c metallische werkstoffe - TU Bergakademie Freiberg

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c metallische werkstoffe - TU Bergakademie Freiberg
- 61 -
C
METALLISCHE WERKSTOFFE
C.1
WICHTIGE METALLE IM BAUWESEN
Werkstoffe:
Stahl und Stahllegierungen, Gusseisen
Aluminium und seine Legierungen
Kupfer und seine Legierungen, Blei
C.1.1
Stahl
C.1.1.1
Ausgangsstoffe
Eisenerze enthalten 20 - 70 M.-% Eisenoxide:
Fe3O4
Fe2O3
Fe2O3·3H2O
Magneteisenstein
Roteisenstein
Brauneisenstein
und die sog. Gangart:
SiO2
Al2O3
CaCO3
MgO
Kieselsäure
Tonerde
Kalkstein
Magnesia.
Zuschlag:
Prozessregulierende Stoffe z. B. Kalk
Brennstoff:
meist Koks
Die Reduktion der Eisenerze erfolgt im Hochofen. Durch Reaktion von Eisenerz, Koks,
Zuschlag und Luft entstehen:
Roheisen + Schlacke
Das Roheisen wird weiterverarbeitet zu
Gusseisen: 2,1 M.-% < C < 4,3 M.-%
Stahl:
C < 2,1 M.-%
Teilweise Weiterverwendung der Schlacke zu:
Hüttenzementen
Hüttensteinen
Hüttenbims
Hüttenwolle.
C.1.1.2
Stahlherstellung
Das Roheisen ist insbesondere wegen seines zu hohen Gehaltes an Kohlenstoff sowie anderer Bestandteile, z. B. Phosphor und Schwefel, zu spröde und nicht schmiedbar. Bei der Stahlherstellung werden der C-Gehalt reduziert und die unerwünschten
Bestandteile ausgeschieden. Dies geschieht durch Zufuhr von Sauerstoff (Frischen),
der zu einem Verbrennen u. a. des Kohlenstoffs führt. Phosphor wird durch Zugabe
von Kalk gebunden.
- 62 Die wichtigsten Verfahren zur Stahlherstellung sind das
Thomas-Verfahren (Windfrischverfahren)
Siemens-Martin-Verfahren
Sauerstoff-Aufblas-Verfahren
Elektrostahl-Verfahren.
Siehe dazu z.B. [C.1].
C.1.1.3
Klassifizierung der Stähle
Nach der europäischen Norm EN 10020 werden die Stähle eingeteilt
- nach der chemischen Zusammensetzung oder
- nach Hauptgüteklassen.
Es wird unterschieden zwischen
unlegierten Stählen
legierten Stählen
Grundstähle
unlegierte Qualitätsstähle
unlegierte Edelstähle
legierte Qualitätsstähle
legierte Edelstähle
Unlegierte Grundstähle sind für eine Wärmebehandlung nicht geeignet. Die Erfüllung
der an sie gestellten Güteanforderungen erfordert keine besonderen Maßnahmen bei
der Herstellung. Solche Stähle kommen im wesentlichen nur zum Kaltbiegen in Betracht.
Unlegierte Qualitätsstähle haben im Vergleich zu unlegierten Grundstählen schärfere
oder zusätzliche Anforderungen zu erfüllen, z. B. bezüglich Sprödbruchempfindlichkeit,
Korngröße oder Verformbarkeit. Zu den unlegierten Qualitätsstählen zählen die meisten Stähle für den Stahlbau nach DIN EN 10025 sowie die Betonstähle.
Unlegierte Edelstähle haben höhere Anforderungen bezüglich ihres Reinheitsgrades
zu erfüllen. Sie sind meist für eine Vergütung oder Oberflächenhärtung bestimmt und
erfüllen hohe Anforderungen bzgl. Verformbarkeit, Schweißeignung, Zähigkeit usw.
Den unlegierten Edelstählen sind u.a. Spannbetonstähle zuzuordnen.
Legierte Qualitätsstähle
Sie entsprechen den unlegierten Qualitätsstählen, enthalten aber Legierungselemente,
z. B. Cr, Cu, Mn, Mo, Ni, Ti u.a., um bestimmte Eigenschaften zu optimieren. Solche
Stähle sind im allgemeinen nicht für eine Vergütung oder Oberflächenhärtung geeignet. Zu den legierten Qualitätsstählen gehören z. B. schweißbare Feinkornstähle für
den Druckbehälter- und Rohrleitungsbau, Stähle für Schienen und für Spundwanderzeugnisse sowie warm- oder kaltgewalzte Flacherzeugnisse für schwierige Kaltverformungsarbeiten.
Legierte Edelstähle
Dies sind Stähle, denen durch eine genaue Einstellung ihrer chemischen Zusammensetzung sowie der Herstellungs- und Prüfbedingungen bestimmte Verarbeitungs- und
Gebrauchseigenschaften verliehen werden. Legierte Edelstähle sind u.a. wetterfeste
Baustähle nach DIN EN 10155 und nichtrostende Baustähle.
- 63 C.1.1.4
Allgemeine Baustähle
Sie sind in DIN EN 10025 genormt. Diese Norm enthält die Anforderungen an Langund Flacherzeugnisse aus warmgewalzten unlegierten Grund- und Qualitätsstählen
entsprechend den nachfolgenden Tabellen.
Die Bezeichnung der Stähle erfolgt entweder nach dem Mindestwert der Streckgrenze
oder nach Werkstoffnummern. Die Stähle sind besonders beruhigt vergossen und
besitzen daher wenige Seigerungen (Inhomogenitäten), was der Schweißbarkeit zugute kommt. Der Behandlungszustand kann unbehandelt oder normalgeglüht sein, wobei
letzterer die Sprödbruchempfindlichkeit fördert. Da der Kohlenstoff ≤ 0,20 % beträgt,
sind die Stähle problemlos schweißbar.
Tabelle C.1.1: Chemische Zusammensetzung nach der Schmelzanalyse für Flacherzeugnisse und Langerzeugnisse1) (Auszug DIN EN 10025)
Stahlsorte Kurzname
nach
EN10027-1
nach
EU 25-72
Massenanteile in %, max.
nach DIN
17100
nach EN
10027-2
Kurzname
Werkstoffnummer
Desoxidations- art
Stahlart4)
C
für Erzeugnis
Nenndicken in mm
Mn
Si
P
S
N2)3)
≤ 16
> 16
≤ 40
> 405)
-
-
-
-
-
-
-
S185
Fe 310-06)
St 33
1.0035
Freigestellt
BS
-
S235JR
Fe 360 B6)
Fe 360 B6)
St 37-2
1.0037
0,17
0,20
-
1,40
-
0,045
0,045
0,009
USt 37-2
1.0036
Freigestellt
BS
S235JRG1
BS
0,17
0,20
-
1,40
-
0,045
0,045
0,007
S235JRG2
Fe 360 B
RSt 37-2
1.0038
FU
BS
0,17
0,17
0,20
1,40
-
0,045
0,045
0,009
S235JO
Fe 360 C
St 37-3 U
1.0114
FN
QS
0,17
0,17
0,17
1,40
-
0,040
0,040
0,009
S235J2G3
Fe 360 D1
St 37-3 N
1.0116
FN
QS
0,17
0,17
0,17
1,40
-
0,035
0,035
-
S235J2G4
Fe 360 D2
1.0117
FF
QS
0,17
0,17
0,17
1,40
-
0,035
0,035
-
0,22
0,187)
1,50
-
0,045
0,045
0,009
1,50
-
0,040
0,040
0,009
0,187)
0,187)
1,50
-
0,035
0,035
-
1,50
-
0,035
0,035
-
-
FF
S275JR
Fe 430 B
St 44-2
1.0044
FN
BS
0,21
0,21
S275JO
Fe 430 C
St 44-3 U
1.0143
FN
QS
0,18
0,18
S275J2G3
Fe 430 D1
St 44-3 N
1.0144
FF
QS
0,18
0,18
S275J2G4
Fe 430 D2
-
1.0145
FF
QS
0,18
0,18
S355JR
Fe 510 B
-
1.0045
FN
BS
0,24
0,24
1,60
0,55
0,045
0,045
0,009
S355JO
Fe 510 C9)
Fe 510 D18)
St 52-3 U
1.0553
FN
QS
0,20
0,24
0,209)
0,22
1,60
0,55
0,040
0,040
0,009
St 52-3 N
1.0570
FF
QS
0,20
0,22
1,60
0,55
0,035
0,035
-
-
1.0577
FF
QS
0,20
0,22
1,60
0,55
0,035
0,035
-
S355K2G3
Fe 510 D28)
Fe 510 DD18)
0,209)
0,209)
-
1.0595
FF
QS
0,20
0,22
1,60
0,55
0,035
0,035
-
S355K2G4
Fe 510 DD28)
-
1.0596
FF
QS
0,20
0,209)
0,209)
0,22
1,60
0,55
0,035
0,035
-
E295
Fe 490-2
St 50-2
1.0050
FN
BS
-
-
-
-
-
0,045
0,045
0,009
E335
Fe 590-2
St 60-2
1.0060
FN
BS
-
-
-
-
-
0,045
0,045
0,009
E360
Fe 690-2
St 70-2
1.0070
FN
BS
-
-
-
-
-
0,045
0,045
0,009
S355J2G3
S355J2G4
1) Siehe 7.3 (DIN EN 10025)
2) Die angegebenen Werte dürfen überschritten werden, wenn je 0,001 % N der Höchstwert für den Phosphorgehalt um 0,005 % unterschritten wird; der Stickstoffgehalt darf jedoch einen Wert von 0,012 % in
der Schmelzenanalyse nicht übersteigen.
3) Der Höchstwert für den Stickstoffgehalt gilt nicht, wenn der Stahl einen Gesamtgehalt an Aluminium von
mindestens 0,020 % oder genügend andere stickstoffabbindende Elemente enthält. Dei stickstoffabbindenden Elemente sind in der Bescheinigung über Materialprüfungen anzugeben.
4) BS: Grundstahl; QS: Qualitätsstahl.
5) Bei Profilen mit einer Nenndicke > 100 mm ist der Kohlenstoffgehalt zu vereinbaren. Zusätzliche Anforderung 23.
6) Nur in Nenndicken 25 mm lieferbar.
7) Max. 0,20 % C bei Nenndicken > 150 mm.
8) Siehe 7.3.3 (DIN EN 10025).
9) Max. 0,22 % C bei Nenndicken > 30 mm und bei den KP-Sorten (Siehe 7.5.3.2 DIN EN 10025).
- 64 Der Desoxidationsart gibt Aufschluss über das Erschmelzungsverhalten bei der Stahlherstellung:
Freigestellt:
FU:
FN:
FF:
nach Wahl des Herstellers
unberuhigter Stahl
unberuhigter Stahl nicht zulässig
vollberuhigter Stahl
Weitere Erläuterungen:
S:
E:
Ziffer:
JR:
JO:
J2:
G1:
G2:
G3:
G4:
Baustahl
Maschinenbaustahl
Mindeststreckgrenze in N/mm2
27 J Kerbschlagarbeit bei +20°C (Raumtemperatur)
27 J Kerbschlagarbeit bei -0°C
27 J Kerbschlagarbeit bei -20°C
unberuhigte Stahlsorte
beruhigte Stahlsorte
unterschiedliche Lieferbedingungen
unterschiedliche Lieferbedingungen
Kohlenstoff ist das billigste und wirksamste Legierungselement, das durch die Roheisenherstellung bereits im Stahl vorhanden ist und durch Oxidation (Blasen) weitgehend entfernt wird. Die Zunahme des Kohlenstoffgehalts um 0,1 % bewirkt eine Zunahme der Zugfestigkeit um etwa 90 N/mm2, der Streckgrenze um 40 bis 50 N/mm2
und eine Abnahme der Bruchdehnung um 4 %.
Siliziumgehalte bis 0,3 % wirken sich bei ungeglühten Stählen günstig auf die Festigkeit und Zähigkeit aus. Bei vergüteten Stählen mit 0,5 bis 0,8 % Silizium wird die kritische Abkühlungsgeschwindigkeit beim Härten herabgesetzt und die Anlassbeständigkeit erhöht.
Mangan erhöht die Festigkeit und Zähigkeit des Ferritmischkristalls. Bei gleicher Festigkeit können 0,5 % Mn etwa 0,1 % C ersetzen, wobei die Schweißeignung jedoch
verbessert wird. Durch Mangan wird die kritische Abkühlgeschwindigkeit vermindert,
so dass es eher zu Härtungsgefügen kommt. Dieser Einfluss ist beim Vergüten ausgeprägter als beim Normalglühen.
Schwefel, Phosphor und Stickstoff sind Stahlbegleiter, die zur Alterung und Versprödung führen. Sie müssen soweit wie möglich aus dem Stahl entfernt werden.
- 65 Tabelle C.1.2: Mechanische Eigenschaften der Flacherzeugnisse und Langerzeugnisse (Auszug aus DIN EN 10025)
nach
EN 10027-1
nach
EU 25-72
Streckgrenze Reff, N/mm , min.1)
2
Zugfestigkeit Rm, N/mm 1)
für Nenndicken in mm
für Nenndicken in mm
2
Stahlsorte Kurzname
nach
DIN 17100
nach
EN 10027-2
Desoxidations-
Kurzname
Werkstoffnummer
art
Stahlart3)
≤ 16
> 16
≤ 40
> 40
≤ 63
> 63
≤ 80
> 80
≤ 100
> 100
≤ 150
> 150
≤ 200
> 200
≤ 250
≤3
>3
≤ 100
> 100
≤ 150
> 150
≤ 250
310 bis
540
290 bis
510
-
-
S185
Fe 310-02)
St 33
1.0035
Freigestellt
BS
185
175
-
-
-
-
-
-
S235JR
St 37-2
1.0037
Freigestellt
BS
235
235
-
-
-
-
-
-
-
-
-
S235JRG1
Fe 360 B2)
Fe 360 B2)
USt 37-2
1.0036
FU
BS
235
225
-
-
-
-
-
-
-
Fe 360 B
RSt 37-2
1.0038
FN
BS
235
225
215
215
215
195
185
175
340 bis
470
-
S235JRG2
360 bis
510
S235JO
Fe 360 C
St 37-3 U
1.0114
FN
QS
235
225
215
215
215
195
185
175
340 bis
470
320 bis
470
S235J2G3
Fe 360 D1
St 37-3 N
1.0116
FF
QS
235
225
215
215
215
195
185
175
S235J2G4
Fe 360 D2
1.0117
FF
QS
235
225
215
215
215
195
185
175
S275JR
Fe 430 B
St 44-2
1.0044
FN
BS
275
265
255
245
235
225
215
205
S275JO
Fe 430 C
St 44-3 U
1.0143
FN
QS
430 bis
580
410 bis
560
400 bis
540
380 bis
540
S275J2G3
Fe 430 D1
St 44-3 N
1.0144
FF
QS
S275J2G4
Fe 430 D2
-
1.0145
FF
QS
S355JR
Fe 510 B
-
1.0045
FN
BS
355
345
335
325
315
295
285
275
S355JO
Fe 510 C
St 52-3 U
1.0553
FN
QS
510 bis
680
490 bis
630
470 bis
630
450 bis
630
S355J2G3
Fe 510 D1
St 52-3 N
1.0570
FF
QS
S355J2G4
Fe 510 D2
-
1.0577
FF
QS
S355K2G3
Fe 510 DD1
-
1.0595
FF
QS
S355K2G4
-
1.0596
FF
QS
E295
Fe 510 DD2
Fe 490-24)
St 50-2
1.0050
FN
BS
295
285
275
265
255
245
235
225
490 bis
660
470 bis
610
450 bis
610
440 bis
610
E335
Fe 590-24)
St 60-2
1.0060
FN
BS
335
325
315
305
295
275
265
255
590 bis
770
570 bis
710
550 bis
710
540 bis
710
E360
Fe 690-24)
St 70-2
1.0070
FN
BS
360
355
345
335
325
305
295
285
690 bis
900
670 bis
830
650 bis
830
640 bis
830
-
1)
Die Werte für den Zugversuch in der Tabelle gelten für Längsproben, bei Band-, Blech- und Breitflachstahl in Breiten 600 mm für Querproben.
2)
Nur in Nenndicken 25 mm lieferbar.
3)
BS: Grundstahl; QS: Qualitätsstahl.
4)
Diese Stahlsorten kommen üblicherweise nicht für Profilerzeugnisse (I-, U-Winkel) in Betracht.
- 66 -
C.1.1.5
Wetterfeste und nichtrostende Baustähle
Wetterfeste Baustähle sind legierte Edelstähle. Sie sind in der Europäischen Norm EN
1055 erfasst. Wetterfesten Stählen wird eine bestimmte Anzahl von Legierungselementen zugesetzt, z. B. P, Cu, Cr, Ni, Mo, Mn, um den Widerstand der Stähle gegen
atmosphärische Korrosion zu erhöhen, indem sich unter dem Einfluss der Witterungsbedingungen schützende Oxidschichten auf dem Grundwerkstoff bilden. Einen Überblick der Zusammensetzung und der mechanischen Eigenschaften solcher Stähle
geben die nachfolgenden Tabellen.
Tabelle C.1.3: Chemische Zusammensetzung nach der Schmelzenanalyse
Stahlsorte Bezeichnung
Massenanteile in %
nach
EN 10027-1
nach
EN 10027-2
Desoxidationsart
S235J0W
S235J2W
1.8958
1.8961
S355J0WP
S355J2WP
C
max.
Si
max.
FN
FF
0,13
1.8945
1.8946
FN
FF
0,12
S355J0W
S355J2G1W
1.8959
1.8963
FN
FF
S355J2G2W
S355K2G1W
1.8965
1.8966
FF
FF
0,16
Mn
P
0,40
0,20
bis
0,60
max. 0,040
0,75
max.
1,0
0,50
0,06 bis
0,15
S
max.
N
max.
Zusatz an
stickstoffabbindenden
Elementen1)
0,040
0,035
0,0092)5)
-
ja
0,040
0,035
0,0095)
-
Cr
Cu
ja
0,40
bis
0,80
0,30
bis
1,25
0,25
bis
0,55
0,25
bis
0,55
0,50
max. 0,040
max. 0,035
0,040
0,035
0,0092)5)
-
ja
0,40
0,25
bis
1,50
max. 0,035
max. 0,035
0,035
0,035
-
ja
ja
bis
0,80
bis
0,55
Sonstige
3)
3)
3)4)
ja
max. 0,035 0,035
FF
1.8967
S355K2G2W
1) Die Stähle müssen mindestens eines der folgenden Elemente enthalten: Al
:
≥
0,020
%,
Nb:
0,015
bis 0,060 %, V: 0,02 bis 0,12 %
gesamt
Ti: 0,02 bis 0,10 %. Wenn diese Elemente in Kombination angewendet werden, muss mindestens eines von ihnen mit dem angegebenen Mindestgehalt enthalten sein.
2) Eine Überschreitung des angegebenen Höchstwertes ist zulässig, wenn je 0,001 % N ein um 0,005 % unter dem festgelegten Höchstwert liegender Phosphorgehalt eingehalten wird. Der Stickstoffgehalt darf jedoch einen Wert von 0,012 % in der Schmelzenanalyse
nicht übersteigen.
3) Die Stähle dürfen max. 0,65 % Ni enthalten.
4) Die Stähle dürfen max. 0,30 % Mo und max. 0,15 % Zr enthalten.
5) Der Höchstwert für den Stickstoffgehalt gilt nicht, wenn die Stähle mindestens 0,020 % Al
gesamt oder genügende Gehalte an anderen
stickstoffabbindenden Elementen aufweisen. Die stickstoffabbindenden Elemente sind in der Prüfbescheinigung anzugeben.
Zur Erläuterung der Bezeichnungen siehe Abschnitt C.1.1.4.
Weitere Erläuterungen:
W:
P:
Kennzeichnung der Wetterfestigkeit des Stahls
Kennzeichnung des erhöhten Phosphorgehaltes, nur bei S355
- 67 Tabelle C.1.4: Mechanische Eigenschaften der Flach- und Langerzeugnisse
Stahlsorte Bezeichnung
Nach
EN 10027-1
Streckgrenze ReH
min.
nach
EN
1)
2
(N/mm )
für Nenndicken in mm
Zugfestigkeit Rm 1)
2
(N/mm )
Pro-
für Nenndicken in
mm
benlage1)
Bruchdehnung 1) (%) min.
L0 = 80 mm Nenndicken in mm
L0 = 5,65⋅ S0
Nenndicken in mm
10027-2
≤ 16
> 16
> 40
> 63
> 80
≤ 40
≤ 63
≤ 80
≤ 100
≤3
>3
1,5
>2
2,5
3
> 40
> 63
≤ 100
≤2
≤ 2,5
≤3
≤ 40
≤ 63
≤ 100
S235J0W
S235J2W
1.8958
1.8961
235
225
215
215
215
360 bis
510
340 bis
470
l
t
19
17
20
18
21
19
26
24
25
23
24
22
S355J0WP
S355J2WP
1.8945
1.8946
355
3452)
-
-
-
510 bis
680
490 bis
630
l
t
16
14
17
15
18
16
22
20
-
-
S355J0W
1.8959
S355J2G1W
S355J2G2W
1.8963
1.8965
355
345
335
325
315
510 bis
490 bis
l
16
17
18
22
21
20
680
630
t
14
15
16
20
19
18
S355K2G1W
1.8966
S355K2G2W
1.8967
1) Die in der Tabelle angegebenen Werte des Zugversuches gelten für Längsproben (l) außer bei Band, Blech Breitflachstahl > 600 mm
Breite, aus denen Querproben (t) zu entnehmen sind.
2) Dieser Wert kommt nur für Profile und Stabstahl in Betracht
Die Bezeichnung der Stähle erfolgt entweder nach der Zugfestigkeit und Gütegruppen
oder nach Werkstoffnummern.
Nichtrostende Stähle sind in Deutschland auch unter bestimmten Werksnamen, z. B.
V2A, V4A, Nirosta und Remanit bekannt. Sie werden in verschiedenen deutschen
Normen oder in bauaufsichtlichen Zulassungen behandelt.
C.1.1.6
Schweißgeeignete Feinkornbaustähle, hochfeste Baustähle
Dies sind Qualitäts- und Edelstähle, die aufgrund ihres Gefüges und ihrer chemischen
Zusammensetzung besonders schweißgeeignet sind. Sie werden in der europäischen
Norm EN 10113 bezüglich ihrer Herstellung, mechanischen Eigenschaften und Prüfung klassifiziert.
Hohe Festigkeiten werden im Allgemeinen mit Feinkornbaustählen erreicht. Diese sind
in DIN EN 10113 definiert. Einige Stähle mit noch höheren Festigkeiten sind nicht
genormt, sondern bauaufsichtlich zugelassen. Zunächst kommt es darauf an, dass die
Möglichkeit der Festigkeitserhöhung mit bestimmten Anforderungen und Gefügen überhaupt gegeben ist. Gerade für diese Stähle benötigt man eine ausreichende
Zähigkeit, um dem Trennbruch (Kerbwirkung) entgegen zu wirken, sowie häufig anwendungsbedingt eine gute Schweißeignung.
Die Erhöhung der Streckgrenze kann sehr vereinfacht als Summe einzelner Mechanismen ausgehend von einer Grundfestigkeit aufgefasst werden, wobei die Anteile nicht
immer rein additiv sind.
Dem idealen Kristall ist die Grundfestigkeit zugeordnet. Einen deutlichen Beitrag zur
Festigkeitssteigerung bei guter Zähigkeit leistet die Feinkornhärtung (Korngrenzen als
Hindernisse). Die Festigkeitssteigerung beruht auf der Hemmung der Versetzungsbewegung durch die Großwinkelkorngrenzen eines sehr dichten Gefüges aus kleinen
Körnern. Den weitaus größten Beitrag zur Festigkeitssteigerung liefert die Ausscheidungshärtung (Teilchenhärtung). Dieser Mechanismus beruht prinzipiell darauf, daß
sich beim Abkühlen und Anlassen aus geringsten Legierungszusätzen sehr kleine, sehr
harte Carbide (Teilchen) bilden. Es kommt zu einer Wechselwirkung von Versetzungen und Teilchen (siehe Kapitel C.4).
Durch die große Härte sind die Teilchen kaum verformbar und nehmen selber an plastischen Verformungen nicht teil. Eine Versetzung kann sich hinter den Teilchen wie-
- 68 der schließen oder muss dieses umfließen. Dadurch wird die Versetzungsbewegung
behindert, bzw. es werden neue Versetzungen ausgelöst (siehe Kapitel C.4).
Der normalgeglühte und thermomechanisch behandelte Feinkornbaustahl hat eine
obere Streckgrenze ReH ≤ 500 N/mm2 und ein ferritisches-perlitisches Gefüge (vgl. Tabelle C.1.4). Der vergütete Feinkornbaustahl hat eine Streckgrenze von ReH = 500 bis
700 N/mm2 und besteht aus einem Gefüge aus angelassenem Martensit (evtl. mit Bainit).
Tabelle C.1.5: Eigenschaften einiger hochfester, schweißgeeigneter Feinkornbaustähle, normalgeglüht, nach DIN EN 10113, Teil 2
C.1.1.7
Betonstähle
Klassifizierung
Die Betonstähle dienen der Bewehrung des Betons und führen zu Stahlbetonkonstruktionen. Diese Stähle gehören zur Gruppe der unlegierten Qualitätsstähle. In Deutschland sind sie in DIN 488 Teil 1 genormt. Weitere Angaben dazu finden sich in der DIN
1045-1. Alle in diesen Normen erfassten Stähle sind schweißgeeignet.
Sie werden in 2 Verarbeitungsformen hergestellt und geliefert:
-
als Betonstabstahl: die Sorten III S und IV S
als Baustahlmatten: die Sorte IV M.
Da alle Betonstähle schweißbar sein müssen, und zwar mit möglichst allen Schweißverfahren, ist der C-Gehalt auf 0,22 % begrenzt. Die hohe Streckgrenze wird entweder
erreicht durch Zugabe von Silizium (Si) und Mangan (Mn) und geringen Mengen von
Niob (Nb) und/oder Vanadium (V), die zur Kornfeinung beitragen. Eine andere Methode ist die Kaltverformung durch Tordieren, wodurch die Versetzungsdichte erhöht wird.
Ein dritter Weg ist die Abkühlung mit geregelter Temperaturführung aus der Walzhitze.
- 69 Tabelle C.1.6: Sorteneinteilung und Eigenschaften der Betonstähle (Auszug DIN 488, Teil 1)
1
Beton-
Kurzname
stahl-
Kurzzeichen1)
sorte
Werkstoff
Erzeugnisform
1
2
3
4
5
B St 420 S
B St 500 S
B St 500 M2)
Wert
III S
IV S
IV M
P
1.0428
1.0438
1.0466
%3)
Betonstabstahl
Betonstabstahl
6 bis 28
6 bis 28
Betonstahlmatte2)
4 bis 124)
-
Nenndurchmesser dS
Streckgrenze R (β )5)
(mm)
(N/mm2)
420
500
500
5,0
3
bzw. 0,2 % Dehngrenze
Rp0,2 (β0,2)5)
Zugfestigkeit R (β )5)
(N/mm2)
5006)
5506)
5506)
5,0
4
Bruchdehnung A10 (d10)5)
(%)
10
10
8
5,0
215
215
-
10,0
170
170
-
10,0
-
-
100
10,0
10,0
S
2
m
S
Z
6
gebogene Stäbe
7
gerade freie Stäbe von
8
Matten mit Schweißstelle
(N/mm2)
Schwingbreite
2σA (2.106)
2σA (2.106)
2σA (2.106)
2σA (2.105)
-
-
200
9
Rückbiegeversuch mit
6 bis 12
5dS
5dS
-
1,0
10
Biegerollendurchmesser für
14 und 16
6dS
6dS
-
1,0
11
Nenndurchmesser dS (mm)
20 bis 28
8dS
8dS
-
1,0
-
-
6dS
5,0
5,0
5
Dauerschwingfestigkeit
gerade Stäbe7)
12
Biegedorndurchmesser beim Faltversuch an der
Schweißstelle
13
Knotenscherkraft S
(N)
-
-
0,3.AS.Re
14
Unterschreitung des Nennquerschnittes AS8)
(%)
4
4
4
5,0
15
Bezogene Rippenfläche fR
siehe DIN 488
Teil 2
siehe DIN 488
Teil 2
siehe DIN 488
Teil 4
0
16
Chemische Zusammen-
C
0,22 (0,24)
0,22 (0,24)
0,15 (0,17)
-
17
P
0,050 (0,055)
0,050 (0,055)
0,050 (0,055)
-
18
setzung bei der Schmelzenund Stückanalyse9)
S
0,050 (0,055)
0,050 (0,055)
0,050 (0,055)
-
19
Massengehalt in %, max.
N10)
0,012 (0,013)
0,012 (0,013)
-
20
Schweißeignung für Verfahren11)
E, MAG, GP, RA,
RP
E, MAG, GP, RA,
RP
0,012 (0,013)
E12), MAG12),
RP
1)
Für Zeichnungen und statische Berechnungen.
2)
Mit den Einschränkungen nach Abschn. 8.3 gelten die in dieser Spalte festgelegten Anforderungen auch für Bewehrungsdraht.
-
3)
p-Wert für eine statistische Wahrscheinlichkeit W = 1 - a = 0,9 (einseitig) (siehe auch Abschn. 5.2.2).
4)
Für Betonstahlmatten mit Nenndurchmessern von 4,0 und 4,5 mm gelten die in Anwendungsnormen festgelegten einschränkenden Bestimmungen; die Dauerschwingfestigkeit braucht nicht nachgewiesen zu werden.
5)
Früher verwendete Zeichen.
6)
Für die Istwerte des Zugversuches gilt, dass RSS min. 1,05.Re (bzw. Rp0,2), beim Betonstahl B St 500 M mit Streckgrenzenwerten über 550 N/mm² min. 1,03. Re (bzw. Rp0,2) betragen muss.
7)
Die geforderte Dauerschwingfestigkeit an geraden Stäben gilt als erbracht, wenn die Werte nach Zeile 5 eingehalten werden.
8)
Die Produktion ist so einzustellen, dass der Querschnitt im Mittel mindestens dem Nennquerschnitt entspricht.
9)
Die Werte in Klammern gelten für die Stückanalyse.
10)
Die Werte gelten für den Gesamtgehalt an Stickstoff. Höhere Werte sind nur dann zulässig, wenn ausreichende Gehalte an
stickstoffabbindenden Elementen vorliegen.
11)
Die Kennbuchstaben bedeuten: E: Metall-Lichtbogenhandschweißen; MAG: Metall-Aktivgasschweißen;
12)
Der Nenndurchmesser der Mattenstäbe muss mindestens 6 mm beim Verfahren MAG und mindestens 8 mm beim Verfahren
E betragen, wenn Stäbe von Matten untereinander oder mit Stabstählen ≤ 14 mm Nenndurchmesser verschweißt werden.
GP: Gaspressschweißen; RA: Abbrennstumpfschweißen; RP: Widerstandspunktschweißen
Für werkmäßig hergestellte Bewehrungen wird auch der sog. Bewehrungsdraht BSt
500 G (glatt) und BSt 500 P (profiliert) hergestellt.
- 70 -
Rippung
Zur Verbesserung der Verbundeigenschaften zwischen Bewehrung und Beton sind die
Betonstähle an ihrer Oberfläche mit Rippen versehen, die für die verschiedenen
Stahlsorten unterschiedlich sind.
Seite 1
Seite 2
( ( 60°
Seite 1
Seite2
( ( 60°
e
Cs1
Cs2
a) ohne Längsrippen
b) mit Längsrippen
bl
hl
Abb. C.1.1: Nicht verwundener Betonstabstahl BSt 420 S mit und ohne Längsrippen
( ( 35°
Ganghöhe
Abb. C.1.2: Kalt verwundener Betonstahl BSt 420 S
(1 ( 65° bis 70°
(3 ( 60°
e
(2 ( 45° bis 60°
cs
cs
a) ohne Längsrippen
b) mit Längsrippen
bl
hl
Abb. C.1.3: Nicht verwundener Betonstabstahl BSt 500 S mit und ohne Längsrippen
- 71 -
(3 ( 35°
(2 ( 40° - 45°
(1 ( 60° - 65°
Ganghöhe
Abb.C.1.4: Kalt verwundener Betonstahl BSt 500 S
Betonstabstähle können nach folgenden Verfahren hergestellt werden:
•
•
•
C.1.1.8
warmgewalzt, ohne Nachbehandlung
warmgewalzt, an der Walzhitze wärmebehandelt (z. B. Tempcore-Stähle)
kaltverformt, durch Verwinden oder Recken des warmgewalzten Ausgangsmaterial.
Spannstähle
Spannstähle werden beim Bau von vorgespannten Betonkonstruktionen eingesetzt. Im
Vergleich zu Betonstählen besitzen sie im Allgemeinen eine deutlich höhere Zugfestigkeit und Streckgrenze. Sie gehören meist zur Gruppe der unlegierten Edelstähle. In
Deutschland sind die Spannstähle zur Zeit nicht in einer Norm erfasst, sondern sie
benötigen eine bauaufsichtliche Zulassung des Deutschen Instituts für Bautechnik. Die
Spannstähle unterscheiden sich in den mechanischen Eigenschaften, den Arten der
Herstellung (gereckt, kaltgezogen, vergütet), der Profilierung (glatt, gerippt, Drähte zu
Litzen verseilt), der Verankerungsart (Endverankerung oder über Verbund) und in den
Querschnittsabmessungen.
Da Spannstähle einen Kohlenstoffgehalt von etwa 0,50 % besitzen, sind sie nicht
schweißbar (Schweißbarkeit für C ≤ 0,20 % bei herkömmlichen Verfahren). Gleichzeitig sind sie aufgrund der massiven Festigkeitssteigerung durch Kaltverformen sehr
empfindlich für jede Art von Wärmeeinwirkungen, also Funkenflug bei Trennarbeiten,
Schweißarbeiten in unmittelbarer Nähe usw., da die Wirkungen der Kaltverformung
z.T. rückgängig gemacht werden bzw. es zu einer Versprödung kommen kann. Dies
gilt auch für punktuelle Wärmeeinwirkung. Die Art der Festigkeitssteigerung bedingt
eine geringere Zähigkeit als Baustähle sie aufweisen. Dadurch werden sie zusammen mit den extrem hohen Vorspannkräften auch sehr empfindlich gegen Beschädigungen der Oberfläche (Kerbwirkung), wodurch es zu Sprödbrüchen (Versagen ohne Vorankündigung) kommen kann.
Die zugelassenen Spannstähle weisen Streckgrenzen/Zugfestigkeiten im Bereich
835/1030 N/mm2 bis 1570/1770 N/mm2 bei Bruchdehnungen von ca. 6 % auf.
- 72 C.1.1.9
•
Eigenschaften der Stähle des Bauwesens
Strukturunabhängige Eigenschaften
Elastizitätsmodul E
200000 - 210000 N/mm2
Schubmodul G
81000 N/mm2
Dichte je nach C-Gehalt
7,83 - 7,88 kg/dm3
Wärmeausdehnungskoeffizient
•
10,7 - 11,5·10 1/K
Wärmeleitfähigkeit
240 W/(m⋅K)
Festigkeit
Reines Eisen βz:
Baustähle
Spannstähle:
Kaltgezogene Stahldrähte:
•
-6
je nach C-Gehalt
180 N/mm2
300 - 700 N/mm2
600 - 2000 N/mm2
2000 - 4000 N/mm2
Dauerstandfestigkeit
Baustähle zeigen bei Raumtemperatur kein Absinken der Festigkeit unter langandauernder statischer Beanspruchung, so dass die Dauerstandfestigkeit etwa
gleich der Kurzzeitfestigkeit ist.
•
Kriechen und Relaxation
Allgemeine Baustähle zeigen bei normaler Temperatur und Spannungen unterhalb der Streckgrenze keine nennenswerten Kriechverformungen. Bei hochfesten Spannstählen können jedoch auch bei Normaltemperatur deutliche Kriechverformungen auftreten (siehe Teil C.3.12).
•
Dauerschwingfestigkeit
Siehe Teil C.5.6.
Stoffgesetze
In DIN 1045-1 wird zwischen den Spannungs-Dehnungslinien für die Schnittgrößenermittlung und für die Querschnittsbemessung unterschieden. Die Festlegungen und
konstruktiven Regeln in dieser Norm beziehen sich auf schweißgeeignete, gerippte
Baustähle mit einer charakteristischen Streckgrenze von fyk = 500 N/mm2. Sofern relevant, gelten diese Eigenschaften gleichermaßen für Zug- und Druckbeanspruchung.
- 73 -
idealisierter
Verlauf
Abb. C.1.5:
Spannungs-Dehnungslinie des Betonstahls für die Schnittgrößenermittlung
Die Bemessung ist auf der Grundlage der Nennquerschnittsfläche und des Nenndurchmessers unter Ansatz der idealisierten Spannungs-Dehnungslinie nach Abb.
C.1.6 durchzuführen. Vereinfachend darf auch ein horizontaler oberer Ast der Spannungs-Dehnungslinie angenommen werden. Für die Querschnittsbemessung ist ftk, cal
mit 525 N/mm2 anzusetzen und die Stahldehnung εs auf den Wert εsu = 0,025 zu begrenzen.
Die Stoffgesetze für Spannstähle in DIN 1045-1 sind ähnlich den entsprechenden
Stoffgesetzen für Betonstahl. Bei Spannstählen wird jedoch die 0,1% Dehngrenze als
charakteristischer Wert definiert (anstatt der 0,2 %-Dehngrenze, wie bei Betonstahl).
Abb. C.1.6:
Rechnerische Spannungs-Dehnungslinie des Betonstahls für die
Bemessung
- 74 Soweit in den Normen der Reihe DIN 488 oder in den allgemeinen bauaufsichtlichen
Zulassungen nicht abweichend festgelegt, dürfen für die Bemessung folgende physikalische Eigenschaften des Betonstahls angenommen werden:
•
Elastizitätsmodul: Es = 200 000 N/mm2
•
Wärmedehnzahl: α = 10 · 10-6 K-1
Plastische Verformbarkeit
Die plastische Verformbarkeit der Betonstähle sinkt
mit steigender Zugfestigkeit.
St 1570/1770
St 1470/1670
St 1420/1570
St 1080/1230
St 835/1030
BSt 500
BSt 420
l0 = 10d0
0
Abb. C.1.7:
4
8
12
16
20
Spannungs-Dehnungslinien von Betonstählen
Literatur:
[C.1]
DIN EN 10025 : 1990, Warmgewalzte Erzeugnisse aus unlegierten Baustählen
[C.2]
DIN EN 10027-1 : 1992, Bezeichnungssysteme für Stähle
[C.3]
BARGEL, H.J., SCHULZE, G.: Werkstoffkunde, VDI-Verlag, Düsseldorf, 1994
[C.4]
DIN 1045-1:2001-07, Tragwerke aus Beton, Stahlbeton und Spannbeton,
Teil1: Bemessung und Konstruktion
[C.5]
WESCHE, K.: Baustoffe für tragende Bauteile, Band 1: 3. Aufl. 1996; Band 2:
3.Aufl. 1992; Band 3:2. Aufl. 1985; Band 4: 2.Aufl. 1988, Bauverlag, Wiesbaden
- 75 -
C.1.2
Gusseisen
Charakteristische Zusammensetzung: 2,1 M.-% < C < 4,3 M.-%.
C.1.2.1
Klassifizierung des Gusseisens
Bezeichnung nach der Zugfestigkeit in N/mm2 und der Herstellungsart:
(GS:
GG:
TG:
GGG:
Beispiel:
C.1.2.2
GS-450:
Stahlguss)
Grauguss
Temperguss
Grauguss mit Kugelgraphit
Stahlguss mit einer Mindestzugfestigkeit von 450 N/mm2
Eigenschaften von Gusseisen
GG
Elastizitätsmodul
Dichte
Zugfestigkeit
Streckgrenze
Bruchdehnung
Druckfestigkeit
GGG
75000 - 125000
160000 - 185000
3
7,8 kg/dm
Spannung [N/mm²]
100 - 400
<1%
500 - 1100
400 - 800 N/mm2
250 - 400 N/mm2
2 - 15 %
700 - 1300 N/mm2
1000
800
GGG-70
600
GGG-40
400
GG-25
200
0
0
C.1.3
Aluminium
C.1.3.1
Ausgangsstoffe
10
20
30
Dehnung [%]
Aluminium ist das weitverbreitetste Metall der Erdkruste. Es ist im Allgemeinen
stark chemisch gebunden.
Häufigstes Erz: Bauxit mit einem Gehalt an Al2O3 von 55 bis 65 M.-%.
Gewinnung von Aluminium:
(1) Aufbereitung des Aluminiumerzes zur Abtrennung von Al2O3
(Bayerverfahren)
(2) Gewinnung von Aluminium aus Al2O3 im Elektrolyseofen.
- 76 Einsatz von Aluminium in Form von Legierungen
Wichtigste Legierungskomponenten:
Cu, Mg, Mn, Si, Zn
Weniger häufig:
Ni, Fe, Co, Ti, Cr
C.1.3.2
Klassifizierung und Bezeichnungen
Die Bezeichnung der Aluminiumlegierungen erfolgt nach der chemischen Zusammensetzung unter Angabe von Legierungsmengen. Kennbuchstaben werden zur
Beschreibung des Herstellungsverfahrens verwendet.
Bei den Aluminiumlegierungen wird unterschieden zwischen:
Knetlegierungen, die durch Kneten (Walzen, Pressen, Ziehen, Schmieden) weiter
verformt werden können, und Gusslegierungen, die nach den verschiedenen Gießverfahren verarbeitet werden:
G
DG
GK
KZ
=
=
=
=
Guss
Druckguss
Kokillenguss
Schleuderguss
Der Angabe der Festigkeit wird der Buchstabe F vorangestellt.
Beispiele:
AlMg 3 Si
Aluminiumknetlegierung mit 2 bis 4 M.-% Mg (i.M. 3 M.-%) sowie kleinen Mengen
an Si (0,3 bis 0,8 M.-%)
G-Al Si 12
Aluminium-Gusslegierung mit 11 bis 13,5 M.-% Si (i.M. 12 M.-%)
Beide Legierungen enthalten kleine Mengen (0,3 bis 0,5 M.-%) an Mangan.
Al Zn Mg 1 F 36
Al-Zn-Mg-Legierung, Zugfestigkeit 360 N/mm2
Eigenschaften
Elastizitätsmodul
60000 - 70000 N/mm2
Dichte
Wärmeausdehnungskoeffizient
2,7 - 2,8 kg/dm3
23 bis 24.10-6/K
Schmelzpunkt von reinem Al
660°C
Festigkeit und Verformung einiger häufig verwendeter Legierungen:
Legierung nach
DIN 1725, Blatt 1
Festigkeitseigenschaften für
Bleche
Rohre
Profile
Bemerkungen
AlCuMg 1
F37 - F40
F38 - F40
F40
kalt ausgehärtet
AlCuMg 2
F41 - F44
F43 - F44
F44
kalt ausgehärtet
AlMgSi 1
F28
F28
F28
warm ausgehärtet
AlMgSi 1
F32
F32
F32
warm ausgehärtet
AlMg 3 oder AlMgMn
F23
F23
F18
nicht aushärtbar
F9 - F15
-
-
nicht aushärtbar
AlMn
- 77 Spannungs-Dehnungslinien verschiedener Aluminiumlegierungen:
Spannung (N/mm²)
800
AlZnMgCu1,5 F52
600
AlCuMg1 F40
400
AlMgSi1 F20
200
AlMn F10
Al99,5 F7
0
0
C.2
10
20
30
Dehnung (%)
40
50
ELASTISCHE VERFORMUNGEN METALLISCHER
WERKSTOFFE
Bedeutung:
(a) Abschätzen elastischer Formänderungen von Bauwerken
(b) Bestimmung der Schnittkraftverteilung in statisch unbestimmten
Systemen
C.2.2
Elastizität
C.2.2.1
Werkstoffkenngrößen (siehe auch Kap. A.5.1.3)
•
Der Elastizitätsmodul
linear-elastisches Verhalten
σ
nicht linear-elastisches Verhalten
σ
α3
E(σ) = σ / ε
tan α = E = σ / ε
α
α1
ε
α2
ε
- 78 Linear elastische Werkstoffe folgen dem Hooke’schen Gesetz, das den Zusammenhang zwischen Spannung und Dehnung wiedergibt:
σ = E.ε
Bei nicht linear-elastischen Werkstoffen ist der Elastizitätsmodul nicht konstant:
σ = E(σ).ε
Daher Unterscheidung zwischen:
Ursprungsmodul α1:
Neigung der Spannungs-Dehnungs-Linie im Ursprung.
Sekantenmodul α2:
Neigung der Sekante zwischen dem Ursprung und einem
bestimmten Punkt auf der Spannungs-Dehnungs-Linie.
Tangentenmodul α3:
Neigung der Spannungs-Dehnungs-Linie bei einer bestimmten Spannung.
•
Querdehnungszahl
Die Querdehnung eines einachsig beanspruchten Werkstoffes wird durch die
Querdehnungszahl (Poisson'sche Zahl) ν beschrieben:
ν=−
εq
εl
=
Querdehnun g
Längsdehnung
Abschätzung der Grenzwerte der Querdehnungszahl aus der Volumendehnung:
Volumen vor der Belastung:
F
V0 = a.b.c
Volumen nach der Belastung:
V0 + ∆V = (a + ∆a)(b + ∆b)(c + ∆c)
a
Mit ε l =
b
c
F
∆a
a
und
εq =
∆b ∆c
=
b
c
erhält man die Volumenänderung
∆V = a.b.c.εl.(1-2ν)
Die Volumendehnung ist dann:
∆V
= ε v = ε l (1 − 2ν )
V
Unterer Grenzwert der Querdehnungszahl, ν
ν=0
d. h. keine Querdehnung, die Volumendehnung wird zu einem
Maximum
Oberer Grenzwert der Querdehnungszahl, ν
ν = 0,5 εv = 0
d. h. das Volumen der Probe bleibt konstant.
Bei ν > 0,5 würde bei einer Zugbelastung eine Volumenverminderung, bei einer
Druckbelastung ein Volumenzuwachs auftreten.
- 79 •
Schubmodul
Der Schubmodul gibt den Zusammenhang zwischen der Schubspannung und der
durch sie verursachten Verzerrung wieder:
γ ≈ tgγ ≈
G=
∆l
l
τ
γ
Bei linear elastischen Werkstoffen besteht zwischen Elastizitätsmodul und Schubmodul folgender Zusammenhang:
G=
•
E
2(1 + ν )
Elastische Dehnung bei mehrachsiger Beanspruchung
Wirken auf einen Körper gleichzeitig Spannungen in verschiedenen Richtungen, so
können die in den Hauptrichtungen auftretenden Dehnungen durch Superposition
der Dehnungen aus den einzelnen Spannungen ermittelt werden (erweitertes Hooke’sches Gesetz):
σz
εx =
1
⋅ {σ x − ν ⋅ (σ y + σ z )}
E
εy =
1
⋅ {σ y − ν ⋅ (σ x + σ z )}
E
εz =
1
⋅ {σ z − ν ⋅ (σ x + σ y )}
E
σy
σx
σx
σy
σz
•
Kennwerte für die Metalle
Bei Stahl, Aluminiumlegierungen und Gusseisen können E; G; ν bis zu ca.
0,9.βS konstant angenommen werden. Im Bereich des elastischen Verhaltens ist ν
≈ 1/3. Für plastische Verformungen ist ν ≈ 1/2.
C.2.2.2
C.2.2.2.1
Einflüsse auf den E-Modul
Einfluss der Werkstoffstruktur
Der E-Modul eines Werkstoffes hängt von der Bindungsenergie zwischen den Atomen ab (siehe Teil B.2.5).
Eine deutliche Veränderung des E-Moduls durch Beeinflussung der Mikrostruktur,
z. B. bei Veränderung der Kristallfehlerdichte ist daher nicht möglich.
C.2.2.2.2
Einfluss anderer Komponenten
Besteht ein Werkstoff aus verschiedenen Komponenten, so kann der Elastizitätsmodul E aus den Verformungseigenschaften der Einzelkomponenten und deren
Volumenanteil rechnerisch ermittelt werden (siehe auch Kap. G).
- 80 Grenzfall 1
Grenzfall 2
E2; v2
E1; v1
E2; v2
E1; v1
ε1 = ε2, ist
da
σ1 = σ2, ist
da
1 v1 1− v1
=
+
E E1
E2
E = v1.E1 + (1-v1).E2
wobei
v1; v2 = Volumenkonzentration der Komponente "1" bzw. "2"
E1; E2 = Elastizitätsmodul der Komponente "1" bzw. "2"
Beispiel einer Metallegierung (Blei-Zinn)
60000
E (N/mm²) 40000
20000
0
350
300
Schmelze
250
Temperatur (°C)
200
L+α
α
L+β
β
150
100
α+β
50
0
0
Pb
C.2.2.2.3
10
20
30
40
50
60
Sn in M.-%
70
80
90
100
Sn
Umwelteinflüsse
Der Elastizitätsmodul der meisten Werkstoffe ist temperaturabhängig: mit steigender Temperatur wächst die Verformbarkeit, d. h. der Elastizitätsmodul des Werkstoffes fällt ab:
E-Modul (N/mm²)
250000
200000
Eisen
Kupfer
150000
100000
Aluminium
50000
Magnesium
0
0
100
200
300
400 500 600
Temperatur (°C)
700
800
900 1000
- 81 -
C.2.3 Anelastizität – Verzögert elastische Verformung
Definition:
Dehnung, ε
Zeitabhängige Entwicklung der elastischen Verformung bei Belastung. Zeitabhängige Verformung nach Entlastung
σ = konstant
Zeit, t
Ursachen der Anelastizität bei metallischen Werkstoffen:
Der thermoelastische Effekt
Diffusion von Fremdatomen
schnelle
Belastung
σ
langsame Beoder Entlastung
schnelle
Entlastung
Fremdatom
ε
Beachte:
Bei Metallen ist die anelastische Verformung meist vernachlässigbar.
Dies gilt nicht für Kunststoffe und Beton.
C.3
PLASTISCHE VERFORMUNG DER METALLE
C.3.1
Definitionen
Plastische Verformung: spannungsabhängige und bleibende (irreversible) Verformung eines Werkstoffes (siehe C.5.1.3)
Kriechen: zeitabhängige, plastische Verformung eines Werkstoffes unter einer
konstanten Dauerlast; bei manchen Werkstoffen kann das Kriechen auch einen
zeitabhängig reversiblen Anteil haben (Anelastizität),(siehe C.5.1.7 und C.2.2)
Viskose Verformung: zeitabhängige, bleibende Verformung eines Werkstoffes mit
viskosen Eigenschaften. Für Werkstoffe mit den Eigenschaften einer Newtonschen
Flüssigkeit ergibt sich unter einer konstanten Spannung ein linearer Anstieg der
Verformung mit der Zeit.
C.3.2
Bedeutung der plastischen Verformbarkeit eines Werkstoffes
In den meisten praktischen Anwendungsfällen ist die plastische Verformbarkeit
eines Werkstoffes bei hohen Spannungen eine erwünschte Werkstoffeigenschaft:
a) Plastische Verformbarkeit ist Voraussetzung für die Formgebung eines
Werkstückes durch Ziehen, Strecken, Walzen etc.
- 82 b) Bei der Verwendung plastisch verformbarer Werkstoffe kündigt sich ein bevorstehender Bruch bei Überbelastung durch große Verformungen, z. B.
Durchbiegungen, an.
c) Die Biegetragfähigkeit eines Querschnitts aus einem plastisch verformbaren
Werkstoff ist größer als die eines Querschnitts mit linear elastischem Verhalten.
d) In statisch unbestimmten Tragsystemen treten bei Verwendung plastisch
verformbarer Werkstoffe Momentenumlagerungen auf, die zu einer Erhöhung der Tragfähigkeit des Gesamtsystems führen.
e) Plastisch verformbare Werkstoffe sind weniger kerbempfindlich als spröde
Werkstoffe, weil die plastische Verformbarkeit zu einem Abbau örtlicher
Spannungsspitzen führt.
Beachte:
Ein Werkstoff kann sich unter bestimmten Bedingungen plastisch
verhalten, bei geänderten Bedingungen kann er jedoch spröde sein.
Bedingungen, welche die plastische Verformbarkeit eines Werkstoffes reduzieren, sind insbesondere
- mehrachsige Beanspruchungen,
- hohe Dehngeschwindigkeiten,
- tiefe Temperaturen.
C.3.3
a)
Mechanismen der plastischen Verformung von Metallen
Verschiebung bzw. Gleitungen entlang bestimmter charakteristischer Kristallebenen, die vorzugsweise dichtest gepackt sind.
F
F
b)
Zwillingsbildung, d. h. Umklappen eines Teils eines Kristallgitters um eine
Spiegelebene
F
}
F
c)
Korngrenzenverschiebung
τ
τ
τ
τ
Zwillingslamelle
- 83 -
C.3.4
Theoretische Schubfestigkeit
Fragestellung: Welche Kräfte sind erforderlich, um zwei Atomebenen, entsprechend dem Mechanismus C.3.3.a, gegeneinander zu verschieben.
Eine Reihe von Atomen wird durch eine Schubspannung τ gegenüber einer anderen Reihe von Atomen nach rechts verschoben. Die zur Verschiebung erforderliche Schubspannung τ steigt zunächst mit wachsender Verschiebung d. Liegt das
Atom 1 genau zwischen den Atomen 2 und 4, stellt sich ein labiler Zustand ein. Die
Schubspannung zur Aufrechterhaltung dieser Lage ist daher 0, die potentielle Energie erreicht ein Maximum.
Die Größe der höchsten, zum Verschieben erforderlichen Schubspannung τmax
kann wie folgt bestimmt werden:
d
τ
1
3
τ = τ max ⋅ sin
γ
2
τ
2πδ
d
τ = G⋅γ
4
für kleine Winkel ist
τ
τmax
sin
δ
τmax Verschiebung
δ
d
2πδ
2πδ 2πδ
≈ tg
≈
d
d
d
G⋅ γ = G⋅
Wτ
τ max ≈
δ
Verschiebung
γ ≈ tg γ ≈
2πδ
δ
= τ max
d
d
G
2π
E
E
≈
2(1 + ν ) 2,5
mit
G=
ist
τmax ≈
E
15
für Stahl ist E = 2,1.105 N/mm2 und τmax ≅ 14000 N/mm2.
Die theoretische Schubfestigkeit von Metallen ist also meist wesentlich höher als
die in Versuchen tatsächlich beobachtete Schubfestigkeit.
C.3.5
Plastische Verformungen als Folge von Versetzungsbewegungen
Plastische Verformungen von Metallen bei Spannungen, die wesentlich kleiner als
die theoretische Schubfestigkeit sind, werden durch Kristallfehler, insbesondere
die Bewegung von Versetzungen, ausgelöst.
C.3.5.1
Versetzungsarten
Es wird unterschieden zwischen:
- Stufenversetzungen
- Schraubenversetzungen
- Gemischte Versetzungen
- 84 Stufenversetzung
Schraubenversetzung
Burgers-Vektor b
Burgers-Umlauf
Versetzungslinie
Gemischte Versetzungen setzen sich aus einer Stufen- und einer Schraubenkomponente zusammen.
Betrag und Richtung der Verzerrung des Kristallgitters, die zu einer Versetzung
führten, werden durch den sogenannten Burgers-Vektor beschrieben. Im Zentrum
der Verzerrung liegt eine Versetzungslinie.
Stufenversetzung:
G
Die Versetzungslinie steht senkrecht zu b
Schraubenversetzungen:
G
Die Versetzungslinie ist parallel zu b
Gemischte Versetzungen:
G
Versetzungslinie und b schließen einen Winkel zwischen 0 und 90° ein.
C.3.5.2
Verformungsvorgang durch eine Versetzungsbewegung
Eine Schubspannung τ, die in Richtung des Burgers´schen Vektors wirkt, löst eine
Bewegung von Versetzungen aus. Bei einer Stufenversetzung ist die Bewegungsrichtung der Versetzungslinie und des Burgers´schen Vektors bzw. die Schubspannung zueinander parallel, bei einer Schraubenversetzung stehen sie aufeinander senkrecht.
Der Bewegungsablauf einer Stufenversetzung kann wie folgt dargestellt werden:
(a)
Bewegungsrichtung
(b)
Burgers-Vektor b
- 85 τ
τ
6
1
4
τ
6
2
3
5
1
2
4
5
7
7
τ
τ
Als Folge einer Schubspannung τ
wird die Atomreihe 1 - 2 - 3 gegen
die Atomreihe 4 - 5 verschoben, bis
Atom 2 über Atom 5 steht. Bildung
einer durchgehenden Kristallebene
der Atome 6 - 2 - 5 - 7
3
τ
Die Stufenversetzung ist
um einen Gitterparameter
nach rechts gerückt
Der Vorgang wiederholt sich, bis
die Versetzung aus dem Kristallgitter gewandert ist. Es entsteht eine
Gleitstufe. Gleitstufe = plastische
Verformung = Betrag des Burgers´schen Vektors. Das Verbleibende Kristallgitter ist fehlerfrei
Folgerung:
In einem fehlerfreien Kristall werden beim Gleiten zweier Ebenen alle Atome
gleichzeitig gegeneinander verschoben. Beim Gleiten von Ebenen eines durch
eine Stufenversetzung gestörten Systems wird nacheinander jeweils nur eine Reihe von Atomen verschoben, so dass die zum Gleiten erforderliche Schubspannung
in Systemen mit Versetzungen wesentlich kleiner ist als in fehlerfreien Kristallen.
C.3.5.3
I.
Eigenschaften von Versetzungen
Versetzungen erzeugen ein Spannungsfeld
Druck
Zug
Scherung
Die potentielle Energie im Kristall ist daher in der Nähe einer Versetzung
erhöht.
Folge: Vor allem bei erhöhter Temperatur reduziert sich durch Diffusion
die Versetzungsdichte.
II.
Versetzungen beeinflussen sich gegenseitig
Gleiche Ebenen:
gleiche Versetzungen
ungleiche Versetzungen
D
D
Z
Z
D
Z
Z
D
stoßen sich ab
ziehen sich an und
heben sich auf
- 86 -
Benachbarte Ebenen:
gleiche Versetzungen
stoßen sich ab oder
ziehen sich an, je nach
Abstand
D
D
Z
Z
ungleiche Versetzungen
ziehen sich an und
heben sich auf;
Bildung einer Leerstelle
D
Z
Z
D
III.
Versetzungen sind in dichtest gepackten Ebenen und Richtungen am
leichtesten beweglich
τ
leichtes Gleiten
schweres Gleiten
τ
IV.
Versetzungen können schwerer beweglich oder unbeweglich werden
Trifft eine Versetzung auf ein Hindernis, z. B. ein Fremd- oder Einlagerungsatom, so kann sie dadurch in ihrer Bewegung behindert werden. Sie
wird erst nach einer Spannungs- oder Temperaturerhöhung wieder beweglich.
Zwei bewegliche Versetzungen b1 und b2, die in verschiedenen Ebenen
aufeinanderzulaufen, können unbeweglich werden, wenn die resultierende
Versetzung b3 in einer weniger dicht gepackten Ebene oder ungünstig zur
angreifenden Schubspannung τ liegt.
y
τ
b2
b3
b1
z
b3
b2
x
b1
τ
Versetzungen werden unbeweglich, wenn sie auf Korngrenzen oder Phasengrenzen treffen.
V.
Versetzungen können sich vermehren (Frank-Read-Quelle)
(a)
Die Versetzungslinie einer Stufenversetzung trifft auf ein Hindernis,
z. B. ein Paar von Fremd- oder Einlagerungsatomen.
(b)
Die Versetzung wird aufgehalten, und die Versetzungslinie beginnt
sich auszubauchen.
- 87 (c)
Mit steigender Spannung bleibt die Versetzungslinie zwar an den
Fremdatomen verankert, baucht sich aber weiter aus und beginnt
die Störstellen zu umlaufen.
(a)
(b)
(c)
(d)
Die Fronten der Versetzungslinie nähern sich, und
es sind zwei Schraubenversetzungen mit entgegengesetztem Drehsinn entstanden, die sich aufheben.
(e)
Eine gemischte Versetzung
umschließt die Fremdatome,
und eine neue Stufenversetzung zwischen den beiden Fehlstellen hat sich gebildet.
τ
(d)
(e)
Der Vorgang wiederholt sich, so dass die beiden Fremdatome von immer
mehr gemischten Versetzung umgeben sind.
Folge: Mit steigender plastischer Verformung nimmt die Anzahl der Versetzungen zu:
Versetzungsdichte:
C.3.5.4
Wärmebehandelte Einkristalle
102 – 103
Linien/cm2
Wärmebehandelte Vielkristalle
107 – 108
Linien/cm2
Wärmebehandelte Vielkristalle nach plastischer
Verformung
1010
– Linien/cm2
10
12
Zusammenfassung und Folgerungen
-
Versetzungen erlauben plastische Verformungen bei Spannungen, die wesentlich kleiner als die theoretische Schubfestigkeit des Werkstoffes sind, indem sie
ein Kristallgitter mit hoher Geschwindigkeit durchlaufen und dadurch Gleitungen
auslösen.
-
Versetzungen bewegen sich vorzugsweise auf bestimmten Ebenen und in bestimmten Richtungen, die strukturabhängig sind.
-
Da Versetzungen von einem Spannungsfeld umgeben sind und eine Erhöhung
des Energieniveaus zur Folge haben, können sie durch eine Wärmebehandlung des Werkstoffes aufgelöst werden.
-
Die Beweglichkeit von Versetzungen und damit die plastische Verformbarkeit
eines Werkstoffs können reduziert werden durch Fremdatome (Punktfehler),
andere Versetzungen oder Korn- und Phasengrenzen. Die plastische Verformbarkeit nimmt daher mit steigender Anzahl von Fremdatomen, steigender Versetzungsdichte und kleiner werdender Korngröße ab.
-
Da eine plastische Verformung die Versetzungsdichte erhöht und Versetzungen
unbeweglich macht, wird der Werkstoff dadurch verfestigt, und die verbleibende
plastische Verformbarkeit ist begrenzt.
- 88 -
C.3.6
Gleitsysteme
Gleitvorgänge treten in bestimmten Gleitebenen und Gleitrichtungen auf. Dies sind
meist dichtest gepackte Ebenen und Richtungen. Die Kombination von Gleitebenen und Gleitrichtungen wird als Gleitsystem bezeichnet. Die Anzahl der Gleitsysteme hängt von der Kristallstruktur eines Werkstoffes ab.
Beispiele einiger Gleitsysteme
Struktur
Werkstoffe
Anzahl der Gleitsysteme
KFZ
Cu; Al; Ni; Pb; Au; Ag;
γ-Fe
4.3 = 12
KRZ
α-Fe; W; Mo
6.2 = 12
α-Fe; K
24.1 = 24
Zn; Mg; Ti
1.3 = 3
Mg; Ti
6.1 = 6
HDP
C.3.7
Kritische Schubspannung
Da Gleitvorgänge nur in bestimmten Ebenen ablaufen können, ist die Orientierung
einer Gleitebene zur äußeren Beanspruchung bzw. die in Gleitrichtung auf die
Gleitebene wirkende Schubspannung für den Gleitvorgang maßgebend.
Gleitrichtung
n
Normale zur
Gleitebene
m
Gleitebene
Querschnitt der Probe:
A
Fläche der Gleitebene:
A′ =
A
cos φ
Komponente der Kraft F in Gleitrichtung:
F’ = F.cosλ
In der Gleitrichtung wirkende Schubspannung τ:
F′ F
τ=
= ⋅ cos λ ⋅ cos φ
A′ A
τ = σ ⋅ cos λ ⋅ cos φ
- 89 -
Kritische Schubspannung τcr =
jene auf Gleitebene und Gleitrichtung bezogene
Schubspannung, die zum Gleiten führt. Sie ist
eine Materialkonstante, d. h. eine Werkstoffeigenschaft, die vor allem bei KRZ-Kristallen von
der Temperatur abhängt.
Folgerungen:
a) In einem Einkristall können Gleiten bzw. plastische Verformung nur auftreten, wenn das Gleitsystem gegenüber der äußeren Spannung entsprechend
orientiert ist.
b) Liegen viele Gleitsysteme vor, so ist Gleiten schon bei niedrigen Spannungen wahrscheinlich.
c) Mit steigender Spannung werden immer mehr Gleitsysteme aktiviert.
d) Je mehr Gleitsysteme gleichzeitig aktiviert werden, um so größer ist die
Wahrscheinlichkeit, dass die Gleitsysteme durch gegenseitige Beeinflussung unbeweglich werden.
Typische Werte der kritischen Schubspannung τcr [N/mm2] von Einkristallen
Werkstoff
kritische Schubspannung
Struktur
bei -20°C
bei +20°C
bei +300°C
Kupfer
KFZ
1,2
1,0
1,0
Aluminium
KFZ
1,5
1,5
1,4
Magnesium
HDP
1,2
0,8
0,8
α-Eisen
KRZ
45,0
35,0
18,0
C.3.8
Plastizität von Einkristallen
Der Gleitvorgang eines Einkristalls mit einer KFZ-Struktur kann in 3 Bereiche eingeteilt werden:
Schubspannung τ
I
II
III
τ
τ
τc
Schubdehnung γ
Bereich I:
Bis zum Erreichen einer kritischen Schubspannung τcr kleine elastische (reversible) Vorgänge. Nach Überschreiten von τcr Beginn des
Gleitens. Große Verformungen bei nur langsam steigender Schubspannung.
- 90 Nach Erreichen der Schubspannung τ1 gegenseitige Behinderung der
Versetzungen und Vermehrung der Versetzungen. Die zum Gleiten
erforderliche Spannung steigt daher laufend an.
Bereich II:
Bereich III: Nach Erreichen der Grenzschubspannung τ2 werden blockierte Versetzungen wieder beweglich.
Bei Einkristallen mit HDP-Struktur tritt keine oder nur eine geringe Verfestigung
auf, da die geringe Anzahl der Gleitsysteme nur zu einer schwachen gegenseitigen
Beeinflussung von Versetzungen führt.
Einkristalle mit einer KRZ-Struktur besitzen keine dichtest gepackten Ebenen, so
dass das Gleiten erst bei hohen kritischen Schubspannungen beginnt. Wegen der
großen Anzahl von Gleitsystemen ist schon bei Beginn des Gleitens eine gegenseitige Beeinflussung von Gleitsystemen zu erwarten, so dass der Bereich I völlig
entfällt.
Schubspannung τ [N/mm²]
80
Fe
(KRZ)
60
Cu
(KFZ)
40
20
0
Mg
(HDP)
0
1
2
3
4
5
6
Schubdehnung γ [%]
C.3.9
Plastizität von Vielkristallen
Baupraktisch relevante metallische Werkstoffe setzen sich aus vielen unterschiedlich orientierten Körner zusammen. Die für das Einkristall abgeleiteten Zusammenhänge haben zwar Gültigkeit. Zusätzlich ist jedoch der Einfluss der Kornorientierung und der Korngrenzen zu berücksichtigen.
Korngrenzen halten die Versetzungsbewegung auf. Die Streckgrenze βS metallischer Werkstoffe steigt daher mit sinkendem Korndurchmesser (PetschGleichung):
βs = σ0 +
σ0
d
k
k
d
= Streckgrenze des Einkristalls bei günstiger Orientierung
= mittlerer Korndurchmesser
= temperaturabhängiger Beiwert
bei T = 20°C für Fe:
k ≈ 23 N/mm3/2
für Al:
k ≈ 2 N/mm3/2
Die Kornstruktur eines Werkstoffes führt dazu, dass auch bei Vielkristallen mit
KFZ-Struktur die Unterteilung eines Gleitvorgangs in die Bereiche I,II und III verwischt wird:
- 91 -
Zugspannung [N/mm²]
300
Vielkristalle
von Cu
200
Einkristall
von Cu
100
0
0
10
20
30
Dehnung [%]
40
50
60
C.3.10 Spannungs-Dehnungsverhalten von Stahl – Streckgrenze
σ
V
βSo
βSu
III
IV
II
I
ε
Bereich I:
elastisches Verhalten
Bereich II:
Abweichung von der Linearität, Beginn plastischer Verformung;
Überschreitung von τcr
Bereich III:
Streckgrenze und das Fließen
Stähle mit niederem Kohlenstoffgehalt ohne vorhergegangene Kaltverformung
besitzen eine ausgeprägte Streckgrenze, d. h. bei konstanter Spannung nehmen
die Dehnungen schnell zu. Dieser Vorgang ist dem Bereich I bei der plastischen
Verformung eines Einkristalls zwar ähnlich, ist damit jedoch nicht identisch und
kann wie folgt erklärt werden:
-
Kohlenstoffatome des Stahles lagern sich häufig an einer Versetzung an. Erreicht die Spannung die obere Streckgrenze βSo, so werden einige Versetzungen von den Kohlenstoffatomen losgerissen = Beginn des Fließens. Weiteres Fließen ist auch bei einer niederen Spannung möglich, so dass die
Spannung auf die untere Streckgrenze βSu abfällt. Der Fließvorgang ist zunächst nur auf einen kleinen Bereich der Probe beschränkt.
- 92 -
Das örtliche Fließen verursacht Zwängungen, die zu einer Vergrößerung der
fließenden Zone führen.
-
Der Fließbereich erweitert sich, bis in der ganzen Probe plastische Verformungen auftreten. Der Vorgang wird durch die Entwicklung der sog. Fließoder Lüderslinien sichtbar.
-
Nach Abschluss des Fließvorgangs ist die plastische Verformbarkeit des
Werkstoffs zunächst erschöpft, und es stellt sich eine Verfestigung ein (Bereich IV).
Bei Stählen mit hoher Versetzungsdichte, z. B. als Folge einer vorangegangenen
Kaltverformung, ist ein freies Gleiten nicht möglich. Plastische Verformungen entwickeln sich nur allmählich, so dass der Werkstoff keine ausgeprägte Streckgrenze
hat.
Bereich IV:
Verfestigung durch Vervielfältigung und Blockieren von Versetzungen.
Bereich V:
Beginn der Entfestigung.
C.3.11 Einflüsse auf die plastische Verformbarkeit
Mechanismus: Eine Reduzierung der Beweglichkeit von Versetzungen verringert
die plastische Verformbarkeit
C.3.11.1 Strukturparameter
Beeinflussung der Versetzungsbeweglichkeit
-
durch Fremdatome
-
durch zusätzliche Phasen
-
Verringerung der Korngröße
-
Erhöhung der Versetzungsdichte (Kaltverformung)
C.3.11.2 Äußere Einflüsse
•
Dehngeschwindigkeit:
•
Mehrachsige Beanspruchung: Eine mehrachsige Beanspruchung führt bei
gleichem Vorzeichen der Spannungen zu einer
Reduktion der plastischen Verformbarkeit, weil
dadurch die kritische Schubspannung erst bei
einer höheren äußeren Beanspruchung erreicht
wird (siehe C.5.7).
•
Energiereiche Strahlung:
Eine Erhöhung der Dehngeschwindigkeit reduziert die plastische Verformbarkeit, vor allem
dann, wenn zeitabhängige Diffusionsvorgänge
die Verformbarkeit eines Werkstoffes beeinflussen.
Energiereiche, radioaktive Strahlen können zu
einer Störung des Kristallgitters führen. Die so
entstehenden Fehlstellen im Kristallgitter reduzieren bei manchen Werkstoffen die Beweglichkeit von Versetzungen soweit, dass eine
plastische Verformbarkeit des Werkstoffes nur
noch in beschränktem Umfang möglich ist.
- 93 •
Temperatur:
Eine Temperaturerhöhung fördert vor allem bei
KRZ-Werkstoffen die plastische Verformbarkeit
(s. auch "Kerbschlagzähigkeit" A.5.1.10).
σ-ε-Verläufe eines S 235 JR bei verschiedenen Temperaturen:
Spannung (N/mm²)
-40°C
400
+20°C
300
+400°C
200
100
0
0
5
10
15
20
25
30
Dehnung (%)
C.3.12 Kriechen und Relaxation
C.3.12.1 Ursachen
Ähnlich wie bei der spannungsabhängigen plastischen Verformung sind Kriechen
und Relaxation auf Gleiten von Kristallebenen bzw. auf Versetzungsbewegungen
zurückzuführen. Es tritt ein Wechselspiel ein zwischen Verfestigung (Reduktion der
Beweglichkeit von Versetzungen) und Auslösen von Versetzungsbewegungen
(Entfestigung).
ε
Bruch
σ = konstant
T = konstant
ε0
εi
Bereich I:
Bereich I
Bereich II
Bereich III
t
Primärkriechen; die Kriechgeschwindigkeit nimmt mit der Zeit ab (Verfestigung > Entfestigung).
Bereich II: Sekundärkriechen; die Kriechgeschwindigkeit ist konstant (Verfestigung = Entfestigung).
Bereich III: Tertiärkriechen; die Kriechgeschwindigkeit nimmt mit der Zeit zu, bis
der Bruch der Probe eintritt (Verfestigung < Entfestigung).
- 94 C.3.12.2 Einfluss der Temperatur auf das Kriechen
Alle Parameter, welche die plastische Verformbarkeit der Metalle beeinflussen,
wirken sich im selben Sinn auch auf die Kriecheigenschaften aus. Mit steigender
Temperatur nimmt die Kriechgeschwindigkeit zu, da die Beweglichkeit der Versetzungen steigt. Liegt die Temperatur über der Rekristallisationstemperatur, so führen Rekristallisation und Kornwachstum zur Verringerung der Versetzungsdichte
und damit zu einem erhöhten Kriechen, vor allem bei kaltverfestigten Werkstoffen.
Beschreibung des Temperatureinflusses mit Hilfe der Arrheniusbeziehung (B.3.6):
Für die Geschwindigkeit vK des Sekundärkriechens gilt:
 Q 
vk =
εK
Q
R
T
wobei
−

dε k
= const ⋅ e  RT 
dt
= Kriechverformung
= Aktivierungsenergie für das Kriechen
= Gaskonstante
= Temperatur [K]
Daraus ergibt sich für die Kriechverformung εK zum Zeitpunkt t:
n
εk = ε0 + A ⋅ σ ⋅ e
 Q 
−

 RT 
⋅t
Beachte:
-
Die Aktivierungsenergie für das Kriechen kann mit steigender Spannung abfallen.
-
Für die meisten Baustähle sind die Kriechverformungen bei Raumtemperatur vernachlässigbar.
-
Hochfeste Stähle, z. B. die im Spannbeton verwendeten Spannstähle, können auch bei Raumtemperatur kriechanfällig sein. Dies führt zu einem deutlichen Abfall der Spannung durch Relaxation, vor allem bei Spannungen in
der Nähe der Streckgrenze.
Spannungsabfall [%] bezogen
auf die Anfangsspannung
15
σ = 0,8 βZ
10
σ = 0,7 βZ
5
σ = 0,6 βZ
0
0
2
4
6
8
10
12
Temp. [°C]
- 95 -
C.4
VERFESTIGUNG VON METALLEN
C.4.1
Aufgabenstellung und Grundprinzip
Fragestellung: Wie können metallische Werkstoffe durch
a)
Veränderung ihrer chemischen Zusammensetzung
b)
Veränderung ihrer Fein- oder Grobstruktur
c)
Schaffung von Ungleichgewichts- oder metastabilen Zuständen
so verändert werden, dass ihre mechanischen Eigenschaften, vor
allem Streckgrenze, plastische Verformbarkeit und Zugfestigkeit,
optimiert werden?
Grundprinzip der Verfestigung von Metallen:
Herabsetzen der Beweglichkeit von Versetzungen
C.4.2
Kaltverformung
Eine Kaltverformung führt zur Vervielfältigung und Blockierung von Versetzungen
und damit zu einer Erhöhung der Streckgrenze.
Nachteile: Verringerte Verformbarkeit, reduzierte elektrische Leitfähigkeit und
Wärmeleitfähigkeit, Erhöhung der chemischen Reaktionsfähigkeit, dadurch vergrößerte Korrosionsanfälligkeit.
Durch eine nachfolgende Wärmebehandlung (Anlassen) kann die Verformbarkeit
kaltverformter Metalle wieder verbessert werden.
Reckalterung:
Spannungs-Dehnungs-Linie nach Verfestigung und Alterung
σ [N/mm²]
Werden Werkstoffe mit
ausgeprägter
Streckgrenze bis zu einer
Spannung βS2 (siehe
Skizze) belastet, entlastet (Linie 1) und sofort wieder belastet, so
beginnt das Fließen bei
βS2 (Linie 2).
(3)
βS2
βS1
(2)
(1)
ε [%]
Be- und Entlastung des Ausgangsmaterials (1)
Belastung (vorbelasteter Stahl) (2)
Vorbelasteter (kaltgereckter) Stahl nach Alterung (3)
Durch eine Alterung
nach Entlastung stellt
sich
bei
manchen
Werkstoffen eine erhöhte,
ausgeprägte
Streckgrenze, bei verminderter
Verformbarkeit (Linie 3) ein.
- 96 -
C.4.3
Legierungshärten
Metallische Werkstoffe können durch Bildung homogener Mischkristall-Legierungen verfestigt werden.
Ursache:
Die im Grundmetall durch das Legieren eingebrachten Fremdatome
reduzieren die Beweglichkeit der Versetzungen.
Beispiel:
Einfluss verschiedener Legierungselemente auf die Streckgrenze
(1%-Grenze) von Kupfer
1,0%-Grenze von Cu [N/mm²]
200
Sn
Be
150
Ni
Al
100
Cu - Zn = Messing
Cu - Al = (Aluminium)-Bronze
Cu - Sn = (Zinn)-Bronze
Si
Zn
50
0
0
10
2
30
Vol.-% der Legierungskomponente
40
Die verfestigende Wirkung einer Legierungskomponente ist um so ausgeprägter, je mehr sich die Atome der Grundelemente und der Legierungskomponente in ihrer Größe unterscheiden. Bei deutlichen Größenunterschieden und hohem Anteil der Legierungskomponente entstehen neben den Mischkristallen 2 Phasen. Dies ergibt sich aus den
jeweiligen Phasendiagrammen der betrachteten Metalle.
C.4.4
Ausscheidungshärten
Dies ist die wichtigste Verfestigungsmethode für alle Nichteisenmetalle, vor allem
für Aluminium. In das Grundgitter eines metallischen Werkstoffes wird schrittweise
eine sehr feinverteilte zweite Phase ausgeschieden.
Wirkungsmechanismen:
Behinderung der Versetzungsbewegung durch
a)
Verspannen des Kristallgitters
b)
Phasengrenzen
Voraussetzungen für Legierungen, die ausscheidungshärtbar sind:
• beschränkte Löslichkeit der Legierungskomponenten
• Abnahme der Löslichkeit mit sinkender Temperatur
- 97 Ausscheidungshärten erfolgt in 3 Schritten:
Schritt 1:
Homogenisieren oder Lösungsglühen der Legierung
Schritt 2:
Schnelles Abkühlen - Abschrecken
Schritt 3:
Anlassen bzw. Altern bei erhöhter Temperatur = Ausscheidungsglühen
T
T
Lösungsglühen
α
Abschrecken
Ausscheidungsglühen
α+β
αu
100 M.-% A
M.-% B
Zeit t
Schritt 1:
Erwärmung bis knapp unter die eutektische Temperatur, aber oberhalb der Löslichkeitslinie (Lösungsglühen). Durch Homogenisieren
entsteht ein stabiles Mischkristall α.
Schritt 2:
Als Folge des Abschreckens sollte eine β-Phase ausgeschieden werden. Wegen der schnellen Abkühlung liegt jedoch nur eine mit BAtomen übersättigte α-Phase vor.
Schritt 3:
Erhöhung der Temperatur auf das 0,3 bis 0,5-fache der Schmelztemperatur (Ausscheidungsglühen). Ausscheidung einer β-Phase aus einer übersättigten α-Phase. Härte, Festigkeit und Zähigkeit hängen
von der Länge der Auslagerung und der Anlasstemperatur ab.
σ (N/mm²)
400
300
δ10 (%)
βz
30
β0,2
200
20
δ10
100
0
1
Zeit in h (log)
24
10
0
Einfluss der Dauer des Ausscheidungsglühens auf Zugfestigkeit βz, 0,2-Grenze β0,2
und Bruchdehnung δ10 einer Al-Mg-Si-Legierung.
- 98 -
C.4.5
Umwandlungshärten
Dies ist die wichtigste Verfestigungsmethode von Stählen. Sie beruht auf der Beobachtung, das beim plötzlichen Abkühlen (Abschrecken) von manchen Metallen
Strukturumformungen stattfinden, die beim Stahl zur sog. Martensitbildung führen.
C.4.5.1
Martensitische Zustände
Wird ein Stahl bis in den austenitischen Bereich (T > 723°C) erwärmt und danach
abgeschreckt, ist die diffusionsabhängige Umwandlung des Austenits (γ-EisenMischkristall) in Ferrit (α-Eisen-Mischkristall) nicht mehr möglich. Anstelle des αEisen-Zementit-Systems entsteht durch eine diffusionslose Umwandlung der sog.
Martensit.
Raumzentrierter,
tetragonaler Martensit
2,97 Å
2,845 Å
: Eisen-Atome
: Kohlenstoff-Atome
2,845 Å
Austenit
Martensit wird durch Verschieben und Umklappen von Kristallebenen des Austenit
gebildet. Es hat wegen seiner Struktur und der eingelagerten C-Atome eine große
Härte und Sprödigkeit und ist daher nicht immer erwünscht.
Die Menge an Martensit, die bei einer Abkühlung eines Stahles aus einem austenitischen Zustand entsteht, hängt von der Temperatur ab, bis zu der er nach einer
vorangegangenen Erwärmung abgeschreckt wird. Der verbleibende Austenit wird
als Restaustenit bezeichnet.
MS = Temperatur, bei welcher
die Bildung von Martensit
beginnt
Martensit (M.-%)
100
Mf
(MS = Martensit-start)
80
Mf = Temperatur, bei welcher
eine vollständige Umwandlung in Martensit erfolgt.
60
40
(Mf = Martensit-finish)
20
Ms
0
0
50
100 150 200
Temperatur (°C)
250
300
Die Sprödigkeit martensitischer
Stähle kann durch Anlassen
vermindert werden, siehe dazu
auch Abschnitt 4.6.3.
1. Anlassstufe: bei ca. 100 bis 200°C Ausscheidung von C aus dem Martensit und
Bildung des kohlenstoffärmeren kubischen Martensits.
2. Anlassstufe: bei ca. 100 bis 300°C Zerfall des Restaustenits
3. Anlassstufe: bei ca. 300 bis 400°C Kohlenstoffverarmung des kubischen Martensits bis zur Bildung von Ferrit
Mit steigender Anlassdauer sinken Streckgrenze und Zugfestigkeit, während die
Verformbarkeit des Stahles wächst.
- 99 C.4.5.2
Zwischenstufenzustände
Durch Variation der Abkühlgeschwindigkeit oder durch Abkühlung von Stählen aus
dem austenitischen Bereich bis zu einer Temperatur oberhalb der MS-Temperatur,
die dann über längere Zeit konstant gehalten wird, können Zwischenstufenzustände erreicht werden, die im sog. ZTU-Schaubild darstellbar sind.
Temperatur [°C]
Austenit
800
Rockwell C-Härte nach der Umwandlung
Umwandlung bei 700°C
Beginn
A1-Temperatur
700
Nase
Ende
11
32
Austenit
600
Sorbit
Perlitbildung aus
dem Austenit
38
Perlit
Troostit
500
Bainitbildung aus
dem Austenit
400
Austenit
40
Bainit
Zwischenstufe
300
41
43
50
55
MS-Temperatur
57
200
Martensit
100
0
39
Isothermes ZTUSchaubild für den
Austenitzerfall in
einem
Kohlenstoffstahl mit eutektoider Zusammensetzung
1 2 4 8 15 30 1 2 4 8 15 30 1 2 4 8 15 30
Sek.
Min.
Umwandlungszeit
Std.
Das ZTU-Schaubild für isotherme Umwandlung (T = const) beschreibt für verschiedene Abkühltemperaturen die Umwandlung des Austenits in Abhängigkeit
vom Zeitraum, innerhalb dem die Abkühltemperatur konstant gehalten wird. Die
zwei charakteristischen Linien dieses Diagramms beschreiben Beginn und Ende
des Austenitzerfalls.
Mit sinkender Temperatur wird der Austenit immer instabiler, d. h. die treibende
Kraft, die seinen Zerfall bewirkt, wächst. Gleichzeitig nimmt die Diffusionsgeschwindigkeit mit sinkender Temperatur ab, so dass der Austenitzerfall verzögert
wird. Daraus ergibt sich der nasenförmige Verlauf der beiden Kurven, der einen
Minimalwert der Zerfalldauer bei einer Temperatur zwischen 500 und 600°C angibt. Oberhalb der Nase erfolgt eine Umwandlung des Austenits in fein- oder grobkörniges Perlit. Unterhalb der Temperatur bildet sich Bainit, ein sehr feinkörniges
Gefüge aus Ferrit und Zementit, in dem der Zementit nicht wie beim Perlit lamellenförmig, sondern in Form sehr kleiner Partikel ausgeschieden wird.
Unterhalb der MS-Temperatur entsteht sofort Martensit, dessen Menge mit sinkender Temperatur zunimmt.
C.4.6
Verfestigung von Stählen
Die Eigenschaften von Stählen können beeinflusst werden durch:
-
Kaltverformung (siehe C.4.2)
-
Wärmebehandlung (Glühen, Härten, Vergüten)
-
Legieren
- 100 C.4.6.1
Glühen der Stähle
Erwärmen der Stähle auf eine bestimmte Temperatur; Konstanthalten dieser Temperatur über einen gewissen Zeitraum; dann langsames Abkühlen bis zur Raumtemperatur.
Temperatur (°C)
1500
Diffusionsglühen
Grobkorntempern
γ -MK + S
1200
γ-MK
900
A3-Linie
600
Tempern
Fe
3C3C
-MK ++Fe
γγ-MK
Normalglühen
A1-Linie
Weichglühen
Rekristallisationsglühen
Spannungsarmglühen
Fe3CC
α-MK++Fe
α-MK
3
300
0
AcmLinie
0
1
2
3
Kohlenstoffgehalt (M.-%)
4
a) Diffusionsglühen:
Erwärmen bis in das Gebiet der γ-Eisen-Mischkristalle; Ausgleich von Seigerungen
des Kohlenstoffs, Vergröberung der Kornstruktur; reduzierte Festigkeit; erhöhte
Plastizität.
b) Normalglühen:
Erwärmen oberhalb der A3 -bzw. A1-Linie; Ausgleichung von Inhomogenitäten aus
Herstellung und Bearbeitung. Bei kurzzeitiger Dauer Erzielung eines feinkörnigen
Gefüges, bei langer Dauer Vergröberung der Kornstruktur. Häufig Ausgangspunkt
einer weiteren Wärmebehandlung.
c) Weichglühen:
Erwärmung bis knapp unterhalb der A1-Linie (daher keine Bildung von Austenit),
dadurch Bildung eines körnigen Zementits im Perlit, der eine spätere spanabhebende Bearbeitung des Stahles erleichtert.
d) Rekristallisationsglühen:
(siehe B.3.4)
e) Spannungsarmglühen:
Erwärmen auf eine Temperatur unterhalb der Rekristallisationstemperatur. Dadurch Reduktion von Eigenspannungen; Absinken der Streckgrenze und der Anfälligkeit zum Sprödbruch.
C.4.6.2
Härten der Stähle
Erwärmen des Stahles auf Temperaturen oberhalb der A3- bzw. der A1-Linie mit
darauffolgendem Abschrecken in Luft, Wasser oder Öl.
- 101 Dies führt je nach Abschrecktemperatur und Geschwindigkeit zur Martensitbildung
(C.4.5.1) oder zu einem Zwischenstufenzustand (C.4.5.2). Voraussetzung für die
Härtbarkeit ist ein ausreichender C-Gehalt.
C.4.6.3
Vergüten der Stähle
Zugfestigkeit
Zugfestigkeit
ββZZ [N/mm²]
(N/mm²)
1400
1200
Bruchdehnung
Bruchdehnung Der Vorgang des Erwärmens
eines Stahles mit daraufδδ[%]
(%)
folgendem Abschrecken (Härten) und einer erneuten Wärmebehandlung (Anlassen) wird
als Vergüten bezeichnet.
1000
800
600
400
20
200
10
0
0
0
C.4.6.4
200
400
600
(°C)
Anlaßtemperatur
Anlasstemperatur [°C]
800
Eine besondere Art der Stahlvergütung ist das Patentieren:
Der Stahl wird normalgeglüht,
dann in einem Blei- oder Salzbad auf ca. 400°C abgeschreckt und bis zur vollständigen Umwandlung in Perlit und
Ferrit auf dieser Temperatur
gehalten. Darauf folgt eine
langsame Abkühlung an der
Luft. Wegen der Bildung eines
feinlamellaren
Perlitgefüges
sind patentierte Stähle besonders zum Kaltziehen geeignet
und behalten dabei eine relativ
hohe Zähigkeit.
Einfluss von Legierungselementen
Wichtigste Legierungselemente des Stahles sind Kohlenstoff, Silicium, Mangan
und Nickel.
P, S, N, O, H werden als Stahlbegleiter bezeichnet. Sie sind meist unerwünscht
und können schon in geringer Konzentration (< 0,1 M.- %) zur Versprödung, erhöhter Korrosionsanfälligkeit und mangelnder Schweißeignung des Stahles führen.
•
Silicium
Das Silicium kann auch zu den Stahlbegleitern gezählt werden, da es die Löslichkeit von Gasen in der Schmelze reduziert und auch unlegierten Stählen zur Stahlberuhigung zugegeben wird. Bei Gehalten von > 0,5 M.-% Erhöhung der Streckgrenze, Herabsetzen der Löslichkeit von Kohlenstoff, Reduktion der Schweißbarkeit.
•
Mangan und Nickel
reduzieren die A1-Temperatur und erweitern daher den Bereich, innerhalb dem
Austenit stabil ist. Stähle, die auch bei Raumtemperatur vorzugsweise aus Austenit
bestehen, werden als austenitische Stähle bezeichnet.
•
Chrom
Cr, Mo, W, Ti erhöhen die A1-Temperatur und erweitern damit das Gebiet des Ferrits (ferritische Stähle).
- 102 -
C.5
FESTIGKEIT UND BRUCH
C.5.1
Zielsetzung und Definitionen
Konstruktionen versagen oder verlieren ihre Gebrauchsfähigkeit, durch:
-
Überschreiten der Festigkeit des verwendeten Werkstoffes (Bruch)
-
Zu große Verformung der Konstruktion
-
Mangelnde Dauerhaftigkeit als Folge von Korrosionserscheinungen.
Von diesen Versagensarten ist der Bruch am gefährlichsten, da er zum Einsturz
des Bauwerkes führen und plötzlich auftreten kann.
Erscheinungsformen des Bruches:
(a)
a) Trennbruch:
(b)
(c)
Bruchfläche senkrecht zur angreifenden Normalspannung
b) Schub- oder Scherbruch: Bruchfläche in Richtung der Hauptschubspannung
c) Einschnürungsbruch:
siehe Abschnitt C.5.4
Transkristalliner Bruch: die Bruchfläche durchläuft verschiedene Körner eines kristallinen Werkstoffes.
Interkristalliner Bruch: die Bruchfläche verläuft entlang der Korngrenzen.
Zäher Bruch: Der Bruch tritt erst nach deutlich erkennbarer plastischer Verformung
des Bauteils ein. Vor dem Bruch bildet sich häufig eine Einschnürung aus. Die
Bruchfläche ist meist matt oder faserig.
Spröder Bruch: Er tritt ohne oder nur mit sehr geringer plastischer Verformung auf
und ist die Folge eines sehr schnell wachsenden Risses (Spaltbruch). Es tritt keine
Einschnürung auf, die Bruchflächen sind bei polykristallinen Werkstoffen meist
rauh.
Übergang vom zähen zum spröden Bruch
Vor allem KRZ-Metalle können je nach Temperatur spröde oder zäh zu Bruch gehen. Eine besondere Sprödbruchneigung liegt vor bei:
-
niederer Temperatur
-
mehrachsigem Spannungszustand
- 103 -
C.5.2
Theoretische Zugfestigkeit
Beim Bruch einer Probe bilden sich zwei neue Oberflächen. Dazu ist Energie notwendig, die sog. Oberflächenenergie γ:
W Z = ∫ σ(a)da
σ(k)
∆WZ = Änderung der potentiellen Energie
beim
Erreichen
des Bruches
∆W Z ≈ 2 ⋅
Atomabstand a
a0
∆a
∆a ⋅ β Z
2
Da
β
∆a
=ε≈ Z
a0
E
ist
∆a ≈
und
∆W Z ≈
βZ
βZ ⋅ a 0
E
β 2Z ⋅ a 0
E
Beim Bruch ist ∆WZ ≥ die Oberflächenspannung 2.γ, so dass
β 2Z ⋅ a 0
= 2⋅γ
E
und
Beispiel: Glas
βZ =
2 ⋅ γ ⋅E
a0
E ≈ 7.104 N/mm2
γ ≈ 3.10-7 J/mm2
a0 ≈ 2.10-7 mm
Theoretische Zugfestigkeit:
βZ ≈ 14000 N/mm2
Experimentell bestimmte
Zugfestigkeit:
βZ ≈ 10 - 50 N/mm2
Die Zugfestigkeit der meisten Realwerkstoffe ist um 2 bis 3 Größenordnungen
geringer als die theoretische Zugfestigkeit. Gelingt es jedoch, fehlerfreie Einkristalle herzustellen, so kommt deren Festigkeit der theoretischen Zugfestigkeit nahe.
Die Zugfestigkeit von Werkstoffen wird daher in hohem Maß von Werkstofffehlern,
z. B. Poren, Kerben, Korngrenzen, etc. beeinflusst.
- 104 -
C.5.3
Kerben
Kerben sind örtlich scharfe Querschnittsveränderungen in einem Zugstab.
Wird ein gekerbter Stab mit einer Zugspannung beansprucht, so treten Spannungsspitzen σmax im Kerbgrund auf.
F
F
D
σmax
σmax
Die Nennspannung σm ist die mittlere auf
den Restquerschnitt bezogene Kraft F.
d
σm =
b
wobei
F
d⋅b
d = Probenbreite an der Kerbe
b = Probendicke
Formziffer K
2,6
r
2,4
D
Die Spannungserhöhung an
der Kerbwurzel gegenüber
der
Nennspannung
kann
durch die Formziffer K ausgedrückt werden:
d
2,2
2,0
d/D
≤ 0,4
0,6
1,8
K=
0,8
mit
0,9
1,6
σmax = Spannung am Kerbgrund
1,4
1,2
1,0
σmax
σm
0
0,1
0,2
0,3
r/d
0,4
0,5
0,6
0,7
Sie hängt von der Form und
Größe der Probe und der
Kerbe sowie von der Bean0,8 spruchungsart ab.
Bei zähen Werkstoffen werden aufgrund plastischer Verformungen die Spannungsspitzen am Kerbgrund abgebaut. Sie reduzieren daher die Nennfestigkeit der
Werkstoffe nicht. Bei spröden Werkstoffen führen die Spannungsspitzen jedoch
zum vorzeitigen Bruch der Probe.
Je nach Anfälligkeit eines Werkstoffes gegenüber Kerben unterscheidet man zwischen kerbempfindlichen und kerbunempfindlichen Werkstoffen. Die Kerbanfälligkeit eines Werkstoffes kann, ebenso wie die plastische Verformung, von der Temperatur abhängig sein. Ein Maß hierfür ist die Kerbschlagzähigkeit αk (siehe
A.5.1.10).
- 105 -
C.5.4
Zäher Bruch
Kennzeichen des zähen Bruches ist die Einschnürung. Je zäher der Werkstoff, um
so deutlicher die Einschnürung. In Vielkristallen entwickelt sich der Bruch in 3 Stadien:
(a)
(b)
a)
Bildung von größeren Poren an der Stelle
der größten Einschnürung.
b)
Zusammenschluss einzelner Poren in der
Probenmitte. Bildung von Mikrorissen.
c)
Zusammenschluss der Mikrorisse und Fortpflanzung des Risses bis zur Probenoberfläche in Richtung der Hauptspannung.
Bei weniger duktilen Werkstoffen oder bei Druckbeanspruchung kann auch ein
Scherbruch unter einem Winkel von 45° gegenüber der äußeren Belastung auftreten.
Ursachen der Porenbildung
a) Hohe Versetzungsdichte nach plastischer Verformung in der Nähe von
Fremdeinflüssen, z. B. Schlacken, Oxide, etc., verursachen örtliche Spannungskonzentrationen bei geringerer Verformbarkeit. Viele Fremdeinschlüsse fördern daher die Poren- bzw. Rissbildung und reduzieren die Zähigkeit
des Werkstoffes.
b) Porenbildung an den Korngrenzen
σ
Schubspannung
τ
Ablösungen an den
Korngrenzen führen zu
Porenbildung
Korngrenze
C.5.5
Spröder Bruch – Bruchmechanik
C.5.5.1
Einführung
Die Bruchmechanik geht von der Vorstellung aus, dass die Zugfestigkeit eines
Werkstoffes vor allem von Fehlstellen, Poren, Rissen oder Kerben beeinflusst wird.
An den Wurzeln dieser Fehlstellen treten hohe Spannungsspitzen auf, die bei fehlender plastischer Verformbarkeit den frühzeitigen, verformungslosen Bruch des
Werkstoffes zur Folge haben
Die Bruchmechanik erlaubt es dem entwerfenden Ingenieur abzuschätzen, mit
welchen Fehlern ein Werkstoff bzw. eine Konstruktion behaftet sein darf, ohne
dass ein Sprödbruch eintritt.
- 106 -
C.5.5.2
Grundbeziehungen nach Griffith
Gegeben sei eine unendliche Scheibe der Dicke d = 1, die an den Rändern durch
eine gleichmäßig verteilte Zugspannng σ beansprucht wird.
σ
2.c
unendliche Scheibe
Dicke: d = 1
σ
Durch Einfügen eines Risses der Länge 2.c ändert sich die elastische Verformungsenergie um einen Betrag ∆WE:
∆W E=
πc 2 σ 2
(ebener Spannungszustand)
E
(C.1)
Zur Bildung der beiden Rissflächen ist die Oberflächenenergie Ws erforderlich:
Ws = 2.2.c.γ = 4c.γ
wobei
(C.2)
E = Elastizitätsmodul
γ = spez. Oberflächenenergie
Wächst der Riss um einen Betrag "dc", wird elastische Verformungsenergie freigesetzt:
d( ∆ W E ) 2 ⋅ π ⋅ c ⋅ σ 2
=
dc
E
(C.3)
Die dazu erforderliche Oberflächenenergie ist
dW S
= 4⋅γ
dc
(C.4)
Ein Rissfortschritt tritt dann ein, wenn
d( ∆ W E ) dW s
≥
dc
dc
(C.5)
d. h. wenn durch den Rissfortschritt mehr oder genau soviel Energie freigesetzt
wird, als zur Bildung der neuen Oberflächen erforderlich ist. Für die Bedingung
nach Gl. 5, ist σ → σc = σcrit. und
σ crit. =
2 ⋅ γ ⋅E
π⋅c
(C.6)
- 107 C.5.5.3
Erweiterte Form nach Irwin
Bei der Rissfortpflanzung wird auch Energie durch plastische Verformungen im
Bereich der Risswurzel aufgebraucht:
plastische Zone an der
Oberfläche einer Probe
plastische Zone im
Probeninneren
Zur Erfassung des plastischen Verformungsanteils erweiterte daher Irwin die Griffith-Beziehung zu:
σc =
2 E ⋅ (γ + W p )
π⋅c
Wp = "plastic work" = Energieanteil der plastischen Verformung.
wobei
Mit
2(γ + Wp) = Gc
ergibt sich
σc =
E ⋅ Gc
π⋅c
(C.7)
Gc = "kritische Risserweiterungskraft"
wobei
Durch Zusammenfassung von E und Gc erhält man:
2
K Ic = G c ⋅ E
K Ic
und
σc =
oder
K Ic = σ c ⋅ π ⋅ c
(C.8)
π⋅c
(C.9)
KIc = Bruchzähigkeit (Dimension N/mm3/2)
KIc ist eine Materialkonstante, die aber von der Probendicke abhängig sein kann.
Beschränkungen
(1)
Die Gln. 1 bis 9 gelten für einen Riss in einer unendlichen Scheibe. Bei anderen Körperformen und Rissanordnungen muss Gl. 9 mit einem Faktor F
multipliziert werden:
K Ic = σ c ⋅ π ⋅ c ⋅ F
(2)
(C.10)
Wegen der unterschiedlichen Größe der plastischen Zone im Probeninnern
und an der Probenoberfläche ist bei kleinen Probendicken die Bruchzähigkeit KIc auch von der Probendicke d abhängig. Zur experimentellen Bestimmung von KIc für metallische Werkstoffe muss daher die Bedingung erfüllt
sein, dass
K
d ≥ 2,5 ⋅  Ic
 βS
wobei



2
d
= Probendicke
KIc
= Bruchzähigkeit
βs
= Streckgrenze
(C.11)
- 108 -
Formwerte bei verschiedenen Probenformen und Rissanordnungen
K Ic = σ c ⋅ π ⋅ c ⋅ F1
1
π⋅c
cos
2⋅b
F1 =
0≤
c
≤ 0,7
b
F1
1,8
σ
1,7
1,6
Dicke d
1,5
2c
1,4
σ
1,3
2b
1,2
1,1
1,0
0,9
0
0,1
0,2
0,3
0,4
0,5
0,6
0,7
0,8
c/b
K Ic = σ c ⋅ π ⋅ c ⋅ F2
F2 =
0≤
2
3
4

c
 c 
 c 
 c  
⋅ 1,99 − 0,41 + 18,7  − 38,48  + 53,85  
2b
 2b 
 2b 
 2b  
π 
1
c
≤ 0,6
2b
F2
σ
6
5
Dicke d
4
c
3
σ
2
2b
1
0
0
0,1
0,2
0,3
0,4
0,5
0,6
0,7
c/2b
c/b
F1
,0000
,0200
,0400
,0600
,0800
,1000
,1200
,1400
,1600
,1800
,2000
,2200
,2400
,2600
,2800
,3000
,3200
,3400
,3600
,3800
,4000
,4200
,4400
,4600
,4800
,5000
,5200
,5400
,5600
,5800
,6000
,6200
,6400
,6600
,6800
,7000
,7200
,7400
,7600
,7800
,8000
1,0000
1,0002
1,0010
1,0022
1,0040
1,0062
1,0090
1,0123
1,0161
1,0205
1,0254
1,0309
1,0371
1,0438
1,0513
1,0594
1,0685
1,0779
1,0883
1,0996
1,1118
1,1250
1,1392
1,1546
1,1712
1,1892
1,2086
1,2297
1,2525
1,2773
1,3043
1,3338
1,3661
1,4016
1,4407
1,4841
1,5325
1,5868
1,6482
1,7182
1,7989
c/2b
F2
,0000
,0200
,0400
,0600
,0800
,1000
,1200
,1400
,1600
,1800
,2000
,2200
,2400
,2600
,2800
,3000
,3200
,3400
,3600
,3800
,4000
,4200
,4400
,4600
,4800
,5000
,5200
,5400
,5600
,5800
,6000
,6200
,6400
,6600
,6800
,7000
1,1222
1,1227
1,1291
1,1425
1,1519
1,1864
1,2157
1,2492
1,2868
1,3282
1,3734
1,4225
1,4756
1,5331
1,5953
1,6628
1,7363
1,8164
1,9042
2,0005
2,1066
2,2236
2,3529
2,4959
2,6543
2,8298
3,0241
3,2391
3,4770
3,7400
4,0302
4,3501
4,7022
5,0891
5,5136
5,9786
- 109 -
K Ic = σ c ⋅ π ⋅ c ⋅ F3
0≤
F 3=
πc
πc
2b 1
⋅
⋅ tan
+ 0,1⋅ sin
c
2b
b
π
c
≤ 0,7
b
F3
σ
1,6
1,5
1,4
c
c
1,3
σ
1,2
2b
1,1
1,0
0
0,1
0,2
0,3
K Ic = σ c ⋅ c
0,4
0,5
0,6
0,7
0,8 c/b
π
⋅ F4
4
D
F4 = 1,72 ⋅ − 1,27
d
d
0,5 ≤ ≤ 0,8
D
F4
3,0
σ
2,0
D
s
30° - 60°
d
1,0
c
σ
0
1,0
1,25
1,5
1,75
2,0
2,25
D/d
c/b
F3
,0200
,0400
,0600
,0800
,1000
,1200
,1400
,1600
,1800
,2000
,2200
,2400
,2600
,2800
,3000
,3200
,3400
,3600
,3800
,4000
,4200
,4400
,4600
,4800
,5000
,5200
,5400
,5600
,5800
,6000
,6200
,6400
,6600
,6800
,7000
,7200
,7400
,7600
,7800
,8000
1,0955
1,0958
1,0963
1,0969
1,0977
1,0988
1,1000
1,1015
1,1032
1,1051
1,1074
1,1099
1,1127
1,1158
1,1193
1,1232
1,1276
1,1324
1,1377
1,1435
1,1500
1,1572
1,1651
1,1738
1,1835
1,1941
1,2059
1,2190
1,2334
1,2495
1,2674
1,2874
1,3098
1,3349
1,3633
1,3954
1,4320
1,4741
1,5228
1,5798
D/d
F4
1,0000
1,0500
1,1000
1,1500
1,2000
1,2500
1,3000
1,3500
1,4000
1,4500
1,5000
1,5500
1,6000
1,6500
1,7000
1,7500
1,8000
1,8500
1,9000
1,9500
2,0000
2,0500
2,1000
2,1500
2,2000
2,2500
,4500
,5360
,6220
,7080
,7940
,8800
,9660
1,0520
1,1380
1,2240
1,3100
1,3960
1,4820
1,5680
1,6540
1,7400
1,8260
1,9120
1,9980
2,0840
2,1700
2,2560
2,3420
2,4280
2,5140
2,6000
- 110 -
C.5.5.4
Einflüsse auf die Bruchzähigkeit KIc
Die Bruchzähigkeit eines Werkstoffes hängt ab von seiner
-
Zusammensetzung und Mikrostruktur
-
Wärmebehandlung
-
Verformungszustand
-
Temperatur
und kann in weiten Grenzen streuen. Die Bruchzähigkeit muss daher im Bedarfsfall experimentell bestimmt werden.
Typische Beispiele:
Werkstoff
S235JRG1
E335
Al Cu Mg
Al Zn Mg Cu 1,5
Ti 6Al 4V
Streckgrenze
Zugfestigkeit
[N/mm2]
ca. 240
ca. 340
450
500
900
[N/mm2]
ca. 370
ca. 600
500
580
1000
800
βS
4000
600
3000
KIc
2000
400
1000
0
-150
4000 - 5500
3000 - 4500
900
950
2750
β S [N/mm²]
3/2
KIc [N/mm ]
5000
KIc
[N/mm3/2]
-100
-50
0
+50
Temperatur [°C]
200
+100
Beispiel für den
Temperatureinfluss
auf die Eigenschaften
eines Druckbehälterstahles
- 111 -
C.5.6
Verhalten bei wiederholter Belastung – Ermüdung
C.5.6.1
Definitionen
Beanspruchungsfälle bei Dauerschwingversuchen
reine
Druckschwellbeanspruchung
Zug
++σ
σ
Druckwechsel
reine
Wechselbeanspruchung
reine
Zugschwellbeanspruchung
Zugwechsel
Zeit
--σσ
Druck
Bezeichnung der Spannungen
σ
σo = Oberspannung
σu = Unterspannung
σa
σo + σ u
2
spannung
σm =
σm
σo
σu
σo − σ u
2
nungsamplitude
σa =
t
= Mittel-
= Span-
Zeitschwingfestigkeit:
Größte Oberspannung bzw. Spannungsamplitude, die
der Werkstoff für eine bestimmte Anzahl von Lastwechseln ertragen kann.
Betriebsfestigkeit, βBe:
Lebensdauer eines Werkstoffes, der durch eine in
gesetzmäßiger oder zufälliger Folge veränderliche
Schwingbreite beansprucht wird.
Wechselfestigkeit, βWe:
Größte Spannungsamplitude, die der Werkstoff unendlich oft ertragen kann, wenn σm = 0.
Dauerschwingfestigkeit βD: Größte Oberspannung bzw. Spannungsamplitude, die
der Werkstoff unendlich oft ertragen kann.
C.5.6.2
Wichtige Einflussparameter
Beanspruchung:
Die Anzahl der Lastspiele zum Bruch N nimmt ab mit:
- steigender Mittelspannung σm
- steigender Spannungsamplitude σa
Aggressive Medien, welche eine Korrosion des beanspruchten
Werkstoffes fördern, reduzieren die Anzahl der Lastspiele bis
zum Bruch.
- 112 -
Werkstoffeigenschaften:
Eine Anhebung der Streckgrenze von Metallen, z. B. durch Kaltverformung, führt
zu keiner wesentlichen Erhöhung der Dauerfestigkeit.
Die Dauerfestigkeit zäher Werkstoffe wird durch Kerben wesentlich herabgesetzt.
Bei spröden Werkstoffen wirken sich Kerben auf die Dauerfestigkeit dagegen wenig aus.
Spröde und rauhe Oberflächenschichten verringern die Dauerfestigkeit eines
Werkstoffes. Glatte, duktile Überzüge können die Dauerfestigkeit erhöhen.
C.5.6.3
Darstellung des Ermüdungsverhaltens von Werkstoffen
Wöhler-Linien:
Zusammenhang zwischen Anzahl der Lastspiele bis zum
Bruch, N und σa bzw. σO, falls σm oder σu konstant sind.
Beispiel von Wöhler-Linien eines S235JRG1 (USt 37) siehe A.5.1.8.
Werkstoffe mit definierter Dauerfestigkeit
Werkstoffe ohne definierte Dauerfestigkeit
σa
σa
βstat
βD
σm = const.
σm = const.
log n
Smith-Diagramm:
log n
Darstellung der Kombinationen von σm, σa, σo, σu, die für einen Werkstoff nach einer bestimmten Anzahl von Lastspielen
N einen Ermüdungsbruch verursachen:
σ
βZ
Grenzlinie βBeo
βS
βBeo1
σa1
βWe
σm1
σm1
-βWe
N = konstant
σa2
σm2
σm2
βS
βZ
Grenzlinie βBeu
σm
- 113 -
 β − β We
βBeo = β We + σ m ⋅  Z
βZ


β
= β We + σ m ⋅ 1 − We
βZ




für βWe < βBeo < βS



βBeo = σm + σa; σa = βBeo - σm
 σ 
σa = β We ⋅  1 − m 
βZ 

σ a = β We
oder
Goodman - Beziehung
  σ 2 


⋅ 1 −  m  
  β Z  
Gerber - Beziehung
Beispiel für einen S235JRG1 (USt37) und N → ∞:
σ  N

σ a = 120 ⋅ 1 − m 
2
 370  mm
(Goodman)
N
für
βBeo < β S = 220
oder
  σ  2  N
σ a = 120 ⋅ 1 −  m  
2
  370   mm
mm 2
(Gerber)
σ [N/mm²]
400
300
für N → ∞
βS = 220
200
Gerber-Beziehung
Goodman-Beziehung
βWe = 120
100
0
100
200
300
400
σm
-100
Beachte:
Die Ermüdungsfestigkeit von Werkstoffen ist meist großen Streuungen unterworfen. Daher werden häufig Wöhler-Linien für bestimmte
Versagenswahrscheinlichkeiten angegeben.
- 114 Spannungsamplitude [N/mm²]
390
380
370
360
Versagenswahrscheinlichkeit
350
340
330
320
95 %-Quantile
310
50 % (Mittelwert)
300
5 %-Quantile
290
280
106
105
C.5.6.4
107
Bruchlastspielzahl N
Abschätzung der Zeitfestigkeit von Baukonstruktionen
Während eines Dauerschwingversuches im Labor werden Spannungsamplitude
und Mittelspannung meist konstant gehalten. In einer Baukonstruktion dagegen
können Mittelspannung und Spannungsamplitude in weiten Grenzen schwanken.
Das zu erwartende Ermüdungsverhalten kann aus einfachen Laborversuchen mit
Hilfe der Palmgren-Miner-Regel abgeschätzt werden. Danach tritt der Bruch ein,
wenn
∑
wobei
ni
=1
Ni
ni =
Anzahl der Lastspiele mit σmi und σai, die auf das Bauwerk einwirken
Ni =
Anzahl der Lastspiele, die bei σmi und σai = const. zum Bruch
führen.
Beispiel:
Last
σa2
N1 =
Anzahl der Lastspiele, die
bei σm1 und σa1 = const.
den Bruch zur Folge haben
N2 =
Anzahl der Lastspiele, die
bei σm2 und σa2 = const.
den Bruch zur Folge haben
σm2
σa1
σm1
n1
n2
Zeit
Wenn n1 < N1 und n2 < N2, so tritt bei der dargestellten kombinierten Beanspruchung der Bruch ein, wenn
n1 n 2
+
=1
N1 N2
- 115 -
C.5.6.5
Bruchvorgang bei Dauerschwingbeanspruchung
Bei einer Dauerschwingbeanspruchung metallischer Werkstoffe sind die aufgebrachten Spannungen meist wesentlich kleiner als die Streckgrenze des Werkstoffes. Der Ermüdungsbruch ist daher verformungsarm und tritt ohne Vorankündigung
ein.
Ein Ermüdungsbruch nimmt seinen Ausgang an einer
örtlichen Fehlstelle c. Ausgehend von dieser Fehl3 stelle stellen sich langsames Risswachstum und damit eine fortlaufende Querschnittsverminderung ein
d. Ist diese so groß, dass der Restquerschnitt die
aufgebrachte Belastung nicht mehr ertragen kann,
kommt es zum plötzlichen Bruch e.
2
1
C.5.7
Bruchverhalten bei mehrachsiger Beanspruchung
In Bauwerken sind Werkstoffe häufig einer mehrachsigen Beanspruchung unterworfen. Festigkeit und Verformungsverhalten von Werkstoffen bei mehrachsiger
Beanspruchung können mit Hilfe von Bruch- bzw. Fließkriterien aus dem bekannten Verhalten bei einachsiger Beanspruchung abgeschätzt werden.
M
C.5.7.1
Mohr'scher Spannungskreis
σy
τyx
τxy
An einem Element greifen die Spannungen σx, σy, τxy und τyx an, wobei τxy = τyx.
σx
σx
τxy
τyx
σy
σ1
σx
φ
σ2
τxy
τyx
tg2φ =
σy
2 ⋅ τ xy
σx − σy
σ1;σ 2 =
σx + σy
2
 σx − σy
± 
2

 σx − σy
σ − σ2
τ max = 1
= 
2
2

2

 + τ xy 2


2

 + τ xy 2


In den Schnittflächen φ bzw. φ + 90°
durch das Element wirken nur Normalspannungen σ1 bzw. σ2.
- 116 Die Spannungen σ1 und σ2 sind Hauptspannungen. Sie stellen die maximalen bzw.
die minimalen Normalspannungen dar, die in einer Schnittfläche des Elementes
wirken.
Der Zusammenhang zwischen σ1, σ2, τmax, σx, σy, τxy und φ kann durch den sog.
Mohr'schen Spannungskreis grafisch dargestellt werden (Ableitung siehe Technische Mechanik II).
τ
σy
+τxy
σx
2φ
τmax = (σ1 - σ2)/2
σ
-τxy
σ2
(σ1 + σ2)/2
σ1
C.5.7.2
Mohr'sche Spannungskreise für verschiedene Spannungszustände
Bei einem räumlichen Spannungszustand können für jede Hauptebene Mohr'sche
Spannungskreise angegeben werden. Definitionsgemäß sind die Hauptspannungen
σ1 > σ2 > σ3
Einachsiger Druck und einachsiger Zug:
Druck
Zug
τ
σ3
σ1
σ3
σ1
τmax
−σ
+σ
σ3
σ1
σ1 = σ2 = 0
τmax = σ1/2 bzw. σ3/2
2φ = 90°; φ = 45°
σ2 = σ3 = 0
Reiner Schub oder Torsion
σ1 = τmax
τ
τmax
−σ
für φ = 45°:
σ2
σ2 = -τmax
σ1
+σ
τ
für φ = 0°:
τ
- 117 Zweiachsiger Druck und zweiachsiger Zug
τ
σ1
σ2
−σ
+σ
σ3
σ3
σ2
σ2
σ1
σ2
σ2
σ2
σ3
σ1
Zweiachsiger Druck - Zug
τ
σ1
−σ
+σ
σ3
σ3
σ1
σ3
σ1
σ2 = 0
Dreiachsige Spannungszustände
τ
σ1
−σ
+σ
σ2
σ3
σ2
σ3
σ3
σ2
σ1
σ1
C.5.7.3
Bruch- und Fließbedingungen
Bruchbedingung: Kriterium für das Eintreten des Bruches (Erreichen der Festigkeit)
Fließbedingung: Kriterium für das Eintreten des Fließens
C.5.7.3.1
Hypothese der maximalen Normalspannung
Annahme, dass Fließen dann eintritt, sobald die Spannung in einer der Hauptrichtungen einen Grenzwert erreicht:
σ1 = β S
- 118 C.5.7.3.2
Hypothese der maximalen Dehnungen
Annahme, dass Fließen dann eintritt, sobald die Dehnung in einer Hauptrichtung
einen Grenzwert erreicht. Bei linear-elastischem Verhalten ist die Dehnung ε1 in
Richtung der Hauptspannung σ1:
ε1 =
wobei
1
⋅ [σ1 − ν ⋅ (σ 2 + σ 3 )]
E
E = Elastizitätsmodul
ν = Poisson'sche Zahl
Bei einachsiger Belastung tritt Fließen ein, wenn
ε1 =
βS
E
Das Fließkriterium bei mehrachsiger Beanspruchung ist daher
βS
1
= ⋅ [σ1 − ν ⋅ (σ 2 + σ 3 )]
E
E
σ1 = βS + ν.(σ2 + σ3)
C.5.7.3.3
Hypothese der maximalen Schubspannung (Treska-Bedingung)
Annahme, dass Fließen dann eintritt, wenn in einer Ebene die Schubspannung
einen Grenzwert erreicht:
τmax =
wobei
σ1 − σ 3
2
σ1 ≥ σ2 ≥ σ3
Bestimmung von τmax aus dem Verhalten bei einachsiger Beanspruchung für σ1 =
βS; σ2 = σ3 = 0.
τmax =
σ1 β S
=
2
2
Die Fließbedingung bei mehrachsiger Beanspruchung ist daher:
τmax =
β S σ1 − σ 3
=
2
2
σ3
Fließen tritt ein, wenn
σ2
σ1 - σ3 = β S
σ1 = β S + σ3
Beachte:
σ1
Nach der Treska-Bedingung hat die
mittlere Hauptspannung σ2 keinen Einfluss auf die erreichbare Maximalspannung
- 119 -
C.5.7.3.4
Gestaltänderungsarbeitshypothese (Huber - v. Mises-Bedingung)
Annahme, dass Fließen eintritt, sobald die spezifische Gestaltänderungsarbeit
einen Grenzwert erreicht. Die spezifische Gestaltänderungsarbeit Wd ist ein Maß
für die Verzerrung der Form eines Körpers bei mehrachsiger Beanspruchung. Sie
ist die Differenz zwischen der gesamten Verformungsenergie und der Verformungsenergie bei hydrostatischer Beanspruchung mit der Spannung
σ1 + σ 2 + σ 3
3
'
σ1 =
σ3
σ‘1
σ2
σ3 - σ’1
σ2 - σ’1
σ‘1
≡
+
σ1
σ‘1
σ1 - σ’1
Wd =
1+ ν
⋅ [(σ1 − σ 2 ) 2 + (σ 2 − σ 3 ) 2 + (σ 3 − σ1 ) 2 ]
6 ⋅E
Bei einachsiger Zugbelastung tritt Fließen ein, wenn
σ1 = βS; σ2 = σ3 = 0.
Dann ist
Wd =
1+ ν
2
⋅ βS
3 ⋅E
Die Fließbedingung bei mehrachsiger Beanspruchung ist daher
1+ ν
1+ ν
2
⋅ βS =
⋅ [( σ1 − σ 2 ) 2 + (σ 2 − σ 3 ) 2 + (σ1 − σ 3 )2 ]
3 ⋅E
6 ⋅E
oder
(σ1 - σ2)2 + (σ2 - σ3)2 + (σ1 - σ3)2 = 2.βS2
Mit
σ V = (σ1 − σ2 )2 + (σ 2 − σ3 )2 + (σ1 − σ3 )2
gilt als Fließbedingung:
σ V = 2 ⋅ βS
Dieselbe Beziehung kann auch durch eine andere, einfache Überlegung veranschaulicht werden:
Fließvorgänge werden oft durch Gleiten bestimmter Ebenen eingeleitet. Der Beginn des Fließens muss dann von der Größe τmax abhängen.
Bei hydrostatischer Beanspruchung ist:
σ1 = σ2 = σ3
und
τmax = 0
- 120 -
Es wird nun angenommen, das Fließen trete um so eher ein, je mehr der tatsächliche Spannungszustand vom hydrostatischen Spannungszustand σ1 = σ2 = σ3 abweicht.
σ2
r
βs
r
βs
σ1
βs
σ3
Fließen tritt also ein, sobald der Spannungszustand auf einer Oberfläche liegt, die
einen bestimmten Abstand r von der Raumdiagonalen σ1 = σ2 = σ3 hat. Kann diese
Oberfläche durch einen Zylinder dargestellt werden, folgt sie der Beziehung
(σ1 - σ2)2 + (σ2 - σ3)2 + (σ1 - σ3)2 = 3.r2
Ermittlung von r aus dem Verhalten bei einachsiger Beanspruchung:
Für
σ1 = βS; σ2 = σ3= 0
ist
βS2 + 0 + βS2 = 3⋅r2 ⇒ 2.βS2 = 3⋅r2
Die Fließbedingung bei mehrachsiger Beanspruchung lautet dann:
1
2
C.5.7.3.5
⋅ ( σ1 − σ 2 ) 2 + ( σ 2 − σ 3 ) 2 + ( σ1 − σ 3 ) 2 = β s
Mohr'sche Bruchhypothese
Annahme, dass Fließen eintritt, wenn in einer Ebene die maximale Schubspannung einen Wert überschreitet, der von der Normalspannung abhängt, die senkrecht zu dieser Ebene wirkt:
τmax = f(σ)
τ
τ0
-σ
(Druck)
+σ
(Zug)
Der Bruch tritt daher ein, sobald der für eine bestimmte Beanspruchung ungünstigste Spannungszustand die Einhüllende berührt. Ist diese Einhüllende eine Gerade, dann gilt
τmax = τ0 + k.σ
(Mohr-Coulomb)
- 121 -
C.5.7.3.6
Anwendung auf das Verhalten metallischer Werkstoffe
Metallische Werkstoffe folgen meist der v. Mises-Bedingung. Die Treska-Bedingung liefert gute Näherungswerte:
Zweiachsige Spannungszustände:
+σ2
βS
Treska
v. Mises
σ12 - σ1σ2 + σ22 = βS2
-σ1
+σ1
-σ2
Dreiachsige Spannungszustände:
σ1
3βS
2βS
σ1 = βS + σ2;3
Beanspruchung:
σ1
σ2 = σ3
βS
σ2 = σ3
Diese Beziehung gilt sowohl für die v. Mises- als auch für die Treska-Bedingung.
- 122 -
C.6
KORROSION UND KORROSIONSSCHUTZ VON
METALLEN
C.6.1
Allgemeines
Korrosion ist die Zerstörung eines Werkstoffes durch chemische und elektrochemische Reaktionen mit seiner Umgebung oder durch physikalischen Angriff. Alle
Werkstoffe des Bauwesens, Metalle, Beton, Ziegel, Kunststoffe, Gläser oder Holz
können durch Korrosion zerstört werden. Schon aus Wirtschaftlichkeitsgründen ist
es daher unabdingbar, bereits beim Entwurf eines Bauwerkes Fragen der Korrosion und des Korrosionsschutzes zu berücksichtigen.
C.6.2
Elektrochemische Vorgänge
C.6.2.1
Warum korrodieren Metalle?
Die meisten Metalle kommen in der Natur nicht in reiner Form vor, sondern als
Hydroxide oder Oxide. Durch Austreiben des Wassers bzw. des Sauerstoffes während der Verhüttung werden sie auf ein höheres Energieniveau gebracht:
Beispiel Eisen:
Fe2O3 + 3.C + Energie → 2.Fe + 3.CO
(Roteisenerz)
Eisen hat daher das Bestreben, diese Energie wieder abzugeben. Dies ist die treibende Kraft für den Korrosionsvorgang.
Für eine Energiebetrachtung gilt:
4.Fe + 3.O2 → 2.Fe2O3 + 1117,5 kJ/mol
Steht ein Metall mit einer leitenden Flüssigkeit (Elektrolyt) in Verbindung, so hat es
die Tendenz, sich in Ionen aufzulösen. Dieser Vorgang wird als Oxidation bezeichnet. Allgemein gilt für ein n-wertiges Metall M:
M → Mn+ + n.eam Beispiel des Eisens: Fe → Fe2+ + 2.eDie frei werdenden Elektronen sammeln sich an der Oberfläche des Metalls. Je
größer die Neigung des Metalls zur Bildung von Ionen, desto größer ist die Ladung
an der Oberfläche. Befinden sich zwei verschiedene Metalle mit verschiedener
Neigung zur Oxidation in einer leitenden Flüssigkeit, so besteht zwischen beiden
Metallen ein Potentialunterschied. Verbindet man beide Metalle oder Elektroden
leitend miteinander, so entsteht ein Elektronenfluss in Richtung des Potentialgefälles. Die Elektrode, von welcher der Stromfluss ausgeht, wird als Anode bezeichnet, die andere als Kathode.
Die Anreicherung von Elektronen an der Kathode kann zu verschiedenen Reaktionen führen, die in den folgenden Abschnitten beschrieben sind. An der Anode gehen Metallionen in Lösung. Das Metall korrodiert. Durch Reaktionen der Metallionen in der Lösung entstehen Korrosionsprodukte.
Diese Vorgänge hängen also von der Bildung eines sog. Lokalelementes ab, das
entsteht, wenn beim Vorhandensein eines Elektrolyten zwei unterschiedliche Metalle leitfähig miteinander verbunden sind. Welches der beiden Metalle die größere
Neigung zur Auflösung in Ionen hat und damit zur Anode wird, hängt von der Stellung der Metalle in der elektrolytischen Spannungsreihe ab. Die elektrolytische
Spannungsreihe gibt das Potential einer Metallelektrode gegenüber einer Wasserstoffelektrode an.
- 123 Elektrodenpotential in Volt bei 25°C in molarer Lösung der Metallionen
Li+
K+
Na+
Mg2+
Al3+
Zn2+
Cr3+
Fe2+
Ni2+
Pb2+
H+
Cu2+
Ag+
Pt2+
Au3+
disch
- 3,05
- 2,93
- 2,71
- 2,36
- 1,67
- 0,76
- 0,74
- 0,44
- 0,25
- 0,13
± 0,000
+ 0,34
+ 0,80
+ 1,20
+ 1,50
anodisch
katho-
Je tiefer das betrachtete Metall in der elektrolytischen Spannungsreihe steht, um
so edler ist es, bzw. um so geringer ist seine Tendenz, sich in Ionen aufzulösen.
C.6.2.2
Korrosionsformen
Je nach Art der Kathodenreaktion unterscheidet man zwischen Wasserstoff- und
Sauerstoffkorrosion.
C.6.2.2.1
Wasserstoffkorrosion
Bei diesem Vorgang nimmt der Wasserstoff die freien Elektronen auf:
H+
M+
H2
Anode
Kathode
e-
Anodenreaktion:
M → Mn+ + n.eKathodenreaktion:
2.e- + 2.H+ → H2
Dieser Korrosionsvorgang führt zu einer gleichmäßigen, u.U. restlosen Auflösung
des unedlen Metalls bzw. zu einer Sättigung des Elektrolyten mit M+-Ionen.
C.6.2.2.2
Sauerstoffkorrosion
Bei diesem Vorgang nimmt der Sauerstoff die freien Elektronen auf.
Anodenreaktion:
M → Mn+ + n.e-
Kathodenreaktion:
O2 + 2.H2O + 4.e- → 4.(OH)-
(basisch)
oder
O2 + 4.H+ + 4.e- → 2.H2O
(sauer)
- 124 Beispiel: Wassertropfenkorrosion des Eisens
O2
OH-
Rostring
WASSERTROPFEN
Fe2+
Kathode
e-
Anode
a) Sauerstoff O2 dringt aus der Luft in den Wassertropfen. In der Nähe
der Oberfläche des Wassertropfens ist die O2-Konzentration hoch, es
entsteht weißer Rost.
2.Fe + O2 + 2.H2O → 2.Fe(OH)2
b) Da die Rosthaut edler als die noch blanke Metalloberfläche ist, liegt
ein Lokalelement vor, dessen Kathode die angerostete Oberfläche,
dessen Anode das noch blanke Metall ist.
c) An der Anode gehen Fe2+-Ionen in Lösung, während die freien Elektronen zur Rosthaut fließen:
Fe → Fe2+ + 2.ed) Kathodenreaktion:
2.H2O + O2 + 4.e- → 4.(OH)e) Bildung eines Rostringes:
Fe2+ + 2.(OH)- → Fe(OH)2
C.6.2.3
Geschwindigkeit des Korrosionsablaufs
Die Geschwindigkeit des Korrosionsablaufes hängt nicht nur ab von der Geschwindigkeit der Metallauflösung an der Anode, sondern auch von der Geschwindigkeit der Kathodenreaktion:
oder
2.H+ + 2.e- → H2
2.H2O + O2 + 4.e- → 4.(OH)-
Die Geschwindigkeit der Kathodenreaktion ist von der Konzentration an H-Ionen
oder an Sauerstoff im Elektrolyten abhängig. Die H+-Ionen-Konzentration wird
durch den pH-Wert beschrieben, der den negativen Logarithmus der H-IonenKonzentration angibt:
Neutrale Lösung:
pH = 7
Saure Lösung:
pH < 7
Basische Lösung:
pH > 7
In einem sauren Elektrolyten ist die Wasserstoffionenkonzentration hoch, so dass
nur die Wasserstoffkorrosion von Bedeutung ist. Die Reaktion verläuft um so
schneller, je niedriger der pH-Wert ist.
In neutralen oder basischen Lösungen ist die Wasserstoffionenkonzentration gering, so dass Sauerstoffkorrosion überwiegt, wobei die Geschwindigkeit des Korrosionsvorganges von der Konzentration von O2 abhängt.
- 125 -
Je nach pH-Wert des Elektrolyten kann sich an der Metalloberfläche eine Passivschicht ausbilden, die, wenn sie porenfrei und dicht ist, die Auflösung des Metalls
in Ionen und damit Korrosion verhindert. Beim Eisen führt folgende Reaktion zur
Bildung einer Passivschicht:
2Fe2+ + 3H2O → Fe2O3 + 6H+ + 2eIm Pourbaix-Diagramm können die Bedingungen abgegrenzt werden, unter denen
für ein gegebenes Metall in einer wässrigen Lösung Korrosion, Korrosionsbeständigkeit oder Passivierung zu erwarten sind. In diesem Diagramm wird das Elektrodenpotential E in Abhängigkeit vom pH-Wert aufgetragen.
Elektrodenpotential E in Volt
+1,2
+0,8
II
Passivierung
Fe2O3
+0,4
I
Korrosion
(Fe2+)
+/- 0
-0,4
-0,8
III
Korrosionsbeständigkeit
(Fe)
-1,2
-1,6
IV
Korrosion
FeO(OH)
0
2
4
6
8
pH-Wert der Lösung
10
12
14
Vereinfachtes Pourbaix-Diagramm bei 25°C für Eisen in wässriger Lösung
Bereich I:
Aktive Korrosion unter Bildung von Fe2+-Ionen
Bereich II:
Passivierung durch Bildung einer Passivschicht aus Eisenoxid Fe2O3
Bereich III: Korrosionsbeständigkeit (kathodischer Schutz)
Bereich IV: Korrosion unter Bildung von FeO(OH) (bei Raumtemperatur verläuft
dieser Vorgang sehr langsam)
C.6.2.4
Entstehung von Lokalelementen
Lokalelemente sind Voraussetzung zum Auftreten elektrolytischer Korrosion. Sie
können unter folgenden Bedingungen entstehen:
a) Wenn Elemente mit unterschiedlichem Potential in Kontakt stehen (Kontaktkorrosion). Dabei löst sich der an die Kathode angrenzende Bereich der Anode am schnellsten auf, so dass die Ausbildung einer Kerbe möglich ist.
b) Bei Legierungen, die aus Phasen mit unterschiedlichem Potential bestehen
oder bei denen durch Kristallfehler oder Konzentrationsunterschiede der Legierungselemente örtliche Energieunterschiede vorliegen.
c) Als Folge einer unterschiedlichen Sauerstoffkonzentration in verschiedenen
Bereichen einer Metalloberfläche, z. B. Wassertropfenkorrosion (siehe Abschnitt C.6.2.2.2, Spaltkorrosion)
d) Örtliche Zerstörung oder Fehlstellen in einer korrosionsschützenden Deckschicht (Lochfraß).
e) Zerstörung der Passivschicht durch Chloride, Bromide oder Jodide.
- 126 Mit atmosphärischer Korrosion bezeichnet man Korrosionserscheinungen, die bei
Lagerung von Metallen im Freien bei normaler Temperatur auftreten können. Bei
Luftfeuchtigkeiten oberhalb 60 bis 70 % wird ein Elektrolyt gebildet durch
a) eine adsorbierte Wasserschicht ausreichender Dicke,
b) Kondensation von Wasser an Metalloberflächen, die kälter als die Umgebungstemperatur sind (Taubildung). Der Taupunkt kann durch Verunreinigungen der Luft oder der Metalloberfläche erhöht werden.
C.6.2.5
Spannungsrisskorrosion
Dies ist eine inter- oder transkristalline Rissbildung in metallischen Werkstoffen bei
gleichzeitiger Einwirkung einer Zugspannung und eines korrodierenden Mediums.
Die Gefahr dieser Korrosionsart liegt darin, dass ohne deutlich sichtbare Schädigung und Verformung ein Sprödbruch eintreten kann. Spannungsrisskorrosion
setzt voraus, dass
-
der Werkstoff gegen die Beanspruchung empfindlich ist
ein Korrosionsmittel vorliegt
Zugspannungen einwirken.
Korrosionsmittel sind z. B. Nitrate oder Chloride, welche die Passivschicht der
Metalloberfläche örtlich zerstören. Es entstehen ein Lokalelement und örtliche
Korrosion, welche Ausgangspunkt eines sich unter Zugspannungen fortpflanzenden Risses sein kann.
C.6.2.6
Wasserstoffversprödung
Die Wasserstoffversprödung ist die Folge einer kathodischen Reaktion. Bei der
Wasserstoffkorrosion tritt an der Kathode folgende Reaktion auf:
2.H+ + 2.e- → H2
Die Bildung des molekularen Wasserstoffes kann aber durch sog. Katalysatorgifte,
z. B. Sulfide und Cyanide, unterbunden werden. Dann können die sehr kleinen HAtome in das Kristallgitter des Metalls eindringen und sich dort zu H2-Molekülen
verbinden. Dadurch entstehen hohe Gasdrücke und eine Verzerrung des Gittersystems.
Folge:
Steht der Werkstoff unter Zugspannungen, kann ein Sprödbruch ohne
Vorwarnung eintreten.
C.6.3
Korrosionsschutz
C.6.3.1
Korrosionsfördernde Bedingungen
Korrosion tritt vor allen Dingen bei der Erfüllung aller oder mehrerer der im folgenden genannten Bedingungen ein:
-
-
korrosionsanfälliger Werkstoff (hohe Tendenz zu Ionenbildung)
Vorhandensein eines Elektrolyten
korrosionsfördernde Eigenschaften des Elektrolyten:
Niedriger pH-Wert
Ungleicher Sauerstoffgehalt im Elektrolyten
Anwesenheit korrosionsfördernder Substanzen
Bildung eines Lokalelementes in einem Elektrolyten
anodische Polarisierung:
Erhöhte Metallauflösung
kathodische Polarisierung:
Gefahr der Wasserstoffversprödung
Aufgabe des Korrosionsschutzes ist es, diese Bedingungen zu vermeiden oder
ihre Wirkung zu verringern. Grundsätzlich baut der Korrosionsschutz auf einem
oder mehreren der folgenden Verfahren auf:
Verhinderung der Lokalelementbildung z. B. durch Vermeidung des Kontaktes
zwischen ungleichen Metallen; Ausbildung oder Schutz einer Passivschicht;
Behinderung der O2-Zufuhr oder des Eindringens korrodierender Medien.
- 127 -
C.6.3.2
-
Konstruktive Maßnahmen
Vermeidung von Wassersäcken
geneigte und glatte Flächen, die möglichst trocken und staubfrei bleiben
Vermeiden von Schwitzwasserbildung durch Isolierung
Belüften von Spalten
Isolierung zwischen verschiedenen Metallen, die sich sonst berühren
C.6.3.3
Passivierung
Vor allem bei höheren pH-Werten kann sich an der Oberfläche eines Metalles
beim Vorhandensein von Sauerstoff eine Oxidschicht bilden, die das Metall vor
dem Angriff des korrodierenden Mediums schützt, (siehe C.6.2.3). Voraussetzung
hierfür ist ein ausreichend hoher pH-Wert.
Diese Bedingung ist z. B. für einen im Beton eingebetteten Stahl gegeben. Das im
Beton enthaltene Porenwasser ist alkalisch und hat eine pH-Wert von 12,6. Nach
dem Pourbaix-Diagramm (C.6.2.3) sind dann die Bedingungen zur Stahlpassivierung gegeben. Der Korrosionsschutz liegt jedoch nicht mehr vor, wenn der pHWert des Betons abfällt oder die Passivität des Stahles auf andere Weise beeinflusst wird. Hierzu einige Beispiele:
-
Große Fehlstellen im Beton, die sich mit Wasser mit niederem pH-Wert füllen können
-
Karbonatisierung des Betons: Dringt aus der Luft Kohlendioxid in den Beton
ein, so kann es mit Hydratationsprodukten des Zementsteins z. B. wie folgt
reagieren:
Ca(OH)2 + CO2 →CaCO3 + H2O
Dieser Vorgang bewirkt eine wesentliche Reduktion des pH-Wertes des Porenwassers.
-
In der Nähe von Rissen kann der eingebettete Stahl der freien, u.U. sauren
Atmosphäre ausgesetzt sein
-
Unter bestimmten Bedingungen im Beton enthaltene Chloride oder Nitrate
zerstören die Passivschicht
-
Bestimmte Zemente führen zur Entstehung von Sulfiden, welche als Katalysatorgifte die Bildung molekularen Wasserstoffes verhindern.
Die schützende Wirkung des Betons gegenüber eingebettetem Stahl kann wie folgt
gesichert werden:
-
ausreichende Betonüberdeckung
-
Herstellung eines dichten Betons, der das Eindringen von CO2 und anderer
korrodierender Medien klein hält
-
Kontrolle der im Gebrauchszustand zulässigen Rissbreiten
-
Vermeidung von Komponenten im Beton, welche Chloride oder Nitrate enthalten oder welche zur Bildung von Sulfiden führen.
C.6.3.4
C.6.3.4.1
Werkstoffauswahl
Stähle
Die Widerstandsfähigkeit von Stählen gegen Korrosion sinkt mit steigendem Gehalt an Schwefel und zunehmender Kaltverformung. Sie hängt auch von der Art
des Vergütens ab.
Durch Legierungszugaben (Cu; Si; Cr; Ni; Mo) kann der Korrosionswiderstand
erhöht werden. Bei Chrom-Nickel- oder Chrom-Nickel-Molybdänstählen bildet sich
- 128 eine Passivschicht durch das Chrom (Cr-Gehalt > 12 %). Voraussetzung für einen
wirksamen Korrosionsschutz ist eine glatte und entzunderte Oberfläche.
Bezeichnung
Kurzbe-
DIN 17006
zeichnung
Legierungselemente in M.-%
C
Cr
Ni
Verwendung
Mo
βS
βZ
Bruch-
N/mm²
N/mm²
dehnung
%
x8 Cr 17
rostfrei 17
0,10
15,5-17,5
-
-
innen
300
500
x12 CrNi 18/8
rostfrei 18/8
0,12
17-19
8-10
-
innen und aus-
220
600
x5 CrNi 18/9
rostfrei 18/9
0,07
19
9-11
-
sen, normale
200
600
200
600
Atmosphäre
x5 CrNiMo 18/10
rostfrei
0,07
16,5-20,5
10,5-12,5
18/10/2
C.6.3.4.2
2-2,5
außen, Industrieatmosphäre
Aluminium
Mit steigendem Reinheitsgrad nimmt der Korrosionswiderstand von Aluminium zu.
In normaler Atmosphäre bildet sich eine Passivschicht aus Aluminiumoxid, die in
stark sauren oder alkalischen Medien (z. B. Beton) zerstört wird.
C.6.3.5
Inhibitoren
Dies sind Substanzen, die dem Elektrolyt als Flüssigkeit oder Gas zugesetzt werden und somit den Korrosionsvorgang verhindern oder hemmen.
Physikalische Inhibitoren werden an der Oberfläche des Metalls adsorbiert und
schützen sie auf diese Weise.
Chemische Inhibitoren reagieren mit oder verändern die Metalloberfläche, wobei
das Reaktionsprodukt korrosionsschützend ist.
Beispiele im Bauwesen:
-
Beton als Inhibitor
Schutz von Spannstählen im Spannkanal (z. B. VPI-Pulver)
C.6.3.6
Elektrochemische Verfahren
Korrosion und Korrosionsgeschwindigkeit hängen vom elektrischen Potential bei
der Ionenauflösung des Metalles ab. Durch Anlegen einer zusätzlichen elektrischen Spannung können die Potentiale so beeinflusst werden, dass die anodische
Korrosion gering ist. Dies geschieht entweder durch Erhöhung des elektrischen
Potentials, so dass eine Passivierung der Oberfläche möglich ist (Anodenschutz),
oder durch Anlegen eines negativen Potentials, so dass das zu schützende Metall
zur Kathode wird (Kathodenschutz).
Kathodenschutz kann erreicht werden entweder:
-
durch eine elektrisch leitfähige Verbindung des zu schützenden Metalls mit
einem weniger edlen Metall oder
durch Anlegen einer Fremdspannung, die das zu schützende Metall zur Kathode macht.
C.6.3.7
Fremdmetallüberzüge
Darunter versteht man das Überziehen eines Metalls mit einem weniger oder nicht
korrosionsanfälligen Werkstoff. Voraussetzung für die Wirksamkeit von Fremdmetallüberzügen ist, dass sie porenlos und unverletzt sind, falls der Überzug edler als
das zu schützende Metall ist, z. B. Nickel auf Eisen. Ist der Überzug unedler, so
heilt die Überzugsschicht bei Verletzungen aus, z. B. Zink auf Eisen.
C.6.3.8
Anstriche
Die älteste Art des Korrosionsschutzes besteht darin, Metalle mit einem diffusionsdichten, beständigen Überzug zu versehen, der auch zu einer Oberflächenpassivierung führen kann.
20
- 129 Beispiele:
Bleimennige (Pb3O4)
Zinkchromat- und Chlorkautschukanstriche.
Bedingungen für die dauerhafte Wirksamkeit von Anstrichen sind: Diffusionsdichte;
Verformbarkeit auch über lange Dauer; Stabilität bei erhöhten Temperaturen; dauerhafte Haftung mit dem metallischen Untergrund.
C.6.3.9
Kunststoffüberzüge
Kunststoffüberzüge können auf Metalloberflächen im Tauchverfahren aufgebracht
werden. Ähnlich wie Anstriche bilden sie keinen elektrochemischen Schutz. Ihre
Wirksamkeit hängt daher von der völligen Dichtigkeit ab. Sie müssen die für Anstriche genannten Bedingungen erfüllen.
C.7
VERBINDUNGSMITTEL
In vielen Fällen bestehen Baukonstruktionen aus Einzelteilen, die durch Verbindungsmittel zusammengefügt werden müssen (Fügetechnik). Die charakteristischen Eigenschaften der Verbindungsmittel müssen schon beim Entwurf der Konstruktion berücksichtigt werden und können das Tragverhalten des Bauwerks wesentlich beeinflussen.
C.7.1
Verbindungsarten
a) Mechanische Verbindungen:
Nieten, Schrauben, Bolzen, Nägel (siehe Vorlesungen des konstruktiven Ingenieurbaus)
b) Chemisch-physikalische Verbindungen:
Schweißen, Löten, Leimen, Kleben; Erzeugen atomarer oder molekularer
Bindungen zwischen den zu verbindenden Flächen.
Schweißen:
Verbindung zweier Metalloberflächen durch Anschmelzen der Oberflächen oder durch Diffusionsprozesse mit oder ohne Verwendung
eines Zusatzwerkstoffes.
Löten:
Verbindung zweier Metalloberflächen mit Hilfe eines anderen Metalles, dessen Schmelzpunkt niedriger als der Schmelzpunkt der zu
verbindenden Werkstoffe ist. Dadurch entsteht eine mechanische
Verklammerung der Lötflächen bzw. molekulare Bindungen.
Leimen und
Kleben:
Verbindung zweier Oberflächen mit Hilfe einer artfremden Zwischenschicht. Im Normalfall entstehen an den Oberflächen molekulare
Bindungen (Adhäsion).
C.7.2
Chemisch-physikalische Grundlagen
C.7.2.1
Verbindung ohne Verwendung eines Zusatzstoffes
Werden zwei Oberflächen in engen Kontakt gebracht, so haben sie das Bestreben,
sich zu vereinigen und die Gesamtoberfläche zu reduzieren, wenn dadurch die
potentielle Energie des Gesamtsystems reduziert wird. Selbst bei hochpolierten
Oberflächen ist die Kontaktfläche zwischen zwei planen Scheiben aber nur gering,
- 130 so dass die molekularen Anziehungskräfte zwischen den Oberflächen sehr klein
sind.
Eine Vereinigung der Oberflächen im festen Zustand setzt Diffusionsvorgänge an
den Oberflächen voraus, die bei Raumtemperatur meist unendlich langsam ablaufen. Durch hohen Anpressdruck (Pressschweißen) kann die Kontaktfläche erhöht
werden, durch eine Temperaturerhöhung wird der Diffusionsvorgang wesentlich
beschleunigt. Bei einer Erwärmung bis zum Schmelzpunkt (Schmelzschweißen) ist
die Beweglichkeit der Atome optimal, was zu einer schnellen Verbindung beider
Oberflächen führt.
C.7.2.2
Verbindungen bei Verwendung eines Zusatzwerkstoffes mit hohem
Schmelzpunkt
Zwei Werkstücke können dadurch miteinander verbunden werden, dass eine Zwischenschicht aus einem Werkstoff gebildet wird, dessen Schmelzpunkt etwa dem
Schmelzpunkt der zu fügenden Werkstücke entspricht. Durch Anschmelzen der
Oberflächen der Werkstücke entsteht eine hochfeste Verbindung (metallische Bindungen). Voraussetzung ist die Verträglichkeit (Mischbarkeit) von Grundmetall und
Zusatzstoff.
C.7.2.3
Verbindungen bei Verwendung eines Zusatzwerkstoffes mit niederem Schmelzpunkt
C.7.2.3.1
Löten
Zwei metallische Werkstücke können dadurch miteinander verbunden werden,
dass eine Zwischenschicht gebildet wird, deren Schmelzpunkt niedriger als der
Schmelzpunkt der zu verbindenden Werkstoffe ist. Zwischen den Oberflächen und
dem Zusatzwerkstoff entwickeln sich molekulare und in begrenztem Umfang metallische Bindungen.
Weichlöten:
T ≤ 450°C
Hartlöten:
T > 450°C
C.7.2.3.2
Leimen und Kleben
Hier wird ein meist artfremder Zusatzwerkstoff verwendet, der bei Normaltemperatur durch Entweichen eines Lösungsmittels oder durch einen chemischen Härtevorgang erstarrt, wobei die Erhärtung durch Temperaturerhöhung beschleunigt
werden kann.
Die Verbindung kommt meist durch Adhäsion zustande (molekulare Anziehungskräfte, van der Waals Kräfte).
Voraussetzungen für die Erzeugung einer guten Verbindung sind:
-
Erniedrigung der potentiellen Energie des Gesamtsystems aus Werkstück
und Kleber
-
gleichmäßiger Auftrag des flüssigen Klebers (Erhöhung der Kontaktfläche)
-
hohe Adhäsion zwischen der Oberfläche des Werkstücks und des erhärteten Klebers
-
verträgliche Polarität von Werkstückoberfläche und Kleber
-
möglichst niedere Viskosität (hohe Fließzähigkeit) des flüssigen Klebers
-
ausreichende Festigkeit (Kohäsion) des erhärteten Klebers
-
geringe Schwind- oder Temperaturspannungen, die beim Erhärten des Klebers entstehen können
- 131 -
Verträglichkeit der Verformungseigenschaften des Werkstückes und des
Klebers
-
möglichst dünne Klebefugen.
Die Erfüllung der ersten drei Bedingungen hängt von der Benetzbarkeit der Oberfläche durch den Kleber ab. Sie kann durch Bearbeitung (Reinigung) der Oberfläche beeinflusst werden.
C.7.2.3.3
Benetzbarkeit von Oberflächen und Adhäsionsenergie
Die in der Nähe einer Oberfläche angeordneten Atome sind nicht im Zustand minimal potentieller Energie. Zur Erzeugung von Oberflächen ist daher Energie notwendig, d. h. Oberflächen sind Energieträger (Oberflächenenergie und Oberflächenspannung γ, siehe B.2.8.2).
Die Größe der Oberflächenenergie hängt vom Medium ab, das der Oberfläche
benachbart ist.
FLÜSSIGKEIT (L)
GAS (V)
GAS (V)
FESTSTOFF (S)
FLÜSSIGKEIT (L)
FESTSTOFF (S)
γSL:
γLV:
γSV:
Oberflächenspannung am Übergang Feststoff (S) zu Flüssigkeit (L)
Oberflächenspannung am Übergang Flüssigkeit (L) zu Gas bzw. Luft (V)
Oberflächenspannung am Übergang Feststoff (S) zu Gas (V)
Wird auf eine Oberfläche ein Tropfen einer Flüssigkeit aufgebracht, so wirken in
diesem Element Oberflächenspannungen.
γLV
Gleichgewicht zum Punkt A: γSV = γSL + cosφ.γLV
φ
γSV
A
φ = 0:
γSL
vollständige Benetzung, wenn γSL =
γSV - γLV
φ = 90°: γSL = γSV
φ = 0°
φ = 90°
φ = 180°
φ = 180°: keine Benetzung, wenn γSL = γSV + γLV
Eine spontane Benetzung der Oberfläche tritt nur ein, wenn φ < 90°.
Die Adhäsionsenergie W ist die Energie, die zum Trennen zweier Oberflächen
aufgebracht werden muss. Sie gibt die Reduktion der freien Oberflächenenergie
an, die bei der Vereinigung der Oberfläche mit der Flüssigkeit eintritt. Sie steht mit
den Oberflächenenergien der betrachteten Grenzflächen in direktem Zusammenhang und entspricht der Differenz der Oberflächenenergien der Grenzflächen vor
und nach dem Trennen. Für die Grenzfläche Feststoff - Flüssigkeit gilt:
W = γSV + γLV - γSL = γSV + γLV - γSV + cosφ.γLV
nach
vor
Trennung
W = γLV.(1 + cosφ)
- 132 Die Adhäsionsenergie (= Verringerung der freien Oberflächenenergie) erreicht
einen Größtwert für φ = 0 (vollständige Benetzung) und wird zu Null für φ = 180°
(keine Benetzung).
Benetzbarkeit ist eine wesentliche Voraussetzung für das Erzielen einer guten
Klebe- oder Lötverbindung. Sie kann durch Anrauhen der Oberfläche, Entfernung
dünner Fett- oder Staubfilme etc. der Oberfläche verbessert werden.
C.7.3
Klebeverbindungen
Sie finden Anwendung im Holzbau (verleimte Konstruktionen), im Metallbau, für
Konstruktionen aus Kunststoffen und in beschränktem Umfang im Beton- und
Stahlbetonbau.
C.7.3.1
Klebstoffe
Im erhärteten Zustand bestehen Kleber aus vernetzten oder nicht vernetzten
hochpolymeren Verbindungen (natürliche Stoffe oder Kunststoffe), siehe Baustofftechnologie II. Die Erhärtung erfolgt durch Entweichen eines Lösungsmittels oder
durch eine chemische Reaktion zwischen verschiedenen Komponenten des Klebers.
Übersicht über die gebräuchlichsten natürlichen und synthetischen Klebstoffe
Physikalisch bindend (hochpolymer)
Chemisch bindend (härtend; niederpolymer)
Natürliche Rohstoffe
Bsp.
Synthetische Rohstoffe
Bsp.
Proteine:
Glutin
Kasein
Sojaprotein
Blutalbumin
Polyvinylacetat
Polyvinyläther
Polyacrylat
Polyäthylen
Polystyrol
Synthetische Kautschuke
HarnstoffFormaldehydharze
Aminoplaste
MelaminFormaldehydharz
PhenolFormaldehydharz
Stärke:
Epoxydharze
Stärke
Dextrin
Celluloseäther
Naturkautschuk
Polyurethane
Neben den Holzleimen sind die wichtigsten, im Bauwesen verwendeten Kleber die
Phenol- und Epoxydharze (siehe Baustofftechnologie II).
C.7.3.2
•
Einflüsse auf die Festigkeit einer Verbindung
Konstruktive Durchbildung
Phenoplaste
- 133 -
a)
b)
c)
d)
e)
f)
Verbindungsformen
Die Festigkeit eines Klebers ist meist geringer als die der zu verbindenden
Werkstücke (max. Zugfestigkeit ca. 100 N/mm2). Diesem Nachteil kann man durch
Vergrößerung der Klebeflächen entgegenwirken. Daher sind Überlappungs- oder
Schäftungsstöße einem Stumpfstoß vorzuziehen.
a) Stumpfstoß, b) Winkelstoß, c) Überlappung einschnittig,
d) Überlappung zweischichtig, e) Schäftung, f) Doppellasche
•
Oberflächenvorbehandlung der Klebeflächen
Die Entfernung von Oberflächenverunreinigungen z. B. Fette, Oxid- und Zunderschicht sowie das Aufrauhen der Klebeflächen verbessern Benetzbarkeit und Adhäsion. Bei vielen Klebern ist ferner auf eine trockene Oberfläche zu achten.
•
Anforderungen an die Klebeeigenschaften
-
Gute Adhäsion
-
geringes Schwinden bzw. Schrumpfen beim Erhärten
-
keine oder geringe Alterung
-
der E-Modul der Kleber soll kleiner als der E-Modul der Werkstücke sein
C.7.4
Schweißverbindungen
C.7.4.1
Allgemeines
Bei den Schweißverfahren wird unterschieden zwischen:
a) Pressschweißverfahren, bei denen die Verbindung hauptsächlich durch Anwendung eines äußeren Druckes mit oder ohne gleichzeitiger Erwärmung
erzeugt wird und
b) Schmelzschweißverfahren, bei denen die Verbindung der Oberflächen durch
Wärmezufuhr und Anschmelzen der zu verbindenden Oberflächen entsteht.
Als Folge der Erwärmung bis nahe oder über den Schmelzpunkt der zu verbindenden Teile können erhebliche Gefüge- und Eigenschaftsänderungen des Werkstoffes eintreten. Die Schweißbarkeit von Metallen richtet sich daher nach ihrer Struktur, Herstellungsart und dem jeweils angewandten Schweißverfahren (siehe
C.7.4.3).
C.7.4.2
Technische Schweißverfahren
Nachfolgende Tabelle gibt einen Überblick der verschiedenen Schweißverfahren.
In dieser Tabelle sind die für das Bauingenieurwesen wichtigen Verfahren
hervorgehoben.
- 134 -
Elektronenstrahlschweißen
Schutzgaslichtbogenschweißen
Plasmaschweißen
Lichtbogenschweißen
Schmelzschweißen
offenes Lichtbogenschweißen
Widerstandsschmelzschweißen
Gasschweißen
Gießschmelzschweißen
Metallschweißen
Lichtbogenpreßschweißen
Preßschweißen
verdecktes Lichtbogenschweißen
Kammerschweißen
Metallschutzgasschweißen
Wolframschutzgasschweißen
Unterpulverschweißen
Unterschieneschweißen
Metalllichtbogenschweißen
Kohlelichtbogenschweißen
Unterschlackeschweißen
aluminothermisches
Schweißen
Gießschweißen
Widerstandsüberlappschweißen
Überlappnahtschweißen
Buckelschweißen
Vielpunktschweißen
Widerstandsschweißen
Punktschweißen
Doppelpunktschweißen
Gaspreßschweißen
Preßnahtschweißen
Einzelpunktschweißen
Feuerschweißen
Kaltpreßschweißen
Schockschweißen
Widerstandsstumpfschweißen
Abbrennschweißen
Wulstschweißen
induktive
Stromübertragung
konduktive
Stromübertragung
Die Schweißverfahren sind in DIN 1910, Teil 1-12, "Schweißen" geregelt. Es wird
unterschieden zwischen:
Pressschweißen:
Schweißen unter Anwendung von Druck ohne oder mit
Schweißzusatz; örtlich begrenztes Erwärmen der zu verbindenden Teile ermöglicht oder erleichtert das Schweißen
(DIN 1910, Teile 2, 3 und 5)
Schmelzschweißen: Schweißen bei örtlich begrenztem Schmelzfluss ohne Anwendung von Druck mit oder ohne Schweißzusatz (DIN
1910, Teile 2, 4 und 5).
C.7.4.3
Folgeerscheinungen des Schweißens
Schweißen stellt eine örtlich begrenzte Wärmebehandlung dar, die zu einer Änderung der Mikrostruktur und je nach Erwärmungs- und Abkühlgeschwindigkeit zu
einer Härtung oder zu einer Erweichung des Werkstückes führen kann. Besonders
bei zu schneller Abkühlung eines Stahles mit ausreichend hohem C-Gehalt kann
unerwünschte Härtung (Martensitbildung) oder Reckalterung eintreten.
Härtungsgefüge können vermieden werden durch
a) Wärmebehandlung nach dem Schweißen z. B. Spannungsarmglühen oder
Nachvergüten
b) Isothermes Schweißen: Vorwärmen des Schweißgutes auf Temperaturen
oberhalb der MS-Temperatur. Nach dem Schweißen Konstanthalten dieser
Temperaturen bis zur Umwandlung in ein Zwischenstufengefüge oder Perlit.
Foliennahtschweißen
Rollennahtschweißen
- 135 Durch die örtliche, also ungleichmäßige Erwärmung des Werkstückes beim
Schweißen können Wärmespannungen entstehen, die z. B. eine Verwölbung und
Verzerrung, aber auch ein Anreißen des geschweißten Metalls zur Folge haben
können.
Schweißnähte können je nach Ausbildung plötzliche Querschnittsveränderungen,
d. h. Kerben, darstellen, an denen vor allem in Gegenwart von Fehlstellen, ungenügender Füllung der Schweißnaht und Versprödung des Werkstückes durch den
Schweißvorgang die Gefahr eines Sprödbruches erhöht wird. Bei der Auswahl der
zu schweißenden Stellen und des Schweißverfahrens sind diese Gesichtspunkte
in Abhängigkeit von dem zu schweißenden Werkstück zu berücksichtigen.
C.7.4.4
Die Schweißbarkeit von Stählen
Stähle sind zum Schweißen geeignet, wenn die örtliche Erwärmung nicht die
Struktur und die Eigenschaften, die durch eine vorhergegangene Behandlung erzeugt wurden, wieder rückgängig macht. Ferner ist es notwendig, dass der Stahl
schnell abgekühlt werden kann, ohne dass dabei Gefügebildungen eintreten, die
eine wesentliche Beeinträchtigung der ursprünglichen Eigenschaften des Stahles
bedingen.
Die Schweißeignung eines Stahles richtet sich daher nach der Art seiner Vorbehandlung sowie nach seiner chemischen Zusammensetzung, insbesondere dem
Gehalt an Kohlenstoff, Phosphor, Schwefel und an Legierungselementen. Stähle
sind vor allen Dingen dann zum Schweißen geeignet, wenn sie einen geringen
Kohlenstoffgehalt und einen geringen Anteil an Stahlbegleitern (Schwefel, Stickstoff) haben.
Die Schweißbarkeit der Baustähle ist u.a. in DIN 8528, Blatt 2, geregelt: "Schweißbarkeit, Schweißeignung der allgemeinen Baustähle zum Schmelzschweißen".
Demnach sind insbesondere die Stähle S235JO/J2G2 (St37-3); S275JO/J2G3
(St44-3) und S355JO/J2G3 (St52-3) zum Schweißen geeignet.
Für die Schweißbarkeit der Betonstähle gilt DIN 488, Teil 7: "Betonstahl; Nachweis
der Schweißeignung von Betonstabstahl; Durchführung und Bewertung der Prüfung". Die in Abschnitt C.1.1 aufgeführten Betonstähle BSt 420 S, BSt 500 S und
BSt 500 M sind schweißgeeignet.
- 136 -
D
Beton
D.1
Grundbegriffe
Beton ist ein Zweiphasensystem mit den beiden Hauptkomponenten
•
Zementstein (Matrix)
•
Betonzuschlag (Füller) - ca. 70 Vol.-%
- ca. 30 Vol.-%
Der Zementstein entsteht durch Reaktion (Hydratation) des Bindemittels (Zement)
mit Wasser. Der Betonzuschlag ist ein Füllstoff aus natürlichen Gesteinen oder
künstlichen Stoffen, die zu Körnern verschiedener Größe aufbereitet sind. Seit
2001 wird in den entsprechenden Normen und Richtlinien anstelle des Begriffs
"Zuschlag" die Bezeichnung Gesteinskörnungen verwendet.
Beton unterscheidet sich von anderen Baustoffen dadurch, dass er vom Ingenieur
selbst hergestellt werden kann, und dass seine Eigenschaften je nach
•
Eigenschaften der Ausgangsstoffe
•
Mischungsverhältnis
•
Nachbehandlung
in weiten Grenzen beeinflusst werden können. Der Beton wird zunächst als Frischbeton durch Mischen der Komponenten hergestellt und zur Einbaustelle transportiert. Der Frischbeton muss eine ausreichende Verarbeitbarkeit besitzen und wird
dann in vorgefertigte Formen eingebracht und optimal verdichtet. Durch die
langsame Reaktion von Wasser und Zement (Hydratation) entsteht der erhärtete
Beton oder Festbeton. Die Erhärtung kann sich über Monate erstrecken. Der frische und junge Beton erfordert eine sorgfältige und ausreichende Nachbehandlung.
Zur Betonherstellung werden folgende Komponenten benötigt:
•
Zement als Bindemittel
•
Wasser
•
Betonzuschlag (feine und grobe Gesteinskörnungen)
Darüber hinaus können die Eigenschaften des Frischbetons und des erhärteten
Betons durch Zugabe von
•
Betonzusatzmitteln und
•
Betonzusatzstoffen
weiter optimiert werden.
Größenordnungen charakteristischer Eigenschaften erhärteten Betons
10 – 150 N/mm2
Druckfestigkeit:
1 - 10 N/mm2
Zugfestigkeit:
1,0 - 3,0 kg/dm3
Rohdichte:
Elastizitätsmodul:
10000 - 50000 N/mm2
Verformungsverhalten:
•
spröde bei Zugbelastung
•
beschränkte Duktilität bei Druckbelastung
Beton ist widerstandsfähig gegen Umwelteinflüsse und damit dauerhaft. Er kann
jedoch durch Frosteinwirkung oder chemische Angriffe geschädigt und zerstört
werden. Beton ist nicht brennbar und bei besonderen Vorkehrungen auch bei Temperaturen bis ca. 250°C gebrauchsfähig.
- 137 -
Betondruckfestigkeit βW28
im Alter von 28 Tagen [N/mm²]
Die Festigkeit des Betons wird vor
allem vom Gewichtsverhältnis Wasser : Zement (Wasserzementwert
oder ω-Wert) beeinflusst. Je höher
der Wasserzementwert, desto geringer ist die Festigkeit des Betons.
60
50
Um eine ausreichende Verarbeitbarkeit des Frischbetons sicherzustellen, muss dem Beton mehr Wasser zugegeben werden, als zur
Hydratation des Zementes erforderlich wäre. Ein geringer Wassergehalt
(niedriger Wasserzementwert) führt
zwar zu einer hohen Festigkeit, reduziert jedoch wegen des geringen
Wassergehalts die Verarbeitbarkeit
des Frischbetons.
40
30
20
0
0,2
0,4
0,6
0,8
Wasserzementwert
1,0
Abbildung D.1.1: Betondruckfestigkeit βW28 in Abhängigkeit vom Wasserzementwert (für Zement CEM I 42,5 N)
Anwendungsgebiete
Wegen seiner relativ hohen Druckfestigkeit kann Beton für Bauteile, die auf Druck
beansprucht sind, gut und wirtschaftlich eingesetzt werden. Andererseits ist Beton
wegen seiner geringen Zugfestigkeit für Bauteile, die auf Biegung oder Zug beansprucht werden, nur beschränkt verwendbar. Durch Verbindung mit Stahl zu Stahlbeton- oder Spannbetonkonstruktionen wird er jedoch zu einem universellen Baustoff.
Grundprinzip des Stahlbetons
Stahlbeton ist ein Verbundwerkstoff, in dem biege- und zugbeanspruchte Querschnitte mit Stahlstäben bewehrt sind. In jenen Zonen, in denen Zugspannungen
auftreten, wird eine Stahlbewehrung angeordnet, die nach dem Überschreiten der
Zugfestigkeit des Betons die Zugspannungen aufnimmt.
Voraussetzung für die Verbundwirkung und damit für die Anwendbarkeit des Stahlbetons sind folgende Eigenschaften der Baustoffe Beton und Stahl:
1.
Ausreichend hohe Druckfestigkeit des Betons in Verbindung mit der hohen
Zugfestigkeit und Duktilität des Stahles
2.
Ausreichende Haftung zwischen Beton und Stahl zur Erzielung einer Verbundwirkung
3.
Korrosionsschutz des Stahles durch den umgebenden Beton
4.
Annähernd gleiche Wärmedehnung von Beton und Stahl
Wegen der geringen Duktilität des Betons wird im Stahlbeton häufig die Menge an
Stahleinlagen so bemessen, dass beim Erreichen der Bruchlast des Verbundquerschnittes die Streckgrenze des Stahles überschritten wird und so die gesamte
Konstruktion duktile Eigenschaften hat.
- 138 -
D.2
Geschichtliche Entwicklung des Betons
Die Festigkeit des Betons hängt im Wesentlichen von der Festigkeit und der Art
des verwendeten Bindemittels (Zement) ab. Die geschichtliche Entwicklung des
Betons ist daher eng mit der Entwicklung der Bindemittel verbunden.
ca. 3000 v. Chr.
In Mesopotamien erste Entwicklung von nicht hydraulischen
Bindemitteln und Mörteln (Weißkalkmörtel) zur Errichtung von
Mauerwerk.
ca. 2500 v. Chr.
In Ägypten Verwendung von Gipsmörteln beim Pyramidenbau.
ca. 1000 v. Chr.
Die Phönizier erzeugen wasserfeste Mörtel durch Beimengungen von gemahlenen Ziegeln zu Kalkmörtel (Puzzolankalke).
ca. 200 v. Chr.
Verwendung von Gussmauerwerk durch die Römer als Vorläufer des Betons (Opus Caementitium).
ca. 100 v. Chr.
Entwicklung von hydraulischen Bindemitteln durch Mischen von
Weißkalk mit verschiedenen Puzzolanen (z.B. Ziegelmehl oder
natürliche Stoffe vorwiegend vulkanischen Ursprungs, z.B. von
Puzzoli am Golf von Neapel).
Mittelalter
Weiterentwicklung der Erkenntnis, dass beim Brennen von
Kalkstein zusammen mit Tonen oder Steinen vulkanischen Ursprungs Bindemittel mit hydraulischen Eigenschaften hergestellt werden können.
1759
JOHN SMEATON errichtet das EDDYSTONE LIGHTHOUSE im Hafen
von Plymouth und führt erste wissenschaftliche Untersuchungen über die Voraussetzungen zur Herstellung hydraulischer
Zemente durch. Die wesentlichen Bestandteile sind: Kalk, Silikate und Ton (Aluminate).
1796
JAMES PARKER erhält ein Patent für den ‘römischen Zement’,
der durch Brennen eines tonhaltigen Kalksteines gewonnen
wird.
1824
JOSEPH ASPDIN erhält ein Patent für den ‘Portlandzement’. Sein
Herstellungsprozess ähnelt dem Verfahren von PARKER. Die
verwendeten Rohmaterialien stammen von der Insel Portland
zwischen Plymouth und Southampton. Wahrscheinlich verwendete er eine höhere Brenntemperatur als PARKER.
1845
ISAAC JOHNSON erhält ein Patent unter dem Hinweis auf die Bedeutung einer hohen Brenntemperatur.
1854
WILLIAM WILKINSON (England) erhält ein Patent für die Stahlbewehrung in Biegegliedern aus Beton.
1855
Errichtung des ersten deutschen Portlandzementwerkes bei
Stettin.
1855
JOSEPH LAMBOT (Frankreich) erhält ein Patent für die Herstellung von Booten aus Stahlbeton.
1855
FRANCOIS COIGNET (Frankreich) erhält ein Patent zur Herstellung von Betonhäusern.
1861
Der Pariser Gärtner MONIER stellt Blumentöpfe aus Zementmörtel her, die durch ein Gerippe aus Stahldrähten verstärkt sind.
(Wahrscheinlich erfolgte die Herstellung solcher Blumentöpfe
schon vor 1845).
1877
THADDEUS HYATT (USA) berichtet über erste Versuche an
Stahlbetonkonstruktionen und schafft die ersten wissenschaftlichen Grundlagen dieser Konstruktionsart.
1884
Beginn des Stahlbetonbaues in Deutschland: Die Firmen FREYTAG UND HEIDSCHUCH sowie MARTENSTEIN UND JOYSSEAUS erwerben die deutschen Patentrechte für die Patente von Monier.
- 139 1898
Gründung des DEUTSCHEN BETON-VEREINs, einer Vereinigung
der an der Anwendung des Betonbaues interessierten Baufirmen mit dem Ziel der Weiterentwicklung dieser Werkstoffe.
1928
FREYSSINET erkennt die Vorteile des Vorspannens der Bewehrung und leistet Pionierarbeit auf dem Gebiet des Spannbetons.
D.3
Vorschriften und Klassifizierung
D.3.1
Deutsche und europäische Normen
Die Anforderungen an Beton und an seine Ausgangsmaterialien sind in zahlreichen Normen festgelegt. Dabei nimmt die DIN 1045 eine herausragende Stellung
ein. Nachfolgend sind die darin genormten Gebiete den einzelnen Teilen der DIN
1045 zugeordnet sowie den entsprechenden europäischen Normen gegenüber
gestellt.
Tabelle D.3.1: Normen des Betonbaus (Auszug)
Gebiet
Deutschland
Bemessung und Konstruktion
DIN 1045-1
Beton:
EN 206-1
DIN 1045-2
Herstellung, Eigenschaften,
Anforderungen, Konformität
EU
EN 1992
(Eurocode 2)
EN 206-1
(deutsche Anwendungsregeln)
Bauausführung (Baustelle)
DIN 1045-3
EN 13670-1
Fertigteile:
DIN 1045-4
EN xxx
Herstellung, Überwachung
Das COMITÉ EUROPÉEN DE NORMALISATION hat für die EU- und EFTA-Länder sogenannte CEN-Normen erarbeitet. Diese sind entweder bindend (EN-Normen), oder
sie können als Vornormen (ENV) alternativ zu den nationalen Normen angewandt
werden. Nachfolgend sind weitere wichtige deutsche und europäische Normen
aufgelistet:
Prüfung von Beton
DIN 1048
Prüfverfahren für Beton
''
-1
Teil 1:
Frischbeton
''
-2
Teil 2:
Festbeton in Bauwerken und Bauteilen
''
-4
Teil 4:
Bestimmung der Druckfestigkeit von Festbeton in
Bauwerken und Bauteilen. Anwendung von Bezugsgraden und Auswertung mit besonderen Verfahren
''
-5
Teil 5:
Festbeton, gesondert hergestellte Probekörper
DIN EN 12350
Prüfung von Frischbeton
DIN EN 12390
Prüfung von Festbeton
DIN EN 12504
Prüfung von Beton in Bauwerken
Neben den o. g. Normen zum Baustoff Beton sind in Bezug auf die Ausgangsmaterialien für Beton folgende Normen zu beachten:
Zement
DIN EN 197-1
Zement – Teil 1: Zusammensetzung, Anforderungen und Konformitätskriterien von Normalzement
DIN 1164
Zement mit besonderen Eigenschaften – Zusammensetzung, Anforderungen, Übereinstimmungsnachweise
- 140 In Deutschland wurde die Zementnorm DIN 1164, Teil 1 an die DIN EN 197-1 angepasst. Für die Prüfung von Zementen gilt in den EU- und EFTA-Ländern zwingend eine europäische Norm. Sie trägt in Deutschland die Bezeichnung
DIN EN 196
Prüfverfahren für Zement (Teile 1 bis 7 und Teil 27)
Gesteinskörnungen
DIN 4226
Gesteinskörnungen für Beton und Mörtel
''
-1
Teil 1:
Normale und schwere Gesteinskörnungen
''
-2
Teil 2:
Leichte Gesteinskörnungen (Leichtzuschläge)
"
-100
Teil 100:
Rezyklierte Gesteinskörnungen
Voraussichtlich 2004 wird DIN 4226-1 durch DIN EN 12620 abgelöst.
Zugabewasser
DIN EN 1008
Zugabewasser für Beton – Festlegung für die Probennahme,
Prüfung und Beurteilung der Eignung von Wasser, einschließlich
bei der Betonherstellung anfallendem Wasser als Zugabewasser
für Beton
DIN 4030
Beurteilung betonangreifender Wässer, Böden und Gase
Darüber hinaus enthält die DAfStb-Richtlinie für die Herstellung von Beton unter
Verwendung von Restwasser, Restbeton und Restmörtel entsprechende Angaben.
Zusatzmittel
DIN EN 934
Zusatzmittel für Beton, Mörtel und Einpresshilfen
Zusatzstoffe
DIN EN 450
Flugasche für Beton – Definitionen, Anforderungen und Güteüberwachung
DIN 51043
Traß; Anforderungen, Prüfung
DIN 4226-1
Gesteinskörnungen für Beton und Mörtel – Teil 1: Normale und
schwere Gesteinskörnungen
DIN EN 12878
Pigmente zum Einfärben von zement- und/oder kalkgebundenen
Baustoffen – Anforderungen und Prüfverfahren
Eine harmonisierte Norm für Zusatzstoffe befindet sich z. Z. im Entwurfstadium.
D.3.2
Klassifizierung
Die Einteilung verschiedener Betonarten erfolgt hauptsächlich nach ihrer Rohdichte oder nach ihrer Druckfestigkeit.
Einteilung nach der Rohdichte
•
Schwerbeton
ρ > 2,6 kg/dm3
•
Normalbeton
2,0 < ρ ≤ 2,6 kg/dm3
•
Leichtbeton
0,8 < ρ ≤ 2,0 kg/dm3
- 141 Einteilung nach der Druckfestigkeit (DIN 1045)
Nach DIN 1045 kann Beton entsprechend seiner Druckfestigkeit in die in der nachfolgenden Tabelle angegebenen Festigkeitsklassen eingeteilt werden. Diese Einteilung gilt sowohl für Normal- als auch für Schwerbeton.
Tabelle D.3.2: Druckfestigkeitsklassen für Normal- und Schwerbeton
fck,cyl
Betonkategorie
Festigkeitsklasse
Normalbeton
1
Hochfester
Beton
2
fck,cube
2
[N/mm ]
[N/mm2]
8
12
16
20
25
30
35
40
45
50
55
60
70
80
90
100
10
15
20
25
30
37
45
50
55
60
67
75
85
95
105
115
C8/10
C12/15
C16/20
C20/25
C25/30
C30/37
C35/45
C40/50
C45/55
C50/60
C55/67
C60/75
C70/85
C80/95
C90/105 1)
C100/115 1)
1)
Für Beton der Festigklassen C90/105 und C100/115 bedarf es weiterer
auf den Verwendungszweck abgestimmter Nachweise.
Für Leichtbeton gilt die Klasseneinteilung gemäß Tabelle D.3.3.
Tabelle D.3.3: Druckfestigkeitsklassen für Leichtbeton
fck,cube
fck,cyl
Festigkeitsklasse
2
[N/mm ]
[N/mm2]
hochfest
normalfest
LC8/9
8
9
LC12/13
12
13
LC16/18
16
18
LC20/22
20
22
LC25/28
25
28
LC30/33
30
33
LC35/38
35
38
LC40/44
40
44
LC50/55
50
55
LC55/60
55
60
LC60/66
60
66
LC70/77 1)
70
77
LC80/88 1)
80
88
Es dürfen andere Werte verwendet werden, wenn das
Verhältnis zwischen diesen Werten und der Referenzfestigkeit von Zylindern mit genügender Genauigkeit festgestellt und dokumentiert worden ist.
1)
Fußnote 1) in Tabelle D.3.2 gilt analog.
Da die Betonfestigkeit zeitlich veränderlich ist und von der Probenform und -größe
abhängt, wird die Betondruckfestigkeit normalerweise im Alter von 28 Tagen an
Zylindern oder Würfeln ermittelt. In der Tabelle D.3.2 ist fck,cyl die charakteristische
Festigkeit bestimmt an Zylindern mit 150 mm Durchmesser und 300 mm Länge im
Alter von 28 Tagen. fck,cube ist die charakteristische Festigkeit ermittelt am 28 Tage
alten Betonwürfel mit der Kantenlänge von 150 mm.
- 142 Die Festigkeitswerte der neuen Norm beziehen sich auf die Prüfung im Alter von
28 Tagen nach einer Lagerung im Feuchtraum (20 °C, ≥ 95 % relativer Luftfeuchte) oder unter Wasser bei 20 °C (Referenzverfahren).
Werden Würfel aus Normalbeton 7 Tage feucht (unter Wasser oder im Feuchtraum) und 21 Tage bei 20 °C und 65 % rel. Luftfeuchte gelagert (Trockenlagerung), so müssen die Druckfestigkeitswerte fc, dry wie folgt umgerechnet werden:
bis C 50/60
fc, cube = 0,92 fc, dry,
ab C 55/67
fc, cube = 0,95 fc, dry.
Die Festigkeiten verschiedener Probezylinder einer Festigkeitsklasse weichen zum
Teil erheblich voneinander ab. Festigkeitsunterschiede zwischen Zylindern, die aus
einer Mischung gleichzeitig hergestellt wurden, führen zur Prüfstreuung Sp. Die
Streuung der Festigkeiten von Zylindern aus gleichen, jedoch nicht gleichzeitig
hergestellten Mischungen wird mit Qualitätsstreuung Sg bezeichnet.
Wegen dieser Streuungen ist es nicht ausreichend, die Druckfestigkeit eines Betons nur durch den Mittelwert der Festigkeiten einzelner Zylinder zu charakterisieren. Daher wird die charakteristische Festigkeit als maßgebende Betonfestigkeit
herangezogen.
Die charakteristische Festigkeit des Betons fck, die auch zur Bezeichnung einer
Festigkeitsklasse des Betons dient, entspricht dem 5 %-Quantil einer Häufigkeitsverteilung der Druckfestigkeiten einzelner Betonproben. Sie darf nur von 5 % der
im Alter von 28 Tagen geprüften Zylinder unterschritten werden, wenn der Beton
der entsprechenden Festigkeitsklasse angehören soll (siehe dazu Abbildung
D.3.1).
Die in den vorstehenden Abschnitten für zylindrische Betonprobekörper erläuterten
Zusammenhänge gelten sinngemäß auch für Würfel.
Häufigkeit
Verteilungskurve:
"Gauß'sche Glockenkurve";
Normalverteilung
Symmetrieach-
σ
σ
Standardabweichung
i
1
2
σ=
⋅ ∑ ( fci − fcm )
n-1
mit
1 i
fcm =
∑ fci
n
5%
1,64⋅σ
fck
fcm
Abbildung D.3.1: Häufigkeitsverteilung der Betondruckfestigkeitswerte
fc
Einteilung in Betongruppen
EN 206-1 unterscheidet drei Betongruppen: Beton nach Eigenschaften (n. E.), Beton nach Zusammensetzung (n. Z.) und Standardbeton.
Bei der Bestellung eines Betons n. E. müssen folgende Grundangaben gemacht
werden: Bezug auf DIN 1045-2, Festigkeitsklasse, Expositionsklasse des Bauwerks oder Bauteils, Festigkeitsentwicklung im Zusammenhang mit der Nachbehandlung, Größtkorn, Art der Verwendung als unbewehrter Beton, Stahlbeton oder
Spannbeton und Konsistenzklasse. Falls maßgebend, sind zusätzliche Anforderungen zu definieren und entsprechende Prüfverfahren zu vereinbaren. Hinsicht-
- 143 lich der Betonzusammensetzung hat der Hersteller eine beträchtliche Freiheit, aber
auch eine große Verantwortung.
Demgegenüber wird bei Beton n. Z. die Betonzusammensetzung genau festgelegt.
Die Grundangaben betreffen den Bezug zur DIN 1045-2, den Zementgehalt, die
Art und Festigkeitsklasse des Zements, den Wasserzementwert oder die Konsistenzklasse, außerdem die Art des Zuschlags, bei Leichtbeton und Schwerbeton
auch die Rohdichte des Zuschlags, das Größtkorn und die Sieblinie, Art und Menge von Zusatzmitteln und Zusatzstoffen und bei deren Verwendung noch die Herkunft dieser Stoffe und des Zements. Diese Angaben sind als Vorsorge für eventuelle Unverträglichkeiten gedacht. Zusätzliche Angaben können die Herkunft der
Betonausgangsstoffe betreffen, die Frischbetontemperatur und eventuell weitere
Anforderungen. Beim Beton n. Z. trägt der Besteller eine große Verantwortung für
die Eigenschaften des Betons. Er wird einen Beton n. Z. nur bestellen, wenn er die
Zusammenhänge zwischen Zusammensetzung und Eigenschaften aus eigener Erfahrung kennt.
Standardbeton ist so zusammengesetzt, dass er auch bei gewissen Schwankungen immer noch die vereinbarte Festigkeit erreicht. Die Grundangaben betreffen
den Bezug auf DIN 1045-2, die Festigkeitsklasse bis maximal C16/20, die Expositionsklasse des Bauwerks mit der Einschränkung auf XO, XC1 und XC2, die Festigkeitsentwicklung, das Größtkorn und die Konsistenzklasse.
Einteilung nach Konsistenzklassen
Darüber hinaus kann Beton auch auf der Grundlage seiner Frischbetoneigenschaften klassifiziert werden. Maßgebend ist hier die Konsistenz des Betons, die die
Verarbeitbarkeit charakterisiert. Einzelheiten hierzu finden sich in Abschnitt D.5.1.
Einteilung nach Umgebungsbedingungen
Um die Dauerhaftigkeit von Betonbauteilen zu gewährleisten, müssen die Betoneigenschaften an die zu erwartenden Beanspruchungen in der Umgebung abgepasst sein. In Tabelle D.3.4 (aus DIN 1045) werden die möglichen Umgebungsbedingen, denen das Betonbauteil ausgesetzt ist, in Expositionsklassen eingeteilt.
Zudem liefert Tabelle D.3.4 eine Zuordnung zwischen den jeweiligen Expositionsklassen und den Anforderungen an den w/z-Wert (Höchstwert), an die Festigkeitsklasse (unterer Grenzwert) und an den Mindestzementgehalt des zu verwendenden Betons.
Tabelle D.3.4: Expositionsklassen und Anforderungen an die Betoneigenschaften nach DIN 1045
Klassenbezeichnung
Beschreibung der Umgebung
Beispiele
1 Kein Korrosions- oder Angriffsrisiko
Für Beton ohne Bewehrung o. eingebettetes Metall: alle Umgebungsbedin- Fundamente ohne Bewehrung ohne Frost; InXO
gungen, ausgenommen Frostangriff,
nenbauteile ohne Bewehrung
Verschleiß o. chemischer Angriff
2 Bewehrungskorrosion, ausgelöst durch Karbonatisierung
Bauteile in Innenräumen mit üblicher Luftfeuchte (einschließlich Küche, Bad, Waschküche in
XC1
trocken oder ständig nass
Wohngebäuden); Beton, der ständig in Wasser
getaucht ist
XC2
nass, selten trocken
Teile von Wasserbehältern; Gründungsbauteile
Bauteile, zu denen die Außenluft häufig oder
ständig Zugang hat, z. b. offene Hallen, Innenräume mit hoher Luftfeuchtigkeit z. B. in geXC3
mäßige Feuchte
werblichen Küchen, Bädern, Wäschereien, in
Feuchträumen von Hallenbädern und in Viehställen
XC4
wechselnd nass oder trocken
Außenbauteile mit direkter Beregnung
max.
w/z-Wert
[-]
min.
Festigkeitklasse
min.
Zementgehalt
[kg/m³]
-
C8/10
-
0,75
C16/20
240
0,75
C16/20
240
0,65
C20/25
260
0,60
C25/30
280
- 144 Tabelle D.3.4: Expositionsklassen und Anforderungen an die Betoneigenschaften (Fortsetzung)
Klassenbezeichnung
Beschreibung der Umgebung
Beispiele
3 Bewehrungskorrosion, verursacht durch Chloride, ausgenommen Meerwasser
Bauteile im Sprühnebelbereich von VerkehrsXD1
mäßige Feuchte
fläche; Einzelgeragen
Solebäder; Bauteile, die chloridhaltigen IndustXD2
nass, selten trocken
riewässern ausgesetzt sind
Teile von Brücken mit häufiger SpritzwasserbeXD3
wechselnd nass und trocken
anspruchung; Fahrbahndecken; Parkdecks
4 Bewehrungskorosion, verursacht durch Chloride aus Meerwasser
salzhaltige Luft, aber kein unmittelbarer
XS1
Außenbauteile in Küstennähe
Kontakt mit Meerwasser
Bauteile in Hafenanlagen, die ständig unter
XS2
unter Wasser
Wasser liegen
Tidebereich, Spritzwasser und SprühXS3
Kaimauern in Hafenanlagen
nebelbereich
5 Frostangriff mit und ohne Taumittel
mäßige Wassersättigung, ohne TaumitAußenbauteile
tel
Bauteile im Sprühnebel- und Spritzwasserbereich von taumittelbehandelten VerkehrsfläXF2
mäßige Wassersättigung, mit Taumittel
chen, soweit nicht XF4; Betonbauteile im
Sprühnebelbereich von Meerwasser
offene Wasserbehälter; Bauteile in der WasXF3
hohe Wassersättigung, ohne Taumittel
serwechselzone von Süßwasser
Verkehrsflächen, die mit Taumittel behandelt
werden; Überwiegend horizontale Bauteile im
Spritzwasserbereich von taumittelbehandelten
XF4
hohe Wassersättigung, mit Taumittel
Verkehrsflächen; Räumerlaufbahnen von Kläranlagen; Meerwasserbauteile in der Wasserwechselzone
6 Betonkorrosion durch chemischen Angriff
chemisch schwach angreifende UmgeXA1
Behälter von Kläranlagen; Güllebehälter
bung
Betonbauteile, die mit Meerwasser in Berühchemisch mäßig angreifende UmgeXA2
rung kommen; Bauteile in betonangreifenden
bung und Meeresbauwerke
Böden
Industrieabwasseranlagen mit chemisch angreifenden Abwässern; Gärfuttersilos und FutXA3
chemisch stark angreifende Umgebung
tertische der Landwirtschaft; Kühltürme mit
Rauchgasableitung
7 Betonkorrosion durch Verschleißbeanspruchung
Tragende oder aussteifende Industrieböden mit
XM1
mäßige Verschleißbeanspruchung
Beanspruchung durch luftbereifte Fahrzeuge
Tragende oder aussteifende Industrieböden mit
XM2
starke Verschleißbeanspruchung
Beanspruchung durch luft- oder vollgummibereifte Gabelstapler
Tragende oder aussteifende Industrieböden mit
Beanspruchung durch elastomer- oder stahlrollenbereifte Gabelstapler; Oberflächen, die häuXM3
sehr starke Verschleißbeanspruchung
fig mit Kettenfahrzeugen befahren werden;
Wasserbauwerke in geschiebebelasteten Gewässern, z. B. Tosbecken
XF1
1)
max.
w/z-Wert
[-]
min.
Festigkeitklasse
min.
Zementgehalt
[kg/m³]
0,55
C30/37
300
0,50
C35/45
320
0,45
C35/45
320
0,55
C30/37
300
0,50
C35/45
320
0,45
C35/45
320
0,60
C25/30
280
1)
C25/30
C35/45
300
320
1)
C25/30
C35/45
300
320
1)
C30/47
320
0,60
C25/30
280
0,50
C35/45
320
0,45
C35/45
320
0,55
C30/37
300
0,55
0,45
C30/37
C35/45
300
320
0,45
C35/45
320
0,55
0,50
0,55
0,50
0,50
mit Luftporenbildner herzustellen
Da Beton mehr als einer Einwirkung ausgesetzt sein kann, sind zur Definition der
Einwirkungsbedingungen nach DIN 1045 auch Kombinationen der o. g. Expositionsklassen möglich. Einzelheiten hierzu finden sich in Abschnitt D.10.
Einteilung in Betonfamilien
Betone ähnlicher Zusammensetzung können in eine Betonfamilie aufgenommen
werden, wenn zuverlässliche empirische Beziehungen zwischen deren Eigenschaften bestehen. Der Prüfaufwand vermindert sich, wenn die Anzahl Prüfkörper,
die für eine Betonsorte gilt, auf die gesamte Familie angewendet werden kann.
- 145 Bestehen die Zusammenhänge zwischen den Eigenschaften der einzelnen Betone
in der Familie nicht, müssen diese in einem ersten Schritt ermittelt werden. In der
Regel wird ein Beton, der im Mittelfeld der Betonfamilie liegt, als Referenzbeton
ausgewählt. Auf diesen werden dann die Eigenschaften der anderen Familienmitglieder bezogen.
Betone in einer Familie bestehen aus
- Zementen gleicher Art, Festigkeitsklasse und Herkunft
- Zuschlägen gleicher Art und geologischen Ursprungs.
Betone mit puzzolanischen oder latent hydraulischen Zusatzstoffen, Verzögerern
mit einer Verzögerungszeit ≥ 3 h, Luftporenbildnern und Betonverflüssigern bzw.
Fließmitteln, die die Betonfestigkeit beeinflussen, bilden eigene Familien. Hinsichtlich des Festigkeitsbereichs gilt, dass Familien für die Festigkeitsklassen C12/15
bis C55/67 gebildet werden können. Wenn der ganze Bereich erfasst werden soll,
müssen mindestens zwei Familien gebildet werden. Hochfester Beton ist aus Betonfamilien ausgeschlossen, da für ihn zusätzliche Konformitätsanforderungen gelten.
Damit das Konzept der Betonfamilien den bisherigen Sicherheitsstandard gewährleistet, müssen alle Familienmitglieder regelmäßig geprüft werden.
D.3.3
Übereinstimmungsnachweise
Die früher bekannte Güteüberwachung wurde durch Einführung neuer Landesbauordnungen verändert. Die Landesbauordnungen unterscheiden zwischen geregelten, nicht geregelten und sonstigen Bauprodukten. Geregelte Bauprodukte entsprechen den in der Bauregelliste A Teil l bekannt gegebenen Regeln. Nicht geregelte Bauprodukte weichen von der in der Bauregelliste A Teil 1 bekannt gemachten technischen Regeln wesentlich ab oder es gibt für sie keine Technischen Baubestimmungen oder allgemein anerkannte Regeln der Technik. Die
Verwendbarkeit ergibt sich:
a)
für geregelte Bauprodukte aus der Übereinstimmung mit den bekannt gemachten technischen Regeln,
b)
für nicht geregelte Bauprodukte aus der Übereinstimmung mit
- der allgemeinen bauaufsichtlichen Zulassung oder
- dem allgemeinen bauaufsichtlichen Prüfzeugnis oder
- der Zustimmung im Einzelfall.
Geregelte und nicht geregelte Bauprodukte dürfen verwendet werden, wenn ihre
Verwendbarkeit in dem für sie geforderten Übereinstimmungsnachweis bestätigt ist
und sie deshalb das Übereinstimmungszeichen (Ü-Zeichen) tragen.
Die Bauregelliste A Teil 3 enthält nicht geregelte Bauarten. Sie bedürfen anstelle
einer allgemeinen bauaufsichtlichen Zulassung nur eines allgemeinen bauaufsichtlichen Prüfzeugnisses. Der Übereinstimmungsnachweis bezieht sich auf
die Übereinstimmung mit dem allgemeinen bauaufsichtlichen Prüfzeugnis. Hierbei
hat der Anwender des Produktes bzw. der Bauart zu bestätigen, dass die Bauart
entsprechend den Bestimmungen des allgemeinen bauaufsichtlichen Prüfzeugnisses ausgeführt wurde und die hierbei verwendeten Produkte den Bestimmungen
des allgemeinen bauaufsichtlichen Prüfzeugnisses entsprechen.
Bauprodukte nach Bauregelliste A Teil l, Teil 2 und Teil 3 bedürfen für ihre Verwendung eines Übereinstimmungsnachweises. Folgende Arten sind möglich:
- Übereinstimmungserklärung des Herstellers (ÜH).
- Übereinstimmungserklärung des Herstellers nach vorheriger Prüfung des
Bauprodukts durch eine anerkannte Prüfstelle (ÜHP) oder
- Übereinstimmungszertifikat durch eine anerkannte Zertifizierungsstelle (ÜZ).
- 146 Sind in den technischen Regeln Prüfungen von Bauprodukten, insbesondere
Eignungsprüfungen, Erstprüfungen oder Prüfungen zur Erlangung von Prüfzeugnissen oder Werksbescheinigungen vorgesehen, so sind diese Prüfungen
im Rahmen der vorgeschriebenen Übereinstimmungsnachweise durchzuführen.
Für den Übereinstimmungsnachweis ist die werkseigene Produktionskontrolle
eine wesentliche Voraussetzung. Diese ist die vom Hersteller vorzunehmende
kontinuierliche Überwachung der Produktion, um sicherzustellen, daß die von
ihm hergestellten Bauprodukte den maßgebenden technischen Regeln entsprechen.
In der Bauregelliste A wird bestimmt, in welchen Fällen bei wesentlichen Abweichungen von den technischen Regeln der Verwendbarkeitsnachweis durch
eine allgemeine bauaufsichtliche Zulassung (Z) oder durch ein allgemeines
bauaufsichtliches Prüfzeugnis (P) zu führen ist.
Für Bauprodukte mit hohen Anforderungen an die Sicherheit ist immer ein Übereinstimmungszertifikat (ÜZ) bzw. eine allgemeine bauaufsichtliche Zulassung (Z) erforderlich.
Eine allgemein baurechtliche Zulassung wird vom Deutschen Institut für Bautechnik auf Antrag erteilt, wenn die Verwendbarkeit des Bauprodukts nachgewiesen ist. Ein allgemeines baurechtliches Prüfzeugnis wird von einer anerkannten Prüfstelle erteilt.
Es wird unterschieden in Prüfstelle, Zertifizierungsstelle und Überwachungsstelle. Die Prüfstellen sind für den Nachweis der Verwendbarkeit nicht geregelter
Bauprodukte und im Rahmen des Übereinstimmungsnachweisverfahrens für die
Untersuchung der Eigenschaften geregelter Bauprodukte einzuschalten. Zertifizierungsstellen sind besonders qualifizierte Stellen, die die Rechtmäßigkeit der
von der Überwachungsstelle vorgelegten Prüf- und Überwachungsergebnisse
durch Erteilung eines Übereinstimmungszertifikats bestätigen. Überwachungsstellen führen die Erstinspektion des Werkes und der werkseigenen Produktionskontrolle durch sowie Messungen, Untersuchungen und Kontrollprüfungen zur Feststellung der Produkteigenschaften und Auswertung des Herstellungsprozesses (Fremdüberwachung).
D.3.4 Überwachung
Produktionskontrolle
Jeder Beton ist unter der Verantwortung des Herstellers (Transportbeton- und Fertigteilwerke) einer Produktionskontrolle zu unterziehen. Die Produktionskontrolle
umfasst alle Maßnahmen, die für die Aufrechterhaltung der Konformität des Betons
mit den festgelegten Anforderungen erforderlich sind. Sie beinhaltet:
-
Baustoffauswahl,
Betonentwurf,
Betonherstellung,
Überwachung und Prüfung,
Verwendung der Prüfergebnisse im Hinblick auf Ausgangsstoffe, Frisch- und
Festbeton und Einrichtungen,
Überprüfung der für den Transport des Frischbetons verwendeten Einrichtungen,
Konformitätskontrolle.
Detaillierte Vorgaben für die Produktionskontrolle enthält DIN EN 206-1, Abschnitt
9.
Die Produktionskontrolle des Herstellers ist für alle nach DIN EN 206-2 bzw. DIN
1045-2 hergestellten Betone – ausgenommen Standardbeton – durch eine anerkannte Überwachungsstelle zu überwachen und zu bewerten.
- 147 Zu den Aufgaben der Überwachungsstelle zählen:
-
Erstbewertung (Unterlagen der Produktionskontrolle, Anlagen und Ausrüstungen zur Durchführung der notwendigen Prüfungen, Qualifikation des Personals,
Erstprüfungen der Betone)
-
Regelüberwachung (Aufrechterhaltung der Produktionskontrolle),
-
Sonderüberwachung (Klärung von Unstimmigkeiten, bei Änderung der Herstellbedingungen)
Die Erfüllung der Anforderungen an den Beton nach
DIN EN 206-2 bzw. DIN 1045-2 - ausgenommen
Standardbeton - ist durch ein Übereinstimmungszertifikat einer anerkannten Zertifizierungsstelle nachzuweisen (vgl. Festlegungen in der Bauregelliste A
Teil1).
Für Standardbeton ist die Erfüllung der Anforderungen nach DIN EN 206-2 bzw. DIN 1045-2 durch die
Herstellererklärung nachzuweisen.
Überwachungsklassen
Für die Überprüfung der maßgebenden Frisch- und Festbetoneigenschaften auf
der Baustelle wird der Beton in drei Überwachungsklassen eingeteilt. Die Überwachungsklassen der Tabelle 8 unterscheiden sich durch den Umfang und die Häufigkeit der durchzuführenden Prüfungen. Entsprechende Vorgaben enthält die DIN
1045-3.
Tabelle 9.8: Überwachungsklassen (Ausschnitt aus Tabelle 3 der DIN 1045-3)
Spalte 1
2
3
4
Gegenstand
Überwachungs-klasse
1
Überwachungs-klasse
2
Überwachungs-klasse
3
Druckfestigkeitsklasse für Normal- und
Schwerbeton nach
DIN EN 206-1 und
DIN 1045-2
≤ C 25/30
≥ C 30/37 und
≥ C 55/67
Zeile
1
2
3
4
≤ C 50/60
Druckfestigkeitsklasse für Leichtbeton
nach DIN EN 206-1
und DIN 1045-2 der
Rohdichteklassen
D 1,0 bis D 1,4
nicht anwendbar
D 1,6 bis D 2,0
≤ LC 25/28
≤ LC 25/28
≥ LC 30/33
LC 30/33 und
≥ LC 40/44
LC 35/38
Expositionsklasse
nach DIN 1045-2
X0, XC, XF1
XS, XD, XA,
XM, XF2, XF3,
XF4
-
- 148 Die Überwachungsprüfungen auf der Baustelle sind vom Bauunternehmen durchzuführen. Dazu zählen die Prüfung des Lieferscheins, der Konsistenz, der Frischbetonrohdichte bei Leicht- und Schwerbeton, der Gleichmäßigkeit des Betons, der
Druckfestigkeit, des Luftgehalts bei LP-Beton und die Funktionskontrolle der technischen Einrichtungen (Verdichtungsgeräte, Mess- und Laborgeräte). Weiterhin
sind im Bautagebuch die Lufttemperatur (Minimum, Maximum) und die Witterungsverhältnisse während des Betonierens des Bauteils sowie die Art und die Dauer
der Nachbehandlung aufzuzeichnen (DIN 1045-3, Abschnitt 11.5).
In den Überwachungsklassen 2 und 3 ist der Einbau des Betons zusätzlich durch
eine dafür anerkannte Überwachungsstelle zu prüfen (Fremdüberwachung). Das
Bauunternehmen muss über eine ständige Betonprüfstelle verfügen.
Literatur
[D.3.1]
Grübl, P.; Weigler, H., Karl, S.: Beton - Arten, Herstellung, Eigenschaften.
Ernst & Sohn, Berlin, 2001
[D.3.2]
Reinhardt, H.W.: Beton. In Beton-Kalender 2002, Ernst & Sohn, Berlin,
2002
[D.3.3]
DIN 1048: 1991-06, Teile -1, -2, -4, -5: Prüfverfahren für Beton
[D.3.4]
Bauregelliste A, Bauregelliste B und Liste C, Ausgabe 200/1, Mitteilungen Deutsches Institut für Bautechnik 31, Sonderheft Nr.22, Ernst &
Sohn, Berlin 2000
[D.3.5]
Hinweise für Prüfstellen zur Erteilung von allgemeinen bauaufsichtlichen
Prüfzeugnissen. Mitteilungen Deutsches Institut für Bautechnik 31
(2000), Nr. 2, S. 50-56
[D.3.6]
Muster Verordnung über die Anerkennung als Prüf-, und Überwachungs-,
oder Zertifizierungsstelle nach Bauordnungsrecht (PÜZAVO). Mitteilungen Deutsches Institut für Bautechnik 27 (1996), Nr. 6, S. 344-348
D.4
Ausgangsmaterialien zur Betonherstellung
Problemstellung: Die Eigenschaften des Betons hängen in großem Maße vom Mischungsverhältnis Zement : Wasser : Betonzuschlag und von den Eigenschaften
dieser Betonkomponenten ab. Das Verständnis der Faktoren, welche die Betoneigenschaften beeinflussen, setzt daher eine Kenntnis des Aufbaues, der Reaktionen und der Herstellung bzw. Aufbereitung der Betonkomponenten voraus.
D.4.1
Bindemittel und Zemente
Man unterscheidet zwischen hydraulischen und nicht hydraulischen Bindemitteln.
Definition:
D.4.1.1
Hydraulische Bindemittel erhärten unter Anlagerung von Wasser und sind nach ihrer Erhärtung gegenüber Wasser beständig
Nicht-hydraulische Bindemittel
Beispiel Luftkalk:
Herstellung aus Kalkstein:
Kalkbrennen:
CaCO3 → CaO + CO2
(bei 800 - 1000°C)
Kalklöschen:
Branntkalk
CaO + H2O → Ca(OH)2
gelöschter Kalk
oder Kalkhydrat
Erhärtung durch Carbonatisierung:
Ca(OH)2 + CO2 → CaCO3 + H2O
∆H = 165,9 kJ
∆H = Enthalpie
∆H = -65 kJ
- 149 Der Branntkalk wird entweder als Stückkalk mit viel Wasser gelöscht, und es bildet
sich durch das überschüssige Wasser ein wässriger Kalkbrei (Sumpfkalk). Beim
sog. Trockenlöschen wird der Stückkalk gebrochen, gemahlen und mit wenig Wasser oder Wasserdampf gelöscht. Dabei entsteht pulvriges Kalkhydrat.
Kalkhydrat bzw. Sumpfkalk werden mit Wasser und Sand zu Kalkmörtel vermischt.
Die Erhärtung beschränkt sich auf den Karbonatisierungsvorgang. Zwischen Kalkhydrat, Wasser und Sand (SiO2 = Kieselsäure) findet keine Reaktion statt.
Eigenschaften:
•
Im frischen Zustand geschmeidiger und gut verarbeitbarer Mörtel
•
Erhärtung nur an Luft (CO2)
•
Sehr langsame Festigkeitsentwicklung
•
Geringe Druckfestigkeit auch nach langer Erhärtungsdauer (0,2 - 2 N/mm²)
•
Im erhärteten Zustand relativ gute Verformbarkeit und hohe Volumenbeständigkeit
D.4.1.2
Gipse und Anhydrit
Gips: Herstellung des Baugipses aus dem Gipsstein.
Gipskochen:
2 (CaSO4. 2 H2O) → 2 [ CaSO4. 0,5 H2O ] + 3 H2O
(bei 120 - 180°C)
Halbhydrat
= Stuckgips
Erhärtung nach Zugabe von Wasser:
2 (CaSO4. 0,5 H2O) + 3 H2O → 2 (CaSO4. 2 H2O)
Eigenschaften:
•
Schnelle Erhärtung (ca. 15 - 30 Minuten)
•
Festigkeit: 5 - 20 N/mm2 je nach Wasser / Gips-Verhältnis
•
Teilweise wasserlöslich, daher Festigkeitsverlust bei Wasserlagerung
•
Beim Abbinden Volumenvergrößerung um ca. 1 %
Anhydrit:
Herstellung: Durch Erhitzen auf Temperaturen von 300 - 500°C Bildung von wasserfreiem Calciumsulfat CaSO4 (Anhydrit). Bei Temperaturen um 1000°C teilweise
Zersetzung zu CaO (Estrichgips):
CaSO4 → CaO + SO3↑
Erhärtung durch Zugabe von Wasser und Auskristallisation zu CaSO4. 2 H2O, wobei der Vorgang beim Anydrit durch Zumahlen von Erregern (z.B. 3 % Aluminiumoder Eisensulfat) oder beim Estrichgips durch freien Kalk (CaO) eingeleitet wird.
Eigenschaften:
•
Langsamere Erhärtung als Gips, daher längere Verarbeitungszeit (bis zu 4
Std. nach dem Anmachen)
•
sonstige Eigenschaften ähnlich dem Gips
- 150 -
D.4.1.3
Hydraulische Kalke
Definition:
Bindemittel, die durch eine Reaktion zwischen Kalk, Kieselsäure und
Wasser unter Einwirkung eines Anregers erhärten:
Bildung von Calciumsilikathydraten der Form 3 CaO . 2 SiO2 . 3 H2O (Tricalziumsilikathydrat).
Wegen seiner Ähnlichkeit mit einem in der Natur vorkommenden Mineral wird Tricalziumsilikathydrat häufig als "Tobermorit" bezeichnet, obwohl es bei der Hydratation der Bindemittel in sehr verschiedenen Kristallmodifikationen entstehen kann.
Kieselsäure
SiO2 in Form von Quarz ist sehr reaktionsträge, daher wasserunlöslich und säurebeständig (außer gegenüber Flusssäure).
Kieselsäure wird reaktionsfreudiger
1. bei erhöhten Temperaturen
2. als gelöste Kieselsäure, z.B. Wasserglas (wasserlösliche Verbindung aus KOH
oder NaOH und SiO2, die bei erhöhter Temperatur entsteht)
3. in amorpher Form, z.B. in der Natur als Opal, Feuerstein, Diatomeenerde
4. wenn sie an andere Komponenten gebunden ist, z.B. an Ziegelmehl. Ziegelmehl wird durch Mahlen von Ziegeln (gebrannter Ton) gewonnen. Eine der
Ausgangskomponenten des Tones ist Kaolinit. Beim Brennen des Tones entsteht aus Kaolinit:
Al2O3. 2 SiO2. 2 H2O → Al2O3. 2 SiO2 + 2 H2O
(siehe Kapitel B: Keramische Werkstoffe)
5. durch Erzeugung von Kalk-Kieselsäure-Verbindungen bei erhöhten Temperaturen (2 CaO . SiO2 oder 3 CaO . SiO2)
Von den Möglichkeiten 3., 4. und 5. wird bei der Herstellung der hydraulischen Kalke und der Portlandzemente Gebrauch gemacht.
Puzzolane und Puzzolankalke
Puzzolane sind Stoffe natürlicher oder künstlicher Herkunft, die überwiegend aus
Silizium-Aluminium-Verbindungen bestehen und Silikate in reaktionsfähiger Form
enthalten. Sie können mit Kalkhydrat (Ca(OH)2) und Wasser reagieren.
Beispiele: Ziegelmehl, Flugasche (siehe Abschnitt 4.2.2), Trass oder Gesteine vulkanischen Ursprungs.
Mischungen aus Kalkhydrat und Puzzolanen werden als Puzzolankalke bezeichnet. Als Mörtel erhärten sie auch unter Luftabschluss langsam durch Hydratation,
sind wasserbeständig und erreichen höhere Festigkeiten als Kalkmörtel.
Beispiel:
Kalk und Ziegelmehl:
2 (Al2O3. 2 SiO2) + 7 Ca(OH)2 →
2 (2 CaO . Al2O3. SiO2. 2 H2O) +
3 CaO . 2 SiO2. 3 H2O
Gebrannte hydraulische Kalke
Beim Erhitzen (Brennen) von tonhaltigem Kalkstein, z.B. Mergel auf ca. 1200°C bildet sich CaO, das sich mit der Kieselsäure des Tones verbindet zu
Dicalciumsilicat:
2 CaO . SiO2 ≡ C2S
Daneben bildet sich 3 CaO . Al2O3 und 4 CaO . Al2O3 . Fe2O3.
- 151 Diese Komponenten haben hydraulische Eigenschaften, d.h. sie können durch
Reaktion mit Wasser und unter Luftabschluss erhärten.
Eigenschaften:
Hydraulische Kalke verhalten sich ähnlich wie Portlandzemente (Abschnitt
D.4.1.4), erhärten jedoch wesentlich langsamer und können nach mehreren Jahren je nach Verhältnis Wasser / Bindemittel Druckfestigkeiten von 10 - 40 N/mm2
erreichen.
Einteilung der Baukalke
Je nach Anteil der hydraulischen Komponenten laufen bei der Erhärtung von Baukalken gleichzeitig sowohl Reaktionen mit Wasser (Hydratation) als auch mit CO2
(Karbonatisierung) ab. Grob können die Baukalke eingeteilt werden in
Baukalke
Hydraulischer Anteil
Luftkalke
ca. 0 - 10 M.-%
Wasserkalke
ca. 10 - 25 M.-%
Hydraulische Kalke
ca. 25 - 45 M.-%
Hochhydraulische Kalke
> 45 M.-%
Latent hydraulische Stoffe
Definition:
Stoffe, die allein keine Neigung zur Hydratation haben, durch andere
Stoffe aber zu einer hydraulischen Reaktion angeregt werden können.
Beispiel:
Hochofenschlacke bzw. Hüttensand bestehen aus Calciumsilikaten
und -aluminaten mit geringem Kalkgehalt. Sie können durch Hydrate,
z.B. Ca(OH)2, Portlandzement oder Gips zur Hydratation angeregt
werden.
D.4.1.4
Zemente
D.4.1.4.1
Abkürzungen der Zementchemie
Zur Vereinfachung benutzt die Zementchemie folgende Abkürzungen zur Bezeichnung der Zementkomponenten:
Komponente
Bezeichnung
Abkürzung der Zementchemie
CaO
Kalk
C
SiO2
Kieselsäure
S
Al2O3
Tonerde
A
Fe2O3
Eisenoxid
F
H2O
Wasser
H
SO3
Sulfat
S
- 152 Daher gilt für:
Komponente
Bezeichnung
Abkürzung der Zementchemie
2 CaO . SiO2
Dicalciumsilicat
C2S
3 CaO . SiO2
Tricalciumsilicat
C3S
3 CaO . Al2O3
Tricalciumaluminat
C3A
4 CaO . Al2O3 . Fe2O3
Tetracalciumaluminatferrit
C4AF
CaSO4
Calciumsulfat
CS
Ca(OH)2
Calciumhydroxid
CH
D.4.1.4.2
Bestandteile der Zemente
Die im Bauwesen üblichen Zemente bestehen aus Haupt- und Nebenbestandteilen.
Hauptbestandteile sind der Portlandzementklinker und sog. Zumahlstoffe, die
meist puzzolanische oder latent-hydraulische Eigenschaften besitzen, insbesondere Hüttensand, Silicastaub, natürliche oder künstliche Puzzolane, Flugasche, gebrannter Schiefer oder Kalksteinmehl.
Nebenbestandteile sind insbesondere Calciumsulfat (Gips) und andere anorganische und organische Zusätze in kleinen Mengen (0 - 5 M.-%).
Der klassische Zement im Bauwesen ist der Portlandzement, der nach DIN 1164
Teil 1 einen Anteil von 95 - 100 M.-% an Portlandzementklinker aufweisen muss.
D.4.1.4.3
Komponenten und Herstellung
Die häufigsten Ausgangsprodukte zur Herstellung von Zement sind Kalkstein und
Ton oder Kalkmergel sowie ggf. die Zumahlstoffe und weitere Zusätze. Ähnlich
den hydraulischen Kalken bestehen sie aus folgenden Hauptkomponenten:
Kalk
CaO
=
C
Kieselsäure
SiO2
=
S
Tonerde
Al2O3
=
A
Eisenoxid
Fe2O3
=
F
Durch Erhöhung der Brenntemperatur auf etwa 1250 - 1900°C bei der Herstellung
(Brenntemperatur bei gebrannten hydraulischen Kalken ca. 1200°C) entsteht neben dem Dicalciumsilicat 2 CaO . SiO2 = C2S das labilere und daher schneller
hydratisierende
Tricalciumsilicat
3 CaO . SiO2 ≡ C3S
Die Bildung von C2S und C3S erfolgt in einem Sintervorgang durch Reaktionen der
Komponenten im festen Zustand. Der Vorgang würde eine äußerst feine Zerkleinerung der Ausgangskomponenten erfordern. Die Rohprodukte zur Zementherstellung enthalten jedoch neben CaO und SiO2 auch die niederschmelzenden Komponenten Al2O3 und Fe2O3, in deren Schmelze sich CaO und SiO2 teilweise lösen.
Nach der Reaktion und Abkühlung entstehen harte, dichte Stücke mit Durchmessern bis zu mehreren Zentimetern, die als Portlandzementklinker bezeichnet werden.
- 153 Dieser besteht aus folgenden Hauptkomponenten:
Tricalciumsilicat
C3S
3 CaO . SiO2
45 - 80 M.-%
Dicalciumsilicat
C2S
2 CaO . SiO2
0 - 32 M.-%
Tricalciumaluminat
C3A
3 CaO . Al2O3
7 - 15 M.-%
C4AF
4 CaO . Al2O3 . Fe2O3
4 – 14 M.-%
Tetracalciumaluminatferrit
Als Nebenbestandteile enthält Portlandzementklinker noch geringe Mengen an
MgO; SO3; K2O; Na2O; CaO (freier Kalk).
Schließlich wird dem gemahlenen Portlandzementklinker zur Regelung des Abbindevorgangs eine kleine Menge (1 - 3 M.-%) an Gips zugegeben.
SCHOTTER
Gewinnen
ROHMEHL
Brechen
Lagern
Trocknen und
Mahlen
Abscheiden
KLINKER
Lagern
Brennen
Homogenisieren
Konditionieren der
Abgase
Hüttensand
Klinker
Traß
Gips
ZEMENT
Mahlen
Lagern
PZ
EPZ HOZ
Verladen
TrZ
sackweise
lose
Abbildung D.4.1: Schema der Zementherstellung im Drehrohrofen nach dem Trockenverfahren nach [A.1]
- 154 Die Herstellung des Portlandzementes erfolgt in folgenden Schritten:
1. Gewinnung der Ausgangsmaterialien Kalkstein und Ton oder Mergel
2. Zerkleinern und Mahlen der Ausgangsmaterialien
3. Vermischen der Komponenten unter Beachtung eines geforderten Verhältnisses CaO und SiO2 mit oder ohne Zugabe von Wasser (Nass- oder Trockenverfahren)
4. Brennen des Mischgutes in einem Drehofen zur Erzeugung des Portlandzementklinkers
5. Abkühlen und Mahlen des Klinkers unter Zugabe von Gips und ggf. Zumahlstoffen und Zementzusatzmitteln
6. Abfüllen des Zementes in Säcke, Silos etc.
D.4.1.4.4
Die Hydratation des Portlandzementes
Mischt man Zement mit Wasser, so entsteht Zementleim. Durch Erhärtung wird er
in Zementstein umgewandelt. Die Erhärtung (Hydratation) läuft im Wesentlichen in
drei Stadien ab:
Stadium 1: Beginnt unmittelbar nach Wasserzugabe. Die Reaktion zwischen C3A,
Gips und Wasser führt zur Bildung von sehr dünnen, nadelartigen Kristallen ≡ Ettringit. Der Zementleim wird zwar steifer, ist aber thixotrop
und bleibt verarbeitbar.
Stadium 2: Beginnt etwa 1/2 Stunde nach Wasserzugabe, erstreckt sich bis zum
Erstarrungsbeginn (eine bis mehrere Stunden nach Wasserzugabe).
Die Ettringitbildung geht zurück. Der Zement ist chemisch relativ inaktiv. Zur Definition von Erstarrungsbeginn und Erstarrungsende siehe
Abschn. D.4.1.4.8.
Stadium 3: Beim Erstarrungsbeginn verliert der Zementleim deutlich seine Verarbeitbarkeit. Einsetzen von Erhärtung durch Reaktion des C3S unter
Bildung von Calciumsilikathydraten und Calciumhydroxid. Mit zunehmendem Alter nimmt auch C2S am Hydratationsvorgang teil. Bei ausreichendem Vorhandensein von Wasser erstreckt sich der Erhärtungsvorgang über mehrere Jahre.
Die Hauptkomponenten des Portlandzementes C2S und C3S reagieren mit Wasser entsprechend folgender Beziehungen (Symbole der Zementchemie):
2 C2S + 4 H → C3S2H3 + CH
2 C3S + 6 H → C3S2H3 + 3 CH
Beide Komponenten bilden also dieselben Hydratationsprodukte
C3S2H3
Calciumsilikathydrat und
CH
Calciumhydroxid.
Die Komponente C3A reagiert mit Wasser und Gips zu:
C3A + 3 CS H2 + 26 H → C3A . 3 CS . H32 oder C6AS 3. H32
Das Reaktionsprodukt wird nach einem in der Natur vorkommenden, nadelförmigen Mineral gleicher Zusammensetzung Ettringit genannt. Trotz der frühzeitigen
Ettringitbildung bleibt der Beton verarbeitbar. Das Ettringit ist nur in sulfatreichen
Lösungen stabil. In sulfatarmen, kalkreichen Lösungen bildet sich das sog. Monosulfat, in das auch Ettringit in höherem Alter umgewandelt wird:
2 C3A + C6AS 3H32 + 4 H → 3 C4AS H12
- 155 Die Ettringitbildung ist mit einer Volumenvergrößerung verbunden, die im noch
nicht erhärteten Zementstein unschädlich ist. Sie kann aber zu einer erheblichen
Schädigung des Betons führen, wenn Ettringit im Festbeton durch Reaktion von
C3A und Sulfaten entsteht, die von außen in den erhärteten Beton eindringen (siehe Abschnitt D.10.7).
Ohne Zugabe von Gips würde das C3A sehr schnell mit Wasser reagieren und zu
einem frühzeitigen Erstarren des Betons führen:
C3A + 21 H → C4AH13 + C2AH8
In höherem Alter wird das C4AH13 in das stabile 2 C3A6 umgewandelt.
Die Reaktion der Komponente C4AF wird ebenfalls durch Gips verzögert. Es entstehen Hydratationsprodukte der allgemeinen Form C6(A,F)S 3·H32.
Die Hydratationsprodukte des Zementes, vor allem die C-S-H-Komponenten, bestehen zum großen Teil aus mikrokristallinen Partikeln kolloidaler Größe, so dass
die Struktur des erhärteten Zementsteins einem starren Gel entspricht. Seine Eigenschaften werden in Abschnitt 8 näher besprochen.
D.4.1.4.5
Hydratation einiger Zumahlstoffe
Hüttensand ist ein latent hydraulischer Stoff. Er entsteht durch schnelles Abkühlen
flüssiger Hochofenschlacke. Er hat eine teilweise glasige Struktur und reagiert in
Anwesenheit eines Anregers, im Allgemeinen Calciumhydroxid, unter Bildung von
Hydratationsprodukten, mit Wasser. Seine wichtigsten Bestandteile sind CaO,
MgO, Al2O3 und SiO2, wobei der Anteil des CaO ausreichend hoch sein muss.
Über die Zusammensetzung und die Hydratation von Flugasche sowie von Silicastaub siehe Abschnitt D.4.2.2.
Trass und andere natürliche Puzzolane enthalten reaktionsfähige Silikate, die in
Verbindung mit dem bei der Reaktion der Portlandzementklinker entstehenden
Calciumhydroxid Calciumsilikathydrate bilden. Gebrannter Schiefer, der als Zumahlstoff für die Zementherstellung Verwendung findet, wird aus einem bituminösen, kalkhaltigen Ölschiefer gewonnen. Durch Brennen bei ca. 800°C entsteht daraus ein selbständig erhärtendes Bindemittel. Kalksteinmehl ist relativ inert, kann
aber unter bestimmten Bedingungen ebenfalls zur Festigkeitsentwicklung beitragen.
D.4.1.4.6
Eigenschaften der Zementkomponenten
Die Komponenten C3S und C2S sind für die Festigkeitsentwicklung des Zementsteins am wichtigsten. Während C3S für die Anfangserhärtung maßgebend ist,
führt C2S zur weiteren Erhärtung des Zementsteins in höherem Alter.
Da die Zementhydratation ein exothermer Prozess ist, wird bei der Reaktion der
Zementkomponenten Hydratationswärme frei. Sie ist bei C3S größer als bei C2S
(siehe Tabelle D.4.1).
Die Komponente C3A bewirkt eine schnelle Anfangserhärtung, hohe Hydratationswärme und schnelles Erstarren. Das Erstarren kann durch Zugabe von Gips
verzögert werden, da die so eingeleitete Ettringitbildung nur zu einer geringen Versteifung des Zementleims führt. Die Reaktion von C3A mit Sulfaten (z.B. Gips) und
Wasser ist mit einer Volumenvergrößerung verbunden. Tritt sie im erhärteten Beton auf, so kann sie diesen zerstören. Zement mit hohem Gehalt an C3A ist daher
gegen Sulfate, die in den erhärteten Zementstein eindringen, nicht widerstandsfähig (siehe Abschnitt D.10.7).
Die Komponente C4AF erhärtet langsam, beeinflusst die Färbung des Zementes
und ist für die Zementherstellung von Nutzen.
Die Nebenkomponenten CaO, MgO, Na2O, K2O sind meist unerwünscht. Größere Mengen an CaO und MgO führen zum Kalk- bzw. Magnesiatreiben. Na2O und
- 156 K2O können zu schädlichen Reaktionen mit manchen Zuschlägen, z.B. Silikate in
amorpher Form, führen (siehe Abschnitt D4.4.5).
Druckfestigkeit [N/mm²]
80
C3S
60
C2S
40
20
C3A
0
C4AF
0
28
90
180
360
Alter in Tagen
Abbildung D.4.2: Festigkeitsentwicklung der Komponenten des Portlandzements
Die Eigenschaften aller Zementkomponenten und damit auch der Zemente können
durch die Mahlfeinheit [m2/kg] wesentlich beeinflusst werden. Sehr fein gemahlene
Zemente besitzen eine hohe Oberfläche, die mit Wasser reagieren kann. Große
Mahlfeinheit führt daher zu einer schnellen Festigkeitsentwicklung, hoher Hydratationswärme und erhöhtem Schwinden.
Druckfestigkeit [N/mm²]
45
365 Tg
40
35
90 Tg
28 Tg
30
25
7 Tg
300
350
400
450
500
Spezifische Oberfläche [m²/kg]
Abbildung D.4.3: Anstieg der Festigkeit von Beton mit der Feinheit des Zementes
im Alter von 7, 28, 90 und 365 Tagen
- 157 Zusammenfassung der Eigenschaften der Komponenten des Portlandzementes:
Klinkerphase
Eigenschaften
Hydratationswärme
[J/g]
C3S
Schnelle Anfangserhärtung
Hohe Wärmeentwicklung
500
C2S
Langsame, stetige Erhärtung
Niedrige Wärmeentwicklung
250
C3A
In größeren Mengen:
Schnelle Anfangserhärtung
und Erstarrung
Hohe Wärmeentwicklung
Geringer Sulfatwiderstand
1340
C4AF
Langsame Erhärtung
Färbung des Zements
420
Die Zumahlstoffe Hüttensand, Flugasche und natürliche Puzzolane führen zu einer
langsameren Festigkeitsentwicklung und einer Reduktion der Hydratationswärme.
Ihr Beitrag zur Festigkeit wird erst in höherem Alter wirksam. Sie können darüber
hinaus zu einer Erhöhung des Widerstands von Beton gegen chemischen Angriff,
insbesondere Sulfate, wesentlich beitragen (siehe dazu Abschnitt D.10.7). Silicastaub ist aufgrund seiner hohen spezifischen Oberfläche schon frühzeitig reaktiv. Neben seiner puzzolanischen Wirkung trägt er durch Verbesserung der Packungsdichte der Zementpartikel zu einer Erhöhung der Betondruckfestigkeit bei.
D.4.1.4.7
Normenzemente
Durch Kontrolle des Gehalts an den Komponenten C3S, C2S, C3A, C4AF sowie der
Zumahlstoffe und der Mahlfeinheit können die Eigenschaften der Zemente, insbesondere Festigkeitsentwicklung, Hydratationswärme, Sulfatwiderstand u.a. in weiten Grenzen variiert werden.
In den Normen DIN EN 197-1 bzw. DIN 1164 (siehe Abschnitt D.3.1) sind die Zemente, die in Deutschland im Betonbau eingesetzt werden können, erfasst. Sie
werden als sog. CEM-Zemente bezeichnet. Tabelle D.4.1 gibt einen Überblick der
Zusammensetzung und Bezeichnung der Zemente.
Nach dieser Tabelle wird zwischen 5 Hauptgruppen von Zementen unterschieden:
CEM I
Zemente mit 95 bis 100 M.-% Portlandzementklinker
CEM II
Zemente mit 65 bis 94 M.-% Portlandzementklinker und einem geringen
Anteil weiterer Komponenten
CEM III Zemente mit 5 bis 64 M.-% Portlandzementklinker und einem hohen Anteil an Hüttensand
CEM IV Zemente mit 45 bis 89 M.-% Portlandzementklinker und einem hohen Anteil an Puzzolanen bzw. Flugasche
CEM V
Zemente mit 20 bis 64 M.-% Portlandzementklinker und einem hohen Anteil an Hüttensand und Puzzolanen bzw. Flugasche
Innerhalb der Hauptgruppen II bis V wird je nach Gehalt an Zumahlstoffen (A bzw.
B) weiter differenziert. Die Zemente der Hauptgruppe CEM II, CEM IV und CEM V
unterscheiden sich ferner in der Art der Zumahlstoffe.
Da bis vor kurzem in Deutschland noch andere Bezeichnungen der Zementarten
üblich waren und in zahlreichen Fachbereichen verwendet werden, sind in Tabelle
D.4.2 die alten und die neuen Zementbezeichnungen gegenübergestellt.
Tabelle D.4.1:
Arten der CEM - Zemente und Zusammensetzung in M.-% nach DIN EN 197-1, Ausgabe 06.2000
Zusammensetzung: (Massenanteile in Prozent)
Bezeichnung
Hauptbestandteile
Zementart
CEM I
Portlandzement
Portlandhüttenzement
Portlandsilicastaubzement
Portlandpuzzolanzement
CEM II
a
Portlandflugaschezement
Portlandschieferzement
Portlandkalksteinzement
Portlandkompositzement
CEM III
Hochofenzement
CEM IV
Puzzolanzement
CEM V
Kompositzement
c
c
c
Portlandzement
klinker
Hüttensand
Silicastaub
K
K
D
-
-
b
CEM I
95 bis 100
CEM II/A-S
CEM II/B-S
CEM II/A-D
CEM II/A-P
CEM II/B-P
CEM II/A-Q
CEM II/B-Q
CEM II/A-V
CEM II/B-V
CEM II/A-W
CEM II/B-W
CEM II/A-T
CEM II/B-T
CEM II/A-L
CEM II/B-L
CEM II/A-LL
CEM II/B-LL
CEM II/A-M
CEM II/B-M
80 bis 94
65 bis 79
90 bis 94
80 bis 94
65 bis 79
80 bis 94
65 bis 79
80 bis 94
65 bis 79
80 bis 94
65 bis 79
80 bis 94
65 bis 79
80 bis 94
65 bis 79
80 bis 94
65 bis 79
80 bis 94
65 bis 79
6 bis 20
21 bis 35
-
6 bis 10
CEM III/A
CEM III/B
CEM III/C
35 bis 64
20 bis 34
5 bis 19
36 bis 65
66 bis 80
81 bis 95
-
CEM IV/A
CEM IV/B
65 bis 89
45 bis 64
-
CEM V/A
CEM V/B
40 bis 64
20 bis 38
18 bis 30
31 bis 50
-
Puzzolane
Flugasche
natürlich
kieselnatürlich
kalkreich
getempert säurereich
P
Q
V
W
-
-
-
-
Kalkstein
T
L
LL
-
-
-
6 bis 20
21 bis 35
6 bis 20
21 bis 35
6 bis 20
21 bis 35
6 bis 20
21 bis 35
6 bis 20
21 bis 35
6 bis 20
21 bis 35
6 bis 20
21 bis 35
6 bis 20
21 bis 35
-
-
-
-
11 bis 35
36 bis 55
-
Gebrannter
Schiefer
18 bis 30
31 bis 50
-
Nebenbestandteile
0 bis 5
0 bis 5
0 bis 5
0 bis 5
0 bis 5
0 bis 5
0 bis 5
0 bis 5
0 bis 5
0 bis 5
0 bis 5
0 bis 5
0 bis 5
0 bis 5
0 bis 5
0 bis 5
0 bis 5
0 bis 5
0 bis 5
0 bis 5
-
-
-
0 bis 5
0 bis 5
0 bis 5
-
-
-
0 bis 5
0 bis 5
-
-
-
0 bis 5
0 bis 5
a
Die Werte in der Tabelle beziehen sich auf die Summe der Haupt- und Nebenbestandteile.
b
Der Anteil von Silicastaub ist auf 10 M.-% begrenzt.
c
In den Portlandkompositzementen CEM II/A-M und CEM II/B-M, in den Puzzolanzementen CEM IV/A und CEM IV/B und in den Kompositzementen CEM V/A und in CEM V/B müssen die Hauptbestandteile außer Portlandzementklinker durch die Bezeichnung des Zements angegeben werden.
- 159 Tabelle D.4.2: Gegenüberstellung der alten und neuen Zementbezeichnungen
neu
alt
Portlandzement
Portlandzement (PZ)
Portlandhüttenzement
Eisenportlandzement (EPZ)
Portlandpuzzolanzement
Trasszement (TrZ)
Portlandflugaschezement
Flugaschezement (FAZ)
Portlandschieferzement
Portlandölschieferzement (ÖPZ)
Portlandkalksteinzement
Portlandkalksteinzement (PKZ)
Flugaschehüttenzement (FAHZ)
Portlandkompositzement
Portlandflugaschehüttenzement (CEM II/B-SV)
Hochofenzement
Hochofenzement (HOZ)
Für neuere Zementtypen, die in Tabelle D.4.2 (links) nicht aufgeführt sind, existiert
keine entsprechende alte Bezeichnung.
Nach DIN EN 197-1 werden die Zemente auch in Festigkeitsklassen eingeteilt, die
in der folgenden Tabelle zusammengefasst sind. Diese Tabelle enthält auch
Richtwerte für die Hydratationswärmeentwicklung solcher Zemente. Um Verwechslungen zu vermeiden, sind Zemente einheitlich zu bezeichnen. Die in DIN 1164 geforderten Farbkennzeichnungen sind ebenfalls in dieser Tabelle enthalten.
Tabelle D.4.3: Klassifizierung der Zemente nach DIN EN 197-1 bzw. DIN 1164
Druckfestigkeit (N/mm2)
Festigkeitsklasse
Anfangs
festigkeit
Normfestigkeit
28 Tg.
Kennzeichnung
durch Farbe
Sack
Aufdruck
Hydratationswärme nach
2 Tg.
7 Tg.
7 Tagen
min.
min.
min.
max.
32,5 N
-
16
32,5
52,5
hellbraun
schwarz
150-300
32,5 R
10
-
32,5
52,5
hellbraun
rot
275-380
42,5 N
10
-
42,5
62,5
grün
schwarz
275-380
42,5 R
20
-
42,5
62,5
grün
rot
340-380
52,5 N
20
-
52,5
-
rot
schwarz
340-380
52,5 R
30
-
52,5
-
rot
weiß
340-380
[J/g]
Ein R-Zement erhärtet schnell bei höherer Wärmeentwicklung (hohe Anfangsfestigkeit; früher: F-Zemente).
Beachte: Nicht alle Zementarten werden in allen Festigkeitsklassen hergestellt.
- 160 Zemente mit besonderen Eigenschaften:
Für manche Bauwerke und Zuschläge ist es erforderlich, Zemente mit besonderen
Eigenschaften zu verwenden. Diese besonderen Eigenschaften können meist nur
durch eine Begrenzung des Gehaltes bestimmter Zementkomponenten erreicht
werden (DIN 1164):
NW-Zemente: Zemente mit niedriger Wärmetönung dürfen in den ersten 7 Tagen
nur eine Wärmemenge von max. 270 J/g Zement entwickeln.
HS-Zemente:
Zemente mit hohem Sulfatwiderstand. Bei Portlandzementen
(CEM I) ist der Gehalt von C3A auf 3 M.-% und der Gehalt von
Al2O3 auf 5 M.-% beschränkt. Bei den Hochofenzemente sind die
Zementtypen CEM III/B und CEM III/C gemäß Tab. D.4.1 zulässig.
NA-Zemente:
Zemente mit niedrigem Alkaligehalt zur Vermeidung von AlkaliZuschlagreaktionen (siehe Abschnitt 4.4.5)
CEM I bis V
Na2O-Äquivalent ≤ 0,60 %
CEM II/B-S
Anteil Hüttensand ≥ 21 M.-%
Na2O-Äquivalent ≤ 0,70 %
CEM III/A
Anteil Hüttensand ≤ 49 M.-%
Na2O-Äquivalent ≤ 0,95 %
Anteil Hüttensand ≥ 50 M.-%
Na2O-Äquivalent ≤ 1,10 %
CEM III/B u. C
Na2O-Äquivalent ≤ 2,00 %
Normenbezeichnung der Zemente nach DIN EN 197-1 bzw. DIN 1164:
Diese erfolgt nach Art und Festigkeitsklasse des Zements, nach der Festigkeitsentwicklung und ggf. nach besonderen Eigenschaften.
Beispiele:
•
Kompositzement mit einem Hüttensandanteil (S) zwischen 18 % und 30 %
und einem Anteil kieselsäurereicher Flugasche (V) zwischen 18 % und 30
% sowie einer üblichen Festigkeitsentwicklung in der Festigkeitsklasse
32,5:
Kompositzement EN 197-1 – CEM V/A (S-V) 32,5 N
•
Hochofenzement, Hüttensandgehalt 66 - 80 M.-%, Festigkeitsklasse 32,5,
übliche Anfangsfestigkeit, niedrige Hydratationswärme, hoher Sulfatwiderstand:
Hochofenzement DIN 1164 – CEM III/B 32,5 – NW/HS
D.4.1.4.8
Eigenschaften und Prüfung von Zementen
Beschaffenheit und Zusammensetzung der Zemente können insbesondere folgende Eigenschaften eines damit hergestellten Betons entscheidend beeinflussen:
• Erstarrungsverhalten (Länge des Zeitraums, innerhalb dem der Frischbeton
verarbeitbar bleibt)
• Raumbeständigkeit
• Festigkeitsentwicklung und Verformungseigenschaften
• Wärmeentwicklung während der Erhärtung
• Widerstand gegen chemische Angriffe
- 161 Die Kontrolle dieser Eigenschaften erfordert daher eine laufende Überwachung
des zur Betonherstellung verwendeten Zementes. Die dazu erforderlichen wichtigsten Versuche sind in DIN EN 196 festgelegt.
Festigkeitsentwicklung und Betontemperatur:
Wegen ihres Gehalts an latent hydraulischen Stoffen oder Puzzolanen hydratisieren Zemente mit Zumahlstoffen meist langsamer als Portlandzement CEM I. Sie
zeigen daher auch in höherem Alter noch eine deutliche Festigkeitssteigerung (siehe Abbildung D.4.4).
Betondruckfestigkeit in %
der 28-Tage-Werte
160
CEMIII/A
III/A
32,5
CEM
32,5
N
120
CEM
RR
CEMI 32,5
I 32,5
CEMI 52,5
I 52,5
CEM
RR
80
40
0
0
3
7
28
90
Alter in Tagen (Wurzelmaßstab)
180
Abbildung D.4.4: Zeitliche Entwicklung der Druckfestigkeit von Betonen aus unterschiedlichen Zementen
Wegen ihrer geringeren Hydratationswärme sind solche Zemente z. B. zum Bau
dickwandiger Konstruktionen besonders geeignet.
Dies geht auch aus den nachstehenden Diagrammen (Abbildung D.4.5) hervor, in
denen die Erhöhung der Betontemperatur als Folge der Hydratationswärme für Beton aus unterschiedlichen Zementen bei Bauteilen unterschiedlicher Dicke in Abhängigkeit vom Betonalter aufgetragen ist.
- 162 -
Temperaturanstieg [°C]
50
CEM I 32,5 R
β wN = 45 N/mm²
40
6m
30
3m
20
2m
10
1m
0
Temperaturanstieg [°C]
50
CEM III 32,5 N
β wN = 40 N/mm²
40
6m
30
3m
20
2m
10
1m
0
Temperaturanstieg [°C]
40
CEM III 32,5 N NW/HS
β wN = 30 N/mm²
30
6m
20
3m
10
0
1m
0
2
2m
4
6
8
10
Alter des Betons (Tage)
12
14
Abbildung D.4.5: Verlauf des Temperaturanstiegs im Kern von Betonbauteilen
unterschiedlicher Dicke (Zementgehalt 300 kg/m3)
Druckfestigkeit (DIN EN 196 Teil 1):
Bestimmung der Druckfestigkeit an Hälften von Prismen 40/40/160 [mm] aus einer
Mörtelmischung aus 1 Massenanteil Zement, 3 M.-Teilen Normensand und 0,5 M.Teilen Wasser im Alter von 2, 7 und 28 Tagen. Geforderte Festigkeiten siehe Abschnitt D.4.1.4.7.
Erstarrungsverhalten (DIN EN 196 Teil 3):
Ermittlung von Erstarrungsbeginn und Erstarrungsende durch Messung der Eindringtiefe einer Nadel (Vicatnadel) in einen steifen Zementbrei mit einem Wasserzusatz von 23 bis 30 M.-%. Der Erstarrungsbeginn darf frühestens 1 Stunde nach
dem Anmachen eintreten. Das Erstarrungsende soll nach spätestens 12 Stunden
erreicht sein.
- 163 Mahlfeinheit (DIN EN 196 Teil 6):
Bestimmung der spezifischen Oberfläche [m2/kg] durch Ermittlung der Luftdurchlässigkeit eines Zementpulvers nach dem Verfahren von BLAINE. Es beruht auf der
Beobachtung, dass mit steigender Oberfläche (= wachsender Mahlfeinheit) die
Gasdurchlässigkeit eines verdichteten Pulvers abnimmt. Erforderlicher Mindestwert: 220 m2/kg.
Raumbeständigkeit (DIN EN 196 Teil 3):
Hohe Gehalte an freiem Kalk, Magnesia oder Sulfaten können bei Wassereinwirkung zu einem Treiben (starke Volumenvergrößerung) und damit zu Rissen im
Zementstein bzw. Beton führen. Der Treibvorgang kann durch Temperaturerhöhung beschleunigt werden, so dass die Raumbeständigkeit eines Zementes in einem Kochversuch in kurzer Zeit überprüft werden kann. Dazu wird ein aus Zementbrei hergestellter Kuchen in Wasser gekocht. Er muss auch nach dieser Behandlung scharfkantig und rissefrei bleiben und darf sich um nicht mehr als 2 mm
verwölben.
Widerstand gegen chemische Angriffe (DIN EN 196 Teil 2):
Dieser ist durch die chemische Zusammensetzung des Zementes bestimmt und
kann nur durch eine chemische Analyse oder durch andere in Deutschland nicht
genormte Schnellversuche überprüft werden.
Gehalt an Wasser und CO2 (DIN EN 196 Teil 21):
Bei ungenügendem Schutz des Zementes gegen Feuchtigkeit kann dieser schon
vor seiner Verarbeitung hydratisieren. Das Ausmaß dieser Hydratation sowie der
Gehalt an CO2 kann aus dem Glühversuch (Erhitzen des Zementes auf
T ≈ 1000°C und Bestimmung des Gewichtsverlustes) ermittelt werden. Er darf bei
CEM I, CEM II/A(B)-S und CEM III/A(B) 5 M.-%, bei CEM II/A(B)-P 7 M.-% nicht
überschreiten.
Hydratationswärme (DIN EN 196 Teil 8 und Teil 9):
Die Hydratationswärme ist nach DIN 1164 nur für NW-Zemente begrenzt. Sie wird
nach dem Lösungswärmeverfahren (DIN EN 196 Teil 8) oder nach dem teiladiabatischen Verfahren (DIN EN 196 Teil 9) bestimmt und darf einen Wert von 270 J/g
Zement nach 7 Tagen nicht überschreiten.
Für einige der CEM-Zemente (Puzzolanzemente) ist deren Puzzolanität (Reaktionsfähigkeit) zu überprüfen (DIN EN 196 Teil 5).
Andere Eigenschaften:
Zement hat je nach Art eine Rohdichte zwischen 2,90 und 3,20 kg/dm3.
CEM I:
3,10 - 3,20 kg/dm3
CEM II/A(B)-S:
3,04 kg/dm3
CEM III:
3,00 kg/dm3
CEM II/A(B)-P:
2,93 kg/dm3
Die Farbe des Zementes (grau bis weiß) hängt von den Rohstoffen (Fe2O3), der
Art des Brennens und der Mahlfeinheit ab, sagt aber über die Zementeigenschaften nichts aus.
Zementleim neigt häufig dazu, vor dem Erstarren Wasser abzusondern (Bluten).
Die Neigung zum Bluten nimmt mit steigender Mahlfeinheit ab.
Durch chemische Reaktion und Wasserverlust wird das Volumen des Zementsteins gegenüber dem Ausgangsvolumen u. U. um mehrere Prozent verringert
(Schrumpfen; Schwinden). Unter Dauerlast wachsen die Verformungen des Zementsteins auf ein Vielfaches der Anfangsverformungen an (Kriechen, siehe Abschnitt D.9).
- 164 Literatur:
[D.4.1]
ZEMENT-TASCHENBUCH 1984, Bauverlag GmbH, Düsseldorf
[D.4.2]
CZERNIN, W.: Zementchemie für Bauingenieure, Bauverlag GmbH, Wiesbaden-Berlin, 1977
[D.4.3]
HILSDORF, H. K. & REINHARDT, H. W.: Beton aus Betonkalender 2000,
Verlag Ernst & Sohn, Berlin, 2000
[D.4.4]
GRÜBL, P.; WEIGLER, H.; KARL, S.: Beton: Arten - Herstellung - Eigenschaften, Verlag Ernst & Sohn, Berlin, 2001
[D.4.5]
BASALLA, A.: Baupraktische Betontechnologie Bauverlag GmbH, Düsseldorf, 1984
- 165 -
D.4.2
Betonzusatzmittel und Betonzusatzstoffe
Definition:
Betonzusatzmittel und Betonzusatzstoffe werden dem Frischbeton
flüssig oder als Pulver zugegeben, um die Frischbeton- und/oder
die Festbetoneigenschaften günstig zu beeinflussen
Betonzusatzmittel: Zugabe in Mengen ≤ 50 g oder 50 cm³ je kg Zement
Betonzusatzstoffe: Zugabe in Mengen > 50 g oder 50 cm³ je kg Zement
Für Beton dürfen nur Substanzen als Zusatzmittel oder Zusatzstoffe verwendet
werden, die vom Deutschen Institut für Bautechnik (DIBt) zugelassen sind und ein
Prüfzeichen besitzen. Ihre Verwendung erfordert immer eine Eignungsprüfung des
damit herzustellenden Betons. In jedem Fall ist sorgfältig zu überprüfen, ob Zusatzmittel oder Zusatzstoffe nicht auch schädliche Wirkungen auf den Beton oder
bei Stahl- oder Spannbeton auf die Bewehrung haben können.
D.4.2.1
Betonzusatzmittel
Betonverflüssiger (BV) machen den Frischbeton flüssiger (leichter verarbeitbar)
bzw. verringern die für eine bestimmte Verarbeitbarkeit des Frischbetons erforderliche Wassermenge.
Chemische Substanzen: ligninsulfosaure Salze; anorganische Salze, z.B. von
Hydroxylcarbonsäuren
Wirkungsweise: Dispergierung von Zementagglomeraten und Schmierwirkung.
Oberflächenaktive Stoffe setzen die Oberflächenspannung des Wassers herab,
und/oder führen zu einer gleichmäßigeren Verteilung der feinen Feststoffe (Zement
und Feinsand).
Fließmittel (FM): Eine besondere Gruppe der Betonverflüssiger bilden die Fließmittel. Es wird zwischen zwei Gruppen unterschieden:
(1)
Bei FM auf der Basis von Melamin oder Ligninsulfonaten tritt keine Verzögerung der Erstarrung des Betons ein. Die verflüssigende Wirkung ist bereits nach ca. 30 Minuten beendet.
(2)
Die Naphthalinderivate können auch zu einem verzögerten Erstarren des
Betons führen, wobei die verflüssigende Wirkung bis zu 2 Stunden anhält.
Fließmittel können die Wirkung von LP-Mitteln beeinflussen. Bei der Herstellung
von Fließbeton (siehe Kapitel 5) ist wegen meist nur begrenzter Wirkungsdauer
der Fließmittel häufig ein Nachdosieren erforderlich.
Luftporenbilder (LP) erzeugen im Zementleim ein System gleichmäßiger, verteilter
kleiner Luftporen, die während des Mischens des Betons stabil bleiben und sich
erst nach sehr langer Wasserlagerung des erhärteten Betons mit Wasser füllen.
Luftporenbildner erhöhen den Frostwiderstand des Betons (siehe Kapitel 10). Da
sie im Frischbeton wie Kugellager wirken, verbessern sie, ähnlich den BV-Mitteln,
auch die Verarbeitbarkeit des Frischbetons.
Chemische Substanzen: Wurzelharze; Ligninsulfonate; Salze
verbindungen und Proteinsäuren
der
Carboxyl-
Wirkungsweise: Stabilisierung von Schaum und Luftblasen in einer wässrigen Lösung durch bevorzugte Adsorption an Oberflächen und Reduktion der Oberflächenspannung.
Betondichtungsmittel (DM) sollen die Wasserundurchlässigkeit des erhärteten
Zementsteins und damit des Betons verbessern. Dies geschieht zum Teil durch
eine gewisse wasserabstoßende Wirkung des Zusatzmittels, das auch begrenzt
quellfähige Substanzen enthalten kann.
Die dichtende Wirkung von DM-Mitteln ist häufig zeitlich begrenzt, und es ist sinnvoll, dichten Beton durch einen entsprechenden Aufbau des Betons (geringer ωWert; gute Verdichtung und Nachbehandlung) zu erreichen.
Chemische Substanzen: Fettsaure Verbindungen, z.B. Kalziumstearat, Natriumoleat; Abbauprodukte des Eiweißes
- 166 Erstarrungsverzögerer (VZ) behindern die Einleitung der Hydratation und verlängern den Zeitraum vom Mischen bis zum Erstarrungsbeginn, so dass die Verarbeitungszeit des damit hergestellten Betons verlängert wird. Die Erhärtung des Betons wird im Allgemeinen von VZ-Mitteln nicht oder nur wenig beeinflusst.
Chemische Substanzen: Phosphate; Oxylcarbonsäuren und deren Salze; Sulfonate; Glukonate
Wirkungsweise: Verzögern des Inlösunggehens der Aluminate; Bildung von Zwischenprodukten an der Oberfläche der Zementkörner, so dass weitere Hydratation
verzögert wird.
Erstarrungsbeschleuniger (BE) beschleunigen den Hydratationsvorgang und erhöhen damit die Frühfestigkeit des Zementsteins bzw. des Betons.
Chemische Substanzen: Salze, die in wässriger Lösung alkalisch reagieren, z.B.
Natriumkarbonat, Aluminate, Silikate. Ferner Natriumnitrit, Natriumfluorid und organische Stoffe.
Wirkungsweise: Beschleunigtes Inlösunggehen der Bestandteile des Zementes.
Förderung der Keimbildung zur Auskristallisation des Calciumhydroxides.
Beachte: Das früher als Beschleuniger häufig verwendete Calciumchlorid CaCl2
sowie andere chloridhaltige Zusatzmittel dürfen für Stahlbeton- und Spannbetonkonstruktionen wegen der damit verbundenen Korrosionsgefährdung des Bewehrungs- bzw. Spannstahles nicht mehr verwendet werden.
Einpresshilfen für Einpressmörtel bei Spannbeton (EH) enthalten Treibmittel, welche das Volumen der flüssigen Einpressmörtel vergrößern, die in die Spannkanäle
von Spannbetonkonstruktionen eingepresst werden. Damit kann eine gleichmäßige, hohlraumfreie Füllung der Spannkanäle erzielt und das Bluten des Einpressmörtels reduziert werden.
Chemische Substanzen: z.B. Aluminiumpulver, das in einem alkalischen Medium
unter Bildung von Wasserstoff oxidiert.
Stabilisierer (ST): Stabilisierer werden dem Beton zugegeben, um ein Entmischen
(Bluten) zu vermeiden. ST wirken teilweise etwas verflüssigend. Sie bestehen aus
hochmolekularen Polymeren.
Schlussbemerkung:
Manche Zusatzmittel können gleichzeitig verschiedene, z.T. unerwünschte Wirkungen haben.
Beispiele:
Manche Verzögerer erzeugen auch Luftporen; Fließmittel können
verzögernd wirken.
Bei der gleichzeitigen Verwendung verschiedener Zusatzmittel können sich diese
gegenseitig beeinflussen, z.B. Fließmittel und LP-Bildner. Ihre Wirkung ist daher
stets in Eignungsprüfungen besonders sorgfältig zu untersuchen.
Bei falscher Dosierung kann sich die Wirkungsweise eines Zusatzmittels umkehren.
Aus all diesen Gründen ist die Forderung von sorgfältigen Eignungsprüfungen von
Beton bei Verwendung von Zusatzmitteln voll gerechtfertigt.
- 167 -
D.4.2.2
Betonzusatzstoffe
Als Betonzusatzstoffe werden verwendet:
• Inerte Stoffe und Pigmente, z.B. Quarz- oder Kalksteinmehl
• Puzzolane Stoffe, Definition siehe Abschnitt D.4.1.3, insbesondere Trass (Tr),
Steinkohlenflugasche (FA), Silicastaub (SF) und getemperte Gesteinsmehle
(GG)
• Latent hydraulische Stoffe, Definition siehe Abschnitt D.4.1.3, z.B. Hüttensand
(als Betonzusatzstoff in Deutschland derzeit nicht bauaufsichtlich zugelassen)
• Organische Stoffe, z.B. Kunstharzzusätze (Dispersionen)
Inerte Zusatzstoffe, z.B. die Gesteinsmehle reduzieren aufgrund ihrer großen
Mahlfeinheit das Bluten des Frischbetons und verbessern u.U. seine Verarbeitbarkeit.
Als Pigmente zum Einfärben des Betons werden überwiegend Metalloxide, z.B.
Eisenoxidrot, -braun, -schwarz, -gelb, Chromoxidgrün, Manganblau und Titandioxid verwendet. Die Farbwirkung der Pigmente hängt von der Betonzusammensetzung ab und kann zuverlässig nur an trockenen Betonoberflächen beurteilt werden.
Tabelle D.4.4: Eigenschaften und Zusammensetzung von Zement, Silicastaub,
Flugasche, Hüttensand und Trass im Vergleich
mittl. Teilchendurchmesser
Dichte
Spez.
Oberfläche
SiO2
Al2O3
CaO
[µm]
[g/cm³]
[m²/g]
[M.-%]
[M.-%]
[M.-%]
Zement
10 – 20
3,1
0,2 – 0,7
18 – 24
4–8
60 – 70
Silicastaub
0,1 – 0,2
2,3
20 – 25
85 – 98
<2
<1
Flugasche
10 - 20
2,0 – 2,6
0,3 – 1,0
40 - 55
20 - 30
3-7
Hüttensand
10 - 20
2,85
0,4 – 1,0
32 - 40
10 - 16
35 - 45
Trass
10 - 30
1,8 – 2,8
0,5 – 0,8
50 - 75
10 - 25
3 - 15
Stoff
Puzzolane reagieren mit dem im Zementstein vorliegenden Calciumhydroxid unter
Bildung von Calciumsilikathydraten. Da diese Reaktion nur sehr langsam abläuft,
erfolgt eine Festigkeitssteigerung des Betons auch noch in hohem Alter. Die in der
Betontechnologie am meisten verwendeten Puzzolane sind die Flugaschen. Sie
fallen als Rückstände bei der Verbrennung von Kohle in Kraftwerken an und werden über Elektrofilter aus dem Rauchgas abgeschieden. Die Reaktionsfähigkeit
von Flugaschen ist einerseits auf ihre sehr kleine Teilchengröße, andererseits auf
ihre teilweise amorphe bzw. glasige Struktur zurückzuführen. Die Korngrößenverteilung der Flugaschen liegt etwa im Bereich jener von Zementen. Flugaschepartikel sind jedoch in ihrer Form meist kugelig. In Deutschland dürfen z.Zt. nur Steinkohleflugaschen als Betonzusatzstoffe verwendet werden. Dazu ist ein Prüfzeichen des Deutschen Instituts für Bautechnik erforderlich. Für Steinkohleflugaschen
mit Prüfzeichen sind der C-Gehalt (Glühversuch), der SO3- und der Cl-Gehalt beschränkt. Ferner ist die Puzzolanität durch Vergleich der Druckfestigkeit von Mischungen mit und ohne Flugaschen nachzuweisen (siehe Literatur [D.4.3] und
[D.4.4]).
Flugaschen reduzieren wegen ihrer kugeligen Form häufig den Wasseranspruch
des Frischbetons. Sie wirken insbesondere in höherem Alter aufgrund ihrer puzzolanischen Wirkung festigkeitssteigernd und reduzieren die Hydratationswärme.
- 168 In Deutschland kann Flugasche unter bestimmten Voraussetzungen auf den Wasserzementwert und den Zementgehalt angerechnet werden:
(w / z)eq =
mit
w
z + kf ⋅ f
,
(D.4.1)
(w/z)eq = äquivalenter Wasserzementwert
w
= Wassergehalt, kg/m3
z
= Zementgehalt, kg/m3
f
= Flugaschegehalt, kg/m3
kf
= Beiwert, für Außenbauteile 0,3 bis 0,4, siehe [D.4.3]
Flugasche kann den Widerstand von Beton gegen chemischen Angriff, insb. gegen
Sulfate, verbessern, siehe Literatur [D.4.3] und [D.4.4].
Silicastaub (silica fume = SF) besteht zu ca. 95 % aus amorpher Kieselsäure und
ist ein Abfallprodukt bei der Herstellung von Ferro-Silizium-Legierungen. Die Partikel sind kugelig und wesentlich feiner als bei üblichen Zementen. Silicastaub wirkt
schon in jungem Alter festigkeitssteigernd und wird z.Zt. vor allem zur Herstellung
hochfester Betone verwendet. Wegen seiner hohen Feinheit erhöht er den Wasseranspruch des Frischbetons und erfordert daher meist die Verwendung von
Fließmitteln.
Sowohl latenthydraulische als auch puzzolanische Zusatzstoffe werden meist als
teilweiser Zementersatz verwendet. Dies wirkt sich sowohl auf die mechanischen
Eigenschaften als auch auf die Dauerhaftigkeit des Betons aus.
Organische Zusatzstoffe verbessern meist das Wasserrückhaltevermögen des
Betons. Im Wesentlichen werden sie für Estriche, Reparaturmörtel und als Haftvermittler bei nachträglich aufzubringenden Schichten verwendet. Für tragende
Bauteile aus Beton dürfen diesem keine Kunstharzdispersionen zugegeben werden.
Literatur:
[D.4.3]
HILSDORF, H. K. & REINHARDT, H. W.: Beton aus Betonkalender 2000,
Verlag Ernst & Sohn, Berlin, 2000
[D.4.4]
GRÜBL, P.; WEIGLER, H.; KARL, S.: Beton: Arten - Herstellung - Eigenschaften, Verlag Ernst & Sohn, Berlin, 2001
[D.4.6]
DEUTSCHER BETON- UND BAUTECHNIK-VEREIN E. V.: Betonherstellung und
Verwendung nach neuer Norm, Verlag Ernst & Sohn, Berlin, 2003
- 169 -
D.4.3
Anmachwasser für Beton
Fast jedes natürlich vorkommende Wasser, das trinkbar ist oder keinen typischen
Geschmack oder Geruch hat, kann als Wasser zum Mischen von Beton benutzt
werden.
Bei Wasser unbekannter Herkunft wird empfohlen, Mörtel- oder Betonwürfel herzustellen und deren Druckfestigkeit nach 28 Tagen zu bestimmen. Die Proben
sollten dann mindestens 90 % der Festigkeit eines Betons besitzen, der mit Trinkwasser hergestellt wurde. Außerdem ist zu bestimmen, ob mögliche Verunreinigungen im Wasser auf den Erhärtungsbeginn und -ablauf des Betons einen Einfluss haben.
Wasser mit gelösten Stoffen in einer Konzentration von weniger als 0,2 Vol.-% des
Gesamtbetons kann in den meisten Fällen ohne Bedenken für die Betonherstellung verwendet werden. Verschiedene Stoffe, die im Folgenden beschrieben sind,
können sich aber auch bei geringeren Konzentrationen auf die Eigenschaften von
Beton nachteilig auswirken.
D.4.3.1
Salze
Saures Wasser:
Die Verwendung von sauren Wässern zur Herstellung von Beton kann entweder
aufgrund der Konzentration an Salzen oder nach dem pH-Wert beurteilt werden.
Wenn möglich sollten saure Wässer mit einem pH-Wert kleiner 3,0 zum Herstellen
von Beton nicht verwendet werden.
Na2CO3 und K2CO3:
Sobald im Mischwasser eine Konzentration von mehr als 0,1 Vol.-% Alkalicarbonaten beobachtet wird, sollten Abbindeverhalten und 28-Tage-Festigkeit überprüft
werden (Eignungsprüfung).
NaCl und Na2SO4:
Verunreinigungen bis zu 2 Vol.-% können noch hingenommen werden.
Andere Salze:
CaCO3 und MgCO3 sind in Wasser nur wenig löslich und treten daher nur selten in
Konzentrationen auf, die für den Beton schädlich sind. Bi-Carbonate des Calciums
und Magnesiums sind öfters in Trinkwasser enthalten, erwiesen sich aber in den
meisten Fällen als harmlos. Magnesiumsulfate und -chloride in Konzentrationen
bis zu 4 Vol.-% wurden schon im Betonwasser vorgefunden, ohne dass dabei
Schäden beobachtet wurden. Mangan-, Zinn-, Zink-, Kupfer- oder Bleisalze im
Wasser können u.U. auch schon bei Konzentrationen von 0,05 Vol.-% schädliche
Auswirkungen haben.
D.4.3.2
Meerwasser
Zur Herstellung von unbewehrtem Beton kann Meerwasser mit einer Konzentration
an gelösten Salzen bis zu 3,5 Vol.-% verwendet werden. Die Salze führen oft zu
einer Beschleunigung des Erhärtungsvorgangs und zu einer geringen Reduktion
der Festigkeit des Betons in hohem Alter. Dies kann durch eine Verringerung des
Wasserzementwertes berücksichtigt werden. Die Herstellung von bewehrtem Beton mit Meerwasser ist nur bedingt möglich, da sich vor allem bei hohem Chloridgehalt des Meerwassers das Risiko der Korrosion der Stahlbewehrung im Beton
erhöht.
D.4.3.3
Alkalisches Wasser
Wasser, das NaOH in Konzentrationen über 0,5 Vol.-% enthält, kann zu einer Beschleunigung des Abbindevorgangs führen. Höhere Konzentrationen können sich
auf die Festigkeit nachteilig auswirken. KOH bis zu einer Konzentration von 1,2
Vol.-% kann ebenfalls die Festigkeit des Betons merklich verringern.
- 170 -
D.4.3.4
Industrieabwässer
Die meisten Industrieabwässer enthalten, soweit sie genügend gereinigt sind, nicht
mehr als 0,4 Vol.-% an Festbestandteilen. Industrieabwässer führen normalerweise zu einem Abfall der Festigkeit bis zu 10 %. In jedem Fall sind jedoch bei der
Verwendung von Industrieabwässern vor der Betonherstellung Eignungsprüfungen
durchzuführen.
D.4.3.5
Zucker
Geringe Mengen an Zucker, d.h. 0,03 - 0,15 % des Gewichtes an Zement können
zu einer erhebliche Verzögerung des Abbindens von Beton führen. Bei Konzentrationen über 0,2 % kann dagegen eine Beschleunigung des Abbindevorgangs eintreten. Konzentrationen über 0,25 % führen zu einem sehr schnellen Abbinden und
einem erheblichen Abfall der Druckfestigkeit nach 28 Tagen.
D.4.3.6
Schwebstoffe
Bis zu 0,2 M.-% an Schwebstoffen können normalerweise im Mischwasser hingenommen werden. Stärker verunreinigtes Wasser sollte daher in Absetzbecken
vorgereinigt werden, ehe es zur Betonherstellung verwendet wird.
D.4.3.7
Öle
Verschiedene Ölarten können gelegentlich im Anmachwasser vorkommen. Dabei
hat Petroleum, soweit es nicht mit tierischen oder pflanzlichen Fetten vermengt ist,
einen relativ geringen Einfluss auf die Betoneigenschaften. Andere mineralische
Öle in Konzentrationen von mehr als 2 %, ausgedrückt in Gewichtsteilen des
Zementes, können jedoch zu einer erheblichen Reduktion der Betonfestigkeit
führen.
D.4.3.8 Algen
Algen im Mischwasser für Beton führen zu einer starken Reduktion der Betonfestigkeit, weil sie entweder mit dem Zement unerwünschte chemische Bindungen
eingehen oder zu einer großen Erhöhung des Luftgehaltes führen. Algen können
auch in Betonzuschlägen enthalten sein, wobei sie sich dann auch auf den Verbund zwischen Zuschlagstoff und Zementstein nachteilig auswirken können.
D.4.3.9
Restwasser
Aus Gründen des Umweltschutzes kann Brauchwasser, das in Transportbetonwerken z.B. beim Reinigen stationärer Mischer oder der Fahrzeugmischtrommeln anfällt, wegen seines hohen pH-Wertes nicht dem Abwasser zugeführt
werden. Unter bestimmten Bedingungen - siehe dazu Lit. [D.4.6] - kann dieses
Wasser zur Herstellung von neuem Beton verwendet werden.
Literatur:
[D.4.3]
HILSDORF, H. K. & REINHARDT, H. W.: Beton aus Betonkalender 2000,
Verlag Ernst & Sohn, Berlin, 2000
[D.4.4]
GRÜBL, P.; WEIGLER, H.; KARL, S.: Beton: Arten - Herstellung - Eigenschaften, Verlag Ernst & Sohn, Berlin, 2001
[D.4.6]
DEUTSCHER BETON- UND BAUTECHNIK-VEREIN E. V.: Betonherstellung und
Verwendung nach neuer Norm, Verlag Ernst & Sohn, Berlin, 2003
[D.4.7]
Richtlinie für die Herstellung von Beton unter Verwendung von Restwasser, Restbeton und Restmörtel, September 1991, DEUTSCHER AUSSCHUSS
FÜR STAHLBETON, Beuth Verlag GmbH Berlin, 1991
- 171 -
D.4.4
Gesteinskörnungen für Beton und Mörtel
D.4.4.1
Allgemeines
Gesteinskörnungen bestehen üblicherweise aus natürlichem oder künstlichem,
dichtem oder porigem Gestein mit Korngrößen von 0 bis max. 63 mm. Die Gesteinskörnungen sind ein wesentlicher Bestandteil des Betons und füllen etwa 60
bis 80 % seines Gesamtvolumens aus. Der Begriff "Gesteinskörnung" ersetzt in
der DIN 1045 den Begriff "Zuschlag", der jedoch noch häufig verwendet wird.
Bedeutung:
•
billiger Füllstoff
•
Verminderung der Volumenänderungen des Zementsteines
Die Gesteinskörnungen beeinflussen:
•
die Festbetoneigenschaften:
hauptsächlich die Rohdichte, Festigkeit, Verformungseigenschaften und die
Dauerhaftigkeit des Betons
•
die Frischbetoneigenschaften:
Verarbeitbarkeit, Entmischungsneigung, Bluten
D.4.4.2
Arten von Gesteinskörnungen
Zuschläge können entweder nach ihrem Vorkommen oder nach ihrem Gewicht
klassifiziert werden:
Nach dem Vorkommen:
•
natürliche Gesteinskörnungen:
Sand, Kies, gebrochenes Gestein (Brechsand, Splitt und Schotter)
•
industriell hergestellte Gesteinskörnungen:
z.B. geblähter Ton oder Schiefer, Ziegelsplitt, aufbereiteter Altbeton, Hochofenschlacke
Nach dem Gewicht:
•
leichte Gesteinskörnungen (ρ < 2,0 kg/dm3):
z.B. Bims, Tuffe, Blähton und Blähschiefer
•
normale Gesteinskörnungen (2,0 < ρ < 3,0 kg/dm3):
z.B. Sand, Kies, gebrochenes Gestein
•
schwere Gesteinskörnungen (ρ > 3,0 kg/dm3):
z.B. Baryt, Magnetit, Stahlschrot
Es ist grundsätzlich möglich und auch in zunehmendem Maß üblich, Gesteinskörnungen für Beton durch Recycling von Altbeton herzustellen. Solche Gesteinskörnungen können die Anforderungen nach DIN 4226-100 erfüllen, wobei die Anteile
der Kornfraktion 0/4 mm z.Zt. im Allgemeinen nicht weiter verwendet werden.
D.4.4.3
Kornaufbau von Gesteinskörnungen
Gesteinskörnungen sollen aus Körnern verschiedener Größe aufgebaut sein, um
die zur Herstellung eines Betons erforderliche Zementleimmenge zu einem Minimum zu machen und die Verarbeitbarkeit des Frischbetons zu optimieren.
- 172 Bei kubisch primitiv gepackten Kugeln gleicher Größe entstehen unabhängig vom
Kugeldurchmesser Hohlräume, deren Volumen etwa
48 % des Gesamtvolumens beträgt. Bei einer dichtesten Packung bleibt immer noch ein Hohlraumanteil
von 26 Vol.-%, der mit Zementleim ausgefüllt werden
müsste.
vp ~ 0,48v
vp ~ 0,26v
d ~ 0,16D
D
d
Eine günstigere Füllung kann mit Körnern verschiedener Durchmesser erzielt werden. Sind die Kugeldurchmesser so gewählt, dass kleinere Kugeln die
Hohlräume zwischen den nächstgrößeren Kugeln
gerade ausfüllen (Schlupfkorn), so entsteht jedoch
ein Gemisch, das für die Verwendung als Gesteinskörnung für Beton meist zu sperrig ist.
Tabelle D.4.5: Einige Eigenschaften von Gesteinen für "Betonzuschlag" (Gesteinskörnungen)
1
2
3
4
5
6
7
Reindichte
Rohdichte
(Trockenrohdichte)
Wasseraufnahme
Quellen und
Schwinden
Wärmedehnung
Schleifverschleiß,
Volumenverlust je
50 cm2 Prüffläche
Druckfestigkeit
des lufttrockenen
Gesteins
Gesteinsart
kg/dm3
kg/dm3
Massen-%
mm/m
mm je m u.
100°C
cm3 / 50 cm2
N/mm2
Granit, Granodiorit, Syenit
2,62-2,85
2,60-2,80
0,2-0,5
0,06-0,18
0,80
5,0-8,0
160-240
Basalt, Melaphyr
3,00-3,15
2,95-3,00
0,1-0,3
5,0-8,5
250-400
Grauwacke, Quarzit1, Gangquarz2
2,64-2,68
2,60-2,65
0,2-0,5
1,20
7,0-8,0
150-300
Quarzitischer Sandstein
2,64-2,68
2,60-2,65
0,2-0,5
0,03-0,70
1,20
7,0-8,0
120-200
Dichter Kalkstein, Dolomit, kristalliner
Marmor1
2,70-2,90
2,65-2,85
0,2-0,6
0,10
0,75
15,0-40,0
80-180
Vulkanischer Tuffstein, Lavaschlacke
2,62-2,75
1,80-2,00
6,0-15,0
Gneis, Granulit
2,67-3,05
2,65-3,00
0,1-0,6
Baryt
4,10-4,30
Limonit, Goethit
3,6
1
Umwandlungsgestein
2
Erstarrungsgestein
20-30
4,0-10,0
160-280
- 174 -
Für Beton werden Korngemische mit stetiger oder unstetiger Korngrößenverteilung
verwendet. Die Korngrößenverteilung eines Korngemisches wird durch eine sog.
Sieblinie charakterisiert. Für ein vorgegebenes Korngemisch wird sie anhand der
Ergebnisse eines Siebversuches ermittelt. Dazu werden Prüfsiebe verwendet,
deren Maschen- oder Quadratlochöffnungen nach DIN 4226-1 bzw. DIN 4226-2
festgelegt sind.
Tabelle D.4.6: Beispiel für eine Siebzusammenstellung nach DIN 4226-1
0,063
+)
Metalldrahtsiebe
Lochblechsiebe
mm
mm
0,25 1
1,4
2
2,8
4
5,6
8
11,2+) 16
22,4+) 31,5+) 45
63
Nenngrößen des Korns: 11 mm, 22 mm, 32 mm
a7
4,0
Sieböffnung [mm]
a5
2,0
a4
1,4
a3
1,0
0,25
a2
0,063
a1
a
Rückstand [kg]
a6
2,8
Die Zusammenstellung der Prüfsiebe bzw. der Lochdurchmesser
dieser Siebe ist in DIN 4226 Teil 1
und Teil 2 in Abhängigkeit vom
größten und kleinsten Korndurchmesser der zu prüfenden Korngruppe festgelegt. In Tabelle D.4.6
ist ein Beispiel für eine Siebzusammenstellung angegeben.
Eine Korngruppe umfasst die
Korngrößen zwischen zwei gewählten Sieböffnungen. Z. B. entspricht der Rückstand auf dem
Sieb mit einer Maschenweite von 2
mm (a5) der Korngruppe 2/2,8 mm.
Durch Wägung der Rückstände
auf Sieben verschiedener Durchmesser kann der prozentuale
Siebdurchgang (Gewichtsanteil an
Körnern mit einem Durchmesser <
Öffnung des Siebes) wie folgt ermittelt werden:
Tabelle D.4.7: Vorgehensweise zur Ermittlung des Siebdurchganges
Sieböffnung
Rückstand
Siebdurchgang
Siebdurchgang
[mm]
[kg]
[kg]
[%]
0
a0
-
0
0,063
a1
a0
a0
• 100
G
0,25
a2
a0 + a1
a 0 + a1
• 100
G
1,0
a3
a0 + a1 + a2
1,4
a4
a0 + a1 + a2 + a3
#
#
#
#
Σa = G
Σa = G
100
- 175 -
Durch Auftragen des Siebdurchgangs in Abhängigkeit von der Korngröße erhält
man die Sieblinie. Bei dieser Auftragung gibt der jeweilige Ordinatenwert den Anteil des Korngemisches an, der kleiner als die zugehörige Korngröße ist. Die Siebdurchgänge von Korngruppen für Beton müssen den Vorgaben in DIN 4226 Teil 1
und Teil 2 entsprechen. Zusätzlich schlägt DIN 1045 Regelsieblinien für Korngemische mit unterschiedlichen Größtkörnern vor, die sich aus den verschiedenen
Korngruppen erstellen lassen. Dabei wird jeweils zwischen den Grenzsieblinien A,
B, C und U sowie zwischen Sieblinienbereichen c bis g unterschieden.
Üblicherweise werden auf der Abszisse die Lochweiten der Prüfsiebe mit konstanten Abstand voneinander aufgetragen. Da sich die Öffnungen aufeinanderfolgender Normensiebe bei den Regelsieblinien nach DIN 1045 um einen konstanten
Faktor 2 unterscheiden, entspricht dies einer Auftragung im logarithmischen Maßstab.
Der Verlauf stetiger Sieblinien kann durch verschiedene Funktionen beschrieben
werden, z. B. durch die Korngrößenverteilung nach Andreasen:
⎛ d⎞
A = 100 ⋅ ⎜ ⎟
⎝D⎠
mit
n
A=
Siebdurchgang aller Feststoffe in %
d=
Sieböffnung
D=
Größtkorn des Korngemisches
n=
Potenz
,
(D.4.2)
Je höher eine Sieblinie in einem A = f(d)-Diagramm liegt bzw. je kleiner die Potenz
in Gleichung D.4.2 ist, umso feiner ist die Sieblinie.
Siebdurchgang [M.-%]
100
fein
80
60
40
grob
20
0
0,25
0,5
1
2
4
8
Lochweite [mm]
16
31,5
63
Abbildung D.4.6: Sieblinien eines feinen und eines groben Korngemisches nach
DIN 1045
Die Regelsieblinien nach DIN 1045 können durch die Gleichung
A=
n⎤
⎡ d n
⎢⎛⎜ ⎞⎟ − ⎛⎜ 0,125 ⎞⎟ ⎥
n
⎝ D ⎠ ⎥
⎛ 0,125 ⎞ ⎢⎣⎝ D ⎠
⎦
1− ⎜
⎟
⎝ D ⎠
100
(D.4.3)
beschrieben werden (Ausnahme: Sieblinie U). Mit n ≈ 2/3 ergibt sich Sieblinie A; n
≈ 1/4 Sieblinie B und n → 0 Sieblinie C. Im Gegensatz zu Gleichung D.4.2 gilt Gleichung 4.3 nicht für den Siebdurchgang aller Feststoffe, sondern lediglich für Feststoffe mit d ≥ 0,125 mm, so dass sich nach Gleichung 4.3 für d = 0,125 mm A = 0
ergibt.
- 176 -
100
Siebdurchgang (M.-%)
(Vol.-%)
Siebdurchgang
90
85
80
5
C8
70
74
71
B8
60
57 4
61
57
50
A8
40
42
3
30
30
20
21
10
11
36
2
1
U8
30
21
5
0
00
0 .125
0,125
0. 25
0,25
0. 5
0,5
1
22
44
88
Sieblochw eite (mm)
Abbildung D.4.7: Grenzsieblinien für Korngemische mit einem Größtkorn von 8
mm
100
90
88
Siebdurchgang (Vol.-%)
Siebdurchgang (M.-%)
80
5
C16
74
70
60
62
4
B16
60
56
50
49
3
40
A16
42
30
36
30
32
8
3
0
00
0.125
0,125
0.25
0,25
30
21
18
10
2
U16
1
20
76
12
0.5
0,5
1
2
4
8
16
Sieblochw eite (mm)
Abbildung D.4.8: Grenzsieblinien für Korngemische mit einem Größtkorn von 16
mm
- 177 -
100
90
C32
89
77
80
Siebdurchgang
Siebdurchgang (Vol.-%)
(M.-%)
80
70
5
B32
65
60
53
50
4
47
40
42
37
30
A32
3
38
30
28
62
62
20
23
2
U32 30
1
15
10
14
8
2
0
00
0 .125 0,25
0. 25
0,125
8
11
0 .5
0,5
22
4
8
16
31. 5
31,5
Sieblochw eite (mm)
Abbildung D.4.9:
Grenzsieblinien für Korngemische mit einem Größtkorn von
32 mm
100
90
90
C63
80
80
Siebdurchgang
Siebdurchgang (Vol.-%)
(M.-%)
80
5
70
60
59
70
B63 67
64
50
46
4
A63
50
49
40
39
38
30
24
20
30
30
00
U63 30
1
11
7
2
0
30
19
14
10
2
3
6
0,125
0.1 3 0,25
0.25 0
0,5
.5
1
2
4
8
16
3 1.5 63
63
31,5
Sieblochw eite (mm)
Abbildung D.4.10: Grenzsieblinien für Korngemische mit einem Größtkorn von
63 mm
Bereich c
grobkörniges Gemisch
Bereich d
Ausfallkörnung
Bereich e
grob- bis mittelkörniges Gemisch
Bereich f
mittel- bis feinkörniges Gemisch
Bereich g
feinkörniges Gemisch
- 178 -
Der Kornaufbau eines Korngemisches beeinflusst die Verarbeitbarkeit des Frischbetons.
Zementgehalt
Mit feiner werdender Körnung steigt
die spezifische Oberfläche des Gemisches. Entsprechend steigt die zur
Benetzung der Gesteinsoberflächen
erforderliche Wassermenge, der
Wasseranspruch des Korngemisches wächst. Der Wasseranspruch
ist dabei die für eine bestimmte Verarbeitbarkeit des Frischbetons erforderliche Wassermenge.
Gehalt an Feinstoffen
Abbildung D.4.11: Erforderlicher Zementgehalt zum Erreichen einer bestimmten Frischbetonkonsistenz
Bei gegebenem Wasserzementwert
steigt mit wachsendem Wasseranspruch auch der erforderliche Zementgehalt (siehe dazu Abschnitt
D.5).
Gesteinskörnungen kommen in der Natur meist als Gemenge von Körnern verschiedener Größe vor. Um den Aufbau eines natürlichen Korngemisches zu optimieren, wird das rohe Gesteinsmaterial im Kieswerk gewaschen und durch Sieben
in Kornfraktionen getrennt. Aus wirtschaftlichen Gründen erfolgt die Trennung in
Kornfraktionen, die mehrere Kornklassen umfassen, z.B. 0/2; 2/8; 8/32.
Durch geeignete Zusammenstellung eines Korngemisches aus verschiedenen
Kornfraktionen wird dann eine Gesamtsieblinie angestrebt, deren Kornaufbau den
Regelsieblinien der EN 206-1 und der DIN 1045 möglichst entspricht. Dabei ist
eine Sieblinie im Bereich e am günstigsten. Sieblinien im Bereich f sind zwar
noch brauchbar, wegen ihres höheren Anteils an feinen Körnern haben sie jedoch
im Vergleich zu Sieblinien im Bereich e einen höheren Wasseranspruch.
Sieblinien von sog. Ausfallkörnungen (Bereich d) sind unstetig. Dies sind Korngemische, bei denen eine oder mehrere Korngruppen fehlen. Sie können zu wirtschaftlichen Betonmischungen mit guten Eigenschaften im frischen bzw. im erhärteten Zustand führen (siehe dazu z.B. [D.4.4]).
Zur Abschätzung des für eine bestimmte Kornzusammensetzung erforderlichen
Wasseranspruchs ist es erforderlich, eine Sieblinie durch einen Kennwert zu beschreiben. Dazu werden u.a. verwendet:
∑ Rückstände auf allen Normensieb en
in M.-%
Körnungsziffer:
k=
Durchgangssumme:
D = ∑ Siebdurchgang durch alle Normensiebe in M.-%
100
Nachfolgende Tabelle gibt diese Kennwerte für die Regelsieblinien nach EN 206-1
bzw. DIN 1045 zusammen mit den dazugehörigen Wasseranspruchszahlen nach
Abschnitt D.5.1.3. Sie entsprechen der Wassermenge in dm3, die für 100 dm3 Gesteinskörnung einer bestimmten Kornzusammensetzung zur Herstellung eines
Frischbetons mit plastischer Konsistenz (F2) erforderlich ist.
- 179 Tabelle D.4.8: Kennwerte für Regelsieblinien nach EN 206-1 bzw. DIN 1045 und
zugehörige Wasseranspruchszahlen
Sieblinie
Körnungsziffer
D-Summe
Wasseranspruchszahlen
[dm3/100dm3]
A8
B8
C8
U8
3,64
2,89
2,27
3,87
536
611
673
513
10,96
14,46
18,60
11,05
A16
B16
C16
U16
4,61
3,66
2,75
4,88
439
534
625
412
8,90
12,28
16,89
8,72
A32
B32
C32
U32
5,48
4,20
3,30
5,65
352
480
570
335
7,54
11,53
15,13
7,53
A63
B63
C63
U63
6,15
4,91
3,72
6,57
285
409
528
243
7,09
10,53
14,37
7,04
Die Wahl des Größtkorns einer Gesteinskörnung richtet sich nach den Abmessungen des zu erstellenden Bauteils. Es soll 1/3 der kleinsten Querschnittsabmessung
nicht überschreiten. Bei bewehrtem Beton nach DIN 1045-1 ist zu berücksichtigen,
dass der Größtkorndurchmesser dg nicht größer als der Stababstand s zwischen
zwei Bewehrungsstäben abzüglich 5 mm sein darf (jedoch nur wenn dg > 16 mm).
Zudem muss der Größtkorndurchmesser kleiner als das Nennmaß der Betondeckung sein.
Bei Betonfertigteilen nach DIN 1045-4 darf das Größtkorn 4/3 des Nennmaßes der
Betondeckung nicht überschreiten.
- 180 -
Um einen Beton mit ausreichendem Zusammenhalt und geringer Neigung zum
Bluten und Entmischen herzustellen, soll der Beton einen ausreichenden Mehlkorngehalt besitzen (= Summe des Gehalts an Zement, Zusatzstoff und Feinstzuschlag 0 bis 0,125), der bei einem Größtkorn von 16 bis
63 mm folgende Richtwerte nicht überschreiten darf:
Tabelle D.4.9: Höchstzulässiger Mehlkorngehalt
Höchstzulässiger Mehlkorngehalt
Zementgehalt
3
[kg/m ]
[kg/m³]
Für Betone der Festigkeitsklassen bis einschließlich C50/60 und LC50/55 bei den
Expositionsklassen XF und XM
≤ 300
400
> 350
450
Für Betone ab den Festigkeitsklassen C55/67 und LC55/60 bei allen Expositionsklassen
≤ 400
500
450
550
≥ 500
600
Für alle anderen Betone beträgt der höchstzulässige Mehlkorngehalt 550 kg/m³.
Eine Überschreitung dieser Grenzwerte um bis zu 50 kg/m3 ist zulässig, wenn
•
der Zementgehalt z > 350 kg/m3 ist
•
puzzolanische Zusatzstoffe verwendet werden
•
das Größtkorn 8 mm beträgt
D.4.4.4
Eigenschaften der Gesteinskörnungen
Die meisten normalen Gesteinskörnungen besitzen Festigkeiten von ca. 50 bis 400
N/mm2 und beeinflussen die Betondruckfestigkeit meist nur wenig. Dies gilt nicht
für leichte Gesteinskörnungen (siehe Abschnitt D.11.3).
Der Verschleißwiderstand der Gesteinskörnungen ist für Beton von Bedeutung, der
besonders starker mechanischer Beanspruchung ausgesetzt ist. In solchen Fällen
sind Körnungen mit besonders hoher Abriebfestigkeit zu verwenden.
Die Rohdichte der Gesteinskörnungen beeinflusst die Rohdichte des Betons und
schwankt zwischen 0,5 bis 2,0 kg/dm3 (leichte Gesteinskörnungen), 2,0 bis ca. 3,0
kg/dm3 (normale Gesteinskörnungen), > 3,0 kg/dm3 (schwere Gesteinskörnungen).
Die Kornform hat einen Einfluss auf die Verarbeitbarkeit des Frischbetons. Gedrungene bzw. kugel- oder würfelförmige Körner ergeben einen gut verarbeitbaren
Beton. Daher sollte höchstens die Hälfte der Gesteinskörnung über 8 mm so plattig
sein, dass die Länge der Körner mehr als das 3-fache ihrer Dicke beträgt.
Der Feuchtigkeitsgehalt der Gesteinskörnungen für Beton hängt von Art und Volumen der Poren in den Körnern ab. Eine hohe Eigenfeuchte des Korngemisches,
vor allen Dingen des Sandes, erhöht den Wasserzementwert der Betonmischung,
wenn sie bei der Wasserzugabe nicht berücksichtigt wird.
Eigenfeuchte: Sie gibt den Feuchtigkeitsgehalt einer Gesteinskörnung und wird
durch Bestimmung des Masseverlustes nach Trocknen des Korngemisches bei
etwa 100°C bestimmt durch
Eigenfeuchte =
mit
mf = Masse der feuchten Probe,
mt = Masse der trockenen Probe.
mf − mt
mt
,
(D.4.4)
- 181 Die Eigenfeuchte kann in Oberflächen- und Kernfeuchte aufgeteilt werden.
Oberflächenfeuchte: Feuchtigkeit, die an der Oberfläche der Gesteinskörnung
adsorbiert oder zwischen den Körnern angelagert ist und am Hydratationsvorgang
des Zements teilnehmen kann. Sie ist vor allem bei den feineren Fraktionen (Sand)
von Bedeutung.
Zur Bestimmung der Oberflächenfeuchte muss die Eigenfeuchte der Gesteinskörnung um den Betrag der Kernfeuchte vermindert werden. Diese gibt das in den
Poren der Körner enthaltene Wasser an, das am Hydratationsvorgang nicht teilnimmt. Es beträgt z. B. bei Moräne- und Rheinkies ca. 0,8 M.-% der getrockneten
Körner.
Frostwiderstand: Eine Gesteinskörnung für Beton, die häufigem Frost-TauWechsel ausgesetzt ist, muss einen ausreichenden Frostwiderstand besitzen.
Dieser hängt vor allem vom Porenvolumen und Porengrößenverteilung der Gesteinskörnung sowie von der Größe der Körner ab. Körnungen mit einem hohen
Gehalt an feinen, kontinuierlichen Poren sind meist weniger frostbeständig als
dichte Körnungen mit geringem Porenvolumen. Große Körner werden durch
Frosteinwirkung eher zerstört als kleine Körner (siehe dazu auch Abschnitt D.10).
D.4.4.5
Schädliche Bestandteile
Feinanteile:
Die Feinanteile sind als Teile des Zuschlags < 0,063 mm definiert. Sie bestehen
häufig aus lehm- oder tonhaltigen Stoffen, haften an der Oberfläche der Betonzuschläge und vermindern die Verbundfestigkeit zwischen der Gesteinskörnung und
dem Zementstein. Ihr Gehalt soll folgende Werte nicht überschreiten:
Tabelle D.4.10: Zulässige Gehalte an Feinanteilen nach DIN 4226-1
Gesteinskörnung
[mm]
Höchstwerte des Gehalts an
Feinanteilen
[M.-%]
Grobe Gesteinskörnungen
1,0
Feine Gesteinskörnungen (0 mm bis 4 mm)
4,0
Natürlich zusammengesetzte Gesteinskörnungen (0 mm bis 8 mm)
3,0
Korngemische (0 mm bis 45 mm)
2,0
Stoffe organischen Ursprungs und erhärtungsstörende Stoffe:
Organische Verunreinigungen der Gesteinskörnungen, wie z. B. Humus oder kohleartige Substanzen, können für den Beton schädlich sein, da sie den Erhärtungsablauf beeinflussen, zur Volumenvergrößerung oder zu einer Verfärbung der Betonoberflächen führen können. Der Anteil leichtgewichtiger organischer Verunreinigungen soll bei feinen Gesteinskörnungen (Sand) 0,5 M.-% und bei groben sowie natürlich zusammengesetzten Gesteinskörnungen und Korngemischen 0,1 M.% nicht überschreiten.
Schwefelverbindungen:
Sie können vor allen Dingen als Sulfate mit der C3A-Komponente des Zements
reagieren und durch Treiben zu einer Betonzerstörung führen. Der Gehalt an Sulfat in Betonzuschlägen soll daher 0,8 M.-% des Trockengewichts nicht überschreiten.
- 182 Chloride:
Sie sind nicht für die Komponenten des Betons schädlich, zerstören aber die Passivschicht einer im Beton eingebetteten Stahlbewehrung. In nicht karbonatisiertem
Beton werden geringe Mengen von Chlorid durch die C3A-Komponente gebunden.
In Europa gelten folgende Grenzwerte für die maximalen Chloridgehalte des Betons bezogen auf das Zementgewicht (DIN V ENV 206):
•
unbewehrter Beton:
1,0 M.-%
•
bewehrter Beton:
0,4 M.-%
•
Spannbeton, nachträgliche Vorspannung:
0,2 M.-%
Alkali-Zuschlag-Reaktionen:
Betonzuschläge, die Silikate in amorpher Form enthalten, können in feuchter Umgebung mit den löslichen Alkalien des Zements (Na2O und K2O) reagieren. Die so
entstehenden Alkalisilikate haben eine Gelstruktur und können große Mengen an
Wasser bei gleichzeitiger Volumenvergrößerung aufnehmen. Diese Treiberscheinungen können den Beton zerstören (siehe z.B. Literatur [D.4.3]).
D.4.4.6
Zusätzliche Anforderungen in den Normen
Nach DIN 4226, Teil 1, „Gesteinskörnungen für Beton; Zuschlag mit dichtem Gefüge; Begriffe, Bezeichnungen und Anforderungen“, werden Gesteinskörnungen in
die Kategorien "feine Gesteinskörnungen (Sand)", "grobe Gesteinskörnungen"
sowie "natürlich zusammengesetzte Gesteinskörnungen" und "Korngemische"
unterteilt. Für Jede dieser Kategorien werden Regelanforderungen angegeben.
Diese Regelanforderungen betreffen neben den vorstehend angeführten Punkten
folgende Eigenschaften:
•
Widerstand gegen Zertrümmerung, Verschleiß, Polieren und Abrieb
•
Frostwiderstand und Frost-Tausalz-Widerstand
•
Raumbeständigkeit
D.4.4.7
Leichte Gesteinskörnungen
Eine leichte Gesteinskörnung ist ein Gemenge aus natürlichen oder künstlich hergestellten Stoffen mit einer Rohdichte zwischen 0,4 und 2,0 kg/dm3 entsprechend
einem Porenvolumen von 70 bis 35 Vol.-%.
Beispiele: Naturbims; Lavaschlacken; Hüttenbims; Blähschiefer; Blähton
Die hohe Porosität bewirkt eine hohe Wasseraufnahme der Gesteinskörner und
u. U. einen hohen Wasseranspruch eines damit hergestellten Frischbetongemisches (siehe Abschnitt D.11.3). An leichte Gesteinskörnungen werden im Wesentlichen die gleichen Anforderungen wie an normale Gesteinskörnungen gestellt.
(Weitere Einzelheiten siehe z. B. [D.4.3] und [D.4.4]).
- 183 -
D.5
Eigenschaften des Frischbetons
Problemstellung:
Die Eigenschaften des Frischbetons hängen von der Betonzusammensetzung, von
den Eigenschaften der Ausgangsstoffe und von den Umweltbedingungen ab. Bei einer Kenntnis der Parameter, welche die Frischbetoneigenschaften beeinflussen, können die zur Betonherstellung erforderlichen Material- und Energiekosten (Verdichtung) gering gehalten und die Eigenschaften des erhärteten Betons optimiert werden.
D.5.1
Verarbeitbarkeit und Konsistenz
Die Verarbeitbarkeit ist die wichtigste Frischbetoneigenschaft. Sie kann nicht durch
eine einzige Kenngröße beschrieben werden, da sie eine Reihe von Eigenschaften
umfasst, insbesondere die Mischbarkeit der Komponenten, das Verhalten beim
Transport und beim Einbringen des Betons in die Schalung, die Verdichtungswilligkeit
und das Verhalten beim Abgleichen der Oberfläche. Eine am ehesten geeignete
Messgröße ist der Energieaufwand, der zur Durchführung dieser Operationen erforderlich ist. Insbesondere die zum Verdichten erforderliche Energie kann über die Konsistenz des Frischbetons abgeschätzt werden.
D.5.1.1
Klassifizierung
Je nach seiner Konsistenz wird der Frischbeton nach DIN 1045 in folgende Klassen
eingeteilt:
Tabelle D.5.1: Ausbreit- und Verdichtungsmaße für verschiedene Konsistenzklassen
Ausbreitmaß
(Durchmesser)
[mm]
Klasse
Konsistenzbeschreibung
≤ 340
F1
steif
350 bis 410
F2
plastisch
420 bis 480
F3
weich
490 bis 550
F4
sehr weich
560 bis 620
F5
fließfähig
≥ 630
F6
sehr fließfähig
Verdichtungsmaß
[-]
Klasse
Konsistenzbeschreibung
≥ 1,46
C0
sehr steif
1,45 bis 1,26
C1
steif
1,25 bis 1,11
C2
plastisch
1,10 bis 1,04
C3
weich
Die Konsistenzklassen des Verdichtungs- und des Ausbreitmaßes sind nicht direkt
vergleichbar.
Beachte: Bei gegebenem Wasserzementwert sind die Materialkosten zur Herstellung
eines trockenen Betons niedriger als zur Herstellung eines weichen Betons. Dagegen
wachsen die zur vollständigen Verdichtung des Frischbetons erforderlichen Energiekosten mit steigender Steifigkeit.
Weitere Beurteilungskriterien für die Betonkonsistenz nach DIN 1045 sind das Setzmaß und die Setzzeit.
- 184 D.5.1.2
Methoden zur Bestimmung der Verarbeitbarkeit des Frischbetons
Das Ausbreitmaß (DIN EN 12350-5):
130 mm
200 mm
200 mm
Auf einen Ausbreittisch wird ein Blechkonus gestellt, der in zwei Lagen mit Frischbeton gefüllt wird. Dieser wird durch 10 Stöße je Lage mit einem Holzstampfer, Querschnitt 40.40 mm2 verdichtet. Nach dem Füllen des Konus wird dieser gezogen und
der Ausbreittisch innerhalb 15 Sekunden 15-mal bis zu einem Anschlag hochgehoben
und dann frei fallen gelassen. Dabei breitet sich der Beton aus. Das Ausbreitmaß ist
der mittlere Durchmesser des so entstandenen Betonkuchens. Der Ausbreitversuch
eignet sich nur für Beton der Konsistenzbereiche F1 bis F6.
Das Verdichtungsmaß (DIN EN 12350-4):
s
h=
400
mm
200 mm
Dieser Versuch ist für die Konsistenzbereiche C0 bis C3 geeignet. Der Frischbeton
wird in einen offenen Blechkasten 200.200.400 mm3 lose eingefüllt. Danach wird der
überstehende Beton abgestrichen und der Beton durch Rütteln optimal verdichtet. Der
Abstand der Oberfläche des verdichteten Betons vom oberen Behälterrand ist ein
Maß für die Konsistenz des Frischbetons:
v=
h
h−s
(D.5.1)
- 185 -
D.5.1.3
Einflussgrößen
Die Konsistenzklasse steigt d.h. der Frischbeton wird weicher mit steigendem Wassergehalt und steigendem Gehalt an Zementleim. Sie kann durch Betonzusatzmittel
insbesondere Verflüssiger, Fließmittel und Luftporenbildner erhöht werden. Auch der
Mehlkorngehalt muss zur Optimierung der Konsistenz und Verarbeitbarkeit des
Frischbetons auf ein richtiges Maß eingestellt werden. Von besonderer Bedeutung
sind der Aufbau der Gesteinskörnungen sowie Größe und Form der Körner. Aus der
Sieblinie der Gesteinskörnung ergibt sich der Wasseranspruch nach Abschnitt
D.4.4.3. Der zur Erzielung einer bestimmten Frischbetonkonsistenz erforderliche
Wassergehalt des Frischbetons ≡ Wasseranspruch kann nachfolgendem Diagramm
entnommen werden.
Körnungsziffer k (-)
6,0
F1
F2
F3
A 32
5,5
5,0
A 16
4,5
B 32
4,0
B16
A8
3,5
C32
3,0
B8
C16
2,5
C
2,0
120
140
8
F2
F1
160
180
200
220
Wasseranspruch (kg/m³)
F3
240
260
Abbildung D.5.1: Abhängigkeit zwischen Körnungsziffer k des Korngemisches und
Wasseranspruch w des Frischbetons
Eine Erhöhung der Betontemperatur kann eine Reduktion der Konsistenzklasse und
insbesondere eine Reduktion der Zeitspanne zur Folge haben, während der ein
Frischbeton verarbeitbar bleibt.
Fließbeton (Konsistenz F4 und F5) soll ein gutes Fließ- und ein gutes Zusammenhaltevermögen aufweisen. Er wird aus einem steiferen Beton als Ausgangsbeton durch
nachträgliches Zumischen eines Fließmittels (siehe Abschnitt D.4.1) hergestellt.
D.5.2
Abgleichen einer frischen Betonoberfläche
In vielen Fällen ist es erforderlich, eine besonders gleichmäßige, glatte Betonoberfläche herzustellen. Dies ist umso leichter möglich, je höher der Wassergehalt und je
größer der Gehalt an feinen Bestandteilen im Beton ist.
- 186 -
D.5.3
Neigung zum Entmischen
Frischbeton, der einen ungenügenden Gehalt an feinen Stoffen und einen zu hohen
Gehalt an Wasser hat, neigt zum Entmischen, d.h. beim Transportieren oder Einbringen des Betons trennen sich die groben Gesteinskörnungen vom Zementleim oder
Mörtel.
Eine besondere Art des Entmischens ist das Bluten. Wegen der hohen Rohdichte der
Gesteinskörnungen und des Zements setzen sich diese in der Betonmischung ab, das
Mischwasser steigt nach oben, so dass sich an der Betonoberfläche eine Wasserschicht bildet.
Folgen:
•
Blutkanäle
•
Geringer Verschleißwiderstand der Oberfläche
•
Ungleichmäßige Festigkeitsverteilung: die höher gelegenen Bereiche des Betons
haben wegen des hochsteigenden Wassers einen höheren Wasserzementwert
•
Reduzierte Verbundfestigkeit zwischen Beton und Stahlbewehrung: das hochsteigende Wasser sammelt sich unter der Bewehrung oder unter Gesteinskörnern
•
Verbesserte Abziehfähigkeit der Oberfläche
Gegenmaßnahmen:
•
Reduktion des Wassergehaltes
•
Erhöhung des Mehlkorngehaltes
•
Verwendung von Luftporenbildnern, Stabilisierern oder Zusatzstoffen
D.5.4
Luftgehalt
Der Luftgehalt des Frischbetons (ohne Verwendung von LP-Mitteln) ist ein Maß für die
erreichte Verdichtung des Frischbetons und damit auch für die bei gegebenem Wasserzementwert und Lagerung erreichbare Betondruckfestigkeit. Er soll bei vollständig
verdichtetem Frischbeton ohne Verwendung von LP-Mitteln ca. 2 Vol.-% nicht überschreiten. Der Luftgehalt kann experimentell oder rechnerisch ermittelt werden.
D.5.4.1
Direkte experimentelle Bestimmung
4
3
2
1
Die experimentelle Methode beruht auf dem Boyle-Mariott´schen Gesetz. Dieses besagt, dass das Volumen eines Gases bei konstanter Temperatur dem aufgebrachten
Druck umgekehrt proportional ist (p·V = const.). Der Frischbeton wird in ein Druckgefäß c eingefüllt und wie der Baustellenbeton verdichtet. Nach dem Säubern des Topfrandes wird der Deckel d aufgeschraubt und der Hohlraum zwischen Beton und Deckel mit Wasser völlig gefüllt. Daraufhin wird in die Druckkammer e Luft gepumpt, bis
das Manometer f einen bestimmten Luftdruck anzeigt. Dann wird das Ventil zwischen Druckkammer e und dem mit Wasser und Beton gefüllten Raum geöffnet und
der Druckabfall über das Manometer f gemessen. Je höher der Druckabfall, um so
höher der Luftgehalt des Betons.
- 187 D.5.4.2
Bestimmung mit Hilfe der Frischbetonrohdichte
Bei der rechnerischen Ermittlung des Luftgehalts eines Frischbetons wird mit Hilfe
bekannter Werte für die Mischungszusammensetzung und für die Rohdichten der
Betonkomponenten das theoretische Volumen des Betons bei einem Luftgehalt von 0
Vol.-% errechnet. Aus dem Unterschied zwischen der theoretischen Rohdichte ρT und
der experimentell bestimmten Rohdichte ρE des verdichteten Frischbetons
P(%) =
vE − vT
ρ − ρE
• 100 = T
⋅ 100
ρT
vE
(D.5.2)
kann der Luftgehalt berechnet werden.
Beispiel:
1895 kg
ρ = 2,64
v=
0,718 m3
Wasser
170 kg
ρ = 1,00
v=
0,170 m3
Zement
340 kg
ρ = 3,10
v=
0,110 m3
Gesteinskörnungen
∑=
ρT =
P=
D.6
_______
_______________
2405 kg
∑v =
2405
= 2,41 kg/dm 3
0,998
0,998 m3
ρE = 2,38 kg/dm3
2,41 − 2,38
0,03
⋅ 100 =
⋅ 100 = 1,24 Vol. - %
2,41
2,41
Betonzusammensetzung
Problemstellung:
Beton soll so zusammengesetzt sein, dass unter Berücksichtigung der geforderten
Wirtschaftlichkeit sowohl die Frischbetoneigenschaften (Verarbeitbarkeit, Widerstand
gegen Entmischen) als auch die Eigenschaften des erhärteten Betons (Festigkeit,
Verformungseigenschaften, Dauerhaftigkeit) ein Optimum erreichen.
D.6.1
Eingangsgrößen und Einflussparameter
Bei der Bestimmung der Betonzusammensetzung, dem Mischungsentwurf, sind folgende Eingangsgrößen zu berücksichtigen bzw. festzulegen:
• Geforderte Festigkeitsklasse:
Daraus ergeben sich die anzustrebende Festigkeit βD und der Wasserzementwert.
Im Normalfall wird für den Beton eine bestimmte Festigkeit im Alter von 28 Tagen
gefordert. Je nach Art des Bauwerks und seiner Beanspruchung kann jedoch auch
eine Festigkeit maßgebend sein, die bei einem geringeren oder einem höheren Alter erreicht wird.
• Die Umweltbedingungen während des Bauzustandes und während der Nutzung
des Bauwerkes; sie beeinflussen die Wahl von Wasserzementwert, Zementart und
Zementgehalt, die Verwendung von Zusatzmitteln und Zusatzstoffen, die angestrebte Frischbetonkonsistenz, besondere Vorkehrungsmaßnahmen während des
Betonierens sowie Umfang und Art der Nachbehandlung.
• Die Art der Konstruktion, ihre Abmessungen sowie Art und Abstand der Bewehrung; sie können maßgebend sein für die Anwendung spezieller Betonierverfahren,
die geforderte Frischbetonkonsistenz, Sieblinie und Größtkorn des Korngemisches, Zementart und Zementgehalt sowie die Verwendung von Zusatzmitteln.
- 188 • Die zur Verfügung stehenden Einrichtungen und Werkstoffe, bei Transportbeton
auch die zu erwartende Beförderungszeit vom Transportbetonwerk bis zur Baustelle.
D.6.2
Konformitätskontrollen
Um zu überprüfen, ob die tatsächlichen Eigenschaften eines Betons mit den geforderten Betoneigenschaften übereinstimmen, sind so genannten Konformitätskontrollen
notwendig. Dabei wird neben anderen Eigenschaften auch die Druckfestigkeit des
Betons geprüft und bewertet.
Die Erstprüfung ist ein integraler Bestandteil der Festlegung einer Betonzusammensetzung. Durch Probemischungen soll überprüft werden, ob ein Beton bestimmter
Zusammensetzung die angestrebten Frischbetoneigenschaften sowie die Druckfestigkeit im Alter von 28 Tagen aufweist. Eine Erstprüfung ist zwingend erforderlich,
bevor der Beton im Bauwerk eingesetzt wird.
Die tatsächliche Druckfestigkeit des Betons mit derjenigen Zusammensetzung, die für
den Anwendungsfall übernommen werden soll, muss die Werte der charakteristischen
Festigkeit fck (nach Tabelle D.3.2) um eine gewisses Vorhaltemaß V überschreiten.
Dieses Vorhaltemaß muss mindestens so groß sein, wie zur Erfüllung der Konformitätskriterien nach DIN 1045 erforderlich ist. Das Vorhaltemaß V sollte ungefähr das
Doppelte der erwarteten Standardabweichung (mindestens 6 N/mm² und höchstens
12 N/mm²) betragen. Die Konformitätskriterien für die Erstherstellung von Normalbeton sind nachfolgend zusammengestellt:
Anzahl n der Mittelwert fcm von n Jedes einzelne
Prüfergebnisse Prüfergebnissen Prüfergebnis fci
in der Reihe
[N/mm²]
[N/mm²]
Erstherstellung:
3
fcm ≥ fck + 4
fcm ≥ fck – 4
(D.6.1)
Sofern der Hersteller des Betons ausreichende Erfahrungen über die zu erwartende
Standardabweichung σ der Druckfestigkeit besitzt, kann anstelle des Vorhaltemaßes
die in der Konformitätsprüfung anzustrebende Druckfestigkeit aus folgenden Beziehungen ermittelt werden:
Anzahl n der Mittelwert fcm von n Jedes einzelne
Prüfergebnisse Prüfergebnissen Prüfergebnis fci
in der Reihe
[N/mm²]
[N/mm²]
Stetige Herstellung:
D.6.3
15
fcm ≥ fck + 1,48 σ
fcm ≥ fck – 4
(D.6.2)
Kornzusammensetzung, Wasseranspruch, Wasserzementwert
und Zementgehalt
Nach der Definition und Festlegung der beim Mischungsentwurf zu berücksichtigenden Parameter sind das Größtkorn sowie die Zusammensetzung der Gesteinskörnung nach Abschnitt D.4.4.3 zu bestimmen. Daraus ergibt sich der Wasseranspruch
des Frischbetons. Er kann dem Diagramm im Abschnitt D.5.1.3 oder der nachfolgenden Tabelle entnommen werden.
- 189 -
Tabelle D.6.1: Richtwerte für den Wassergehalt w
Gesteinskörnung
Richtwerte für den Wassergehalt w in kg/m3 Frischbeton der Konsistenzen F1, F2 und F3 bei Gesteinskörnungen mit
Sieblinie
nach
Körnungs-
großem Wasseranspruch
DIN 1045
ziffer
F1
F2
F3
F1
F2
F3
A63
6,15
120 ± 15
145 ± 10
160 ± 10
95 ± 15
125 ± 10
140 ± 10
A32
5,48
130 ± 15
155 ± 10
175 ± 10
105 ± 15
135 ± 10
150 ± 10
A16
4,61
140 ± 20
170 ± 15
190 ± 10
120 ± 20
155 ± 15
175 ± 10
A8
3,64
155 ± 20
190 ± 15
210 ± 10
150 ± 20
185 ± 15
205 ± 10
B63
4,91
135 ± 15
160 ± 10
180 ± 10
115 ± 15
145 ± 10
165 ± 10
B32
4,20
140 ± 20
175 ± 15
195 ± 10
130 ± 20
165 ± 15
185 ± 10
B16
3,66
150 ± 20
185 ± 15
205 ± 10
140 ± 20
180 ± 15
200 ± 10
B8
2,89
175 ± 20
205 ± 15
225 ± 10
170 ± 20
200 ± 15
220 ± 10
C63
3,72
145 ± 20
180 ± 15
200 ± 10
135 ± 20
175 ± 15
190 ± 10
C32
3,30
165 ± 20
200 ± 15
220 ± 10
160 ± 20
195 ± 15
215 ± 10
C16
2,75
185 ± 20
215 ± 15
235 ± 10
175 ± 20
205 ± 15
225 ± 10
C8
2,27
200 ± 20
230 ± 15
250 ± 10
185 ± 20
215 ± 15
235 ± 10
geringem Wasseranspruch
Der Wasserzementwert ergibt sich aus der anzustrebenden Betondruckfestigkeit fcm
und dem Zusammenhang zwischen Betondruckfestigkeit und Wasserzementwert
nach Abschnitt D.9.1.3.
Aus dem folgenden Diagramm, das für Beton ohne Betonzusatzmittel gültig ist, geht
hervor, dass der zur Erzielung einer bestimmten Betonkonsistenz erforderliche Zementgehalt umso höher ist, je niedriger der Wasserzementwert. Stets sind aber die
Anforderungen an den Mindestzementgehalt und den max. zulässigen Wasserzementwert nach Abschnitt D.10.8 zu überprüfen.
- 190 -
kg Zement pro m³ Beton
700
600
500
F3
400
F2
300
Konsistenz:
(Ausbreitmaß)
F1
200
weich
plastisch
steif
100
0
0,4
0,5 0,6 0,7 0,8 0,9 1,0 1,1 1,2
Wasserzementwert ω = w/z
Abbildung D.6.1: Erforderlicher Zementgehalt in Abhängigkeit vom Wasserzementwert
D.6.4
Mischungsentwurf
Der rechnerischen Abschätzung der Betonzusammensetzung liegt die sog. Stoffraumgleichung zugrunde. Sie besagt, dass das Volumen von 1 m3 Frischbeton sich
aus der Summe der Volumenanteile von Zement, Wasser, Gesteinskörnungen, Betonzusatzstoffen und Verdichtungs- bzw. Luftporen ergibt:
z
w
g
f
+
+
+
+ p = 1000 dm 3
ρz ρ w ρg ρf
wobei
,
z=
w=
g=
f=
p=
Zementgehalt in kg/m3
Wassergehalt in kg/m3
Gehalt an Gesteinskörnungen in kg/m3
Gehalt an Betonzusatzstoffen in kg/m3
Porenraum in dm3/m3
ρz =
Rohdichte des Zementes in kg/dm3
ρw =
Rohdichte des Wassers (= 1 kg/dm3)
ρg =
Rohdichte der Gesteinskörnung in kg/dm3
ρf =
Rohdichte der Betonzusatzstoffe in kg/m3
(D.6.3)
Die Rohdichte von Zement liegt etwa im Bereich von 2,95 kg/dm3 für Trasszemente,
3,0 kg/dm3 für Hochofenzemente und 3,1 kg/dm3 für Portlandzemente. Angaben über
die Rohdichte von Gesteinskörnungen können Abschnitt 4.4.3 entnommen werden.
Die Rohdichte von Flugasche schwankt etwa zwischen 2,2 und 2,7 kg/dm3.
- 191 Bei der rechnerischen Abschätzung einer Betonzusammensetzung ist dann wie folgt
vorzugehen:
1.
Festlegung der maßgebenden Expositionsklassen für den Einsatz des Betons
(gemäß Tabelle D.3.4). Daraus ergeben sich die obere Grenze für den w/zWert, die untere Grenze für die Festigkeitsklasse und der Mindestzementgehalt
des zu verwendenden Betons. Darüber hinaus sind in Abhängigkeit von der
Expositionsklasse weitere Vorgaben wie die zu verwendende Zementart und
der Mindestluftgehalt des Betons sowie Anforderungen an die Gesteinskörnungen zu beachten.
2.
Festlegung folgender Kennwerte des Betons unter Beachtung der o. g. Vorgaben:
3.
•
anzustrebende mittlere Druckfestigkeit des Betons
•
anzustrebende Konsistenz des Frischbetons
Wahl der zu verwendenden Ausgangsstoffe:
•
Art und Festigkeitsklasse des Zementes
•
Art und Größtkorn der Gesteinskörnungen
•
ggf. Art von Zusatzmitteln und Zusatzstoffen
4.
Festlegung der Zusammensetzung der Gesteinskörnung nach Abschnitt
D.4.4.3.
5.
Bestimmung des erforderlichen Wassergehaltes w unter Berücksichtigung evtl.
zu verwendender Betonzusatzmittel und -zusatzstoffe.
6.
Festlegung des Wasserzementwertes ω. Er ist so niedrig zu wählen, dass die
Grenzwerte auch bei den während der laufenden Betonherstellung auftretenden Streuungen nicht überschritten werden. Die o. g. Vorgaben in Bezug auf
die Dauerhaftigkeit (Expositionsklassen) sind dabei unbedingt einzuhalten.
7.
Bestimmung des Zementgehaltes: z = w/ω. Ist der Zementgehalt, z. B. wegen
der damit verbundenen Hydratationswärme, zu hoch, so sind der Wasseranspruch bzw. der Wassergehalt nach 4. entsprechend zu korrigieren. Auch hierbei sind die o. g. Vorgaben in Bezug auf die Dauerhaftigkeit (Expositionsklassen) unbedingt einzuhalten.
8.
Abschätzung des zu erwartenden Volumenanteils von Poren unter Berücksichtigung der möglichen Verwendung von LP-Bildnern.
9.
Bestimmung des Gehaltes der Gesteinskörnungen nach Gleichung (D.5.4):


z
w
f
−
−
− p  ⋅ ρ g
g = 1000 −
ρz ρw ρf


10.
(D.6.4)
Überprüfung des Gehaltes an Mehlkorn und Feinsand sowie des Gehaltes an
Zugabewasser unter Berücksichtigung der Eigenfeuchte der Gesteinskörnungen.
Eine Vorausberechnung der Betonzusammensetzung stellt nur eine Näherung der
tatsächlichen Gegebenheiten dar und ist daher stets durch Konformitätsprüfungen
(Erstprüfung und laufende Überwachung der Produktion) zu untermauern und, je nach
Ergebnis, zu korrigieren.
- 192 -
D.7
Arbeiten mit Frischbeton
D.7.1
Mischen der Ausgangsstoffe
Die Ausgangsstoffe des Beton, Zement, Gesteinskörnungen und Wasser müssen
innig miteinander vermischt sein, damit der eingebrachte Beton einen möglichst
gleichmäßigen Aufbau und eine möglichst gleichmäßige Zusammensetzung besitzt.
Über Mischwerkzeuge wird auf die Vorlesungen Baubetriebstechnik I und II verwiesen.
Die Mischdauer bestimmt die Gleichmäßigkeit eines Betons. Eine zu kurze Mischdauer hat eine hohe Streuung der Eigenschaften des erhärteten Betons zur Folge. Im
Allgemeinen darf die Mischzeit nach Zugabe aller Ausgangsstoffe bei Mischern mit
besonders guter Mischwirkung 0,5 min. und bei allen übrigen Mischern 1 min. nicht
unterschreiten. Diese Mindestmischzeiten sind sehr kurz und reichen in den meisten
Fällen, insbesondere wenn die Mischwerkzeuge bereits abgenutzt oder nicht optimal
eingestellt sind, nicht aus.
Die Zusammensetzung des Betons darf nach dem Abschluss des Mischens nicht
mehr verändert werden, weil sich dies auf die Betoneigenschaften nachteilig auswirken kann. Ist die nachträgliche Veränderung des Betons in Sonderfällen unvermeidlich, z.B. bei werkgemischtem Transportbeton mit Zusatz von Fließmitteln, so sind besondere Maßnahmen notwendig.
D.7.2
Transportieren
Beim Transport von der Misch- zur Verarbeitungsstelle muss darauf geachtet werden,
dass der Beton sich nicht entmischt. Es ist ferner darauf zu achten, dass dem Beton
durch Sonneneinstrahlung und Fahrtwind keine Feuchte entzogen wird. Plastischer
oder flüssiger Beton darf nur in Spezialfahrzeugen transportiert werden, die so ausgerüstet sind, dass der Beton vor dem Einbringen noch einmal durchgemischt werden
kann. Steigt im Sommer die Temperatur des Frischbetons auf 25 bis 30°C an, so versteift er rascher. Dieser Umstand bedarf vor allem bei Transportbeton besonderer
Aufmerksamkeit. Bei heißem Wetter sind niedrige Frischbetontemperaturen anzustreben. Das kann geschehen durch Lagerung der Gesteinskörnungen im Schatten, Überrieselung der groben Gesteinskörnungen mit Wasser, Verwendung von kühlem
Anmachwasser, z.B. durch Kühlen mit Eis und durch Einsatz von tief verlegten Leitungen und Auswahl eines Zements mit geringerer Wärmeentwicklung. Bei Verwendung von Betonzusatzmitteln insbesondere von Erstarrungsverzögerern, ist eine besonders sorgfältige Eignungsprüfung unter den zu erwartenden Temperaturbedingungen erforderlich. Überdosieren kann ein Umschlagen, d.h. eine Beschleunigung der
Erhärtung auslösen.
Wenn bei tiefen Temperaturen betoniert werden soll, kann die Temperatur des
Frischbetons durch Anwärmen des Anmachwassers oder durch Anwärmen der Gesteinskörnungen erhöht werden. Im Allgemeinen nimmt die Frischbetontemperatur
des normalen Konstruktionsbetons unter sonst gleichen Voraussetzungen um 1 K zu,
wenn entweder die Temperatur
des Zementes
um 10 K
oder die des Wassers
um 3,5 K
oder die der Gesteinskörnungen
um 1,6 K
erhöht wird. Auf dem Wege von der Mischanlage zur Einbaustelle sind die Temperaturverluste möglichst klein zu halten. Vorteilhaft sind große Behälter und kurze Förderwege.
D.7.3
Einbringen
Der Beton soll sobald wie möglich nach dem Mischen und möglichst ohne Unterbrechung eingebracht werden. Beim Einbringen ist dafür Sorge zu tragen, dass sich der
Beton nicht entmischt und dass er derart eingebracht wird, dass eine gute Verdich-
- 193 tung möglich ist. Die Schalung ist gut vorzunässen. Schalung und Bewehrung müssen
stets frei von Stoffen sein, welche die Erhärtung des Zements stören können. Beim
Einbringen darf der Beton nicht über 1 m frei fallen. Ferner ist darauf zu achten, dass
der Beton nicht gegen die Schalung geschüttet wird, damit eine ‘Nesterbildung’ an
den Außenflächen vermieden wird. Beton ist stets mittig einzufüllen, insbesondere bei
Stützen.
Im Winter ist darauf zu achten, dass Schalung und Bewehrung frei von Schnee und
Eis sind. Auf gefrorenem Baugrund darf nicht betoniert werden; der Boden ist daher
zunächst aufzutauen und vorzuwärmen. Durch Frost geschädigter Beton ist zu beseitigen. Nach dem Einbau von Beton im Winter ist ein guter Wärmeschutz des Betons
notwendig, um einen Wärmeabfluss zu vermeiden und die eigene Wärmeentwicklung
zu fördern.
Beton kann in Rohren gepumpt werden, wenn er eine Konsistenz entsprechend KP
hat. Dazu sind die Rohre nach Möglichkeit geradlinig zu verlegen. Rohre sollten nicht
an der Schalung befestigt werden, damit auftretende Stöße nicht auf die Schalung
bzw. auf das Bauwerk übertragen werden.
D.7.4
Verdichten
Eine gute Verdichtung des Betons ist zur Erzielung optimaler Betoneigenschaften, wie
Festigkeit, Dichtigkeit, geschlossene Oberfläche, chemische und physikalische Widerstandsfäigkeit, unerlässlich. Der Frischbeton gilt als vollkommen verdichtet, wenn
das experimentell festgestellte Raumgewicht dem Sollraumgewicht entspricht. Da ein
völliges Austreiben der Verdichtungsporen in der Regel unmöglich ist, kann man bereits dann von einer optimalen Verdichtung sprechen, wenn der Frischbeton einen
Luftgehalt von 1 bis 2 Vol.-% besitzt.
Je nach der Konsistenz des Betons können folgende Arten der Verdichtung angewendet werden:
D.7.4.1
Stampfen
Gestampft wird nur steifer Beton der Konsistenzklasse F1. Der Beton wird in 15 bis 20
cm dicken, waagerechten Schichten eingebracht und solange gestampft, bis er an der
Oberfläche feucht zu werden beginnt. Es ist darauf zu achten, dass die einzelnen
Betonschichten möglichst frisch auf frisch eingebracht werden. Vor dem Aufbringen
der nächsten Schicht ist die unterste Schicht leicht aufzurauhen.
D.7.4.2
Rütteln
Beton der Konsistenzklasse F2 wird am besten durch Rütteln verdichtet. Dabei wird
unterschieden zwischen
• Oberflächenrüttler:
Sie finden Anwendung bei waagerechten Betonschichten, vorwiegend für die Herstellung von Betonbelägen, Fußböden, Straßen o.ä.
• Innenrüttler:
Sie finden Anwendung bei der Verdichtung von bewehrtem oder unbewehrtem
Konstruktions- und Massenbeton. Die richtige Anwendung des Innenrüttlers bewirkt eine erhebliche Gütesteigerung des Betons durch besonders gute Verdichtung infolge optimaler Energieübertragung. Es ist darauf zu achten, dass mit einem
Innenrüttler der Beton nicht verteilt, sondern verdichtet wird.
• Schalungsrüttler:
Werden dünnwandige, hohe oder stark bewehrte Bauteile wie Stützen, Behälter, Silowände u.ä. betoniert und ist das Rütteln mit Innenrüttlern schwierig und damit unwirtschaftlich, können Schalungsrüttler verwendet werden. Sie werden außen an den
Schalungen dünnwandiger Bauteile befestigt und bringen die Schalung ins Vibrieren,
wodurch eine Verdichtung erzielt wird.
- 194 -
D.7.5
Nachbehandlung
Zur Erhärtung muss dem Beton eine ausreichende Menge an Wasser zur Verfügung
stehen. Der junge Beton muss daher so nachbehandelt werden, dass sein vorzeitiges
Austrocknen verhindert wird. Dies gilt vor allem bei der Einwirkung von Sonne oder
trockenem Wind auf den jungen Beton. Beton soll daher möglichst lange nach seiner
Herstellung feucht gehalten werden. Bei den Arten der Nachbehandlung kann unterschieden werden zwischen Methoden, bei denen Wasser dem jungen Beton zugeführt
wird und Methoden, welche die Austrocknung behindern bzw. verzögern. Zur ersten
Gruppe gehören das laufende Besprühen mit Wasser und das Aufbringen ständig
wasserhaltiger Abdeckungen z. B. aus Jute. Der zweiten Gruppe sind zuzuordnen das
Belassen des Betons in der Schalung, das Abdecken mit Folien oder das Aufbringen
flüssiger Nachbehandlungsmittel.
Die Dauer der Nachbehandlung hängt ab von der Nachbehandlungsempfindlichkeit
des Betons, von der Betontemperatur, von den Umweltbedingungen während und
unmittelbar nach der Nachbehandlung sowie von der Beanspruchung des Bauwerks
während seiner Nutzung. Nachbehandlungsempfindlich sind insbesondere Betone mit
langsam erhärtenden Zementen und/oder mit hohen Anteilen an puzzolanischen Zusatzstoffen. Mit sinkender Betontemperatur nimmt die Erhärtungsgeschwindigkeit ab,
so dass eine längere Nachbehandlungsdauer erforderlich ist. Je schärfer die Trocknungsbedingungen, um so länger ist der Beton nachzubehandeln. Bei hohen Umgebungsfeuchten kann Beton ohne bzw. mit nur kurzer Nachbehandlung ausreichend
lange hydratisieren.
Die Nachbehandlungsdauer ist in DIN 1045 festgelegt. Bei Umgebungsbedingungen,
die den Expositionsklassen gemäß Tabelle D.3.4 außer X0, XC1 und XM entsprechen, muss der Beton so lange nachbehandelt werden, bis die Festigkeit der oberflächennahen Bereiche 50 % der charakteristischen Festigkeit erreicht hat. Diese Anforderung ist in der Tabelle D.7.1 in eine entsprechende Mindestdauer der Nachbehandlung umgerechnet.
Tabelle D.7.1: Mindestdauer der Nachbehandlung von Beton für alle Expositionsklassen außer X0, XC1 und XM nach DIN 1045-3
Mindestdauer der Nachbehandlung in Tagena
Oberflächentemperatur
ϑ
[°C]
Festigkeitsentwicklung des Betonsb
r = fcm2/fcm28
r ≥ 0,50
r ≥ 0,30
r ≥ 0,15
r < 0,15
ϑ ≥ 25
1
2
2
3
25 > ϑ ≥ 15
1
2
4
5
15 > ϑ ≥ 10
2
4
7
10
10 > ϑ ≥ 5
3
6
10
15
a
Bei mehr als 5 Stunden Verarbeitbarkeitszeit ist die Nachbehandlungsdauer
angemessen zu verlängern
b
Die Festigkeitsentwicklung des Betons wird durch das Verhältnis der Mittelwerte der Druckfestigkeit nach 2 Tagen und nach 28 Tagen beschrieben.
Bei Umweltbedingungen, die den Expositionsklassen X0 und XC1 nach Tabelle D.3.4
entsprechen, muss der Beton mindestens einen halben Tag nachbehandelt werden.
Bei Temperaturen der Betonoberfläche unter 5°C ist die Nachbehandlungsdauer um
die Zeit zu verlängern, während der die Temperatur unter 5 °C lag.
Bei Betonen, deren Oberflächen einem Verschleiß gemäß der Expositionsklasse XM
nach Tabelle D.3.4 ausgesetzt sind, muss die Nachbehandlung so lange fortgesetzt
werden, bis die Festigkeit des oberflächennahen Betons 50 % der charakteristischen
Festigkeit des verwendeten Betons erreicht hat.
- 195 -
D.8
Mikrostruktur und Festigkeitsentwicklung von Zementstein und Beton
Problemstellung:
Im Folgenden soll diskutiert werden, welche Mikrostruktur der erhärtete Zementstein
und der Beton aufweisen und nach welchen Gesetzmäßigkeiten die Struktur von Zementstein und Beton mit deren mechanischen Eigenschaften, im besonderen mit der
Festigkeit, in Verbindung gebracht werden kann.
D.8.1
Komponenten des teilweise hydratisierten Zementsteins
unhydratisierter Zement
H2O
Beim Mischen von Zement mit Wasser
sind die einzelnen, noch nicht hydratisierten Zementsteinpartikel durch das Mischwasser voneinander getrennt. Das vom
Wasser eingenommene Volumen wird als
Kapillarporenvolumen bezeichnet. Die
spezifische Oberfläche der Zementkörner
liegt im Bereich von ca. 200 bis 400
m2/kg, die mittlere Größe beträgt mehrere
µm. Während der Hydratation bilden sich
vor allem kristallines Calciumhydroxid
(CH) und nicht-kristalline Calciumsilikathydrate
(C3S2H3),
siehe
Abschnitt
D.4.1.4.4. Vor allem die C3S2H3-Partikel
sind wesentlich kleiner als die Zementkörner vor der Hydratation.
Die Hydratation nimmt an der Oberfläche
der Zementpartikel ihren Ausgang. Die
Bildung der Hydratationsprodukte führt zu
K
einem Zusammenwachsen der einzelnen
Zementkörner. Dadurch entsteht ein
durchgehendes Skelett (Matrix), das VoK
K
lumen der Kapillarporen (K) nimmt ab,
und das Zementsteinsystem entwickelt
K
Festigkeit, die mit steigendem Hydratationsgrad m anwächst. Der Hydratationsgrad ist dabei jener Volumen- bzw.
K
K
Massenanteil des Zementes, der zu einem bestimmten Zeitpunkt hydratisiert ist.
Zu Beginn der Hydratation ist m = 0; bei vollständiger Hydratation des gesamten Zementes ist m = 1.
- 196 Die Hydratationsprodukte weisen einige charakteristische Eigenschaften auf:
Mittlere spezifische Oberfläche:
ca. 2 - 3.105 m2/kg
Mittlere Teilchengröße:
1.10-9 m
Die Hydratationsprodukte sind daher um etwa drei Größenordnungen kleiner als die
unhydratisierten Zementkörner und weisen eine kolloidiale Größe auf. Die Struktur
eines erhärteten Zementsteins entspricht daher einem starren Gel (Baustofftechnologie I).
Die Hydratation des Zements erstreckt sich über einen langen Zeitraum. Der teilweise
hydratisierte Zement enthält verschiedene Bestandteile, die in folgender Skizze dargestellt sind und deren Anteile sich mit zunehmender Hydratation laufend verändern.
Feststoffe:
b
1
2
2
3
3
1
1
Poren:
a
3
1) Reste des unhydratisierten
Zementes
2)
C3S2H3, u.a. Hydratationsprodukte
3)
Calciumhydroxid
a)
Kapillarporen
b)
Gelporen
3
2
b
1
Die im Zementstein enthaltenen Poren sind
für dessen Eigenschaften von wesentlicher
Bedeutung:
Die Kapillarporen sind die Reste des Volumens, das ursprünglich von Mischwasser eingenommen wurde. Je nach Feuchtegehalt des Zementsteins sind die Kapillarporen mehr oder weniger mit Wasser gefüllt.
Die Gelporen trennen die einzelnen Gelpartikel voneinander; sie haben Durchmesser
im Bereich von ca. 10-5 bis 10-7mm und bieten demnach Platz für höchstens 5 Moleküle Wasser. Sind diese Poren wassergefüllt, so bezeichnet man das darin enthaltene
Wasser mit Gelwasser. Da das Wasser in den Poren des Zementsteins im Kräftefeld
der großen Oberflächen des hydratisierten Zementsteines liegt, kann es u.U. die Eigenschaften des freien Wassers verlieren, d.h. es gewinnt an Festigkeit, wird schwerer beweglich und dichter. Sowohl Kapillarwasser als auch Gelwasser sind verdampfbar, d.h. bei Erwärmung auf 105°C entweicht dieses Wasser. Darüber hinaus
enthält Zementstein auch chemisch gebundenes Wasser oder Kristallwasser, das in
die Hydratationsprodukte eingelagert und im Allgemeinen bei 105°C nicht verdampfbar ist.
Alle Hydratationsprodukte des Zements sowie das Gelwasser in den Gelporen werden als Einheit angesehen und mit Zementgel bezeichnet.
D.8.2
Verteilung der Komponenten des teilweise erhärteten Zementsteins (Powers-Modell)
D.8.2.1
Charakteristische Kenngrößen
Aus vielen Untersuchungen wurden für den Zementstein folgende Kenngrößen experimentell bestimmt:
a)
Jedes Gramm Zement bindet im Mittel eine bestimmte Menge an nicht verdampfbarem Wasser wn, um vollständig hydratisieren zu können:
wn = 0,24.m.z
(D.8.1)
- 197 Dabei bedeuten:
b)
wn :
Gewicht an nicht verdampfbarem (chemisch gebundenem) Wasser
z
:
Gesamtgewicht des Zements
m
:
Hydratationsgrad, d.i. der Gewichtanteil des Zementes, der mit Wasser reagiert hat
Die Menge an Gelwasser im wassergesättigten Zementstein und damit auch
das Gelporenvolumen sind der Menge an hydratisiertem Zement proportional:
wg = 0,18.m.z ,
wobei
c)
wg = Gewicht des Gelwassers
Das chemisch gebundene Wasser nimmt in seiner gebundenen Form einen
kleineren Raum ein als in seiner ungebundenen Form. Es gelten daher folgende Reindichten:
ρw
= 1,0 kg/dm3
Chemisch gebundenes Wasser:
ρwn
= 1,33 kg/dm3
Gelwasser:
ρwg = 1,001 ≈ 1,0 kg/dm3
Freies Wasser:
D.8.2.2
(D.8.2)
Volumen des Zementgels
Mit den unter D.8.2.1 gegebenen Kenngrößen kann das Volumen des Zementgels
rechnerisch ermittelt werden:
Vg =
m⋅z
ρz
wn
ρ wn
+
Zementgel- ursprüngl. Volumen
volumen
des bereits
hydratisierten Zementes
Vg =
mit
ρ wg
Volumen des
chem. gebundenen
Wassers
m ⋅ z 0,24 ⋅ m ⋅ z 0,18 ⋅ m ⋅ z
+
+
ρz
ρ wn
ρ wg
Volumen des
Gelwassers bzw.
der Gelporen
(D.8.3)
ρz = 3,15; ρwn = 1,33; ρwg = 1,00 erhalten wir
Vg = 2,13 ⋅
wobei
wg
+
m⋅z
ρz
,
(D.8.3a)
m⋅z
= ursprüngliches Volumen des bereits hydratisierten Zementes.
ρz
Gleichung (D.8.3a) zeigt, dass das Zementgel für m = 1 mehr als das Doppelte des
ursprünglichen Volumens des Zements vor der Hydratation einnimmt, d.h. das Kapillarporenvolumen nimmt ab (siehe Abschnitt D.8.2.3). Weil die Reindichte des chemisch gebundenen Wassers jedoch größer ist als die Reindichte des freien Wassers,
ist das Volumen des Zementgels trotzdem geringer als die Summe des ursprünglichen Volumens von Zement und Wasser, aus denen es gebildet wurde:
Vg0 =
m⋅z
1
+
wn + wg
ρz
ρw
(
)
(D.8.4)
⇒ nach Einsetzen von (D.8.1) und (D.8.2)
Vg 0 = 2,32 ⋅
m⋅z
ρz
(D.8.4a)
Selbst wenn man verhindert, dass der Zementstein während der Hydratation, z.B.
durch Trocknung, Wasser verliert, sind daher nicht alle verbleibenden Kapillarporen
- 198 wassergesättigt und es verbleiben leere Kapillarporen. Man bezeichnet diesen Vorgang als „innere Austrocknung“.
D.8.2.3
Kapillarporenvolumen
Das Kapillarporenvolumen ergibt sich aus dem Unterschied zwischen dem ursprünglichen Volumen von Zement (z) + Wasser (w0) vor der Hydratation sowie dem Volumen
des Zementgels + dem Volumen des noch nicht hydratisierten Zements:
Ursprüngliches Volumen:
z w0
+
ρz ρw
(D.8.5)
2,13 ⋅ m ⋅ z
ρz
(D.8.6)
V0 =
Zementgelvolumen:
Vg =
Volumen des noch nicht hydratisierten Zements:
Vnh = (1 − m) ⋅
z
ρz
(D.8.7)
Dann ist das Kapillarporenvolumen:
Vk = V0 - Vg - Vnh
VK =
z
ρz
(D.8.8)
w ρ

⋅  0 ⋅ z − 1,13m 
 z ρw

(D.8.8a)
Bezogen auf das Gesamtvolumen V0 ist
w 0 ρz
⋅
− 1,13 ⋅ m
VK
z ρw
=
w 0 ρz
V0
⋅
+1
z ρw
(D.8.9)
w0
− 0,36 ⋅ m
VK
= z
w0
V0
+ 0,32
z
(D.8.9a)
mit ρz/ρw = 3,15 erhalten wir
Gleichung (D.8.9a) zeigt, dass mit fallendem w0/z - Wert und steigendem Hydratationsgrad m (Alter) das Kapillarporenvolumen des Zementsteines abnimmt.
D.8.2.4
Hydratationsgrad, Wasserzementwert
Zementsteinkomponenten
und
Volumenanteile
der
Die Entwicklung des Hydratationsgrades m mit der Zeit hängt von der Hydratationsgeschwindigkeit des Zementes und damit von der Art und Festigkeitsklasse des Zementes, vom Wasserangebot und von der Temperatur ab. Das folgende Diagramm
gibt einen ungefähren Anhaltspunkt über die zeitliche Entwicklung des Hydratationsgrades bei einer Temperatur von T = 20 °C für Portlandzemente unterschiedlicher
Festigkeitsklassen.
- 199 Hydratationsgrad, m
1,0
0,9
52,5
0,8
0,7
32,5 R
0,6
0,5
32,5
0,4
0,3
0,2
0,1
0,0
1
3
7
28
90
Betonalter (Tage)
365
Abbildung D.8.1: Abhängigkeit des Hydratationsgrads vom Betonalter für Zemente
unterschiedlicher Festigkeitsklassen
Gleichung (D.8.9a) enthält als Parameter auch das Gewichtsverhältnis Wasser w0, zu
Zement z, also den Wasserzementwert. Daraus ergeben sich folgende Fragestellungen:
a)
Wieviel Wasser ist notwendig, damit der gesamte Zement gerade noch hydratisieren kann?
Aus (D.8.1) und (D.8.2) folgt:
wmin = 0,24 mz + 0,18 mz = 0,42 mz
(D.8.10)
Für m = 1 erhalten wir dann:
min
b)
w0
= 0,42
z
(D.8.10a)
Wie klein müsste der Wasserzementwert sein, damit bei völliger Hydratation
das Kapillarporenvolumen zu 0 wird?
Nach Gleichung (D.8.9a) ist
VK = 0 ⇒
w0
− 0,36 ⋅ m = 0
z
(D.8.11)
Für m = 1 erhalten wir:
min
w0
= 0,36
z
(D.8.11a)
Bedingung b) kann nur erfüllt werden, wenn dem Zementstein während der Hydratation zusätzlich Wasser zugeführt wird, das in den leeren Kapillarporen Platz findet.
Aus den Angaben der Abschnitte D.8.2.1 bis D.8.2.3 können die Volumenanteile des
Zementsteines in Abhängigkeit von m und w0/z bestimmt werden. Mit ρz/ρw = 3,15 sind
dies:
Zementgelvolumen:
Vg
V0
=
2,13 ⋅ m ⋅ z
0,68 ⋅ m
=
w0
ρ z ⋅ V0
+ 0,32
z
(D.8.12)
- 200 w0
− 0,36 ⋅ m
VK
= z
w0
V0
+ 0,32
z
Kapillarporenvolumen:
(D.8.9a)
Volumen des nicht hydratisierten Zementes:
Vnh (1 − m) ⋅ z 0,32 ⋅ (1 − m)
=
=
w0
V0
ρ z ⋅ V0
+ 0,32
z
(D.8.13)
Bei versiegelter Lagerung – kein Wasserverlust durch Trocknung, keine zusätzliche
Wasseraufnahme von außen – ist der Anteil leerer Poren im Kapillarporensystem:
VK leer
=
V0
V0
m
1,0
m
Volumen (%)
100
80
=
80
60
nicht
hydratisierter
Zement V nh
20
0
0,2
0,4
Wasserzementwert
ω
0
Vk
80
60
Zementgel V g
0
0,2
Vg
40
Vnh
20
0,8
V k (leer)
100
Vk
40
0,6
m = 1,0
0,5
60
40
(D.8.14)
m
1,0
V k (leer)
100
Kapillarporen, V k
0,06 ⋅ m
w0
+ 0,32
z
m = 0,5
0,5
m=0
0
Vg0 − Vg
Vnh
20
0,4
0,6
0,8
0
0
0,2
0,4
ω
0,6
0,8
ω
Abbildung D.8.2: Einfluss von Wasserzementwert ω und Hydratationsgrad m auf die
Volumenanteile des nicht hydratisierten Zementes vnh, des Zementgels vg, und der Kapillarporen vk im Zementstein
D.8.3
Kapillarporenvolumen, Wasserzementwert und Druckfestigkeit
des Zementsteines
Die Festigkeit eines Werkstoffes nimmt mit zunehmender Porosität ab. Annähernd gilt
folgende Beziehung, die sich auch theoretisch begründen lässt:
β = β0 . (1-v)n
Darin bedeuten:
β=
β0 =
v=
Vp
V0
=
n=
Festigkeit des porösen Werkstoffes
Festigkeit des Werkstoffes ohne Poren
Quotient aus Porenvolumen und Gesamtvolumen
Exponent (in der Regel zwischen 2 und 3)
(D.8.15)
- 201 Unter der Annahme, dass das Zementgel als Feststoff mit der Festigkeit β0 betrachtet
werden kann, erhalten wir aus Gleichung (D.8.9a) und Gleichung (D.8.13):
1- v = 1 −
Vk 0,32 + 0,36 ⋅ m
=
w
Vo
0,32 + 0
z
(D.8.16)
und


 0,32 + 0,36 ⋅ m 
β Z = β0 ⋅ 

 0,32 + w 0 
z 

n
,
(D.8.17)
wobei βZ = Festigkeit des Zementsteines.
Diese Gleichung ist annähernd richtig für hohe Werte von m.
Für m = 0 erhalten wir jedoch:

 0,32
β Z = β0 ⋅ 
 0,32 + w 0
z

n


 ≠0


,
(D.8.17a)
d.h. nach Gleichung (D.8.17) müsste der Zementstein auch vor Beginn der Hydratation bereits eine erhebliche Festigkeit besitzen, die vom Wasserzementwert abhängt.
Dies ist offensichtlich falsch, und Gleichung (D.8.17) ist für diesen Grenzwert deswegen fehlerhaft, weil sie nicht berücksichtigt, dass der unhydratisierte Zement noch
keine durchgehende Phase (Matrix) bildet.
Powers schlug daher vor, das Kapillarporenvolumen Vk nicht auf das gesamte Volumen V0 zu beziehen, sondern nur auf jenen Volumenanteil Va, der zu einem bestimmten Zeitpunkt mit Zementgel gefüllt werden kann.





 Va
Gelwasser


chem. geb. Wasser  Vg 


hydr. Zement



 VK
freies Wasser 
leere Poren
unhydr. Zement





 V0





Wir erhalten dann für
Va = V0 −
(1 − m) ⋅ z =
ρz
z
ρz
w ρ

⋅  0 ⋅ z + m
 z ρw

(D.8.18)
und für
w 0 ρz
− 1,13 ⋅ m
⋅
VK
z ρw
=
w 0 ρz
Va
+m
⋅
z ρw
Für m = 1 entspricht Gleichung (D.8.19) Gleichung (D.8.9).
(D.8.19)
- 202 -
Aus Gleichung (D.8.13) und Gleichung (D.8.19) ergibt sich dann mit
ρz
= 3,15 für die
ρw
Festigkeit des Zementsteines βZ:

 0,68 ⋅ m
β = β0 ⋅ 
 0,32 ⋅ m + w 0

z
n


 ≤ β0


(D.8.20)
Gleichung (D.8.20) erfüllt die Bedingung, dass für m = 0 auch β = 0 sein muss.
Powers fand die beste Übereinstimmung zwischen Versuch und Theorie für n = 3 und
β0 = 240 N/mm2.
Gleichung (D.8.20) kann verbessert werden, wenn wir berücksichtigen, dass neben
den Kapillarporen auch noch gewollte oder ungewollte Verdichtungs- und Luftporen
mit einem Volumen A im Zementstein enthalten sind. Dann erhalten wir für das Volumen Va, das mit Zementgel gefüllt werden kann:
Va =
m⋅ z w0
+
+A
ρz
ρw
(D.8.21)
und für
1−
VK + A
=
Va
0,68 ⋅ m
w +A
0,32 ⋅ m + 0
z
(D.8.22)
Daraus ergibt sich für die Zementsteinfestigkeit in [N/mm2]:
3



  N 
0,68 ⋅ m
β Z = 240 ⋅ 

 
2
 0,32 ⋅ m + w 0 + A   mm 
z


(D.8.23)
Zur leichteren Auswertung von Gleichung (D.8.23) ist es vorteilhaft, den Luftgehalt
w
z 
 auszudrücken.
des Zementsteines als Bruchteil des Zementleimvolumens  0 +
 ρw ρz 
Dann ist
Ap =
A
z w0
+
ρz ρw
(D.8.24)
und (D.8.23) wird zu




0,68 ⋅ m

β Z = 240 ⋅ 

w0
w0 

+ A p ⋅  0,32 +

 0,32 ⋅ m +
z
z  


3
Diese Beziehungen haben für verschiedene Zementarten Gültigkeit.
(D.8.25)
βz [N/mm²]
- 203 -
β z = 240 x³ [N/mm²]
200
100
0
0
0,2
0,4
0,6
0,8
1,0
Gelvolumenverhältnis x
2
βz [N/mm ]
Abbildung D.8.3: Ergebnisse von Versuchen an Zementstein nach Powers [D.8.1]
(verschiedene Zementarten, Lagerungsbedingungen, Alter)
250
200
150
100
m = 1,0
m = 0,5
50
m = 0,2
0
0
0,2
0,4
0,6
0,8
1,0
w/z = ω
Abbildung D.8.4: Theoretischer Zusammenhang zwischen Zementstein-Druckfestigkeit und w0/z nach Gleichung (D.8.25) für Ap = 0
2
βz [N/mm ]
- 204 -
250
200
150
100
m = 1,0
m = 0,5
50
m = 0,2
0
0
0,2
0,4
0,6
0,8
1,0
w/z = ω
Abbildung D.8.5: Theoretischer Zusammenhang zwischen Zementstein-Druckfestigkeit und w0/z nach Gleichung (D.8.25) für Ap = 0,08
D.8.4
Kapillarporosität und andere Zementeigenschaften
12
Wasserdurchlässigkeit in cm/s ⋅ 10
140
120
spez. Oberfläche
Alter
in cm²/g
in Tagen
100
3400
3400
7800
80
416
233
325
60
40
20
0
Hydratationsgrad [%]
100
Wasserzementwert:
80
60
0,2
0,3
0,4
0,8
0,5
0,7
0,6
40
0
10
20
30
40
Anteil der Kapillarporen [Vol.-%]
Abbildung D.8.6: Kapillarporosität und Wasserdurchlässigkeit von Zementstein in
Abhängigkeit vom Wasserzementwert und Hydratationsgrad
- 205 Ähnlich wie die Druckfestigkeit nimmt auch der E-Modul des Zementsteines mit sinkender Kapillarporosität zu. Von besonderer Bedeutung für die Dauerhaftigkeit ist die
deutliche Abnahme der Permeabilität (Durchlässigkeit) des Zementsteins gegen Wasser oder Luft mit sinkender Kapillarporosität. Diese ist für die Dauerhaftigkeit von Beton von ausschlaggebender Bedeutung, die durch den Widerstand des Betons gegen
das Eindringen von Wasser, aggressiven Lösungen oder Gasen bestimmt wird, siehe
Abschnitt D.10. Die Abnahme der Permeabilität des Zementsteins ist nicht nur auf die
Abnahme der Kapillarporosität zurückzuführen, sondern besonders darauf, dass das
Porensystem, das bei höheren w/z-Werten und niedrigem Hydratationsgrad noch
kontinuierlich ist, mit zunehmender Hydratation diskontinuierlich wird.
D.8.5
Folgerungen
a)
Die maximal erreichbare Druckfestigkeit des Zementgels beträgt ca. 240
N/mm2.
b)
Die Druckfestigkeit des Zementsteins wächst mit steigendem Hydratationsgrad m, d.h. bei ausreichender Feuchtlagerung mit steigendem Alter
und für ein gegebenes Alter mit steigender Lagerungstemperatur.
c)
Die Festigkeit des Zementsteins ist um so größer, je kleiner das Volumen von
Verdichtungs- und Luftporen ist.
d)
Die Druckfestigkeit des Zementsteins steigt mit kleiner werdendem Verhältnis
w0/z, dem ω-Wert.
e)
In Gleichung (D.8.25) wird unterstellt, dass die Druckfestigkeit von Zementstein und Beton ausschließlich durch die Volumenanteile der Kapillarporen
und durch die Druckfestigkeit des Zementgels bestimmt wird. Dies ist für
Wasserzementwerte von ca. ω ≥ 0,45 eine hinreichend genaue Annahme. Bei
kleineren Wasserzementwerten spielt aber auch die dritte Komponente, der
nicht hydratisierte Zement, eine zunehmend wichtige Rolle. Dieser hat als keramischer Werkstoff und im porenfreien Zustand eine höhere Druckfestigkeit
als das Zementgel und trägt zur Festigkeit insbesondere bei kleinen ω-Werten
wesentlich bei. Die Druckfestigkeit von Zementstein und Beton steigt daher abweichend von Gleichung (D.8.25) - mit sinkendem Wassergehalt auch
dann, wenn gilt: VK ≈ 0. Dies ist insbesondere für die Herstellung hochfester
Betone von unmittelbarer praktischer Bedeutung (siehe dazu Abschn. D.11.2).
Trotzdem beinhaltet Gleichung (D.8.25) direkt oder indirekt alle Einflussgrößen, die in der Betontechnologie von Bedeutung sind. Gleichung (D.8.25)
zeigt ferner die Möglichkeiten auf, wie Zementstein optimaler Festigkeit hergestellt werden kann. Da, wie später gezeigt wird, Beton- und Zementsteinfestigkeit annähernd einander proportional sind, hat Gleichung (D.8.25) in ihrem
Grundaufbau auch für die Druckfestigkeit von Beton Gültigkeit, sie ist dann lediglich noch mit einem zusätzlichen Proportionalitätsfaktor zu versehen.
Literatur:
[D.8.1]
POWERS, T. C., BROWNYARD, T. L.: Studies of the Physical Properties of
Hardened Portland Cement Paste, Research Laboratories, Portland Cement
Association, Bulletin No. 22, 1948
sowie
[D.4.2]
CZERNIN, W.: Zementchemie für Bauingenieure, Bauverlag GmbH, Wiesbaden-Berlin, 1977
[D.4.3]
HILSDORF, H. K. & REINHARDT, H. W.: Beton aus Betonkalender 2000, Verlag
Ernst & Sohn, Berlin, 2000
- 206 -
D.9
Mechanische Eigenschaften des erhärteten Betons
D.9.1
Festigkeit und Bruchvorgänge
Problemstellung:
Zum Entwurf eines Tragwerks aus Beton ist die Kenntnis der wesentlichen, die Betonfestigkeit beeinflussenden Parameter erforderlich. Noch mehr als bei metallischen
Werkstoffen hängt das Festigkeitsverhalten von Beton jedoch von einer Vielzahl von
Parametern ab.
D.9.1.1
Bruchvorgänge
D.9.1.1.1
Druckbruch
Druckspannung σ [N/mm²]
25
βD
IV
20
V
III
15
II
10
5
0
Der Bruch des Betons bei Druckbeanspruchung ist eine Folge langsamen und spontanen Wachstums
von Mikrorissen. Unter Druckspannungen verhält sich Beton nicht rein
spröde, sondern besitzt eine beschränkte Duktilität. Auch nach
Erreichen der Druckfestigkeit βD
kann der Beton bei sinkender Spannung noch weiter verformt werden.
I
0
1,0
2,0
3,0
4,0
Stauchung ε [‰]
Abbildung D.9.1: Spannungs-Dehnungsverhalten des Betons bei Druckbeanspruchung
Der Bruch erfolgt in mehreren Stadien:
I
Wegen der Behinderung des Schwindens von Zementstein durch die Gesteinskörnungen entsteht ein innerer Spannungszustand, der schon im unbelasteten Beton zu Mikrorissen, hauptsächlich in den Kontaktzonen Zementstein-Gesteinskorn, führt.
II
Bei etwa 50 % von βD wachsen die Risse entlang der Kontaktzonen weiter.
III
Bei etwa 80 % von βD treten auch in der Zementsteinmatrix Risse auf.
Ursachen:
Spannungsspitzen an den Wurzeln der schon vorhandenen Risse.
Gefügespannungen aufgrund der ungleichen Festigkeits- und Verformungseigenschaften von Zementstein und Gesteinskörnung.
Rissorientierung: Die Risse verlaufen vorwiegend parallel zur Belastungsrichtung.
Einige Risse weichen jedoch von dieser Richtung ab.
IV
Kleinere Risse vereinigen sich. Es entstehen größere Risse kritischer Länge,
so dass ein spontanes Risswachstum und die Bildung einer Bruchfläche möglich ist.
V
Durch Verringerung der Belastung kann die Bruchflächenbildung verhindert
werden. Die Mikrorisse wachsen langsam weiter. Dies führt zu einem Anwachsen der Betonverformung mit sinkender Spannung.
- 207 D.9.1.1.2
Zugbruch
Zugspannung σ [N/mm²]
II
3
2
I
βz
III
1
0
0
0,2
Dehnung ε [‰]
0,4
Geeignete Prüfmethoden (hohe Steifigkeit der Prüfmaschine, Wegsteuerung) ermöglichen die Aufzeichnung
eines
SpannungsDehnungsdiagrammes von Beton unter Zugbelastung, wie es im nebenstehenden
Bild dargestellt ist:
Abbildung D.9.2: Spannungs-Dehnungsverhalten von Beton bei Zugbeanspruchung
Auch beim Zugbruch können mehrere Stadien beobachtet werden:
I
Bis zu einer Spannung von ca. 80 % der Zugfestigkeit βZ verhält sich der Beton nahezu linear-elastisch.
II
An einer Schwachstelle im Probekörper beginnt senkrecht zur Belastungsrichtung die Ausbildung eines sehr schmalen Rissbandes, welches aus Mikrorissen besteht. Diese Mikrorisse sind zunächst diskontinuierlich, so dass noch
Zugspannungen übertragen werden können.
III
Die Mikrorisse wachsen, wodurch mit zunehmender Verformung die aufnehmbare Spannung abnimmt.
Reiner Zementstein ist kerbempfindlich und spröde. Bei Erreichen seiner Zugfestigkeit
werden die Risse nicht, wie bei Beton oder Mörtel, an den Gesteinskörnungen abgebremst. Es kommt daher zu einem schlagartigen Abfall der aufnehmbaren Spannung.
Mit steigendem Gehalt an Gesteinskörnern und steigendem Größtkorndurchmesser
nimmt die zum Trennen eines Probekörpers in zwei Hälften notwendige Energie (=
Bruchenergie) zu. Sie ist daher bei Beton höher als bei Mörtel.
D.9.1.2
D.9.1.2.1
Methoden zur Bestimmung der Betonfestigkeit
Zerstörende Prüfmethoden
Am Bauwerk
a)
Belastung bis zum Bruch
b)
Entnahme von Proben
(z.B. Bohrkerne)
An Parallelproben
Herstellung von Betonproben (Würfel,
Zylinder, Prismen) aus den selben
Mischungen, aus denen das Bauwerk
hergestellt wird
- 208 -
Druckfestigkeit:
Bei vorgegebenen Betoneigenschaften hängt die an einer Betonprobe ermittelte
Druckfestigkeit von folgenden Parametern ab:
• Probengröße
• Probenschlankheit
• Beschaffung der belasteten Endflächen
• Exzentrizität der Belastung
• Steifigkeit der Druckplatten und der Prüfmaschine
• Art der Lastaufbringung (Belastungsgeschwindigkeit)
Um diese zum Teil erheblichen Einflüsse möglichst gering zu halten, sind für die Betonprüfung Probenform, Versuchsdurchführung und Prüfmaschinen weitestgehend
genormt.
Standardprobe für den Druckversuch:
•
Würfel 200.200.200 [mm3] oder 150.150.150 [mm3]
•
In zweiter Linie auch Zylinder Durchmesser 150 mm, Höhe 300 mm
β/βl/d = 2
2,00
2,0
β/βd = 200
σ=β
d
l
σ=β
d
1,40
1,4
> C20/25
1,5
1,0
1,50
1,15
1,20
1,10
1,00
< C12/15
0,5
d
1,2
1,0
< C12/15
> C20/25
2,0
3,0
0,92
1,00
1,0
0,90
0,88
4,0 l/d
Abbildung D.9.3:
Einfluss der Probenschlankheit auf
die Druckfestigkeit des Betons
0,8
100
200
300 d (mm)
Abbildung D.9.4:
Einfluss der Würfelgröße auf die
Druckfestigkeit des Betons
Zugfestigkeit:
Ähnlich wie für die Druckfestigkeit spielen auch für die Bestimmung der Zugfestigkeit
etliche Einflussparameter eine Rolle. Besondere Bedeutung kommt hierbei dem Maßstabseffekt (engl. size effect) zu. Er beinhaltet die Abhängigkeit der gemessenen Zugfestigkeit von der Probengröße.
Die ursprüngliche Form des Size Effect Law (SEL) von Bažant lautet:
σ Nc

d 

= B ⋅ f t 1 +
d 0 

−
1
2
,
(D.9.1)
- 209 mit
σNc
= nominale Festigkeit (nominale kritische Spannung)
ft
= Betonzugfestigkeit
d
= maßgebende Abmessung des Betonkörpers
B, d0
= empirische Koeffizienten
log(nominale Festigkeit σNc)
Das SEL beschreibt den Übergang vom konventionellen Versagenskriterium der Festigkeitslehre zum energetischen Kriterium der Linear Elastischen Bruchmechanik
(LEBM, vgl. Skriptum Baustofftechnologie I) als Funktion der Betonkörpergröße.
LEBM-Kriterium
Festigkeitskriterium
ft
SEL
2
Festigkeitslehre
nichtlinearelastische
Bruchmechanik
1
LEBM
log(maßgebende Abmessung d)
Abbildung D.9.5: Schematische Darstellung des Size Effect Laws für die einachsige
Zugbeanspruchung
Der in Abbildung D.9.5 aufgeführte Bereich der Nichtlinearen Bruchmechanik (NLBM),
in dem das Size Effect Law den zutreffendsten Wert für die Zugfestigkeit in Abhängigkeit von der Probengröße (Bauteilabmessungen) liefert, berücksichtigt die bei Beton
auftretende Bruchprozesszone an der Spitze eines durch einen Probekörper laufenden Risses. Weiterführende Erläuterungen siehe Vertiefervorlesung Werkstoffmechanik im Betonbau.
Wegen der Sprödigkeit von Mörtel und Beton kann die Zugfestigkeit von Beton nicht,
wie z.B. beim Stahl, durch Einspannen einer Betonprobe in die Prüfbacken einer
Prüfmaschine ermittelt werden. Örtliche Spannungskonzentrationen an der Einspannung würden zum vorzeitigen Bruch führen. Die Zugfestigkeit von Beton wird daher
meist auf indirekte Weise ermittelt, z.B. am Biegebalken (Biegezugfestigkeit) oder an
einem durch zwei gegenüberliegende Linienlasten beanspruchten Zylinder (Spaltzugfestigkeit).
Die zentrische Zugfestigkeit kann bestimmt werden, indem man auf die Stirnflächen
der Proben mit einem geeigneten Kleber Stahlplatten aufklebt. Über diese Platten
können Zugspannungen zwängungsfrei eingeleitet werden.
Unterschiedliche Prüfmethoden führen zu unterschiedlichen Ergebnissen, da Spannungszustand und Spannungsverteilung bei den verschiedenen Methoden unterschiedlich sind.
- 210 -
4-Punkt-Biegung
F/2
Zug
Spaltzug
F/2
F
150
200
200
700
200
F
150
oder
oder
d = 150
3-Punkt-Biegung
L = 300
F
F
L = 300
100
200
200
700
150
F
d = 150
Abbildung D.9.6: Prüfmethoden zur Ermittlung der Zugfestigkeit von Beton
Die zentrische Zugfestigkeit im Alter von 28 Tagen, kann aus der Druckfestigkeit nach
folgender Beziehung abgeschätzt werden:
β ZZ = β Z0
mit
β
⋅  WN
 β W0
2
3


,
(D.9.2)
βZZ
= zentrische Zugfestigkeit im Alter von 28 Tagen
βZ0
= 1,32 N/mm2
βWN
= Nennfestigkeit des Betons
βW0
= 10 N/mm2
Die Biegezugfestigkeit des Betons hängt von der Balkenhöhe hb ab.
Für die 4-Punkt-Biegung gilt näherungsweise
β BZ
β ZZ
mit
h
1 + α BZ  b
 h0
=
h
α BZ  b
 h0






0,7
0,7
,
βBZ
= Biegezugfestigkeit bei 4-Punkt-Biegung
βZZ
= zentrische Zugfestigkeit
hb
= Balkenhöhe [mm]
h0
= 100 mm
αBZ
= 1,5
(D.9.3)
- 211 -
Spannungszustand beim Biegezugversuch
Spannungszustand beim Spaltzugversuch
(Annahme elastischen Verhaltens)
F
Verteilung im Schnitt y -y
F y
d
x
d
l
σx
x
F
max. M =
F*l
4
σxx
-
Biegespannungen:
max. σ
σy
+
y
y
+
-
Verteilung im
Schnitt x - x
β Z = max .σ =
βZ =
+
σy
-
max.σ y
2F
max.σx =
π dl
max.σ x
max.σy =
-6F
π dl
l: Länge des Zylinders
max .M 6 ⋅ max .M
=
W
b ⋅ d2
3 F⋅l
2 b ⋅ d2
Abbildung D.9.7: Biegezugversuch
Abbildung D.9.8: Spaltzugversuch
Der mit einer Einzellast beanspruchte Biegebalken hat meist eine etwas höhere Biegezugfestigkeit als der in den Drittelspunkten beanspruchte Balken, so dass
βBZ3
≈ 1,10
βBZ4
.
(D.9.4)
Im ersten Fall ist lediglich der Querschnitt in Balkenmitte der maximalen, zum Bruch
führenden Beanspruchung unterworfen. Im zweiten Fall tritt die maximale Beanspruchung dagegen über einen größeren Bereich auf. Die Wahrscheinlichkeit des Zusammentreffens maximaler Beanspruchung und minimaler Festigkeit ist im zweiten
Fall größer, die Festigkeit des Balkens deswegen meist geringer.
Bei der Bestimmung der Spaltzugfestigkeit βSZ steht der höchst beanspruchte Querschnitt unter einem 2-achsigen Spannungszustand (Druck und Zug). Die ZugDruckfestigkeit von Beton ist jedoch geringer als die einachsige Zugfestigkeit bei zentrischer Belastung βZZ (siehe Abschnitt D.9.1.7). Andererseits tritt bei der Spaltzugprobe die maximale Beanspruchung nur in einem Querschnitt auf. Dies führt zu einer
Festigkeitserhöhung gegenüber der Festigkeit eines gleichmäßig beanspruchten Körpers.
Näherungsweise kann gesetzt werden:
β SZ
≈ 1,10
β ZZ
(D.9.5)
- 212 D.9.1.2.2
Zerstörungsfreie Prüfmethoden
Dies sind Methoden zur Abschätzung der Festigkeit eines Werkstoffes, ohne die Proben zu zerstören. Dabei wird meist nicht die Festigkeit, sondern eine andere Materialkenngröße bestimmt, z.B. die Dichte oder der E-Modul, aus der dann auf die Festigkeit geschlossen werden kann.
Rückprallhammer:
Skala
Schlagbolzen
Feder
Die Methode basiert auf der Beobachtung, dass der Rückprall einer elastischen Masse von der Oberflächenhärte
und vom Elastizitätsmodul des zu prüfenden Werkstoffes abhängt. Im Rückprallhammer wird ein Schlaggewicht mit
einer bestimmten Energie gegen die
Oberfläche des zu prüfenden Werkstoffes geschlagen und der Rückprall des
Schlaggewichts gemessen. Dieser ist
ein Maß für die wahrscheinliche Betondruckfestigkeit.
Gewicht
Beton
Abbildung D.9.9: Rückprallhammer
Schalllaufzeitmessung:
Die Geschwindigkeit v, mit der ein Impuls einen festen Stoff durchläuft, folgt bei
Längswellen folgender Beziehung:
v2 =
(1 − ν )
E
⋅
ρ (1 + ν ) ⋅ (1 − 2 ⋅ ν )
(D.9.6)
Darin bedeuten
E = Elastizitätsmodul
ρ = Dichte des untersuchten Werkstoffes
ν = Querdehnungszahl
Bei bekannter Dichte und Querdehnungszahl kann daher über eine Schalllaufzeitmessung auf den E-Modul und damit indirekt auf die Festigkeit des untersuchten Betons geschlossen werden.
Beachte:
Neben der Druckfestigkeit hängt die Schalllaufzeit in hohem Maß von
der Betonfeuchte ab.
Untersuchungen mit Gammastrahlen:
Wird ein fester Körper mit Gammastrahlen einer bestimmten Energie bestrahlt, so
werden die Gammastrahlen abgebremst und gestreut. Mit steigender Entfernung von
der Energiequelle fällt ihre Intensität S nach folgender Beziehung:
S = S 0 ⋅ e − x⋅σ
Darin bedeuten:
S
= Strahlungsintensität
S0
= Strahlungsintensität an der Strahlungsquelle
x
= Entfernung von der Quelle
σ
= Materialkonstante, die auch von der Dichte abhängig ist
(D.9.7)
- 213 Mit Hilfe von Gammastrahlen können daher z.B. die Dicke eines Querschnittes oder
bei bekannten Abmessungen die Dichte des Betons und damit indirekt seine Festigkeit abgeschätzt werden.
Alle zur Zeit zur Verfügung stehenden indirekten Prüfmethoden sind relativ ungenau
und erlauben nur eine sehr grobe Abschätzung der Festigkeit von Baustellenbeton. In
den meisten Fällen können zuverlässige Werte nur über Vergleichsversuche an Betonen mit bekannten Eigenschaften erreicht werden.
D.9.1.3
Einflüsse auf die Festigkeit von Beton
Sowohl Zug- als auch Druckfestigkeit von Beton hängen ab
• von der Betonzusammensetzung und den Eigenschaften der Ausgangsstoffe,
• von den Erhärtungsbedingungen, d.h. von der Temperatur, dem Feuchtegehalt
und dem Alter des Betons
• von der Art der Belastung
• vom Spannungszustand
Darüber hinaus sind Prüfeinflüsse zu berücksichtigen, die im Abschnitt D.9.1.2 behandelt wurden.
Betrachtet man den Beton als Mehrphasensystem, so sind die wichtigsten Einflussparameter für Zug- und Druckfestigkeit von Beton:
• Festigkeit des Zementsteins (siehe Abschnitt D.8)
• Festigkeit der Gesteinskörnungen
• Festigkeit des Verbundes beider Komponenten
Einfluss der Betonzusammensetzung:
Die wichtigste Einflussgröße für die Betonfestigkeit ist der Wasserzementwert.
Darüber hinaus nimmt die Druckfestigkeit von Beton im Alter von 28 Tagen mit der
Normendruckfestigkeit des Zements zu.
Dies wird in der folgenden Abbildung deutlich, in der für verschiedene Zementarten
Beziehungen zwischen der mittleren Betondruckfestigkeit βW28 und dem Wasserzementwert angegeben sind. Die theoretischen Grundlagen für diesen Zusammenhang
wurden im Abschnitt D.8 näher behandelt.
- 214 Der experimentell gewonnene Einfluss
des Wasserzementwerts aus nebenstehendem Diagramm entspricht für w/z >
0,45 dem theoretischen Verlauf der
Zementsteinfestigkeit nach Abschnitt
D.8.3 und Gleichung (D.8.23) Bei kleinerem Wasserzementwert nehmen
Verarbeitbarkeit und damit Verdichtungswilligkeit des Frischbetons deutlich
ab, was zu einem reduzierten Festigkeitsanstieg mit sinkendem w/z-Wert
führt, es sei denn, es werden Betonzusatzmittel, insbesondere Fließmittel,
eingesetzt.
Betondruckfestigkeit
β W28 (N/mm²)
70
N 28 = 63,5 N/mm²
N 28 = 55 N/mm²
60
N 28 = 45 N/mm²
50
40
30
CEM 52,5
CEM 42,5
CEM 32,5
20
10
0,30
0,40
0,50
0,60
0,70
0,80
0,90
1,00
Wasserzementwert w/z
Abbildung D.9.10:
Betondruckfestigkeit in Abhängigkeit von w/z-Wert und der
Zementart
Für w/z-Werte < 0,45 ist im Diagramm daher ein Bereich anstelle einer eindeutigen
Kurve angegeben. Darüber hinaus ist zu beachten, dass die Betondruckfestigkeit mit
steigender Dicke der Zementsteinschicht, die die Gesteinskörnungen umhüllt, etwas
abnimmt.
Der Zementgehalt kann sich daher auf die Betonfestigkeit in zweierlei Hinsicht auswirken: Bei konstantem Wassergehalt führt eine Erhöhung des Zementgehalts zu
einer Reduktion des w/z-Wertes und damit zu einer Festigkeitssteigerung. Wird der
w/z-Wert aber konstant gehalten, so sinkt die Betondruckfestigkeit mit steigendem
Zementgehalt, sofern ein insgesamt ausreichender Zementsteingehalt vorhanden ist.
Einfluss der Gesteinskörnung:
β
Beton
(N/mm²)
40
w/z = 0,4
30
w/z = 0,5
20
10
w/z = 0,7
0
100
200 β
Körnung
Zuschlag
(N/mm²)
Die meisten Gesteinskörnungen
für Normalbeton haben Druckfestigkeiten, die höher liegen als
die Druckfestigkeit des Zementsteins. Ihr Einfluss auf die Betonfestigkeit ist daher gering.
Lediglich bei niederfesten Gesteinskörnungen (z. B. leichte
Gesteinskörnungen) wird die
Betonfestigkeit von der Festigkeit der Gesteinskörner wesentlich beeinflusst (siehe Abschnitt
D.11.3).
Abbildung D.9.11: Einfluss der Kornfestigkeit auf die Betonfestigkeit
- 215 -
Einfluss des Gesteinskorn - Zementstein - Verbundes:
Wegen des weitgehenden Fehlens chemischer Bindungen zwischen Zementstein und
Gesteinskorn ist die Verbundfestigkeit zwischen beiden Komponenten meist geringer
als die Zugfestigkeit des Korns oder des Zementsteins. Die Grenzflächen beider Komponenten sind daher häufig der Ausgangspunkt für die Bildung von Mikrorissen und
damit für den Bruch eines Betonkörpers (siehe Abschnitt D.9.1.1). Mit steigender
Verbundfestigkeit steigt auch die Betondruckfestigkeit. Allerdings gibt es kaum technische Möglichkeiten, die Verbundfestigkeit zu beeinflussen, mit Ausnahme jener Parameter, die auch die Zementsteinfestigkeit bestimmen.
Einfluss der Nachbehandlung des Betons:
Eine lang andauernde Feuchtlagerung des Betons ist die Voraussetzung für einen
hohen Hydratationsgrad des Zementsteins und damit eine hohe Betonfestigkeit. Junger Beton muss daher ausreichend nachbehandelt werden.
Über die Dauer der erforderlichen Nachbehandlung siehe Abschnitt D.7.5.
βD (%)
3 Mon. feucht
trocken geprüft
120
100
80
60
40
20
0
0
2
4
6
8
100 %
feucht bis zur
Prüfung
60 %
trocken gelagert
bis zur Prüfung
trocken gelagert
feucht geprüft
10
12 Monat
Abbildung D.9.12: Einfluss der Nachbehandlung auf die Festigkeitsentwicklung von
Beton
Herrscht während des ganzen Zeitraums der Nachbehandlung kühle Temperatur vor,
so erfolgen Hydratations- und Festigkeitsentwicklung langsamer. Der Beton muss
dann über einen längeren Zeitraum feucht gehalten werden, bis er die Festigkeit eines
bei normaler Temperatur gelagerten Betons erreicht (siehe dazu Abschnitt D.9.1.4).
- 216 -
Einfluss des Feuchtigkeitsgehaltes zum Zeitpunkt der Prüfung:
Betonproben, die unmittelbar vor ihrer Prüfung getrocknet werden, zeigen eine höhere
Festigkeit als Proben, die auch zum Zeitpunkt ihrer Prüfung noch feucht sind.
β
D
(N/mm²)
60
40
20
ofenofenfeucht
trocken
trocken
feucht
0
0
40
80
120
160
200
240 Tage
Abbildung D.9.13: Einfluss des Feuchtigkeitsgehaltes zum Zeitpunkt der Prüfung
Erklärung:
Wegen des kleiner werdenden Abstands zwischen den Gelpartikeln steigt die Festigkeit eines Gels mit sinkendem Feuchtigkeitsgehalt
Einfluss der Belastungsgeschwindigkeit:
Eine Erhöhung der Dehngeschwindigkeit ε, mit der Betonproben beansprucht werden,
führt zu einer deutlichen Erhöhung der erzielten Druck- und Zugfestigkeit.
β Z, dyn.
β D, dyn.
β Z, stat.
β D, stat.
2,0
6,0
1,8
5,0
1,6
4,0
1,4
3,0
1,2
2,0
1,0
1,0
0
-7 -6 -5 -4 -3 -2 -1 0
1
2
10 10 10 10 10 10 10 10 10 10
.
0
-7 -6 -5 -4 -3 -2 -1 0
1
2
10 10 10 10 10 10 10 10 10 10
ε (1/s)
.
ε (1/s)
Abbildung D.9.14: Einfluss der Belastungsgeschwindigkeit auf die Zug- und Druckfestigkeit
D.9.1.4
Einflüsse auf die Erhärtungsgeschwindigkeit
Die zeitliche Entwicklung der Festigkeit eines Betons wird durch die zeitliche Entwicklung des Hydratationsgrades und damit durch die Art und Festigkeitsklasse des verwendeten Zements sowie durch die Temperatur des Betons bestimmt (siehe z.B.
Abschnitte D.4.1.4.7 und D.8.2.4).
Je niedriger die Temperatur, um so geringer ist die Erhärtungsgeschwindigkeit (Vorlesung Baustoffkunde). Eine hohe Anfangstemperatur führt daher zu einer schnellen
Betonerhärtung. Dies wird z.B. bei einer gezielten Wärmebehandlung von Beton technisch genutzt.
- 217 Niedrige Temperaturen führen zwar zu einer langsameren Betonerhärtung, können
aber eine höhere Endfestigkeit bewirken.
Näherungsweise kann der Temperatureinfluss auf die Betonerhärtung mit dem Reifegrad R abgeschätzt werden.
Die einfachste Beziehung hierbei ist der Reifegrad RS nach SAUL-NURSE:
n
R s = ∑ (Ti + 10 ) ⋅ ∆t i
,
(D.9.8)
i=1
wobei
Ti =
mittlere Tagestemperatur des Betons in °C
∆ti =
Anzahl der Tage, während denen eine Temperatur Ti vorherrscht
Der Reifegrad Rs nach Gleichung D.9.8 entspricht dem Integral des Zeitverlaufes der
Temperatur oberhalb von – 10 °C. In Gleichung D.9.8 wird davon ausgegangen, dass
bei T = -10 °C die Hydratation völlig zum Stillstand kommt.
Die Annahme eines linearen Zusammenhangs zwischen Erhärtung und Temperatur
stellt eine grobe Näherung dar. Zuverlässiger ist eine Anwendung der ARRHENIUSGleichung (siehe Vorlesung Baustoffkunde):
t
−Q
R A = const. ⋅ ∫ e RT ⋅ dt
,
(D.9.9)
0
mit T =
t=
Betontemperatur [K]
Betonalter
Q=
Aktivierungsenergie für die Hydratation
R=
allgemeine Gaskonstante
Die Aktivierungsenergie hängt von zahlreichen technologischen Parametern ab und
muss daher experimentell bestimmt werden.
Anstelle des Reifegrades kann auch das wirksame Betonalter tT verwendet werden.
Weicht die Betontemperatur von 20 °C ab, so entspricht es jenem Betonalter, bei dem
der Beton dieselbe Reife wie bei einer konstanten Temperatur von 20 °C erreicht hat.
Unter Zugrundelegung von Gleichung D.9.8 erhält man für das wirksame Betonalter
tT:
n
tT =
∑ (Ti + 10 ) ⋅ ∆t i
i =1
(D.9.10)
30
Eine genauere, nichtlineare Abhängigkeit kann aus Gleichung D.9.9 abgeleitet werden:




4000

t T = ∑ ∆t i ⋅ exp13,65 −
T(∆t i ) 

i=1
273 +

T0 

n
mit
,
(D.9.11)
tT
=
wirksames Betonalter
T(∆ti)
T0
=
=
Betontemperatur in °C während des Zeitintervalls ∆t
Bezugswert = 1 °C
- 218 -
D.9.1.5
Verhalten von Beton unter Dauerlast
Problemstellung:
Viele Bauwerke sind über lange Zeiträume vorwiegend ruhenden, nahezu konstanten
Dauerlasten unterworfen. Die Dauerstandfestigkeit des Betons ist jedoch auch bei
Normaltemperaturen merklich kleiner als seine Kurzzeitfestigkeit. Bei der Bemessung
eines Betonbauwerkes kann daher nur die Dauerstandfestigkeit als Bruchteil der
Kurzzeitfestigkeit in Ansatz gebracht werden.
Zur Abschätzung der Dauerstandfestigkeit des Betons sind zwei gegenläufige Einflüsse zu berücksichtigen:
•
Festigkeitsabfall als Folge einer hohen Dauerspannung
•
Festigkeitszunahme als Folge der fortschreitenden Hydratation während der Dauerbelastung
Da die während der Dauerbelastung noch mögliche Hydratation vom Betonalter abhängt, hängt auch die Dauerstandfestigkeit in hohem Maße vom Belastungsalter des
Betons ab.
Wichtige Parameter:
a) Dauer der Beanspruchung b) Höhe der Dauerspannung
c) Belastungsalter
d) Feuchtigkeitsgehalt während der Dauerspannung
Das Dauerstandverhalten von unterschiedlichen Betonen kann durch eine einheitliche
Beziehung beschrieben werden, wenn die Festigkeit als Bruchteil der Kurzzeitfestigkeit im Alter von 28 Tagen βW28 ausgedrückt wird.
β DD /β W 28
1,6
Belastungsalter
3 Jahre
1,2
6 Monate
28 Tage
0,8
7 Tage
0,4
10 min.
kritischer Zeitraum
100 min.
1000 min.
7 Tage
70 Tage
700 Tage
Belastungsdauer (log.)
Abbildung D.9.15: Dauerstandverhalten von Betonen
Wegen der gegenläufigen Entwicklung der Einflüsse Hydratation und Dauerlasteinwirkung ist mit einem Dauerstandbruch nur innerhalb eines bestimmten Zeitraums zu
rechnen = kritischer Zeitraum. Er ist um so kürzer, je geringer das Belastungsalter, da
vor allem bei jungem Beton die Festigkeit als Folge der Hydratation (Nacherhärtung)
noch erheblich zunehmen kann. Sobald der Festigkeitszuwachs größer ist als die
Festigkeitsabnahme infolge der Dauerbeanspruchung, ist bei konstanter Dauerlast
kein Bruch mehr möglich.
Die Dauerstandfestigkeit von Beton im Alter von 28 Tagen beträgt ca. 0,8.βW28.
- 219 -
D.9.1.6
Verhalten von Beton bei wiederholter Beanspruchung
Problemstellung:
Betonquerschnitte (z.B. im Straßen- und Brückenbau) können einer großen Zahl von
Be- und Entlastungen unterworfen sein. Ähnlich wie bei Metallen nimmt die Spannung, die der Beton ohne Bruch ertragen kann, mit steigender Lastwechselzahl ab.
Bei der Bemessung so beanspruchter Bauwerke kann daher nur eine gegenüber der
Kurzzeitfestigkeit reduzierte Festigkeit (Dauerschwingfestigkeit) in Ansatz gebracht
werden.
Wichtige Parameter:
a) Lastwechselzahl
b) Ober- und Unterspannung
c) Schwingbreite
d) Frequenz der Belastung
e) Belastungsalter
f) Feuchtigkeitsgehalt während der Ermüdungsbeanspruchung
Spannungshöhe
σ max. /β D
1,0
A = σmin. /σmax.
0,9
A = 0,75
0,8
A = 0,5
0,7
A = 0,25
0,6
A=0
0,5
1
10 1 10 2 10 3 10 4 10 5
Anzahl der Lastwechsel N
10 6
10 7
10 8
Abbildung D.9.16: Dauerschwingfestigkeit von altem Beton (keine wesentliche Nacherhärtung während der Belastung)
Das Dauerschwingverhalten verschiedener Betone kann durch einheitliche Beziehungen ausgedrückt werden, wenn die Dauerschwingfestigkeit als Bruchteil der Kurzzeitfestigkeit bei Belastungsbeginn angegeben wird.
- 220 -
bezogene Oberspannung
σ max. /β D
1,0
bei sehr niedriger
Prüffrequenz
0,8
0,6
2R =
0,4
σmax. − σ min.
βD
0,2
0
0,2
0,4
0,6
0,8
1,0
0
bezogene Unterspannung σ min. /β D
Abbildung D.9.17: Einfluss der Schwingbreite auf die Dauerschwingfestigkeit von
altem Beton (GOODWIN-Diagramm)
D.9.1.7
Verhalten von Beton bei mehrachsiger Beanspruchung
Problemstellung:
In Flächentragwerken (Schalen, Scheiben, Platten, Faltwerke), dickwandigen Behältern, aber auch in Balken und umschnürten Säulen aus Beton herrscht ein mehrachsiger Spannungszustand. Festigkeits- und Verformungsverhalten von Beton hängen
jedoch von der Art des Spannungszustandes ab.
Zweiachsige Spannungszustände:
Zug
σ1 /βD
Druck
σ2 /βD
1,2 1,0 0,8 0,6 0,4 0,2
0,2
Zug
σ2 /βD
0,4
0,6
0,8
1,0
1,2
Mohr-Coulomb
Druck
Bei zweiachsiger Druckbelastung steigt die Betonfestigkeit
gegenüber der einachsigen
Druckfestigkeit etwas an.
Trotzdem kann in erster Näherung
die
MOHR-COULOMB´sche Bruchypothese zur
Abschätzung der Festigkeit
von Beton bei mehr-achsiger
Beanspruchung
ver-wendet
werden.
σ1 /βD
Abbildung D.9.18: Betonfestigkeit bei zweiachsiger Beanspruchung
- 221 -
Dreiachsige Spannungszustände:
140
β A (N/mm²)
120
β
100
Das nebenstehende Bild
zeigt die Festigkeit von
Beton unter dreiachsigem
Druck, wie sie an Betonzylindern bei radialer und
achsialer Beanspruchung
ermittelt wurde.
A
80
60
β
β
40
R
β
D 20
0
0
10
20
A
30
β R (N/mm²)
Abbildung D.9.19: Betonfestigkeit bei dreiachsigem Druck für verschiedene βA/βRVerhältnisse
Im Bruchzustand ist
β A = σ1
β R = σ2 = σ3
(Druck ist positiv)
σ1 ≥ σ2 = σ3
Mit steigender Radialspannung βR wächst die aufnehmbare Achsialspannung βA.
Näherungsweise kann dieser Zusammenhang beschrieben werden durch:
m
β A = βD + n ⋅ β R
(D.9.12)
Für kleine Werte von βR ist n ≈ 4,0 und m ≈ 1,0.
Von der Festigkeitssteigerung des Betons bei dreiachsiger Druckbeanspruchung wird
im Stahlbetonbau z. B. bei der Ausbildung umschnürter Säulen Gebrauch gemacht.
D.9.2
Verformungsverhalten
Problemstellung:
Die Kenntnis der Verformungseigenschaften eines Baustoffes ist Voraussetzung zur
Abschätzung von Bauwerksverformungen. Mehr als bei metallischen Werkstoffen
werden die Verformungseigenschaften von Beton durch eine Vielzahl von Werkstoffund Umweltparametern beeinflusst.
Einteilung der Verformungen im festen Zustand:
Lastunabhängige Verformungen
Lastabhängige Verformungen
Zeitunabhängig:
Wärmedehnung
Schwinden, Quellen
elastische Verformungen,
Schrumpfen, Treiben
bleibende Verformungen
Zeitabhängig:
Kriechen
Lastunabhängige Verformungen können auch im noch nicht erhärteten Beton auftreten.
- 222 -
Zusammenstellung lastunabhängiger Verformungen:
In der folgenden Tabelle sind die wesentlichen lastunabhängigen Verformungsanteile
des Betons aufgeführt. Dabei sind in erster Linie Schwinden, Quellen und Schrumpfen
sowie durch Temperaturänderungen hervorgerufene Verformungen von Bedeutung.
Tabelle D.9.1: Wesentliche lastunabhängige Verformungen
Verformung
Ursache
Setzen (Bluten)
Wasserabsonderung
Plastisches Schwinden
kapillarer Unterdruck
Schrumpfen
Hydratation
- chem. Schwinden
- innere Austrocknung
Trocknungsschwinden
Wasserverlust
Quellen
Wasseraufnahme
Karbonatisierungsschwinden
Karbonatisierung
Thermische Längenänderung
Temperaturänderung
Treiben
chemische Treibreaktion
Eine Entmischung des noch nicht erhärteten Betons (Bluten) führt zu einer Absonderung von Wasser (siehe Kap. D.5.3). Das zuvor mit diesem Wasser gefüllte Kapillarporensystem bricht teilweise in sich zusammen, wodurch der frische Beton an Volumen abnimmt. Die Menge an abgesondertem Wasser und die Volumenabnahme sind
einander proportional.
D.9.2.1
Wärmedehnung
Tabelle D.9.2: Richtwerte für die Wärmedehnzahl von Beton, αBT
Art der
Gesteins
körnung
αBT in 10-6 1/K
Feuchtezustand
für Zementgehalte in kg/m3
300 kg/m3
400 kg/m3
500 kg/m3
gebrochener
wassergesättigt
11,6
11,6
11,6
Quarz
lufttrocken
13,0
13,4
13,8
Quarzkies
wassergesättigt
11,1
11,2
11,2
mit Sand
lufttrocken
12,6
13,0
13,4
Granit
wassergesättigt
8,1
8,3
8,5
lufttrocken
9,7
10,2
10,9
wassergesättigt
7,4
7,6
7,8
lufttrocken
9,1
9,6
10,4
dichter
wassergesättigt
5,7
6,0
6,3
Kalkstein
lufttrocken
7,2
7,9
8,7
Basalt
- 223 -
Wärmedehnzahl des Zementsteins je nach Alter
und Feuchtigkeitsgehalt:
10.10-6 bis 20.10-6 K-1
Wärmedehnzahl des Kornmaterials je nach mineralogischem Aufbau:
4.10-6 bis 12.10-6 K-1
Wärmedehnzahl des Betons αBT je nach Zusammensetzung, Alter, Art des Kornmaterials, Feuchtigkeitsgehalt:
6.10-6 bis 15.10-6 K-1
D.9.2.2
Schwinden und Quellen
Definition:
Unter Schwinden versteht man eine last- und temperaturunabhängige Volumenabnahme eines Werkstoffes. Eine entsprechende Volumenzunahme wird mit Quellen
bezeichnet. Bei normalfestem Beton ist die Ursache von Schwinden und Quellen
hauptsächlich Wasserverlust als Folge einer Austrocknung bzw. Wasseraufnahme
des Zementsteins.
Schwind- und Quellvorgänge im Beton sind nur teilweise reversibel.
Schwinden [‰]
- 0,4
Trocknung bei 65 % rel. Feuchte
Wasserlagerung
- 0,3
- 0,2
- 0,1
0
3
+ 0,1
+ 0,2
7
14
28
90
180
360
Trocknungsdauer bzw.
Dauer der Wasserlagerung [Tage]
Quellen [‰]
Abbildung D.9.20: Schwind- und Quellvorgänge von normalfestem Beton in Abhängigkeit von der Trocknungsdauer bzw. der Dauer einer Wasserlagerung
Für Normalbetone liegt das Schwinden je nach Zusammensetzung und Lagerungsart
im Bereich von 0,1 bis 1 ‰ (siehe Abschnitt D.9.2.5).
Das in der Praxis beobachtete Schwinden von Betonbauteilen ist die Summe aus
Trocknungsschwinden, Schrumpfen und Karbonatisierungsschwinden. Bei Bauteilen
mit üblichen Abmessungen aus normalfestem Beton überwiegt bei Weitem das Trocknungsschwinden.
Plastisches Schwinden des noch nicht erhärteten Betons:
Die vor dem Erstarrungsbeginn entstehende und auf den frischen noch verarbeitungsfähigen Beton bezogene Volumenminderung infolge eines kapillaren Unterdrucks wird
als plastisches Schwinden, seltener auch als Kapillar- oder Frühschwinden bezeichnet.
- 224 Das Trocknungsschwinden resultiert aus dem durch Feuchteabgabe herbeigeführten
Feuchteausgleich mit der Umgebung. Es ist mit strukturellen Änderungen und Volumenänderungen des Betons verbundenen. Diese werden durch Kapillarspannungen,
Oberflächenspannungen und den Spaltdruck verursacht.
Veränderung von Kapillarspannungen:
d
γw
r
α
hK
P = γw cos απ d
d/2
d
Abbildung D.9.21: Kapillares Saugen und Kapillarspannungen; siehe Gl. D.9.13
Die kapillare Steighöhe ergibt sich aus einer Kräftebilanz:
Gewicht der Wassersäule = Aufnehmbare Kraft.
hk ⋅
d2 π
⋅ ρ w = cosα ⋅ γ w ⋅ π ⋅ d;
4
hk =
mit
cosα =
4cos α ⋅ γ w
2γ w
=
ρw ⋅ d
r ⋅ ρw
r
=
Radius des Meniskus
d
=
Durchmesser der Kapillare
α
=
Benetzungswinkel Wasser - Kapillare
γw
=
Oberflächenspannung des Wassers
ρw
=
Reindichte des Wassers
hk
=
Kapillare Steighöhe
d
2r
(D.9.13)
Zugspannung im Wasser σw:
σw =
2γ w
r
(D.9.14)
Als Folge der Oberflächenspannungen freier Oberflächen steigt Wasser in dünnen
Kapillaren. Dadurch entstehen Zugspannungen im Wasser, denen durch Druckspannungen in den Kapillarwandungen das Gleichgewicht gehalten wird. Die Steighöhe
und damit die Spannungen hängen vom Kapillardurchmesser d, vom Radius des
Meniskus r, und von der Oberflächenspannung des Wassers γw ab. Mit sinkender
relativer Feuchte der Umgebung nimmt auch der Radius des Meniskus ab, so dass
die Steighöhe des Wassers in der Kapillare und d i e Z u g s p a n n u n g e n im Wasser
anwachsen. Entsprechend steigen auch die Druckspannungen in der Kapillare. Dies
hat eine Volumenabnahme zur Folge (→ Schwinden).
Veränderung der Oberflächenspannung:
An der freien Oberfläche eines Körpers herrschen Zugspannungen (Oberflächenspannungen), denen durch Druckspannungen im Innern das Gleichgewicht gehalten
wird. Wird die Oberfläche mit einer benetzenden Flüssigkeit überzogen, so werden
die Oberflächenspannungen reduziert und ebenso die Druckspannungen im Inneren
des Körpers. Das Volumen des Körpers nimmt zu (→ Quellen). Bei der Austrocknung
- 225 nehmen die Oberflächenspannungen zu, das Volumen des Körpers nimmt ab (→
Schwinden).
Veränderung des Spaltdrucks:
H2O
Die Entfernung zwischen 2 Partikeln sei so gering, dass
an der schmalsten Stelle nur für wenige Wassermoleküle
Platz vorhanden ist. Werden die Partikel mit Wasser in
Berührung gebracht, so versuchen die Oberflächen zur
Verringerung ihrer Oberflächenspannung Wasser zu adsorbieren. Um auch an der engsten Stelle zwischen beiden Partikeln Wasser anlagern zu können, müssen die
Partikel auseinander geschoben werden. Es entsteht ein
Spaltdruck, der eine Volumenvergrößerung des Gesamtsystems zur Folge hat (→ Quellen). Bei einem Wasserentzug rücken die Partikel wieder zusammen (→ Schwinden).
Abbildung D.9.22: Spaltdruck zwischen zwei benetzten Feststoffpartikeln
Aufgrund der chemischen Reaktionen zwischen Zement und Wasser wird eine Volumenabnahme beobachtet, die dadurch hervorgerufen wird, dass das Volumen des
Zementgels kleiner ist als das Volumen des Wassers und des Zements, aus denen
das Gel gebildet wurde. Diese Volumenabnahme, gemessen an einer versiegelten
Probe bei konstanter Temperatur ohne äußere Belastung, wird mit Schrumpfen oder
autogenem Schwinden bezeichnet. Das Schrumpfen kann weiter in chemisches
Schwinden und in eine innere Austrocknung unterteilt werden. Das chemische
Schwinden beinhaltet die Volumenabnahme bei der Hydratation, die sich im Wesentlichen auf die Umwandlung des Ettringits in Monosulfat zurückführen lässt. Die innere
Austrocknung ist primär ein physikalischer Vorgang, bei dem das für eine weitere
Hydratation notwendige Wasser nicht mehr von außen durch das bereits dichte Betongefüge dringen kann, sondern aus den inneren Bereichen eines Betonkörpers
„abgesaugt“ wird. Hierdurch werden Kapillarkräfte aktiviert.
Auch die Karbonatisierung der Hydratationsprodukte des Zements ist mit einer Volumenverminderung verbunden (→ Karbonatisierungsschwinden). Sie ist jedoch nur auf
die Betonrandzone beschränkt.
Parameter, welche die Größe des Schwindens beeinflussen:
Entscheidend für die Größe des Schwindens ist in erster Linie der Wasserverlust
während des Austrocknens. Daher führen alle Parameter, welche den Wasserverlust
des Betons steigern, zu einer Erhöhung des Schwindens.
•
Zementsteinvolumen:
Mit zunehmendem Volumenanteil des Zementsteins nimmt die Größe des
Schwindens von Beton zu.
•
Wassergehalt und Wasserzementwert:
Mit steigendem Wassergehalt und zunehmendem ω-Wert wächst das Schwinden,
da die Menge an verdampfbarem Wasser und die Porosität des Zementsteins zunehmen.
•
Relative Luftfeuchte der umgebenden Luft:
Mit sinkender relativer Luftfeuchte steigt der Wasserverlust des Betons und damit
auch das Schwinden.
- 226 -
•
Körpergröße:
Die Körpergröße beeinflusst vor allem die Geschwindigkeit des Schwindablaufs:
Große Körper schwinden langsamer als kleine.
•
Art der Gesteinskörnung:
Die Gesteinskörner behindern die freie Schwindverformung des Zementsteins,
und zwar um so mehr, je steifer sie sind. Daher ist die Schwindverformung eines
Betons bei sonst gleichen Parametern um so kleiner, je höher der E-Modul der
Gesteinskörner.
Angaben zur Abschätzung der Größenordnung des Schwindens können Abschnitt
D.9.2.5 entnommen werden.
Folgeerscheinungen des Schwindens:
a)
Das Schwinden des Betons führt zu einem inneren Spannungszustand (Eigenspannungen), wobei die auftretenden Spannungen die Zugfestigkeit des Betons
überschreiten können und dann zu Oberflächenrissen führen.
Ursache: Die Größe der Schwindverformung ist dem Feuchtigkeitsverlust näherungsweise proportional. Da Beton jedoch nur sehr langsam austrocknet, sind
Feuchtigkeit und damit die freie Schwindverformung über die Probendicke ungleichmäßig verteilt.
Rel. Feuchte in %
100
5 Tage
90
10
20
40
80
80
70
60
50
Probenmitte
2,5
5,0
7,5 cm
Abbildung D.9.23: Feuchtigkeitsverteilung in einer Betonprobe (rel. Luftfeuchtigkeit
der Umgebung: 50 %)
b)
Neben den unter a) genannten Eigenspannungen treten auch Gefügespannungen auf, da das Schwinden und Quellen vorwiegend auf Vorgänge im Zementstein zurückzuführen ist. Die Gesteinskörner selbst schwinden und quellen aber
selbst nicht oder nur sehr wenig (Ausnahme: manche leichte Gesteinskörnungen). Die i. d. R. steiferen Gesteinskörner behindern das Schwinden des Zementsteins, so dass Druckspannungen im Gesteinskorn, Zugspannungen in der
Zementsteinmatrix entstehen. Diese können zu Rissen in der Kontaktzone zwischen Zementsteinmatrix und Gesteinskorn führen. Bei der Bestimmung der
Größe der Schwindspannungen ist jedoch zu berücksichtigen, dass sie durch die
Wirkung des Kriechens abgebaut werden können.
c)
Behinderte Schwindverformungen führen zu Zwängungsbeanspruchungen im
Bauwerk.
d)
Beim Spannbeton verursacht das Schwinden des Betons einen Spannkraftverlust.
- 227 -
D.9.2.3
Spannungs-Dehnungsdiagramm, Elastizitätsmodul und Querdehnungszahl bei Druckbelastung
Das Spannungs-Dehnungsdiagramm bei Druckbeanspruchung:
Die Form des Spannungs-Dehnungsdiagrammes
von Beton bei Druckbeanspruchung hängt in
hohem Maße von seiner Druckfestigkeit ab. Mit
steigender Porosität nimmt die Festigkeit des
βD = 55N/mm² Betons ab, während seine Verformbarkeit steigt.
σ (N/mm²)
60
40
20
0
0
1
2
3
Dehnung (‰)
(°/oo)
4
Abbildung D.9.24: Spannungs-Dehnungsdiagramm bei Druckbeanspruchung
Ferner wird das Spannungs-Dehnungsdiagramm des Betons von der Dehngeschwindigkeit beeinflusst: Je langsamer die Dehngeschwindigkeit, um so größer die Verformbarkeit.
σ/βD
1,0
1 ‰ / 100 Tage
0,75
0,5
1 ‰ / 1 Tag
βD = 21 N/mm²
0,25
0
1 ‰ / 1 Stunde
1 ‰ / 1 min.
0
1
2
3
4
5
6
7
Dehnung ε [‰]
Abbildung D.9.25: Spannungs-Dehnungsdiagramm in Abhängigkeit von der Dehngeschwindigkeit
1 
 dε
>
Beachte: Sehr hohe Dehngeschwindigkeiten 
 führen zu einem deutlichen
 dt sec 
Anstieg von Festigkeit und E-Modul.
- 228 -
Der Elastizitätsmodul:
Der Elastizitätsmodul des Betons, definiert als Sekanten- oder Tangentenmodul,
nimmt auch bei kleinen Spannungen mit steigender Spannung ab. Näherungsweise
kann er jedoch im Bereich der Gebrauchsspannungen (σ < ca. 0,40.βd) als konstant
angenommen werden.
Einflussgrößen:
• Elastizitätsmodul des Zementsteins, der mit steigender Porosität (steigender w/zWert, sinkender Hydratationsgrad) abfällt
• Elastizitätsmodul der Gesteinskörnung
• Korn- und Zementsteingehalt
• Feuchtigkeitsgehalt des Betons zum Zeitpunkt der Belastung
Die Abhängigkeit des E-Moduls von Beton von den E-Moduln der Gesteinskörnung
und des Zementsteins kann mit Hilfe einfacher Modellvorstellungen abgeschätzt werden, die im Teil D beschrieben werden.
Näherungsweise kann der E-Modul des Betons auch in Abhängigkeit von der Betondruckfestigkeit abgeschätzt werden (siehe dazu Abschnitt 9.2.5.1).
Die Querdehnungszahl von Beton:
0,8
Die Querdehnungszahl ist abhängig von der
Spannungshöhe und steigt bei hohen Spannungen von Anfangswerten zwischen 0,10
und 0,20 bis auf Werte > 0,5 an.
0,6
Ursache:
βD
σ/βD
1,0
Während der Belastung auftretende Mikrorisse im Beton führen zu hohen Querdehnungen
0,4
0,2
0
0
0,2
0,4
Querdehnungszahl µ
Abbildung D.9.26: Querdehnungszahl in Abhängigkeit von der Spannungshöhe
D.9.2.4
Kriechen von Beton
Definition:
Kriechen von Beton ist der zeitabhängige Anstieg der Verformung unter konstanter
Dauerlast nach Abzug der an einer unbelasteten Probe beobachteten Schwindverformung.
Die folgenden Ausführungen gelten für die Kriechverformung von Beton unter Druckbeanspruchung. In erster Näherung kann angenommen werden, dass bei absolut
gleicher Spannung deutlich unterhalb der Zugfestigkeit, Kriechen bei Druck- bzw.
Zugbeanspruchung annähernd gleich sind.
- 229 Im Bereich der Gebrauchsspannungen betragen die Kriechverformungen von Beton
unter konstanter Dauerlast ungefähr das 1- bis 4-fache der elastischen Augenblicksverformung (Verformung unmittelbar nach der Belastung).
Wird der Beton nach einer Dauerbelastung wieder entlastet, so geht ein Teil der
Kriechverformungen zurück (= verzögert elastische Verformung, Anelastizität). Der
irreversible Anteil der Kriechverformung wird als Fließverformung bezeichnet.
Die Gesamtverformung des Betons setzt sich daher aus folgenden Anteilen zusammen:
εc(t) = εci(t0) + εcc(t) + εcs(t) + εcT(t)
(D.9.15)
εc(t) = εcσ(t) + εcn(t)
(D.9.15a)
εc(t) = εci(t0) + εcd(t) + εcf(t) + εcs(t) + εcT(t)
(D.9.15b)
bzw.
Darin bedeuten:
εc(t)
=
Gesamtverformung (total strain) des Betons bei einem Betonalter t
εci(t0)
=
Elastische Augenblicksverformung (initial strain) bei einer Belastung im Betonalter t0
εcc(t)
=
Kriechverformung (creep) bei einem Betonalter t
εcs(t)
=
Schwindverformung (shrinkage) bei einem Betonalter t
εcT(t)
=
Temperaturdehnung (thermal strain) bei einem Betonalter t
εcσ(t)
=
εci(t0) + εcc(t) = gesamte lastabhängige Verformung bei einem
Betonalter t
εcn(t)
=
εcs(t) + εcT(t) = gesamte lastunabhängige Verformung bei einem Betonalter t
εcd(t)
=
Verzögert elastische Verformung bei einem Betonalter t
εcf(t)
=
Fließverformung bei einem Betonalter t
t0
=
Belastungsalter
t
=
Betonalter
Dehnung εcc
elastische Rückverformung
verzögerte elast.
Verformung εcd(t)
Kriechverformung εcc(t)
bleibende
Verformung εcf(t)
εcs(t)
εci(t)
εcs = Schwindverformung
Belastungsdauer (t - t0)
Abbildung D.9.27: Schematische Darstellung der einzelnen Verformungs- bzw.
Kriechanteile des Betons
Bei niedrigen Spannungen ist die Kriechverformung des Betons der aufgebrachten
Spannung annähernd proportional. Bei Spannungen oberhalb der Dauerstandfestig-
- 230 keit (Abschnitt 9.1.3) tritt unter Dauerlast ein Bruch ein, wobei die Bruchdehnung mit
steigender Belastungsdauer bis zum Bruch wächst.
σ/βD
1,0
Bruchgrenze
0,8
Augenblicksverformung
0,6
Kriechgrenze
t=
0,4
β D = 35 N/mm²
Belastungsalter = 56 Tage
0,2
0
0
2
4
6
Dehnung (°/oo)
(‰)
8
Abbildung D.9.28: Betonbruch- und Kriechgrenzen
Folgeerscheinungen des Kriechens:
• Zeitabhängige Vergrößerung der Bauwerksverformungen (z.B. Durchbiegung)
• Abbau von Eigenspannungen (z.B. von Schwindspannungen)
• Reduktion der Vorspannkraft bei Spannbeton
• Abbau von Zwängungsspannungen
• Umlagerung der Spannungen bei Verbundwerkstoffen
• Beeinflussung der Schnittkraftverteilung in statisch unbestimmten Tragwerken aus
Werkstoffen mit unterschiedlichen Verformungseigenschaften
Ursachen des Kriechens:
Versuche an Beton mit unterschiedlichem Feuchtigkeitsgehalt zeigten, dass das Kriechen des Betons in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Wassergehalt und der
Austrocknung des Betons während der Belastung steht.
Relatives Kriechmaß
1,8
1,6
Trocknung während
der Belastung
1,4
1,2
1,0
Trocknung vor der Belastung
(kein Wasserverlust
während der Belastung)
0,8
0,6
0,4
0,2
0
0
-10
-20
-30
-40
-50
Wasserverlust in % des Anmachwassers
Abbildung D.9.29: Relatives Kriechmaß in Abhängigkeit vom Wasserverlust
- 231 Das obenstehende Diagramm verdeutlicht folgende Beobachtungen:
a)
Beton, der während der Belastung versiegelt ist, so dass er keine Feuchtigkeit
verlieren kann, kriecht um so weniger, je geringer sein Feuchtigkeitsgehalt ist.
b)
Sehr trockener Beton oder Zementstein zeigt nur sehr geringe Kriechverformungen.
c)
Beton, der während der Belastung austrocknet, kriecht um so mehr, je größer
der Wasserverlust während der Belastung ist.
Daraus ist zu schließen, dass die Vorgänge, die Kriechen und Schwinden des Betons
verursachen, eng miteinander verwandt sind.
Entsprechend dem Feuchtigkeitsgehalt und dem Feuchtigkeitsverlust während der
Belastung unterscheidet man zwischen:
Grundkriechen:
Kriechverformung einer wassergesättigten Probe, die während der Belastung versiegelt ist, so dass sie kein Wasser verliert.
Mögliche Ursache:
Die äußere Belastung führt zu einer Veränderung des Abstandes zwischen den Zementsteinpartikeln. Adsorbierte Wassermoleküle stehen unter zusätzlichen, lastabhängigen Spannungen, das thermodynamische Gleichgewicht in der Nähe der Oberflächen ist gestört. Die Wassermoleküle diffundieren daher von den Bereichen hoher
Spannung zu Bereichen niedrigerer Spannung. Dadurch wird eine weitere Annäherung der Gelpartikel (→ Kriechverformung) ermöglicht. Darüber hinaus können Gleitvorgänge zwischen und innerhalb der Gelpartikel auftreten. Bei hohen Spannungen
führt eine zeitabhängige Rissbildung zu bleibenden Verformungen.
Trocknungskriechen:
Kriechverformung einer Probe, die während der Belastung austrocknen kann, abzüglich des Grundkriechens.
Eine mit der Belastung gleichzeitig stattfindende Austrocknung erhöht die Beweglichkeit der Wassermoleküle und beschleunigt damit den Kriechvorgang bzw. erhöht die
Kriechverformung.
Verzögert elastische Verformung:
Der teilweise Rückgang der Kriechverformung nach der Entlastung.
Der Abstand zwischen den einzelnen Gelpartikeln hat sich durch die Entlastung wieder vergrößert, das thermodynamische Gleichgewicht ist erneut gestört, und ein Teil
der Wassermoleküle wandert wieder an die ursprünglichen Stellen zurück.
Das Kriechen kann wegen bleibender Strukturveränderungen jedoch nicht völlig reversibel sein.
Ursachen:
Mikrorissbildung während der Belastung; Bildung von Primärbindungen zwischen
Gelpartikeln; Kriechen durch bleibende Gleitverformungen
- 232 Parameter, welche die Größe des Kriechens beeinflussen:
Alle Parameter, die zu einer Erhöhung der Schwindverformungen des Betons führen,
verursachen auch eine Erhöhung des Kriechens:
• Zementsteinvolumen
• relative Luftfeuchte der umgebenden Luft
• Körpergröße
• Art der Gesteinskörnung
Zusätzlich ist zu berücksichtigen:
• Hydratationsgrad bzw. Alter des Betons bei Belastungsbeginn
Das Kriechen ist um so geringer, je geringer die Porosität des Betons, d.h. je älter der
Beton bzw. je höher sein Hydratationsgrad ist.
D.9.2.5
Vorherbestimmung der Verformungseigenschaften von Beton
Die in den folgenden Abschnitten dargestellten Ansätze zur Vorbestimmung des
Schwindens und Kriechens von Konstruktionsbeton sind aus der neuen DIN 1045
entnommen. Hinsichtlich des stoffmechanischen Grundkonzeptes und der mathematischen Darstellung lehnen sich die neuen Ansätze an die Vorhersagemodelle im Eurocode 2 bzw. CEB-FIP Model Code 1990 an. Das angegebene Vorhersageverfahren
für die elastische Verformung wurde aus dem CEB-FIP Model Code 1990 übernommen.
D.9.2.5.1
Elastische Verformung oder Augenblicksverformung
Solange auf den Beton einwirkende Druckspannungen etwa 40 % der Kurzzeitdruckfestigkeit des Betons nicht überschreiten, können die Augenblicksverformungen, die
unmittelbar nach der Lastaufbringung auftreten, mit Hilfe des Elastizitätsmoduls Ec
bestimmt werden. Dieser kann nach folgender Beziehung abgeschätzt werden:
f
σ
E c = c = α E ⋅ E c 0  cm
 fcm
ε ci
 0
mit
1
3



(D.9.16)
Ec = Elastizitätsmodul des Betons im Alter von 28 Tagen, definiert
als Tangentenmodul bei σc = 0 [N/mm2]
σc = Spannung [N/mm2]
εci = elastische Verformung, Belastungsalter 28 Tage [mm/mm]
Ec0 = Grundwert des E-Moduls = 2,15.104 [N/mm2]
fcm = mittlere Zylinderdruckfestigkeit des Betons im Alter von 28
Tagen [N/mm2]
2
fcm 0 = Bezugswert = 10 [N/mm ]
αE = Beiwert zur Berücksichtigung des Einflusses der Art der Gesteinskörnung auf den E-Modul.
- 233 -
Tabelle D.9.3: αE für verschiedene Arten von Gesteinskörnungen
Art der Gesteinskörnung
αE
Basalt, dichter Kalkstein
1,2
Quarzitisches Gestein
1,0
Kalkstein
0,9
Sandstein
0,7
Soll der Einfluss bleibender Anfangsverformungen berücksichtigt werden, so ist Ec
nach Gleichung D.9.16 um den Faktor 0,85 zu reduzieren.
Für die Querdehnung kann für σc < 0,4.fcm eine Poisson´sche Zahl ν ≈ 0,20 angenommen werden.
D.9.2.5.2
Schwinden, Quellen und Kriechen
Berechnungsannahmen:
a)
Bei Druckspannungen unter etwa 40 % der Druckfestigkeit und bei Zugspannungen unterhalb 80 % der Zugfestigkeit ist das Kriechen der elastischen Dehnung
bzw. der aufgebrachten Dauerspannung proportional.
b)
Die Kriechverformungen bei Druck- und Zugspannungen sind bei absolut gleicher Spannung gleich.
c)
Kriechvorgänge erstrecken sich über viele Jahre, u. U. über Jahrzehnte, wobei
die Kriechgeschwindigkeit dauernd abfällt. Es ist noch nicht eindeutig geklärt, ob
die Kriechverformung selbst oder nur die Kriechgeschwindigkeit einem Endwert
zustreben. In erster Näherung wird jedoch angenommen, dass das Kriechen einen Endwert erreicht.
d)
Es werden nur Eingangsparameter angesetzt, die dem entwerfenden Ingenieur
zum Zeitpunkt der Bemessung bekannt sind. Dies sind im Einzelnen:
• Festigkeitsklasse des Betons
• Belastungsalter des Betons
• Bauwerksabmessungen
• Festigkeitsklasse des Zementes.
Die Kriechzahl:
Die Kriechverformung des Betons εcc(t,t0) bei einem Betonalter t, der bei einem Belastungsalter t0 erstmals beansprucht wurde, wird durch die Kriechzahl ϕ(t,t0) ausgedrückt:
ϕ(t,t0) = εcc(t,t0)/εci
(D.9.17)
Beim dargestellten Vorhersageverfahren wird für εci stets die elastische Verformung
im Alter von 28 Tagen angenommen, so dass gilt:
ε cc ( t, t 0 ) = ϕ ( t, t 0 ) ⋅
wobei
σc
E c 28
σc = kriecherzeugende Spannung [N/mm²]
Ec28 = Elastizitätsmodul nach Gleichung D.9.16 [N/mm2].
(D.9.18)
- 234 Die Vorhersage der Kriechzahl erfolgt nach einem sog. Produktansatz der allgemeinen Form:
ϕ(t,t0) = k1(t0)...ki...k(t-t0)
mit
(D.9.19)
k1(t0) =
Beiwert, der den Einfluss des Belastungsalters t auf das Kriechen berücksichtigt
ki =
Beiwerte, welche andere Einflussgrößen auf das Kriechen, z. B.
die Festigkeitsklasse des Betons, berücksichtigen
t=
Betonalter
t0 =
Belastungsalter
k(t-t0) =
Beiwert, der den zeitlichen Verlauf des Kriechens beschreibt
t-t0 =
Belastungsdauer.
Im Einzelnen gilt für die Vorhersage:
ϕ(t,t0) = ϕ0.βc(t, t0)
(D.9.20)
Darin sind
ϕ0 =
βc(t,t0) =
Grundwert der Kriechzahl
Funktion zur Beschreibung des zeitlichen Kriechverlaufes.
Die Größe ϕ0 kann aus den Gleichungen D.9.21 bis D.9.24 bestimmt werden:
mit
ϕRH
(D.9.21)


RH


1−


RH0
 ⋅ α2
= 1 +
⋅
α
1
1
 

3

  0,1⋅ h 

h0 
 

(D.9.22)
β(fcm ) =
und
β ( t0 ) =
und
 3,5 ⋅ fcm0 
α1 = 

 fcm 
mit
wobei
ϕ 0 = ϕRH ⋅ β(fcm ) ⋅ β(t 0 )
RH =
RH0 =
5,3
 fcm

 fcm
 0




(D.9.23)
0,5
1
t 
0,1 +  0 
 t1 
0,7
 3,5 ⋅ fcm0 
und α 2 = 

 fcm 
relative Feuchte der umgebenden Luft [%]
Bezugswert = 100 %
(D.9.24)
0,2
0,2
(D.9.25)
- 235 fcm =
mittl. Zylinderdruckfestigkeit des Betons im Alter von 28 Tagen
[N/mm2]
fcm0 =
Bezugswert = 10 N/mm2
t0 =
Belastungsalter [Tage]
t1 =
Bezugswert = 1 Tag
h=
wirksame Bauteildicke [mm]
h0 =
Bezugswert = 100 mm.
Die wirksame Bauteildicke h ist definiert als
h = 2.Ac/u
mit
Ac = Querschnittsfläche [mm]
u =
Anteil des Querschnittumfanges, welcher einer Austrocknung ausgesetzt ist [mm].
Die Beiwerte α1 und α2 bewirken, dass nach Gleichung D.9.22 mit steigender Betondruckfestigkeit der Einfluss der rel. Feuchte der umgebenden Luft auf das Kriechen
immer geringer wird. Damit wird erfasst, dass mit steigender Betondruckfestigkeit der
Beitrag des Trocknungskriechens zur gesamten Kriechverformung abnimmt.
Nach Gleichung D.9.23 sinkt das Kriechen mit steigender Druckfestigkeit des Betons.
Die Betondruckfestigkeit ist hier nur als Hilfsgröße zu betrachten, die den Einfluss des
Wasserzementwertes indirekt erfasst.
Gleichung D.9.24 berücksichtigt den Einfluss des Belastungsalters t0: Mit steigendem
Belastungsalter nimmt die Kriechverformung deutlich ab.
Die zeitliche Entwicklung des Kriechens wird durch eine Hyperbelfunktion nach Gleichung D.9.26 beschrieben:
 ( t − t0 ) 


t1

βc ( t, t 0 ) = 

t − t0 ) 
(
 βH +

t1 

0,3
(D.9.26)
mit
18


RH   h
β H = 150 ⋅ 1 +  1, 2 ⋅
+ 250 ⋅ α 3 ≤ 1500 ⋅ α 3
 
RH 0   h 0



 3,5 fcm0 
α3 = 

 fcm 
und
wobei
t1 =
1 Tag
fcm0 = 10 N/mm2
RH0 =
100 %
h0 =
100 mm
(D.9.27)
- 236 Nach den Gleichungen D.9.26 und D.9.27 entwickelt sich das Kriechen umso langsamer, je dicker das betrachtete Bauteil ist. Bei hoher rel. Luftfeuchte vermindert sich
der Einfluss der Körperdicke wie schon in Gleichung D.9.22.
Die folgende Tabelle gibt als Anhaltswerte die Endkriechzahlen von Beton ϕ70. Sie
entsprechen den Kriechzahlen, die sich aus den Gleichungen D.9.20 bis D.9.26 für
eine Belastungsdauer von 70 Jahren ergeben.
Tabelle D.9.4: Endkriechzahlen für Beton ϕ70
Belastungsalter
t0 [Tage]
Trockene Umweltbedingungen
(Innenräume) RH = 50 %
Feuchte Umweltbedingungen
(im Freien) RH = 80 %
wirksame Bauteildicke h [mm]
50
150
600
50
150
600
1
5,8
4,8
3,9
3,8
3,4
3,0
7
4,1
3,3
2,7
2,7
2,4
2,1
28
3,1
2,6
2,1
2,0
1,8
1,6
90
2,5
2,1
1,7
1,6
1,5
1,3
365
1,9
1,6
1,3
1,2
1,1
1,0
Je nach verwendetem Zement hat der Beton bei einem gegebenen Belastungsalter
unterschiedliche Hydratationsgrade und entsprechend eine unterschiedliche Kriechneigung. Dies kann durch eine Korrektur des Belastungsalters t0 nach Gleichung
D.9.28 berücksichtigt werden:



9
t 0 = t 0,T ⋅ 
 t 0,T

 2 +  t
 1,T

α
1,2






+ 1 ≥ 0,5 Tage



(D.9.28)
Dabei ist t0,T das tatsächliche Belastungsalter, das nach Gleichung D.9.11 (Abschnitt
D.9.1.4) korrigiert werden muss, wenn die Lagerungstemperatur vor der Belastung
deutlich von 20 °C abweicht. Die Größe t0 ist das in Gleichung D.9.24 und Gleichung
D.9.26 einzusetzende Belastungsalter. Die Potenz α ist Tabelle D.9.5 zu entnehmen.
Tabelle D.9.5: Potenz α in Abhängigkeit von der Festigkeitsklasse des Zementes
Festigkeitsklasse des
Zementes
Potenz α
CEM 32,5
-1
CEM 32,5 R
CEM 42,5 R
CEM 42,5
CEM 52,5
0
+1
Nach Gleichung D.9.28 ist bei einem gegebenen Belastungsalter ein Beton aus einem
langsam erhärtenden Zement CEM 32,5 im Vergleich zu einem Beton aus einem
schneller erhärtenden Zement CEM 32,5 R in bezug auf das Kriechen jünger. Bei
höheren Belastungsaltern (t0 > 28 Tage) verschwindet der Einfluss des Zementes.
- 237 -
Das Schwindmaß:
Die Schwindverformung eines Betons εcs(t,ts) bei einem Alter t, der ab einem Alter ts
austrocknen kann, setzt sich aus den Anteilen des autogenen Schwindens εc,as(t) und
des Trocknungsschwindens εc,ds(t,ts) zusammen. Die Komponenten des Schwindens
ergeben sich aus dem Grundwert des autogenen Schwindens (Schrumpfen) εc,as0(fcm)
und einer Zeitfunktion βas(t) bzw. aus dem Grundwert des Trocknungsschwindens
εs,ds0(t,ts), einem Beiwert βRH(RH) zur Berücksichtigung des Einflusses der rel. Luftfeuchte auf das Trocknungsschwinden sowie einer Zeitfunktion βds(t-ts).
εc,as ( t ) = εc,as0 (fcm ) ⋅ βas (t)
(D.9.29)
εc,ds ( t,t s ) = εc,ds0 (fcm ) ⋅ βRH (RH) ⋅ βds ( t − t s )
(D.9.30)
Das autogene Schwinden εc,as(t) nach D.9.29 ergibt sich aus D.9.31 und D.9.32.
 f f

ε cas0 ( fcm ) = −α as  cm cm0 
 6 + fcm fcm0 
2,5
⋅ 10 −6
(D.9.31)
0,5

t 
βas ( t ) = 1 - exp  -0,2 ⋅   

 t1  

(D.9.32)
Darin bedeuten:
fcm =
mittlere Zylinderdruckfestigkeit des Betons im Alter von 28 Tagen [N/mm²]
fcm0 =
Bezugswert = 10 N/mm2
t1
1 Tag
=
αas =
Beiwert, siehe Tabelle D.9.6.
Tabelle D.9.6: Beiwerte nach Gl. D.9.31 und D9.33 in Abhängigkeit vom Zementtyp
Festigkeitsklasse
des Zements
αas
αds1
αds2
langsam erhärtend
800
3
0,13
32,5 R; 42,5
normal oder schnell erhärtend
700
4
0,12
42,5 R, 52,5
schnell erhärtend und hochfest
600
6
0,12
32,5
Merkmal
Zur Bestimmung des Trocknungsschwindens εcds(t,ts) nach D.9.30 werden die Gleichungen D.9.33 bis D.9.36 herangezogen.
-6
εc,dso( f cm) = [(220 + 110 ⋅ α ds1) ⋅ exp (-α ds2 ⋅ f cm / fcm0 )] ⋅ 10
βRH
3



 
-1,55 ⋅  1-  RH  
=

 RH0  

 0,25
für 40 ≤ RH < 99 % ⋅ β s1
für RH ≥ 99 % ⋅ β s1
(D.9.33)
(D.9.34)
- 238 -


( t - t s ) t1

β ds ( t - t s ) = 
2
 350 ⋅ ( h h ) + ( t - t ) t 
0
s
1

0,5
(D.9.35)
0,1
 3,5 ⋅ fcm0 
β s1 = 
 ≤ 1,0
 f cm 
(D.9.36)
darin bedeuten:
αds1
= Beiwert zur Berücksichtigung der Zementart, siehe Tabelle D.9.6
αds2
= Beiwert zur Berücksichtigung der Zementart, siehe Tabelle D.9.6
βs1
= Beiwert zur Berücksichtigung der inneren Austrocknung des Betons
RH
= relative Luftfeuchte der Umgebung [%]
RH0
= 100 %
h
= 2Ac/u = wirksame Bauteildicke [mm], mit Ac = Querschnittsfläche
[mm2] und u = Umfang des Querschnitts, welcher der Trocknung
ausgesetzt ist [mm]; Anm.: In der DIN 1045 wird h als h0 bezeichnet
h0
= 100 mm
fcm0
= 10 N/mm².
Der Endwert des Trocknungsschwindens εcds∞ ergibt sich aus dem Produkt des
Grundwertes des Trocknungsschwindens εcds0(fcm) nach D.9.33 und dem Beiwert für
den Einfluss der Umgebungsfeuchte βRH nach D.9.34.
Nach D.9.31 ist das autogene Schwinden für Betone niedriger Druckfestigkeit gering
und nimmt erst für höhere Festigkeitsklassen mit steigender Betondruckfestigkeit
deutlich zu. Im Gegensatz zum autogenen Schwinden sinkt das Trocknungsschwinden mit steigender Betondruckfestigkeit, und auch die gesamte Schwindverformung
nimmt mit steigender Betondruckfestigkeit ab. Die Betondruckfestigkeit ist hier nur als
Hilfsgröße zu verstehen. Insbesondere das Trocknungsschwinden ist umso geringer,
je kleiner die Kapillarporosität bzw. je geringer der Anmachwassergehalt bzw. der
Wasserzementwert ist. Dieser beeinflusst auch die Betonfestigkeit, so dass daraus
der Zusammenhang zwischen Schwinden und Betondruckfestigkeit abgeleitet werden
kann.
Das autogene Schwinden ist von der rel. Feuchte der umgebenden Luft unabhängig,
während das Trocknungsschwinden wegen der beschleunigten Austrocknung mit
sinkender rel. Luftfeuchte deutlich zunimmt.
Die zeitliche Entwicklung des Trocknungsschwindens wird durch D.9.35 beschrieben,
die auf der Diffusionstheorie aufbaut. Nach Gleichung D.9.35 hat ein Betonkörper mit
quadratischem Querschnitt bei einer Kantenlänge von 100 mm nach einer Trocknungsdauer von einem Monat ca. 50 % von εc,ds0 erreicht. Beträgt die Kantenlänge
500 mm, so sind wegen der langsameren Austrocknung nach einem Monat erst ca.
10 % von εc,ds0 aufgetreten.
Der Grundwert des Schwindens εc,ds0 stellt zugleich den Endwert des Schwindens für
(t-ts) → ∞ dar. Dicke Bauteile schwinden jedoch so langsam, dass sie auch nach jahrzehntelanger Trocknung diesen Wert nicht erreicht haben. Als Endschwindmaß kann
daher die in der nachstehenden Tabelle angegebene Schwindverformung εcs70 angenommen werden.
- 239 Tabelle D.9.7: Endschwindmaße εcs70 für Beton
Trockene Umweltbedingungen (Innenräume) RH = 50 %
Feuchte Umweltbedingungen (im Freien)
RH = 80 %
wirksame Bauteildicke h [mm]
50
150
600
50
150
600
-0,31
-0,26
Endschwindmaß εcs70 [‰]
-0,57
-0,56
-0,47
-0,32
Literatur:
[D.9.1]
NEVILLE, A. M., DILGER, W. H., BROOKS, J. J.: Creep of plain and structural
concrete, Construction Press, London - New York, 1983
[D.9.2]
MÜLLER, H. S., KVITSEL, V.: Kriechen und Schwinden von Beton – Grundlagen einer neuen DIN 1045 und Ansätze für die Praxis. Beton- und Stahlbetonbau 97, 2002, Heft 1, S. 8-19.
sowie
[D.4.3]
HILSDORF, H. K. & REINHARDT, H. W.: Beton aus Betonkalender 2000, Verlag
Ernst & Sohn, Berlin, 2000
[D.4.4]
GRÜBL, P.; WEIGLER, H.; KARL, S.: Beton: Arten - Herstellung - Eigenschaften,
Verlag Ernst & Sohn, Berlin, 2001
- 240 -
D.10 Dauerhaftigkeit von Beton
Problemstellung:
Im Betonbau ist das Versagen einer Konstruktion viel häufiger auf mangelnde Dauerhaftigkeit, d. h. unzureichenden Widerstand gegen Witterungseinflüsse und chemische Angriffe, als auf eine nicht ausreichende Tragfähigkeit zurückzuführen. Zur wirtschaftlichen Bemessung muss der entwerfende Ingenieur daher Kenntnisse über die
Vorgänge besitzen, die zur Zerstörung des Betons durch Witterungseinflüsse oder
chemische Angriffe führen können.
D.10.1 Umweltbedingungen und Schädigungsmechanismen
Für die verschiedenen Umweltklassen sind verschiedene Schädigungsmechanismen
von Bedeutung, die z. T. unterschiedliche betontechnologische und konstruktive Maßnahmen erfordern.
Die Mechanismen, welche die Dauerhaftigkeit von Beton gefährden, können in physikalische, chemische und mechanische Einwirkungen gruppiert werden. Unter den
physikalischen Einwirkungen ist an erster Stelle der Frost zu nennen, der Beton, wenn
dieser einen kritischen Wassersättigungsgrad aufweist, schädigen kann. Die schädigende Wirkung des Frostes wird verstärkt, wenn gleichzeitig Taumittel auf den Beton
einwirken. Obwohl Beton nicht brennbar ist, können hohe Temperaturen den Beton
bis zur völligen Zersetzung zerstören. Ein chemischer Angriff liegt vor, wenn in den
Beton eindringende Substanzen, z. B. aus der Luft, aus dem Grundwasser oder aus
Lagerstoffen, mit Komponenten des erhärteten Betons reagieren. Dadurch werden
entweder Bestandteile des Betons gelöst (lösender Angriff) oder die Reaktionsprodukte nehmen ein größeres Volumen ein als der Reaktionspartner im Beton (treibender
Angriff). Die Reaktionspartner können aber auch schädliche Bestandteile der Betonausgangsstoffe sein. Ein Sonderfall des chemischen Angriffs ist die Carbonatisierung,
die vor allem für den Korrosionsschutz der Bewehrung wesentlich ist. Zu den Folgen
mechanischer Einwirkungen ist insbesondere der Verschleiß zu zählen. Er kann auftreten, wenn die Oberfläche eines Betonbauteiles, z. B. durch Verkehr, Schüttgüter o.
ä. beansprucht wird.
Den meisten Schädigungsmechanismen ist gemeinsam, dass sie zunächst auf die
oberflächennahen Bereiche einwirken und dass sie einen hohen Feuchtegehalt des
Betons voraussetzen bzw. in ihrer Wirkung durch Feuchte verschärft werden.
Ähnlich wie bei der mechanischen Beanspruchung wird in der EN 206-1 und der DIN
1045-2 unterschieden zwischen der Einwirkungsseite und der Widerstandsseite.
Dauerhaft ist demnach ein Bauwerk, wenn der Widerstandsvorrat während der Nutzungsdauer größer ist als die Summe der Einwirkungen.
Die Einwirkungsseite wird durch Expositionsklasssen (engl. exposure classes) beschrieben, die sich jeweils auf ein bestimmtes Schadensrisiko beziehen (siehe Tab.
D.3.4). Dabei wird unterschieden zwischen solchen Einwirkungen, die Korrosion der
Bewehrung oder anderer eingebetteter Metalle hervorrufen könnten, und solchen, die
den Beton schädigen könnten. In manchen Fallen kann eine Exposition auch beide Mechanismen betreffen, z. B. Meerwasserumgebung, die sowohl den Beton angreifen
könnte als auch zur Korrosion der Bewehrung führen könnte. Die Expositionsklasse wird
durch den Großbuchstaben X (von Exposition) und einem weiteren Buchstaben bezeichnet:
Klasse
X0
XC
XD
XS
XF
XA
XM
Expositionsbedingung
Englisch
0
Carbonation
Deicing Salt
Sea
Frost
Acid
Mechanical Abrasion
Deutsch
0
Karbonatisierung
Chloride ohne Meerwasser
Meerwasser
Frost und Frost-Taumittel
chemischer Angriff
Verschleiß
Korrosionstyp
keine Korrosion
Bewehrungskorrosion
Betonkorrosion
- 241 Die Klasse X0 (null) deutet darauf hin, dass kein Schadensrisiko besteht. Das Risiko
eines Schadens wird in drei bis vier Stufen eingeteilt. In der Summe ergeben sich die
21 Expositionsklassen, die Tabelle D.3.4 zusammengestellt sind.
Die Widerstandsseite wird durch die Betonzusammensetzung definiert. Kennzeichnende Größen sind der höchstzulässige Wasserzementwert, die Mindestdruckfestigkeitsklasse, der Mindestzementgehalt (ohne bzw. mit anrechenbaren Zusatzstoffen).
der Mindestluftgehalt und Anforderungen an die Gesteinskörnungen. Außerdem werden bestimmte Zemente für bestimmte Expositionsklassen ausgeschlossen.
D.10.2 Widerstand gegen das Eindringen aggressiver Stoffe
Die in Abschnitt D.10.1 genannten Schädigungsmechanismen werden, mit Ausnahme
des Angriffs durch hohe Temperaturen und des Verschleißes, nur wirksam, wenn
Wasser, gelöste Stoffe oder Gase in den Beton eindringen. Dem Widerstand des Betons gegen das Eindringen solcher Stoffe bzw. seiner Dichtheit kommt damit für die
Dauerhaftigkeit überragende Bedeutung zu. Die möglichen Transportwege für eindringende Stoffe sind die Kapillarporen des Zementsteines, die Poren in der Kontaktzone zwischen dem Zementstein und den Gesteinskörnern sowie Mikrorisse. Neben
der Gesamtporosität und der Porengrößenverteilung ist dabei die Kontinuität des Porensystems von besonderer Bedeutung, die im Zementstein bei ausreichend niedrigem w/z-Wert und hohem Hydratationsgrad nicht mehr gegeben ist.
Ein Stofftransport im Porensystem erfolgt nach drei unterschiedlichen Mechanismen
oder deren Kombinationen:
Permeation ist die Durchströmung des Porensystems durch Flüssigkeiten oder Gase
als Folge eines Druckgefälles. Unter Diffusion versteht man den Transport von freien
Atomen, Molekülen oder Ionen als Folge eines Konzentrationsgefälles. Kapillares
Saugen ist die Aufnahme von Wasser oder anderen benetzenden Flüssigkeiten in das
Porensystem des Betons als Folge von Kapillarkräften.
Der Widerstand eines Betons gegen das Eindringen aggressiver Substanzen nach
diesen Transportmechanismen kann durch Kenngrößen des Betons, den Permeabilitätskoeffizienten, den Diffusionskoeffizienten und den Wasseraufnahmekoeffizienten
charakterisiert werden, siehe dazu Kap. C.6. Solche Kenngrößen können daher unter
bestimmten Voraussetzungen ein Maß für die Dauerhaftigkeit von Beton sein, siehe
dazu z. B. [D.4.3] und die Vorlesung „Korrosion und Dauerhaftigkeit“.
D.10.3 Korrosionsschutz der Bewehrung im Beton
D.10.3.1 Allgemeine Anforderungen
Eine wesentliche Voraussetzung für die gemeinsame Tragwirkung von Stahl und Beton und für die Dauerhaftigkeit von Bauteilen aus Stahl- und Spannbeton ist, dass die
Bewehrung, die an der Luft sehr rasch korrodieren würde, im Beton auf Dauer vor
Korrosion geschützt ist. Der dauerhafte Korrosionsschutz der Bewehrung im Beton
beruht darauf, dass die Porenlösung des Betons im Bereich der Bewehrung eine hohe
OH-Ionen-Konzentration und daher einen pH-Wert oberhalb von 12,5 aufweist. Unter
diesen Bedingungen bildet sich auf der Oberfläche des Stahles eine sog. Passivschicht. Dies ist eine sehr dünne, aber dichte Schicht aus Eisenoxid, die eine Auflösung des Eisens in Ionen verhindert (siehe dazu auch Kap. C.6). Eine Korrosion von
Stahl im Beton kann daher nur auftreten, wenn gleichzeitig drei Bedingungen erfüllt
sind:
1. Die Passivschicht wird durch Carbonatisierung oder Chloride zerstört
2. Der elektrische Widerstand des Betons wird durch einen hohen Feuchtegehalt
deutlich vermindert
3. Sauerstoff kann in ausreichender Menge bis zum Bewehrungsstahl vordringen.
Wegen des hohen elektrischen Widerstandes von trockenem Beton geht die Korrosionsgeschwindigkeit von Stahl in trockenem Beton auch dann gegen Null, wenn der
- 242 Beton carbonatisiert ist oder freie Chloridionen enthält. Auch in ständig unter Wasser
gelagertem Beton ist wegen unzureichender Sauerstoffzufuhr nicht mit Stahlkorrosion
zu rechnen. Eine Korrosionsgefährdung der Bewehrung besteht jedoch bei nicht
sachgerecht hergestellten Betonbauteilen, die wechselnd durchfeuchtet und ausgetrocknet werden. Hier kann der Fall eintreten, dass alle drei für die Korrosion erforderlichen Bedingungen erfüllt sind. Ein für die meisten Fälle ausreichender Schutz der
Bewehrung wird aber durch eine ausreichend dicke Betondeckung aus ausreichend
dichtem Beton und durch Begrenzung des Gehaltes an korrosionsgefährdenden Stoffen in den Betonausgangsstoffen erreicht.
D.10.3.2 Carbonatisierung und Eindringen von Chloriden
Dringt Kohlendioxid aus der Luft in den Beton ein, so kann es mit den Komponenten
des Zementsteines, insbesondere mit dem Calciumhydroxid reagieren:
Ca(OH)2 + CO2 → CaCO3 + H2O
Mit dieser Reaktion (Carbonatisierung) verbunden ist ein Abfall des pH-Wertes der
Porenlösung im Zementstein auf pH < 9, so dass die Passivierung eines im Beton
eingebetteten Stahles nicht mehr gegeben ist, siehe Kap. C.6.3. Für Beton, der unter
konstanten klimatischen Bedingungen gelagert ist und für Beton im Freien, der vor
direkter Regeneinwirkung geschützt ist, kann die zeitliche Entwicklung der Carbonatisierung nach dem sogenannten
t -Gesetz beschrieben werden:
d c = const. ⋅ D CO2 ⋅ t
mit
dc
=
Carbonatisierungstiefe in mm
t
=
Dauer der Carbonatisierung
DCO =
2
(D.10.1)
Diffusionskoeffizient für CO2 im carbonatisierten Beton.
Die Carbonatisierungsgeschwindigkeit nimmt daher mit sinkendem DCO ab und ist
2
umso geringer, je kleiner die Kapillarporosität des Zementsteines ist.
Bei Bauwerken, die häufig Feuchte, z.B. als Schlagregen, ausgesetzt sind, verläuft die
Carbonatisierung deutlich langsamer und kann sogar einem Endwert zustreben. Dann
ist vor allem die Dicke der Betonüberdeckung dafür maßgebend, ob die Carbonatisierungsfront die Bewehrung erreicht oder nicht.
Chloride, z.B. aus Tausalzen, dringen durch Diffusion oder als wässrige Lösung in
den Beton ein. Chloridionen zerstören auch bei hohem pH-Wert der Porenlösung die
Passivschicht auf einer Stahloberfläche, siehe Vorlesung Kap. C.6. Betonoberflächen,
die häufig Tausalzlösungen ausgesetzt sind, bedürfen in den meisten Fällen eines
zusätzlichen Schutzes, um zu verhindern, dass während der Nutzung einer Stahlbetonkonstruktion Chloridionen bis zur Bewehrung vordringen.
D.10.4 Wasserundurchlässiger Beton
Ein Bauteil aus Beton wird als wasserundurchlässig bezeichnet, wenn bei längerer
Einwirkung von Wasser auf das Bauteil auf der dem Wasser abgewandten Seite kein
Wasser austritt und sich dort auch keine feuchten Flecken zeigen. Dies bedeutet,
dass an der dem Wasser abgewandten Seite das Wasser schneller verdunstet, als es
durch Permeation im Beton bis zur Oberfläche transportiert wird. Wasserundurchlässigkeit setzt einen niedrigen Wasserzementwert, i. a. w/z ≤ 0,60, und einen hohen
Hydratationsgrad des Betons voraus.
D.10.5 Widerstand von Beton gegen Frost
Die Schädigung von Beton durch Frosteinwirkung gehört zu den häufigsten Schadensfällen von Betonkonstruktionen. Voraussetzung für die Schädigung von Beton
durch Frosteinwirkung ist eine kritische Wassersättigung des Betons. Bei geeigneter
- 243 Zusammensetzung, Herstellung und Lagerung kann Beton aber einen hohen Frostwiderstand besitzen.
D.10.5.1 Mechanismen der Frostschädigung
Die Menge an gefrierbarem Wasser:
Wird reines, freies Wasser abgekühlt,
so dehnt es sich nach Unterschreiten
des Gefrierpunktes um ca. 9,1 Vol.-%
aus. Die Abkühlkurve zeigt während
der Phasenumwandlung einen Haltepunkt, d.h. die Temperatur bleibt so
lange konstant, bis alles Wasser zu
Eis gefroren ist.
Temp. (°C)
0
Zeitraum, während
dem alles
Wasser gefriert
Zeit
Abkühlungskurve
von
reinem
Wasser
Abbildung D.10.1:
Abkühlungskurve von reinem Wasser
3
w
(g/dm
-Beton) Wasser in g/dm³ Beton
Menge
an gefrorenem
160
ω = 0,72
80
ω = 0,49
Wird wassergesättigter Beton
gefroren, so gefriert darin enthaltenes Wasser bei Erreichen
einer Temperatur von 0 °C meist
noch nicht. Mit weiter sinkender
Temperatur nimmt die Menge an
gefrorenem Wasser kontinuierlich zu. Sie hängt vom Wasserzementwert ab.
ω = 0,41
0
-20
-15
Abbildung D.10.2:
-10
-5
+/-0
0
Temp.
(°C)
Menge an gefrorenem Wasser in [g/dm3] Beton
Ursachen:
a)
Das im Beton enthaltene Wasser ist nicht chemisch rein, sondern enthält Alkalien des Zementes und Calciumhydroxid in gelöster Form. Je nach Konzentration dieser Substanzen erniedrigt sich dadurch der Gefrierpunkt des Wassers.
b)
Der Zementstein besitzt Poren unterschiedlicher Größe. Das Wasser in den
feinsten Poren (Gelporen) wird durch Adsorptionskräfte an Oberflächen gebunden und gefriert daher erst bei tiefen Temperaturen. Das Wasser in den größeren Poren (Kapillarporen) kann dagegen schon bei höheren Temperaturen gefrieren. Mit steigendem Wasserzementwert wächst das Kapillarporenvolumen
und daher auch die Menge an gefrierbarem Wasser.
Der Vorgang der Frostzerstörung des Betons:
Das in den großen Poren des Zementsteines enthaltene Wasser gefriert bei einer
bestimmten Temperatur, wobei die Menge des gefrorenen Wassers temperaturabhängig ist. Die Eisbildung hat eine Volumenvergrößerung zur Folge. Dadurch wird im
noch nicht gefrorenen Wasser der kleinen Poren ein hydrostatischer Druck erzeugt,
der, wenn die Zugfestigkeit des Zementsteines überschritten wird, den Zementstein
zerstört.
- 244 Die folgende Tabelle zeigt, dass die Volumenvergrößerung des zu Eis gefrorenen
Wassers vom Wasserzementwert des Zementsteines abhängt und bei einer Temperatur von -10 °C 1 % des Zementsteinvolumens nicht überschreitet.
Tabelle D.10.1: Bezogene Volumenvergrößerung des zu Eis gefrorenen Wassers
gefrorenes Wasser im Beton
bei -10 °C
in % des Zementsteinvolumens
Volumenzuwachs
des Wassers
in % des Zementsteinvolumens
0,41
3,8
0,35
0,49
4,8
0,45
0,72
8,1
0,75
w/z-Wert
Das durchschnittliche Porenvolumen des Zementsteines im Beton beträgt ca. 4-6 %.
Auch Beton, der über längere Zeit wassergelagert wurde, besitzt noch ein Volumen
nicht wassergefüllter Poren, das größer als die Volumenzunahme des Wassers beim
Gefrieren ist. Das unter Druck stehende Wasser könnte daher zu den leeren Porenräumen wandern und sich dort entspannen und ungehindert gefrieren. Trotzdem wird
der Beton zerstört.
Ursache:
Der hydrostatische Druck im nicht gefrorenen Wasser wird um so größer, je länger
der Weg ist, den das Wasser bis zum Entspannen in einer leeren Pore zurücklegen
muss. Ohne besondere Maßnahmen ist trotz ausreichendem Porenvolumen der Abstand zwischen den leeren Poren zu groß, um den hydrostatischen Druck wirksam
abzubauen.
Wirkungsweise von Luftporenbildnern:
Beton weist einen hohen Frostwiderstand auf, wenn im Zementstein mit Luftporenbildnern ein System sehr kleiner, gleichmäßig verteilter Luftporen erzeugt wird. Diese
Luftporen sind nicht kontinuierlich und füllen sich auch bei länger andauernder Wasserlagerung nicht vollständig mit Wasser.
Das wichtigste Merkmal eines wirksamen Luftporensystems im Zementstein ist der
Abstandsfaktor AF. Er gibt die größte Entfernung eines Punktes im Zementstein zur
nächst gelegenen Luftpore an und soll für Beton mit hohem Frostwiderstand im Bereich von 0,10 bis 0,20 mm liegen. Dann bleibt der von nicht gefrorenem Wasser bis
zur Entspannung zurückzulegende Weg gering, so dass die Größe des hydrostatischen Druckes im Zementstein keine kritischen Werte erreicht.
Erforderliche Luftgehalte:
Um Zementstein gegen Frosteinwirkung ausreichend schützen zu können, muss er
einen Luftgehalt von ca. 15 bis 20 Vol.-% besitzen. Bezogen auf das gesamte Betonvolumen ergibt sich ein erforderlicher Luftgehalt des Betons von 3 bis 6 Vol.-%.
Mit steigendem Luftgehalt nimmt der Frostwiderstand des Betons zu:
- 245 Ausdehnung (Vol.-%)
Volumenzunahme
(Vol.-%)
0,20
Relativer Frostwiderstand
0,16
100
80
0,12
60
0,08
40
0,04
20
0
0
4
8
12
Luftgehalt des Betons (Vol.-%)
0
0
2
4
6
Luftgehalt des Betons (Vol.-%)
Abbildung D.10.3: Volumenzunahme des Betons und relativer Frostwiderstand in
Abhängigkeit vom Luftgehalt des Betons
Um sicherzustellen, dass das Luftporensystem im Zementstein nicht zu grobporig ist,
wird als weiterer Kennwert der Mikroluftporengehalt L 300 herangezogen. Er gibt den
Gehalt an Luftporen mit Durchmessern < 0,30 mm an und soll 1,5 Vol.-% nicht unterschreiten.
Einfluss von Luftporenbildnern auf die Betonfestigkeit:
Wegen der Erhöhung der Gesamtporosität führt die Verwendung von LP-Mitteln zu
einer Reduktion der Betonfestigkeit und des Widerstandes von Beton gegen mechanische Angriffe. Luftporenbildner verbessern aber die Verarbeitbarkeit des Frischbetons, so dass bei vorgegebener Frischbetonkonsistenz der Wasserzementwert mit
steigendem Luftgehalt etwas reduziert werden kann. Dadurch kann der Festigkeitsverlust des erhärteten Betons als Folge der Vergrößerung des Luftvolumens zumindest teilweise kompensiert werden.
D.10.5.2 Parameter, die den Frostwiderstand von Beton beeinflussen
POWERS gibt für die Größe des hydrostatischen Druckes p, der beim Gefrieren von
Wasser in einem gesättigten Porensystem entsteht, folgende allgemeine Beziehung
an:
dT
0,09 ⋅ AF ⋅
dt
p≈
(D.10.2)
Kg
wobei
AF =
Abstandsfaktor
Kg =
Permeabilität des Zementgels
dT
=
dt
Geschwindigkeit des Temperaturabfalles.
Aus dieser Beziehung und den voranstehenden Überlegungen zur Frostschädigung
von Beton ergeben sich die wesentlichen Parameter, welche den Frostwiderstand von
Beton beeinflussen.
•
Sättigungsgrad: Trockener Beton ist nicht frostgefährdet. Erst wenn mehr als ca.
91 Vol.-% der Poren des Betons mit Wasser gefüllt sind, ist mit einer Frostschädigung zu rechnen.
- 246 •
Abstandsfaktor: Mit kleiner werdendem Abstandsfaktor nimmt der Frostwiderstand
des Betons zu, da der vom nicht gefrorenen Wasser bis zur Entspannung zurückzulegende Weg kleiner wird.
•
Zementsteingehalt: Häufig ist der Zementstein frostgefährdeter als die Gesteinskörnung. Die Frostanfälligkeit von Beton wächst daher mit steigendem Zementsteingehalt. Der für Zementstein mit hohem Frostwiderstand erforderliche Luftgehalt beträgt ca. 15 bis 20 Vol.-%. Daher wächst mit steigendem Zementsteingehalt
auch der auf das Betonvolumen bezogene erforderliche Luftgehalt.
•
Wasserzementwert: Mit steigendem Wasserzementwert wächst das Kapillarporenvolumen und daher auch die Menge an gefrierbarem Wasser. Beton, der niedrigen Temperaturen ausgesetzt sein kann, soll daher einen Wasserzementwert
von weniger als 0,60 haben, und zwar auch dann, wenn ein Luftporenbildner verwendet wird.
•
Geschwindigkeit des Temperaturabfalles: Bei plötzlichen Temperaturänderungen
ist die Gefahr der Frostzerstörung des Betons größer als bei langsam sinkender
Temperatur, da die Höhe des hydrostatischen Druckes im nicht gefrorenen Wasser mit steigender Temperierungsgeschwindigkeit anwächst.
•
Anzahl der Frost-Tau-Wechsel: Durch häufige Frost-Tau-Wechsel wird der Zementstein einer Ermüdungsbeanspruchung unterworfen. Eine Zerstörung von Beton durch Frost erfolgt daher meist erst nach mehreren Frost-Tau-Wechseln.
•
Eigenschaften der Gesteinskörnung: Je nach Porenstruktur und Sättigungsgrad
können auch Gesteinkörner durch Frosteinwirkung zerstört werden. Der Frostwiderstand von Gesteinskörnungen ist daher durch geeignete Versuche (siehe DIN
4226) nachzuweisen. Kleine Körner sind meist frostwiderstandsfähiger als große
(Ähnlichkeit zwischen Korngröße und Abstandsfaktor).
D.10.6 Einwirkung von Tausalzen
Straßen und Fahrbahnen von Brücken werden im Winter zur Freihaltung von Eis und
Schnee häufig mit Salzen bestreut, welche den Gefrierpunkt des Wassers erniedrigen. Die Behandlung von Betonoberflächen mit Tausalzen führt oft zu einer erheblichen Schädigung des Betons.
Tausalzarten:
a)
Steinsalz (NaCl)
b)
Magnesiumchlorid (MgCl2)
c)
Calciumchlorid (CaCl2)
d)
Mischungen aus a), b) und c)
e)
Harnstoff (UREA)
f)
Gemische aus Isopropylalkohol und Ethylenglycol.
Mechanismen der Betonschädigung durch Tausalze:
a)
Erhöhung des Sättigungsgrades: Durch Tausalz geschmolzenes Eis oder
Schnee dringen in den Beton ein und führen zu einem überkritischen Sättigungsgrad des Betons.
b)
Die zum Schmelzen des Eises erforderliche Wärme wird dem Beton entzogen
und führt zu einer starken Unterkühlung der Betonoberfläche. Daraus resultierende Temperaturspannungen können zu einem Ablösen der Oberflächenschichten des Betons führen.
c)
Osmotischer Druck: Zwischen dem im Beton enthaltenen Wasser und der in
den Beton eindringenden Tausalzlösung besteht ein erheblicher Konzentra-
- 247 tionsunterschied an gelösten Substanzen. Dadurch kann ein osmotischer Druck
entstehen, der sich dem hydrostatischen Druck als Folge des Gefrierens von
Wasser im Beton überlagert und so die Frostgefährdung des Betons erhöht.
d)
Beim Eindringen von Tausalzlösungen in den Beton sinkt die Konzentration des
Tausalzes mit steigender Entfernung von der Oberfläche. Entsprechend verändert sich der Gefrierpunkt TS der wässrigen Lösung im Beton. Gleichzeitig liegt
ein Temperaturgefälle im Beton vor. Unterschreitet die vorhandene Temperatur
T die ortsabhängige Gefrierpunktstemperatur TS, so bildet sich in diesem Bereich Eis (z. B. im oberflächennahen Bereich). Wenn später die tieferen Betonschichten gefrieren, kann die darüberliegende Betonschicht abgesprengt werden.
T (-Bereich)
0°C
T
Betonplatte
TS
Untergrund
Abbildung D.10.4: Temperatur- und Gefrierpunktverlauf beim Eindringen von Tausalzlösungen
e)
Kristallwachstum:
Aus den in den Beton eingedrungenen Tausalzlösungen kristallisieren bei Übersättigung die Tausalze in den Poren des Betons wieder aus. Dieses Kristallwachstum kann zu einem Überdruck in den Poren des Zementsteines und
damit zu seiner Zerstörung führen.
f)
Chemische Reaktionen:
Manche Tausalze können mit den Hydratationsprodukten des Zementsteines
reagieren und damit zu einer Zerstörung des Zementsteines beitragen.
g)
Korrosion der Bewehrung:
Tausalze können durch Risse in der Betonoberfläche nach verschiedenen Mechanismen bis zu einer evtl. vorhandenen Stahlbewehrung vordringen. Manche
Tausalze (Chloride) zerstören die Passivschicht der Stahloberfläche und führen
zu einer Korrosion der Bewehrung. Die Volumenausdehnung der Korrosionsprodukte führt dann zu einem Absprengen der Betonüberdeckung.
Gegenmaßnahmen:
Um Beton mit hohem Frost-Tausalz-Widerstand herzustellen, gelten die Anforderungen verschärft, die an Beton mit hohem Frostwiderstand gestellt werden.
D.10.7 Widerstand von Beton gegen chemische Angriffe
Hochwertiger Beton setzt vielen in der Natur vorkommenden Chemikalien einen ausreichenden Widerstand entgegen. Chemikalien, die Beton angreifen können und die
erforderlichen Schutzmaßnahmen sind in DIN 4030 genauer beschrieben. Dabei wird
zwischen lösendem und treibendem Angriff unterschieden.
Tabelle D.10.2 führt die Grenzwerte für die Expositionsklassen bei chemischem Angriff nach EN 206-1 auf. Diese Klasseneinteilung chemisch angreifender Umgebung
gilt für natürliche Böden und Grundwasser mit einer Wasser-/Boden Temperatur zwischen 5°C und 25°C und einer Fließgeschwindigkeit des Wassers, die klein genug ist,
um näherungsweise hydrostatische Bedingungen anzunehmen.
Der schärfste Wert für jedes einzelne chemische Merkmal bestimmt die Klasse.
- 248 Wenn zwei oder mehrere angreifende Merkmale zu derselben Klasse führen, muss
die Umgebung der nächsthöheren Klasse zugeordnet werden, sofern nicht in einer
speziellen Studie für diesen Fall nachgewiesen wird, dass die nicht erforderlich ist.
Tabelle D.10.2: Grenzwerte für die Expositionsklassen bei chemischem Angriff
durch natürliche Böden und Grundwasser
D.10.7.1 Salze und Säuren
Trockener Beton ist im Allgemeinen gegenüber trockenen Salzen unempfindlich.
Saure Wässer, d.h. Wässer, die freie Säuren enthalten, können auf Zementstein und
carbonathaltige Gesteinskörnungen lösend wirken. Allgemein gilt, dass bei Wässern
mit einem pH-Wert kleiner 6,5 die Gefahr der Betonkorrosion besteht.
Schwefelwasserstoff und Schwefeldioxid können für den Beton vor allen Dingen deswegen schädlich sein, weil sie zur Bildung von Sulfaten (siehe Abschnitt D.10.7.2)
führen können.
Kalklösende Kohlensäure greift Beton vor allem dadurch an, dass das im Zementstein
befindliche Calciumhydroxid gelöst wird.
Chloride greifen den Beton nicht oder nur wenig an, können jedoch zu einer Korrosion
von im Beton eingebetteten Stahl führen.
Ammoniumsalze und Magnesiumsalze können ebenfalls das Calciumhydroxid des
Zementsteines angreifen. Ebenso wirken weiche Wässer calciumhydroxidlösend.
Fette und Öle können je nach Zusammensetzung und Herkunft verschiedene Wirkungen auf den Beton ausüben. Vorsicht ist geboten vor allen Dingen bei pflanzlichen
und tierischen Fetten, weil diese als Ester der Fettsäure mit dem Calciumhydroxid des
Zementsteines fettsaure Calciumsalze bilden.
D.10.7.2 Sulfate
Böden, Grundwasser und Abgase können Sulfate in der Form von z.B. K2SO4,
Na2SO4 und MgSO4 enthalten. Wenn Sulfate in gelöster Form in den Beton eindrin-
- 249 gen, können sie mit noch nicht hydratisiertem C3A reagieren oder Bestandteile des
Zementsteines zu Gips oder Ettringit umsetzen. Diese Reaktion ist mit einer Volumenvergrößerung verbunden und führt bei ausreichendem Vorhandensein von Wasser zu einer Schädigung oder Zerstörung des Betons.
Gegenmaßnahmen: Verwendung von HS-Zementen (siehe Abschnitt D.4.1.4.7)
D.10.7.3 Schutzmaßnahmen
Betone, die aggressiven Substanzen ausgesetzt sind, können durch geeignete Maßnahmen weitgehend geschützt werden.
Grundvoraussetzung:
Möglichst dichter Beton bei geringem Zementgehalt (niedriger w/z-Wert, hoher Hydratationsgrad, gute Frischbetonverdichtung, ausreichende Nachbehandlung).
Bei besonders aggressiven Bedingungen kann Beton mit Schutzüberzügen meist auf
Kunststoff-, Bitumen- oder Teerbasis geschützt werden, vorausgesetzt, dass der
Überzug mechanischer Beanspruchung widerstehen kann, beständig ist und auch
unter Belastung rissefrei und dicht bleibt.
D.10.8 Anforderungen in den Normen
Die Tabellen D.10.3 und D.10.4 gehen von einer vorgesehenen Nutzungsdauer von
mindestens 50 Jahren aus, wobei eine übliche Instandhaltung vorausgesetzt wird.
Tabelle D.10.3: Mindestanforderungen an die Betonzusammensetzung für die Expositionsklassen X0 bis XS3
Die Grenzwerte gelten auch für Schwerbeton, aber für Leichtbeton mit der Einschränkung, dass keine Mindestfestigkeitsklasse festgeschrieben wird. Der Zusammenhang zwischen Wasserzementwert und Festigkeit, der für Normalbeton
gilt, ist bei Leichtbeton zusätzlich von der Festigkeit der Gesteinskörnung abhängig. Da die Dauerhaftigkeit hauptsächlich von der Dichte und Dauerhaftigkeit der
Matrix abhangt. ist die Festlegung der anderen Grenzwerte (Wasserzementwert,
Zementgehalt. Luftgehalt, Zementart) ausreichend. Wenn die vorgesehene Nutzungsdauer deutlich von 50 Jahren abweicht, sind zusätzliche Überlegungen hinsichtlich einer Verschärfung oder Abschwächung der Grenzwerte nach Tabelle
D.10.3 und D.10.4 und, falls die Bewehrungskorrosion der kritische Risikofaktor ist,
hinsichtlich der Betondeckung anzustellen.
- 250 Von besonderer Bedeutung sind die Festlegungen bezüglich der Betondeckung
nach DIN 1045-1, siehe Tabelle D.10.5. Die darin gegebenen Werte für die Betondeckung sind umso größer, je korrosionsgefährdender die Umweltbedingungen. Darüber hinaus wird zwischen einem Mindestmaß und einem Nennmaß der
Betondeckung unterschieden. Beide Größen unterscheiden sich um ein Vorhaltemaß von 10 mm. Die Nennmaße sind Entwurf und Ausführung zugrunde zu legen,
um so die Einhaltung der Mindestmaße im Bauwerk mit ausreichend hoher Wahrscheinlichkeit sicherzustellen. Für Spannbeton gelten darüber hinaus zusätzliche
Festlegungen.
- 251 -
Tabelle D.10.4: Mindestanforderungen an die Betonzusammensetzung für die Expositionsklassen XF1 bis XM3
- 252 -
Tabelle D.10.5: Mindestbetondeckung cmin zum Schutz gegen Korrosion und Vorhaltemaß ∆c in Abhängigkeit von der Expositionsklasse
Spalte
1
2
Mindestbetondeckung cmin
mm 1)2)
Zeile
1
2
3
4
Klasse
Betonstahl
XC1
XC2
XC3
XC4
XD1
XD2
XD34)
XS1
XS2
XS3
10
20
20
25
Spannglieder im
sofortigen Verbund
und im nachträglichen Verbund 3)
20
30
30
35
40
50
40
50
3
Vorhaltemaß ∆c
mm
10
15
1)
Die Werte dürfen für Bauteile, deren Betonfestigkeit um 2 Festigkeitsklassen höher liegt,
als nach Tabelle 3 mindestens erforderlich ist, um 5 mm vermindert werden. Für Bauteile der
Expositionsklasse XC1 ist diese Abminderung nicht zulässig.
2)
Wird Ortbeton kraftschlüssig mit einem Fertigteil verbunden, dürfen die Werte an den der
Fuge zugewandten Rändern auf 5 mm im Fertigteil und auf 10 mm im Ortbeton verringert
werden. Die Bedingungen zur Sicherstellung des Verbundes nach Absatz (4) müssen jedoch
eingehalten werden, sofern die Bewehrung im Bauzustand ausgenutzt wird.
3)
Die Mindestbetondeckung bezieht sich bei Spanngliedern im nachträglichen Verbund auf
die Oberfläche des Hüllrohrs.
4)
Im Einzelfall können besondere Maßnahmen zum Korrosionsschutz der Bewehrung nötig sein.
Literatur:
[D.10.1] DEUTSCHER AUSSCHUSS
1995
FÜR
STAHLBETON, Richtlinie für hochfesten Beton,
[D.10.2] DIN 1045-1:2001-07, Tragwerke aus Beton, Stahlbeton und Spannbeton,
Teil1: Bemessung und Konstruktion
[D.10.3] HENNING, O., KNÖFEL, D.: Baustoffchemie, Verlag für Bauwesen, Berlin,
Bauverlag GmbH, Wiesbaden und Berlin, 1997
[D.10.4] BICZÓK, J.: Betonkorrosion – Betonschutz, 6. Auflage, Bauverlag, Wiesbaden, 1968
[D.10.5] KNOBLAUCH, H., SCHNEIDER, U.: Bauchemie, 4. Auflage, Werner Verlag,
Düsseldorf, 1995
sowie
[D.4.3]
HILSDORF, H. K. & REINHARDT, H. W.: Beton aus Betonkalender 2000, Verlag
Ernst & Sohn, Berlin, 2000
- 253 -
D.11 Sonderbetone
D.11.1 Arten
Sonderbetone sind je nach Eigenschaften des Festbetons bzw. seiner Zusammensetzung z. B.
• Hochfester Beton (Festigkeitsklasse über C50/60)
• Schwerbeton (ρ > 2,6 kg/dm3)
• Leichtbeton (ρ < 2,0 kg/dm3)
• Faserbeton
• Selbstverdichtender Beton.
Betone können auch nach besonderen Verfahren hergestellt werden, z. B.
• Unterwasserbeton
• Vakuumbeton
• Spritzbeton und Faserspritzbeton
• Trockenbeton
• Beton für Gleitbauverfahren.
D.11.2 Hochfester Beton
Als hochfester Beton wird Beton mit einer Festigkeitsklasse über C50/60 im Falle von
Normalbeton oder Schwerbeton und einer Festigkeitsklasse über LC50/55 im Falle
von Leichtbeton bezeichnet. Mit modernen Technologien ist es möglich, auch unter
Baustellenbedingungen Betone mit Nennfestigkeiten über 100 N/mm2 herzustellen.
Hochfeste Betone fanden ihre erste Anwendung beim Bau von Off-ShoreKonstruktionen und werden in zunehmendem Maße in hohen Bauwerken eingesetzt.
D.11.2.1 Ausgangsstoffe, Zusammensetzung und Herstellung
Zur Herstellung von hochfestem Beton sind keine ungewöhnlichen Geräte und Mischer oder unübliche Zusatzmittel und Zusatzstoffe erforderlich. Trotzdem setzt die
erfolgreiche Herstellung hochfester Betone eine besonders sorgfältige Wahl der Ausgangsstoffe und der Betonzusammensetzung sowie eine besonders gründliche Qualitätskontrolle voraus.
Die hohen Festigkeiten werden durch niedrige Wasserzementwerte, häufig unter Verwendung puzzolanischer Zusatzstoffe, erzielt. Der Einsatz hochaktiver Fließmittel ist
daher im Allgemeinen unerlässlich. Als Bindemittel sind die Normenzemente mit
hoher Druckfestigkeit (CEM 42,5; CEM 52,5) besonders geeignet. Die Druckfestigkeit
von Gesteinskörnungen für Beton kann bei hochfesten Betonen die erzielbare Betondruckfestigkeit begrenzen. So sind daher entsprechend feste Gesteinskörnungen
erforderlich.
Um den Wasseranspruch und damit für einen gegebenen Wasserzementwert den
Zementgehalt möglichst niedrig zu halten, kommt der Auswahl einer geeigneten Kornzusammensetzung besondere Bedeutung zu. Wegen der meist hohen Zement- und
Zusatzstoffgehalte kann der Gehalt an Feinstoffen in den Gesteinskörnungen niedrig
sein. Aus Gründen der Verarbeitbarkeit wird das Größtkorn häufig auf 20 mm begrenzt.
Puzzolanische Zusatzstoffe, insbesondere silikatische Feinstäube (SF) und u. U. auch
einige hochaktive Flugaschen als teilweiser Zementersatz, tragen zur Festigkeitsentwicklung nicht nur wegen ihrer puzzolanischen Wirkung, sondern bei richtiger Abstimmung mit dem jeweils verwendeten Zement wegen der Verbesserung der Pa-
- 254 ckungsdichte im Zementstein bei. Silikatische Feinstäube erhöhen den Wasseranspruch. Dies unterstreicht die Notwendigkeit der Verwendung von Fließmitteln.
Hochfeste Betone werden auch unter Baustellenbedingungen mit Wasserzementwerten etwa zwischen 0,22 und 0,35 hergestellt. Bei Verwendung von silikatischen Feinstäuben (SF) wird von entsprechenden Wasserbindemittelwerten ausgegangen. Insbesondere in höherem Alter kann SF voll auf den Bindemittelgehalt angerechnet werden. Da SF bei seiner Hydratation Calciumhydroxid verbraucht, sollte aber
das Verhältnis SF/Z auf etwa 0,10 begrenzt werden.
Die Anforderungen an die Verarbeitbarkeit des Frischbetons entsprechen jenen an
Normalbeton. Wegen der Verwendung von Fließmitteln ist häufig ein frühes Aussteifen des Frischbetons zu verzeichnen, das ein Nachdosieren des Fließmittels und u. U.
auch die Verwendung von Verzögerern erforderlich macht.
Beim Transport und der Verarbeitung hochfester Betonmischungen ist besonders
darauf zu achten, dass möglichst wenig Wasser verdunsten kann. Wegen der geringen Wassergehalte neigen hochfeste Betone kaum zum Bluten. Dies erhöht aber die
Gefahr des plastischen Schwindens, so dass entsprechende Schutzmaßnahmen unmittelbar nach dem Verdichten bzw. der Bearbeitung freier Oberflächen besonders
wichtig sind. Die Entwicklung der Hydratationswärme hängt nicht nur vom Bindemittelgehalt, sondern auch vom Wassergehalt des Betons ab. Bei niedrigen Wasserzementwerten reicht das Anmachwasser für eine vollständige Hydratation des Bindemittels bei weitem nicht aus, so dass sich nur ein Teil der möglichen Hydratationswärme
entwickelt. Trotzdem sollte durch besondere Vorkehrungen insbesondere bei massiven Bauteilen der Bindemittelgehalt möglichst niedrig gehalten werden.
Die Anforderungen an die Nachbehandlung von Normalbeton gelten auch für hochfesten Beton, wobei den Methoden mit Wasserzufuhr der Vorzug zu geben ist. Dies gilt
vor allem deswegen, weil bei den niedrigen Wasserzementwerten das Anmachwasser
im Beton schnell verbraucht wird. Dies hat eine innere Austrocknung und eine damit
verbundene Schwindverformung zur Folge. Hochfeste Betone sind aber im Allgemeinen schon nach wenigen Tagen so dicht, dass von außen zugeführtes Wasser nicht
mehr in den Beton eindringen kann.
D.11.2.2 Festigkeitsklassen und mechanische Eigenschaften
Die Festigkeitsklassen für hochfesten Beton nach DIN 1045-1 sind in Tabelle D.3.2
angegeben.
Hochfester Beton ist im Allgemeinen spröder als Normalbeton. Dies drückt sich insbesondere durch einen steilen Abfall des σ-ε-Diagrammes bei Druckbelastung aus.
Mit steigender Druckfestigkeit steigt die Zugfestigkeit hochfester Betone nicht oder nur
noch wenig an. Die Schwindverformungen insbesondere aber die Einzelverformungen
hochfester Betone sind im Allgemeinen deutlich geringer als jene von Normalbetonen.
Bei der Eignungsprüfung hochfester Betone im Labor sollte wegen der großen Abhängigkeit von der Streuung der Eigenschaften der Ausgangsstoffe und des
Wasserzementwertes ein Vorhaltemaß vorgesehen werden, das etwa dem
zweifachen der Standardabweichung des jeweiligen Betons entspricht.
D.11.2.3 Dauerhaftigkeit
Hochfeste Betone zeichnen sich, insbesondere bei der Verwendung silikatischer Feinstäube als Zusatzstoff, durch besondere Dichtheit aus. Es ist daher von solchen
Betonen eine hohe Dauerhaftigkeit zu erwarten, soweit sie sachgerecht zusammengesetzt, hergestellt und nachbehandelt wurden.
Die Zugabe von silikatischen Feinstäuben (SF) kann sich bei Verhältnissen SF/Z >
0,10 vor allem in höherem Betonalter wegen des hohen Verbrauchs an Calciumhydroxid und dem damit verbundenen Abfall des pH-Wertes des Porenwassers ungünstig auf den Korrosionsschutz der Bewehrung auswirken. Unklar ist jedoch, ob
selbst bei reduziertem pH-Wert die anderen Voraussetzungen für eine Stahlkorrosion,
- 255 ausreichende Sauerstoffzufuhr und eine ausreichende Wassermenge, erfüllt sind.
Günstig wirkt sich bei Taumittelangriff die erhöhte Bindekapazität silikatischer Feinstäube gegenüber Chloriden aus. Der Widerstand hochfester Betone gegen chemische Angriffe ist im Allgemeinen deutlich höher als jener normaler Betone.
Der Frostwiderstand hochfester Betone ist wegen ihrer sehr geringen Kapillarporosität
so hoch, dass auch bei Frost-Tausalzangriff eine Verwendung von LP-Mitteln nicht
zwingend erforderlich ist.
D.11.3 Leichtbeton
D.11.3.1 Definition und Anwendung
Leichtbeton hat eine Rohdichte von höchstens 2,0 kg/dm3. Wärmedämmender Leichtbeton bietet wegen seiner guten wärmedämmenden Eigenschaften im Hochbau oft
eine in bauphysikalischer und wirtschaftlicher Hinsicht günstige Alternative zum Normalbeton. Solche Leichtbetone enthalten meist porige Gesteinskörnungen und finden
vorwiegend zur Herstellung von Betonwaren und kleineren Fertigteilen Verwendung,
z.B. als Hohlblocksteine und Wandbauplatten.
Betone für den konstruktiven Ingenieurbau mit mittleren und hohen Betonfestigkeiten,
die wesentlich leichter als Normalbeton sein können (Konstruktionsleichtbeton), finden
häufig als Stahlleichtbetone Verwendung. Für ihre Herstellung werden fast ausschließlich Blähtone und Blähschiefer als Gesteinskörnungen verwendet. Die folgenden Ausführungen gelten vorwiegend für Stahlleichtbetone.
D.11.3.2 Grundarten
Es wird zwischen folgenden Grundarten des Leichtbetons unterschieden:
Haufwerksbeton aus dichten Gesteinskörnern
Haufwerksbeton aus leichten Körnern mit porigem Gefüge
Gefügedichter Beton aus porigen Gesteinskörnungen
Porenbeton (Gas- und Schaumbeton)
Abbildung D.11.1: Grundarten des Leichtbetons
D.11.3.3 Konstruktionsleichtbeton
Bei Konstruktionsleichtbeton sind zwei wesentliche Parameter zu optimieren: die
Druckfestigkeit und die Rohdichte. Neben dem Wasserzementwert und der Zementart
beeinflussen die leichten Gesteinskörnungen selbst alle Betoneigenschaften in hohem
Maße.
Festigkeitsklassen:
Nach DIN 1045-1 wird bei Leichtbeton zwischen Festigkeitsklassen gemäß Tabelle
D.3.3 unterschieden.
Rohdichteklassen:
Neben den Festigkeitsklassen wird bei Leichtbeton auch zwischen verschiedenen
Rohdichteklassen unterschieden, siehe Tabelle D.11.1.
- 256 Tabelle D.11.1: Rohdichteklassen von Leichtbeton (nach DIN 1045-1)
Rohdichteklasse
D1,0
D1,2
D1,4
D1,6
D1,8
D2,0
Rohdichte
≥ 800
>1000
>1200
>1400
>1600
>1800
und
und
und
und
und
und
≤ 1000
≤ 1200
≤ 1400
≤ 1600
≤ 1800
≤ 2000
Kg/m3
Ausgangsstoffe:
Zement:
Nach den Richtlinien für Leichtbeton muss der Zementgehalt mindestens 300 kg/m3
verdichteten Betons betragen. Es können alle Zemente nach DIN 1164 verwendet
werden.
Leichte Gesteinskörnungen:
Für konstruktiven Leichtbeton werden in der Regel künstlich geblähte Gesteinskörnungen aus Schiefer bzw. Ton verwendet. Der Korndurchmesser für leichte Gesteinskörnungen ist auf maximal 25 mm begrenzt. Leichte Gesteinskörnungen für konstruktiven Leichtbeton müssen den Bedingungen der DIN 4226-2 entsprechen.
Mischungsentwurf:
Die Mischungsberechnung und die Stoffraumgleichung müssen bei der Verwendung
von leichten Gesteinskörnungen unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Rohdichten der einzelnen Korngruppen erfolgen. Für die Zusammensetzung des Korngemischs gelten die Sieblinien nach DIN 1045. Wegen der unterschiedlichen Rohdichten
verschiedener Kornfraktionen sind die Sieblinienanteile in Volumenprozenten anzugeben.
Festigkeit:
Bei Normalbeton ist die Festigkeit des Zementsteins in der Regel geringer als die der
Gesteinskörnungen. Bei Leichtbeton ist dagegen die Festigkeit der Gesteinskörner
gleich oder merklich geringer als die Festigkeit des Zementsteins. Sobald die Kornfestigkeit unter die Mörtelfestigkeit sinkt, gilt nicht mehr die Proportionalität zwischen
Beton- und Zementsteinfestigkeit.
2
ββBeton (N/mm
(N/mm²))
Db
Kiessand
40
Lavaschlacke
Blähton
Blähschiefer
30
Blähton
β Zem.
βDb
Db= =βZem
Blähton
20
Naturbims
10
0
α0
βG
0
10
20
Naturbims
30
40
2
ββZementstein (N/mm(N/mm²)
)
Zementstein
Abbildung D.11.2: Druckfestigkeiten von Leichtbetonen in Abhängigkeit von der Zementsteinfestigkeit
- 257 Die Festigkeitsentwicklung eines Leichtbetons entspricht in den ersten Tagen der des
Normalbetons, da in diesem Zeitraum die Festigkeit der Gesteinskörnungen noch
über der Mörtelfestigkeit liegt. Erreicht die Mörtelfestigkeit etwa die Kornfestigkeit,
dann ist auch bei weiter zunehmender Festigkeit des Mörtels nur noch eine geringfügige Steigerung der Betondruckfestigkeit möglich.
Die Anwendung der Leichtbetonfestigkeitsklasse LC 70/77 und LC 80/88 bedarf einer
Zustimmung im Einzelfall oder einer Zulassung entsprechend den bauaufsichtlichen
Vorschriften.
Die Biegezug- und Spaltzugfestigkeit des Leichtbetons sind in stärkerem Maße von
der Eigenfestigkeit der Gesteinskörnungen abhängig als dies beim Normalbeton der
Fall ist. Der Verbund zwischen Mörtel und leichten Gesteinskörnern ist bei rauhen und
ungleichförmigen Körnern günstiger als bei Normalbeton.
Verformung:
Der Elastizitätsmodul von Leichtbeton ist wesentlich kleiner als der von Normalbeton
gleicher Druckfestigkeit. Dies ist darauf zurückzuführen, dass die leichten Gesteinskörnungen einer Verformung des Betons einen geringeren Widerstand entgegensetzen als dichtere Körner.
Die Querdehnungszahl von konstruktivem Leichtbeton entspricht der des üblichen
Normalbetons und beträgt rund 0,20.
Die Wärmedehnzahl der leichten Gesteinskörnungen ist meist niedriger als die von
normalen Körnungen, so dass die Wärmedehnung von Leichtbeton nur das 0,5- bis
0,8-fache der Werte von üblichen Kiessandbetonen erreicht.
Dauerhaftigkeit:
Leichtbetone unterscheiden sich bzgl. ihrer Dauerhaftigkeit nicht grundsätzlich von
Normalbeton.
Gute leichte Gesteinskörnungen müssen gemäß Prüfung nach DIN 4226 frostbeständig sein. Leichtbetone mit dichtem Gefüge lassen sich durch Einführung von Luftporen
ebenfalls gegen Frost- und Tausalz-Beanspruchung widerstandsfähig machen.
D.11.4 Faserbeton
Um die mechanischen Eigenschaften von Beton zu verbessern, können bei der Betonherstellung kurze Fasern aus Stahl, Glas, Kunststoff oder Kohlenstoff zugegeben
werden. Die Fasern bewehren die Matrix und bewirken im Festbeton eine
-
Erhöhung der Zug- und Druckfestigkeit
-
Steigerung der Dehnfähigkeit und Energieaufnahme
-
Verminderung der Rissbildung an der Bauteiloberfläche (z.B. infolge Hydratationswärmefreisetzung, Schwinden).
Beim Frischbeton wird die Verarbeitbarkeit reduziert und die Grünstandfestigkeit erhöht. Abhängig von der Art der Herstellung und der Geometrie des Bauteils können
die Fasern anstatt räumlich unorientiert eine mehr 2-dimensionale Orientierung aufweisen.
Voraussetzung für die Wirksamkeit der Fasern ist, dass der Fasergehalt einen kritischen Wert überschreitet. Für die in der Praxis häufiger eingesetzten Stahlfaserbetone gilt ein Mindestfasergehalt von 25 kg je m³ Beton. Die nachfolgende Abbildung
zeigt typische Last-Verformungskurven für Faserbetone.
Die Wirkungsweise der Fasern im Festbeton lassen sich mit Hilfe der Verbundwerkstofftheorie und der Bruchmechanik erklären.
Stahlfasern werden üblicherweise mit Durchmessern von ca. 0,2 bis 1 mm bei Längen
bis zu 50 mm eingesetzt. Der Fasergehalt liegt bei Stahlfaserbeton im allgemeinen bei
ca. 0,5 bis 2,5 Vol.-%. Beim Einsatz von Glasfasern oder Kunststofffasern kommen
auch höhere Fasergehalte zur Anwendung. Der Durchmesser des Größtkorns sollte
- 258 -
Kraft F
Kraft F
bei Stahlfaserbeton etwa ein Drittel der Faserlänge nicht überschreiten. Für Glasfaserbetone bzw. Glasfasermörtel wird ein Größtkorn von 1 bis 2 mm empfohlen.
vf > vf crit
vf > 0
vf < vf crit
vf = 0; unbewehrt
vf = 0; unbewehrt
Längenänderung, ∆l
Längenänderung, ∆l
Abbildung D.11.3: Typische Last-Verformungsbeziehungen für Faserbeton (links:
zentrischer Zug, rechts: zentrischer Druck)
Stahlfaserbetone sind dauerhaft. Die Korrosion der Fasern nahe der Oberfläche bewirkt keine nennenswerte Schädigung, sie kann jedoch den optischen Eindruck (Rostflecken) beeinträchtigen. Problematisch ist dagegen die Dauerhaftigkeit von Glasfaserbetonen. Übliche E-Glasfasern sind zur Betonherstellung wegen mangelnder Alkalibeständigkeit ungeeignet. Der hohe pH-Wert der Porenlösung des Betons bewirkt
einen lösenden Angriff, dem auch alkaliresistente Glasfasern nicht über lange Zeiträume widerstehen können. Betone mit Kunststoff- oder Kohlenstofffasern sind im
Zementstein beständig.
D.11.5 Selbstverdichtender Beton
Scherspannung τ
Selbstverdichtender Beton weist die besondere Frischbetoneigenschaft auf, allein
unter dem Einfluss der Schwerkraft ohne die Einwirkung zusätzlicher Verdichtungsenergie zu entlüften und bis zum Niveauausgleich zu fließen. Erreicht werden kann
dies bei Betonen mit üblichem Wasserzementwert und Zementgehalt durch einen
hohen Mehlkornanteil und eine hohe Dosierung eines hochleistungsfähigen Fließmittels. Bei einer Prüfung der Konsistenz von selbstverdichtendem Beton auf dem Ausbreittisch werden ohne Schlag Ausbreitmaße von 70 cm und mehr ermittelt.
ρ
Bingham: τ = τ0 + tg ρ ⋅ γ
τ0 = Fließgrenze
Newton: τ = tg ρ ⋅ γ
Scherwinkelgeschwindigkeit γ
Abbildung D.11.4: Rheologisches Verhalten einer Mehlkorn-Wasser-Suspension mit
und ohne Fließmittel
- 259 Die Fließfähigkeit des Betons wird durch den gegenüber üblichem Beton etwa doppelt
so hohen Anteil an Mehlkorn erreicht, welches gemeinsam mit dem Wasser und dem
Fließmittel eine tragfähige Suspension hoher Viskosität bildet, in der alle gröberen
Gesteinskörner entmischungsfrei „schwimmen“. Dabei ist es grundsätzlich gleichgültig, ob das Mehlkorn z. B. aus Zement, Flugasche, Metakaolin, Silicastaub oder inertem Gesteinsmehl besteht, sofern nur die Suspension im Zusammenwirken mit dem
Fließmittel die erforderliche rheologische Eigenschaft aufweist. Die Wirkung der
Fließmittel besteht im Wesentlichen darin, dass die Oberflächenladungen (Zetapotential) an allen Feststoffpartikeln in der Dispersion ausgeglichen werden und auf diese
Weise die Partikel desagglomerieren. Dadurch geht das rheologische Verhalten einer
Mehlkorn-Wasser-Suspension vom Verhalten eines Bingham-Körpers durch Zusatz
des Fließmittels in das Verhalten einer Newton‘schen Flüssigkeit über.
Die Festbetoneigenschaften eines selbstverdichtenden Betons entsprechen weitgehend jenen eines üblichen Konstruktionsbetons. Erste Versuche zeigen, dass der
selbstverdichtende Beton eine größere Nachbehandlungsempfindlichkeit aufweist
(Gefahr der Kapillarschwindrissbildung), erhöhte Schwindverformungen auftreten und
der Frostwiderstand offenbar etwas geringer ist. Den Vorteilen des Wegfalls der Verdichtung, der 30 bis 50 % höheren Betonierleistung, der Lärmminderung und der hohen Zuverlässigkeit, mit der beispielsweise Sichtbetonwände aus Ortbeton und komplizierte Fertigteile ohne Rüttler fehlerfrei hergestellt werden können, stehen die
Nachteile der erhöhten Stoffkosten für zusätzliches Mehlkorn und Fließmittel gegenüber.
Die Anforderungen der DIN 1045 hinsichtlich der Höchstwerte des Mehlkorngehaltes
werden von selbstverdichtendem Beton nicht eingehalten. Auch kann seine Konsistenz nicht mehr mit den genormten Prüfverfahren erfasst werden. Daher bedarf die
Anwendung des selbstverdichtenden Betons in Deutschland z. Z. noch einer bauaufsichtlichen Zustimmung.
Literatur:
[D.11.1] REINHARDT, H. W. ET AL.: DAfStb Sachstandbericht Selbstverdichtender Beton (SVB), Deutscher Ausschuss für Stahlbeton (DAfStb), Heft 516, Beuth
Verlag GmbH, Berlin, 2000
sowie
[D.4.3]
HILSDORF, H. K. & REINHARDT, H. W.: Beton aus Betonkalender 2000, Verlag
Ernst & Sohn, Berlin, 2000
[D.10.1] DEUTSCHER AUSSCHUSS
1995
FÜR
STAHLBETON, Richtlinie für hochfesten Beton,
- 260 -
E
Keramische Werkstoffe
E.1
Definitionen und Struktur
Keramische Werkstoffe sind anorganische, nicht-metallische, vorwiegend kristalline Stoffe und bestehen häufig aus Metalloxiden mit kovalenten bis ionischen Bindungen. Daraus ergeben sich als charakteristische Eigenschaften eine hohe Festigkeit, eine große Kerbempfindlichkeit und ein hoher Schmelzpunkt. Im Bauwesen
finden keramische Werkstoffe Verwendung als gebrannte Tonmaterialien (siehe
Abschnitt E.4.1), als künstliche Betonzuschläge (z.B. Blähton, Ziegelsplitt) und im
weiteren Sinn als Kalksandsteine (siehe Abschnitt E.4.7).
E.2
Herstellung und Formgebung
Wegen der kovalenten Bindung besitzen keramische Werkstoffe einen hohen
Schmelzpunkt und können daher nicht durch Erweichen, Schmelzen und Vergießen in eine bestimmte Form gebracht werden. Keramische Werkstoffe werden
daher meist in einem Sinterprozess hergestellt (Baustofftechnologie I). Die Rohmaterialien, z.B. Sand und Ton, werden entweder als Pulver trocken in eine Form
gepreßt oder mit Wasser vermengt, so dass eine formbare Masse entsteht. Der
Körper wird dann gebrannt, d.h. bei einer Temperatur des ca. 0,6- bis 0,9-fachen
der Schmelztemperatur durch Sintern oder durch Kristallumwandlungen verfestigt.
Das bei der Herstellung des Formlings verwendete Wasser verdampft während
des Brennens und hinterlässt Hohlräume (= Poren), deren Volumen durch die Zugabemengen an Wasser und Trocknung vor dem Brennen kontrolliert werden
kann.
E.3
Grundsätzliche Eigenschaften
Die grundsätzlichen Eigenschaften keramischer Werkstoffe lassen sich aus der
vorliegenden Mikrostruktur und der Bindungsart erklären.
Hohe Sprödigkeit:
als Folge der orientierten, kovalenten
Bindungen.
Geringe Zugfestigkeit:
als Folge örtlicher Fehlstellen und Poren
bei fehlender plastischer Verformbarkeit
(Kerbempfindlichkeit).
Hohe Druckfestigkeit:
als Folge der hochfesten Bindungen
(Abhängigkeit von der Porosität).
Temperaturbeständigkeit:
als Folge der hochfesten Bindungen.
Geringe elektrische Leitfähigkeit:
wegen des Fehlens freier Elektronen.
Geringe Wärmeleitfähigkeit:
wegen des Fehlens freier Elektronen
sowie aufgrund der Porosität.
Hohe chemische Widerstandsfähigkeit:
als Folge der Bindungsart.
- 261 -
E.4
Keramische Werkstoffe im Bauwesen
E.4.1
Einteilung der tonkeramischen Werkstoffe
Grobkeramik
Feinkeramik
(li > 0,1 - 0,2 mm)
(li < 0,1 - 0,2 mm)
porös
dicht
porös
(Wa > 6 %)
(Wa < 6 %)
(Wa > 2 %)
Mauerziegel
Klinker
Steingut
Dachziegel
Spaltplatten
dicht
(Wa < 2 %)
Tonrohre
Steinzeug
Schamotte
Fliesen
(Porzellan)
Spaltplatten
Rohre
li
= charakteristische Länge von Inhomogenitäten, die mit dem bloßen Auge noch erkennbar sind
Wa
= Wasseraufnahme in M.-%
E.4.2
Ausgangsmaterialien
100
20
80
30
70
40
Tonsubstanz,
60
50
Feldspat und
50
60
1
70
80
Zur Herstellung von Ziegeln, Klinkersteinen, Steinzeug etc. werden
silikatische Rohstoffe, Tone oder
Lehm verwendet, deren Hauptbestandteile
Feldspat
90
10
Quarz sind (siehe Abb. E.1).
40
30
2
3
90
100
20
4
5
10
6
1: Weichporzellan; 2: chemischtechnisches Porzellan; 3: Hartporzellan; 4: Steinzeug; 5: Steingut;
6: Ziegel, Klinker.
10 20 30 40 50 60 70 80 90 100
Tonsubstanz
Quarz
Gew.-%
Abbildung E.1:
Dreistoffdiagramm der Hauptbestandteile keramischer Werkstoffe
Die Tonsubstanz ist nach Wasserzugabe meist plastisch, bildsam und umschließt
die gröberen, nicht plastischen Quarzteilchen. Die Tone bestehen aus schichtartigen Paketen von Kristallen mit einer Dicke von weniger als 0,1 µm. Die einzelnen
Schichten werden durch Silikatetraeder und durch Aluminiumoktaeder gebildet
(siehe Vorlesung "Baustoffkunde"). Die so entstehenden Mineralien bestehen entweder aus zwei oder drei Schichten.
- 262 -
Aluminiumoktaeder
Silicatetraeder
Sauerstoff
Silicium
Abbildung E.2:
Symbol
Sauerstoff
oder OH-Ion
Aluminium
Symbol
Silikatetraeder und Aluminiumoktaeder
Typische Zweischichtminerale sind:
Al2O3 · 2SiO2 · 2H2O
Kaolinit:
Halloysit:
Al2O3 · 2SiO2 · 2H2O · nH2O
Dreischichtminerale sind:
Montmorillonit
Glimmer (Muskovit, Biotit, Illit)
Zwischenschicht aus
K-Ionen
Kaolinit
Montmorillonit
Abbildung E.3:
Glimmer
Symbolische Darstellung von Beispielen für Zwei- und Dreischichtminerale
Durch Anlagerung von OH--Ionen oder Wasser zwischen den Schichten neigen
manche Tonmineralien zum Quellen, insbesondere Montmorillonit. Kaolinit, bei
dem sich zwischen den einzelnen Schichten Wasserstoffbindungen ausbilden, ist
dagegen weniger quellfähig.
E.4.3
Erhärtungsvorgänge
E.4.3.1
Kristallumwandlung
Am Beispiel des Kaolinit:
Bei 550 - 600°C Austreiben von chemisch gebundenem Wasser:
Al2O3 · 2SiO2 · 2H2O → Al2O3 · 2SiO2 + 2H2O
Im Bereich von 870 - 1400°C Bildung von neuen Kristallen unter Freisetzung von
SiO2:
3[Al2O3 · 2SiO2] → 3Al2O3 · 2SiO2 + 4SiO2
Die neu gebildeten Kristalle sind eng miteinander verflochten, und der so entstandene Scherben erweicht auch bei nachfolgender, ständiger Wasserlagerung nicht.
- 263 -
E.4.3.2
Sinterung
Größere Einschlüsse, wie z.B. Quarzsand, werden durch Sinterungsvorgänge an
den Oberflächen fest miteinander verbunden.
E.4.3.3
Einfluss der Brenntemperatur
Niedere Brenntemperatur: Entstehung leichter, poröser und daher wärmedämmender Scherben
Höhere Brenntemperatur: Zunahme von Festigkeit, Dichte sowie chemischer und
mechanischer Widerstandsfähigkeit
Beim Brennen bis zur Sinterung des Quarzes wird eine nahezu völlige Wasserdichtigkeit und hohe Säurebeständigkeit erzielt.
Zu starkes Brennen:
Risse und Verziehen der Steine
Zu schwaches Brennen:
Der Ton im Ziegelkern behält seine Wasseraufnahmefähigkeit; Zerstörung des Ziegels durch Wassereinwirkung
E.4.4
Färbung und schädliche Bestandteile
Färbung: Die Farbe eines gebrannten Tons wird im wesentlichen vom Gehalt an
Kalk (gelbliche Färbung) und an Fe2O3 (rötliche bis blau-graue Färbung) beeinflusst.
Schädliche Bestandteile: Enthalten die Rohstoffe der Ziegel Kalkstein (CaCO3), so
entsteht beim Brennen CaCO3 → CaO + CO2.
Kalkeinschlüsse (CaO) im Ziegel können zu Treiberscheinungen (Abplatzen der
Oberfläche, Zersprengen der Ziegel) führen, wenn das CaO mit Wasser in Berührung kommt, da die Reaktion
CaO + H2O → Ca(OH)2
mit einer erheblichen Volumenvergrößerung verbunden ist.
Größere Gesteinseinschlüsse verursachen Rissbildung, Chloride und Sulfate
(Gips) führen zu Ausblühungen. Schwefelkiese (FeS2, Pyrit) schließlich bewirken
örtliche Färbung, Treiberscheinungen sowie eine verminderte Feuer- und Witterungsbeständigkeit.
E.4.5
Mechanische Eigenschaften gebrannter Tone
Die Eigenschaften der Scherben hängen von der Porosität, Brenntemperatur und
vom Ausgangsmaterial ab:
Druckfestigkeit, βD:
10 bis 150 N/mm2
Zugfestigkeit, βZ:
1 bis 15 N/mm2
Elastizitätsmodul, E:
5000 bis 40000 N/mm2
Querdehnungszahl, µ:
0,2 bis 0,35
Rohdichte, ρ:
1,3 bis 2,0 kg/dm3
Porosität, p:
1 bis 20 Vol.-%
Verformungsverhalten:
bei Druck- und Zugbelastung sehr spröde; keine oder
nur sehr geringe Kriechverformungen; meist geringe
Schwind- und Quellverformungen bei Trocknung und
Wasseraufnahme
- 264 σ
80
2
[N/m m ]
β = 87,8 N/m m ²
Druck
60
β = 45,5 N/m m ²
40
β = 31,7 N/m m ²
20
Dehnung
+1,0
Abbildung E.4:
E.4.6
Stauchung
-1,0
Zug
-2,0
-3,0
-4,0
ε [‰]
Spannungs-Dehnungslinien von Ziegelscherben verschiedener
Druckfestigkeit
Mauerziegel (nach DIN 105)
Mauerziegelarten:
Vollziegel (Mz):
Bezeichnung für ungelochte Ziegel. Zur Verringerung des Gewichts ist jedoch ein
Lochanteil bis zu 15 % der Lagerfläche zulässig.
ρ = 1,1 bis 2,2 kg/dm3; Druckfestigkeit bis zu 80 N/mm2.
Vollziegel
Hochlochziegel (HLz):
sind senkrecht zur Lagerfläche gelocht.
Der Lochanteil muss mehr als 15 % der
Lagerfläche betragen.
Hintermauerziegel:
ist eine Sammelbezeichnung für Mauerziegel, bei denen die Frostbeständigkeit nicht gefordert ist.
Langlochziegel
Vormauerziegel:
sind Ziegel, deren Frostbeständigkeit
durch Prüfung nachgewiesen ist.
Klinker:
Klinker werden bis zur Sinterung gebrannt; die Frostbeständigkeit muss nachgewiesen werden. Die Druckfestigkeit muss mindestens 28 MN/m2 betragen. Die
Scherbenrohdichte darf im Mittel 1,9 kg/dm3 nicht unterschreiten. Klinker sind nur
wenig saugfähig und besitzen eine hohe Widerstandsfähigkeit gegen mechanische
und chemische Einwirkungen.
- 265 -
Vorzugsgrößen:
Maße [mm]
Bezeichnung
Länge
Breite
Höhe
Dünnformat
DF
240
115
52
Normalformat
NF
240
115
71
2 DF
240
115
113
3 DF
240
175
113
5 DF
300
240
113
10 DF
300
240
238
Druckfestigkeit und Kennzeichnung:
Die mittlere Druckfestigkeit der Voll- und der Lochziegel ist definiert als Bruchlast
bezogen auf die Lagerfläche einschließlich der Lochquerschnitte. Von 200 Ziegeln
muss mindestens ein Stein durch eine 20 mm breite Farbmarkierung gekennzeichnet sein.
Festigkeitsklassen:
4
-
blau
6
-
rot
8
-
keine Farbkennzeichnung, aber entsprechende Stempel.
10
-
ohne
20
-
gelb
28
-
braun
Die Scherbenfestigkeit ist die auf die Nutzfläche bezogene Bruchlast eines Ziegels.
Ziegelrohdichten:
Die Ziegelrohdichte ist das Gewicht des trockenen Ziegels bezogen auf das Volumen einschließlich der Hohlräume. Die Mittelwerte der Ziegelrohdichte für Lochziegel und Vollziegel sind wie folgt festgelegt (größte Einzelwerte stehen in Klammern):
Rohdichteklassen:
1,20 kg/dm3 (1,01 bis 1,20)
1,40 kg/dm3 (1,21 bis 1,40)
1,60 kg/dm3 (1,41 bis 1,60)
1,80 kg/dm3 (1,61 bis 1,80)
2,00 kg/dm3 (1,81 bis 2,00)
2,20 kg/dm3 (2,01 bis 2,20)
Bezeichnung der Ziegel:
Die Ziegel werden in der Reihenfolge DIN-Hauptnummer, Ziegelart, Festigkeitsklasse, Rohdichte und Formatkurzzeichen bezeichnet.
- 266 Kurzbezeichnung:
Mz
= Vollziegel
VMz
= Vormauervollziegel
VHLz
= Vormauerhochlochziegel
KMz
= Vollklinker
KHLz
= Hochlochklinker
Beispiele:
1. Hochlochziegel
Druckfestigkeitsklasse 12 MN/m2
Ziegelrohdichteklasse 1,2 kg/dm3
Länge
.
Breite
.
Höhe
240
.
115
.
113
= 2 (DF)
DIN 105 - HLz - 12 - 1,2 - 2 DF
2. Hochbauklinker
Druckfestigkeitsklasse 28 MN/m2
Rohdichteklasse 2,0 kg/dm3
Länge
.
240
.
Breite
.
Höhe
115
.
52
= (DF)
DIN 105 - KMz - 28 - 2,0 - DF
E.4.7
Kalksandsteine
Kalksandsteine werden aus einem Gemisch aus ca. 90 Gew.-% Quarzsand und 10
Gew.-% CaO hergestellt, das mit Wasser intensiv vermischt und unter hohem
Druck zu Formlingen gepresst wird. Die Erhärtung erfolgt in einem Autoklaven bei
ca. 8 bis 16 bar und ca. 200°C. Durch die Wärmebehandlung wird das reaktionsträge SiO2 aufgeschlossen. Es verbindet sich mit Ca(OH)2 zu einem Kalkhydrosilikat:
(xCaO . ySiO2 . zH2O)
Der Erhärtungsvorgang ähnelt dem der hydraulischen Kalke und des Zementsteins
(siehe Abschn. D.4.1). Die Kalkhydrosilikatbildung erfolgt jedoch nur an den Oberflächen der Sandkörner, die auf diese Weise miteinander verkittet werden.
Eigenschaften: Kalksteine besitzen meist bessere Maßhaltigkeit als Mauerziegel.
Sie sollen jedoch nicht in frischem Zustand vermauert werden, da
sie beim Austrocknen und Auskühlen schwinden. Sie sind gegenüber Säuren empfindlich. Ihr Wasseraufnahme- und -abgabevermögen ist ähnlich dem von Mauerziegeln.
Kalksandvollsteine: KS
Kalksandlochsteine: KS L
und
Kalksandhohlblocksteine:
Rohdichteklassen:
Festigkeitsklassen:
Rohdichteklassen:
1,4 bis 2,2 kg/dm3
6 bis 60 MN/m2
0,6 bis 1,6 kg/dm3
Festigkeitsklassen:
5 bis 28 MN/m2
Frostbeständigkeit wird für Vormauersteine und Verblender nach DIN 106, Teil 2,
gefordert.
Bezeichnung: z. B.
DIN 106 - KS - 12 - 1,6 - 2 DF
DIN 106 - KS L - 6 - 1,2 - 3 DF
- 267 Literatur:
[E.1] SALMANG, H., SCHOLZE, H.: Keramik Teil 1: Allgemeine Grundlagen und wichtige Eigenschaften, Springer-Verlag Berlin, 1982
[E.2] OEL, H.J., TOMANDL, G.: Keramik: Leitfaden zur Vorlesung Glas und Keramik,
Erlangen, 1990
[E.3] DIN-Taschenbuch 68: Mauerwerksbau, Berlin, 1991
- 268 -
F
Gläser und Kunststoffe
F.1
Definitionen
Gläser:
Nicht-metallische Werkstoffe mit oder ohne beschränkter atomarer oder molekularer Ordnung ≡ amorph oder nicht-kristallin (siehe Baustofftechnologie I). Gläser
bestehen aus Molekülen, die in Form eines dreidimensionalen Netzwerks angeordnet sind.
Kunststoffe:
Werkstoffe aus langen Kettenmolekülen oder dreidimensionalen Netzwerken organischen Ursprungs. Sie sind häufig nicht-kristallin.
Beschreibung des Glaszustandes:
Gläser können als ungeordnete Schmelze betrachtet werden, die ohne Strukturänderung (Ordnungsänderung) erstarrte. Im Gegensatz zu kristallinen Stoffen tritt
daher beim Übergang vom festen in den flüssigen Aggregatzustand keine sprunghafte Volumenänderung ein.
Das Ausmaß der Ordnung (Kristallinität) bzw. Unordnung (Glaszustand) kann aus
einem Diagramm abgelesen werden, das die Häufigkeit des Auftretens von Atomen in bestimmten Abständen von einem Zentralatom angibt.
Volumen
fest
Häufigkeit
Glasüber-
Atom-
gangsbereich
schnell
gekühltes
Glas
flüssig
abstand
ideal
amorph
real
amorph
kristallin
kristallin
T
T
T
S
G
G
T
S
Temperatur
Abstand vom Zentralatom
: Schmelzpunkt des kristallinen Werkstoffes
: Glasübergangstemperatur des Glases
Abbildung F.1:
Zusammenhang zwischen Volumen und Temperatur bei kristallinen und amorphen Werkstoffen (links); Auftretenshäufigkeiten
von Atomen (rechts)
F.2
Anorganische Gläser
F.2.1
Zusammensetzung
Technische Gläser bestehen aus anorganischen Oxiden. Ihre wesentlichsten Bestandteile sind Silikate sowie Na2O, CaO, PbO und kleinere Mengen Al2O3, Fe2O3.
Rohstoffe für Baugläser sind: Sand (Quarz) SiO2, Soda Na2CO3, Kalk CaCO3.
Beim Schmelzen entweicht CO2, und es entsteht 6SiO2·Na2O·CaO.
- 269 -
Sauerstoff
Silicium
Natrium
Kristallines Silicat
Struktur von Fensterglas
(Zweidimensionale Darstellungen)
Abbildung F.2:
F.2.2
Atomare Struktur technischer Gläser
Grundsätzliche Eigenschaften
Bei Raumtemperatur sind anorganische Gläser äußerst spröde. Mit steigender
Temperatur erweichen sie und zeigen viskoses Verhalten, d.h. die lastabhängigen
Verformungen sind zeitabhängig und irreversibel.
Wegen des Fehlens atomarer Ordnung haben Gläser keinen definierten Schmelzpunkt, bei dem sich die Struktur ändert, sondern eine Erweichungs- oder Glasübergangstemperatur TG. Sie liegt in der Mitte des Erweichungsbereiches eines
Glases (siehe Abbildung F.1).
Fehlerfreie Gläser besitzen einen hohen E-Modul und eine hohe Druck- und Zugfestigkeit. Sie sind jedoch bei Raumtemperaturen wegen ihrer Sprödigkeit äußerst
fehler- und kerbempfindlich, so dass die Zugfestigkeit technischer Gläser meist
gering ist. Porenfreie und reine Gläser sind durchsichtig, da keine reflektierenden
Kristallebenen vorliegen, da freie Elektronen fehlen und die gebundenen Elektronen erst durch Wellenlängen des ultravioletten Lichtes angeregt werden.
Gläser sind gegen chemische Angriffe äußerst widerstandsfähig, besitzen eine
hohe Abriebfestigkeit und Härte und sind nach Erwärmen auf Temperaturen um TG
leicht formbar.
F.2.3
Anwendung und mechanische Eigenschaften
Fehlerfreies Glas besitzt sehr günstige mechanische Eigenschaften, d.h. eine hohe
Druck- und Zugfestigkeit und einen hohen E-Modul. Die Fehlerfreiheit kann vor
allem bei dünnen Fasern erzielt werden. Daher werden Glasfasern zur Bewehrung
(Verstärkung) von Verbundwerkstoffen verwendet, insbesondere werden glasfaserverstärkte Kunststoffe hergestellt (siehe Teil G).
- 270 Tabelle F.1:
Mechanische Eigenschaften (Auswahl) von technischem Glas
Eigenschaft
Bauglas1
E-Glas2
Chemische Zusammensetzung
SiO2
72,5
%
62
%
Al2O3
0,6
%
14
%
Fe2O3
0,1
%
-
CaO
7,5
%
23
MgO
4,1
%
-
Na2O
14,3
%
1
Rohdichte
kg/dm3
2,50
%
%
2,54 ± 0,03 kg/dm3
Zugfestigkeit bei
5250
N/mm2
T = 43°C
3500
N/mm2
T = 540°C
1750
N/mm2
T = 23°C
50 - 80 N/mm2
7·104
E-Modul
Poisson’sche Zahl
Wärmedehnzahl
F.2.4
N/mm2
7,4 - 8,7·104 N/mm2
0,20
0,20
-6
9·10 [1/K]
Verfestigung von Gläsern
• Oberflächenätzung:
Ausrundung oder Entfernung von Oberflächenfehlern bzw. Kerben.
• Vorspannen der Oberflächenzonen:
Bei plötzlichem Abkühlen erstarren zuerst die Oberflächenbereiche. Darauffolgendes Erstarren der inneren Bereiche führt zu einer Volumenverringerung des Kerns
und damit zu einer Druckvorspannung der Oberflächenzonen. Die Folge davon ist
eine Erhöhung der Zugfestigkeit.
• Dispersionsverstärkung bzw. Ausbildung einer zweiten Phase:
(siehe Teil G).
1
als Tafelglas
2
in Form von Glasfasern ∅ 4·10-3 bis 2·10-2 mm
- 271 -
F.2.5
Einige Anwendungen von Gläsern im Bauwesen
• Flachglas:
• Fensterglas, Kristallspiegelglas oder Floatglas für Außenverglasungen oder Innenausbau
• Drahtspiegelglas, d.i. Kristallspiegelglas mit Drahtverstärkung
• Wärmeschutz-, Sonnenschutz- und Schallschutzgläser
• Kompaktglas:
• Glasbausteine, Betongläser, Glasdachziegel
• Fasern:
• Zur Verstärkung von Kunststoffen (siehe Abschnitt G.3.4.2)
• Als Dämm- oder Schallabsorptionsstoffe
• Schaumglas:
• In Plattenform für tragende Bauteile
Literatur:
[F.1] SCHOLZE, H.: Glas: Natur, Struktur und Eigenschaften, Springer-Verlag, Berlin, 1988
[F.2] PETZOLD, A., MARUSCH, H. & SCHRAMM, B.: Der Baustoff Glas, Verlag für
Bauwesen, Berlin, 1990
[F.3] RUSKE, W.: Glas, WEKA-Fachverlag, Berlin, 1988
[F.4] HORNBOGEN, E.: Werkstoffe, Springer-Verlag, Berlin, 1991
- 272 -
F.3
Kunststoffe
F.3.1
Ausgangsstoffe bei der Kunststoffherstellung
Alle Kunststoffe sind auf der
Basis Kohlenstoff aufgebaut
und damit organische Werkstoffe. Eine Zusammenstellung der Ausgangsstoffe zeigt
Abbildung F.3.
Kunststoffe sind grundsätzlich
Leichtwerkstoffe mit einem
spezifischen Gewicht um
1 kg/dm3. Eine Erhöhung des
spezifischen Gewichts ist
durch Füllung mit anorganischen Stoffen, sog. Füllern
(z. B. Quarzmehl, Sand bzw.
Fasern) zu ermöglichen.
ERDÖL
GAS
KOHLE
KALK
WASSER
LUFT
CHEMISCHER AUFSCHLUSS
C
H
O
Kohlenstoff
N
Sauerstoff
Wasserstoff
S
Schwefel
Stickstoff
MONOMERE
Ausgangsprodukt für synthetische
organische Werkstoffe
Abbildung F.3:
F.3.2
Ausgangsstoffe zur
Kunststoffherstellung
Aufbau und Struktur
Kunststoffe bestehen aus Riesenmolekülen, welche aus einer großen Anzahl wiederkehrender Einheiten zusammengesetzt sind. Ihnen wurde der Name "Polymer"
vom Griechischen "poly" = "viel" und "meros" = "Teil" gegeben. Die einzelnen Einheiten bzw. Bausteine werden Monomere genannt. Die meisten Polymere bilden
lange, flexible Ketten. Hierdurch entsteht ein mehr oder weniger regelmäßiges
(komplexes) Netzwerk, dessen Struktur teils kristallin, überwiegend jedoch amorph
ist.
Die Kunststoffe werden nach dem Ausmaß ihrer Vernetzung eingeteilt in:
Kettenpolymere bzw. Thermoplaste:
Sie bestehen aus langen Fadenmolekülen, die untereinander keine Verbindungen
(Vernetzung) haben. Wärmezufuhr verstärkt die molekularen Bewegungen, die
Ketten gleiten aneinander vorbei, makroskopisch gesehen schmilzt der Werkstoff.
Durch das Erkalten kommt die Bewegung wieder zur Ruhe, die Fadenmoleküle
lagern sich zusammen, der Kunststoff wird wieder hart.
Beispiele:
Polyethylen
Polyvinylchlorid
Polypropylen
Polyisobutylen
Polystyrol
Polyamide
Polymethylmethacrylat
(PE)
(PVC)
(PP)
(PIB)
(PolyPS)
(PA)
(PMMA)
- 273 Elastomere:
Die Gruppe der Elastomere umfasst weniger Kunststoffe, als vielmehr Syntheseund Naturkautschukerzeugnisse. Sie besitzen gummielastische Eigenschaften
(große elastische Verformungen), und ihre Makromolekülfäden sind in größeren
Abständen untereinander chemisch vernetzt (geringer Vernetzungsgrad).
Beispiele:
Naturkautschuk, Latex (unvernetzt)
Butadien-Kautschuk
(Buna)
Chloropren-Kautschuk (Neopren, Baypren)
Polysulfid-Kautschuk (Thiokol)
Raumpolymere bzw. Duroplaste:
Im Gegensatz zu den Thermoplasten sind die Molekülketten dieser Werkstoffe
dreidimensional vernetzt (hoher Vernetzungsgrad).
Bei höheren Temperaturen beginnen diese Werkstoffe nicht zu schmelzen, sondern sich irreversibel zu zersetzen. Sie lassen sich nicht mit den üblichen Verarbeitungsverfahren warm verformen, sondern werden in flüssiger Form bei Zugabe von
Härtungsmitteln verarbeitet. Duroplaste sind auch bei höheren Temperaturen noch
relativ beständig.
Beispiele:
F.3.3
Polyesterharze (UP-Harze)
Epoxidharze
(EP-Harze)
Polyurethane (PUR)
Herstellungsmethoden
Die Verkettung der Monomere erfolgt nach verschiedenen Methoden. Dabei wird
unterschieden zwischen
• Polymerisation
• Polykondensation
• Polyaddition
F.3.3.1
Polymerisation
Gleiche Monomere werden durch Aufbrechen von Mehrfachbindungen verkettet.
Beispiel: Polyvinylchlorid:
H
H
H
H
H
 HI
I 
I
I
I
I
C = C →C− C− C− C−...
I 
I
I
I
I
 HI
Cl

 H Cl H Cl
Vinylchlorid
Polyvinylchlorid
Die Polymerisation erfordert Energiezufuhr (Wärme; radioaktive Strahlung) oder
Katalysatoren. Bei der Verbindung werden keine Stoffe abgespalten.
Andere, durch Polymerisation verbundene Monomere:
Ethylen (C2H4), Butadien (C4H6), Vinylbenzol (Styrol)
Co- oder Mischpolymerisation: Verkettung verschiedenartiger Monomere durch
Aufbrechen von Mehrfachbindungen
- 274 -
F.3.3.2
Polykondensation
Kettenmoleküle werden aus verschiedenen Monomeren unter Abspaltung von
Nebenprodukten (z.B. Wasser oder Alkohol) gebildet.
Beispiel: Nylon:




− (CH2 )y − C− OH →
H − NI − (CH2 )x − NI − H + HO − C
II
II
H
H
O
O

 n 
 n
Diamin
Dicarbonsäure


→ H2 O + N− (CH2 )x − N− C− (CH2 )y − C− 
I
II
II
 HI
 n
H
O
O
Wasser
F.3.3.3
Nylon
Polyaddition
Verschiedene Monomere werden dadurch verkettet, dass einige Atome oder Atomgruppen ihren Platz wechseln, ohne dass dabei eine Abspaltung von Nebenprodukten eintritt.
Beispiel: Polyurethan
H-O-R1-O-H + O=C=N-R2-N=C=O + H-O-R1- ... →
Diol
Diisocyanat
Diol


→ − C− N− R 2 − N− C− R1 − O − 
I
I
II
II
H
O
 O H
 n
Polyurethan
F.3.3.4
Formgebungstechniken
Die Formgebungstechniken werden weitgehend durch das unterschiedliche Erhärtungsverhalten der Kunststoffe bestimmt.
F.3.3.4.1
Formgießen
Das Verfahren der Polymerisation in Formen dient zur Massenfertigung, insbesondere gummielastischer, aufgeschäumter PUR-Formteile.
F.3.3.4.2
Rotationsformen
In Hohlformen werden abgemessene Mengen schmelzbarer Kunststoffe (pulverförmig oder flüssig) eingegeben. Diese Formen werden bei erhöhter Temperatur
um zwei Achsen mit unterschiedlicher Geschwindigkeit langsam rotierend gedreht.
An den Wandungen der Form bildet sich ein Hohlkörper. Das Anwendungsgebiet
dieses Verfahrens erstreckt sich von der Massenfertigung kleinerer Formteile bis
zu Großbehältern von 20.000 l Inhalt.
F.3.3.4.3
Schleuderguss
Unter Ausnutzung von Fliehkräften werden mittels Reaktionsharzen mit Füllstoffen
Rohre mit glatten, harzreichen Oberflächen hergestellt.
F.3.3.4.4
Handverfahren
Für GFK-Bauteile (glasfaserverstärkte Kunststoffe) verwendet man überwiegend
ungesättigte Polyester (GUP) als Reaktionsharze. Die Verstärkung der Reaktionsharze erfolgt durch Bewehrung mit Glasfaserprodukten. Im Handverfahren wird auf
das Formwerkzeug eine Schicht Glasvlies aufgelegt und mit aufgegossenem, kalthärtendem Harz durchtränkt. Das Verfahren ist sehr arbeitsintensiv.
- 275 F.3.3.4.5
Faser-Harz-Spritzverfahren
Die Herstellung glasfaserverstärkter Kunststoffe kann auch automatisch erfolgen.
Beim Faser-Harz-Spritzverfahren werden Harzgemisch und kurz geschnittene
Glasseide mit Mehr-Komponenten-Spritzeinrichtungen, welche Rovings (Glasstränge) zerschnitzeln, aufgebracht. Die aufgespritzten Schichten müssen von
Hand verdichtet werden.
F.3.3.4.6
Injektionsverfahren
Beim Injektionsverfahren verwendet man geschlossene Formen, in die das Harz
eingesaugt oder unter Druck injiziert wird, bis sein Austreten aus der Form völliges
Durchtränken erkennen lässt.
F.3.3.4.7
Wickelverfahren
Bei den Wickelverfahren werden Faserstränge mit Harz getränkt und anschließend
unter Spannung auf einen rotierenden Kern gewickelt. Mit diesem Verfahren werden Lager und Transportbehälter bis 100 m³ Inhalt hergestellt (Heizöl, Erdlager,
Haushaltstanks).
F.3.3.4.8
Kalandrieren
Kalandrieren ist das zügige Auswalzen heiß vorplastifizierter Massen zu Folien.
Das Auswalzen geschieht auf schweren, geheizten Mehrwalzenwerken. Mit diesem Verfahren werden PVC-Hart- und -Weichfolien mit Durchsatzleistungen von
mehreren Tonnen pro Stunde ausgewalzt.
F.3.3.4.9
Extrudieren
Mit einer kontinuierlich arbeitenden Schneckenstrangpresse werden thermoplastische Kunststoffe am häufigsten geformt. Durch den Aufsatz unterschiedlicher
Spritzköpfe lässt sich nahezu jede beliebige Form vom Rohr bis zum komplizierten
Profil extrudieren.
F.3.3.4.10
Blasen von Hohlkörpern
Luftzuführung
Blaskopf
Extruder
Kühlring
Kunststoffschlauch
Leitbleche
Quetschwalzen
Aufwickelvorrichtung
mit Spannrolle
Abbildung F.4:
F.3.3.4.11
doppelt flachgelegte Folie
(nicht aufgeschnitten)
Beim Extrusionsblasen von
Hohlkörpern aus thermoplastischen Kunststoffen wird aus
einer Ringdüse kontinuierlich
ein Schlauch extrudiert. Dieser
kann entsprechend Abbildung
F.4 durch Quetschwalzen flach
gelegt werden, so dass sich
auch mit Hilfe der Extrusionstechnik Folien herstellen
lassen. In Blasstationen kann
auch der abgeschnittene extrudierte Schlauch zu Hohlkörpern aufgeblasen werden.
Hohlkörperblasmaschinen haben Fertigungsleistungen bis
zu mehreren Tausend Einheiten je Stunde.
Folienblasanlage
Spritzgießen
In Spritzgussmaschinen wird über einen geheizten Kolben thermoplastischer
Kunststoff in ein Formwerkzeug eingespritzt. Temperatur des Spritzgusszylinders,
Taktzeit der Maschine, Temperatur der geheizten Form und Aushärtezeit müssen
- 276 aufeinander abgestimmt sein. Das Spritzgießverfahren dient heute für Massenfertigung von Formteilen aller Arten.
F.3.3.4.12
Formpressen
Obertisch
Patrize
(Stempel, Kern)
Heizung
Kunststoff-Pulver
Preßmasse (lose
oder tablettiert)
In ein aufgespanntes Formwerkzeug (Patrize oder Matrize), welches dauernd beheizt wird, werden
abgemessene Mengen vorgewärmter
Pressmassen
eingebracht.
Durch das Schließen der Pressform
fließt die Masse unter Hitze und
Druck und füllt das Formwerkzeug
aus. Das ausgehärtete Formteil
wird heiß aus der wieder geöffneten
Form ausgestoßen.
Heizung
Matrize
(Gesenk)
Untertisch
Abbildung F.5:
F.3.3.4.13
Schema einer Kunststoffpresse
Schäumen
Schaumstoffe sind Werkstücke mit einem Luftporenvolumen von 20 % bis über
90 %. Gase, die sich unter hohem Druck in heißen plastischen Massen auflösen,
schäumen als physikalische Treibmittel z.B. Polystyrol zu Werkstücken aus Polystyrolschaum (z. B. Styropor) auf. Eine Übersicht über die verschiedenen
Schaumstoffarten zeigt die folgende Zusammenstellung (Abbildung F.6):
Kunststoffschaum, Hartschaumstoff
Geschäumtes
Polystyrol
Polyurethan
Phenolharz
Styropor
Moltopren
T 612 S
Begriffe
Harnstoffharz Stoffnamen
Isoschaum
Firmennamen
Styrofoam
Abbildung F.6:
Schaumstoffe aus Kunststoff
Dämmstoffe sind harte Schaumstoffe mit einem Porenvolumen von über 90 Vol.%. Ihre Rohdichte liegt unter 0,1 g/cm³.
F.3.4
Mechanische Eigenschaften
Folgende Eigenschaften sind charakteristisch für die meisten Kunststoffe:
• gute chemische Beständigkeit
• geringe Dichte
• niedriger E-Modul
• hohe Temperaturabhängigkeit von Festigkeits- und Verformungsverhalten
• bei Thermoplasten niedriger Schmelzpunkt, daher gut schweißbar
• ausgeprägte Zeitabhängigkeit von Festigkeit und Verformung
- 277 -
F.3.4.1
Festigkeit und Verformung bei Kurzzeitbeanspruchung
Mit zunehmender Spannung führen folgende Vorgänge zur Verformung der Kunststoffe:
1. Strecken der Molekülketten
2. Scheren des Molekülgerüstes
3. Elastische Dehnung der gestreckten Molekülketten
Bei nicht vernetzten Kunststoffen führt die Streckung der Molekülketten häufig zu
plastischen Verformungen.
Je nach Ausmaß der Vernetzung und je nach Kristallisationsgrad (Dichte) haben
Kunststoffe auch bei Normaltemperatur stark unterschiedliche Festigkeits- und
Verformungseigenschaften.
Zugspannung [N/mm²]
Zugspannung [N/mm²]
80
6
Duroplast
60
5
Elastomer
4
40
3
Thermoplast
20
2
1
0
0
10
20
30
Dehnung [%]
Abbildung F.7:
0
40
0
35
10
30
8
25
6
20
4
15
2
10
F.3.4.2
8
Streckgrenze [N/mm²]
10²*12
0,92
Abbildung F.8:
4
6
Dehnung * 100 [%]
Spannungs-Dehnungslinien von Kunststoffen mit unterschiedlicher Mikrostruktur
Schubmodul [N/mm²]
0
2
0,94
0,96
5
0,92
0,94
0,96
Abhängigkeit mechanischer Eigenschaften bei Polyethylen von
der Dichte bzw. dem Kristallisationsgrad
Zeitstand- und Dauerstandfestigkeit
Unter konstanter Dauerlast nehmen die Verformungen der Kunststoffe mit steigender Belastungsdauer zu. Darüber hinaus ist die Zeitstandfestigkeit, d. h. jene konstante Spannung, die der Werkstoff nur über eine begrenzte Zeit ertragen kann, im
Vergleich zu anderen Werkstoffen gering.
- 278 -
Zugspannung σ [N/mm²]
40
30
Zeitbruchlinie
20
ε
10 %
5
2,5
10
1
0,75
0
10
Abbildung F.9:
F.3.4.3
-2
10
-1
0
1
2
3
10
10
10
10
Belastungsdauer [h]
10
4
Zeitstandverhalten von Polypropylen bei T = 20 °C
Einfluss der Temperatur
Festigkeit und Verformbarkeit:
Wie bei allen Werkstoffen wächst auch bei Kunststoffen die Verformbarkeit mit
steigender Temperatur, während die Festigkeit abfällt.
β z [N/mm²]
σ [N/mm²]
75
125
bis 85 N/mm²
40 °C
60
a: PE
b: PP
c: PVC
d: PMO
100
68 °C
86 °C
45
75
104 °C
30
50
a
b
c
d
122 °C
15
25
140 °C
0
0
10
bis 130 %
20
30
ε [%]
0
-40
0
40
80
120
Temperatur ϑ [°C]
Abbildung F.10:
Abbildung F.11:
Einfluss der Temperatur auf das Spannungs-Dehnungsverhalten von Plexiglas (PMMA = Polyethylmethacrylat)
Kurzzeitfestigkeit einiger Thermoplaste bei Zugbeanspruchung in Abhängigkeit von der Temperatur
Je nach Vernetzungsgrad und Kristallinität kann das Verhalten von Kunststoffen
bei verschiedenen Temperaturen im wesentlichen in die Bereiche Glaszustand,
Erweichung, Fließen und Schmelzen (siehe Abbildung F.12) unterteilt werden.
Ebenso wie bei Gläsern kann auch bei Kunststoffen der Übergang vom Glaszustand zum Erweichungsgebiet durch die Glasübergangstemperatur TG beschrieben
werden.
- 279 -
Edyn [N/mm²]
10
10
10
10
10
10
10
4
D: Glasübergangs3
temperatur
4
c: Thermoplast,
hornartiger
Zustand
2
1
amorph
1
3
d: Thermoplast,
2
kristallin
Schmelzen
0
-1
Erweichungsgebiet
-2
e: Elastomer
Gummielastizität
Glaszustand
f: Duromer
QuasigummiFließen
elastizität
Fließen
Temperatur
Abbildung F.12: Veränderung der Steifigkeit und des Aggregatzustandes von
Kunststoffen
Kriechen:
Vor allem wenig oder nicht vernetzte Kunststoffe (Thermoplaste) zeigen mit steigender Temperatur zunehmende Kriechverformungen.
Kriechmodul Ek [N/mm²]
5
10
10
10
10
50
25
10
Werkstoff: PVC
σk = 10 N/mm²
4
20°C
3
40°C
60°C
2
10
-2
10
-1
10
0
1
2
10
10
Belastungsdauer t [h]
10
3
10
4
Abbildung F.13: Kriechmodul von PVC bei unterschiedlichen Temperaturen
Kriechmodul:
Ek =
σk
ε el + ε k
(F.3.1)
wobei εel = σ / Eel
Darüber hinaus fällt die Zeitstandfestigkeit, ausgedrückt in Prozent der Kurzzeitfestigkeit, mit steigender Temperatur weiter ab.
- 280 -
F.3.5
Dauerhaftigkeit
Einen Überblick über die chemische Widerstandsfähigkeit einiger Kunststoffe gibt
Tabelle F.2:
−
Ø
+
−
{
+
−
Ø
+
{
{
Ø
−
{
⊕
Ø
+
−
−
−
⊕
+
{
⊕
−
{
stark
−
Ø
⊕
−
−
−
−
⊕
−
−
−
−
+
Ø
{
{
+
−
⊕
Ø
−
−
+
+
⊕
+
⊕
⊕
−
{
−
−
{
−
+
−
+
+
⊕
⊕
−
Ø
Ø
−
−
−
+
−
{
{
−
{
⊕
Ø
−
Ø
−
−
−
−
+
Ø
+
+
Ø
⊕
+
Ø
⊕
−
{
Ø
Fette, Öle
−
{
+
+
{
{
{
Mineralöl
−
+
+
{
−
+
{
Treibstoffgem.
⊕
+
+
+
{
Benzin
−
{
+
{
Benzol
{
+
+
+
+
{
Chlorkohl.-W.
{
+
+
+
+
+
+
+
Äther
⊕
−
−
Ø
Ketone
+
+
{
Ester
−
−
−
⊕
{
{
{
Alkohole
+
+
+
+
⊕
+
⊕
schwach
+
+
+
+
+
+
+
Halogene
(trocken)
Flußsäure
PP
PVC hart
weich
PMMA
PS hart
Schaum
PA
UP
EP
PUR hart
Schaum
oxidierend
hart
weich
stark
PE
Chemische Widerstandsfähigkeit einiger Kunststoffe
schwach
Tabelle F.2:
⊕
{
+
Ø
+
+
{
+
+
{
+
{
−
−
−
+
{
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
{
{
+
+
+
+
+
+
+
+
{
+
+ beständig
⊕ bedingt beständig bis beständig
{ bedingt beständig
∅ bedingt unbeständig bis unbeständig
- unbeständig
Manche Kunststoffe verspröden im Laufe der Zeit durch die Einwirkung von Licht
(ultraviolette Strahlung). Auch radioaktive Strahlung kann zur Versprödung führen.
Die Ursache hierfür liegt in der zunehmenden Vernetzung aufgrund der Strahlungseinwirkung.
Auch bei Kunststoffen kann ähnlich wie bei Metallen eine Spannungsrisskorrosion
auftreten. Die gleichzeitige Einwirkung von äußeren Zugspannungen und polaren
Flüssigkeiten führt zur Versprödung und zur Bildung sowie zum Fortschreiten von
Rissen.
F.3.6
Verfestigungsmethoden und Erhöhung der Temperaturbeständigkeit
Die Eigenschaften der Kunststoffe können durch folgende Maßnahmen verbessert
werden:
a)
Kristallisation
Die Auffaltung von Molekülketten führt zu einer Erhöhung der Dichte und
der Anzahl der Bindungen zwischen den Ketten.
b)
Vernetzung
- 281 c)
Versteifung der Molekülketten
Sie bewirkt vor allem eine Erhöhung der Steifigkeit. Dies kann erreicht
werden durch Erhöhung der Anzahl der Verknüpfungspunkte der einzelnen
Monomere und durch Anlagerung einzelner Riesenmonomere.
d)
Zugabe von Weichmachern oder Stabilisatoren
e)
Verwendung von Füllstoffen und Faserbewehrung
Pulverförmige Zusätze anorganischer Substanzen können Wärmebeständigkeit, Härte und Abriebfestigkeit der Kunststoffe verbessern und ihre Verformbarkeit reduzieren. Über die Anwendung faserverstärkter Kunststoffe
siehe Verbundwerkstoffe, Abschnitt G.
F.3.7. Brandverhalten der Kunststoffe
Kunststoffe gehören zur Klasse der brennbaren Baustoffe (Klasse B nach DIN
4102; B1 = schwer entflammbar, B2 = normal entflammbar, B3 = leicht entflammbar).
Es gibt verschiedene Maßnahmen, die das Brandverhalten der Kunststoffe verbessern:
1.
Kunststoffe können durch besondere Zusätze schwerer entflammbar eingestellt werden.
2.
Kunststoffe können als Verbundwerkstoffe mit Komponenten aus nicht brennbaren Baustoffen eine wesentlich bessere Hitzebeständigkeit erzielen.
F.3.8
Anwendungen im Bauwesen
Im Folgenden werden exemplarisch anhand von Beispielen einige Anwendungsmöglichkeiten der Kunststoffe aufgezeigt, die sich in der Praxis bewährt haben.
F.3.8.1
Folien
Das Hauptanwendungsgebiet von Folien liegt im Bautenschutz bzw. in der Erhaltung von Bauwerken und Bauwerksteilen. Sie dienen vor allem der
Abdichtung gegen
nicht drückendes Wasser
drückendes Wasser
Chemikalien
und zur Bedachung freiliegender bzw. beschichteter Dachkonstruktionen.
Die auf dem Markt befindlichen Abdichtungs- und Bedachungsmaterialien aus
Kunststoff weisen unterschiedliche Eigenschaften auf. Vor Verwendung einer Folie
muss man sich unbedingt von ihrer Langzeitbeständigkeit gegen Wasser, Witterung, Chemikalien, Öle, Treibstoffe, Bitumen, Klebstoffe und u.U. gegen weitere
Einflüsse vergewissern.
Besondere Aufmerksamkeit muss den Stoßverbindungen von Kunststofffolien gewidmet werden. Folienbahnen können durch Kleben, Schweißen und Zusammenklemmen verbunden werden. Unter "Stoß" versteht man dabei einen Querstoß,
unter "Naht" einen Längsstoß. Am gebräuchlichsten ist der Überlappungsstoß, bei
dem sich die Folien an den Rändern überdecken und durch Kleben, Schweißen
oder Zusammenklemmen verbunden werden. Verschiedene Arten, Folien miteinander zu stoßen, sind aus der Abbildung F.14 ersichtlich.
- 282 Gewöhnlicher
Überlappungsstoß
Überlappungsstoß
mit Luftkanal
Überlappungsstoß
mit Erdungsdraht
oder Folienband
Gewöhnlicher
Stumpfstoß mit
Decklasche
Stumpfstoß mit
verschweißter V-Naht
und Decklasche
Stumpfstoß mit
Decklasche und
Erdungsfolienband
Stumpfstoß mit
Decklasche und
eingeschweißten
Kehlschweißschnüren
Abbildung F.14: Ausführungsarten verschiedener Folienstöße
F.3.8.2
Fugenbänder
Bewegungsfugen in Bauwerken haben den Zweck, einzelnen Bauteilen die Möglichkeit zu geben, sich gegeneinander zu verschieben. Bei Betonfundamenten,
siehe Abbildung F.15, werden nach Montage der Schalung und der Baustahlbewehrung sog. Arbeitsfugenbänder eingelegt und an der Bewehrung befestigt. Sie
haben wie bei den Bewegungsfugen die Aufgabe, die Fuge zwischen den unterschiedlichen Betonbauteilen (Fundament, Wand) abzudichten. Als Werkstoffe werden für diese vorgefertigten Profile sowohl Elastomere als auch PVC-weich verwendet.
Wand
Fugenband
vorbetoniertes
Fundament
Abbildung F.15: Arbeitsfugenband bei Stahlbetonbauteilen
F.3.8.3
Fugenmassen
Bauwerksfugen werden mit Fugenmassen ausgefüllt. Fugenmassen sind Dichtungsmassen aus Kunststoffen, die den Bauwerksbewegungen folgen. Sie haben
die Aufgabe, das Bauwerk gegen das Eindringen von Wasser zu schützen und
müssen beständig sein. Die Adhäsion in der Grenzfläche und die Beständigkeit der
angrenzenden Materialien selbst sind von großer Bedeutung. Die Fugenformen für
Dehnungsfugen sind in Abhängigkeit von den vorhandenen Bauteilen zu gestalten.
- 283 F.3.8.4 Kunststofffassaden
Für den Fassadenbau können nur wenige Materialien aus der großen Palette der
Kunststoffe Verwendung finden. Speziell kommt für den Bausektor Hart-PVC in
Betracht. Dieses Material besitzt eine erhöhte Schlagzähigkeit auch bei Temperaturen unter dem Gefrierpunkt. Eine glatte Oberfläche bietet kaum Ansatzpunkte für
Schmutzablagerungen.
F.3.8.5
Baulager aus Elastomer-Werkstoffen
Bei Auflagerungen aller Art, insbesondere bei Brückenauflagern, hat sich in den
letzten Jahren die Verwendung von Elastomeren bewährt.
Elastomer
Stahlplatten
V
Zusammendrückung
Stahlblech
Elastomerschicht
Bei hohen Lasten (Brückenbau) werden
bewehrte Elastomerlager (Verbundbaustoff) eingesetzt. Dabei handelt es sich
um ein schichtenweise zusammengesetztes, aus Elastomerlagen mit Stahlblechen abwechselnd aufgebautes
Schichtenpaket. Bei schubfester Verbindung bewirken die Stahlbleche, dass
infolge der durch sie hervorgerufenen
Querdehnungsbehinderung senkrecht
zur Hauptlastrichtung die Übertragung
großer Lasten bei geringen Lagerstauchungen ermöglicht wird. Aus Gründen
des Korrosionsschutzes ist die allseitige
Ummantelung der Stahlbleche mit
Elastomeren üblich.
Abbildung F.16: Brückenlager
Als wesentliche Vorteile von Elastomerlagern sind zu nennen:
F.3.8.6
•
sichere und dauerhafte Kraftübertragung
•
weitestgehende Wartungsfreiheit
•
Beständigkeit gegen chemische Angriffe
•
einfache Montage
•
niedrige Einbauhöhe
•
ggf. im Hochbau Unterbrechung der Körperschallübertragung.
Reaktionsharze
Reaktionsharze sind Produkte, die bei der Verarbeitung mit jeweils spezifischen
Reaktionsmitteln (Härter, Beschleuniger) ohne Abspaltung flüchtiger Komponenten
durch Polymerisation oder Polyaddition härten. Die Anwendung solcher Reaktionsharze ist aus der folgenden Tabelle F.3 ersichtlich.
- 284 Tabelle F.3:
Reaktionsharzanwendung (Verarbeitungsarten)
Reaktionsharze
Verwendungszweck
ohne Zusatz
Injektionen
mit Lösungsmittel
(Xylol, Toluol)
Imprägnierungen,
Haftvermittler
mit Füllstoffen
(Schiefermehl, Farb- Spachtelmassen,
pigmente)
Kleber, Anstriche
mit organischen Zusätzen (Schaumbildner)
Isolierstoffe
mit Mineralfasern
(Glasfasern)
glasfaserverstärkte
Kunststoffe
mit Feinzuschlägen
(Sand 0/4 mm)
Mörtel
mit Zuschlagstoffen
(Kiessand 0/32 mm)
Beton
mit Dispergiermittel
(Wasser)
Imprägnierungen
Tabelle F.4:
Reaktionsharze im Bauingenieurwesen
Polymerisate
Duroplaste
Polyesterharze (UP)
Polyaddukte
Epoxidharze
(EP)
Polyurethanharze (PU)
Thermoplaste
Polymethylmethacrylat
(PMMA)
Lieferformen
Harz, Härter
Katalysator, Beschleuniger
flüssig
flüssig, pastös,
pulverförmig
Epoxidharze haben zwei wesentliche Anwendungsgebiete. Das erste ist der
Schutz von Bauten gegen mechanische, chemische und atmosphärische Einwirkungen durch korrosionsverhütende Überzüge, Bodenbeläge, Brückenisolierungen
und
-beläge. Das zweite ist das der kraftschlüssigen Verbindung von Bauteilen, der
Haftbrücken zwischen frischem und erhärtetem Beton, der Injektion und der Verankerungen.
F.3.8.7
Weitere Anwendungen
•
Sandwichelemente als raumtrennende Bauteile (nichttragend)
•
Kunststofffenster
•
EPS-Leichtbeton:
Zuschlagstoffe bestehen aus expandiertem Polystyrolschaumstoff
•
Putze auf Kunststoffbasis
•
Polymer-Beton:
Kapillarporen des Betons (in der Oberflächenzone) werden mit Kunststoffen
gefüllt
- 285 -
F.3.9. Chemische Kurzzeichen für Kunststoffrohstoffe
PIB
Polyisobutylen
PMMA
Polymethylmethacrylat
(Acrylglas)
PMO
Polymethylenoxid
(Acetalharz)
Celluloseacetobutyrat
PP
Polypropylen
CP
Cellulosepropionat
PS
Polystyrol
CR
Chloropren-Kautschuk
(Polychloropren)
PTFE
Polytetrafluorethylen
PUR
Polyurethan
EP
Epoxidharz
PVAC
Polyvinylacetat
EVA
Ethylen-VinylacetatCopolymere
PVC
Polyvinylchlorid
MF
Melaminformaldehydharz
PVDC
Polyvinylidenchlorid
NBR
Nitrilkautschuk
PVF
Polyvinylfluorid
PA
Polyamid
SAN
Styrol-Acryl-NitrilCopolymere
PB
Polybuten (Polybutylen)
SBR
Styrol-Butadien-Kautschuk
PC
Polycarbonat
SI
Silicon
PE
Polyethylen
UF
Harnstoff-Formaldehydharz
PEPT
Polyethylenterephthalat
UP
Ungesättigtes Polyesterharz
PF
Phenolformaldehydharz
ABS
Acryl-Butadien-StyrolCopolymere
AMMA
Acrylnitril-MethacrylatCopolymere
CA
Celluloseacetat
CAB
F.3.10. Chemische Kurzzeichen für Kunststoffwerkstoffe
GFK
Glasfaserverstärkte
Kunststoffe
GUP
Glasfaserverstärktes
Polyesterharz
HGW
Hartgewebe
HP
Hartpapier
HP,dek
Dekorative Schichtstoffplatten
HSW
Holzspanwerkstoffe
HSW,dek Holzspanwerkstoffe, dekorativ
kunststoffbeschichtet
KH
Harte Holzfaserplatten, dekorativ kunststoffbeschichtet
Literatur:
[F.5]
BASF - Kunststoffe in der Anwendung – Werkstoffblätter
[F.6]
Bauen mit Kunststoffen, Carl Hanser Verlag, München, 1973
[F.7]
Bayer – Kunststoffe
[F.8]
BLUNK, G.: Über das Bauen mit Beton und Kunststoff, beton 4/71, 1971
[F.9]
DOMKE, W.: Werkstoffkunde und Werkstoffprüfung, Cornelsen-Verlag, Düsseldorf, 1986
[F.10] MENGES, G.: Werkstoffkunde der Kunststoffe, Carl Hanser Verlag, München, 1979
[F.11] SAECHTLING, H.: Kunststoff-Taschenbuch, 26. Aufl., Carl Hanser Verlag, München, 1995
[F.12] SASSE, H.R.; SCHORN, H.: Elastomere als Baulager - Stand der Entwicklung, Plasticonstruction
5/71
[F.13] SCHWARZL, F. R.: Polymermechanik, Springer-Verlag, 1990
- 286 -
G
Verbundwerkstoffe
Problemstellungen und Definitionen:
Manche Materialien besitzen Eigenschaften, die sie zur Verwendung als Werk- und
Baustoffe nur bedingt tauglich machen. Durch Kombination mit anderen Stoffen kann
man aber ihre Eigenschaften soweit verbessern, dass sie als Werkstoffe verwendet
werden können. Solche aus mehreren Komponenten oder Einzelwerkstoffen bestehenden Werkstoffe werden als Verbundwerkstoffe bezeichnet. Sie zeichnen sich dadurch aus, dass sie im Vergleich zu den Ausgangsstoffen deutliche Vorzüge besitzen,
z.B.:
• verbesserte Druck- oder Zugfestigkeit
• erhöhte Steifigkeit und Duktilität
• verbesserte Formgebung und Herstellung
• reduziertes Gewicht, erhöhte Wärmedämmung
Beispiele:
Beton
= Zementstein + Betonzuschlag
Stahlbeton
= Beton + Stahlbewehrung
Leichtziegel
= Ton und porenerzeugende Stoffe
Mauerwerk
= Steine und Mörtel
Moderne Verbundwerkstoffe: z.B. faserbewehrte oder gefüllte
Kunststoffe, Sandwich-Konstruktionen, Holzwerkstoffe.
G.1
Theorie der Verbundwerkstoffe
Zielsetzung:
G.1.1
rechnerische Abschätzung bestimmter Eigenschaften von Verbundwerkstoffen mit Hilfe von Kennwerten der Einzelkomponenten.
Grundmodelle:
1
v
1
2
v
2
Serienanordnung oder ‘weich’
v
1
1
2
v
Parallele Anordnung oder ‘hart’
v1; v2
= Volumenkonzentration der Komponenten 1 bzw. 2
v1 + v2
= 1,0
2
- 287 -
G.1.2
Rohdichte eines Verbundwerkstoffes
ρ = v1.ρ1 + v2.ρ2 ,
(G.1.1)
v2 = 1 - v1 ist
(G.1.2)
ρ = v1.ρ1 + (1 - v1).ρ2 .
(G.1.3)
mit
wobei
G.1.3
ρ
= Rohdichte des Verbundwerkstoffes
ρ1
= Rohdichte der Komponente 1
ρ2
= Rohdichte der Komponente 2
Wärmeleitfähigkeit
λ = v1.λ1 + (1 - v1).λ2 ,
wobei
λ; λ1; λ2 =
G.1.4
Schwinden
(G.1.4)
Leitfähigkeiten des Verbundwerkstoffes bzw. der Komponenten
Kombination eines Werkstoffs, der schwindet, mit einem 2. Werkstoff, der nicht oder
nur wenig schwindet. Beispiel: Zementstein und Betonzuschlag.
v
2
v
1
εs1
= Schwinden der Komponente 1
εs2
= Schwinden der Komponente 2
εs
= Schwinden des Verbundwerkstoffes
E1; E2 = E-Moduln der Komponenten 1 und 2
σ1; σ2
= Schwindspannungen in den Komponenten 1 und 2
Für εs2 = 0 erhält man:
1. Bedingung:
Längenänderung beider Komponenten muss gleich sein:
∆l1 = ∆l2 = ∆l
ε s1 +
2. Bedingung:
σ1 σ 2
=
= εs
E1 E 2
(G.1.5)
(G.1.6)
Gleichgewicht muss erfüllt sein:
Ergebnis:
σ1.v1 + σ2.v2 = 0
(G.1.7)


v 2 ⋅ E2
ε s = ε s1 ⋅ 1 −
 ,
v
E
v
E
⋅
+
⋅
2
2
1
1

(G.1.8)
mit E1 = E2 vereinfacht sich Gleichung (D.1.8) zu:
εs = εs1.(1 - v2)
(G.1.9)


v 2 ⋅ E2
ε s = ε s 2 + (ε s1 − ε s 2 )1 −

 v 2 ⋅ E 2 + v 1 ⋅ E1 
(G.1.10)
Ist εs2 ≠ 0 so erhält man:
- 288 -
G.1.5
E-Modul
Unterer Grenzwert bei Serienanordnung (‘weich’):
Bedingung:
σ = σ1 = σ2,
v1 ;E 1
da
∆l = ∆l1 + ∆l2
v2 ;E 2
ist
ε = ε1.v1 + ε2.v2 ,
daraus folgt:
σ
σ σ1
=
⋅ v1 + 2 ⋅ v 2
E E1
E2
(G.1.11)
1 v 1 (1 − v 1 )
=
+
E E1
E2
(G.1.12)
und
Oberer Grenzwert bei Parallelanordnung (‘hart’):
Bedingung:
v1 ;E 1
v2 ;E 2
ε = ε1 = ε2,
σ1.v1 + σ2.v2 = σ
und
E1.ε1.v1 + E2.ε2.v2 = E.ε
E = E1.v1 + E2.(1 - v1)
(G.1.13)
- 289 Beispiel: Beton
Zementstein
E (N/mm²)
b
* 104
Zementstein:
Zuschlag
4
(1 - vk) = 0,25,
EZS = 10.000 N/mm2
2
Zuschlag
3
Zuschlag:
vk, Ek
∆: Versuchsergebnisse
1
2
Zementstein
1
E (N/mm²)
k
0
2,5
Abbildung G.1:
G.1.6
5
7,5
* 10
4
E-Modul von Beton in Abhängigkeit vom E-Modul des Zuschlages
Festigkeit
Unterer Grenzwert bei Serienanordnung:
Festigkeit des Verbundwerkstoffes = Festigkeit der schwächeren Komponente.
wobei
β = β1, wenn β1 < β2 ,
(G.1.14)
β = β2, wenn β1 > β2 ,
(G.1.15)
β; β1; β2 = Festigkeit des Verbundwerkstoffes bzw. der Komponenten 1 und
2
Oberer Grenzwert bei Parallelanordnung:
σ = σ1.v1 + σ2.v2
Ist die Bruchdehnung beider Komponenten gleich, so wird
β = β1.v1 + β2.(1 - v1) .
(G.1.16)
Ist die Bruchdehnung der Komponente 2, εu2 > εu1 so wird
β = β 1 ⋅ v 1 + (σ 2 )εu1 ⋅ (1 − v 1 ) .
(G.1.16a)
- 290 -
σ
1
2
(σ22)εu1
)ε
(σ
u1
ε
(σ2)εu1 = Spannung in der Komponente 2 bei einer Dehnung gleich
der Bruchdehnung von Komponente
1.
ε u1
Abbildung G.2:
G.2
Spannungs-Dehnungs-Diagramm der Komponenten 1 und 2
Mauerwerk
Mauerwerk besteht aus Wandbausteinen (Ziegel, Kalksandsteine, Beton- oder Leichtbausteine) und Mörtel mit oder ohne Bewehrung.
Der Vorzug des Mauerwerks als Verbundwerkstoff gegenüber den Eigenschaften der
Einzelkomponenten liegt in der Verbesserung des Formgebungsverfahrens und in der
Reduktion der Herstellungskosten.
Neben der Aufnahme von Lasten muss Mauerwerk schützende Funktionen (Wärmeund Schalldämmung, Dichtigkeit und Feuerschutz) übernehmen.
G.2.1
Mörtel
Mörtel bestehen aus einem Bindemittel, mineralischen Zuschlagstoffen und Wasser.
Die mineralischen Zuschlagstoffe (Sand) sollen Korngrößen von 4 mm nicht überschreiten. Mörtel für Mauerwerk sind in DIN 1053, Teil 1 genormt. Darin wird zwischen
folgenden Mörtelgruppen unterschieden:
Tabelle G.1:
Mörtelgruppe
Mindestdruckfestigkeit von Mörtel nach DIN 1053
Mörtelmindestdruckfestigkeit1) im Alter von 28 Tagen
Mittelwert
bei Eignungsprüfung
2
1)
bei Güteprüfung
[N/mm ]
[N/mm2]
I
-
-
II
3,5
2,5
IIa
7
5
III
14
10
IIIa
25
20
Mittelwert der Druckfestigkeit von 6 Proben (aus 3 Prismen). Die Einzelwerte
dürfen nicht mehr als 10 % vom arithmetischen Mittel abweichen.
Darüber hinaus sind in DIN 1053 Anforderungen der Leichtmörtel mit verbesserter
Wärmedämmung und sogenannte Dünnbettmörtel festgelegt.
- 291 Als Bindemittel finden im wesentlichen Luft- und Wasserkalke, hydraulische und hochhydraulische Kalke und Zemente Verwendung.
Die Zusammensetzung der verschiedenen Mörtelarten kann der nachfolgenden Tabelle entnommen werden:
Tabelle G.2:
Mörtel-
Mörtelzusammensetzung resp. Mischungsverhältnis in Raumteilen
Luft- oder Wasserkalk
gruppe
I
II
II a
III
III a
2)
Hydrau-
Hochhydr.
Zement
Sand1)
aus
natürlichem
Gestein
Kalkteig
Kalkhydrat
lischer
Kalk
Kalk,
Putz- und
Mauerbinder
1
-
-
-
-
4
-
1
-
-
-
3
-
-
1
-
-
3
-
-
-
1
-
4,5
1,5
-
-
-
1
8
-
2
-
-
1
8
-
-
2
-
1
8
-
-
-
1
-
3
-
1
-
-
1
6
-
-
-
2
1
8
-
-
-
-
1
4
-
-
-
-
1
4
1)
Die Werte des Sandanteils beziehen sich auf den lagerfeuchten Zustand.
2)
Die Mörtel der Gruppe III a sollen wie Mörtel der Gruppe III zusammengesetzt
sein. Die größte Festigkeit soll vorzugsweise durch Auswahl geeigneter Sande
erreicht werden.
Anforderungen an den Mauermörtel:
Im frischen Zustand soll Mauermörtel gut verarbeitbar sein, d.h. er soll eine hohe
Plastizität und Geschmeidigkeit und ein gutes Wasserrückhaltevermögen besitzen,
damit möglichst gleichmäßige Fugen mit gutem Verbund zu den Mauersteinen hergestellt werden können.
Auch im erhärteten Zustand soll der Mauermörtel eine gute Verformbarkeit besitzen,
damit er trotz Setzungen, Temperaturwechseln, Schwinden und Quellen nicht reißt
und die Dichtigkeit der Fugen erhalten bleibt.
Darüber hinaus ist ein guter Verbund zwischen Wandbausteinen und Mörtel erforderlich. In DIN 1053 werden daher auch Anforderungen an die Haftscherfestigkeit zwischen Mörtel und Wandbaustein gestellt.
Die Verformbarkeit von Mauermörtel kann durch Kalkzusatz wesentlich erhöht werden. Die Festigkeit der Mörtel sinkt jedoch mit steigendem Kalkgehalt. Besonders gut
verarbeitbare und auch im festen Zustand gut verformbare Mörtel besitzen meist eine
geringe Festigkeit. Reiner Zementmörtel (Mörtelgruppe III) soll daher vorzugsweise
nur für hochbeanspruchte Stellen im Mauerwerk verwendet werden.
- 292 Ähnlich wie die Prüfung von Beton ist auch die Prüfung von Mörteln genormt. Die
Bestimmung der Druckfestigkeit erfolgt in Anlehnung an die DIN 1164 an prismatischen Probekörpern 40.40.160 [mm3].
G.2.2
Wandbausteine
Als Wandbausteine werden verwendet:
• Mauerziegel (siehe Abschnitt E.4.6)
• Mit hydraulischen Bindemitteln gebundene Steine:
Kalksandsteine (siehe Abschnitt E.4.7)
Voll- und Hohlblocksteine aus Leichtbeton
Gas- und Schaumbetonsteine
Hüttensteine nach DIN 398 bestehen aus Hochofenschlacke, die mit Kalk, Zement
etc. als Bindemittel verbunden werden. Hüttensteine finden als Voll-, Loch- oder Hohlblocksteine für Mauerwerk Verwendung.
Betonsteine sind entweder Hohlblöcke aus Leichtbeton nach DIN 18151 oder Vollsteine und -blöcke aus Leichtbeton nach DIN 18152.
Gasbeton- bzw. Porenbetonsteine sind in DIN 1045 bzw. DIN 1046 als Block- oder
Plansteine bzw. als Bauplatten genormt (siehe dazu Abschnitt D.11.3).
G.2.3
Festigkeit und Verformung von Mauerwerk
Ähnlich dem Beton ist Mauerwerk ein spröder Werkstoff mit relativ hoher Druck-, aber
geringer Zugfestigkeit. Seine Zugfestigkeit wird im wesentlichen von der Haftfestigkeit
zwischen Mörtel und Stein bestimmt. Entsprechend findet unbewehrtes Mauerwerk im
konstruktiven Ingenieurbau nur zur Aufnahme von Druckkräften Verwendung. Mauerwerk kann jedoch auch für biege- bzw. zugbeanspruchte Bauwerke verwendet werden, wenn es wie beim Stahlbeton mit Stahleinlagen in den Mauerwerksfugen bewehrt wird.
- 293 -
G.2.3.1 Festigkeits- und Bruchverhalten
Druckspannung
σ (N/mm²)
40
Ziegel
30
Mauerwerk
20
ZementMörtel
10
0
Abbildung G.3:
0
0,1
0,2
0,3
Dehnung
0,4
ε (%)
Spannungs-Dehnungsdiagramm von Mauerwerk und seinen Komponenten
Durch die unterschiedlichen Verformungseigenschaften entsteht im Mauerwerk ein
innerer Spannungszustand.
Meist ist die Druckfestigkeit des Mörtels geringer als jene der Wandbausteine. Sobald
die äußere Beanspruchung die einachsige Druckfestigkeit des Mörtels erreicht, versucht dieser sich stark querzudehnen. Er wird jedoch von den darüber und darunter
liegenden steiferen Steinen an der freien Querdehnung behindert.
Als Folge davon treten im Stein Zug- und in den Mörtelfugen Druckspannungen senkrecht zur Belastungsrichtung auf. Bei hohen Spannungen herrscht daher im Mörtelbett
ein dreiachsiger Druckspannungszustand, in den Steinen dagegen treten Druck-ZugZugspannungen auf.
σ x bzw. σ z
-Spannungen
y
+
+
Riss
+
+
z
x
-
Abbildung G.4:
σ y -Spannung
Spannungszustände in einem Mauerwerkkörper
- 294 Die Querzugspannungen im Stein führen zu vertikalen Rissen parallel zur Beanspruchungsrichtung. Wegen des dreiachsigen Spannungszustandes kann Mauerwerk
über die einachsige Druckfestigkeit des M ö r t e l s hinaus beansprucht werden,
während die einachsige Druckfestigkeit des S t e i n s kaum oder nur selten erreicht
wird.
Sind die Mörtelfugen ungleichmäßig gefüllt, so können im
Stein Spannungskonzentrationen und Biegespannungen auftreten, welche sich den Querzugspannungen überlagern und
die Mauerwerksfestigkeit weiter reduzieren.
Abbildung G.5:
Unregelmäßige Füllung von Mörtelfugen
Aus dieser Beschreibung des Bruchvorgangs ergeben sich die wichtigsten Parameter,
welche die Druckfestigkeit von Mauerwerk beeinflussen:
• Druck- und Querzugfestigkeit der Mauersteine
• Druckfestigkeit des Mauermörtels
• Haftverbund zwischen Mörtel und Stein
• Fugendicke bzw. Verhältnis zwischen Fugendicke - Steinhöhe
• Qualität der handwerklichen Ausführung
β
β
(Mauerwerk)
(Mauerwerk)
2
2
[N/mm ]
[N/mm ]
40
40
Ziegelfestigkeit
Ziegelfestigkeit
30
30
20
20
10
10
0
0
β
20
Abbildung G.6:
40
60
(Mörtel)
2
[N/mm ]
0
0
5
10
Mauerwerksfestigkeit in Abhängigkeit von der Festigkeit des Fugenmörtels β(Mörtel) und der Fugendicke f
f
[mm]
- 295 -
G.2.3.2 Verformungsverhalten
Der Elastizitätsmodul von Mauerwerk hängt von den E-Moduln der Einzelkomponenten ab. Er kann nach Gleichung (D.1.12) abgeschätzt werden:
1
f
1
s
1
=
⋅
+
⋅
EM
s + f Ef s + f Es
wobei s =
(G.1.12)
Steinhöhe
f=
Fugendicke
EM =
E-Modul des Mauerwerks
Ef =
E-Modul der Fuge
Es =
E-Modul der Steine
E
(kN/mm²)
(Mauerwerk)
20
EZiegel = 14,7 kN/mm²
10
E
0
0
Abbildung G.7:
10
20
30
(Mörtel)
(kN/mm²)
Abhängigkeit des E-Moduls des Mauerwerks vom E-Modul des
Mörtels
Ähnlich dem Beton kann auch Mauerwerk bei Feuchtigkeitsverlust bzw. Feuchtigkeitsaufnahme schwinden und quellen und unter Dauerlast kriechen. Bei der Verwendung von gebrannten Steinen sind die Kriech- und Schwindverformungen vor allem
auf das Kriechen und Schwinden des Mauermörtels zurückzuführen. Kalksandsteine,
Betonsteine und im beschränktem Umfang Ziegel können jedoch zu den Kriech- und
Schwindverformungen beitragen.
Um Mauerwerkskonstruktionen rissefrei zu halten, sollen in den Wänden, deren freie
Schwind- oder Temperaturdehnung z.B. durch eine Randeinspannung behindert wird,
in ausreichenden Abständen Bewegungsfugen angeordnet werden.
G.3
Moderne Verbundwerkstoffe
G.3.1
Grundprinzipien
Moderne Verbundwerkstoffe bestehen meist aus einer Matrix, die mit Teilchen verschiedener Größe oder mit Fasern bewehrt sind. Der Bewehrung können dabei verschiedene Aufgaben zukommen:
• Erhöhung der Festigkeit
• Erhöhung der Duktilität, z.B. durch Verzögerung des Rissfortschritts in der Matrix
• Erhöhung der Temperaturbeständigkeit
- 296 -
Je nach Art der Bewehrung wird unterschieden zwischen:
• Dispersionsverstärkung
• Partikelbewehrung
• Faserbewehrung
G.3.2
Dispersionsverstärkte Verbundwerkstoffe
Sie bestehen aus einer Matrix (kontinuierliche Phase) und sehr kleinen, gleichmäßig
verteilten Partikeln mit einer Größe von 0,01 bis 0,1 mm bei Volumen-Konzentrationen
von 1 bis 15 Vol.-%.
Die äußere Beanspruchung wird im wesentlichen von der Matrix aufgenommen. Bei
Metallen hat die Dispersion die Aufgabe, Versetzungsbewegungen zu behindern.
Vorteile:
• Erhöhung der Streckgrenze der Matrix durch die Behinderung der Versetzungsbewegung (FRANK-READ-Quellen)
• Erhöhung der Temperaturbeständigkeit von Metallen
Durch Zugabe von Dispersionen kann bei Temperaturen bis zu 80 % des Schmelzpunktes der Matrix die Streckgrenze bei Normaltemperatur erhalten werden.
Beispiel:
G.3.3
Verstärkung einer Kupfermatrix durch fein verteilte Silikate oder
Aluminiumoxide
Partikelbewehrte Verbundwerkstoffe
Partikelbewehrte Verbundwerkstoffe bestehen aus einer Matrix und gleichmäßig verteilten Teilchen, deren Größe (> 1 mm) und Konzentration (> 25 Vol.-%) höher als bei
einer Dispersionsverstärkung sind.
Neben der Matrix beteiligt sich auch die Partikelbewehrung an der Lastaufnahme. Die
Partikel beeinflussen vor allem Bruch- und Verformungseigenschaften der Matrix.
Weiche Matrix, harte Partikel:
Die Matrixverformung wird durch die Partikel behindert, so dass der Verbundwerkstoff
steifer als die unbewehrte Matrix ist.
Beispiel:
Kunststoffmörtel, bestehend aus einer Kunststoffmatrix mit Sand
oder Kies als Zuschlagstoff. Im weiteren Sinne ist hier auch Beton
einzuordnen
Steife und spröde Matrix, weiche Partikel:
Spannungskonzentrationen an Rissspitzen in der Matrix werden durch die Partikel
abgebaut. Bei kleinen Partikelabständen wird die Risslänge in der Matrix unter dem
für eine bestimmte Spannung kritischen Wert gehalten und so der Sprödbruch der
Matrix verhindert bzw. verzögert.
Beispiel:
Durch Aluminiumoxid partikelbewehrtes Silikatglas
- 297 Zugfestigkeit des Glases (N/mm²)
200
100
0
0
Abbildung G.8:
G.3.4
20
40
60*10 -3
Partikelabstand (mm)
Zugfestigkeit von durch Aluminiumoxid bewehrtem Silikatglas
Faserbewehrte Verbundwerkstoffe
Sie bestehen aus einer Matrix und einzelnen Fasern, die in gleichen oder unterschiedlichen Richtungen angeordnet sein können.
Je nach Art der Faser unterscheidet man zwischen:
isotropen 

anisotropen
faserbewehrten Verbundwerkstoffen
orientierten


nicht orientierten
Fasern
kurzen


langen (kontinuierlichen)
Fasern
Wichtigste Anwendungsgebiete im Bauwesen:
• Faserbewehrte Kunststoffe
• Fasermörtel und Faserbeton
G.3.4.1 Allgemeine Anforderungen
Anforderungen an die Matrix:
a)
Die Matrix soll bei der Herstellung der Verbundwerkstoffe die Fasern nicht zerstören oder ihre Oberfläche beschädigen
b)
Die Matrix soll duktile Eigenschaften besitzen und den Rissfortschritt hemmen,
sobald eine Faser gerissen ist
c)
Die Matrix soll gegenüber der Faser benetzend sein und mit ihr gute Verbundeigenschaften entwickeln
Anforderungen an die Faser:
a)
b)
c)
hohe Festigkeit
hohe Steifigkeit
ausreichende Dauerhaftigkeit
Vorteile einer Faserbewehrung:
Dünne Querschnitte (Fasern) können im Vergleich zu dickeren Querschnitten relativ
fehlerfrei hergestellt werden. Bei Verwendung spröder Werkstoffe als Faserbeweh-
- 298 rung kann daher deren Festigkeitspotential in Verbundwerkstoffen ausgenutzt werden.
Neben der Festigkeitserhöhung kann eine Faserbewehrung auch die Steifigkeit der
Matrix wesentlich verbessern.
Es ist auch möglich, eine spröde Matrix mit duktilen Fasern zu bewehren. Dann kann,
ähnlich wie bei den partikelbewehrten Verbundwerkstoffen, bei sehr engem Faserabstand der Rissfortschritt in der Matrix kontrolliert und ein Sprödbruch der Matrix verzögert werden.
G.3.4.2 Faserwerkstoffe
Zur Verstärkung von Kunststoffen werden u.a. eingesetzt:
• Glasfasern
• Kohlenstofffasern
• Kunststofffasern
• Metallfasern
Einkristallfasern (whisker) dienen insb. der Verstärkung hochfester keramischer
Werkstoffe oder von Metallen. Die früher weit verbreiteten Asbestfasern dürfen wegen
ihrer Gesundheitsgefährdung nicht mehr verwendet werden.
Die am häufigsten eingesetzten Glasfasern bestehen aus E-Glas (E = elektrisch
hochwertig), siehe Abschnitt F.2.
Glasfasererzeugnisse sind u.a.:
• Glasroving:
parallel liegende Fasern endloser Länge (∅ = 3 - 15 µm).
Sie bestehen aus ca. 60 Einzelfäden, die wiederum aus
50 bis 800 Elementarfäden zusammengesetzt sind, so dass
ein Roving bis zu 48.000 Elementarfäden aufweist.
• Spinnroving:
nicht parallel liegende, versponnene Endlosfasern.
• Glasseidenfasern:
Kurzfasern (l < 1 mm).
• Glasseidenmatten: Matten aus Glasseidenfasern, die z.B. durch Polyesterharz
verklebt sind.
• Glasseidengewebe: als Kreuzgewebe mit gleicher Rovingzahl in 2 Richtungen.
Kohlenstofffasern besitzen besonders günstige Eigenschaften, sind für einen Großeinsatz im Bauwesen jedoch meist zu teuer.
Faserdurchmesser:
∅ ≈ 5 bis 50 µm
Zugfestigkeit:
βZ ≈ 1750 bis 3250 N/mm2
E-Modul:
E ≈ 2,8.105 bis 9.105 N/mm2
Metallfasern insb. Stahlfasern werden mit Erfolg zur Faserverstärkung von Beton (Faserbeton) eingesetzt.
Kunststofffasern sind nur wirksam, wenn sie einen E-Modul aufweisen, der mindestens so groß ist wie der E-Modul der zu verstärkenden Matrix.
- 299 -
G.3.4.3 Verbundwerkstoffe mit langen, orientierten Fasern
Bezeichnungen:
Ff
Ff
Fm
Fc
Fm
Verbundwerkstoff mit langen, orientierten Fasern
Abbildung G.9:
Matrix
Faser
Verbundwerkstoff
Fläche
Am
Af
A
Volumen
Vm
Vf
V
Volumenkonzentration
vm
vf
1
Lastanteil
Fm
Ff
F
Spannung
σm
σf
σ
E-Modul
Em
Ef
E
Dehnung
εm
εf
ε
Zugfestigkeit
βm
βf
β
E-Modul parallel zur Faser:
Nach (G.1.13) gilt:
E = Em.(1-vf) + Ef.vf
Folgerung:
(G.3.1)
Mit steigender Steifigkeit und Volumenkonzentration der Faser
wächst die Steifigkeit des Verbundwerkstoffes
- 300 -
E-Modul senkrecht zur Faser:
Nach (G.1.12) gilt:
1 v f (1 − v f )
=
+
E Ef
Em
(G.3.2)
Von der Faser aufgenommener Lastanteil (senkrecht zur Faser):
Mit n = Ef/Em ist
 vf
Ff
E ⋅ ε ⋅ vf
= f f
= n ⋅ 
Fm E m ⋅ ε m ⋅ v m
1− v f



(G.3.3)
und
Ff
Ef ⋅ εf ⋅ v f
n⋅ vf
=
=
F
Em ⋅ εm ⋅ v m + E f ⋅ ε f ⋅ v f
n ⋅ v f + (1 − v f )
Folgerung:
Mit steigender Steifigkeit und Volumenkonzentration der Faser steigt
der von den Fasern aufgenommene Lastanteil
Ff/F
Ff/Fm
100
100
10
1
(G.3.4)
vf = 0,9
vf = 0,9
0,8
0,7
0,6
0,5
0,4
0,3
0,2
0,8
0,7
0,6
0,5
0,4
0,3
0,2
0,1
10
0,1
0,1
0,1
1
1
10
100
0,1
1
n = Ef/Em
10
n = Ef/Em
100
Abbildung G.10a:
Abbildung G.10b:
Einfluss des Verhältnisses der E-Moduln
von Fasern (Ef) und Matrix (Em) auf das
Verhältnis Ff/Fm für eine gegebene Volumenkonzentration der Fasern, vf Gleichung (G.3.3).
Einfluss des Verhältnisses der EModuln von Faser (Ef) und Matrix (Em)
auf den von der Faser aufgenommenen Lastanteil Ff/F für eine gegebene
Volumenkonzentration der Fasern, vf
Gleichung (G.3.4).
- 301 -
Zugfestigkeit des Verbundwerkstoffes:
Bei der Verwendung spröder Fasern in einer duktilen Matrix wird die Zugfestigkeit des
Verbundwerkstoffes erreicht, sobald die Bruchdehnung der Fasern erreicht ist. Damit
ergibt sich aus (G.1.16a):
β =β f ⋅ v f +(σ m )εBf ⋅ (1 − v f )
(G.3.5)
Lastanteil Lastanteil
der Fasern der Matrix
εBf
= Bruchdehnung der Faser
(σ m )ε
= Spannung der Matrix bei einer Dehnung εBf
Bf
Bei linear-elastischem Verhalten der Matrix bis zum Bruch kann die Größe (σ m )εBf
nach dem HOOKE´schen Gesetz ermittelt werden:
(σ m )ε
Bf
= E m ⋅ ε Bf
(G.3.6)
Sonst ist zur Bestimmung von (σ m )εBf die Kenntnis des σ-ε-Diagramms der unbewehrten Matrix erforderlich.
Kritische Volumenkonzentration:
Die Festigkeit des Verbundwerkstoffes soll größer sein als die Festigkeit der unbewehrten Matrix:
β > βm
Diese Bedingung ist erst bei einer Volumenkonzentration der Faserbewehrung erfüllt,
die größer als ein kritischer Wert v fcrit. ist:
β = β f ⋅ v f + (σ m )εBf ⋅ (1 − v f )
Nach (G.3.5) ist
Die Bedingung β > βm ist erfüllt, wenn
v f > v fcrit =
βf
β m − (σ m )εBF
β f − (σ m )εBf
.
(G.3.7)
c β = β f ⋅ v f + (σ m )εBf ⋅ (1 − v f )
β
1
d β = βm.(1 - vf)
βm
2
0
v crit.
vf
1,0
Abbildung G.11: Theoretische Abhängigkeit der Festigkeit β eines faserbewehrten
Werkstoffs von der Volumenkonzentration der Faserbewehrung vf
- 302 -
G.3.4.4 Verbundwerkstoffe mit kurzen, orientierten Fasern
Aus herstellungstechnischen Gründen kann es sinnvoll sein, anstelle von langen,
kontinuierlichen Fasern kürzere, nicht kontinuierliche Fasern zu verwenden. Die Wirksamkeit einer solchen Faserbewehrung hängt dann davon ab, ob über Haftspannungen die von den Fasern aufzunehmende Last von der Matrix in die Faser eingeleitet
werden kann.
τm
Matrix
+
lH
l
Faser
σ
f
+
τm
Abbildung G.12: Spannungsverlauf bei kurzen, orientierten Fasern
Diese Bedingung ist nur erfüllt, wenn die Faserlänge größer als ein kritischer Grenzwert lcrit. ist. Er kann wie folgt bestimmt werden:
Die von einer Faser aufgrund ihrer Zugfestigkeit maximal aufnehmbare Zugkraft beträgt
Fmax = π
d2
⋅ βf
4
,
(G.3.8)
wobei d = Durchmesser der Faser.
Unter der Annahme, die Haftspannungen seien über die Faserlänge gleichmäßig verteilt und erreichen einen mittleren Maximalwert τm, kann eine Zugkraft F über eine
Haftlänge lH in die Faser eingeleitet werden:
F = π ⋅ d ⋅ lH ⋅ τ m
(G.3.9)
Die Haftlänge lH, die erforderlich ist, damit ein Bruch der Faser ohne Überschreiten
der maximal aufnehmbaren Haftspannung (τm) eintritt, ergibt sich dann aus:
Fmax = F
π⋅
2
d
⋅ β f = π ⋅ d ⋅ lH ⋅ τ m
4
lH =
βf
⋅d
4τ m
(G.3.10)
(G.3.11)
Die kritische Faserlänge lcrit entspricht der Mindestlänge einer Faser, in der eine Spannung gleich der Zugfestigkeit in die Faser über Haftverbund eingeleitet werden kann.
Sie ist mindestens gleich der doppelten Haftlänge lH:
l crit = α ⋅ 2l H = α ⋅
βf
⋅d
2τ m
(G.3.12)
Der Beiwert α berücksichtigt, dass ein Riss in der Matrix nicht immer in der Mitte einer
Faser auftritt, so dass α > 1 ist.
Die kritische Faserlänge hängt also von den Verbundeigenschaften zwischen Matrix
und Faser (τm), von der Zugfestigkeit der Faser (βf) und vom Durchmesser einer Faser (d) ab.
Mit kleiner werdendem Faserdurchmesser sinkt auch die kritische Faserlänge lcrit. Für
die Wirksamkeit einer Faser gegebener Eigenschaften ist daher das Verhältnis lcrit/d
maßgebend.
- 303 G.3.4.5 Verbundwerkstoffe mit beliebig orientierten Fasern
Verbundwerkstoffe können auch durch kurze, beliebig orientierte Fasern bewehrt
werden.
Vorteile:
• Einfache Herstellung, z.B. durch Mischen von Fasern und Matrix vor dem Erstarren der Matrix
• Weitgehend isotropes Verhalten des Verbundwerkstoffes
Nachteile:
• Bei einer einachsigen Beanspruchung werden nur ca. 40 Vol.-% der zugegebenen
Fasern wirksam
• In den meisten Fällen kann eine verarbeitbare Mischung zwischen Matrix und Fasern nur dann erreicht werden, wenn die Faserlänge kleiner als die kritische Länge
(siehe Abschnitt G.3.4.4) ist
Für diesen Fall ergibt sich als kritische Faserkonzentration:
v fcrit. =
βm
η0 ⋅ ηv ⋅ βf
(G.3.13)
Der Beiwert η0 ≤ 1,0 berücksichtigt, dass nur ein Teil der Fasern in Richtung der angreifenden äußeren Spannung orientiert ist.
Für eine 3-dimensionale, nicht orientierte Bewehrung ist η0 ≈ 0,40.
Der Beiwert ηv ist < 1,0, wenn die Faserlänge < lcrit nach Gleichung (G.3.12) ist.
Beispiele:
Glasfaser- oder stahlfaserbewehrter Beton
- 304 -
H
Holz
Holz zeichnet sich aus durch geringes Gewicht bei relativ hoher Zug- und Druckfestigkeit sowie leichter Bearbeitbarkeit. Es gehört zu den traditionellen Werkstoffen des
Bauwesens und ist auch heute noch ein vorzüglicher Baustoff, der in vielen Fällen mit
den Werkstoffen Stahl, Aluminium und Beton erfolgreich konkurrieren kann.
Den Vorteilen stehen als Nachteile gegenüber:
Korrosionsanfälligkeit, Anisotropie als Folge des Wuchses, Brennbarkeit und schwierige Kontrolle der Werkstoffeigenschaften.
Einige dieser Nachteile können durch Verwendung von Holzwerkstoffen, z.B. Sperrholz oder Spanplatten, ausgeschaltet oder reduziert werden.
H.1
Aufbau und Struktur
H.1.1
Grobstruktur
Je nach Orientierung eines Schnittes wird beim Holz zwischen
• Hirn- oder Querschnitt
• Radial- oder Spiegelschnitt
• Tangential- oder Fladenschnitt unterschieden
Stammachse
Hirn- oder Querschnitt
Harzkanal
Kambium
Bast
Borke
Tangentialoder Fladenschnitt
Jahresring
1Jahr
Mark
Markstrahl
Frühholz
Spätholz
Radial- oder
Spiegelschnitt
Abbildung H.1:
Grobstruktur des Holzes
Im Zentrum eines Hirnschnittes liegt die Markröhre, daran schließen sich die Holzmasse mit aufeinander folgendem Früh- und Spätholz, das Kambium (Wachstumsschicht), die Innenrinde (Bast) und die Außenrinde (Borke) an.
Von besonderer Bedeutung sind die Holzfehler, d.h. Abweichungen vom Wuchs und
der Beschaffenheit normalen Holzes. Dies sind:
• Fehler in der Stammform, z.B. Durchmesseränderungen, Krummschaftigkeit oder
Zwieselbildung (Doppelkernbildung)
• Fehler im Holzaufbau, z.B. Ästigkeit oder Drehwuchs
• Fehler durch äußere Einwirkungen, z.B. Schwindrisse
- 305 -
H.1.2
Mikrostruktur
Holz besitzt einen zellenartigen Aufbau. Nebeneinander liegende Zellen oder Röhren
geben dem Holz Festigkeit und sind für seine mechanischen Eigenschaften verantwortlich.
Die Zellen oder Röhren haben eine bevorzugte Orientierung in Richtung der Längsachse eines Baumes und werden von Cellulosefasern gebildet, die durch Lignin verkittet sind, siehe Abschnitt H.1.3. Aufgrund seiner Mikrostruktur ist Holz in hohem
Maße anisotrop.
H.1.3
Chemische Zusammensetzung
40 - 60 Vol.-% Cellulose: (C6H10O5)n in Form von Kettenmolekülen, deren Polymerisationsgrad n zwischen 1000 und 2000 liegt. Die Molekülketten sind orientiert und teilweise kristallin. Die Cellulose bildet röhrenförmige Einzelzellen, die durch 20 - 30 Vol.% Lignin und 20 - 25 Vol.-% Hemicellulose verkittet sind. Beim lebenden Baum besteht die Zellenfüllung im wesentlichen aus Wasser, Eiweißstoffen, Kohlenhydraten
und Luft.
H.2
Holzarten
Im konstruktiven Ingenieurbau finden vor allem folgende Holzarten Verwendung:
a) Nadelhölzer:
Kiefer:
Harzreiches Holz für Hoch- besonders für Brücken- und Wasserbauten
geeignet; Hauptvorkommen in Nord- und Osteuropa
Lärche:
Festes, dauerhaftes, gegen Pilzbefall und Insektenfraß beständiges Bauholz, jedoch fast nur noch in den Alpenländern in größeren Mengen zu
finden
Fichte:
Gutes Bauholz mit langer Lebensdauer, solange es ständig trocken oder
unter Wasser gehalten wird; nicht für Wasserbauten geeignet; Vorkommen hauptsächlich in deutschen Mittelgebirgen
Tanne:
Verformbarer und weicher als Fichte; Verwendung im Hochbau
b) Laubhölzer:
Eiche:
Verwendung für druckverteilende Unterlagen, Knaggen, Dübel; wegen
hoher Widerstandsfähigkeit auch für Wasserbauten geeignet
Buche:
Druckverteilende Unterlagen, Knaggen, Dübel; nur beschränkt und nach
vorhergehender Schutzbehandlung im Brückenbau verwendbar
H.3
Mechanische Eigenschaften
H.3.1
Festigkeit
Richtwerte für die Zug- und Druckfestigkeiten verschiedener Holzarten bei Beanspruchung parallel zur Faserrichtung sind in der folgenden Tabelle zusammengestellt. Sie
wurden an fehlerfreien normgerechten Proben ermittelt.
- 306 Tabelle H.1:
Mittelwerte der Festigkeit verschiedener Hölzer bei einer Holzfeuchtigkeit u = 12%
Rohdichte
bei u = 12 %
Druckfestigkeit
Zugfestigkeit
Biegefestigkeit
ρ
βD
βZ
βB
kg/dm3
N/mm2
N/mm2
N/mm2
Fichte (Rottanne)
0,47
40
80
68
Tanne (Weißtanne)
0,47
40
80
68
Kiefer (Föhre)
0,52
45
100
80
Lärche
0,59
48
105
93
Eiche
(Traubeneiche)
0,67
52
110
95
Esche
0,69
50
130
105
Rotbuche
0,69
60
135
120
Weißbuche
Hainbuche
0,77
60
135
130
Holzart
+/− σ D, Z II
(N/mm²)
Im Vergleich zu den meisten anderen Baustoffen ist die Zugfestigkeit des Holzes größer als
seine Druckfestigkeit. Der Grund liegt im Knicken der Röhrenstruktur bei Druckbelastung.
βZ
90
Zug
β ZP
75
Die Werte in der Tabelle zeigen ferner, dass im
Allgemeinen mit steigender Rohdichte die Festigkeit des Holzes anwächst.
60
βD
45
Druck
βDP
30
15
tg α= σ/ε
=E
α tgα ≡ σ/ε = E II
0
0
2
4
6
+/− ε D, Z
Abbildung H.2:
Da die Rohdichte über den Durchmesser eines
Holzstammes ungleichmäßig ist, besitzt ein
Holzstamm auch eine über den Querschnitt
ungleichmäßige Festigkeitsverteilung. Im Allgemeinen führt ein hoher Anteil an Spätholz zu
einer hohen Festigkeit.
8 (°/oo)
Spannungs-Dehnungs-Diagramm von Holz
Ferner sind die Wuchseigenschaften des Holzes zu beachten:
Im Vergleich zu astfreiem Holz ist die Zugfestigkeit von astigem Holz wegen der auftretenden Kerbspannungen wesentlich geringer (bis zu 80% Festigkeitsabfall). Der
Einfluss der Ästigkeit auf die Druckfestigkeit von Holz ist dagegen weniger stark ausgeprägt (bis zu 25 % Festigkeitsabfall). Aus diesem Grunde sind die in der DIN 1052
(Holzbauwerke) anzusetzenden Zugfestigkeiten, abhängig von der Sortierklasse, kleiner bzw. gleich den entsprechenden Druckfestigkeiten.
Von besonderem Einfluss auf die Festigkeit des Holzes ist sein Feuchtigkeitsgehalt.
Wie bei den meisten Werkstoffen, die Wasser aufnehmen können, sinkt die Festigkeit
eines Holzes mit steigendem Feuchtigkeitsgehalt, allerdings nur bis zum sogenannten
Fasersättigungspunkt.
- 307 Definition der Holzfeuchtigkeit u (%):
u=
wobei
=
(H.3.1)
Masse des im Holz enthaltenen Wassers
mf =
Masse des Feuchten Holzes
mtr =
Holzmasse nach Ofentrocknung
(N/mm²)
D
120
,
mf - mtr
w=
β
w
⋅ 100
g tr
Fasersättigungspunkt
80
Rotbuche
Fichte
40
0
0
Abbildung H.3:
20
40
60
Holzfeuchtigkeit u (%)
80
100
Druckfestigkeit βD in Abhängigkeit von der Holzfeuchte u
β/β 0 (%)
100
80
Druck
60
Biegung
40
Zug
20
0
0°
Abbildung H.4:
15°
30°
45°
Winkel zwischen Kraft- und Faserrichtung
60°
Festigkeit in Abhängigkeit vom Winkel zwischen Kraft- und Faserrichtung
Der anisotrope Aufbau des Holzes führt dazu, dass Druck-, Biege- und Zugfestigkeit
vom Winkel zwischen Kraft und Faserrichtung abhängig sind. Parallel zur Faserrichtung hat das Holz die größte, senkrecht dazu die geringste Festigkeit.
- 308 -
H.3.2
Spannungs-Dehnungslinien und Elastizitätsmodul
Holz zeigt bei Zugbeanspruchung nahezu linear-elastisches Verhalten, bei Druckbeanspruchung eine deutliche Abweichung von der Linearität, insbesondere bei höheren
Feuchtegehalten.
σ D (N/mm²)
80
70
Ebenso wie die Festigkeit hängt auch das Spannungs-Dehnungsverhalten von Holz vom Feuchtigkeitsgehalt ab. Trockenes Holz ist nahezu ideal
elastisch. Feuchtes Holz zeigt zwar geringere
Festigkeit, aber größere Verformbarkeit und duktiles Verformungsverhalten.
u = 0,7 %
60
50
40
u = 18,4 %
30
u = 43 %
20
10
0
0
2
4
6
ε (°/οο)
Abbildung H.5:
8
10
Spannungs-Dehnungslinien für verschiedene Feuchtegehalte u
E (N/mm²)
3
16*10
14
Buche
12
Der Einfluss des Winkels zwischen Kraftund Faserrichtung auf den E-Modul des
Holzes kann für drei verschiedene
Holzarten dem nebenstehenden Diagramm entnommen werden.
Eiche
10
Fichte
8
6
4
2
0
0° 15° 30° 45° 60° 75° 90°
Winkel zwischen Kraft- und Faserrichtung
Abbildung H.6:
H.3.3
Einfluss des Winkels zwischen Kraft- und Faserrichtung auf den
E-Modul des Holzes
Schwinden und Quellen
Als Folge seiner Zellenstruktur und seiner hohen inneren Oberfläche schwindet und
quillt Holz bei Wasserentzug bzw. Wasseraufnahme. Diese Volumenänderungen sind
in verschiedene Richtungen unterschiedlich stark:
Größenordnungen der gesamten Schwind und Quellverformungen:
Tangential:
Radial:
Achsial:
5 - 10 %
3-5%
0,2 - 0,5 %
- 309 Gewichtszunahme (%)
60
Gewichtsveränderung
achsial
50
40
Quellen (%)
30
5
tangential
Quellen tangential
radial
4
20
10
3
radial
2
1
0
0
achsial
0
3
7
15
22
30 Tage Wasserlagerung
Abbildung H.7:
30 2
7
14
28
43 Tage Luftlagerung
43
Quellen und Schwinden in Abhängigkeit von der Lagerung
Die unterschiedlichen Eigenschaften des Holzes in verschiedenen Richtungen können zu einem Verwerfen oder
Verziehen der Querschnitte
und zu Rissbildungen führen.
Abbildung H.8:
H.3.4
Querschnittsverformungen des Holzes
Kriechen
Unter Dauerlast kriecht das Holz, d.h. die elastischen Augenblicksverformungen nehmen im Laufe der Zeit zu. Dabei werden Werte für das Kriechmaß ϕ = Kriechverformung/elastische Verformung nach langer Belastungsdauer zwischen 0,5 und 3 beobachtet. Ähnlich dem Beton kriecht auch das Holz umso mehr, je höher der Feuchtigkeitsverlust während der Belastung ist.
Hohe Dauerlasten können zum Bruch führen. Die Zeitstandfestigkeit des Holzes nach
10-jähriger Belastung kann zwischen 45 und 65 % der Festigkeit bei Kurzzeitbelastung schwanken. Sie nimmt mit steigendem Feuchtegehalt ab.
- 310 -
H.4
Holzwerkstoffe
Zielsetzung:
Vergütung des Holzes insbesondere durch Verringerung der
Anisotropie und Porosität. Verwendung von Abfallholz
Pressvollholz:
Verfestigung durch Pressen
erhöhte Rohdichte
reduzierte Porosität
erhöhte Festigkeit
reduziertes Schwinden
geringe Anisotropie
Lagenholz:
Schichtholz durch paralleles Verleimen von Einzelhölzern
Sperrholz:
Kreuzweises Verleimen von Furnieren
Holzspan- und
Holzfaserwerkstoffe:
Holzwolleleichtbauplatten = Holzspäne + mineralische Bindemittel.
Holzspanplatten durch Verleimen von Holzspänen mit verschiedenen Klebern
Holzverbundwerkstoffe:
Verbundplatten aus Holzwerkstoffen, die ein- oder zweiseitig z.B.
mit Kunststoffen als Feuchteschutz oder zur Verbesserung des
Verschleißwiderstandes oder des Widerstandes gegen Bewitterung beschichtet sind
H.5
Holzschutz
H.5.1
Schädigungsarten
• Witterung (Feuchte, UV- Strahlung, Frost und Temperaturschwankungen)
• Thermischer Angriff (hohe Temperatur, Feuer)
• Biologischer Angriff (Pilze, Insekten, Bakterien)
• Chemischer Angriff
H.5.2
Witterung
Witterungseinflüsse verursachen eine Verfärbung und Veränderung der Holzoberflächen; Schwinden bzw. Quellen des Holzes.
Schutzmaßnahmen:
Baulicher Holzschutz (Konstruktive Maßnahmen zum Fernhalten von Feuchtigkeit);
Oberflächenbehandlung oder Beschichtung, z.B. mit Ölen, Kunststoffen, Kunststoffdispersionen etc.
H.5.3
Bei
Thermischer Angriff
T > 150°C:
Beginn des Abbaus der Holzstruktur, Gasbildung
T > 200°C:
Selbstentzündung
Bildung einer Holzkohleschicht an den Oberflächen, die wärmeisolierend wirkt
Schutzmaßnahmen:
Verzögerung der Entzündungszeit durch Feuerschutzmittel
oder Beschichtungen
- 311 -
H.5.4
Biologischer Angriff
verbleibende Druckfestigkeit (%)
100
90
80
70
60
50
40
Porenhausschwamm
30
Kellerschwamm
20
echter
Hausschwamm
10
0
0
1
2
3
4
5
6
Einwirkungsdauer (Mon.)
Abbildung H.9:
Tabelle H.2:
Verbleibende Druckfestigkeit nach einer Pilzschädigung
Günstige Bedingungen für Pilzbefall
Holzfeuchte
Temperatur in °C
echter Hausschwamm
Porenschwamm
Kellerschwamm
20 - 28 %
40 - 50 %
ca. 55 %
18 - 22
25 - 28
22 - 26
Angriff durch tierische Schädlinge:
Beispiele:
• Hausbock
• Ameisen
• Termiten
Folgen: Je nach Umfang der Schädigung Reduktion der Tragfähigkeit
Schutzmaßnahmen:
Imprägnieren mit fungiziden bzw. insektiziden Holzschutzmitteln, z.B. wasserlösliche Schutzsalze oder ölige
Schutz- und Bekämpfungsmittel (siehe DIN 68800, Holzschutz im Hochbau)
Verwendung von Kernholz oder resistenten Holzarten
- 312 Literatur:
[H.1] WESCHE, K. H.: Baustoffe für tragende Bauteile, Bd. 4, Bauverlag GmbH, Wiesbaden, 1981
[H.2] KOLLMANN, F.: Technologie des Holzes und der Holzwerkstoffe, SpringerVerlag, Berlin / München, 1951
[H.3] KNÖFEL, D.: Stichwort: Holzschutz, Bauverlag GmbH, Wiesbaden, 1979
[H.4] ILLSTON, I. M. & DINWOODIE, I. M., SMITH, A. A.: Concrete, Timber and Metals,
van Nostrand Reinhold, International Student Edition, 1979
[H.5] GÖTZ, K. H. & HOOR, D., MÖHLER, K. & NATTERER, J.: Holzbauatlas, HimmerVerlag, Augsburg, 1991
[H.6] ROSTÀSY, F. S.: Baustoffe, Kohlhammer-Verlag, Stuttgart, 1983
- 313 -
I
Bituminöse Baustoffe – Bitumen, Teer und
Peche
Bitumen und Teer sind organische Werkstoffe, die im Bauwesen häufig verwendet
werden. Bei ihrer Anwendung wird weniger von ihren Festigkeitseigenschaften, sondern mehr von ihrer Klebefähigkeit, Dichtigkeit und Verformbarkeit Gebrauch gemacht. Bitumen und Teer finden daher vorwiegend Verwendung im Straßenbau als
Bindemittel sowie als Kleb-, Sperr- und Dichtungsmittel im Wasser- und Hochbau.
I.1
Definitionen
Bitumen:
Im Erdöl enthaltene Kohlenwasserstoffgemische mit einer
hohen Anzahl an Kohlenstoffatomen. Bitumen wird als Rückstand bei der Destillation geeigneter Erdöle gewonnen
Asphalt:
Technisch hergestelltes oder natürlich vorkommendes Bitumen-Mineral-Gemisch
Naturasphalt:
Erdölhaltiges Gestein, aus dem die leichteren (kohlenstoffärmeren) Bestandteile verdunstet sind
Teer:
Kohlenstoffreicher Rückstand nach der thermischen Zersetzung organischer Stoffe, z.B. Holzteer, Braunkohlenteer,
Steinkohlenteer
Pech:
Destillationsrückstand des Teers, Bindemittelanteil des Teers
I.2
Bitumen
I.2.1
Aufbau und grundsätzliche Eigenschaften
Maltene
Mizelle
Maltene
Abbildung I.1:
Schematischer Aufbau von Bitumen
Schutzschicht
(Asphaltharze)
Asphaltene
- 314 Bitumen besteht aus:
• einer öligen Phase (Matrix) = Maltene,
Molekulargewicht: 500 - 1000
• einer festen Phase (Füller) = Asphaltene,
Molekulargewicht: 5000 - 100.000
Die Asphaltene können von einer Schutzschicht aus Asphaltharzen umgeben sein.
Die Einheit Asphaltene - Asphaltharze wird als Mizelle bezeichnet.
Die Struktur des Bitumens entspricht der eines Soles, d.i. eine kolloidale Lösung der
Asphaltene in den Maltenen, ohne dass ein steifes Traggerüst entsteht. Die mechanischen Eigenschaften, im besonderen die Festigkeit, Verformbarkeit und Temperaturbeständigkeit, hängen vom Verhältnis Maltene/Asphaltene entscheidend ab. Als
nichtkristalliner Werkstoff sind die Eigenschaften des Bitumens in hohem Maße temperaturabhängig (thermoplastisch). Bitumen besitzt keinen definierten Schmelzpunkt,
sondern einen Erweichungspunkt. Unterhalb der Temperatur, bei der die Erweichung
eintritt, verhält sich Bitumen relativ spröde, oberhalb dieser Temperatur ist es gut verformbar und zeigt viskose Eigenschaften.
Eine Verkettung der Asphaltene untereinander wird durch die Schutzschicht aus Asphaltharzen verhindert. Beim Oxidationsbitumen (geblasenem Bitumen) wird diese
Schutzschicht durch Einblasen von Luft zerstört, so dass ein starres Gerüst aus
Asphaltenen mit der Struktur eines Geles entsteht.
I.2.2
Bitumenarten
Durch verschiedene Modifikationen und Beimengungen können die Eigenschaften
von Bitumen über einen weiten Bereich variiert werden.
Entsprechend können die Bitumenarten in die Hauptgruppen
• Heißbitumen
• Verschnittbitumen
• Bitumenemulsionen
eingeordnet werden.
I.2.2.1
Heißbitumen
Sie müssen vor der direkten Bearbeitung erhitzt werden. Heißbitumen werden nach
ihrem Erweichungspunkt weiter unterteilt in:
• Destillationsbitumen
• Hochvakuumbitumen
• Oxidationsbitumen
Der Rückstand nach der Erdöldestillation, meist unter Anwendung eines Vakuums
wird als Destillationsbitumen bezeichnet. Es hat einen Erweichungspunkt zwischen 27
und 72°C und zeichnet sich durch gute Klebefähigkeit und hohe plastische Verformbarkeit aus.
Das Hochvakuumbitumen wird unter Anwendung eines erhöhten Vakuums hergestellt
und hat einen geringeren Ölanteil als Destillationsbitumen und entsprechend einen
erhöhten Erweichungspunkt (85 - 140°C).
- 315 Durch Einblasen von Luft in heißflüssiges, weiches Destillationsbitumen entsteht das
Oxidationsbitumen (siehe Abschnitt I.2.1) mit einem Erweichungspunkt von 70 175°C.
Straßenbaubitumen wird durch Destillation und ggf. anschließende Oxidation hergestellt und findet vorzugsweise im Asphaltstraßenbau Anwendung.
I.2.2.2
Verschnittbitumen
Durch Zugabe von Verschnittölen kann die Verarbeitbarkeit von Bitumen erhöht und
der Erweichungspunkt u.U. soweit reduziert werden, dass auch ein Kalteinbau des
Bitumens möglich ist. Durch langsames Entweichen des Lösungsmittels erhärtet das
Verschnittbitumen im Laufe der Zeit.
Sog. Fluxbitumen sind weiche Bitumen, die mit geeigneten Erdöldestillaten verschnitten, d.h. vermischt oder fachlich heute richtig "gefluxt" werden, wodurch ihre Viskosität
so herabgesetzt wird, dass sie nur leicht angewärmt verarbeitet werden können.
Polymermodifizierte Bitumen enthalten Zusätze von Polymeren von ca. 3 M.-% zur
Verbesserung ihrer Standfestigkeit bei Wärme (erhöhter Erweichungspunkt) und der
Haftung an Mineralstoffen.
I.2.2.3
Bitumenemulsion
Die Kaltflüssigkeit von Bitumen kann durch Herstellung einer Wasser-BitumenEmulsion erreicht werden. In einer solchen Emulsion ist das Bitumen in Form kleiner
Kugeln im Wasser gleichmäßig verteilt. Die Kugelbildung des Bitumens wird durch
Zugabe von oberflächenaktiven Stoffen, den sog. Emulgatoren gefördert.
I.2.3
Chemische Eigenschaften und Beständigkeit
Bitumen zeigt gegenüber vielen organischen und anorganischen Salzen und anorganischen Säuren eine hohe Beständigkeit.
Bitumen ist dagegen in anderen Erdölfraktionen (Benzin, Öl) und in anderen, meist
organischen Lösungsmitteln, wie Tetrachlorkohlenstoff und Trichloräthylen löslich.
Wie bei vielen organischen Stoffen kann Bitumen im Laufe der Zeit bei Vorhandensein
von Sauerstoff und Sonnenlicht etwas verspröden. Diese Beeinflussung beschränkt
sich jedoch auf die Oberflächen der aus Bitumen hergestellten Konstruktion.
- 316 -
I.2.4
Mechanische Eigenschaften und Prüfmethoden
Die Eigenschaften von Bitumen werden primär durch folgende charakteristische Größen beschrieben:
Penetration (Eindringtiefe):
100 g
Sie ist ein Maß für die Härte des Bitumens. Es
wird die Strecke bestimmt, um die eine mit
100 g belastete Nadel bei 25°C in 5 Sekunden in das Bitumen eindringt.
100 g
vor der
Prüfung
nach
5 Sek.
Bitumen
Bitumen
Abbildung I.2:
Penetrationsversuch
Erweichungspunkt:
Bestimmt wird die Temperatur, bei
der eine Bitumenschicht unter festgelegten Bedingungen (u.a. Innendurchmesser des Ringes: 15,9 mm;
Höhe: 6,4 mm; Ausgangstemperatur
des Wasserbades i.d. Regel: 5°C)
bei gleichmäßiger Erwärmung um
5°C/min. eine bestimmte Verformung durch Auflegen einer Stahlkugel von 3,50 g Gewicht erfährt.
25,4 mm
Abbildung I.3:
Erweichungspunktversuch mit Ring und Kugel
Brechpunkt:
Bitumen
40+/-0,1
mm
Abbildung I.4:
36,5+/-0,1
mm
Der Brechpunkt ist diejenige Temperatur, bei der eine auf ein Stahlblech (Abmessungen 41.20.0,15
mm3) aufgeschmolzene Bitumenschicht von 0,5 mm Dicke bei
gleichmäßiger Abkühlung bricht
oder Risse bekommt, wenn sie
unter festgelegten Bedingungen
wiederholt gebogen wird.
Prüfmethode zur Bestimmung des Brechpunktes
Die Lage des Brechpunktes gibt einen Anhalt für das Verhalten des Bitumens bei
niedrigen Temperaturen.
- 317 Duktilität:
Ein Probekörper wird unter festgelegten Bedingungen unter konstanter Ziehgeschwindigkeit (in der Regel 5 cm/min) auseinandergezogen,
bis der entstehende Faden reißt. Die
erreichte Verlängerung des Probekörpers wird in cm gemessen.
Abbildung I.5:
I.2.4.1
Duktilitätsprüfmethode
Verformungseigenschaften
-7
Im nebenstehenden Diagramm ist die Abhängigkeit
der absoluten Viskosität
von der Temperatur für
verschiedene Bitumenarten dargestellt. Mit steigender Temperatur nimmt
die Viskosität ab, d.h. die
Verformbarkeit nimmt zu.
2
abs. Viskosität [10 N sec./mm ]
10 8
10 6
destilliertes
Bitumen
10 4
Oxidationsbitumen
10 2
Bezüglich der Definition
des Begriffs Viskosität
siehe Anhang.
Verschnittbitumen
10
1
-18
5
Abbildung I.6:
25
60
93
135
T [°C]
Temperaturabhängigkeit der Viskosität für verschiedene Bitumenarten
Entsprechend kriecht Bitumen unter konstanter Dauerlast, wobei die Verformung mit der Zeit annähernd linear anwächst. Reines
Destillationsbitumen
verhält sich daher wie eine
Newton´sche Flüssigkeit.
ε k [%]
100
T = 20 °C
80
60
40
33,3 %
T = 10 °C
20
0
T = 0°C
0 100
Abbildung I.7:
500
0,063 %
1000
t [sec.]
Kriechkurven für Destillationsbitumen bei verschiedenen Temperaturen
- 318 -
I.2.4.2
Festigkeitseigenschaften
Die Festigkeitseigenschaften von Bitumen hängen wesentlich von der Herstellungsart
und vom Aufbau des Bitumens ab. Seine Festigkeit fällt mit
• steigendem Lösungsmittelgehalt
• steigender Temperatur
• sinkender Prüfgeschwindigkeit
Da reines Bitumen im Normalfall nicht lastabtragende Funktionen hat, ist nicht so sehr
die Festigkeit des reinen Bitumens von Bedeutung, sondern das Tragverhalten von
Bitumen-Mineral-Gemischen (Asphalt, Asphaltbeton). Je nach Mischungsverhältnis
und Bitumenarten kann Asphaltbeton Festigkeiten erreichen, die seine Anwendung
als Tragschicht im Straßenbau ermöglichen. Seine Eigenschaften werden durch die
Eigenschaften des Bindemittels Bitumen weitgehend beeinflusst, so dass auch
Asphaltbeton je nach Temperatur spröde und fest oder verformbar und weich sein
kann.
I.2.5
Anwendungsgebiete im Bauwesen
Im Straßenbau findet Bitumen Anwendung als Bindemittel für:
• Oberflächenschutzschichten
• Kompressionsbeläge (Beläge, die im Laufe der Zeit durch fortschreitende Verdichtung, z.B. aus dem Verkehr, eine Festigkeitssteigerung erlangen)
• Kornstabile Beläge (nach dem Betonprinzip)
• Tragschichten aus Bitumenzuschlaggemischen
Ferner wird Bitumen als Bindemittel für Beläge und Dichtungen im Wasserbau verwendet. Im Hochbau findet Bitumen auf folgenden Gebieten Verwendung:
• als Kleb-, Tränk- und Deckmasse für Dachpappen
• als Korrosionsschutzmittel für Metalle
• als Bindemittel für Estriche und Fußbodenbeläge
I.3
Teer
Je nach Rohstoff, aus dem durch thermische Zersetzung Teer erzeugt wurde, wird
unterschieden zwischen:
• Holzteer
• Braunkohleteer
• Steinkohleteer
Rohteer ist nicht ohne weiteres verarbeitbar und enthält Wasser und Leichtöle. Er
muss durch Destillation weiter aufbereitet werden. Die Destillate der Teere sind die
Teeröle, die Destillationsrückstände sind die Teerpeche.
Werden durch Destillation lediglich das Wasser und die Leichtöle entfernt, so entsteht
destillierter Teer. Durch Abdestillieren aller Ölanteile entsteht Teerpech. Werden den
Teerpechen später einzelne Ölfraktionen zugegeben, erhält man den präparierten
Teer.
- 319 -
I.3.1
Aufbau und grundsätzliche Eigenschaften
Ähnlich dem Bitumen ist Teer eine kolloidale Lösung hochmolekularer Harze in niedrigmolekularen Ölen. Entsprechend ist die Struktur des Teers ein Sol. Wie auch beim
Bitumen können durch Einblasen von Luft eine Erstarrung und Gelstrukturbildung des
Teers erzielt werden.
Wie schon beim Bitumen sind auch die Eigenschaften von Teer zeit- und temperaturabhängig. Die Temperaturspanne zwischen Erweichung und Versprödung ist bei Teer
jedoch wesentlich kleiner als beim Bitumen. Bei Raumtemperatur ist Teer weicher und
verformbarer als Bitumen.
Ähnlich dem Bitumen zeigt Teer große Beständigkeit gegen chemische Angriffe.
Durch den Verlust an flüchtigen Bestandteilen verspröden Teere im Laufe der Zeit und
sind einer Alterung durch Sauerstoff- und Lichteinwirkung unterworfen. Manche Teere
besitzen eine fungizide und insektizide Wirkung, so dass Teer im Bautenschutz von
besonderer Bedeutung ist.
Teere weisen meist einen intensiven Geruch auf, so dass sie in geschlossenen Räumen nur bedingt verwendbar sind.
Bitumen und Teer sind im Allgemeinen nicht in jedem Verhältnis miteinander vermischbar.
I.3.2
Anwendungen im Bauwesen
Teer findet wie Bitumen als Bindemittel im Straßenbau sowie als Dichtungs- und
Sperrmittel im Wasser- und im Hochbau Verwendung. Wegen seines geringeren Verarbeitungsbereichs, der starken Geruchsentwicklung und der Neigung zur zeitabhängigen Versprödung ist die Verwendung von Teer im Bauwesen im Laufe der vergangenen Jahre zu Gunsten von Bitumen zurückgegangen.
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- 320 -
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PETZOLD, A., MARUSCH, H. & SCHRAMM, B.: Der Baustoff Glas, Verlag für Bauwesen, Berlin, 1990
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VELSKE, S.: Straßenbautechnik, 3. Auflage, Werner Verlag, 1993
[I.3]
SHELL: Bitumen für den Straßenbau und andere Anwendungsgebiete, 7. Auflage, Deutsche Shell
Aktiengesellschaft, 1994
- AN 1 -
ANHANG
Modelle zur Beschreibung des zeitabhängigen Verformungsverhaltens nicht-kristalliner Werkstoffe
- Viskoelastizitätstheorie Problemstellung:
Die Verformungen vieler Werkstoffe, z.B. der Kunststoffe, des Bitumens und des Betons, setzen sich aus reversiblen und irreversiblen sowie aus zeitabhängigen und
zeitunabhängigen Anteilen zusammen. Diese Verformungsanteile sind in hohem Maße temperaturabhängig. Da die Verformungseigenschaften der Werkstoffe für die in
einem Bauwerk zu erwartenden Verformungen und für die Verteilung der Schnittgrößen in statisch unbestimmten Tragwerken von großer Bedeutung sind, wurden Theorien entwickelt, mit denen die Verformungseigenschaften der Werkstoffe durch Modellvorstellungen (Rheologische Modelle) dargestellt und daraus abgeleitete Gesetzmäßigkeiten berechnet werden können.
Definitionen der Viskosität
Ein Werkstoff hat viskose Eigenschaften, wenn er unter Last bleibende, zeitabhängige
Verformungen aufweist. Er verhält sich dann ähnlich wie eine Flüssigkeit unter Last.
Diese Eigenschaft kann durch ein Modell, das sogenannte Dämpfungselement, dargestellt werden.
Kolben
Verformung εv
Flüssigkeit mit der Zähigkeit (Viskosität) η
Abbildung AN.1: Dämpfungselement
Das Dämpfungselement besteht aus einem Kolben und einem Zylinder, der mit einer
Flüssigkeit gefüllt ist. Die Flüssigkeit kann durch Öffnungen im Kolben aus dem Zylinder entweichen. Damit verschiebt sich bei σ = const. der Kolben in Abhängigkeit von
der Zeit.
Eine Flüssigkeit, die der folgenden Gesetzmäßigkeit folgt, heißt Newton'sche Flüssigkeit:
σv = η ⋅
wobei σf
dε v
σ
σ
; dε v = v dt; ε v = v ∫ dt;
dt
η
η
=
Spannung
t
=
Zeit
η
=
Viskosität
(AN.1)
Die Viskosität η ist ein Maß für den Widerstand eines Werkstoffes gegen Fließen. Je
höher η, um so größer ist der Widerstand gegen Fließen bzw. um so geringer ist die
Fließ- bzw. viskose Verformung.
- AN 2 Die viskosen Eigenschaften einer Newton'schen Flüssigkeit können durch die absolu10 −7 N sec .
te oder die dynamische Viskosität η in der Maßeinheit Poisse 1 P =
bemm 2
schrieben werden.
Die dynamische Viskosität ist zwar eine Materialkenngröße. Bei manchen Werkstoffen
ist sie jedoch spannungsabhängig. Sie ist immer temperaturabhängig und fällt mit
steigender Temperatur:
η = f(σ)
(häufig)
η = f(T)
(immer)
Definition der Maßeinheit Poisse: Ein laminar strömender, homogener, isotroper Körper (= Newton'sche Flüssigkeit) hat die dynamische Viskosität von 1 P (1 Poisse),
wenn bei einer Schubspannung von 10-5 N/cm2 ein Geschwindigkeitsgefälle von 1
cm/sec je Zentimeter auftritt.
Für die Modellvorstellung des Dämpfungselements zeigt Gleichung (AN.1), dass bei
einer Newton'schen Flüssigkeit mit der Viskosität η, die durch eine konstante Spannung σf beansprucht ist und aus einem durchlässigen Zylinder ausströmen kann, sich
die Dehnung (Kolbenweg) proportional zur Zeit ändert. Bei veränderlicher Spannung
ist die Spannung in der Flüssigkeit der Dehnungsänderung proportional.
Die Viskosität η ist dem E-Modul bei elastischer Verformung ähnlich, denn nach dem
Hooke'schen Gesetz gilt:
σE = E.εE
(Beachte: hier ist ε nicht zeitabhängig)
σE
E
(AN.2)
εE =
Rheologische Modelle:
Nur wenige Werkstoffe sind in ihren Eigenschaften Newton'sche Flüssigkeiten (z.B.
einige Bitumenarten). Viele Werkstoffe besitzen neben viskosen (irreversible, zeitabhängige) auch elastische (reversible) Verformungsanteile. Ihre Verformungseigenschaften können durch erweiterte Modelle, sog. rheologische Modelle, beschrieben
werden.
Die rheologischen Modelle werden häufig aus den folgenden zwei Grundelementen
aufgebaut:
Grundelemente
Dämpfungselement
Feder
σV = η
σE = E ε E
η
E
σE
Kenngrößen:
dε V
dt
σV
E-Modul E
Viskosität η
(Federkonstante)
Abbildung AN.2: Grundelemente der rheologischen Modelle
- AN 3 Durch Kombination der Grundelemente erhält man die folgenden Modelle:
Maxwell-Modell
Kelvin- oder Voigt-Modell
E
E
η
η
σ
σ
Burgers Modell
E1
E2
η2
η
1
σ
Abbildung AN.3: Maxwell-, Kelvin- (Voigt-) bzw. Burgers-Modell
Maxwell-Modell:
Voigt/Kelvin-Modell:
σ = σE = σ v
σ = σE + σ v
ε = εE + ε v
ε = εE = ε V
Differentialgleichungen:
dε 1 dσ σ
=
+
dt E dt η
σ = E⋅ε + η⋅
dε
dt
Beispiele:
Beispiel 1:
Konstante Dauerlast (Kriechen) und darauf folgende Entlastung
σ
σ
0
t=0
t=t1
Abbildung AN.4: Lastgeschichte
t
t'
- AN 4 -
Maxwell:
Voigt / Kelvin:
Lösung der Gleichungen
Für t < t1 ist σ = σ0 = const.
ε=
σ0 σ0
⋅t
+
E
η
ε=
E⋅t

−
σ0 
⋅ 1 − e η 
E 


Für t > t1 (nach der Entlastung) ist σ0 = 0
ε=
σ0 ⋅ t1
= const.
η
ε = ε1 ⋅ e
−
E⋅t
η
ε
ε
ε
t=0
t=t1
t
1
t=0
t=t1
t
Beim Maxwell-Modell steigt unter konstanter Dauerlast die Kriechverformung linear
mit der Zeit an und bleibt nach der Entlastung konstant. Nur wenige Werkstoffe zeigen
ein solches Verhalten.
Beim Voigt-Modell stellt sich bei der Belastung noch keine Verformung ein (für viele
Stoffe nicht zutreffend), die Dehnung wächst aber mit der Zeit nicht linear an. Nach
der Entlastung tritt eine elastische Nachwirkung, d.h. ein Rückgang der Kriechverformung, ein. Für t → ∞ ist ε = 0. Die elastische Nachwirkung wird zwar bei vielen Werkstoffen beobachtet, seltener jedoch, dass die Verformung auf Null zurückgeht. Das
einfache Voigt-Modell ist daher häufig nicht wirklichkeitsnah.
Eine Kombination Maxwell-Modell + Voigt-Modell = Burgers-Modell kann jedoch zu
befriedigenden Ergebnissen führen.
Für t < t1 ist
Für t > t1 ist

1
1
1
ε = σ0 ⋅ 
+
⋅t +
 E1 η1
E2

E ⋅t

− 2

⋅ 1 − e η2







E
E

− 2 ⋅ t1 
− 2 ⋅t '
σ0
σ0 
η2 
η2
ε=
⋅ t1 +
⋅ 1− e
⋅e
E 2 
η1



.
,
(AN.3)
(AN.4)
wobei η1; E1 = Kennwerte des Maxwell-Modells
η2; E2 = Kennwerte des Voigt-Modells
t' = t - t1
Für den Fall, dass η1 = η2 und E1 = E2, gilt:
Für t < t1:
Für t > t1:
σ
ε= 0
E
E⋅t 

−
σ

⋅ 2−e η  + 0 ⋅t

 η


σ
σ
ε = 0 ⋅ t1 − 0
η
E
E⋅t
E⋅t

− 1
−
η 

⋅ 1− e
⋅e η




(AN.5)
'
(AN.6)
- AN 5 Beispiel 2:
ε = const; gesucht: σ (t)
ε
ε0
t
Lösung: σ = σ 0 ⋅ e
−
E⋅t
η
σ
σ0
t
Abbildung AN.5: Relaxation nach dem Maxwell-Modell
Beachte:
Für manche Werkstoffe sind diese einfachen Modelle noch nicht ausreichend, um
deren Verformungsverhalten zu beschreiben. Durch weitere Kombination von Grundelementen und Wahl verschiedener Kenngrößen für η und E ist es jedoch möglich, mit
dieser Methode das Verformungsverhalten vieler Werkstoffe zu beschreiben.
Literatur:
[AN.1]
FLÜGGE, W.: Viscoelasticity, Blaisdell Publishing Company, Waltham, Toronto, London, 1967