfern. Auch im Erlanger Fall war der Wille der Schwangeren nicht erkennbar. Das fehlende Abbruchsverlangen läßt keinesfalls den Schluß der Akzeptanz der offenbar ungeplanten Schwangerschaft zu. Interessant sind die Befragungen suizidaler Frauen in der Schwangerschaft, die in keinem Fall die Möglichkeit der Kindesrettung nach ihrem Freitod erwogen bzw. gewünscht haben. Ich fasse zusammen: Nach medizinischen Erkenntnissen des sich aufbauenden Entwicklungskontinuum: Organogenese in der frühen Embryonalzeit - Entwicklung von Schaltstellen für komplizierte Bewegungsmuster in der frühen Fetalzeit - neuronale Vernetzung und Stammhirnverbindungen zum Großhirn von der 22. Woche an - ist ein Überleben außerhalb des Mutterleibes vor diesem Zeitpunkt nicht möglich. Vielleicht wird die 20igste Woche die "absolute Schallgrenze" sein. Fetale Therapie durch intensivmedizinische Maßnahmen im Körper einer beatmeten Hirntoten nach diesem Zeitpunkt ist möglich, ist offenbar den Bedingungen im Inkubator nicht überlegen. Es kann z.Z. durch "vegetatives Weiterleben", ohne die notwendigen integrierenden Leistungen der Stoffwechselzentren im Gehirn der Schwangeren, die Schwangerschaft nicht simultiert werden. Erst im Moment der Übernahme der Funktionen der Zentralnervensystems -Verbindung von Thalamus und Hirnrinde (22. Woche) - wäre fetale Therapie sinnvoll. Wir sollten uns der vorgeburtlichen schicksalhaften Verbundenheit von Mutter und Kind, den multiplen Gefahren des Untergangs bis zur Neugeborenenperiode und darüber hinaus neu bewußt werden, und Schwangerschaft als Höchstleistung des Gesamtorganismus der Mutter, von Leib und Seele - nicht nur der Gebärmutter - ansehen. Man ist eben nicht nur ein bißchen schwanger - an begrenzter Stelle - sondern mit jeder Faser des Seins, mit Leib und Seele, Haut und Haar! Die perinatologischen Intensivmediziner mit den beachtlichen Erfolgen der Apparatemedizin werden sich den Sachargumenten der Embryologen und Neurophysiologen sicher nicht verschließen. Die perinatologischen Studien weisen aus, daß wir eine weitere Verbesserung der Resultate nur über eine konsequente Herabsetzung der Frühgeburtlichkeitsrate erzielen werden. Die Ausbildung des Sensorium und die Speicherung frühkindlicher Erlebnisse zu erforschen und ein intrauterines Psychogramm zu erstellen, kann nur mit der lebenden Mutter und unter dem Nachweis eines anatomischen Substrats beim Ungeborenen erfolgen. Hier verfügen wir schon über vielversprechende Ansätze. Für die Entscheidung im Einzelfall erhebt sich die Frage der Grenzziehung: Ab wann besteht Überlebensmöglichkeit autonom von mütterlichen Steuerungsmechnismen, und inwieweit beinhalten die Hirntodkriterien alle Stammhirnfunktionen. Die Grauzone für die Entscheidung der fetalen Therapie entsteht in der noch nicht diffizil beherrschten Diagnostik, im 1 Einzelfall Restaktivitäten, Areale intakter Funktion von Stammhirn und Neurohypophyse zu erkennen, und insgesamt die Bedeutung der mütterlichen Steuerungsleistungen adäquat einzuschätzen. Weitgehende Unkenntnis im Detail besteht nicht nur beim Ablauf von Wehenhemmung und Wehenauslösung sondern in der Hirnstoffwechselforschung allgemein, der Immunologie in der Schwangerschaft und spezifischer endokrinologischer Vorgänge der Adaption. Der Glaube, man könne es erreichen, nach Ausfall auch von Partialfunktionen (also beim kompletten Hirntod) durch künstliche Beatmung sozusagen beliebig das vegetative Leben fortzusetzen, ist eine unzulässige Mystifizierung der Apparatemedizin. Eine Beatmung bei kompletten Hirntod gelingt allenfalls 2-3 Wochen. Ob Schwangere oder trainierte Sportler längerfristig kreislaufstabil sein können, ist bisher nur Vermutung. 1 Hirntod und Schwangerschaft. Ethische Aspekte Hans-Martin Sass Vorbemerkung Für die ärztliche Fortbildung sind drei ethische Fragen in der Analyse der Interventionsentscheidungen bei der hirntoten Gabi Siegel und des damals noch ungeborenen Max Siegel wichtig. (1) Ethisch ist an dem Fall einer hirntoten Schwangeren neu, daβ bisherige ethische und technische Instrumente für Entscheidungen zum Behandlungsabbruch (Todesdefinition) überprüft werden müssen. (2) Für die praktische Medizin ist wichtig, daβ sie sich nicht allein auf technische Kriterien intensivmedizinischer Arztethik verlassen darf und mehr als bisher Patienten oder ihre Vertreter an Entscheidungen beteiligen muβ. (3) Ethische Probleme werden oft unter Zeitdruck entschieden; es trägt zur Qualitätsverbesserung bei, wenn schon vorsorglich Entscheidungsinstrumente (Betreuungsverfügung) bereitstehen. Ich werde zunächst (1) den instrumentellen Charakter ethischer Prinzipien für Orientierung und Entscheidung unterstreichen und (2) Leistungen und (3) Risiken der Hirntoddefinition skizzieren. Danach werde ich (4) auf die Kontroverse um den Beginn des moralisch und medizinisch zu respektierenden ungeborenen Lebens eingehen und (5) einen Vorschlag zur Modifizierung der klinischen Kriterien des Hirntodes und der Diskussion um den moralischen Status des ungeborenen Lebens machen. Für beide Fälle schlage ich vor, den zunächst und direkt Betroffenen durch Gewissensklauseln und Betreuungsverfügungen eine Modifikation uniformer medizinischer oder rechtlicher Kriterien zuzugestehen. Instrumente und Urteile Nicht selten sehen sich Kliniker von einzelnen Fällen menschlich und beruflich besonders gefordert und zwar nicht wegen der technischen Komplexität, sondern wegen der menschlichen Herausforderung. Das ist immer dann der Fall, wenn über den Einsatz von Instrumenten hinaus Urteile gefordert werden, die nicht mehr von der Zweck-Mittel Relation zum Instrument abgedeckt sind. Auch dem Ethiker, der an der Bereitstellung ethischer Instrumente in der rationalen ethischen Analyse und möglichst konkreten Abwägung der moralischen Parameter eines bestimmten Falles oder Szenariums mitarbeitet, geht es ähnlich. Er ist als Experte gefragt, kann aber nicht umhin, als Mensch von dem Schicksal von Mitmenschen betroffen und beeinfluβt zu sein, von ihren Hoffnungen und Ängsten, dem Leid, der Freude, den Unsicherheiten und Risiken bei Entscheidungen von groβer Tragweite für sie selbst und die ihnen Anvertrauten. Seit ich im Sommer 1991 mit Karl-Eugen Siegel ein längeres Telefongespräch führte und im Sommer 1993 Karl-Eugen und Max Siegel kennenlernte, fühle ich mich von den hier zu diskutierenden ethischen Fragen auch persönlich betroffen. Diese 1 persönliche Bemerkung möchte ich vorausschicken; denn sie ist auch gleichzeitg eine methodische Vorbemerkung zur Funktion der instrumentellen und kalkulierenden Vernunft, ihrer groβartigen Leistung, aber auch ihren Risiken und Grenzen. Die persönliche Nähe zu einem 'Fall' beeinfluβt das Urteil und daran ist nichts falsch, solange man sich dessen bewuβt ist. Es wäre vielmehr ärztlich und arztethisch falsch, sich "sachneutral" an technischen oder ethischen Kriterien zu orientieren, an Symptomen oder Prinzipien, ohne im Patienten den Mitmenschen als Träger von Wünschen und Werten zu sehen. In vielen Urteilssituation müssen (a) technische und ethische Instrumente überprüft und eventuell neu konstruiert werden, sowie (b) Entscheidungskonflikte durch eine Risikopartnerschaft mit dem Patienten reduziert oder verlagert werden. Die Geschichte der medizinischen und ethischen Begleitung und Betreuung der hirntoten schwangeren Gabi Siegel durch die Ärzte und ihre Teams und nicht zuletzt durch den Ehemann und seinen Familien- und Freundeskreis ist voll von aktuell notwendig gewordenen Entscheidungen, für die die Routine ärztlichen und persönlichen Entscheidens keine Rezepte hergab, und die dennoch im Nachhinein als gelungen bezeichnet werden müssen. Ärzte am Krankenbett und Ethiker im Beratungsgremium vertrauen oft zu leicht und ohne das nötige Risikobewuβtsein, technisch scheinbar soliden und präzisen Abwägungen und vergessen oder kennen oft wichtige Details nicht oder sind sich situativer Unsicherheiten und Risiken nicht bewuβt. Was wichtiger ist als die starre Befolgung uniformer Regeln, ist das verantwortliche Ausmessen der Tragfähigkeit von Kriterien und Regeln in einer bestimmten Situation, das heiβt hier: in der Wert- und Lebensgemeinschaft zwischen Karl-Eugen und Gabi Siegel, in der Vertrauensgemeinschaft zwischen Ärzten, Team und Karl-Eugen Siegel, schlieβlich in der Therapiegemeinschaft zwischen Mutter, Kind und Betreuern. Der 'Fall' von Gabi und Maximilian Siegel zeigt eindringlich, daβ technische und ethische Kriterien und Konventionen im Einzelfall für eine Überprüfung ihrer Zuverlässigkeit und Zweckmäβigkeit offen bleiben müssen. Diese Überlegung läβt sich in einer ersten These zusammenfassen: Es gibt berufliche und private Situationen, in denen sowohl technisch wie auch ethisch intuitiv gehandelt werden muβ, ohne daβ alle für die Entscheidung notwendigen Informationen und Instrumente zur Verfügung stehen. In solchen Situationen sind technische Normen und ethische Prinzipien nur von adjuvantiver und nicht von regulativer Autorität. Neue Erfahrungen mit den Grenzen der Leistung von technischen und ethischen Instrumenten können deshalb Anlaβ sein, sie zu modifizieren. Von solchen Modifikationen soll im folgenden in bezug auf die Orientierungsinstrumente von Hirntod und Schwangerschaftabbruch die Rede sein. Hirntodkonzept als Orientierungsinstrument Erst in den letzten 25 Jahren ist die Unterscheidung des 'Lebens' und des 'Todes' einzelner Organe vom Leben und Tod des Menschen als eines personalen Wesens von einer theoretischen 1 Frage zu einer praktischen geworden. Der Mensch kann die Funktionseinstellung einiger Organe überleben, auch die des Herzens, zeitweilig auch die des Hirns. Das führte zu ethischen Problemen auf Intensivstationen und bei der Explantation von Organen. 1968 machte deshalb eine Kommission der Harvard Medical School den Vorschlag, den personalen Tod eines Menschen mit dem Funktionsende des 'Hirnorgans' gleichzusetzen. Dieser Vorschlag fand weite Verbreitung und hat seitdem die Einzelfallentscheidung in Bezug auf Fragen der Organspende am Lebensende durch eine generelle Regelung ersetzt. In der Bundesrepublik lautet die entsprechende Definition der Bundesärztekammer: 'Hirntod wird definiert als Zustand des irreversiblen Erloschenseins der Gesamtfunktion des Groβhirns, des Kleinhirns und des Hirnstamms bei einer durch kontrollierte Atmung noch aufrechterhaltenen HerzKreislauffunktion' [3]. Selbst die Sprachregelung, die Organtod mit personalem Tod gleichsetzt, hat sich durchgesetzt: wir sprechen, ohne daß sich intellektueller oder ethischer Widerspruch erhebt, ziemlich selbstverständlich vom 'Hirntod'. Unsere Sprachregelung macht also stillschweigend einen Unterschied zwischen biologischem und personalem menschlichen Leben, das wir in dieser ethischen und kulturgeschichtlich abgestützten Interpretation biologischer Fakten mit der Möglichkeit aktiver Hirntätigkeit gleichsetzen. Diese neue Definition vom Tod eines Menschen lieβ sich im abendländischen Kulturkreis kulturgeschichtlich gut begründen. Die wichtigsten Traditionen waren sich der Bedeutung der kommunikativen und selbstkommunikativen Fähigkeiten bewußt. Es bedurfte nur der Erinnerung an die latente Kraft dieser Identitfizierung von kommunikativem und personalem Sein des Menschen: Die griechich-römische Tradition des Humanismus spricht vom 'zoon logon echon', dem vernunftbegabten Lebewesen; hier wird die Fähigkeit zum Dialog, zur Selbstreflexion und zum Selbstverständnis als die differentia specifica des Menschen innerhalb der Natur und im Gegensatz zu anderen Spezies bezeichnet. Altes wie Neues Testament sprechen von der 'imago Dei', dem Menschen als Ebenbild Gottes, einem Ebenbild, dem Gott nach der Gestaltung des Leibes 'seinen Atem' einblies. Damit ist im jüdisch-christlichen Verständnis der Mensch als Gottes Ebenbild die einzige Kreatur, die von Gott weiß, sich vor ihm verantwortlich fühlen, aber auch von ihm geborgen wissen darf; menschliches Leben ist daher nicht biologisch, sondern im Licht dieses Personseins zu verstehen und zu bewerten. Es war die latente Kraft dieser Theorie als eines Orientierungsinstrumentes, die den Konsens über die klinische Feststellung des irreversiblen Ausfalls der Funktionen des Hirns als identisch mit dem persönlichen Tod erlaubte. Der Wechsel von der traditionellen Herz-Kreislauf Definition zur Hirntoddefinition bringt für die moderne Medizin bemerkenswerte ethische und medizinische Vorzüge: (1) Menschliches Leben, das nicht länger Schmerzen empfinden oder kommunikativ sich mitteilen kann, muß nicht weiter verlängert werden; emotionale, ethische, kulturelle, medizinische und ökonomische Kosten brauchen nicht mehr übernommen werden. (2) Organe und Gewebe stehen für Mitmenschen zur Verfügung, die anderweitig leiden oder eher sterben würden; medizinisches 1 Ethos und mitmenschliche Solidarität erhalten neue Möglichkeiten beruflicher und menschlicher Hilfeleistung. (3) Eine kleine Liste biomedizinischer Kriterien von bioethischer Relevanz ersetzt Entscheidungen im Einzelfall; damit ist ein Instrument vorhanden, das von der ethischen Tradition abgedeckt ist und das vor seinem Eintritt den vollen medizinischen und rechtlichen Schutz und die ungeteilte ethische Solidarität mit dem Mitmenschen fordert, nach seinem Eintritt aber einen solchen Schutz und eine solche ethische Respektierung nicht mehr begründet. Deshalb kann ich als meine zweite These formulieren: Der Übergang in der Definition des Todes vom Herz-Kreislauf-Kriterium zum Hirntod-Kriterium hat mit Recht eine breite Zustimmung in der Intensivmedizin und bei der Explantation von Organen finden können, weil er im Abendland von breiten kulturellen Traditionen abgedeckt ist. Die Zustimmung konnte auch schon deshalb so solide ausfallen, weil die neuen Kriterien nicht nur den irreversiblen Ausfall der Neokortex, sondern der Gesamtfunktion aller Teile des Hirns einschloß. Uniforme Orientierungsinstrumente und Gewissensklauseln Aber das neue uniforme Instrument bringt eigene Probleme mit sich [12]; ich nenne vier Problembereiche: (1) Anencephale können technisch und ethisch nicht, wie die Bundesärztekammer das in ihrem letzten Kriterienkatalog zum Hirntod noch tut [2], unter diese Formel subsummiert werden, nur weil das Groβhirn fehlt. Deshalb kommt es zu Unsicherheiten bei der intensivmedizinischen Versorgung und bei einer eventuellen Organentnahme. Es wäre wünschenswert, ein eigenes Orientierungsinstrument zur medizinischen und ethischen Versorgung von Anencephalen zu entwickeln, das die besonderen technischen und ethischen Parameter dieses Szenariums berücksichtigt. Das Prinzip ethischer Subsidiarität [7] müβte fordern, Nächstbetroffene entscheiden zu lassen über ethische Kriterien für Anwendung oder Unterlassung intensivmedizinischer Versorgung oder Organentnahme, wo immer es zu kontroversen emotionalen und ethischen Positionen unter Experten und in der Gesellschaft kommt. (2) Hirntote Schwangere können nach der geltenden Formel als verzögert Sterbende behandelt werden unbeschadet der Tatsache, daβ sie werdendes Leben unter ihrem Herzen tragen, das seinen Lebenswillen auch in der hormonellen und physiologischen Kommunikation mit dem 'hirntoten' Körper, in dem es sich befindet, ausdrückt. Darauf, daβ weder ethisch noch rechtlich eine Fortsetzung der Schwangerschaft im Interesse des werdenden Lebens gefordert aber auch nicht verboten werden kann, ist sowohl von Juristen wie von Ethikern hingewiesen worden [6]. Deshalb bedarf auch dieses Szenarium einer eigenen ethischen und medizinischen Güterabwägung, bei der Werte und Wünsche von Nächstbetroffenen ebenfalls Priorität vor uniformen Kriterien erhalten sollten. Die ethische Diskussion um das 'Erlanger Baby' hat leider nur einige arztethische sowie versorgungs- und aufklärungsethische Probleme aufgegriffen, ohne die Frage nach den primären Verantwortungs- und Entscheidungssubjekten zu stellen [1; 6; 13]. Hier dagegen waren primär Gewissen und Verantwortung des Nächststehenden und sekundär 1 Gewissen und Verantwortung von Ärzten und Team entscheidungsleitend für eine konsequente ganzheitliche und intensive Behandlung [15]. Betreuungsverfügungen wären für diesen seltenen Fall das bevorzugte Orientierungsinstrument; danach Entscheidungen von Betreuern und Nächstbetroffenen, in deren Verantwortung das noch ungeborene Leben nach seiner Geburt aus der ärztlichen Teilverantwortung 'entlassen' wird. Kein 'Fall' gleicht dem anderen; in ethischer Subsidarität entscheiden Schwangere oder Betreuer. (3) Schlieβlich haben wir es zunehmend mit der Kritik an der Harvard Formel aufgrund der wachsenden Zahl vegetabiler Patienten im 'persistent vegetative state' zu tun. Auch international wächst die Forderung nach ethischen Konzeptionen, die nicht an der potentiellen Explantation von Organen sondern am Wunsch des Patienten sich zu orientieren erlauben. Die Öffnung der uniformen Formel des Gesamthirntodes durch Gewissensklauseln in Betreuungsverfügungen, welche es für den eigenen Tod mit Kriterien des irreversiblen Ausfalls des Neokortex genüge sein lassen, wäre ein geeignetes Instrument zur Reduktion ethischer und emotionaler Konflikte in der Betreuung von langzeitig komatösen Patienten. An anderer Stelle habe ich für eine solche individuelle Öffnungsklausel für die strengen und uniformen Regelungen der offiziellen Hirntoddefinition plädiert [12]. (4) Angehörige anderer Kulturkreise, die eine unverletzbare und nicht in Leib und Seele, soma und anima, aufteilbare Einheit des Lebens sehen, können in der Einstellung der Funktion eines Organs, und sei es auch des 'Hirnorgans', keinen Grund erblicken, dem sterbenden Leben die mitmenschliche Solidarität und Versorgung zu entziehen. Die ethische Akzeptanz von Kriterien des Hirntodes in Asien, in Japan beispielweise, stöβt auf groβe, in der Kulturtradition begründete Kritik. Auch in der kulturell komplexer werdenden Landschaft der Bundesrepublik kann daher aus Gründen der Achtung vor den Werten und Wünschen der Betroffenen ein uniformer Katalog technischer Kriterien nicht in jedem Fall mehr über Intervention oder Interventionsabbruch entscheiden. Aus der uniformen Anwendung der Kriterien des Ganzhirntodes ergeben sich Probleme für die Qualität einer patientenorientierten Behandlung, deshalb formuliere ich an dieser Stelle eine dritte These: Es gibt Situationen, in denen die Lockerung der uniformen Kriterien des Ganzhirntodes durch Akzeptanz von Gewissensklauseln und Betreuungsverfügungen ethisch geboten ist; das Szenarium der Behandlung von hirntoten Schwangeren ist eines unter anderen, welches die zuständigen Gremien der Bundesärztekammer veranlassen sollte, unterschiedliche Kriterien des Ganzhirntodes und des Groβhirntodes zu beschreiben und daran zu appellieren, Werte und Wünsche in Betreuungsverfügungen zu respektieren. Orientierungsinstrumente zum Schutz des ungeborenen Lebens Für die ethische Bewertung und den rechtlichen Schutz des Anfangs des menschlichen Lebens verfügen wir leider nicht über einen der Hirntoddefinition für das Ende des Lebens vergleichbaren allgemein akzeptierten Konsens [11]. Die verschiedenen "Realisationsstufen" des 1 werdenden individuellen Lebens sind - auch in dieser Publikationsreihe - schon mehrfach dargestellt worden. [16] Man kann am Lebensanfang noch weniger als am Lebensende mit uniformen und unflexiblen Orientierungsinstrumenten zur bioethischen Ausmessung von Verantwortung bei biomedizinischen Fragestellungen arbeiten. Deshalb sind gesetzgeberische Bemühungen um uniforme Regelungen auch künftig zur Erfolglosigkeit verdammt, weil sie keinen Raum für individuelle Werte und Verantwortungen lassen. Die Unterschiede in der ethischen Bewertung einzelner Stadien ungeborenen Lebens sind ja nicht deshalb vorhanden, weil eine Seite ethisch ist und die andere unethisch, wie jede der beiden Extrempostionen von pro-choice und pro-life uns glauben machen will, sondern weil mündige Menschen in einer pluralistischen Kultur und Gesellschaft zu unterschiedlichen Güterabwägungen bei ethischen Entscheidungskonflikten kommen. In dieser Situation ist deshalb wie am Lebensende dem individuellen Gewissen ein Freiraum für Verantwortung einzuräumen. Nur eine solche rechtliche Regelung, welche die Achtung vor der grundgesetzlich geschützten Würde des Menschen auch in der Akzeptanz des Gewissens der Schwangeren ausdrückt, wird Gewissensterror und Kulturkampf [14] aufheben. Das Bundesverfassungsgericht hatte in seinem Urteil vom Frühjahr 1993 ein sehr einprägsames Bild von dem Verhältnis zwischen Fetus und Schwangerer gebraucht, allerdings ohne es verfassungsrechtlich und ethisch näher zu analysieren: 'Zweiheit in Einheit' [4]. Es veranschaulicht die ethische und rechtliche Abwägung von möglichen Rechten zweier möglicher Rechtsträger, die ineinander sind, nicht gegeneinander oder auβer einander, und bei der ein möglicher Träger von Rechten nur durch und über einen anderen in seinen Rechten geschützt werden kann. Dieses Szenarium ist grundsätzlich anders als solche, bei denen sich Inhaber von Rechten gegenüber stehen. Zur Leibesfrucht geht der Weg nur durch die Mutter; deshalb sind auch die 'Rechte' der Leibesfrucht nicht mit dem normalen Maβ, das unter Mitmenschen üblich ist, zu messen, sondern mit einem Maβ, das auf die eigentümliche Doppelrolle des Ungeborenen als eines Teils des mütterlichen Körpers, ohne den es nicht leben kann, und als eines möglichen Individuums, das Rechtsverträge abschlieβen kann oder für das man stellvertretend rechtshandelnd tätig werden kann. Entsprechend dem Modell der ethischen Subsidarität würde man in dieser Situation vor allem und zunächst ausschlieβlich an die Verantwortung der Schwangeren im 'Interesse' des ungeborenen Lebens appellieren. Bei Nichtrespektierung der Verantwortung der Schwangeren als der dem Staat oder der Religionsgemeinschaft gegenüber nächstbetroffenen Person als Träger von Menschenwürde und Verantwortungspflicht und -recht, würden Forderungsträger selbst gegen das Gebot der Achtung vor der Menschenwürde verstoβen. Nur die abweichende Meinung der Bundesrichter Mahrenholz und Sommer zieht aus diesem Bild die Konsequenz, daβ das einzigartige Zuordnungsproblem der 'Zweiheit in Einheit'.. grundrechtlich auch nicht annähernd in einer bloβen Gegenüberstellung von Embryo und Frau eingefangen werden (kann), (die 1 grundrechtliche Lage der Frau) ist vielmehr ihrem Wesen nach durch die Verantwortung für das andere Leben mitbestimmt, weil sie dieses Leben in sich trägt. Damit wird nicht ausgeklammert, daβ der Frau dieses andere Leben mit eigener menschlicher Würde auch "gegenübersteht'' [3: Anhang S. 6]. Das Bild der Zweiheit in Einheit verdeutlicht auch, daß sich mit dem Wachstum des Embryo und der Dauer der ununterbrochenen Schwangerschaft die Wertung der Verantwortungszuständigkeit verschiebt, weg von der Autonomie der mütterlichen Entscheidung über ihren Körper und das ungeborene Leben und hin zu wachsenden Rechten des wachsenden Lebens. Leider macht weder die Urteilsbegründung noch das Sondervotum einen konsequenten verfassungs-, zivil- oder strafrechtlichen Gebrauch von dem Modell der Zweiheit in Einheit. Angesichts des Streites unter Philosophen, Theologen und Ethikern, danach auch unter Politikern, Journalisten, Dichtern, Schriftstellern, Wissenschaftlern und Juristen verschiedener Richtung sollten wir darauf verzichten, überhaupt uniforme Regeln für einen bestimmten Zeitpunkt der moralischen Anerkennung des ungeborenen Lebens festzuschreiben. Deshalb formuliere ich meine vierte These wie folgt: Angesichts des Streites unter Theologen, Ethikern, Juristen und Politikern über den Beginn des ethisch zu respektierenden und rechtlich zu schützenden Anfangs des menschlichen Lebens muβ im Sinne des Prinzips der ethischen Subsidarität die Verantwortung primär der Schwangeren als der Nächstbetroffenen und der direkt Verantwortlichen überlassen bleiben; Indikations- und Fristenlösungen müssen durch eine Verantwortungslösung innerhalb einer gewissen Frist ersetzt werden. Staatliche und kirchliche Institutionen sollten individuelle Entscheidungen respektieren und alles tun, um Gewissen und Verantwortung zu stärken und, wo gefordert oder nötig, zu beraten. Ethos der Subsidarität Subsidarität als klassischer Begriff der Moraltheologie besagt, daβ in Fragen der sozialen Ethik übergeordnete Stellen erst dann verantwortlich werden sollen, wenn direkt oder direkter betroffene Gruppen oder Individuen nicht selbst die Verantwortung für in Not gekommene Mitmenschen übernehmen können [7; 8; 12]. Die Enzyklika 'Quadrogesimo Anno' (1931) hatte gegen die Forderungen einer totalitären und zentralistischen marxistisch-leninistischen Gesellschaftethik das Primat der Verantwortung der kleineren ethischen Einheit vor der gröβeren begründet und gefordert. Was der Einzelne, die Familie und die kleineren 'Primärgruppen' ethisch und sozialethisch leisten können, soll nicht durch 'Sekundärgruppen' wie Institutionen, Gemeinden oder Berufsverbände zentralistisch gesteuert werden [7]. Wohl aber sollen und müssen staatliche und kirchliche Institutionen dafür sorgen, daβ die ethischen, organisatorischen und gesetzlichen Voraussetzungen dafür vorhanden sind, daβ die primären Verantwortungsträger mündig werden, und daβ das gesellschaftliche Gefüge funktionsfähig bleibt. Dieses Modell der Subsidarität von Verantwortung muβ nicht erst noch vom Gebiet der Sozialethik in das der Medizinethik übertragen werden. Es war immer schon das 1 Orientierungsinstrument des aegroti salus in der speziellen Hilfe für den individuellen Patienten und nicht in der generellen Erfüllung einer uniforem Regel, mit dem Ärzte und Patienten sich gegen regulierende und dominierende Eingriffe von Theologen, Gesetzgebern und Versicherern gewandt haben. In der Medizin haben traditionell nicht die Ärzteschaft als Institution, sondern der individuelle Arzt als Person im konkreten Fall Verantwortung getragen und den einzelnen Patienten nicht uniform, sondern individuell behandelt. In allen Berufen und im persönlichen Leben ist Subsidiarität ein bewährtes Prinzip zur Stärkung der Veranwortung der zunächst Betroffenen und zur Entlastung des Zwanges zum Konsens bei kontroversen Problemen. Die Schwangere oder der Sterbende als Nächstbetroffene, danach Familie und Freunde, die Glaubens- oder Kulturgemeinschaft sind sukzessiv die primären Träger ethischer Entscheidungen bei Fragen, die zunächst sie selbst angehen und über die sich kein gesellschaftlicher Konsens hat finden lassen. Je weniger Konsens sich unter den 'Experten' und in der Gesellschaft findet, umso mehr wird der lebensweltlich betroffene 'Laie' zum Experten, denn in seiner oder ihrer Lebenswelt sind die Probleme entstanden, hier müssen sie gelöst werden. Es gibt Grenzen der individuellen Entscheidungsfreiheit, die dort liegen, wo die Kohärenz von Kultur und Gesellschaft und der innere Frieden tangiert sind. Bei Gewissensentscheidungen über die Kriterien des eigenen Todes oder die Verantwortung für das ungeborene Leben sind diese Grenzen in keiner Weise tangiert. Im Gegenteil: die generelle Befürchtung, daβ mit der Freigabe des Denkens und des Gewissens die öffentliche Ordnung und die Moral zusammenbrechen würde ist, ist nicht gerechtfertigt. Diese Einsicht ist übrigens ebenso alt wie der kalte und heiβe Krieg zwischen Wertanarchie, Fundamentalismus und Aufklärung. Spinoza schrieb im 'Theologisch-Politischen Traktat' (1670), in dem er eindringlich für die Freiheit des religiösen und philosophischen Gewissens plädierte, daβ mit dem Wegfall des Gewissenszwanges nicht etwa auch öffentliche Ordnung und staatliche Sicherheiten wegfallen würden, sondern daβ im Gegenteil durch die Vernichtung der Freiheit des Gewissens sich auch die öffentliche Ordnung und die staatliche Gemeinschaft selbst vernichten würde. Die Einsicht in die ethische Qualität der Entscheidungen von Nächstbetroffenen vor und über uniformen Entscheidungsinstrumenten kann auf die Diskussion um die rechten Orientierungsinstrumente für eine verantwortliche Behandlung hirntoter Schwangerer übertragen werden. Wie sollen wir das menschliche Leben respektieren, wenn nicht zunächst und primär in der Würde seines Gewissens und der Entscheidung nach Werten und Prinzipien und in der Verantwortung vor dem Mitmenschen. Was der Ethiker in diesen Diskussionen lernt, ist das, was ich als meine letzte und fünfte These formuliere: Es gibt ethische Probleme, bei denen alte Instrumente zur Lösung von Entscheidungskonflikten entweder nicht mehr taugen oder nicht konsensfähig sind. Deshalb sollten Ethiker dazu beitragen, daβ sie selbst, aber auch Ärzte, Politiker und Juristen sich aus Entscheidungen heraushalten, von denen primär nicht sie, sondern andere betroffen sind, und daβ Freiräume für die individuelle Verantwortung der Betroffenen und 1 ihrer Familien geschaffen und geschützt werden. Zurück zur eingangs gestellten Frage: Was ist ethisch neu und wichtig für die Versorgung hirntoter Schwangerer? Wichtig und notwendig ist es, ärztliche Entscheidungskonflikte zu reduzieren durch eine Orientierung an den Wert- und Weltvorstellungen, den Hoffnungen und Wünschen von Patienten. Allgemeine Kriterien des Hirntodes und individuelle Betreuungsverfügungen sind wichtige Orientierungsinstrumente für die Sicherung von Qualität und Vertrauen in die Interaktionen von Ärzten, Mitarbeitern, Patienten und Betreuern. 1 LITERATUR: 1. Anstötz C (1993) The Case of the 'Erlanger Baby' Bioethics 7: 340-350 2. Braude P et al (1988) Human gene expression first ossurs between the four- and eight-cell stages of preimplamentation development Nature 332: 459-461 3. Bundesärztekammer (1991) Kriterien des Hirntodes, Deutsches Ärzteblatt, 88 (49A): 43964407 4. Bundesverfassungsgericht (1993) Urteil des Zweiten Senats vom 28. Mai 1993 [2 BvF 2/90; 2 BvF 4/92; 2 BvF 5/92], als Manuskript 5. Hinrichsen KV (1990) Realisationsstufen in der vorgeburtlichen Entwicklung des Menschen, Bochum 6. v Loewenich V, Obladen M et al (1993) Kontroverse: Hirntod und Schwangerschaft Ethik in der Medizin 5: 24-41 7. Papst Pius XII (1931) Enzyklika Quadrogesimo Anno, Rom 8. Papst Johanes Paul II (1993) Enzyklika Veritatis Splendor, Vatikanstadt 9. Poliwoda S (1993) Bioethische Probleme bei der Definition des Lebensbeginns im Judentum Wiener Medizinische Wochenschrift, Diskussionsforum Medizinische Ethik Nr. 4: XIII-XVI 10. Sass HM (1989) Brain Life and Brain Death: A Proposal for a normative Agreement The Journal of Philosophy and Medicine 14: 45-59 11. Sass HM (1991) Can there ever be a Consensus in the Abortion Debate?, Bochum 12. Sass HM (1994) Die Würde des Gewissens und die Diskussion um Schwangerschaftsabbruch und Hirntodkriterium Medizinethische Materialien Zentrum für Medizinische Ethik Heft 89 13. Schoene-Seifert B (1993) Der 'Erlanger Fall' im Rückblick, Ethik in der Medizin 5: 13-23 14. Schutz des Ungeborenen Lebens. Öffentliche Anhörung des Sonderausschusses 'Schutz des ungeborenen Lebens' des Deutschen Bundestages (1992) Zur Sache. Themen parlamentarischer Beratung, 1/92 15. Siegel KE (1993) Wir durften nicht aufgeben, Gütersloh 16. Medizinethische Materialien, Zentrum für Medizinische Ethik, Heft 5, 10, 15 Ethik: in Verantwortung handeln Nachwort von Karl-Eugen Siegel Als Angehöriger fällt es einem zunächst etwas schwer, die Geschichte der eigenen 1 Familie aus ethischer Sicht zu betrachten. Doch durch den emotional geführten Medienspektakel des "Erlanger Falls" wurden mir erstmals die unterschiedlichsten Problemfelder unserer Geschichte bewußt. Es meldeten sich Mediziner, Theologen, Psychologen, Juristen und Ethiker zu Wort und theoretisierten über die Erfolgschancen des wahrscheinlich autistischen "Frankenstein-Babys" und über die "Menschenwürde einer Leiche". Nur selten und sehr verhalten gaben einzelne Fachleute eine etwas positivere Prognose an. Die fachwissenschaftliche Diskussion[1], vor allem nach dem der Fetus starb, zeigte die Komplexität und die Vielschichtigkeit in diesem Fall mehr als deutlich auf. Die Überforderung eines einzelnen Entscheidungsträgers (behandelnder Arzt) und somit die Notwendigkeit ethischer Gremien, wurde am Fall der Hirntod-Schwangerschaft überdeutlich. Dieses ethische Gremium müßte fallbezogen und somit spontan an jedem größeren Klinikum zusammengerufen werden können. In dieses Gremium gehören reife, ethische Persönlichkeiten, die ihre Entscheidungen aus ihrem Ethos und ihrer fachlichen Qualifikation heraus fällen. Diese Gremien sind nicht nur für solche Fälle notwendig, die an die Öffentlichkeit getragen werden. Äußerst wichtig sind sie für die alltägliche Arbeit im Klinikum, wo täglich schwerwiegende Ja/Nein-Entscheidungen zu treffen sind. Die eigenverantwortliche Entscheidung des einzelnen Arztes, sollte auf breiter fachlicher und ethisch erfahrener Basis in solchen Gremien erfolgen können. Da in unserer Geschichte auch die Einberufung einer Ethikkomission angesprochen, jedoch nie konstituiert wurde, hatte ich mir über die Zusammensetzung keine weitergehenden Gedanken gemacht. Ausgehend von meiner tiefen Verbundenheit mit meiner Frau erachtete ich es als etwas Selbstverständliches, daß ich als nächster Angehöriger der verantwortungsvolle ethische Entscheidungsträger sei. Nicht ein fachkompetenter Dritter, sondern nur ich konnte m.E. auch die Wünsche und Belange meiner Frau annähernd zu ermitteln suchen. Exaktes Wissen über ihren damaligen Willen hatte aber auch ich nicht. Es gab natürlich keine diesbezügliche letztwillige Verfügung meiner Frau, denn wer denkt in der vorgeburtlichen Freude an eine Fortführung dieser Schwangerschaft unter dem Damoklesschwert: Hirntod? Es war für mich eine qualvolle Frage: Was möchte meine Frau? Und ich bin mir bis heute nicht sicher, was meine Frau in diesen 77 Tagen ihres Sterbens auf sich genommen hat. Doch wie soll eine Entscheidungsfindung stattfinden, wenn eine Befragung nicht mehr möglich ist. Können Empfindungen, auch wenn wir zehn Jahre verheiratet waren, Grundlage einer solchen Entscheidung sein? In welchem Zustand befindet sich jemand, wenn er hirntod ist? Rational ließ sich dieser Frage nicht beikommen, doch meinte ich drei Phasen bei meiner Frau zu erkennen. Die verständliche Reaktion in der ersten Phase war: sich aufzugeben und ihr Kind mitzunehmen. Die nächste Phase war geprägt von ähnlichen Überlegungen wie auch ich sie anstellte. Sollte unser Kind zum Sterben oder zum Leben geboren werden? Und schließlich die dritte und entscheidende Phase, in der ihre Entscheidung für das Überleben unseres Kindes und 1 der mütterlichen Fürsorge bis zur Geburt fiel. Leider vermischen sich hier die Ausdrucksformen zwischen dem damaligen Denken und Empfinden und dem heutigen Wissen über den entsprechend positiven Ausgang. Die "Krise" und damit letztlich der Eintritt des Todes meiner Frau, trat genau zu dem Zeitpunkt ein, in dem unser Kind gute Überlebenschancen auch außerhalb der schützenden Umhüllung seiner Mutter hatte, und es für sie "genug" war. Heute, zweieinhalb Jahre nach dieser Entscheidung, denke ich, daß es eine ethisch verantwortbare Entscheidung war, die auch von allen Beteiligten mitgetragen wurde. Meine Meinung, daß der Partner oder die nächsten Angehörigen immer die letztendliche Entscheidung fällen und tragen müssen, habe ich korrigiert. Diese außergewöhnliche Situation überfordert sicherlich die meisten Betroffenen und auch ich begreife erst heute im Nachhinein die ganze Tragweite meiner damaligen Entscheidung. Ich denke es ist sinnvoll, daß die Entscheidung möglichst von dem Partner oder den nächsten Angehörigen getroffen werden, jedoch mit Beratung und Unterstützung eines ethischen Gremiums, das wie oben dargelegt zusammen gesetzt ist. Dabei sollten auch die Erfahrungen bereits zuvor Betroffener eine gewichtige Rolle spielen. Selbstverständlich ist auch dieser Personenkreis unter dem Kriterium: "reife, ethische Persönlichkeit" auszuwählen. Eine ganz andere ethische Fragestellung bei der Hirntod-Schwangerschaft ist die Frage des Individualtodes. Kann die Entscheidung über Tod und Leben eines Menschen nur am Gehirn oder gar am Großhirn festgemacht werden? Ich denke, daß ich aus meiner Erfahrung mit meiner hirntoten Frau genügend Beweise aufzählen kann um, wenigstens für mich persönlich, die Hirntod-These für den Individualtod zu widerlegen. Die Definition des Hirntodes halte ich jedoch für ein sehr brauchbares Mittel um den Zustand zu beschreiben, in dem eine Person nicht mehr ins Bewußtsein zurückgebracht werden kann. Dies entspricht unserem heutigen medizinischen Wissen so, wie vor Jahrzehnten Atem- und Herzstillstand den Tod charakterisierten. Heute leben diese Toten und wir belächeln unsere wissenschaftlichen Ahnen über ihr geringes Todesverständnis. So ist der Hirntod auch nur eine weitere Station unseres Sterbeprozesses, die wir momentan als unsere medizinische Grenze betrachten müssen. Bevor ich auf Einzelheiten meiner Feststellungen zum Beweis des Lebens meiner hirntoten Frau eingehe, möchte ich deutlich machen, daß ich keines Falls ein Gegner der Transplantationsmedizin bin. Ich für meinen Teil denke nur, daß es unverantwortlich ist, mit Desinformation und Unwissenheit die Bevölkerung zu potentiellen Organspendern zu machen. Die Angst in der Öffentlichkeit, daß der Hirntod doch nichts endgültiges und festes ist, wurde durch den drastischen Rückgang der Spendefreudigkeit nach dem "Erlanger Fall" sehr deutlich. Wäre es nicht weitaus fairer, die Bevölkerung dahingehend aufzuklären, daß sie momentan keine Chance haben aus diesem Hirntod-Zustand zurück ins Bewußtsein zu kommen, und daß sie auch im Prozeß der Organspende als Person geachtet werden. Denn hat es ein Mensch, dessen letzter Wille es ist, mit seinen Organen einem anderen noch zu helfen, nicht verdient, dies als Persönlichkeit zu tun, was 1 er ohne Zweifel ja auch ist. Oder soll er, wie dies juristisch heute der Fall ist, diesen Akt der Hilfe als "lebende Leiche" tun? Um nicht ganz als unwissender und unverständiger Laie abgetan zu werden möchte ich das Thema der neueren Hirnforschung ansprechen. Hier wird u.a. versucht, fetale Nervenzellen zu verpflanzen. Das heißt, daß Hirngewebe einem lebenden Feten entnommen werden um sie einer anderen Person (z.B. Parkinson Patient) einzupflanzen. Hier spätestens kommen die Befürworter der Hirntod-These als Individualtod und die Organtransplanteure in ein Dilemma und brechen damit ihr eigenes Tabu. Da die Identität und die Persönlichkeit des Menschen, so die Aussage beim Hirntodkriterium, an das Hirngewebe gekoppelt ist, stellt sich bei einem fremden Hirngewebsimplantat die Frage, welche Identitäts- und Persönlichkeitsprobleme notwendigerweise auftreten müssen. Es stellt sich letzendlich die Frage nach der persönlichen Identität des Empfängers. Nicht zuletzt wird heute bereits an Neuroprothesen gearbeitet. Dies sind gezielte Stimulationen der Hirnrinde um ausgefallene Sinnesorgane (Ohren, Augen) zu ersetzen oder auch gedankliche Steuerungssysteme [2], die technische Prozesse über EEG-Muster regeln. Es stellt sich mir bei dieser Betrachtung die unwissenschaftliche Frage nach dem Sitz der Seele. Daß das Gehirn und ggf. sogar nur bestimmte Teile des Gehirns die materielle Grundlage unseres Denkens, Fühlens, Wollens, kurz unseres Ichs ist, wird von den meisten Neurowissenschaftlern anerkannt. Einen bestimmten Teil des Gehirns als Zentrum des Ichs zu lokalisieren, scheitert an dessen neuronaler Plastizität. Auch dramatische Charakter- und Persönlichkeitsveränderungen nach neurochirurgischen Eingriffen belegen letztlich nur eine materielle Fehlleistung durch die veränderte Gehirnstruktur und Gehirnvernetzung und sagen nichts über die "Seele" und deren möglichen Veränderungen aus. So läßt sich auch bei einem völligen Defekt des Hirns nicht einfach schlußfolgern, daß nunmehr die Seele (Persönlichkeit, Identität, Denken, Fühlen, Wollen) aufgehört haben zu existieren, während der Körper durch Maschinen am Leben erhalten wird. Meine persönlichen Erfahrungen mit und an meiner hirntoten Frau geben beeindruckend wieder, daß die Seele noch nicht aus dem hirntoten Körper entwichen ist. Unser feinstes Instrument für solche zwischenmenschlichen Impulse, unser Empfinden, ist in unserer modernen Welt mehr und mehr verkümmert und hat auch den Nachteil, daß es nicht unabhängig wiederholbar und somit unwissenschaftlich ist. Doch ganz kurz möchte ich doch die Empfindungswelt ansprechen, wie sie die Musiktherapeutin meiner Frau in diesem Heft auf Seite 10-12 schildert. Meine Frau reagierte auf die beiden Therapieformen, Musiktherapie und Eurythmie sehr deutlich, was ich zunächst sehr skeptisch beobachtete. Doch wiederholte sich diese meine Feststellung in allen weiteren Sitzungen und war auch über das Monitoring eindeutig nachzuweisen. Die Musiktherapie wirkte sich beruhigend auf die Herzfrequenz aus, während die 1 feinen und leichten eurythmischen Armbewegungen eine sehr hohe Frequenz bewirkten. Dies überraschte mich besonders, da die auch verabreichte Krankengymnastik, als sehr grob und aktive Bewegungsform weit geringere Ausschläge bewirkte, als diese ruhigen Bewegungen der Eurythmie. Diese beiden anthroposophischen Therapieformen bezeichne ich, als Nichtanthroposoph, als psychotherapeutische Maßnahmen, um direkte seelische Kontakte herzustellen. Dieser Kontaktaufbau zur Seele meiner Frau gelang durch diese Therapieformen, und sie reagierte sichtbar via Monitor. Wie immer man zu diesem Thema: Hirntod und Schwangerschaft stehen mag, so denke ich, daß es ethisch nicht nur vertretbar wäre, sondern sogar geboten, vor allem aus den Erfahrungen aus dem "Erlanger Fall", daß eine hirntote Schwangere solange nicht als Leiche und Sache zu betrachten ist, als sie Mutter ist und Leben unter ihrem noch selbst-aktivem Herzen trägt. Hier eine Gesetzesänderung zu bewirken, hieße gesellschaftliche Verantwortung für Mutter und Kind zu tragen. Dies sind wir nicht nur der Menschenwürde der sterbenden Mutter sondern vielmehr dem heranwachsenden Kinde schuldig. 1 Literatur: 1. Mainz, 12.12.1992, vgl. Ethik in der Medizin, Bd. 5, Heft 1 1993, Berlin, Kaiserin Wilhelm Stiftung, 16. Symposion für Juristen und Ärzte, 22.-23. Jan.93: Rechtliche und medizinische Probleme zu Beginn des Lebens 2. IX. Multiuser, Multitasking Magazin, Nov. 1993, Gehirnströme steuern Computer, S.42ff. 1 Autorenverzeichnis: Monica Bissegger Musiktherapeutin Filderklinik 70794 Filderstadt Prof. Dr. med. Klaus V. Hinrichsen Institut für Anatomie Medizinische Fakultät Ruhr-Universität Bochum 44780 Bochum Tel: 0234-700 3164; Fax: 0234-7094 190 Dr. med. Ernst Joachim Reichelt Oberarzt, Frauenabteilung Filderklinik 70794 Filderstadt Tel: 0711-770 31; Fax: 0711-770 3484 Prof. Dr. phil. Hans-Martin Sass Institut für Philosophie Georgetown University Ruhr-Universität Bochum Kennedy Institute of Ethics 44780 Bochum Washington DC 20057 Tel: 0234-700 2750; Fax: 0234-7094 288 Dipl. Kaufmann Karl-Eugen Siegel Postfach 400 726 70407 Stuttgart Tel/Fax: 0711-8 26 45 77 Begründer der gemeinnützigen Gesellschaft zur medizinisch-therapeutischen Rehabilitation und Pflege Schädel-Hirn-Verletzte in Baden-Würtemberg m.b.H. 1. Vorsitzender von CERES Heidenheim: Verein zur Hilfe für Cerebralgeschädigte e.V. Dr. med. Inge Wolf Ärztin für Frauenkrankheiten Friesenring 80 48147 Münster Tel: 0251-29 88 77; Fax: 0251-29 74 68 Heft 88 STERBEN UND SCHWANGERSCHAFT Mit Beiträgen von Monica Bissegger, Klaus V. Hinrichsen Ernst Joachim Reichelt, Hans-Martin Sass Karl-Eugen Siegel, Inge Wolf herausgegeben von Klaus V. Hinrichsen 3. Aufl. Juni 1994 ABSTRACT: DYING AND PREGNANCY Gaby Siegel had been diagnosed brain-death shortly after a sudden and unexpected breakdown in July 1991 and three month prior to the birth of her healthy son Max. Gaby's and Max's fascinating story was discussed at an interdisciplinary workshop at the MEDICA symposium in November 1993. This is the first publication reviewing the successful results of medical and ethical challenges of intensive care for brain-death pregnant women. It contains the presentations of Ernst Joachim Reichelt MD, the attending physician, Monica Bissegger, the music therapist, Inge Wolf MD, an gynecologist, Prof. Hans-Martin Sass PhD, a bioeticist, and Prof. Klaus Hinrichsen MD, an embryologist, who chaired the workshop. Dr. Reichelt and Ms Bissegger give a detailed inside look into their clinical and therapeutical experiences and complex challenges in intensive care and music therapy. Inge Wolf discusses gynecological and ethical issues while Hans-Martin Sass calls for a Conscience Clause in Advance Directives and in Brain Death Criteria which should allow to "opt out" of otherwise inflexible medical-ethical instruments. Klaus Hinrichsen, the Director of the Bochum Center of Medical Ethics, reflects in his introductory remarks on dilemmas arising from conflicts between care for the dying and care for the unborn. Karl-Eugen Siegel, Gaby's husband and Max' father, who attended the MEDICA workshop, contributes concluding remarks. ZUSAMMENFASSUNG: In dem vorliegenden Heft wird die Schwangerschaft von Frau Siegel nach ihrem körperlichen Zusammenbruch am 4.7.1991 beschrieben. Bei der schwangeren Frau Siegel wird bald Hirntod diagnostiziert. Es werden die verschiedenen Blickwinkel des Umgehens mit einer hirntoten Schwangeren beschrieben. Prof. Dr. Hinrichsen leitet die Tagung durch einige grundlegende Bemerkungen ein. Dr. Reichelt legt als behandelnder Arzt die medizinischen Parameter dar und die Musiktherapeutin Frau Bissegger berichtet über ihre Erfahrungen während der musiktherapeutischen Behandlung. Frau Dr. Wolf stellt als Frauenärztin gynäkologische Überlegungen zu Hirntod und Schwangerschaft an. Der Philosoph Prof. Dr. Sass stellt die ethischen Besonderheiten des "Stuttgarter Falls" heraus und beschreibt die Notwendigkeit der individuellen Entscheidung in diesem Fall. Das Heft wird durch einen Beitrag des Ehemanns und Vaters Herrn Siegel abgerundet, der seine persönlichen Erfahrungen während der Behandlung seiner Frau bis zur Geburt seines Sohnes schildert. In diesem Band wird erstmalig der Fall von Frau Siegel auf einem Kongreß von Ärzten und Ethikern besprochen. ISBN 3-927855-66-9 Inhaltsverzeichnis: Seite Einleitung Prof. Dr. Klaus V. Hinrichsen Hirntod und Schwangerschaft - Eine Fallbeschreibung Dr. med. Ernst Joachim Reichelt Betreuung von Frau Siegel aus musiktherapeutischer Sicht Monica Bissegger Gynäkologische Überlegungen zu Hirntod und Schwangerschaft Dr. med. Inge Wolf Hirntod und Schwangerschaft. Ethische Aspekte Prof. Dr. phil. Hans-Martin Sass Nachwort: Ethik: in Verantwortung handeln Dipl. Kaufmann Karl-Eugen Siegel 1 4 10 13 21 32 Herausgeber: Prof. Dr. phil. Hans-Martin Sass Prof. Dr. med. Herbert Viefhues Prof. Dr. med. Michael Zenz Zentrum für Medizinische Ethik Bochum Ruhr-Universität Gebäude GA 3/53 44780 Bochum TEL (0234) 32-22750/49 FAX +49 234 3214 – 598 / 088 Email: [email protected] Internet: http://www.ruhr-uni-bochum.de/zme/ Der Inhalt der veröffentlichten Beiträge deckt sich nicht immer mit der Auffassung des ZENTRUMS FÜR MEDIZINISCHE ETHIK BOCHUM. Er wird allein von den Autoren verantwortet. Die Veröffentlichung der Beiträge dient der Diskussion und erfolgt mit der Zustimmung der Autoren. Die Vorträge wurden im Rahmen der Veranstaltung "Hirntod und Schwangerschaft aus ärztlicher und ethischer Sicht" am 20.11.1993 während der 25. Internationalen Fachmesse und Kongreß Medica 93 gehalten und wurden für diese Veröffentlichung überarbeitet. Der Abdruck erfolgt mit freundlicher Genehmigung der MEDKONGRESS DIAGNOSTICA GmbH u. CO KG, Stuttgart. Das Copyright liegt bei den Autoren. Schutzgebühr: DM 10,00 Bankverbindung: Sparkasse Bochum Kto.Nr. 133189035 BLZ: 430 500 01 ISBN 3-927855-66-9 [1. Aufl. Januar 1994; 2. Aufl. März 1994] Medizinethische Materialien Nachfolgend eine Liste der kürzlich erschienenen Hefte: Eine Übersicht über weitere Hefte kann beim Zentrum für Medizinische Ethik, Bochum angefordert werden. Heft 27: Heft 28: Heft 29: Heft 30: Heft 31: Heft 32: Heft 33: Heft 34: Heft 35: Heft 36: Heft 37: Heft 38: Heft 39: Heft 40: Heft 41: Heft 42: Heft 43: Heft 44: Heft 45: Wolff, Hanns Peter: Ethische Güterabwägung in der Medizin. April 1989. Schwemmer, Oswald: Methoden philosophischer Güterabwägung. April 1989. Honnefelder, Ludger: Güterabwägung in der aristotelisch-scholastischen Tradition. 1989. Wolfslast, Gabriele: Juristische Methoden der Güterabwägung. April 1989 Bachmann, K.D., Joachim Schara, Herbert Viefhues und Heiner Westphal: Ethische Analyse spezieller Arbeitsfelder in der Medizin. April 1989. Pfeiffer, Martin: Methoden der Güterabwägung in der klinischen Forschung. April 1989. Wagner, Wolfgang: Ethische Güterabwägung in der klinischen Pharmakologie. Anmerkungen aus der Sicht eines forschenden Pharmaunternehmens. April 1989. Shi, Dapu: The Rise and The Progress of Chinese Medical Ethics. Mai 1989. Qiu, Ren Zong und Zhen Yu: Double Helics of Medical Education in China. Mai 1989. Püschel, Erich: Der Ethik-Kreis der Medizinstudenten an der Ruhr-Universität Bochum. Mai 1989. Brandts, Hubert: Ethische Aspekte der Prävention und Arbeitssicherheit. Mai 1989. Linck, Gudula: Den Körper sein Elend vergessen lassen. 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