c metallische werkstoffe - TU Bergakademie Freiberg
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c metallische werkstoffe - TU Bergakademie Freiberg
- 61 - C METALLISCHE WERKSTOFFE C.1 WICHTIGE METALLE IM BAUWESEN Werkstoffe: Stahl und Stahllegierungen, Gusseisen Aluminium und seine Legierungen Kupfer und seine Legierungen, Blei C.1.1 Stahl C.1.1.1 Ausgangsstoffe Eisenerze enthalten 20 - 70 M.-% Eisenoxide: Fe3O4 Fe2O3 Fe2O3·3H2O Magneteisenstein Roteisenstein Brauneisenstein und die sog. Gangart: SiO2 Al2O3 CaCO3 MgO Kieselsäure Tonerde Kalkstein Magnesia. Zuschlag: Prozessregulierende Stoffe z. B. Kalk Brennstoff: meist Koks Die Reduktion der Eisenerze erfolgt im Hochofen. Durch Reaktion von Eisenerz, Koks, Zuschlag und Luft entstehen: Roheisen + Schlacke Das Roheisen wird weiterverarbeitet zu Gusseisen: 2,1 M.-% < C < 4,3 M.-% Stahl: C < 2,1 M.-% Teilweise Weiterverwendung der Schlacke zu: Hüttenzementen Hüttensteinen Hüttenbims Hüttenwolle. C.1.1.2 Stahlherstellung Das Roheisen ist insbesondere wegen seines zu hohen Gehaltes an Kohlenstoff sowie anderer Bestandteile, z. B. Phosphor und Schwefel, zu spröde und nicht schmiedbar. Bei der Stahlherstellung werden der C-Gehalt reduziert und die unerwünschten Bestandteile ausgeschieden. Dies geschieht durch Zufuhr von Sauerstoff (Frischen), der zu einem Verbrennen u. a. des Kohlenstoffs führt. Phosphor wird durch Zugabe von Kalk gebunden. - 62 Die wichtigsten Verfahren zur Stahlherstellung sind das Thomas-Verfahren (Windfrischverfahren) Siemens-Martin-Verfahren Sauerstoff-Aufblas-Verfahren Elektrostahl-Verfahren. Siehe dazu z.B. [C.1]. C.1.1.3 Klassifizierung der Stähle Nach der europäischen Norm EN 10020 werden die Stähle eingeteilt - nach der chemischen Zusammensetzung oder - nach Hauptgüteklassen. Es wird unterschieden zwischen unlegierten Stählen legierten Stählen Grundstähle unlegierte Qualitätsstähle unlegierte Edelstähle legierte Qualitätsstähle legierte Edelstähle Unlegierte Grundstähle sind für eine Wärmebehandlung nicht geeignet. Die Erfüllung der an sie gestellten Güteanforderungen erfordert keine besonderen Maßnahmen bei der Herstellung. Solche Stähle kommen im wesentlichen nur zum Kaltbiegen in Betracht. Unlegierte Qualitätsstähle haben im Vergleich zu unlegierten Grundstählen schärfere oder zusätzliche Anforderungen zu erfüllen, z. B. bezüglich Sprödbruchempfindlichkeit, Korngröße oder Verformbarkeit. Zu den unlegierten Qualitätsstählen zählen die meisten Stähle für den Stahlbau nach DIN EN 10025 sowie die Betonstähle. Unlegierte Edelstähle haben höhere Anforderungen bezüglich ihres Reinheitsgrades zu erfüllen. Sie sind meist für eine Vergütung oder Oberflächenhärtung bestimmt und erfüllen hohe Anforderungen bzgl. Verformbarkeit, Schweißeignung, Zähigkeit usw. Den unlegierten Edelstählen sind u.a. Spannbetonstähle zuzuordnen. Legierte Qualitätsstähle Sie entsprechen den unlegierten Qualitätsstählen, enthalten aber Legierungselemente, z. B. Cr, Cu, Mn, Mo, Ni, Ti u.a., um bestimmte Eigenschaften zu optimieren. Solche Stähle sind im allgemeinen nicht für eine Vergütung oder Oberflächenhärtung geeignet. Zu den legierten Qualitätsstählen gehören z. B. schweißbare Feinkornstähle für den Druckbehälter- und Rohrleitungsbau, Stähle für Schienen und für Spundwanderzeugnisse sowie warm- oder kaltgewalzte Flacherzeugnisse für schwierige Kaltverformungsarbeiten. Legierte Edelstähle Dies sind Stähle, denen durch eine genaue Einstellung ihrer chemischen Zusammensetzung sowie der Herstellungs- und Prüfbedingungen bestimmte Verarbeitungs- und Gebrauchseigenschaften verliehen werden. Legierte Edelstähle sind u.a. wetterfeste Baustähle nach DIN EN 10155 und nichtrostende Baustähle. - 63 C.1.1.4 Allgemeine Baustähle Sie sind in DIN EN 10025 genormt. Diese Norm enthält die Anforderungen an Langund Flacherzeugnisse aus warmgewalzten unlegierten Grund- und Qualitätsstählen entsprechend den nachfolgenden Tabellen. Die Bezeichnung der Stähle erfolgt entweder nach dem Mindestwert der Streckgrenze oder nach Werkstoffnummern. Die Stähle sind besonders beruhigt vergossen und besitzen daher wenige Seigerungen (Inhomogenitäten), was der Schweißbarkeit zugute kommt. Der Behandlungszustand kann unbehandelt oder normalgeglüht sein, wobei letzterer die Sprödbruchempfindlichkeit fördert. Da der Kohlenstoff ≤ 0,20 % beträgt, sind die Stähle problemlos schweißbar. Tabelle C.1.1: Chemische Zusammensetzung nach der Schmelzanalyse für Flacherzeugnisse und Langerzeugnisse1) (Auszug DIN EN 10025) Stahlsorte Kurzname nach EN10027-1 nach EU 25-72 Massenanteile in %, max. nach DIN 17100 nach EN 10027-2 Kurzname Werkstoffnummer Desoxidations- art Stahlart4) C für Erzeugnis Nenndicken in mm Mn Si P S N2)3) ≤ 16 > 16 ≤ 40 > 405) - - - - - - - S185 Fe 310-06) St 33 1.0035 Freigestellt BS - S235JR Fe 360 B6) Fe 360 B6) St 37-2 1.0037 0,17 0,20 - 1,40 - 0,045 0,045 0,009 USt 37-2 1.0036 Freigestellt BS S235JRG1 BS 0,17 0,20 - 1,40 - 0,045 0,045 0,007 S235JRG2 Fe 360 B RSt 37-2 1.0038 FU BS 0,17 0,17 0,20 1,40 - 0,045 0,045 0,009 S235JO Fe 360 C St 37-3 U 1.0114 FN QS 0,17 0,17 0,17 1,40 - 0,040 0,040 0,009 S235J2G3 Fe 360 D1 St 37-3 N 1.0116 FN QS 0,17 0,17 0,17 1,40 - 0,035 0,035 - S235J2G4 Fe 360 D2 1.0117 FF QS 0,17 0,17 0,17 1,40 - 0,035 0,035 - 0,22 0,187) 1,50 - 0,045 0,045 0,009 1,50 - 0,040 0,040 0,009 0,187) 0,187) 1,50 - 0,035 0,035 - 1,50 - 0,035 0,035 - - FF S275JR Fe 430 B St 44-2 1.0044 FN BS 0,21 0,21 S275JO Fe 430 C St 44-3 U 1.0143 FN QS 0,18 0,18 S275J2G3 Fe 430 D1 St 44-3 N 1.0144 FF QS 0,18 0,18 S275J2G4 Fe 430 D2 - 1.0145 FF QS 0,18 0,18 S355JR Fe 510 B - 1.0045 FN BS 0,24 0,24 1,60 0,55 0,045 0,045 0,009 S355JO Fe 510 C9) Fe 510 D18) St 52-3 U 1.0553 FN QS 0,20 0,24 0,209) 0,22 1,60 0,55 0,040 0,040 0,009 St 52-3 N 1.0570 FF QS 0,20 0,22 1,60 0,55 0,035 0,035 - - 1.0577 FF QS 0,20 0,22 1,60 0,55 0,035 0,035 - S355K2G3 Fe 510 D28) Fe 510 DD18) 0,209) 0,209) - 1.0595 FF QS 0,20 0,22 1,60 0,55 0,035 0,035 - S355K2G4 Fe 510 DD28) - 1.0596 FF QS 0,20 0,209) 0,209) 0,22 1,60 0,55 0,035 0,035 - E295 Fe 490-2 St 50-2 1.0050 FN BS - - - - - 0,045 0,045 0,009 E335 Fe 590-2 St 60-2 1.0060 FN BS - - - - - 0,045 0,045 0,009 E360 Fe 690-2 St 70-2 1.0070 FN BS - - - - - 0,045 0,045 0,009 S355J2G3 S355J2G4 1) Siehe 7.3 (DIN EN 10025) 2) Die angegebenen Werte dürfen überschritten werden, wenn je 0,001 % N der Höchstwert für den Phosphorgehalt um 0,005 % unterschritten wird; der Stickstoffgehalt darf jedoch einen Wert von 0,012 % in der Schmelzenanalyse nicht übersteigen. 3) Der Höchstwert für den Stickstoffgehalt gilt nicht, wenn der Stahl einen Gesamtgehalt an Aluminium von mindestens 0,020 % oder genügend andere stickstoffabbindende Elemente enthält. Dei stickstoffabbindenden Elemente sind in der Bescheinigung über Materialprüfungen anzugeben. 4) BS: Grundstahl; QS: Qualitätsstahl. 5) Bei Profilen mit einer Nenndicke > 100 mm ist der Kohlenstoffgehalt zu vereinbaren. Zusätzliche Anforderung 23. 6) Nur in Nenndicken 25 mm lieferbar. 7) Max. 0,20 % C bei Nenndicken > 150 mm. 8) Siehe 7.3.3 (DIN EN 10025). 9) Max. 0,22 % C bei Nenndicken > 30 mm und bei den KP-Sorten (Siehe 7.5.3.2 DIN EN 10025). - 64 Der Desoxidationsart gibt Aufschluss über das Erschmelzungsverhalten bei der Stahlherstellung: Freigestellt: FU: FN: FF: nach Wahl des Herstellers unberuhigter Stahl unberuhigter Stahl nicht zulässig vollberuhigter Stahl Weitere Erläuterungen: S: E: Ziffer: JR: JO: J2: G1: G2: G3: G4: Baustahl Maschinenbaustahl Mindeststreckgrenze in N/mm2 27 J Kerbschlagarbeit bei +20°C (Raumtemperatur) 27 J Kerbschlagarbeit bei -0°C 27 J Kerbschlagarbeit bei -20°C unberuhigte Stahlsorte beruhigte Stahlsorte unterschiedliche Lieferbedingungen unterschiedliche Lieferbedingungen Kohlenstoff ist das billigste und wirksamste Legierungselement, das durch die Roheisenherstellung bereits im Stahl vorhanden ist und durch Oxidation (Blasen) weitgehend entfernt wird. Die Zunahme des Kohlenstoffgehalts um 0,1 % bewirkt eine Zunahme der Zugfestigkeit um etwa 90 N/mm2, der Streckgrenze um 40 bis 50 N/mm2 und eine Abnahme der Bruchdehnung um 4 %. Siliziumgehalte bis 0,3 % wirken sich bei ungeglühten Stählen günstig auf die Festigkeit und Zähigkeit aus. Bei vergüteten Stählen mit 0,5 bis 0,8 % Silizium wird die kritische Abkühlungsgeschwindigkeit beim Härten herabgesetzt und die Anlassbeständigkeit erhöht. Mangan erhöht die Festigkeit und Zähigkeit des Ferritmischkristalls. Bei gleicher Festigkeit können 0,5 % Mn etwa 0,1 % C ersetzen, wobei die Schweißeignung jedoch verbessert wird. Durch Mangan wird die kritische Abkühlgeschwindigkeit vermindert, so dass es eher zu Härtungsgefügen kommt. Dieser Einfluss ist beim Vergüten ausgeprägter als beim Normalglühen. Schwefel, Phosphor und Stickstoff sind Stahlbegleiter, die zur Alterung und Versprödung führen. Sie müssen soweit wie möglich aus dem Stahl entfernt werden. - 65 Tabelle C.1.2: Mechanische Eigenschaften der Flacherzeugnisse und Langerzeugnisse (Auszug aus DIN EN 10025) nach EN 10027-1 nach EU 25-72 Streckgrenze Reff, N/mm , min.1) 2 Zugfestigkeit Rm, N/mm 1) für Nenndicken in mm für Nenndicken in mm 2 Stahlsorte Kurzname nach DIN 17100 nach EN 10027-2 Desoxidations- Kurzname Werkstoffnummer art Stahlart3) ≤ 16 > 16 ≤ 40 > 40 ≤ 63 > 63 ≤ 80 > 80 ≤ 100 > 100 ≤ 150 > 150 ≤ 200 > 200 ≤ 250 ≤3 >3 ≤ 100 > 100 ≤ 150 > 150 ≤ 250 310 bis 540 290 bis 510 - - S185 Fe 310-02) St 33 1.0035 Freigestellt BS 185 175 - - - - - - S235JR St 37-2 1.0037 Freigestellt BS 235 235 - - - - - - - - - S235JRG1 Fe 360 B2) Fe 360 B2) USt 37-2 1.0036 FU BS 235 225 - - - - - - - Fe 360 B RSt 37-2 1.0038 FN BS 235 225 215 215 215 195 185 175 340 bis 470 - S235JRG2 360 bis 510 S235JO Fe 360 C St 37-3 U 1.0114 FN QS 235 225 215 215 215 195 185 175 340 bis 470 320 bis 470 S235J2G3 Fe 360 D1 St 37-3 N 1.0116 FF QS 235 225 215 215 215 195 185 175 S235J2G4 Fe 360 D2 1.0117 FF QS 235 225 215 215 215 195 185 175 S275JR Fe 430 B St 44-2 1.0044 FN BS 275 265 255 245 235 225 215 205 S275JO Fe 430 C St 44-3 U 1.0143 FN QS 430 bis 580 410 bis 560 400 bis 540 380 bis 540 S275J2G3 Fe 430 D1 St 44-3 N 1.0144 FF QS S275J2G4 Fe 430 D2 - 1.0145 FF QS S355JR Fe 510 B - 1.0045 FN BS 355 345 335 325 315 295 285 275 S355JO Fe 510 C St 52-3 U 1.0553 FN QS 510 bis 680 490 bis 630 470 bis 630 450 bis 630 S355J2G3 Fe 510 D1 St 52-3 N 1.0570 FF QS S355J2G4 Fe 510 D2 - 1.0577 FF QS S355K2G3 Fe 510 DD1 - 1.0595 FF QS S355K2G4 - 1.0596 FF QS E295 Fe 510 DD2 Fe 490-24) St 50-2 1.0050 FN BS 295 285 275 265 255 245 235 225 490 bis 660 470 bis 610 450 bis 610 440 bis 610 E335 Fe 590-24) St 60-2 1.0060 FN BS 335 325 315 305 295 275 265 255 590 bis 770 570 bis 710 550 bis 710 540 bis 710 E360 Fe 690-24) St 70-2 1.0070 FN BS 360 355 345 335 325 305 295 285 690 bis 900 670 bis 830 650 bis 830 640 bis 830 - 1) Die Werte für den Zugversuch in der Tabelle gelten für Längsproben, bei Band-, Blech- und Breitflachstahl in Breiten 600 mm für Querproben. 2) Nur in Nenndicken 25 mm lieferbar. 3) BS: Grundstahl; QS: Qualitätsstahl. 4) Diese Stahlsorten kommen üblicherweise nicht für Profilerzeugnisse (I-, U-Winkel) in Betracht. - 66 - C.1.1.5 Wetterfeste und nichtrostende Baustähle Wetterfeste Baustähle sind legierte Edelstähle. Sie sind in der Europäischen Norm EN 1055 erfasst. Wetterfesten Stählen wird eine bestimmte Anzahl von Legierungselementen zugesetzt, z. B. P, Cu, Cr, Ni, Mo, Mn, um den Widerstand der Stähle gegen atmosphärische Korrosion zu erhöhen, indem sich unter dem Einfluss der Witterungsbedingungen schützende Oxidschichten auf dem Grundwerkstoff bilden. Einen Überblick der Zusammensetzung und der mechanischen Eigenschaften solcher Stähle geben die nachfolgenden Tabellen. Tabelle C.1.3: Chemische Zusammensetzung nach der Schmelzenanalyse Stahlsorte Bezeichnung Massenanteile in % nach EN 10027-1 nach EN 10027-2 Desoxidationsart S235J0W S235J2W 1.8958 1.8961 S355J0WP S355J2WP C max. Si max. FN FF 0,13 1.8945 1.8946 FN FF 0,12 S355J0W S355J2G1W 1.8959 1.8963 FN FF S355J2G2W S355K2G1W 1.8965 1.8966 FF FF 0,16 Mn P 0,40 0,20 bis 0,60 max. 0,040 0,75 max. 1,0 0,50 0,06 bis 0,15 S max. N max. Zusatz an stickstoffabbindenden Elementen1) 0,040 0,035 0,0092)5) - ja 0,040 0,035 0,0095) - Cr Cu ja 0,40 bis 0,80 0,30 bis 1,25 0,25 bis 0,55 0,25 bis 0,55 0,50 max. 0,040 max. 0,035 0,040 0,035 0,0092)5) - ja 0,40 0,25 bis 1,50 max. 0,035 max. 0,035 0,035 0,035 - ja ja bis 0,80 bis 0,55 Sonstige 3) 3) 3)4) ja max. 0,035 0,035 FF 1.8967 S355K2G2W 1) Die Stähle müssen mindestens eines der folgenden Elemente enthalten: Al : ≥ 0,020 %, Nb: 0,015 bis 0,060 %, V: 0,02 bis 0,12 % gesamt Ti: 0,02 bis 0,10 %. Wenn diese Elemente in Kombination angewendet werden, muss mindestens eines von ihnen mit dem angegebenen Mindestgehalt enthalten sein. 2) Eine Überschreitung des angegebenen Höchstwertes ist zulässig, wenn je 0,001 % N ein um 0,005 % unter dem festgelegten Höchstwert liegender Phosphorgehalt eingehalten wird. Der Stickstoffgehalt darf jedoch einen Wert von 0,012 % in der Schmelzenanalyse nicht übersteigen. 3) Die Stähle dürfen max. 0,65 % Ni enthalten. 4) Die Stähle dürfen max. 0,30 % Mo und max. 0,15 % Zr enthalten. 5) Der Höchstwert für den Stickstoffgehalt gilt nicht, wenn die Stähle mindestens 0,020 % Al gesamt oder genügende Gehalte an anderen stickstoffabbindenden Elementen aufweisen. Die stickstoffabbindenden Elemente sind in der Prüfbescheinigung anzugeben. Zur Erläuterung der Bezeichnungen siehe Abschnitt C.1.1.4. Weitere Erläuterungen: W: P: Kennzeichnung der Wetterfestigkeit des Stahls Kennzeichnung des erhöhten Phosphorgehaltes, nur bei S355 - 67 Tabelle C.1.4: Mechanische Eigenschaften der Flach- und Langerzeugnisse Stahlsorte Bezeichnung Nach EN 10027-1 Streckgrenze ReH min. nach EN 1) 2 (N/mm ) für Nenndicken in mm Zugfestigkeit Rm 1) 2 (N/mm ) Pro- für Nenndicken in mm benlage1) Bruchdehnung 1) (%) min. L0 = 80 mm Nenndicken in mm L0 = 5,65⋅ S0 Nenndicken in mm 10027-2 ≤ 16 > 16 > 40 > 63 > 80 ≤ 40 ≤ 63 ≤ 80 ≤ 100 ≤3 >3 1,5 >2 2,5 3 > 40 > 63 ≤ 100 ≤2 ≤ 2,5 ≤3 ≤ 40 ≤ 63 ≤ 100 S235J0W S235J2W 1.8958 1.8961 235 225 215 215 215 360 bis 510 340 bis 470 l t 19 17 20 18 21 19 26 24 25 23 24 22 S355J0WP S355J2WP 1.8945 1.8946 355 3452) - - - 510 bis 680 490 bis 630 l t 16 14 17 15 18 16 22 20 - - S355J0W 1.8959 S355J2G1W S355J2G2W 1.8963 1.8965 355 345 335 325 315 510 bis 490 bis l 16 17 18 22 21 20 680 630 t 14 15 16 20 19 18 S355K2G1W 1.8966 S355K2G2W 1.8967 1) Die in der Tabelle angegebenen Werte des Zugversuches gelten für Längsproben (l) außer bei Band, Blech Breitflachstahl > 600 mm Breite, aus denen Querproben (t) zu entnehmen sind. 2) Dieser Wert kommt nur für Profile und Stabstahl in Betracht Die Bezeichnung der Stähle erfolgt entweder nach der Zugfestigkeit und Gütegruppen oder nach Werkstoffnummern. Nichtrostende Stähle sind in Deutschland auch unter bestimmten Werksnamen, z. B. V2A, V4A, Nirosta und Remanit bekannt. Sie werden in verschiedenen deutschen Normen oder in bauaufsichtlichen Zulassungen behandelt. C.1.1.6 Schweißgeeignete Feinkornbaustähle, hochfeste Baustähle Dies sind Qualitäts- und Edelstähle, die aufgrund ihres Gefüges und ihrer chemischen Zusammensetzung besonders schweißgeeignet sind. Sie werden in der europäischen Norm EN 10113 bezüglich ihrer Herstellung, mechanischen Eigenschaften und Prüfung klassifiziert. Hohe Festigkeiten werden im Allgemeinen mit Feinkornbaustählen erreicht. Diese sind in DIN EN 10113 definiert. Einige Stähle mit noch höheren Festigkeiten sind nicht genormt, sondern bauaufsichtlich zugelassen. Zunächst kommt es darauf an, dass die Möglichkeit der Festigkeitserhöhung mit bestimmten Anforderungen und Gefügen überhaupt gegeben ist. Gerade für diese Stähle benötigt man eine ausreichende Zähigkeit, um dem Trennbruch (Kerbwirkung) entgegen zu wirken, sowie häufig anwendungsbedingt eine gute Schweißeignung. Die Erhöhung der Streckgrenze kann sehr vereinfacht als Summe einzelner Mechanismen ausgehend von einer Grundfestigkeit aufgefasst werden, wobei die Anteile nicht immer rein additiv sind. Dem idealen Kristall ist die Grundfestigkeit zugeordnet. Einen deutlichen Beitrag zur Festigkeitssteigerung bei guter Zähigkeit leistet die Feinkornhärtung (Korngrenzen als Hindernisse). Die Festigkeitssteigerung beruht auf der Hemmung der Versetzungsbewegung durch die Großwinkelkorngrenzen eines sehr dichten Gefüges aus kleinen Körnern. Den weitaus größten Beitrag zur Festigkeitssteigerung liefert die Ausscheidungshärtung (Teilchenhärtung). Dieser Mechanismus beruht prinzipiell darauf, daß sich beim Abkühlen und Anlassen aus geringsten Legierungszusätzen sehr kleine, sehr harte Carbide (Teilchen) bilden. Es kommt zu einer Wechselwirkung von Versetzungen und Teilchen (siehe Kapitel C.4). Durch die große Härte sind die Teilchen kaum verformbar und nehmen selber an plastischen Verformungen nicht teil. Eine Versetzung kann sich hinter den Teilchen wie- - 68 der schließen oder muss dieses umfließen. Dadurch wird die Versetzungsbewegung behindert, bzw. es werden neue Versetzungen ausgelöst (siehe Kapitel C.4). Der normalgeglühte und thermomechanisch behandelte Feinkornbaustahl hat eine obere Streckgrenze ReH ≤ 500 N/mm2 und ein ferritisches-perlitisches Gefüge (vgl. Tabelle C.1.4). Der vergütete Feinkornbaustahl hat eine Streckgrenze von ReH = 500 bis 700 N/mm2 und besteht aus einem Gefüge aus angelassenem Martensit (evtl. mit Bainit). Tabelle C.1.5: Eigenschaften einiger hochfester, schweißgeeigneter Feinkornbaustähle, normalgeglüht, nach DIN EN 10113, Teil 2 C.1.1.7 Betonstähle Klassifizierung Die Betonstähle dienen der Bewehrung des Betons und führen zu Stahlbetonkonstruktionen. Diese Stähle gehören zur Gruppe der unlegierten Qualitätsstähle. In Deutschland sind sie in DIN 488 Teil 1 genormt. Weitere Angaben dazu finden sich in der DIN 1045-1. Alle in diesen Normen erfassten Stähle sind schweißgeeignet. Sie werden in 2 Verarbeitungsformen hergestellt und geliefert: - als Betonstabstahl: die Sorten III S und IV S als Baustahlmatten: die Sorte IV M. Da alle Betonstähle schweißbar sein müssen, und zwar mit möglichst allen Schweißverfahren, ist der C-Gehalt auf 0,22 % begrenzt. Die hohe Streckgrenze wird entweder erreicht durch Zugabe von Silizium (Si) und Mangan (Mn) und geringen Mengen von Niob (Nb) und/oder Vanadium (V), die zur Kornfeinung beitragen. Eine andere Methode ist die Kaltverformung durch Tordieren, wodurch die Versetzungsdichte erhöht wird. Ein dritter Weg ist die Abkühlung mit geregelter Temperaturführung aus der Walzhitze. - 69 Tabelle C.1.6: Sorteneinteilung und Eigenschaften der Betonstähle (Auszug DIN 488, Teil 1) 1 Beton- Kurzname stahl- Kurzzeichen1) sorte Werkstoff Erzeugnisform 1 2 3 4 5 B St 420 S B St 500 S B St 500 M2) Wert III S IV S IV M P 1.0428 1.0438 1.0466 %3) Betonstabstahl Betonstabstahl 6 bis 28 6 bis 28 Betonstahlmatte2) 4 bis 124) - Nenndurchmesser dS Streckgrenze R (β )5) (mm) (N/mm2) 420 500 500 5,0 3 bzw. 0,2 % Dehngrenze Rp0,2 (β0,2)5) Zugfestigkeit R (β )5) (N/mm2) 5006) 5506) 5506) 5,0 4 Bruchdehnung A10 (d10)5) (%) 10 10 8 5,0 215 215 - 10,0 170 170 - 10,0 - - 100 10,0 10,0 S 2 m S Z 6 gebogene Stäbe 7 gerade freie Stäbe von 8 Matten mit Schweißstelle (N/mm2) Schwingbreite 2σA (2.106) 2σA (2.106) 2σA (2.106) 2σA (2.105) - - 200 9 Rückbiegeversuch mit 6 bis 12 5dS 5dS - 1,0 10 Biegerollendurchmesser für 14 und 16 6dS 6dS - 1,0 11 Nenndurchmesser dS (mm) 20 bis 28 8dS 8dS - 1,0 - - 6dS 5,0 5,0 5 Dauerschwingfestigkeit gerade Stäbe7) 12 Biegedorndurchmesser beim Faltversuch an der Schweißstelle 13 Knotenscherkraft S (N) - - 0,3.AS.Re 14 Unterschreitung des Nennquerschnittes AS8) (%) 4 4 4 5,0 15 Bezogene Rippenfläche fR siehe DIN 488 Teil 2 siehe DIN 488 Teil 2 siehe DIN 488 Teil 4 0 16 Chemische Zusammen- C 0,22 (0,24) 0,22 (0,24) 0,15 (0,17) - 17 P 0,050 (0,055) 0,050 (0,055) 0,050 (0,055) - 18 setzung bei der Schmelzenund Stückanalyse9) S 0,050 (0,055) 0,050 (0,055) 0,050 (0,055) - 19 Massengehalt in %, max. N10) 0,012 (0,013) 0,012 (0,013) - 20 Schweißeignung für Verfahren11) E, MAG, GP, RA, RP E, MAG, GP, RA, RP 0,012 (0,013) E12), MAG12), RP 1) Für Zeichnungen und statische Berechnungen. 2) Mit den Einschränkungen nach Abschn. 8.3 gelten die in dieser Spalte festgelegten Anforderungen auch für Bewehrungsdraht. - 3) p-Wert für eine statistische Wahrscheinlichkeit W = 1 - a = 0,9 (einseitig) (siehe auch Abschn. 5.2.2). 4) Für Betonstahlmatten mit Nenndurchmessern von 4,0 und 4,5 mm gelten die in Anwendungsnormen festgelegten einschränkenden Bestimmungen; die Dauerschwingfestigkeit braucht nicht nachgewiesen zu werden. 5) Früher verwendete Zeichen. 6) Für die Istwerte des Zugversuches gilt, dass RSS min. 1,05.Re (bzw. Rp0,2), beim Betonstahl B St 500 M mit Streckgrenzenwerten über 550 N/mm² min. 1,03. Re (bzw. Rp0,2) betragen muss. 7) Die geforderte Dauerschwingfestigkeit an geraden Stäben gilt als erbracht, wenn die Werte nach Zeile 5 eingehalten werden. 8) Die Produktion ist so einzustellen, dass der Querschnitt im Mittel mindestens dem Nennquerschnitt entspricht. 9) Die Werte in Klammern gelten für die Stückanalyse. 10) Die Werte gelten für den Gesamtgehalt an Stickstoff. Höhere Werte sind nur dann zulässig, wenn ausreichende Gehalte an stickstoffabbindenden Elementen vorliegen. 11) Die Kennbuchstaben bedeuten: E: Metall-Lichtbogenhandschweißen; MAG: Metall-Aktivgasschweißen; 12) Der Nenndurchmesser der Mattenstäbe muss mindestens 6 mm beim Verfahren MAG und mindestens 8 mm beim Verfahren E betragen, wenn Stäbe von Matten untereinander oder mit Stabstählen ≤ 14 mm Nenndurchmesser verschweißt werden. GP: Gaspressschweißen; RA: Abbrennstumpfschweißen; RP: Widerstandspunktschweißen Für werkmäßig hergestellte Bewehrungen wird auch der sog. Bewehrungsdraht BSt 500 G (glatt) und BSt 500 P (profiliert) hergestellt. - 70 - Rippung Zur Verbesserung der Verbundeigenschaften zwischen Bewehrung und Beton sind die Betonstähle an ihrer Oberfläche mit Rippen versehen, die für die verschiedenen Stahlsorten unterschiedlich sind. Seite 1 Seite 2 ( ( 60° Seite 1 Seite2 ( ( 60° e Cs1 Cs2 a) ohne Längsrippen b) mit Längsrippen bl hl Abb. C.1.1: Nicht verwundener Betonstabstahl BSt 420 S mit und ohne Längsrippen ( ( 35° Ganghöhe Abb. C.1.2: Kalt verwundener Betonstahl BSt 420 S (1 ( 65° bis 70° (3 ( 60° e (2 ( 45° bis 60° cs cs a) ohne Längsrippen b) mit Längsrippen bl hl Abb. C.1.3: Nicht verwundener Betonstabstahl BSt 500 S mit und ohne Längsrippen - 71 - (3 ( 35° (2 ( 40° - 45° (1 ( 60° - 65° Ganghöhe Abb.C.1.4: Kalt verwundener Betonstahl BSt 500 S Betonstabstähle können nach folgenden Verfahren hergestellt werden: • • • C.1.1.8 warmgewalzt, ohne Nachbehandlung warmgewalzt, an der Walzhitze wärmebehandelt (z. B. Tempcore-Stähle) kaltverformt, durch Verwinden oder Recken des warmgewalzten Ausgangsmaterial. Spannstähle Spannstähle werden beim Bau von vorgespannten Betonkonstruktionen eingesetzt. Im Vergleich zu Betonstählen besitzen sie im Allgemeinen eine deutlich höhere Zugfestigkeit und Streckgrenze. Sie gehören meist zur Gruppe der unlegierten Edelstähle. In Deutschland sind die Spannstähle zur Zeit nicht in einer Norm erfasst, sondern sie benötigen eine bauaufsichtliche Zulassung des Deutschen Instituts für Bautechnik. Die Spannstähle unterscheiden sich in den mechanischen Eigenschaften, den Arten der Herstellung (gereckt, kaltgezogen, vergütet), der Profilierung (glatt, gerippt, Drähte zu Litzen verseilt), der Verankerungsart (Endverankerung oder über Verbund) und in den Querschnittsabmessungen. Da Spannstähle einen Kohlenstoffgehalt von etwa 0,50 % besitzen, sind sie nicht schweißbar (Schweißbarkeit für C ≤ 0,20 % bei herkömmlichen Verfahren). Gleichzeitig sind sie aufgrund der massiven Festigkeitssteigerung durch Kaltverformen sehr empfindlich für jede Art von Wärmeeinwirkungen, also Funkenflug bei Trennarbeiten, Schweißarbeiten in unmittelbarer Nähe usw., da die Wirkungen der Kaltverformung z.T. rückgängig gemacht werden bzw. es zu einer Versprödung kommen kann. Dies gilt auch für punktuelle Wärmeeinwirkung. Die Art der Festigkeitssteigerung bedingt eine geringere Zähigkeit als Baustähle sie aufweisen. Dadurch werden sie zusammen mit den extrem hohen Vorspannkräften auch sehr empfindlich gegen Beschädigungen der Oberfläche (Kerbwirkung), wodurch es zu Sprödbrüchen (Versagen ohne Vorankündigung) kommen kann. Die zugelassenen Spannstähle weisen Streckgrenzen/Zugfestigkeiten im Bereich 835/1030 N/mm2 bis 1570/1770 N/mm2 bei Bruchdehnungen von ca. 6 % auf. - 72 C.1.1.9 • Eigenschaften der Stähle des Bauwesens Strukturunabhängige Eigenschaften Elastizitätsmodul E 200000 - 210000 N/mm2 Schubmodul G 81000 N/mm2 Dichte je nach C-Gehalt 7,83 - 7,88 kg/dm3 Wärmeausdehnungskoeffizient • 10,7 - 11,5·10 1/K Wärmeleitfähigkeit 240 W/(m⋅K) Festigkeit Reines Eisen βz: Baustähle Spannstähle: Kaltgezogene Stahldrähte: • -6 je nach C-Gehalt 180 N/mm2 300 - 700 N/mm2 600 - 2000 N/mm2 2000 - 4000 N/mm2 Dauerstandfestigkeit Baustähle zeigen bei Raumtemperatur kein Absinken der Festigkeit unter langandauernder statischer Beanspruchung, so dass die Dauerstandfestigkeit etwa gleich der Kurzzeitfestigkeit ist. • Kriechen und Relaxation Allgemeine Baustähle zeigen bei normaler Temperatur und Spannungen unterhalb der Streckgrenze keine nennenswerten Kriechverformungen. Bei hochfesten Spannstählen können jedoch auch bei Normaltemperatur deutliche Kriechverformungen auftreten (siehe Teil C.3.12). • Dauerschwingfestigkeit Siehe Teil C.5.6. Stoffgesetze In DIN 1045-1 wird zwischen den Spannungs-Dehnungslinien für die Schnittgrößenermittlung und für die Querschnittsbemessung unterschieden. Die Festlegungen und konstruktiven Regeln in dieser Norm beziehen sich auf schweißgeeignete, gerippte Baustähle mit einer charakteristischen Streckgrenze von fyk = 500 N/mm2. Sofern relevant, gelten diese Eigenschaften gleichermaßen für Zug- und Druckbeanspruchung. - 73 - idealisierter Verlauf Abb. C.1.5: Spannungs-Dehnungslinie des Betonstahls für die Schnittgrößenermittlung Die Bemessung ist auf der Grundlage der Nennquerschnittsfläche und des Nenndurchmessers unter Ansatz der idealisierten Spannungs-Dehnungslinie nach Abb. C.1.6 durchzuführen. Vereinfachend darf auch ein horizontaler oberer Ast der Spannungs-Dehnungslinie angenommen werden. Für die Querschnittsbemessung ist ftk, cal mit 525 N/mm2 anzusetzen und die Stahldehnung εs auf den Wert εsu = 0,025 zu begrenzen. Die Stoffgesetze für Spannstähle in DIN 1045-1 sind ähnlich den entsprechenden Stoffgesetzen für Betonstahl. Bei Spannstählen wird jedoch die 0,1% Dehngrenze als charakteristischer Wert definiert (anstatt der 0,2 %-Dehngrenze, wie bei Betonstahl). Abb. C.1.6: Rechnerische Spannungs-Dehnungslinie des Betonstahls für die Bemessung - 74 Soweit in den Normen der Reihe DIN 488 oder in den allgemeinen bauaufsichtlichen Zulassungen nicht abweichend festgelegt, dürfen für die Bemessung folgende physikalische Eigenschaften des Betonstahls angenommen werden: • Elastizitätsmodul: Es = 200 000 N/mm2 • Wärmedehnzahl: α = 10 · 10-6 K-1 Plastische Verformbarkeit Die plastische Verformbarkeit der Betonstähle sinkt mit steigender Zugfestigkeit. St 1570/1770 St 1470/1670 St 1420/1570 St 1080/1230 St 835/1030 BSt 500 BSt 420 l0 = 10d0 0 Abb. C.1.7: 4 8 12 16 20 Spannungs-Dehnungslinien von Betonstählen Literatur: [C.1] DIN EN 10025 : 1990, Warmgewalzte Erzeugnisse aus unlegierten Baustählen [C.2] DIN EN 10027-1 : 1992, Bezeichnungssysteme für Stähle [C.3] BARGEL, H.J., SCHULZE, G.: Werkstoffkunde, VDI-Verlag, Düsseldorf, 1994 [C.4] DIN 1045-1:2001-07, Tragwerke aus Beton, Stahlbeton und Spannbeton, Teil1: Bemessung und Konstruktion [C.5] WESCHE, K.: Baustoffe für tragende Bauteile, Band 1: 3. Aufl. 1996; Band 2: 3.Aufl. 1992; Band 3:2. Aufl. 1985; Band 4: 2.Aufl. 1988, Bauverlag, Wiesbaden - 75 - C.1.2 Gusseisen Charakteristische Zusammensetzung: 2,1 M.-% < C < 4,3 M.-%. C.1.2.1 Klassifizierung des Gusseisens Bezeichnung nach der Zugfestigkeit in N/mm2 und der Herstellungsart: (GS: GG: TG: GGG: Beispiel: C.1.2.2 GS-450: Stahlguss) Grauguss Temperguss Grauguss mit Kugelgraphit Stahlguss mit einer Mindestzugfestigkeit von 450 N/mm2 Eigenschaften von Gusseisen GG Elastizitätsmodul Dichte Zugfestigkeit Streckgrenze Bruchdehnung Druckfestigkeit GGG 75000 - 125000 160000 - 185000 3 7,8 kg/dm Spannung [N/mm²] 100 - 400 <1% 500 - 1100 400 - 800 N/mm2 250 - 400 N/mm2 2 - 15 % 700 - 1300 N/mm2 1000 800 GGG-70 600 GGG-40 400 GG-25 200 0 0 C.1.3 Aluminium C.1.3.1 Ausgangsstoffe 10 20 30 Dehnung [%] Aluminium ist das weitverbreitetste Metall der Erdkruste. Es ist im Allgemeinen stark chemisch gebunden. Häufigstes Erz: Bauxit mit einem Gehalt an Al2O3 von 55 bis 65 M.-%. Gewinnung von Aluminium: (1) Aufbereitung des Aluminiumerzes zur Abtrennung von Al2O3 (Bayerverfahren) (2) Gewinnung von Aluminium aus Al2O3 im Elektrolyseofen. - 76 Einsatz von Aluminium in Form von Legierungen Wichtigste Legierungskomponenten: Cu, Mg, Mn, Si, Zn Weniger häufig: Ni, Fe, Co, Ti, Cr C.1.3.2 Klassifizierung und Bezeichnungen Die Bezeichnung der Aluminiumlegierungen erfolgt nach der chemischen Zusammensetzung unter Angabe von Legierungsmengen. Kennbuchstaben werden zur Beschreibung des Herstellungsverfahrens verwendet. Bei den Aluminiumlegierungen wird unterschieden zwischen: Knetlegierungen, die durch Kneten (Walzen, Pressen, Ziehen, Schmieden) weiter verformt werden können, und Gusslegierungen, die nach den verschiedenen Gießverfahren verarbeitet werden: G DG GK KZ = = = = Guss Druckguss Kokillenguss Schleuderguss Der Angabe der Festigkeit wird der Buchstabe F vorangestellt. Beispiele: AlMg 3 Si Aluminiumknetlegierung mit 2 bis 4 M.-% Mg (i.M. 3 M.-%) sowie kleinen Mengen an Si (0,3 bis 0,8 M.-%) G-Al Si 12 Aluminium-Gusslegierung mit 11 bis 13,5 M.-% Si (i.M. 12 M.-%) Beide Legierungen enthalten kleine Mengen (0,3 bis 0,5 M.-%) an Mangan. Al Zn Mg 1 F 36 Al-Zn-Mg-Legierung, Zugfestigkeit 360 N/mm2 Eigenschaften Elastizitätsmodul 60000 - 70000 N/mm2 Dichte Wärmeausdehnungskoeffizient 2,7 - 2,8 kg/dm3 23 bis 24.10-6/K Schmelzpunkt von reinem Al 660°C Festigkeit und Verformung einiger häufig verwendeter Legierungen: Legierung nach DIN 1725, Blatt 1 Festigkeitseigenschaften für Bleche Rohre Profile Bemerkungen AlCuMg 1 F37 - F40 F38 - F40 F40 kalt ausgehärtet AlCuMg 2 F41 - F44 F43 - F44 F44 kalt ausgehärtet AlMgSi 1 F28 F28 F28 warm ausgehärtet AlMgSi 1 F32 F32 F32 warm ausgehärtet AlMg 3 oder AlMgMn F23 F23 F18 nicht aushärtbar F9 - F15 - - nicht aushärtbar AlMn - 77 Spannungs-Dehnungslinien verschiedener Aluminiumlegierungen: Spannung (N/mm²) 800 AlZnMgCu1,5 F52 600 AlCuMg1 F40 400 AlMgSi1 F20 200 AlMn F10 Al99,5 F7 0 0 C.2 10 20 30 Dehnung (%) 40 50 ELASTISCHE VERFORMUNGEN METALLISCHER WERKSTOFFE Bedeutung: (a) Abschätzen elastischer Formänderungen von Bauwerken (b) Bestimmung der Schnittkraftverteilung in statisch unbestimmten Systemen C.2.2 Elastizität C.2.2.1 Werkstoffkenngrößen (siehe auch Kap. A.5.1.3) • Der Elastizitätsmodul linear-elastisches Verhalten σ nicht linear-elastisches Verhalten σ α3 E(σ) = σ / ε tan α = E = σ / ε α α1 ε α2 ε - 78 Linear elastische Werkstoffe folgen dem Hooke’schen Gesetz, das den Zusammenhang zwischen Spannung und Dehnung wiedergibt: σ = E.ε Bei nicht linear-elastischen Werkstoffen ist der Elastizitätsmodul nicht konstant: σ = E(σ).ε Daher Unterscheidung zwischen: Ursprungsmodul α1: Neigung der Spannungs-Dehnungs-Linie im Ursprung. Sekantenmodul α2: Neigung der Sekante zwischen dem Ursprung und einem bestimmten Punkt auf der Spannungs-Dehnungs-Linie. Tangentenmodul α3: Neigung der Spannungs-Dehnungs-Linie bei einer bestimmten Spannung. • Querdehnungszahl Die Querdehnung eines einachsig beanspruchten Werkstoffes wird durch die Querdehnungszahl (Poisson'sche Zahl) ν beschrieben: ν=− εq εl = Querdehnun g Längsdehnung Abschätzung der Grenzwerte der Querdehnungszahl aus der Volumendehnung: Volumen vor der Belastung: F V0 = a.b.c Volumen nach der Belastung: V0 + ∆V = (a + ∆a)(b + ∆b)(c + ∆c) a Mit ε l = b c F ∆a a und εq = ∆b ∆c = b c erhält man die Volumenänderung ∆V = a.b.c.εl.(1-2ν) Die Volumendehnung ist dann: ∆V = ε v = ε l (1 − 2ν ) V Unterer Grenzwert der Querdehnungszahl, ν ν=0 d. h. keine Querdehnung, die Volumendehnung wird zu einem Maximum Oberer Grenzwert der Querdehnungszahl, ν ν = 0,5 εv = 0 d. h. das Volumen der Probe bleibt konstant. Bei ν > 0,5 würde bei einer Zugbelastung eine Volumenverminderung, bei einer Druckbelastung ein Volumenzuwachs auftreten. - 79 • Schubmodul Der Schubmodul gibt den Zusammenhang zwischen der Schubspannung und der durch sie verursachten Verzerrung wieder: γ ≈ tgγ ≈ G= ∆l l τ γ Bei linear elastischen Werkstoffen besteht zwischen Elastizitätsmodul und Schubmodul folgender Zusammenhang: G= • E 2(1 + ν ) Elastische Dehnung bei mehrachsiger Beanspruchung Wirken auf einen Körper gleichzeitig Spannungen in verschiedenen Richtungen, so können die in den Hauptrichtungen auftretenden Dehnungen durch Superposition der Dehnungen aus den einzelnen Spannungen ermittelt werden (erweitertes Hooke’sches Gesetz): σz εx = 1 ⋅ {σ x − ν ⋅ (σ y + σ z )} E εy = 1 ⋅ {σ y − ν ⋅ (σ x + σ z )} E εz = 1 ⋅ {σ z − ν ⋅ (σ x + σ y )} E σy σx σx σy σz • Kennwerte für die Metalle Bei Stahl, Aluminiumlegierungen und Gusseisen können E; G; ν bis zu ca. 0,9.βS konstant angenommen werden. Im Bereich des elastischen Verhaltens ist ν ≈ 1/3. Für plastische Verformungen ist ν ≈ 1/2. C.2.2.2 C.2.2.2.1 Einflüsse auf den E-Modul Einfluss der Werkstoffstruktur Der E-Modul eines Werkstoffes hängt von der Bindungsenergie zwischen den Atomen ab (siehe Teil B.2.5). Eine deutliche Veränderung des E-Moduls durch Beeinflussung der Mikrostruktur, z. B. bei Veränderung der Kristallfehlerdichte ist daher nicht möglich. C.2.2.2.2 Einfluss anderer Komponenten Besteht ein Werkstoff aus verschiedenen Komponenten, so kann der Elastizitätsmodul E aus den Verformungseigenschaften der Einzelkomponenten und deren Volumenanteil rechnerisch ermittelt werden (siehe auch Kap. G). - 80 Grenzfall 1 Grenzfall 2 E2; v2 E1; v1 E2; v2 E1; v1 ε1 = ε2, ist da σ1 = σ2, ist da 1 v1 1− v1 = + E E1 E2 E = v1.E1 + (1-v1).E2 wobei v1; v2 = Volumenkonzentration der Komponente "1" bzw. "2" E1; E2 = Elastizitätsmodul der Komponente "1" bzw. "2" Beispiel einer Metallegierung (Blei-Zinn) 60000 E (N/mm²) 40000 20000 0 350 300 Schmelze 250 Temperatur (°C) 200 L+α α L+β β 150 100 α+β 50 0 0 Pb C.2.2.2.3 10 20 30 40 50 60 Sn in M.-% 70 80 90 100 Sn Umwelteinflüsse Der Elastizitätsmodul der meisten Werkstoffe ist temperaturabhängig: mit steigender Temperatur wächst die Verformbarkeit, d. h. der Elastizitätsmodul des Werkstoffes fällt ab: E-Modul (N/mm²) 250000 200000 Eisen Kupfer 150000 100000 Aluminium 50000 Magnesium 0 0 100 200 300 400 500 600 Temperatur (°C) 700 800 900 1000 - 81 - C.2.3 Anelastizität – Verzögert elastische Verformung Definition: Dehnung, ε Zeitabhängige Entwicklung der elastischen Verformung bei Belastung. Zeitabhängige Verformung nach Entlastung σ = konstant Zeit, t Ursachen der Anelastizität bei metallischen Werkstoffen: Der thermoelastische Effekt Diffusion von Fremdatomen schnelle Belastung σ langsame Beoder Entlastung schnelle Entlastung Fremdatom ε Beachte: Bei Metallen ist die anelastische Verformung meist vernachlässigbar. Dies gilt nicht für Kunststoffe und Beton. C.3 PLASTISCHE VERFORMUNG DER METALLE C.3.1 Definitionen Plastische Verformung: spannungsabhängige und bleibende (irreversible) Verformung eines Werkstoffes (siehe C.5.1.3) Kriechen: zeitabhängige, plastische Verformung eines Werkstoffes unter einer konstanten Dauerlast; bei manchen Werkstoffen kann das Kriechen auch einen zeitabhängig reversiblen Anteil haben (Anelastizität),(siehe C.5.1.7 und C.2.2) Viskose Verformung: zeitabhängige, bleibende Verformung eines Werkstoffes mit viskosen Eigenschaften. Für Werkstoffe mit den Eigenschaften einer Newtonschen Flüssigkeit ergibt sich unter einer konstanten Spannung ein linearer Anstieg der Verformung mit der Zeit. C.3.2 Bedeutung der plastischen Verformbarkeit eines Werkstoffes In den meisten praktischen Anwendungsfällen ist die plastische Verformbarkeit eines Werkstoffes bei hohen Spannungen eine erwünschte Werkstoffeigenschaft: a) Plastische Verformbarkeit ist Voraussetzung für die Formgebung eines Werkstückes durch Ziehen, Strecken, Walzen etc. - 82 b) Bei der Verwendung plastisch verformbarer Werkstoffe kündigt sich ein bevorstehender Bruch bei Überbelastung durch große Verformungen, z. B. Durchbiegungen, an. c) Die Biegetragfähigkeit eines Querschnitts aus einem plastisch verformbaren Werkstoff ist größer als die eines Querschnitts mit linear elastischem Verhalten. d) In statisch unbestimmten Tragsystemen treten bei Verwendung plastisch verformbarer Werkstoffe Momentenumlagerungen auf, die zu einer Erhöhung der Tragfähigkeit des Gesamtsystems führen. e) Plastisch verformbare Werkstoffe sind weniger kerbempfindlich als spröde Werkstoffe, weil die plastische Verformbarkeit zu einem Abbau örtlicher Spannungsspitzen führt. Beachte: Ein Werkstoff kann sich unter bestimmten Bedingungen plastisch verhalten, bei geänderten Bedingungen kann er jedoch spröde sein. Bedingungen, welche die plastische Verformbarkeit eines Werkstoffes reduzieren, sind insbesondere - mehrachsige Beanspruchungen, - hohe Dehngeschwindigkeiten, - tiefe Temperaturen. C.3.3 a) Mechanismen der plastischen Verformung von Metallen Verschiebung bzw. Gleitungen entlang bestimmter charakteristischer Kristallebenen, die vorzugsweise dichtest gepackt sind. F F b) Zwillingsbildung, d. h. Umklappen eines Teils eines Kristallgitters um eine Spiegelebene F } F c) Korngrenzenverschiebung τ τ τ τ Zwillingslamelle - 83 - C.3.4 Theoretische Schubfestigkeit Fragestellung: Welche Kräfte sind erforderlich, um zwei Atomebenen, entsprechend dem Mechanismus C.3.3.a, gegeneinander zu verschieben. Eine Reihe von Atomen wird durch eine Schubspannung τ gegenüber einer anderen Reihe von Atomen nach rechts verschoben. Die zur Verschiebung erforderliche Schubspannung τ steigt zunächst mit wachsender Verschiebung d. Liegt das Atom 1 genau zwischen den Atomen 2 und 4, stellt sich ein labiler Zustand ein. Die Schubspannung zur Aufrechterhaltung dieser Lage ist daher 0, die potentielle Energie erreicht ein Maximum. Die Größe der höchsten, zum Verschieben erforderlichen Schubspannung τmax kann wie folgt bestimmt werden: d τ 1 3 τ = τ max ⋅ sin γ 2 τ 2πδ d τ = G⋅γ 4 für kleine Winkel ist τ τmax sin δ τmax Verschiebung δ d 2πδ 2πδ 2πδ ≈ tg ≈ d d d G⋅ γ = G⋅ Wτ τ max ≈ δ Verschiebung γ ≈ tg γ ≈ 2πδ δ = τ max d d G 2π E E ≈ 2(1 + ν ) 2,5 mit G= ist τmax ≈ E 15 für Stahl ist E = 2,1.105 N/mm2 und τmax ≅ 14000 N/mm2. Die theoretische Schubfestigkeit von Metallen ist also meist wesentlich höher als die in Versuchen tatsächlich beobachtete Schubfestigkeit. C.3.5 Plastische Verformungen als Folge von Versetzungsbewegungen Plastische Verformungen von Metallen bei Spannungen, die wesentlich kleiner als die theoretische Schubfestigkeit sind, werden durch Kristallfehler, insbesondere die Bewegung von Versetzungen, ausgelöst. C.3.5.1 Versetzungsarten Es wird unterschieden zwischen: - Stufenversetzungen - Schraubenversetzungen - Gemischte Versetzungen - 84 Stufenversetzung Schraubenversetzung Burgers-Vektor b Burgers-Umlauf Versetzungslinie Gemischte Versetzungen setzen sich aus einer Stufen- und einer Schraubenkomponente zusammen. Betrag und Richtung der Verzerrung des Kristallgitters, die zu einer Versetzung führten, werden durch den sogenannten Burgers-Vektor beschrieben. Im Zentrum der Verzerrung liegt eine Versetzungslinie. Stufenversetzung: G Die Versetzungslinie steht senkrecht zu b Schraubenversetzungen: G Die Versetzungslinie ist parallel zu b Gemischte Versetzungen: G Versetzungslinie und b schließen einen Winkel zwischen 0 und 90° ein. C.3.5.2 Verformungsvorgang durch eine Versetzungsbewegung Eine Schubspannung τ, die in Richtung des Burgers´schen Vektors wirkt, löst eine Bewegung von Versetzungen aus. Bei einer Stufenversetzung ist die Bewegungsrichtung der Versetzungslinie und des Burgers´schen Vektors bzw. die Schubspannung zueinander parallel, bei einer Schraubenversetzung stehen sie aufeinander senkrecht. Der Bewegungsablauf einer Stufenversetzung kann wie folgt dargestellt werden: (a) Bewegungsrichtung (b) Burgers-Vektor b - 85 τ τ 6 1 4 τ 6 2 3 5 1 2 4 5 7 7 τ τ Als Folge einer Schubspannung τ wird die Atomreihe 1 - 2 - 3 gegen die Atomreihe 4 - 5 verschoben, bis Atom 2 über Atom 5 steht. Bildung einer durchgehenden Kristallebene der Atome 6 - 2 - 5 - 7 3 τ Die Stufenversetzung ist um einen Gitterparameter nach rechts gerückt Der Vorgang wiederholt sich, bis die Versetzung aus dem Kristallgitter gewandert ist. Es entsteht eine Gleitstufe. Gleitstufe = plastische Verformung = Betrag des Burgers´schen Vektors. Das Verbleibende Kristallgitter ist fehlerfrei Folgerung: In einem fehlerfreien Kristall werden beim Gleiten zweier Ebenen alle Atome gleichzeitig gegeneinander verschoben. Beim Gleiten von Ebenen eines durch eine Stufenversetzung gestörten Systems wird nacheinander jeweils nur eine Reihe von Atomen verschoben, so dass die zum Gleiten erforderliche Schubspannung in Systemen mit Versetzungen wesentlich kleiner ist als in fehlerfreien Kristallen. C.3.5.3 I. Eigenschaften von Versetzungen Versetzungen erzeugen ein Spannungsfeld Druck Zug Scherung Die potentielle Energie im Kristall ist daher in der Nähe einer Versetzung erhöht. Folge: Vor allem bei erhöhter Temperatur reduziert sich durch Diffusion die Versetzungsdichte. II. Versetzungen beeinflussen sich gegenseitig Gleiche Ebenen: gleiche Versetzungen ungleiche Versetzungen D D Z Z D Z Z D stoßen sich ab ziehen sich an und heben sich auf - 86 - Benachbarte Ebenen: gleiche Versetzungen stoßen sich ab oder ziehen sich an, je nach Abstand D D Z Z ungleiche Versetzungen ziehen sich an und heben sich auf; Bildung einer Leerstelle D Z Z D III. Versetzungen sind in dichtest gepackten Ebenen und Richtungen am leichtesten beweglich τ leichtes Gleiten schweres Gleiten τ IV. Versetzungen können schwerer beweglich oder unbeweglich werden Trifft eine Versetzung auf ein Hindernis, z. B. ein Fremd- oder Einlagerungsatom, so kann sie dadurch in ihrer Bewegung behindert werden. Sie wird erst nach einer Spannungs- oder Temperaturerhöhung wieder beweglich. Zwei bewegliche Versetzungen b1 und b2, die in verschiedenen Ebenen aufeinanderzulaufen, können unbeweglich werden, wenn die resultierende Versetzung b3 in einer weniger dicht gepackten Ebene oder ungünstig zur angreifenden Schubspannung τ liegt. y τ b2 b3 b1 z b3 b2 x b1 τ Versetzungen werden unbeweglich, wenn sie auf Korngrenzen oder Phasengrenzen treffen. V. Versetzungen können sich vermehren (Frank-Read-Quelle) (a) Die Versetzungslinie einer Stufenversetzung trifft auf ein Hindernis, z. B. ein Paar von Fremd- oder Einlagerungsatomen. (b) Die Versetzung wird aufgehalten, und die Versetzungslinie beginnt sich auszubauchen. - 87 (c) Mit steigender Spannung bleibt die Versetzungslinie zwar an den Fremdatomen verankert, baucht sich aber weiter aus und beginnt die Störstellen zu umlaufen. (a) (b) (c) (d) Die Fronten der Versetzungslinie nähern sich, und es sind zwei Schraubenversetzungen mit entgegengesetztem Drehsinn entstanden, die sich aufheben. (e) Eine gemischte Versetzung umschließt die Fremdatome, und eine neue Stufenversetzung zwischen den beiden Fehlstellen hat sich gebildet. τ (d) (e) Der Vorgang wiederholt sich, so dass die beiden Fremdatome von immer mehr gemischten Versetzung umgeben sind. Folge: Mit steigender plastischer Verformung nimmt die Anzahl der Versetzungen zu: Versetzungsdichte: C.3.5.4 Wärmebehandelte Einkristalle 102 – 103 Linien/cm2 Wärmebehandelte Vielkristalle 107 – 108 Linien/cm2 Wärmebehandelte Vielkristalle nach plastischer Verformung 1010 – Linien/cm2 10 12 Zusammenfassung und Folgerungen - Versetzungen erlauben plastische Verformungen bei Spannungen, die wesentlich kleiner als die theoretische Schubfestigkeit des Werkstoffes sind, indem sie ein Kristallgitter mit hoher Geschwindigkeit durchlaufen und dadurch Gleitungen auslösen. - Versetzungen bewegen sich vorzugsweise auf bestimmten Ebenen und in bestimmten Richtungen, die strukturabhängig sind. - Da Versetzungen von einem Spannungsfeld umgeben sind und eine Erhöhung des Energieniveaus zur Folge haben, können sie durch eine Wärmebehandlung des Werkstoffes aufgelöst werden. - Die Beweglichkeit von Versetzungen und damit die plastische Verformbarkeit eines Werkstoffs können reduziert werden durch Fremdatome (Punktfehler), andere Versetzungen oder Korn- und Phasengrenzen. Die plastische Verformbarkeit nimmt daher mit steigender Anzahl von Fremdatomen, steigender Versetzungsdichte und kleiner werdender Korngröße ab. - Da eine plastische Verformung die Versetzungsdichte erhöht und Versetzungen unbeweglich macht, wird der Werkstoff dadurch verfestigt, und die verbleibende plastische Verformbarkeit ist begrenzt. - 88 - C.3.6 Gleitsysteme Gleitvorgänge treten in bestimmten Gleitebenen und Gleitrichtungen auf. Dies sind meist dichtest gepackte Ebenen und Richtungen. Die Kombination von Gleitebenen und Gleitrichtungen wird als Gleitsystem bezeichnet. Die Anzahl der Gleitsysteme hängt von der Kristallstruktur eines Werkstoffes ab. Beispiele einiger Gleitsysteme Struktur Werkstoffe Anzahl der Gleitsysteme KFZ Cu; Al; Ni; Pb; Au; Ag; γ-Fe 4.3 = 12 KRZ α-Fe; W; Mo 6.2 = 12 α-Fe; K 24.1 = 24 Zn; Mg; Ti 1.3 = 3 Mg; Ti 6.1 = 6 HDP C.3.7 Kritische Schubspannung Da Gleitvorgänge nur in bestimmten Ebenen ablaufen können, ist die Orientierung einer Gleitebene zur äußeren Beanspruchung bzw. die in Gleitrichtung auf die Gleitebene wirkende Schubspannung für den Gleitvorgang maßgebend. Gleitrichtung n Normale zur Gleitebene m Gleitebene Querschnitt der Probe: A Fläche der Gleitebene: A′ = A cos φ Komponente der Kraft F in Gleitrichtung: F’ = F.cosλ In der Gleitrichtung wirkende Schubspannung τ: F′ F τ= = ⋅ cos λ ⋅ cos φ A′ A τ = σ ⋅ cos λ ⋅ cos φ - 89 - Kritische Schubspannung τcr = jene auf Gleitebene und Gleitrichtung bezogene Schubspannung, die zum Gleiten führt. Sie ist eine Materialkonstante, d. h. eine Werkstoffeigenschaft, die vor allem bei KRZ-Kristallen von der Temperatur abhängt. Folgerungen: a) In einem Einkristall können Gleiten bzw. plastische Verformung nur auftreten, wenn das Gleitsystem gegenüber der äußeren Spannung entsprechend orientiert ist. b) Liegen viele Gleitsysteme vor, so ist Gleiten schon bei niedrigen Spannungen wahrscheinlich. c) Mit steigender Spannung werden immer mehr Gleitsysteme aktiviert. d) Je mehr Gleitsysteme gleichzeitig aktiviert werden, um so größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Gleitsysteme durch gegenseitige Beeinflussung unbeweglich werden. Typische Werte der kritischen Schubspannung τcr [N/mm2] von Einkristallen Werkstoff kritische Schubspannung Struktur bei -20°C bei +20°C bei +300°C Kupfer KFZ 1,2 1,0 1,0 Aluminium KFZ 1,5 1,5 1,4 Magnesium HDP 1,2 0,8 0,8 α-Eisen KRZ 45,0 35,0 18,0 C.3.8 Plastizität von Einkristallen Der Gleitvorgang eines Einkristalls mit einer KFZ-Struktur kann in 3 Bereiche eingeteilt werden: Schubspannung τ I II III τ τ τc Schubdehnung γ Bereich I: Bis zum Erreichen einer kritischen Schubspannung τcr kleine elastische (reversible) Vorgänge. Nach Überschreiten von τcr Beginn des Gleitens. Große Verformungen bei nur langsam steigender Schubspannung. - 90 Nach Erreichen der Schubspannung τ1 gegenseitige Behinderung der Versetzungen und Vermehrung der Versetzungen. Die zum Gleiten erforderliche Spannung steigt daher laufend an. Bereich II: Bereich III: Nach Erreichen der Grenzschubspannung τ2 werden blockierte Versetzungen wieder beweglich. Bei Einkristallen mit HDP-Struktur tritt keine oder nur eine geringe Verfestigung auf, da die geringe Anzahl der Gleitsysteme nur zu einer schwachen gegenseitigen Beeinflussung von Versetzungen führt. Einkristalle mit einer KRZ-Struktur besitzen keine dichtest gepackten Ebenen, so dass das Gleiten erst bei hohen kritischen Schubspannungen beginnt. Wegen der großen Anzahl von Gleitsystemen ist schon bei Beginn des Gleitens eine gegenseitige Beeinflussung von Gleitsystemen zu erwarten, so dass der Bereich I völlig entfällt. Schubspannung τ [N/mm²] 80 Fe (KRZ) 60 Cu (KFZ) 40 20 0 Mg (HDP) 0 1 2 3 4 5 6 Schubdehnung γ [%] C.3.9 Plastizität von Vielkristallen Baupraktisch relevante metallische Werkstoffe setzen sich aus vielen unterschiedlich orientierten Körner zusammen. Die für das Einkristall abgeleiteten Zusammenhänge haben zwar Gültigkeit. Zusätzlich ist jedoch der Einfluss der Kornorientierung und der Korngrenzen zu berücksichtigen. Korngrenzen halten die Versetzungsbewegung auf. Die Streckgrenze βS metallischer Werkstoffe steigt daher mit sinkendem Korndurchmesser (PetschGleichung): βs = σ0 + σ0 d k k d = Streckgrenze des Einkristalls bei günstiger Orientierung = mittlerer Korndurchmesser = temperaturabhängiger Beiwert bei T = 20°C für Fe: k ≈ 23 N/mm3/2 für Al: k ≈ 2 N/mm3/2 Die Kornstruktur eines Werkstoffes führt dazu, dass auch bei Vielkristallen mit KFZ-Struktur die Unterteilung eines Gleitvorgangs in die Bereiche I,II und III verwischt wird: - 91 - Zugspannung [N/mm²] 300 Vielkristalle von Cu 200 Einkristall von Cu 100 0 0 10 20 30 Dehnung [%] 40 50 60 C.3.10 Spannungs-Dehnungsverhalten von Stahl – Streckgrenze σ V βSo βSu III IV II I ε Bereich I: elastisches Verhalten Bereich II: Abweichung von der Linearität, Beginn plastischer Verformung; Überschreitung von τcr Bereich III: Streckgrenze und das Fließen Stähle mit niederem Kohlenstoffgehalt ohne vorhergegangene Kaltverformung besitzen eine ausgeprägte Streckgrenze, d. h. bei konstanter Spannung nehmen die Dehnungen schnell zu. Dieser Vorgang ist dem Bereich I bei der plastischen Verformung eines Einkristalls zwar ähnlich, ist damit jedoch nicht identisch und kann wie folgt erklärt werden: - Kohlenstoffatome des Stahles lagern sich häufig an einer Versetzung an. Erreicht die Spannung die obere Streckgrenze βSo, so werden einige Versetzungen von den Kohlenstoffatomen losgerissen = Beginn des Fließens. Weiteres Fließen ist auch bei einer niederen Spannung möglich, so dass die Spannung auf die untere Streckgrenze βSu abfällt. Der Fließvorgang ist zunächst nur auf einen kleinen Bereich der Probe beschränkt. - 92 - Das örtliche Fließen verursacht Zwängungen, die zu einer Vergrößerung der fließenden Zone führen. - Der Fließbereich erweitert sich, bis in der ganzen Probe plastische Verformungen auftreten. Der Vorgang wird durch die Entwicklung der sog. Fließoder Lüderslinien sichtbar. - Nach Abschluss des Fließvorgangs ist die plastische Verformbarkeit des Werkstoffs zunächst erschöpft, und es stellt sich eine Verfestigung ein (Bereich IV). Bei Stählen mit hoher Versetzungsdichte, z. B. als Folge einer vorangegangenen Kaltverformung, ist ein freies Gleiten nicht möglich. Plastische Verformungen entwickeln sich nur allmählich, so dass der Werkstoff keine ausgeprägte Streckgrenze hat. Bereich IV: Verfestigung durch Vervielfältigung und Blockieren von Versetzungen. Bereich V: Beginn der Entfestigung. C.3.11 Einflüsse auf die plastische Verformbarkeit Mechanismus: Eine Reduzierung der Beweglichkeit von Versetzungen verringert die plastische Verformbarkeit C.3.11.1 Strukturparameter Beeinflussung der Versetzungsbeweglichkeit - durch Fremdatome - durch zusätzliche Phasen - Verringerung der Korngröße - Erhöhung der Versetzungsdichte (Kaltverformung) C.3.11.2 Äußere Einflüsse • Dehngeschwindigkeit: • Mehrachsige Beanspruchung: Eine mehrachsige Beanspruchung führt bei gleichem Vorzeichen der Spannungen zu einer Reduktion der plastischen Verformbarkeit, weil dadurch die kritische Schubspannung erst bei einer höheren äußeren Beanspruchung erreicht wird (siehe C.5.7). • Energiereiche Strahlung: Eine Erhöhung der Dehngeschwindigkeit reduziert die plastische Verformbarkeit, vor allem dann, wenn zeitabhängige Diffusionsvorgänge die Verformbarkeit eines Werkstoffes beeinflussen. Energiereiche, radioaktive Strahlen können zu einer Störung des Kristallgitters führen. Die so entstehenden Fehlstellen im Kristallgitter reduzieren bei manchen Werkstoffen die Beweglichkeit von Versetzungen soweit, dass eine plastische Verformbarkeit des Werkstoffes nur noch in beschränktem Umfang möglich ist. - 93 • Temperatur: Eine Temperaturerhöhung fördert vor allem bei KRZ-Werkstoffen die plastische Verformbarkeit (s. auch "Kerbschlagzähigkeit" A.5.1.10). σ-ε-Verläufe eines S 235 JR bei verschiedenen Temperaturen: Spannung (N/mm²) -40°C 400 +20°C 300 +400°C 200 100 0 0 5 10 15 20 25 30 Dehnung (%) C.3.12 Kriechen und Relaxation C.3.12.1 Ursachen Ähnlich wie bei der spannungsabhängigen plastischen Verformung sind Kriechen und Relaxation auf Gleiten von Kristallebenen bzw. auf Versetzungsbewegungen zurückzuführen. Es tritt ein Wechselspiel ein zwischen Verfestigung (Reduktion der Beweglichkeit von Versetzungen) und Auslösen von Versetzungsbewegungen (Entfestigung). ε Bruch σ = konstant T = konstant ε0 εi Bereich I: Bereich I Bereich II Bereich III t Primärkriechen; die Kriechgeschwindigkeit nimmt mit der Zeit ab (Verfestigung > Entfestigung). Bereich II: Sekundärkriechen; die Kriechgeschwindigkeit ist konstant (Verfestigung = Entfestigung). Bereich III: Tertiärkriechen; die Kriechgeschwindigkeit nimmt mit der Zeit zu, bis der Bruch der Probe eintritt (Verfestigung < Entfestigung). - 94 C.3.12.2 Einfluss der Temperatur auf das Kriechen Alle Parameter, welche die plastische Verformbarkeit der Metalle beeinflussen, wirken sich im selben Sinn auch auf die Kriecheigenschaften aus. Mit steigender Temperatur nimmt die Kriechgeschwindigkeit zu, da die Beweglichkeit der Versetzungen steigt. Liegt die Temperatur über der Rekristallisationstemperatur, so führen Rekristallisation und Kornwachstum zur Verringerung der Versetzungsdichte und damit zu einem erhöhten Kriechen, vor allem bei kaltverfestigten Werkstoffen. Beschreibung des Temperatureinflusses mit Hilfe der Arrheniusbeziehung (B.3.6): Für die Geschwindigkeit vK des Sekundärkriechens gilt: Q vk = εK Q R T wobei − dε k = const ⋅ e RT dt = Kriechverformung = Aktivierungsenergie für das Kriechen = Gaskonstante = Temperatur [K] Daraus ergibt sich für die Kriechverformung εK zum Zeitpunkt t: n εk = ε0 + A ⋅ σ ⋅ e Q − RT ⋅t Beachte: - Die Aktivierungsenergie für das Kriechen kann mit steigender Spannung abfallen. - Für die meisten Baustähle sind die Kriechverformungen bei Raumtemperatur vernachlässigbar. - Hochfeste Stähle, z. B. die im Spannbeton verwendeten Spannstähle, können auch bei Raumtemperatur kriechanfällig sein. Dies führt zu einem deutlichen Abfall der Spannung durch Relaxation, vor allem bei Spannungen in der Nähe der Streckgrenze. Spannungsabfall [%] bezogen auf die Anfangsspannung 15 σ = 0,8 βZ 10 σ = 0,7 βZ 5 σ = 0,6 βZ 0 0 2 4 6 8 10 12 Temp. [°C] - 95 - C.4 VERFESTIGUNG VON METALLEN C.4.1 Aufgabenstellung und Grundprinzip Fragestellung: Wie können metallische Werkstoffe durch a) Veränderung ihrer chemischen Zusammensetzung b) Veränderung ihrer Fein- oder Grobstruktur c) Schaffung von Ungleichgewichts- oder metastabilen Zuständen so verändert werden, dass ihre mechanischen Eigenschaften, vor allem Streckgrenze, plastische Verformbarkeit und Zugfestigkeit, optimiert werden? Grundprinzip der Verfestigung von Metallen: Herabsetzen der Beweglichkeit von Versetzungen C.4.2 Kaltverformung Eine Kaltverformung führt zur Vervielfältigung und Blockierung von Versetzungen und damit zu einer Erhöhung der Streckgrenze. Nachteile: Verringerte Verformbarkeit, reduzierte elektrische Leitfähigkeit und Wärmeleitfähigkeit, Erhöhung der chemischen Reaktionsfähigkeit, dadurch vergrößerte Korrosionsanfälligkeit. Durch eine nachfolgende Wärmebehandlung (Anlassen) kann die Verformbarkeit kaltverformter Metalle wieder verbessert werden. Reckalterung: Spannungs-Dehnungs-Linie nach Verfestigung und Alterung σ [N/mm²] Werden Werkstoffe mit ausgeprägter Streckgrenze bis zu einer Spannung βS2 (siehe Skizze) belastet, entlastet (Linie 1) und sofort wieder belastet, so beginnt das Fließen bei βS2 (Linie 2). (3) βS2 βS1 (2) (1) ε [%] Be- und Entlastung des Ausgangsmaterials (1) Belastung (vorbelasteter Stahl) (2) Vorbelasteter (kaltgereckter) Stahl nach Alterung (3) Durch eine Alterung nach Entlastung stellt sich bei manchen Werkstoffen eine erhöhte, ausgeprägte Streckgrenze, bei verminderter Verformbarkeit (Linie 3) ein. - 96 - C.4.3 Legierungshärten Metallische Werkstoffe können durch Bildung homogener Mischkristall-Legierungen verfestigt werden. Ursache: Die im Grundmetall durch das Legieren eingebrachten Fremdatome reduzieren die Beweglichkeit der Versetzungen. Beispiel: Einfluss verschiedener Legierungselemente auf die Streckgrenze (1%-Grenze) von Kupfer 1,0%-Grenze von Cu [N/mm²] 200 Sn Be 150 Ni Al 100 Cu - Zn = Messing Cu - Al = (Aluminium)-Bronze Cu - Sn = (Zinn)-Bronze Si Zn 50 0 0 10 2 30 Vol.-% der Legierungskomponente 40 Die verfestigende Wirkung einer Legierungskomponente ist um so ausgeprägter, je mehr sich die Atome der Grundelemente und der Legierungskomponente in ihrer Größe unterscheiden. Bei deutlichen Größenunterschieden und hohem Anteil der Legierungskomponente entstehen neben den Mischkristallen 2 Phasen. Dies ergibt sich aus den jeweiligen Phasendiagrammen der betrachteten Metalle. C.4.4 Ausscheidungshärten Dies ist die wichtigste Verfestigungsmethode für alle Nichteisenmetalle, vor allem für Aluminium. In das Grundgitter eines metallischen Werkstoffes wird schrittweise eine sehr feinverteilte zweite Phase ausgeschieden. Wirkungsmechanismen: Behinderung der Versetzungsbewegung durch a) Verspannen des Kristallgitters b) Phasengrenzen Voraussetzungen für Legierungen, die ausscheidungshärtbar sind: • beschränkte Löslichkeit der Legierungskomponenten • Abnahme der Löslichkeit mit sinkender Temperatur - 97 Ausscheidungshärten erfolgt in 3 Schritten: Schritt 1: Homogenisieren oder Lösungsglühen der Legierung Schritt 2: Schnelles Abkühlen - Abschrecken Schritt 3: Anlassen bzw. Altern bei erhöhter Temperatur = Ausscheidungsglühen T T Lösungsglühen α Abschrecken Ausscheidungsglühen α+β αu 100 M.-% A M.-% B Zeit t Schritt 1: Erwärmung bis knapp unter die eutektische Temperatur, aber oberhalb der Löslichkeitslinie (Lösungsglühen). Durch Homogenisieren entsteht ein stabiles Mischkristall α. Schritt 2: Als Folge des Abschreckens sollte eine β-Phase ausgeschieden werden. Wegen der schnellen Abkühlung liegt jedoch nur eine mit BAtomen übersättigte α-Phase vor. Schritt 3: Erhöhung der Temperatur auf das 0,3 bis 0,5-fache der Schmelztemperatur (Ausscheidungsglühen). Ausscheidung einer β-Phase aus einer übersättigten α-Phase. Härte, Festigkeit und Zähigkeit hängen von der Länge der Auslagerung und der Anlasstemperatur ab. σ (N/mm²) 400 300 δ10 (%) βz 30 β0,2 200 20 δ10 100 0 1 Zeit in h (log) 24 10 0 Einfluss der Dauer des Ausscheidungsglühens auf Zugfestigkeit βz, 0,2-Grenze β0,2 und Bruchdehnung δ10 einer Al-Mg-Si-Legierung. - 98 - C.4.5 Umwandlungshärten Dies ist die wichtigste Verfestigungsmethode von Stählen. Sie beruht auf der Beobachtung, das beim plötzlichen Abkühlen (Abschrecken) von manchen Metallen Strukturumformungen stattfinden, die beim Stahl zur sog. Martensitbildung führen. C.4.5.1 Martensitische Zustände Wird ein Stahl bis in den austenitischen Bereich (T > 723°C) erwärmt und danach abgeschreckt, ist die diffusionsabhängige Umwandlung des Austenits (γ-EisenMischkristall) in Ferrit (α-Eisen-Mischkristall) nicht mehr möglich. Anstelle des αEisen-Zementit-Systems entsteht durch eine diffusionslose Umwandlung der sog. Martensit. Raumzentrierter, tetragonaler Martensit 2,97 Å 2,845 Å : Eisen-Atome : Kohlenstoff-Atome 2,845 Å Austenit Martensit wird durch Verschieben und Umklappen von Kristallebenen des Austenit gebildet. Es hat wegen seiner Struktur und der eingelagerten C-Atome eine große Härte und Sprödigkeit und ist daher nicht immer erwünscht. Die Menge an Martensit, die bei einer Abkühlung eines Stahles aus einem austenitischen Zustand entsteht, hängt von der Temperatur ab, bis zu der er nach einer vorangegangenen Erwärmung abgeschreckt wird. Der verbleibende Austenit wird als Restaustenit bezeichnet. MS = Temperatur, bei welcher die Bildung von Martensit beginnt Martensit (M.-%) 100 Mf (MS = Martensit-start) 80 Mf = Temperatur, bei welcher eine vollständige Umwandlung in Martensit erfolgt. 60 40 (Mf = Martensit-finish) 20 Ms 0 0 50 100 150 200 Temperatur (°C) 250 300 Die Sprödigkeit martensitischer Stähle kann durch Anlassen vermindert werden, siehe dazu auch Abschnitt 4.6.3. 1. Anlassstufe: bei ca. 100 bis 200°C Ausscheidung von C aus dem Martensit und Bildung des kohlenstoffärmeren kubischen Martensits. 2. Anlassstufe: bei ca. 100 bis 300°C Zerfall des Restaustenits 3. Anlassstufe: bei ca. 300 bis 400°C Kohlenstoffverarmung des kubischen Martensits bis zur Bildung von Ferrit Mit steigender Anlassdauer sinken Streckgrenze und Zugfestigkeit, während die Verformbarkeit des Stahles wächst. - 99 C.4.5.2 Zwischenstufenzustände Durch Variation der Abkühlgeschwindigkeit oder durch Abkühlung von Stählen aus dem austenitischen Bereich bis zu einer Temperatur oberhalb der MS-Temperatur, die dann über längere Zeit konstant gehalten wird, können Zwischenstufenzustände erreicht werden, die im sog. ZTU-Schaubild darstellbar sind. Temperatur [°C] Austenit 800 Rockwell C-Härte nach der Umwandlung Umwandlung bei 700°C Beginn A1-Temperatur 700 Nase Ende 11 32 Austenit 600 Sorbit Perlitbildung aus dem Austenit 38 Perlit Troostit 500 Bainitbildung aus dem Austenit 400 Austenit 40 Bainit Zwischenstufe 300 41 43 50 55 MS-Temperatur 57 200 Martensit 100 0 39 Isothermes ZTUSchaubild für den Austenitzerfall in einem Kohlenstoffstahl mit eutektoider Zusammensetzung 1 2 4 8 15 30 1 2 4 8 15 30 1 2 4 8 15 30 Sek. Min. Umwandlungszeit Std. Das ZTU-Schaubild für isotherme Umwandlung (T = const) beschreibt für verschiedene Abkühltemperaturen die Umwandlung des Austenits in Abhängigkeit vom Zeitraum, innerhalb dem die Abkühltemperatur konstant gehalten wird. Die zwei charakteristischen Linien dieses Diagramms beschreiben Beginn und Ende des Austenitzerfalls. Mit sinkender Temperatur wird der Austenit immer instabiler, d. h. die treibende Kraft, die seinen Zerfall bewirkt, wächst. Gleichzeitig nimmt die Diffusionsgeschwindigkeit mit sinkender Temperatur ab, so dass der Austenitzerfall verzögert wird. Daraus ergibt sich der nasenförmige Verlauf der beiden Kurven, der einen Minimalwert der Zerfalldauer bei einer Temperatur zwischen 500 und 600°C angibt. Oberhalb der Nase erfolgt eine Umwandlung des Austenits in fein- oder grobkörniges Perlit. Unterhalb der Temperatur bildet sich Bainit, ein sehr feinkörniges Gefüge aus Ferrit und Zementit, in dem der Zementit nicht wie beim Perlit lamellenförmig, sondern in Form sehr kleiner Partikel ausgeschieden wird. Unterhalb der MS-Temperatur entsteht sofort Martensit, dessen Menge mit sinkender Temperatur zunimmt. C.4.6 Verfestigung von Stählen Die Eigenschaften von Stählen können beeinflusst werden durch: - Kaltverformung (siehe C.4.2) - Wärmebehandlung (Glühen, Härten, Vergüten) - Legieren - 100 C.4.6.1 Glühen der Stähle Erwärmen der Stähle auf eine bestimmte Temperatur; Konstanthalten dieser Temperatur über einen gewissen Zeitraum; dann langsames Abkühlen bis zur Raumtemperatur. Temperatur (°C) 1500 Diffusionsglühen Grobkorntempern γ -MK + S 1200 γ-MK 900 A3-Linie 600 Tempern Fe 3C3C -MK ++Fe γγ-MK Normalglühen A1-Linie Weichglühen Rekristallisationsglühen Spannungsarmglühen Fe3CC α-MK++Fe α-MK 3 300 0 AcmLinie 0 1 2 3 Kohlenstoffgehalt (M.-%) 4 a) Diffusionsglühen: Erwärmen bis in das Gebiet der γ-Eisen-Mischkristalle; Ausgleich von Seigerungen des Kohlenstoffs, Vergröberung der Kornstruktur; reduzierte Festigkeit; erhöhte Plastizität. b) Normalglühen: Erwärmen oberhalb der A3 -bzw. A1-Linie; Ausgleichung von Inhomogenitäten aus Herstellung und Bearbeitung. Bei kurzzeitiger Dauer Erzielung eines feinkörnigen Gefüges, bei langer Dauer Vergröberung der Kornstruktur. Häufig Ausgangspunkt einer weiteren Wärmebehandlung. c) Weichglühen: Erwärmung bis knapp unterhalb der A1-Linie (daher keine Bildung von Austenit), dadurch Bildung eines körnigen Zementits im Perlit, der eine spätere spanabhebende Bearbeitung des Stahles erleichtert. d) Rekristallisationsglühen: (siehe B.3.4) e) Spannungsarmglühen: Erwärmen auf eine Temperatur unterhalb der Rekristallisationstemperatur. Dadurch Reduktion von Eigenspannungen; Absinken der Streckgrenze und der Anfälligkeit zum Sprödbruch. C.4.6.2 Härten der Stähle Erwärmen des Stahles auf Temperaturen oberhalb der A3- bzw. der A1-Linie mit darauffolgendem Abschrecken in Luft, Wasser oder Öl. - 101 Dies führt je nach Abschrecktemperatur und Geschwindigkeit zur Martensitbildung (C.4.5.1) oder zu einem Zwischenstufenzustand (C.4.5.2). Voraussetzung für die Härtbarkeit ist ein ausreichender C-Gehalt. C.4.6.3 Vergüten der Stähle Zugfestigkeit Zugfestigkeit ββZZ [N/mm²] (N/mm²) 1400 1200 Bruchdehnung Bruchdehnung Der Vorgang des Erwärmens eines Stahles mit daraufδδ[%] (%) folgendem Abschrecken (Härten) und einer erneuten Wärmebehandlung (Anlassen) wird als Vergüten bezeichnet. 1000 800 600 400 20 200 10 0 0 0 C.4.6.4 200 400 600 (°C) Anlaßtemperatur Anlasstemperatur [°C] 800 Eine besondere Art der Stahlvergütung ist das Patentieren: Der Stahl wird normalgeglüht, dann in einem Blei- oder Salzbad auf ca. 400°C abgeschreckt und bis zur vollständigen Umwandlung in Perlit und Ferrit auf dieser Temperatur gehalten. Darauf folgt eine langsame Abkühlung an der Luft. Wegen der Bildung eines feinlamellaren Perlitgefüges sind patentierte Stähle besonders zum Kaltziehen geeignet und behalten dabei eine relativ hohe Zähigkeit. Einfluss von Legierungselementen Wichtigste Legierungselemente des Stahles sind Kohlenstoff, Silicium, Mangan und Nickel. P, S, N, O, H werden als Stahlbegleiter bezeichnet. Sie sind meist unerwünscht und können schon in geringer Konzentration (< 0,1 M.- %) zur Versprödung, erhöhter Korrosionsanfälligkeit und mangelnder Schweißeignung des Stahles führen. • Silicium Das Silicium kann auch zu den Stahlbegleitern gezählt werden, da es die Löslichkeit von Gasen in der Schmelze reduziert und auch unlegierten Stählen zur Stahlberuhigung zugegeben wird. Bei Gehalten von > 0,5 M.-% Erhöhung der Streckgrenze, Herabsetzen der Löslichkeit von Kohlenstoff, Reduktion der Schweißbarkeit. • Mangan und Nickel reduzieren die A1-Temperatur und erweitern daher den Bereich, innerhalb dem Austenit stabil ist. Stähle, die auch bei Raumtemperatur vorzugsweise aus Austenit bestehen, werden als austenitische Stähle bezeichnet. • Chrom Cr, Mo, W, Ti erhöhen die A1-Temperatur und erweitern damit das Gebiet des Ferrits (ferritische Stähle). - 102 - C.5 FESTIGKEIT UND BRUCH C.5.1 Zielsetzung und Definitionen Konstruktionen versagen oder verlieren ihre Gebrauchsfähigkeit, durch: - Überschreiten der Festigkeit des verwendeten Werkstoffes (Bruch) - Zu große Verformung der Konstruktion - Mangelnde Dauerhaftigkeit als Folge von Korrosionserscheinungen. Von diesen Versagensarten ist der Bruch am gefährlichsten, da er zum Einsturz des Bauwerkes führen und plötzlich auftreten kann. Erscheinungsformen des Bruches: (a) a) Trennbruch: (b) (c) Bruchfläche senkrecht zur angreifenden Normalspannung b) Schub- oder Scherbruch: Bruchfläche in Richtung der Hauptschubspannung c) Einschnürungsbruch: siehe Abschnitt C.5.4 Transkristalliner Bruch: die Bruchfläche durchläuft verschiedene Körner eines kristallinen Werkstoffes. Interkristalliner Bruch: die Bruchfläche verläuft entlang der Korngrenzen. Zäher Bruch: Der Bruch tritt erst nach deutlich erkennbarer plastischer Verformung des Bauteils ein. Vor dem Bruch bildet sich häufig eine Einschnürung aus. Die Bruchfläche ist meist matt oder faserig. Spröder Bruch: Er tritt ohne oder nur mit sehr geringer plastischer Verformung auf und ist die Folge eines sehr schnell wachsenden Risses (Spaltbruch). Es tritt keine Einschnürung auf, die Bruchflächen sind bei polykristallinen Werkstoffen meist rauh. Übergang vom zähen zum spröden Bruch Vor allem KRZ-Metalle können je nach Temperatur spröde oder zäh zu Bruch gehen. Eine besondere Sprödbruchneigung liegt vor bei: - niederer Temperatur - mehrachsigem Spannungszustand - 103 - C.5.2 Theoretische Zugfestigkeit Beim Bruch einer Probe bilden sich zwei neue Oberflächen. Dazu ist Energie notwendig, die sog. Oberflächenenergie γ: W Z = ∫ σ(a)da σ(k) ∆WZ = Änderung der potentiellen Energie beim Erreichen des Bruches ∆W Z ≈ 2 ⋅ Atomabstand a a0 ∆a ∆a ⋅ β Z 2 Da β ∆a =ε≈ Z a0 E ist ∆a ≈ und ∆W Z ≈ βZ βZ ⋅ a 0 E β 2Z ⋅ a 0 E Beim Bruch ist ∆WZ ≥ die Oberflächenspannung 2.γ, so dass β 2Z ⋅ a 0 = 2⋅γ E und Beispiel: Glas βZ = 2 ⋅ γ ⋅E a0 E ≈ 7.104 N/mm2 γ ≈ 3.10-7 J/mm2 a0 ≈ 2.10-7 mm Theoretische Zugfestigkeit: βZ ≈ 14000 N/mm2 Experimentell bestimmte Zugfestigkeit: βZ ≈ 10 - 50 N/mm2 Die Zugfestigkeit der meisten Realwerkstoffe ist um 2 bis 3 Größenordnungen geringer als die theoretische Zugfestigkeit. Gelingt es jedoch, fehlerfreie Einkristalle herzustellen, so kommt deren Festigkeit der theoretischen Zugfestigkeit nahe. Die Zugfestigkeit von Werkstoffen wird daher in hohem Maß von Werkstofffehlern, z. B. Poren, Kerben, Korngrenzen, etc. beeinflusst. - 104 - C.5.3 Kerben Kerben sind örtlich scharfe Querschnittsveränderungen in einem Zugstab. Wird ein gekerbter Stab mit einer Zugspannung beansprucht, so treten Spannungsspitzen σmax im Kerbgrund auf. F F D σmax σmax Die Nennspannung σm ist die mittlere auf den Restquerschnitt bezogene Kraft F. d σm = b wobei F d⋅b d = Probenbreite an der Kerbe b = Probendicke Formziffer K 2,6 r 2,4 D Die Spannungserhöhung an der Kerbwurzel gegenüber der Nennspannung kann durch die Formziffer K ausgedrückt werden: d 2,2 2,0 d/D ≤ 0,4 0,6 1,8 K= 0,8 mit 0,9 1,6 σmax = Spannung am Kerbgrund 1,4 1,2 1,0 σmax σm 0 0,1 0,2 0,3 r/d 0,4 0,5 0,6 0,7 Sie hängt von der Form und Größe der Probe und der Kerbe sowie von der Bean0,8 spruchungsart ab. Bei zähen Werkstoffen werden aufgrund plastischer Verformungen die Spannungsspitzen am Kerbgrund abgebaut. Sie reduzieren daher die Nennfestigkeit der Werkstoffe nicht. Bei spröden Werkstoffen führen die Spannungsspitzen jedoch zum vorzeitigen Bruch der Probe. Je nach Anfälligkeit eines Werkstoffes gegenüber Kerben unterscheidet man zwischen kerbempfindlichen und kerbunempfindlichen Werkstoffen. Die Kerbanfälligkeit eines Werkstoffes kann, ebenso wie die plastische Verformung, von der Temperatur abhängig sein. Ein Maß hierfür ist die Kerbschlagzähigkeit αk (siehe A.5.1.10). - 105 - C.5.4 Zäher Bruch Kennzeichen des zähen Bruches ist die Einschnürung. Je zäher der Werkstoff, um so deutlicher die Einschnürung. In Vielkristallen entwickelt sich der Bruch in 3 Stadien: (a) (b) a) Bildung von größeren Poren an der Stelle der größten Einschnürung. b) Zusammenschluss einzelner Poren in der Probenmitte. Bildung von Mikrorissen. c) Zusammenschluss der Mikrorisse und Fortpflanzung des Risses bis zur Probenoberfläche in Richtung der Hauptspannung. Bei weniger duktilen Werkstoffen oder bei Druckbeanspruchung kann auch ein Scherbruch unter einem Winkel von 45° gegenüber der äußeren Belastung auftreten. Ursachen der Porenbildung a) Hohe Versetzungsdichte nach plastischer Verformung in der Nähe von Fremdeinflüssen, z. B. Schlacken, Oxide, etc., verursachen örtliche Spannungskonzentrationen bei geringerer Verformbarkeit. Viele Fremdeinschlüsse fördern daher die Poren- bzw. Rissbildung und reduzieren die Zähigkeit des Werkstoffes. b) Porenbildung an den Korngrenzen σ Schubspannung τ Ablösungen an den Korngrenzen führen zu Porenbildung Korngrenze C.5.5 Spröder Bruch – Bruchmechanik C.5.5.1 Einführung Die Bruchmechanik geht von der Vorstellung aus, dass die Zugfestigkeit eines Werkstoffes vor allem von Fehlstellen, Poren, Rissen oder Kerben beeinflusst wird. An den Wurzeln dieser Fehlstellen treten hohe Spannungsspitzen auf, die bei fehlender plastischer Verformbarkeit den frühzeitigen, verformungslosen Bruch des Werkstoffes zur Folge haben Die Bruchmechanik erlaubt es dem entwerfenden Ingenieur abzuschätzen, mit welchen Fehlern ein Werkstoff bzw. eine Konstruktion behaftet sein darf, ohne dass ein Sprödbruch eintritt. - 106 - C.5.5.2 Grundbeziehungen nach Griffith Gegeben sei eine unendliche Scheibe der Dicke d = 1, die an den Rändern durch eine gleichmäßig verteilte Zugspannng σ beansprucht wird. σ 2.c unendliche Scheibe Dicke: d = 1 σ Durch Einfügen eines Risses der Länge 2.c ändert sich die elastische Verformungsenergie um einen Betrag ∆WE: ∆W E= πc 2 σ 2 (ebener Spannungszustand) E (C.1) Zur Bildung der beiden Rissflächen ist die Oberflächenenergie Ws erforderlich: Ws = 2.2.c.γ = 4c.γ wobei (C.2) E = Elastizitätsmodul γ = spez. Oberflächenenergie Wächst der Riss um einen Betrag "dc", wird elastische Verformungsenergie freigesetzt: d( ∆ W E ) 2 ⋅ π ⋅ c ⋅ σ 2 = dc E (C.3) Die dazu erforderliche Oberflächenenergie ist dW S = 4⋅γ dc (C.4) Ein Rissfortschritt tritt dann ein, wenn d( ∆ W E ) dW s ≥ dc dc (C.5) d. h. wenn durch den Rissfortschritt mehr oder genau soviel Energie freigesetzt wird, als zur Bildung der neuen Oberflächen erforderlich ist. Für die Bedingung nach Gl. 5, ist σ → σc = σcrit. und σ crit. = 2 ⋅ γ ⋅E π⋅c (C.6) - 107 C.5.5.3 Erweiterte Form nach Irwin Bei der Rissfortpflanzung wird auch Energie durch plastische Verformungen im Bereich der Risswurzel aufgebraucht: plastische Zone an der Oberfläche einer Probe plastische Zone im Probeninneren Zur Erfassung des plastischen Verformungsanteils erweiterte daher Irwin die Griffith-Beziehung zu: σc = 2 E ⋅ (γ + W p ) π⋅c Wp = "plastic work" = Energieanteil der plastischen Verformung. wobei Mit 2(γ + Wp) = Gc ergibt sich σc = E ⋅ Gc π⋅c (C.7) Gc = "kritische Risserweiterungskraft" wobei Durch Zusammenfassung von E und Gc erhält man: 2 K Ic = G c ⋅ E K Ic und σc = oder K Ic = σ c ⋅ π ⋅ c (C.8) π⋅c (C.9) KIc = Bruchzähigkeit (Dimension N/mm3/2) KIc ist eine Materialkonstante, die aber von der Probendicke abhängig sein kann. Beschränkungen (1) Die Gln. 1 bis 9 gelten für einen Riss in einer unendlichen Scheibe. Bei anderen Körperformen und Rissanordnungen muss Gl. 9 mit einem Faktor F multipliziert werden: K Ic = σ c ⋅ π ⋅ c ⋅ F (2) (C.10) Wegen der unterschiedlichen Größe der plastischen Zone im Probeninnern und an der Probenoberfläche ist bei kleinen Probendicken die Bruchzähigkeit KIc auch von der Probendicke d abhängig. Zur experimentellen Bestimmung von KIc für metallische Werkstoffe muss daher die Bedingung erfüllt sein, dass K d ≥ 2,5 ⋅ Ic βS wobei 2 d = Probendicke KIc = Bruchzähigkeit βs = Streckgrenze (C.11) - 108 - Formwerte bei verschiedenen Probenformen und Rissanordnungen K Ic = σ c ⋅ π ⋅ c ⋅ F1 1 π⋅c cos 2⋅b F1 = 0≤ c ≤ 0,7 b F1 1,8 σ 1,7 1,6 Dicke d 1,5 2c 1,4 σ 1,3 2b 1,2 1,1 1,0 0,9 0 0,1 0,2 0,3 0,4 0,5 0,6 0,7 0,8 c/b K Ic = σ c ⋅ π ⋅ c ⋅ F2 F2 = 0≤ 2 3 4 c c c c ⋅ 1,99 − 0,41 + 18,7 − 38,48 + 53,85 2b 2b 2b 2b π 1 c ≤ 0,6 2b F2 σ 6 5 Dicke d 4 c 3 σ 2 2b 1 0 0 0,1 0,2 0,3 0,4 0,5 0,6 0,7 c/2b c/b F1 ,0000 ,0200 ,0400 ,0600 ,0800 ,1000 ,1200 ,1400 ,1600 ,1800 ,2000 ,2200 ,2400 ,2600 ,2800 ,3000 ,3200 ,3400 ,3600 ,3800 ,4000 ,4200 ,4400 ,4600 ,4800 ,5000 ,5200 ,5400 ,5600 ,5800 ,6000 ,6200 ,6400 ,6600 ,6800 ,7000 ,7200 ,7400 ,7600 ,7800 ,8000 1,0000 1,0002 1,0010 1,0022 1,0040 1,0062 1,0090 1,0123 1,0161 1,0205 1,0254 1,0309 1,0371 1,0438 1,0513 1,0594 1,0685 1,0779 1,0883 1,0996 1,1118 1,1250 1,1392 1,1546 1,1712 1,1892 1,2086 1,2297 1,2525 1,2773 1,3043 1,3338 1,3661 1,4016 1,4407 1,4841 1,5325 1,5868 1,6482 1,7182 1,7989 c/2b F2 ,0000 ,0200 ,0400 ,0600 ,0800 ,1000 ,1200 ,1400 ,1600 ,1800 ,2000 ,2200 ,2400 ,2600 ,2800 ,3000 ,3200 ,3400 ,3600 ,3800 ,4000 ,4200 ,4400 ,4600 ,4800 ,5000 ,5200 ,5400 ,5600 ,5800 ,6000 ,6200 ,6400 ,6600 ,6800 ,7000 1,1222 1,1227 1,1291 1,1425 1,1519 1,1864 1,2157 1,2492 1,2868 1,3282 1,3734 1,4225 1,4756 1,5331 1,5953 1,6628 1,7363 1,8164 1,9042 2,0005 2,1066 2,2236 2,3529 2,4959 2,6543 2,8298 3,0241 3,2391 3,4770 3,7400 4,0302 4,3501 4,7022 5,0891 5,5136 5,9786 - 109 - K Ic = σ c ⋅ π ⋅ c ⋅ F3 0≤ F 3= πc πc 2b 1 ⋅ ⋅ tan + 0,1⋅ sin c 2b b π c ≤ 0,7 b F3 σ 1,6 1,5 1,4 c c 1,3 σ 1,2 2b 1,1 1,0 0 0,1 0,2 0,3 K Ic = σ c ⋅ c 0,4 0,5 0,6 0,7 0,8 c/b π ⋅ F4 4 D F4 = 1,72 ⋅ − 1,27 d d 0,5 ≤ ≤ 0,8 D F4 3,0 σ 2,0 D s 30° - 60° d 1,0 c σ 0 1,0 1,25 1,5 1,75 2,0 2,25 D/d c/b F3 ,0200 ,0400 ,0600 ,0800 ,1000 ,1200 ,1400 ,1600 ,1800 ,2000 ,2200 ,2400 ,2600 ,2800 ,3000 ,3200 ,3400 ,3600 ,3800 ,4000 ,4200 ,4400 ,4600 ,4800 ,5000 ,5200 ,5400 ,5600 ,5800 ,6000 ,6200 ,6400 ,6600 ,6800 ,7000 ,7200 ,7400 ,7600 ,7800 ,8000 1,0955 1,0958 1,0963 1,0969 1,0977 1,0988 1,1000 1,1015 1,1032 1,1051 1,1074 1,1099 1,1127 1,1158 1,1193 1,1232 1,1276 1,1324 1,1377 1,1435 1,1500 1,1572 1,1651 1,1738 1,1835 1,1941 1,2059 1,2190 1,2334 1,2495 1,2674 1,2874 1,3098 1,3349 1,3633 1,3954 1,4320 1,4741 1,5228 1,5798 D/d F4 1,0000 1,0500 1,1000 1,1500 1,2000 1,2500 1,3000 1,3500 1,4000 1,4500 1,5000 1,5500 1,6000 1,6500 1,7000 1,7500 1,8000 1,8500 1,9000 1,9500 2,0000 2,0500 2,1000 2,1500 2,2000 2,2500 ,4500 ,5360 ,6220 ,7080 ,7940 ,8800 ,9660 1,0520 1,1380 1,2240 1,3100 1,3960 1,4820 1,5680 1,6540 1,7400 1,8260 1,9120 1,9980 2,0840 2,1700 2,2560 2,3420 2,4280 2,5140 2,6000 - 110 - C.5.5.4 Einflüsse auf die Bruchzähigkeit KIc Die Bruchzähigkeit eines Werkstoffes hängt ab von seiner - Zusammensetzung und Mikrostruktur - Wärmebehandlung - Verformungszustand - Temperatur und kann in weiten Grenzen streuen. Die Bruchzähigkeit muss daher im Bedarfsfall experimentell bestimmt werden. Typische Beispiele: Werkstoff S235JRG1 E335 Al Cu Mg Al Zn Mg Cu 1,5 Ti 6Al 4V Streckgrenze Zugfestigkeit [N/mm2] ca. 240 ca. 340 450 500 900 [N/mm2] ca. 370 ca. 600 500 580 1000 800 βS 4000 600 3000 KIc 2000 400 1000 0 -150 4000 - 5500 3000 - 4500 900 950 2750 β S [N/mm²] 3/2 KIc [N/mm ] 5000 KIc [N/mm3/2] -100 -50 0 +50 Temperatur [°C] 200 +100 Beispiel für den Temperatureinfluss auf die Eigenschaften eines Druckbehälterstahles - 111 - C.5.6 Verhalten bei wiederholter Belastung – Ermüdung C.5.6.1 Definitionen Beanspruchungsfälle bei Dauerschwingversuchen reine Druckschwellbeanspruchung Zug ++σ σ Druckwechsel reine Wechselbeanspruchung reine Zugschwellbeanspruchung Zugwechsel Zeit --σσ Druck Bezeichnung der Spannungen σ σo = Oberspannung σu = Unterspannung σa σo + σ u 2 spannung σm = σm σo σu σo − σ u 2 nungsamplitude σa = t = Mittel- = Span- Zeitschwingfestigkeit: Größte Oberspannung bzw. Spannungsamplitude, die der Werkstoff für eine bestimmte Anzahl von Lastwechseln ertragen kann. Betriebsfestigkeit, βBe: Lebensdauer eines Werkstoffes, der durch eine in gesetzmäßiger oder zufälliger Folge veränderliche Schwingbreite beansprucht wird. Wechselfestigkeit, βWe: Größte Spannungsamplitude, die der Werkstoff unendlich oft ertragen kann, wenn σm = 0. Dauerschwingfestigkeit βD: Größte Oberspannung bzw. Spannungsamplitude, die der Werkstoff unendlich oft ertragen kann. C.5.6.2 Wichtige Einflussparameter Beanspruchung: Die Anzahl der Lastspiele zum Bruch N nimmt ab mit: - steigender Mittelspannung σm - steigender Spannungsamplitude σa Aggressive Medien, welche eine Korrosion des beanspruchten Werkstoffes fördern, reduzieren die Anzahl der Lastspiele bis zum Bruch. - 112 - Werkstoffeigenschaften: Eine Anhebung der Streckgrenze von Metallen, z. B. durch Kaltverformung, führt zu keiner wesentlichen Erhöhung der Dauerfestigkeit. Die Dauerfestigkeit zäher Werkstoffe wird durch Kerben wesentlich herabgesetzt. Bei spröden Werkstoffen wirken sich Kerben auf die Dauerfestigkeit dagegen wenig aus. Spröde und rauhe Oberflächenschichten verringern die Dauerfestigkeit eines Werkstoffes. Glatte, duktile Überzüge können die Dauerfestigkeit erhöhen. C.5.6.3 Darstellung des Ermüdungsverhaltens von Werkstoffen Wöhler-Linien: Zusammenhang zwischen Anzahl der Lastspiele bis zum Bruch, N und σa bzw. σO, falls σm oder σu konstant sind. Beispiel von Wöhler-Linien eines S235JRG1 (USt 37) siehe A.5.1.8. Werkstoffe mit definierter Dauerfestigkeit Werkstoffe ohne definierte Dauerfestigkeit σa σa βstat βD σm = const. σm = const. log n Smith-Diagramm: log n Darstellung der Kombinationen von σm, σa, σo, σu, die für einen Werkstoff nach einer bestimmten Anzahl von Lastspielen N einen Ermüdungsbruch verursachen: σ βZ Grenzlinie βBeo βS βBeo1 σa1 βWe σm1 σm1 -βWe N = konstant σa2 σm2 σm2 βS βZ Grenzlinie βBeu σm - 113 - β − β We βBeo = β We + σ m ⋅ Z βZ β = β We + σ m ⋅ 1 − We βZ für βWe < βBeo < βS βBeo = σm + σa; σa = βBeo - σm σ σa = β We ⋅ 1 − m βZ σ a = β We oder Goodman - Beziehung σ 2 ⋅ 1 − m β Z Gerber - Beziehung Beispiel für einen S235JRG1 (USt37) und N → ∞: σ N σ a = 120 ⋅ 1 − m 2 370 mm (Goodman) N für βBeo < β S = 220 oder σ 2 N σ a = 120 ⋅ 1 − m 2 370 mm mm 2 (Gerber) σ [N/mm²] 400 300 für N → ∞ βS = 220 200 Gerber-Beziehung Goodman-Beziehung βWe = 120 100 0 100 200 300 400 σm -100 Beachte: Die Ermüdungsfestigkeit von Werkstoffen ist meist großen Streuungen unterworfen. Daher werden häufig Wöhler-Linien für bestimmte Versagenswahrscheinlichkeiten angegeben. - 114 Spannungsamplitude [N/mm²] 390 380 370 360 Versagenswahrscheinlichkeit 350 340 330 320 95 %-Quantile 310 50 % (Mittelwert) 300 5 %-Quantile 290 280 106 105 C.5.6.4 107 Bruchlastspielzahl N Abschätzung der Zeitfestigkeit von Baukonstruktionen Während eines Dauerschwingversuches im Labor werden Spannungsamplitude und Mittelspannung meist konstant gehalten. In einer Baukonstruktion dagegen können Mittelspannung und Spannungsamplitude in weiten Grenzen schwanken. Das zu erwartende Ermüdungsverhalten kann aus einfachen Laborversuchen mit Hilfe der Palmgren-Miner-Regel abgeschätzt werden. Danach tritt der Bruch ein, wenn ∑ wobei ni =1 Ni ni = Anzahl der Lastspiele mit σmi und σai, die auf das Bauwerk einwirken Ni = Anzahl der Lastspiele, die bei σmi und σai = const. zum Bruch führen. Beispiel: Last σa2 N1 = Anzahl der Lastspiele, die bei σm1 und σa1 = const. den Bruch zur Folge haben N2 = Anzahl der Lastspiele, die bei σm2 und σa2 = const. den Bruch zur Folge haben σm2 σa1 σm1 n1 n2 Zeit Wenn n1 < N1 und n2 < N2, so tritt bei der dargestellten kombinierten Beanspruchung der Bruch ein, wenn n1 n 2 + =1 N1 N2 - 115 - C.5.6.5 Bruchvorgang bei Dauerschwingbeanspruchung Bei einer Dauerschwingbeanspruchung metallischer Werkstoffe sind die aufgebrachten Spannungen meist wesentlich kleiner als die Streckgrenze des Werkstoffes. Der Ermüdungsbruch ist daher verformungsarm und tritt ohne Vorankündigung ein. Ein Ermüdungsbruch nimmt seinen Ausgang an einer örtlichen Fehlstelle c. Ausgehend von dieser Fehl3 stelle stellen sich langsames Risswachstum und damit eine fortlaufende Querschnittsverminderung ein d. Ist diese so groß, dass der Restquerschnitt die aufgebrachte Belastung nicht mehr ertragen kann, kommt es zum plötzlichen Bruch e. 2 1 C.5.7 Bruchverhalten bei mehrachsiger Beanspruchung In Bauwerken sind Werkstoffe häufig einer mehrachsigen Beanspruchung unterworfen. Festigkeit und Verformungsverhalten von Werkstoffen bei mehrachsiger Beanspruchung können mit Hilfe von Bruch- bzw. Fließkriterien aus dem bekannten Verhalten bei einachsiger Beanspruchung abgeschätzt werden. M C.5.7.1 Mohr'scher Spannungskreis σy τyx τxy An einem Element greifen die Spannungen σx, σy, τxy und τyx an, wobei τxy = τyx. σx σx τxy τyx σy σ1 σx φ σ2 τxy τyx tg2φ = σy 2 ⋅ τ xy σx − σy σ1;σ 2 = σx + σy 2 σx − σy ± 2 σx − σy σ − σ2 τ max = 1 = 2 2 2 + τ xy 2 2 + τ xy 2 In den Schnittflächen φ bzw. φ + 90° durch das Element wirken nur Normalspannungen σ1 bzw. σ2. - 116 Die Spannungen σ1 und σ2 sind Hauptspannungen. Sie stellen die maximalen bzw. die minimalen Normalspannungen dar, die in einer Schnittfläche des Elementes wirken. Der Zusammenhang zwischen σ1, σ2, τmax, σx, σy, τxy und φ kann durch den sog. Mohr'schen Spannungskreis grafisch dargestellt werden (Ableitung siehe Technische Mechanik II). τ σy +τxy σx 2φ τmax = (σ1 - σ2)/2 σ -τxy σ2 (σ1 + σ2)/2 σ1 C.5.7.2 Mohr'sche Spannungskreise für verschiedene Spannungszustände Bei einem räumlichen Spannungszustand können für jede Hauptebene Mohr'sche Spannungskreise angegeben werden. Definitionsgemäß sind die Hauptspannungen σ1 > σ2 > σ3 Einachsiger Druck und einachsiger Zug: Druck Zug τ σ3 σ1 σ3 σ1 τmax −σ +σ σ3 σ1 σ1 = σ2 = 0 τmax = σ1/2 bzw. σ3/2 2φ = 90°; φ = 45° σ2 = σ3 = 0 Reiner Schub oder Torsion σ1 = τmax τ τmax −σ für φ = 45°: σ2 σ2 = -τmax σ1 +σ τ für φ = 0°: τ - 117 Zweiachsiger Druck und zweiachsiger Zug τ σ1 σ2 −σ +σ σ3 σ3 σ2 σ2 σ1 σ2 σ2 σ2 σ3 σ1 Zweiachsiger Druck - Zug τ σ1 −σ +σ σ3 σ3 σ1 σ3 σ1 σ2 = 0 Dreiachsige Spannungszustände τ σ1 −σ +σ σ2 σ3 σ2 σ3 σ3 σ2 σ1 σ1 C.5.7.3 Bruch- und Fließbedingungen Bruchbedingung: Kriterium für das Eintreten des Bruches (Erreichen der Festigkeit) Fließbedingung: Kriterium für das Eintreten des Fließens C.5.7.3.1 Hypothese der maximalen Normalspannung Annahme, dass Fließen dann eintritt, sobald die Spannung in einer der Hauptrichtungen einen Grenzwert erreicht: σ1 = β S - 118 C.5.7.3.2 Hypothese der maximalen Dehnungen Annahme, dass Fließen dann eintritt, sobald die Dehnung in einer Hauptrichtung einen Grenzwert erreicht. Bei linear-elastischem Verhalten ist die Dehnung ε1 in Richtung der Hauptspannung σ1: ε1 = wobei 1 ⋅ [σ1 − ν ⋅ (σ 2 + σ 3 )] E E = Elastizitätsmodul ν = Poisson'sche Zahl Bei einachsiger Belastung tritt Fließen ein, wenn ε1 = βS E Das Fließkriterium bei mehrachsiger Beanspruchung ist daher βS 1 = ⋅ [σ1 − ν ⋅ (σ 2 + σ 3 )] E E σ1 = βS + ν.(σ2 + σ3) C.5.7.3.3 Hypothese der maximalen Schubspannung (Treska-Bedingung) Annahme, dass Fließen dann eintritt, wenn in einer Ebene die Schubspannung einen Grenzwert erreicht: τmax = wobei σ1 − σ 3 2 σ1 ≥ σ2 ≥ σ3 Bestimmung von τmax aus dem Verhalten bei einachsiger Beanspruchung für σ1 = βS; σ2 = σ3 = 0. τmax = σ1 β S = 2 2 Die Fließbedingung bei mehrachsiger Beanspruchung ist daher: τmax = β S σ1 − σ 3 = 2 2 σ3 Fließen tritt ein, wenn σ2 σ1 - σ3 = β S σ1 = β S + σ3 Beachte: σ1 Nach der Treska-Bedingung hat die mittlere Hauptspannung σ2 keinen Einfluss auf die erreichbare Maximalspannung - 119 - C.5.7.3.4 Gestaltänderungsarbeitshypothese (Huber - v. Mises-Bedingung) Annahme, dass Fließen eintritt, sobald die spezifische Gestaltänderungsarbeit einen Grenzwert erreicht. Die spezifische Gestaltänderungsarbeit Wd ist ein Maß für die Verzerrung der Form eines Körpers bei mehrachsiger Beanspruchung. Sie ist die Differenz zwischen der gesamten Verformungsenergie und der Verformungsenergie bei hydrostatischer Beanspruchung mit der Spannung σ1 + σ 2 + σ 3 3 ' σ1 = σ3 σ‘1 σ2 σ3 - σ’1 σ2 - σ’1 σ‘1 ≡ + σ1 σ‘1 σ1 - σ’1 Wd = 1+ ν ⋅ [(σ1 − σ 2 ) 2 + (σ 2 − σ 3 ) 2 + (σ 3 − σ1 ) 2 ] 6 ⋅E Bei einachsiger Zugbelastung tritt Fließen ein, wenn σ1 = βS; σ2 = σ3 = 0. Dann ist Wd = 1+ ν 2 ⋅ βS 3 ⋅E Die Fließbedingung bei mehrachsiger Beanspruchung ist daher 1+ ν 1+ ν 2 ⋅ βS = ⋅ [( σ1 − σ 2 ) 2 + (σ 2 − σ 3 ) 2 + (σ1 − σ 3 )2 ] 3 ⋅E 6 ⋅E oder (σ1 - σ2)2 + (σ2 - σ3)2 + (σ1 - σ3)2 = 2.βS2 Mit σ V = (σ1 − σ2 )2 + (σ 2 − σ3 )2 + (σ1 − σ3 )2 gilt als Fließbedingung: σ V = 2 ⋅ βS Dieselbe Beziehung kann auch durch eine andere, einfache Überlegung veranschaulicht werden: Fließvorgänge werden oft durch Gleiten bestimmter Ebenen eingeleitet. Der Beginn des Fließens muss dann von der Größe τmax abhängen. Bei hydrostatischer Beanspruchung ist: σ1 = σ2 = σ3 und τmax = 0 - 120 - Es wird nun angenommen, das Fließen trete um so eher ein, je mehr der tatsächliche Spannungszustand vom hydrostatischen Spannungszustand σ1 = σ2 = σ3 abweicht. σ2 r βs r βs σ1 βs σ3 Fließen tritt also ein, sobald der Spannungszustand auf einer Oberfläche liegt, die einen bestimmten Abstand r von der Raumdiagonalen σ1 = σ2 = σ3 hat. Kann diese Oberfläche durch einen Zylinder dargestellt werden, folgt sie der Beziehung (σ1 - σ2)2 + (σ2 - σ3)2 + (σ1 - σ3)2 = 3.r2 Ermittlung von r aus dem Verhalten bei einachsiger Beanspruchung: Für σ1 = βS; σ2 = σ3= 0 ist βS2 + 0 + βS2 = 3⋅r2 ⇒ 2.βS2 = 3⋅r2 Die Fließbedingung bei mehrachsiger Beanspruchung lautet dann: 1 2 C.5.7.3.5 ⋅ ( σ1 − σ 2 ) 2 + ( σ 2 − σ 3 ) 2 + ( σ1 − σ 3 ) 2 = β s Mohr'sche Bruchhypothese Annahme, dass Fließen eintritt, wenn in einer Ebene die maximale Schubspannung einen Wert überschreitet, der von der Normalspannung abhängt, die senkrecht zu dieser Ebene wirkt: τmax = f(σ) τ τ0 -σ (Druck) +σ (Zug) Der Bruch tritt daher ein, sobald der für eine bestimmte Beanspruchung ungünstigste Spannungszustand die Einhüllende berührt. Ist diese Einhüllende eine Gerade, dann gilt τmax = τ0 + k.σ (Mohr-Coulomb) - 121 - C.5.7.3.6 Anwendung auf das Verhalten metallischer Werkstoffe Metallische Werkstoffe folgen meist der v. Mises-Bedingung. Die Treska-Bedingung liefert gute Näherungswerte: Zweiachsige Spannungszustände: +σ2 βS Treska v. Mises σ12 - σ1σ2 + σ22 = βS2 -σ1 +σ1 -σ2 Dreiachsige Spannungszustände: σ1 3βS 2βS σ1 = βS + σ2;3 Beanspruchung: σ1 σ2 = σ3 βS σ2 = σ3 Diese Beziehung gilt sowohl für die v. Mises- als auch für die Treska-Bedingung. - 122 - C.6 KORROSION UND KORROSIONSSCHUTZ VON METALLEN C.6.1 Allgemeines Korrosion ist die Zerstörung eines Werkstoffes durch chemische und elektrochemische Reaktionen mit seiner Umgebung oder durch physikalischen Angriff. Alle Werkstoffe des Bauwesens, Metalle, Beton, Ziegel, Kunststoffe, Gläser oder Holz können durch Korrosion zerstört werden. Schon aus Wirtschaftlichkeitsgründen ist es daher unabdingbar, bereits beim Entwurf eines Bauwerkes Fragen der Korrosion und des Korrosionsschutzes zu berücksichtigen. C.6.2 Elektrochemische Vorgänge C.6.2.1 Warum korrodieren Metalle? Die meisten Metalle kommen in der Natur nicht in reiner Form vor, sondern als Hydroxide oder Oxide. Durch Austreiben des Wassers bzw. des Sauerstoffes während der Verhüttung werden sie auf ein höheres Energieniveau gebracht: Beispiel Eisen: Fe2O3 + 3.C + Energie → 2.Fe + 3.CO (Roteisenerz) Eisen hat daher das Bestreben, diese Energie wieder abzugeben. Dies ist die treibende Kraft für den Korrosionsvorgang. Für eine Energiebetrachtung gilt: 4.Fe + 3.O2 → 2.Fe2O3 + 1117,5 kJ/mol Steht ein Metall mit einer leitenden Flüssigkeit (Elektrolyt) in Verbindung, so hat es die Tendenz, sich in Ionen aufzulösen. Dieser Vorgang wird als Oxidation bezeichnet. Allgemein gilt für ein n-wertiges Metall M: M → Mn+ + n.eam Beispiel des Eisens: Fe → Fe2+ + 2.eDie frei werdenden Elektronen sammeln sich an der Oberfläche des Metalls. Je größer die Neigung des Metalls zur Bildung von Ionen, desto größer ist die Ladung an der Oberfläche. Befinden sich zwei verschiedene Metalle mit verschiedener Neigung zur Oxidation in einer leitenden Flüssigkeit, so besteht zwischen beiden Metallen ein Potentialunterschied. Verbindet man beide Metalle oder Elektroden leitend miteinander, so entsteht ein Elektronenfluss in Richtung des Potentialgefälles. Die Elektrode, von welcher der Stromfluss ausgeht, wird als Anode bezeichnet, die andere als Kathode. Die Anreicherung von Elektronen an der Kathode kann zu verschiedenen Reaktionen führen, die in den folgenden Abschnitten beschrieben sind. An der Anode gehen Metallionen in Lösung. Das Metall korrodiert. Durch Reaktionen der Metallionen in der Lösung entstehen Korrosionsprodukte. Diese Vorgänge hängen also von der Bildung eines sog. Lokalelementes ab, das entsteht, wenn beim Vorhandensein eines Elektrolyten zwei unterschiedliche Metalle leitfähig miteinander verbunden sind. Welches der beiden Metalle die größere Neigung zur Auflösung in Ionen hat und damit zur Anode wird, hängt von der Stellung der Metalle in der elektrolytischen Spannungsreihe ab. Die elektrolytische Spannungsreihe gibt das Potential einer Metallelektrode gegenüber einer Wasserstoffelektrode an. - 123 Elektrodenpotential in Volt bei 25°C in molarer Lösung der Metallionen Li+ K+ Na+ Mg2+ Al3+ Zn2+ Cr3+ Fe2+ Ni2+ Pb2+ H+ Cu2+ Ag+ Pt2+ Au3+ disch - 3,05 - 2,93 - 2,71 - 2,36 - 1,67 - 0,76 - 0,74 - 0,44 - 0,25 - 0,13 ± 0,000 + 0,34 + 0,80 + 1,20 + 1,50 anodisch katho- Je tiefer das betrachtete Metall in der elektrolytischen Spannungsreihe steht, um so edler ist es, bzw. um so geringer ist seine Tendenz, sich in Ionen aufzulösen. C.6.2.2 Korrosionsformen Je nach Art der Kathodenreaktion unterscheidet man zwischen Wasserstoff- und Sauerstoffkorrosion. C.6.2.2.1 Wasserstoffkorrosion Bei diesem Vorgang nimmt der Wasserstoff die freien Elektronen auf: H+ M+ H2 Anode Kathode e- Anodenreaktion: M → Mn+ + n.eKathodenreaktion: 2.e- + 2.H+ → H2 Dieser Korrosionsvorgang führt zu einer gleichmäßigen, u.U. restlosen Auflösung des unedlen Metalls bzw. zu einer Sättigung des Elektrolyten mit M+-Ionen. C.6.2.2.2 Sauerstoffkorrosion Bei diesem Vorgang nimmt der Sauerstoff die freien Elektronen auf. Anodenreaktion: M → Mn+ + n.e- Kathodenreaktion: O2 + 2.H2O + 4.e- → 4.(OH)- (basisch) oder O2 + 4.H+ + 4.e- → 2.H2O (sauer) - 124 Beispiel: Wassertropfenkorrosion des Eisens O2 OH- Rostring WASSERTROPFEN Fe2+ Kathode e- Anode a) Sauerstoff O2 dringt aus der Luft in den Wassertropfen. In der Nähe der Oberfläche des Wassertropfens ist die O2-Konzentration hoch, es entsteht weißer Rost. 2.Fe + O2 + 2.H2O → 2.Fe(OH)2 b) Da die Rosthaut edler als die noch blanke Metalloberfläche ist, liegt ein Lokalelement vor, dessen Kathode die angerostete Oberfläche, dessen Anode das noch blanke Metall ist. c) An der Anode gehen Fe2+-Ionen in Lösung, während die freien Elektronen zur Rosthaut fließen: Fe → Fe2+ + 2.ed) Kathodenreaktion: 2.H2O + O2 + 4.e- → 4.(OH)e) Bildung eines Rostringes: Fe2+ + 2.(OH)- → Fe(OH)2 C.6.2.3 Geschwindigkeit des Korrosionsablaufs Die Geschwindigkeit des Korrosionsablaufes hängt nicht nur ab von der Geschwindigkeit der Metallauflösung an der Anode, sondern auch von der Geschwindigkeit der Kathodenreaktion: oder 2.H+ + 2.e- → H2 2.H2O + O2 + 4.e- → 4.(OH)- Die Geschwindigkeit der Kathodenreaktion ist von der Konzentration an H-Ionen oder an Sauerstoff im Elektrolyten abhängig. Die H+-Ionen-Konzentration wird durch den pH-Wert beschrieben, der den negativen Logarithmus der H-IonenKonzentration angibt: Neutrale Lösung: pH = 7 Saure Lösung: pH < 7 Basische Lösung: pH > 7 In einem sauren Elektrolyten ist die Wasserstoffionenkonzentration hoch, so dass nur die Wasserstoffkorrosion von Bedeutung ist. Die Reaktion verläuft um so schneller, je niedriger der pH-Wert ist. In neutralen oder basischen Lösungen ist die Wasserstoffionenkonzentration gering, so dass Sauerstoffkorrosion überwiegt, wobei die Geschwindigkeit des Korrosionsvorganges von der Konzentration von O2 abhängt. - 125 - Je nach pH-Wert des Elektrolyten kann sich an der Metalloberfläche eine Passivschicht ausbilden, die, wenn sie porenfrei und dicht ist, die Auflösung des Metalls in Ionen und damit Korrosion verhindert. Beim Eisen führt folgende Reaktion zur Bildung einer Passivschicht: 2Fe2+ + 3H2O → Fe2O3 + 6H+ + 2eIm Pourbaix-Diagramm können die Bedingungen abgegrenzt werden, unter denen für ein gegebenes Metall in einer wässrigen Lösung Korrosion, Korrosionsbeständigkeit oder Passivierung zu erwarten sind. In diesem Diagramm wird das Elektrodenpotential E in Abhängigkeit vom pH-Wert aufgetragen. Elektrodenpotential E in Volt +1,2 +0,8 II Passivierung Fe2O3 +0,4 I Korrosion (Fe2+) +/- 0 -0,4 -0,8 III Korrosionsbeständigkeit (Fe) -1,2 -1,6 IV Korrosion FeO(OH) 0 2 4 6 8 pH-Wert der Lösung 10 12 14 Vereinfachtes Pourbaix-Diagramm bei 25°C für Eisen in wässriger Lösung Bereich I: Aktive Korrosion unter Bildung von Fe2+-Ionen Bereich II: Passivierung durch Bildung einer Passivschicht aus Eisenoxid Fe2O3 Bereich III: Korrosionsbeständigkeit (kathodischer Schutz) Bereich IV: Korrosion unter Bildung von FeO(OH) (bei Raumtemperatur verläuft dieser Vorgang sehr langsam) C.6.2.4 Entstehung von Lokalelementen Lokalelemente sind Voraussetzung zum Auftreten elektrolytischer Korrosion. Sie können unter folgenden Bedingungen entstehen: a) Wenn Elemente mit unterschiedlichem Potential in Kontakt stehen (Kontaktkorrosion). Dabei löst sich der an die Kathode angrenzende Bereich der Anode am schnellsten auf, so dass die Ausbildung einer Kerbe möglich ist. b) Bei Legierungen, die aus Phasen mit unterschiedlichem Potential bestehen oder bei denen durch Kristallfehler oder Konzentrationsunterschiede der Legierungselemente örtliche Energieunterschiede vorliegen. c) Als Folge einer unterschiedlichen Sauerstoffkonzentration in verschiedenen Bereichen einer Metalloberfläche, z. B. Wassertropfenkorrosion (siehe Abschnitt C.6.2.2.2, Spaltkorrosion) d) Örtliche Zerstörung oder Fehlstellen in einer korrosionsschützenden Deckschicht (Lochfraß). e) Zerstörung der Passivschicht durch Chloride, Bromide oder Jodide. - 126 Mit atmosphärischer Korrosion bezeichnet man Korrosionserscheinungen, die bei Lagerung von Metallen im Freien bei normaler Temperatur auftreten können. Bei Luftfeuchtigkeiten oberhalb 60 bis 70 % wird ein Elektrolyt gebildet durch a) eine adsorbierte Wasserschicht ausreichender Dicke, b) Kondensation von Wasser an Metalloberflächen, die kälter als die Umgebungstemperatur sind (Taubildung). Der Taupunkt kann durch Verunreinigungen der Luft oder der Metalloberfläche erhöht werden. C.6.2.5 Spannungsrisskorrosion Dies ist eine inter- oder transkristalline Rissbildung in metallischen Werkstoffen bei gleichzeitiger Einwirkung einer Zugspannung und eines korrodierenden Mediums. Die Gefahr dieser Korrosionsart liegt darin, dass ohne deutlich sichtbare Schädigung und Verformung ein Sprödbruch eintreten kann. Spannungsrisskorrosion setzt voraus, dass - der Werkstoff gegen die Beanspruchung empfindlich ist ein Korrosionsmittel vorliegt Zugspannungen einwirken. Korrosionsmittel sind z. B. Nitrate oder Chloride, welche die Passivschicht der Metalloberfläche örtlich zerstören. Es entstehen ein Lokalelement und örtliche Korrosion, welche Ausgangspunkt eines sich unter Zugspannungen fortpflanzenden Risses sein kann. C.6.2.6 Wasserstoffversprödung Die Wasserstoffversprödung ist die Folge einer kathodischen Reaktion. Bei der Wasserstoffkorrosion tritt an der Kathode folgende Reaktion auf: 2.H+ + 2.e- → H2 Die Bildung des molekularen Wasserstoffes kann aber durch sog. Katalysatorgifte, z. B. Sulfide und Cyanide, unterbunden werden. Dann können die sehr kleinen HAtome in das Kristallgitter des Metalls eindringen und sich dort zu H2-Molekülen verbinden. Dadurch entstehen hohe Gasdrücke und eine Verzerrung des Gittersystems. Folge: Steht der Werkstoff unter Zugspannungen, kann ein Sprödbruch ohne Vorwarnung eintreten. C.6.3 Korrosionsschutz C.6.3.1 Korrosionsfördernde Bedingungen Korrosion tritt vor allen Dingen bei der Erfüllung aller oder mehrerer der im folgenden genannten Bedingungen ein: - - korrosionsanfälliger Werkstoff (hohe Tendenz zu Ionenbildung) Vorhandensein eines Elektrolyten korrosionsfördernde Eigenschaften des Elektrolyten: Niedriger pH-Wert Ungleicher Sauerstoffgehalt im Elektrolyten Anwesenheit korrosionsfördernder Substanzen Bildung eines Lokalelementes in einem Elektrolyten anodische Polarisierung: Erhöhte Metallauflösung kathodische Polarisierung: Gefahr der Wasserstoffversprödung Aufgabe des Korrosionsschutzes ist es, diese Bedingungen zu vermeiden oder ihre Wirkung zu verringern. Grundsätzlich baut der Korrosionsschutz auf einem oder mehreren der folgenden Verfahren auf: Verhinderung der Lokalelementbildung z. B. durch Vermeidung des Kontaktes zwischen ungleichen Metallen; Ausbildung oder Schutz einer Passivschicht; Behinderung der O2-Zufuhr oder des Eindringens korrodierender Medien. - 127 - C.6.3.2 - Konstruktive Maßnahmen Vermeidung von Wassersäcken geneigte und glatte Flächen, die möglichst trocken und staubfrei bleiben Vermeiden von Schwitzwasserbildung durch Isolierung Belüften von Spalten Isolierung zwischen verschiedenen Metallen, die sich sonst berühren C.6.3.3 Passivierung Vor allem bei höheren pH-Werten kann sich an der Oberfläche eines Metalles beim Vorhandensein von Sauerstoff eine Oxidschicht bilden, die das Metall vor dem Angriff des korrodierenden Mediums schützt, (siehe C.6.2.3). Voraussetzung hierfür ist ein ausreichend hoher pH-Wert. Diese Bedingung ist z. B. für einen im Beton eingebetteten Stahl gegeben. Das im Beton enthaltene Porenwasser ist alkalisch und hat eine pH-Wert von 12,6. Nach dem Pourbaix-Diagramm (C.6.2.3) sind dann die Bedingungen zur Stahlpassivierung gegeben. Der Korrosionsschutz liegt jedoch nicht mehr vor, wenn der pHWert des Betons abfällt oder die Passivität des Stahles auf andere Weise beeinflusst wird. Hierzu einige Beispiele: - Große Fehlstellen im Beton, die sich mit Wasser mit niederem pH-Wert füllen können - Karbonatisierung des Betons: Dringt aus der Luft Kohlendioxid in den Beton ein, so kann es mit Hydratationsprodukten des Zementsteins z. B. wie folgt reagieren: Ca(OH)2 + CO2 →CaCO3 + H2O Dieser Vorgang bewirkt eine wesentliche Reduktion des pH-Wertes des Porenwassers. - In der Nähe von Rissen kann der eingebettete Stahl der freien, u.U. sauren Atmosphäre ausgesetzt sein - Unter bestimmten Bedingungen im Beton enthaltene Chloride oder Nitrate zerstören die Passivschicht - Bestimmte Zemente führen zur Entstehung von Sulfiden, welche als Katalysatorgifte die Bildung molekularen Wasserstoffes verhindern. Die schützende Wirkung des Betons gegenüber eingebettetem Stahl kann wie folgt gesichert werden: - ausreichende Betonüberdeckung - Herstellung eines dichten Betons, der das Eindringen von CO2 und anderer korrodierender Medien klein hält - Kontrolle der im Gebrauchszustand zulässigen Rissbreiten - Vermeidung von Komponenten im Beton, welche Chloride oder Nitrate enthalten oder welche zur Bildung von Sulfiden führen. C.6.3.4 C.6.3.4.1 Werkstoffauswahl Stähle Die Widerstandsfähigkeit von Stählen gegen Korrosion sinkt mit steigendem Gehalt an Schwefel und zunehmender Kaltverformung. Sie hängt auch von der Art des Vergütens ab. Durch Legierungszugaben (Cu; Si; Cr; Ni; Mo) kann der Korrosionswiderstand erhöht werden. Bei Chrom-Nickel- oder Chrom-Nickel-Molybdänstählen bildet sich - 128 eine Passivschicht durch das Chrom (Cr-Gehalt > 12 %). Voraussetzung für einen wirksamen Korrosionsschutz ist eine glatte und entzunderte Oberfläche. Bezeichnung Kurzbe- DIN 17006 zeichnung Legierungselemente in M.-% C Cr Ni Verwendung Mo βS βZ Bruch- N/mm² N/mm² dehnung % x8 Cr 17 rostfrei 17 0,10 15,5-17,5 - - innen 300 500 x12 CrNi 18/8 rostfrei 18/8 0,12 17-19 8-10 - innen und aus- 220 600 x5 CrNi 18/9 rostfrei 18/9 0,07 19 9-11 - sen, normale 200 600 200 600 Atmosphäre x5 CrNiMo 18/10 rostfrei 0,07 16,5-20,5 10,5-12,5 18/10/2 C.6.3.4.2 2-2,5 außen, Industrieatmosphäre Aluminium Mit steigendem Reinheitsgrad nimmt der Korrosionswiderstand von Aluminium zu. In normaler Atmosphäre bildet sich eine Passivschicht aus Aluminiumoxid, die in stark sauren oder alkalischen Medien (z. B. Beton) zerstört wird. C.6.3.5 Inhibitoren Dies sind Substanzen, die dem Elektrolyt als Flüssigkeit oder Gas zugesetzt werden und somit den Korrosionsvorgang verhindern oder hemmen. Physikalische Inhibitoren werden an der Oberfläche des Metalls adsorbiert und schützen sie auf diese Weise. Chemische Inhibitoren reagieren mit oder verändern die Metalloberfläche, wobei das Reaktionsprodukt korrosionsschützend ist. Beispiele im Bauwesen: - Beton als Inhibitor Schutz von Spannstählen im Spannkanal (z. B. VPI-Pulver) C.6.3.6 Elektrochemische Verfahren Korrosion und Korrosionsgeschwindigkeit hängen vom elektrischen Potential bei der Ionenauflösung des Metalles ab. Durch Anlegen einer zusätzlichen elektrischen Spannung können die Potentiale so beeinflusst werden, dass die anodische Korrosion gering ist. Dies geschieht entweder durch Erhöhung des elektrischen Potentials, so dass eine Passivierung der Oberfläche möglich ist (Anodenschutz), oder durch Anlegen eines negativen Potentials, so dass das zu schützende Metall zur Kathode wird (Kathodenschutz). Kathodenschutz kann erreicht werden entweder: - durch eine elektrisch leitfähige Verbindung des zu schützenden Metalls mit einem weniger edlen Metall oder durch Anlegen einer Fremdspannung, die das zu schützende Metall zur Kathode macht. C.6.3.7 Fremdmetallüberzüge Darunter versteht man das Überziehen eines Metalls mit einem weniger oder nicht korrosionsanfälligen Werkstoff. Voraussetzung für die Wirksamkeit von Fremdmetallüberzügen ist, dass sie porenlos und unverletzt sind, falls der Überzug edler als das zu schützende Metall ist, z. B. Nickel auf Eisen. Ist der Überzug unedler, so heilt die Überzugsschicht bei Verletzungen aus, z. B. Zink auf Eisen. C.6.3.8 Anstriche Die älteste Art des Korrosionsschutzes besteht darin, Metalle mit einem diffusionsdichten, beständigen Überzug zu versehen, der auch zu einer Oberflächenpassivierung führen kann. 20 - 129 Beispiele: Bleimennige (Pb3O4) Zinkchromat- und Chlorkautschukanstriche. Bedingungen für die dauerhafte Wirksamkeit von Anstrichen sind: Diffusionsdichte; Verformbarkeit auch über lange Dauer; Stabilität bei erhöhten Temperaturen; dauerhafte Haftung mit dem metallischen Untergrund. C.6.3.9 Kunststoffüberzüge Kunststoffüberzüge können auf Metalloberflächen im Tauchverfahren aufgebracht werden. Ähnlich wie Anstriche bilden sie keinen elektrochemischen Schutz. Ihre Wirksamkeit hängt daher von der völligen Dichtigkeit ab. Sie müssen die für Anstriche genannten Bedingungen erfüllen. C.7 VERBINDUNGSMITTEL In vielen Fällen bestehen Baukonstruktionen aus Einzelteilen, die durch Verbindungsmittel zusammengefügt werden müssen (Fügetechnik). Die charakteristischen Eigenschaften der Verbindungsmittel müssen schon beim Entwurf der Konstruktion berücksichtigt werden und können das Tragverhalten des Bauwerks wesentlich beeinflussen. C.7.1 Verbindungsarten a) Mechanische Verbindungen: Nieten, Schrauben, Bolzen, Nägel (siehe Vorlesungen des konstruktiven Ingenieurbaus) b) Chemisch-physikalische Verbindungen: Schweißen, Löten, Leimen, Kleben; Erzeugen atomarer oder molekularer Bindungen zwischen den zu verbindenden Flächen. Schweißen: Verbindung zweier Metalloberflächen durch Anschmelzen der Oberflächen oder durch Diffusionsprozesse mit oder ohne Verwendung eines Zusatzwerkstoffes. Löten: Verbindung zweier Metalloberflächen mit Hilfe eines anderen Metalles, dessen Schmelzpunkt niedriger als der Schmelzpunkt der zu verbindenden Werkstoffe ist. Dadurch entsteht eine mechanische Verklammerung der Lötflächen bzw. molekulare Bindungen. Leimen und Kleben: Verbindung zweier Oberflächen mit Hilfe einer artfremden Zwischenschicht. Im Normalfall entstehen an den Oberflächen molekulare Bindungen (Adhäsion). C.7.2 Chemisch-physikalische Grundlagen C.7.2.1 Verbindung ohne Verwendung eines Zusatzstoffes Werden zwei Oberflächen in engen Kontakt gebracht, so haben sie das Bestreben, sich zu vereinigen und die Gesamtoberfläche zu reduzieren, wenn dadurch die potentielle Energie des Gesamtsystems reduziert wird. Selbst bei hochpolierten Oberflächen ist die Kontaktfläche zwischen zwei planen Scheiben aber nur gering, - 130 so dass die molekularen Anziehungskräfte zwischen den Oberflächen sehr klein sind. Eine Vereinigung der Oberflächen im festen Zustand setzt Diffusionsvorgänge an den Oberflächen voraus, die bei Raumtemperatur meist unendlich langsam ablaufen. Durch hohen Anpressdruck (Pressschweißen) kann die Kontaktfläche erhöht werden, durch eine Temperaturerhöhung wird der Diffusionsvorgang wesentlich beschleunigt. Bei einer Erwärmung bis zum Schmelzpunkt (Schmelzschweißen) ist die Beweglichkeit der Atome optimal, was zu einer schnellen Verbindung beider Oberflächen führt. C.7.2.2 Verbindungen bei Verwendung eines Zusatzwerkstoffes mit hohem Schmelzpunkt Zwei Werkstücke können dadurch miteinander verbunden werden, dass eine Zwischenschicht aus einem Werkstoff gebildet wird, dessen Schmelzpunkt etwa dem Schmelzpunkt der zu fügenden Werkstücke entspricht. Durch Anschmelzen der Oberflächen der Werkstücke entsteht eine hochfeste Verbindung (metallische Bindungen). Voraussetzung ist die Verträglichkeit (Mischbarkeit) von Grundmetall und Zusatzstoff. C.7.2.3 Verbindungen bei Verwendung eines Zusatzwerkstoffes mit niederem Schmelzpunkt C.7.2.3.1 Löten Zwei metallische Werkstücke können dadurch miteinander verbunden werden, dass eine Zwischenschicht gebildet wird, deren Schmelzpunkt niedriger als der Schmelzpunkt der zu verbindenden Werkstoffe ist. Zwischen den Oberflächen und dem Zusatzwerkstoff entwickeln sich molekulare und in begrenztem Umfang metallische Bindungen. Weichlöten: T ≤ 450°C Hartlöten: T > 450°C C.7.2.3.2 Leimen und Kleben Hier wird ein meist artfremder Zusatzwerkstoff verwendet, der bei Normaltemperatur durch Entweichen eines Lösungsmittels oder durch einen chemischen Härtevorgang erstarrt, wobei die Erhärtung durch Temperaturerhöhung beschleunigt werden kann. Die Verbindung kommt meist durch Adhäsion zustande (molekulare Anziehungskräfte, van der Waals Kräfte). Voraussetzungen für die Erzeugung einer guten Verbindung sind: - Erniedrigung der potentiellen Energie des Gesamtsystems aus Werkstück und Kleber - gleichmäßiger Auftrag des flüssigen Klebers (Erhöhung der Kontaktfläche) - hohe Adhäsion zwischen der Oberfläche des Werkstücks und des erhärteten Klebers - verträgliche Polarität von Werkstückoberfläche und Kleber - möglichst niedere Viskosität (hohe Fließzähigkeit) des flüssigen Klebers - ausreichende Festigkeit (Kohäsion) des erhärteten Klebers - geringe Schwind- oder Temperaturspannungen, die beim Erhärten des Klebers entstehen können - 131 - Verträglichkeit der Verformungseigenschaften des Werkstückes und des Klebers - möglichst dünne Klebefugen. Die Erfüllung der ersten drei Bedingungen hängt von der Benetzbarkeit der Oberfläche durch den Kleber ab. Sie kann durch Bearbeitung (Reinigung) der Oberfläche beeinflusst werden. C.7.2.3.3 Benetzbarkeit von Oberflächen und Adhäsionsenergie Die in der Nähe einer Oberfläche angeordneten Atome sind nicht im Zustand minimal potentieller Energie. Zur Erzeugung von Oberflächen ist daher Energie notwendig, d. h. Oberflächen sind Energieträger (Oberflächenenergie und Oberflächenspannung γ, siehe B.2.8.2). Die Größe der Oberflächenenergie hängt vom Medium ab, das der Oberfläche benachbart ist. FLÜSSIGKEIT (L) GAS (V) GAS (V) FESTSTOFF (S) FLÜSSIGKEIT (L) FESTSTOFF (S) γSL: γLV: γSV: Oberflächenspannung am Übergang Feststoff (S) zu Flüssigkeit (L) Oberflächenspannung am Übergang Flüssigkeit (L) zu Gas bzw. Luft (V) Oberflächenspannung am Übergang Feststoff (S) zu Gas (V) Wird auf eine Oberfläche ein Tropfen einer Flüssigkeit aufgebracht, so wirken in diesem Element Oberflächenspannungen. γLV Gleichgewicht zum Punkt A: γSV = γSL + cosφ.γLV φ γSV A φ = 0: γSL vollständige Benetzung, wenn γSL = γSV - γLV φ = 90°: γSL = γSV φ = 0° φ = 90° φ = 180° φ = 180°: keine Benetzung, wenn γSL = γSV + γLV Eine spontane Benetzung der Oberfläche tritt nur ein, wenn φ < 90°. Die Adhäsionsenergie W ist die Energie, die zum Trennen zweier Oberflächen aufgebracht werden muss. Sie gibt die Reduktion der freien Oberflächenenergie an, die bei der Vereinigung der Oberfläche mit der Flüssigkeit eintritt. Sie steht mit den Oberflächenenergien der betrachteten Grenzflächen in direktem Zusammenhang und entspricht der Differenz der Oberflächenenergien der Grenzflächen vor und nach dem Trennen. Für die Grenzfläche Feststoff - Flüssigkeit gilt: W = γSV + γLV - γSL = γSV + γLV - γSV + cosφ.γLV nach vor Trennung W = γLV.(1 + cosφ) - 132 Die Adhäsionsenergie (= Verringerung der freien Oberflächenenergie) erreicht einen Größtwert für φ = 0 (vollständige Benetzung) und wird zu Null für φ = 180° (keine Benetzung). Benetzbarkeit ist eine wesentliche Voraussetzung für das Erzielen einer guten Klebe- oder Lötverbindung. Sie kann durch Anrauhen der Oberfläche, Entfernung dünner Fett- oder Staubfilme etc. der Oberfläche verbessert werden. C.7.3 Klebeverbindungen Sie finden Anwendung im Holzbau (verleimte Konstruktionen), im Metallbau, für Konstruktionen aus Kunststoffen und in beschränktem Umfang im Beton- und Stahlbetonbau. C.7.3.1 Klebstoffe Im erhärteten Zustand bestehen Kleber aus vernetzten oder nicht vernetzten hochpolymeren Verbindungen (natürliche Stoffe oder Kunststoffe), siehe Baustofftechnologie II. Die Erhärtung erfolgt durch Entweichen eines Lösungsmittels oder durch eine chemische Reaktion zwischen verschiedenen Komponenten des Klebers. Übersicht über die gebräuchlichsten natürlichen und synthetischen Klebstoffe Physikalisch bindend (hochpolymer) Chemisch bindend (härtend; niederpolymer) Natürliche Rohstoffe Bsp. Synthetische Rohstoffe Bsp. Proteine: Glutin Kasein Sojaprotein Blutalbumin Polyvinylacetat Polyvinyläther Polyacrylat Polyäthylen Polystyrol Synthetische Kautschuke HarnstoffFormaldehydharze Aminoplaste MelaminFormaldehydharz PhenolFormaldehydharz Stärke: Epoxydharze Stärke Dextrin Celluloseäther Naturkautschuk Polyurethane Neben den Holzleimen sind die wichtigsten, im Bauwesen verwendeten Kleber die Phenol- und Epoxydharze (siehe Baustofftechnologie II). C.7.3.2 • Einflüsse auf die Festigkeit einer Verbindung Konstruktive Durchbildung Phenoplaste - 133 - a) b) c) d) e) f) Verbindungsformen Die Festigkeit eines Klebers ist meist geringer als die der zu verbindenden Werkstücke (max. Zugfestigkeit ca. 100 N/mm2). Diesem Nachteil kann man durch Vergrößerung der Klebeflächen entgegenwirken. Daher sind Überlappungs- oder Schäftungsstöße einem Stumpfstoß vorzuziehen. a) Stumpfstoß, b) Winkelstoß, c) Überlappung einschnittig, d) Überlappung zweischichtig, e) Schäftung, f) Doppellasche • Oberflächenvorbehandlung der Klebeflächen Die Entfernung von Oberflächenverunreinigungen z. B. Fette, Oxid- und Zunderschicht sowie das Aufrauhen der Klebeflächen verbessern Benetzbarkeit und Adhäsion. Bei vielen Klebern ist ferner auf eine trockene Oberfläche zu achten. • Anforderungen an die Klebeeigenschaften - Gute Adhäsion - geringes Schwinden bzw. Schrumpfen beim Erhärten - keine oder geringe Alterung - der E-Modul der Kleber soll kleiner als der E-Modul der Werkstücke sein C.7.4 Schweißverbindungen C.7.4.1 Allgemeines Bei den Schweißverfahren wird unterschieden zwischen: a) Pressschweißverfahren, bei denen die Verbindung hauptsächlich durch Anwendung eines äußeren Druckes mit oder ohne gleichzeitiger Erwärmung erzeugt wird und b) Schmelzschweißverfahren, bei denen die Verbindung der Oberflächen durch Wärmezufuhr und Anschmelzen der zu verbindenden Oberflächen entsteht. Als Folge der Erwärmung bis nahe oder über den Schmelzpunkt der zu verbindenden Teile können erhebliche Gefüge- und Eigenschaftsänderungen des Werkstoffes eintreten. Die Schweißbarkeit von Metallen richtet sich daher nach ihrer Struktur, Herstellungsart und dem jeweils angewandten Schweißverfahren (siehe C.7.4.3). C.7.4.2 Technische Schweißverfahren Nachfolgende Tabelle gibt einen Überblick der verschiedenen Schweißverfahren. In dieser Tabelle sind die für das Bauingenieurwesen wichtigen Verfahren hervorgehoben. - 134 - Elektronenstrahlschweißen Schutzgaslichtbogenschweißen Plasmaschweißen Lichtbogenschweißen Schmelzschweißen offenes Lichtbogenschweißen Widerstandsschmelzschweißen Gasschweißen Gießschmelzschweißen Metallschweißen Lichtbogenpreßschweißen Preßschweißen verdecktes Lichtbogenschweißen Kammerschweißen Metallschutzgasschweißen Wolframschutzgasschweißen Unterpulverschweißen Unterschieneschweißen Metalllichtbogenschweißen Kohlelichtbogenschweißen Unterschlackeschweißen aluminothermisches Schweißen Gießschweißen Widerstandsüberlappschweißen Überlappnahtschweißen Buckelschweißen Vielpunktschweißen Widerstandsschweißen Punktschweißen Doppelpunktschweißen Gaspreßschweißen Preßnahtschweißen Einzelpunktschweißen Feuerschweißen Kaltpreßschweißen Schockschweißen Widerstandsstumpfschweißen Abbrennschweißen Wulstschweißen induktive Stromübertragung konduktive Stromübertragung Die Schweißverfahren sind in DIN 1910, Teil 1-12, "Schweißen" geregelt. Es wird unterschieden zwischen: Pressschweißen: Schweißen unter Anwendung von Druck ohne oder mit Schweißzusatz; örtlich begrenztes Erwärmen der zu verbindenden Teile ermöglicht oder erleichtert das Schweißen (DIN 1910, Teile 2, 3 und 5) Schmelzschweißen: Schweißen bei örtlich begrenztem Schmelzfluss ohne Anwendung von Druck mit oder ohne Schweißzusatz (DIN 1910, Teile 2, 4 und 5). C.7.4.3 Folgeerscheinungen des Schweißens Schweißen stellt eine örtlich begrenzte Wärmebehandlung dar, die zu einer Änderung der Mikrostruktur und je nach Erwärmungs- und Abkühlgeschwindigkeit zu einer Härtung oder zu einer Erweichung des Werkstückes führen kann. Besonders bei zu schneller Abkühlung eines Stahles mit ausreichend hohem C-Gehalt kann unerwünschte Härtung (Martensitbildung) oder Reckalterung eintreten. Härtungsgefüge können vermieden werden durch a) Wärmebehandlung nach dem Schweißen z. B. Spannungsarmglühen oder Nachvergüten b) Isothermes Schweißen: Vorwärmen des Schweißgutes auf Temperaturen oberhalb der MS-Temperatur. Nach dem Schweißen Konstanthalten dieser Temperaturen bis zur Umwandlung in ein Zwischenstufengefüge oder Perlit. Foliennahtschweißen Rollennahtschweißen - 135 Durch die örtliche, also ungleichmäßige Erwärmung des Werkstückes beim Schweißen können Wärmespannungen entstehen, die z. B. eine Verwölbung und Verzerrung, aber auch ein Anreißen des geschweißten Metalls zur Folge haben können. Schweißnähte können je nach Ausbildung plötzliche Querschnittsveränderungen, d. h. Kerben, darstellen, an denen vor allem in Gegenwart von Fehlstellen, ungenügender Füllung der Schweißnaht und Versprödung des Werkstückes durch den Schweißvorgang die Gefahr eines Sprödbruches erhöht wird. Bei der Auswahl der zu schweißenden Stellen und des Schweißverfahrens sind diese Gesichtspunkte in Abhängigkeit von dem zu schweißenden Werkstück zu berücksichtigen. C.7.4.4 Die Schweißbarkeit von Stählen Stähle sind zum Schweißen geeignet, wenn die örtliche Erwärmung nicht die Struktur und die Eigenschaften, die durch eine vorhergegangene Behandlung erzeugt wurden, wieder rückgängig macht. Ferner ist es notwendig, dass der Stahl schnell abgekühlt werden kann, ohne dass dabei Gefügebildungen eintreten, die eine wesentliche Beeinträchtigung der ursprünglichen Eigenschaften des Stahles bedingen. Die Schweißeignung eines Stahles richtet sich daher nach der Art seiner Vorbehandlung sowie nach seiner chemischen Zusammensetzung, insbesondere dem Gehalt an Kohlenstoff, Phosphor, Schwefel und an Legierungselementen. Stähle sind vor allen Dingen dann zum Schweißen geeignet, wenn sie einen geringen Kohlenstoffgehalt und einen geringen Anteil an Stahlbegleitern (Schwefel, Stickstoff) haben. Die Schweißbarkeit der Baustähle ist u.a. in DIN 8528, Blatt 2, geregelt: "Schweißbarkeit, Schweißeignung der allgemeinen Baustähle zum Schmelzschweißen". Demnach sind insbesondere die Stähle S235JO/J2G2 (St37-3); S275JO/J2G3 (St44-3) und S355JO/J2G3 (St52-3) zum Schweißen geeignet. Für die Schweißbarkeit der Betonstähle gilt DIN 488, Teil 7: "Betonstahl; Nachweis der Schweißeignung von Betonstabstahl; Durchführung und Bewertung der Prüfung". Die in Abschnitt C.1.1 aufgeführten Betonstähle BSt 420 S, BSt 500 S und BSt 500 M sind schweißgeeignet. - 136 - D Beton D.1 Grundbegriffe Beton ist ein Zweiphasensystem mit den beiden Hauptkomponenten • Zementstein (Matrix) • Betonzuschlag (Füller) - ca. 70 Vol.-% - ca. 30 Vol.-% Der Zementstein entsteht durch Reaktion (Hydratation) des Bindemittels (Zement) mit Wasser. Der Betonzuschlag ist ein Füllstoff aus natürlichen Gesteinen oder künstlichen Stoffen, die zu Körnern verschiedener Größe aufbereitet sind. Seit 2001 wird in den entsprechenden Normen und Richtlinien anstelle des Begriffs "Zuschlag" die Bezeichnung Gesteinskörnungen verwendet. Beton unterscheidet sich von anderen Baustoffen dadurch, dass er vom Ingenieur selbst hergestellt werden kann, und dass seine Eigenschaften je nach • Eigenschaften der Ausgangsstoffe • Mischungsverhältnis • Nachbehandlung in weiten Grenzen beeinflusst werden können. Der Beton wird zunächst als Frischbeton durch Mischen der Komponenten hergestellt und zur Einbaustelle transportiert. Der Frischbeton muss eine ausreichende Verarbeitbarkeit besitzen und wird dann in vorgefertigte Formen eingebracht und optimal verdichtet. Durch die langsame Reaktion von Wasser und Zement (Hydratation) entsteht der erhärtete Beton oder Festbeton. Die Erhärtung kann sich über Monate erstrecken. Der frische und junge Beton erfordert eine sorgfältige und ausreichende Nachbehandlung. Zur Betonherstellung werden folgende Komponenten benötigt: • Zement als Bindemittel • Wasser • Betonzuschlag (feine und grobe Gesteinskörnungen) Darüber hinaus können die Eigenschaften des Frischbetons und des erhärteten Betons durch Zugabe von • Betonzusatzmitteln und • Betonzusatzstoffen weiter optimiert werden. Größenordnungen charakteristischer Eigenschaften erhärteten Betons 10 – 150 N/mm2 Druckfestigkeit: 1 - 10 N/mm2 Zugfestigkeit: 1,0 - 3,0 kg/dm3 Rohdichte: Elastizitätsmodul: 10000 - 50000 N/mm2 Verformungsverhalten: • spröde bei Zugbelastung • beschränkte Duktilität bei Druckbelastung Beton ist widerstandsfähig gegen Umwelteinflüsse und damit dauerhaft. Er kann jedoch durch Frosteinwirkung oder chemische Angriffe geschädigt und zerstört werden. Beton ist nicht brennbar und bei besonderen Vorkehrungen auch bei Temperaturen bis ca. 250°C gebrauchsfähig. - 137 - Betondruckfestigkeit βW28 im Alter von 28 Tagen [N/mm²] Die Festigkeit des Betons wird vor allem vom Gewichtsverhältnis Wasser : Zement (Wasserzementwert oder ω-Wert) beeinflusst. Je höher der Wasserzementwert, desto geringer ist die Festigkeit des Betons. 60 50 Um eine ausreichende Verarbeitbarkeit des Frischbetons sicherzustellen, muss dem Beton mehr Wasser zugegeben werden, als zur Hydratation des Zementes erforderlich wäre. Ein geringer Wassergehalt (niedriger Wasserzementwert) führt zwar zu einer hohen Festigkeit, reduziert jedoch wegen des geringen Wassergehalts die Verarbeitbarkeit des Frischbetons. 40 30 20 0 0,2 0,4 0,6 0,8 Wasserzementwert 1,0 Abbildung D.1.1: Betondruckfestigkeit βW28 in Abhängigkeit vom Wasserzementwert (für Zement CEM I 42,5 N) Anwendungsgebiete Wegen seiner relativ hohen Druckfestigkeit kann Beton für Bauteile, die auf Druck beansprucht sind, gut und wirtschaftlich eingesetzt werden. Andererseits ist Beton wegen seiner geringen Zugfestigkeit für Bauteile, die auf Biegung oder Zug beansprucht werden, nur beschränkt verwendbar. Durch Verbindung mit Stahl zu Stahlbeton- oder Spannbetonkonstruktionen wird er jedoch zu einem universellen Baustoff. Grundprinzip des Stahlbetons Stahlbeton ist ein Verbundwerkstoff, in dem biege- und zugbeanspruchte Querschnitte mit Stahlstäben bewehrt sind. In jenen Zonen, in denen Zugspannungen auftreten, wird eine Stahlbewehrung angeordnet, die nach dem Überschreiten der Zugfestigkeit des Betons die Zugspannungen aufnimmt. Voraussetzung für die Verbundwirkung und damit für die Anwendbarkeit des Stahlbetons sind folgende Eigenschaften der Baustoffe Beton und Stahl: 1. Ausreichend hohe Druckfestigkeit des Betons in Verbindung mit der hohen Zugfestigkeit und Duktilität des Stahles 2. Ausreichende Haftung zwischen Beton und Stahl zur Erzielung einer Verbundwirkung 3. Korrosionsschutz des Stahles durch den umgebenden Beton 4. Annähernd gleiche Wärmedehnung von Beton und Stahl Wegen der geringen Duktilität des Betons wird im Stahlbeton häufig die Menge an Stahleinlagen so bemessen, dass beim Erreichen der Bruchlast des Verbundquerschnittes die Streckgrenze des Stahles überschritten wird und so die gesamte Konstruktion duktile Eigenschaften hat. - 138 - D.2 Geschichtliche Entwicklung des Betons Die Festigkeit des Betons hängt im Wesentlichen von der Festigkeit und der Art des verwendeten Bindemittels (Zement) ab. Die geschichtliche Entwicklung des Betons ist daher eng mit der Entwicklung der Bindemittel verbunden. ca. 3000 v. Chr. In Mesopotamien erste Entwicklung von nicht hydraulischen Bindemitteln und Mörteln (Weißkalkmörtel) zur Errichtung von Mauerwerk. ca. 2500 v. Chr. In Ägypten Verwendung von Gipsmörteln beim Pyramidenbau. ca. 1000 v. Chr. Die Phönizier erzeugen wasserfeste Mörtel durch Beimengungen von gemahlenen Ziegeln zu Kalkmörtel (Puzzolankalke). ca. 200 v. Chr. Verwendung von Gussmauerwerk durch die Römer als Vorläufer des Betons (Opus Caementitium). ca. 100 v. Chr. Entwicklung von hydraulischen Bindemitteln durch Mischen von Weißkalk mit verschiedenen Puzzolanen (z.B. Ziegelmehl oder natürliche Stoffe vorwiegend vulkanischen Ursprungs, z.B. von Puzzoli am Golf von Neapel). Mittelalter Weiterentwicklung der Erkenntnis, dass beim Brennen von Kalkstein zusammen mit Tonen oder Steinen vulkanischen Ursprungs Bindemittel mit hydraulischen Eigenschaften hergestellt werden können. 1759 JOHN SMEATON errichtet das EDDYSTONE LIGHTHOUSE im Hafen von Plymouth und führt erste wissenschaftliche Untersuchungen über die Voraussetzungen zur Herstellung hydraulischer Zemente durch. Die wesentlichen Bestandteile sind: Kalk, Silikate und Ton (Aluminate). 1796 JAMES PARKER erhält ein Patent für den ‘römischen Zement’, der durch Brennen eines tonhaltigen Kalksteines gewonnen wird. 1824 JOSEPH ASPDIN erhält ein Patent für den ‘Portlandzement’. Sein Herstellungsprozess ähnelt dem Verfahren von PARKER. Die verwendeten Rohmaterialien stammen von der Insel Portland zwischen Plymouth und Southampton. Wahrscheinlich verwendete er eine höhere Brenntemperatur als PARKER. 1845 ISAAC JOHNSON erhält ein Patent unter dem Hinweis auf die Bedeutung einer hohen Brenntemperatur. 1854 WILLIAM WILKINSON (England) erhält ein Patent für die Stahlbewehrung in Biegegliedern aus Beton. 1855 Errichtung des ersten deutschen Portlandzementwerkes bei Stettin. 1855 JOSEPH LAMBOT (Frankreich) erhält ein Patent für die Herstellung von Booten aus Stahlbeton. 1855 FRANCOIS COIGNET (Frankreich) erhält ein Patent zur Herstellung von Betonhäusern. 1861 Der Pariser Gärtner MONIER stellt Blumentöpfe aus Zementmörtel her, die durch ein Gerippe aus Stahldrähten verstärkt sind. (Wahrscheinlich erfolgte die Herstellung solcher Blumentöpfe schon vor 1845). 1877 THADDEUS HYATT (USA) berichtet über erste Versuche an Stahlbetonkonstruktionen und schafft die ersten wissenschaftlichen Grundlagen dieser Konstruktionsart. 1884 Beginn des Stahlbetonbaues in Deutschland: Die Firmen FREYTAG UND HEIDSCHUCH sowie MARTENSTEIN UND JOYSSEAUS erwerben die deutschen Patentrechte für die Patente von Monier. - 139 1898 Gründung des DEUTSCHEN BETON-VEREINs, einer Vereinigung der an der Anwendung des Betonbaues interessierten Baufirmen mit dem Ziel der Weiterentwicklung dieser Werkstoffe. 1928 FREYSSINET erkennt die Vorteile des Vorspannens der Bewehrung und leistet Pionierarbeit auf dem Gebiet des Spannbetons. D.3 Vorschriften und Klassifizierung D.3.1 Deutsche und europäische Normen Die Anforderungen an Beton und an seine Ausgangsmaterialien sind in zahlreichen Normen festgelegt. Dabei nimmt die DIN 1045 eine herausragende Stellung ein. Nachfolgend sind die darin genormten Gebiete den einzelnen Teilen der DIN 1045 zugeordnet sowie den entsprechenden europäischen Normen gegenüber gestellt. Tabelle D.3.1: Normen des Betonbaus (Auszug) Gebiet Deutschland Bemessung und Konstruktion DIN 1045-1 Beton: EN 206-1 DIN 1045-2 Herstellung, Eigenschaften, Anforderungen, Konformität EU EN 1992 (Eurocode 2) EN 206-1 (deutsche Anwendungsregeln) Bauausführung (Baustelle) DIN 1045-3 EN 13670-1 Fertigteile: DIN 1045-4 EN xxx Herstellung, Überwachung Das COMITÉ EUROPÉEN DE NORMALISATION hat für die EU- und EFTA-Länder sogenannte CEN-Normen erarbeitet. Diese sind entweder bindend (EN-Normen), oder sie können als Vornormen (ENV) alternativ zu den nationalen Normen angewandt werden. Nachfolgend sind weitere wichtige deutsche und europäische Normen aufgelistet: Prüfung von Beton DIN 1048 Prüfverfahren für Beton '' -1 Teil 1: Frischbeton '' -2 Teil 2: Festbeton in Bauwerken und Bauteilen '' -4 Teil 4: Bestimmung der Druckfestigkeit von Festbeton in Bauwerken und Bauteilen. Anwendung von Bezugsgraden und Auswertung mit besonderen Verfahren '' -5 Teil 5: Festbeton, gesondert hergestellte Probekörper DIN EN 12350 Prüfung von Frischbeton DIN EN 12390 Prüfung von Festbeton DIN EN 12504 Prüfung von Beton in Bauwerken Neben den o. g. Normen zum Baustoff Beton sind in Bezug auf die Ausgangsmaterialien für Beton folgende Normen zu beachten: Zement DIN EN 197-1 Zement – Teil 1: Zusammensetzung, Anforderungen und Konformitätskriterien von Normalzement DIN 1164 Zement mit besonderen Eigenschaften – Zusammensetzung, Anforderungen, Übereinstimmungsnachweise - 140 In Deutschland wurde die Zementnorm DIN 1164, Teil 1 an die DIN EN 197-1 angepasst. Für die Prüfung von Zementen gilt in den EU- und EFTA-Ländern zwingend eine europäische Norm. Sie trägt in Deutschland die Bezeichnung DIN EN 196 Prüfverfahren für Zement (Teile 1 bis 7 und Teil 27) Gesteinskörnungen DIN 4226 Gesteinskörnungen für Beton und Mörtel '' -1 Teil 1: Normale und schwere Gesteinskörnungen '' -2 Teil 2: Leichte Gesteinskörnungen (Leichtzuschläge) " -100 Teil 100: Rezyklierte Gesteinskörnungen Voraussichtlich 2004 wird DIN 4226-1 durch DIN EN 12620 abgelöst. Zugabewasser DIN EN 1008 Zugabewasser für Beton – Festlegung für die Probennahme, Prüfung und Beurteilung der Eignung von Wasser, einschließlich bei der Betonherstellung anfallendem Wasser als Zugabewasser für Beton DIN 4030 Beurteilung betonangreifender Wässer, Böden und Gase Darüber hinaus enthält die DAfStb-Richtlinie für die Herstellung von Beton unter Verwendung von Restwasser, Restbeton und Restmörtel entsprechende Angaben. Zusatzmittel DIN EN 934 Zusatzmittel für Beton, Mörtel und Einpresshilfen Zusatzstoffe DIN EN 450 Flugasche für Beton – Definitionen, Anforderungen und Güteüberwachung DIN 51043 Traß; Anforderungen, Prüfung DIN 4226-1 Gesteinskörnungen für Beton und Mörtel – Teil 1: Normale und schwere Gesteinskörnungen DIN EN 12878 Pigmente zum Einfärben von zement- und/oder kalkgebundenen Baustoffen – Anforderungen und Prüfverfahren Eine harmonisierte Norm für Zusatzstoffe befindet sich z. Z. im Entwurfstadium. D.3.2 Klassifizierung Die Einteilung verschiedener Betonarten erfolgt hauptsächlich nach ihrer Rohdichte oder nach ihrer Druckfestigkeit. Einteilung nach der Rohdichte • Schwerbeton ρ > 2,6 kg/dm3 • Normalbeton 2,0 < ρ ≤ 2,6 kg/dm3 • Leichtbeton 0,8 < ρ ≤ 2,0 kg/dm3 - 141 Einteilung nach der Druckfestigkeit (DIN 1045) Nach DIN 1045 kann Beton entsprechend seiner Druckfestigkeit in die in der nachfolgenden Tabelle angegebenen Festigkeitsklassen eingeteilt werden. Diese Einteilung gilt sowohl für Normal- als auch für Schwerbeton. Tabelle D.3.2: Druckfestigkeitsklassen für Normal- und Schwerbeton fck,cyl Betonkategorie Festigkeitsklasse Normalbeton 1 Hochfester Beton 2 fck,cube 2 [N/mm ] [N/mm2] 8 12 16 20 25 30 35 40 45 50 55 60 70 80 90 100 10 15 20 25 30 37 45 50 55 60 67 75 85 95 105 115 C8/10 C12/15 C16/20 C20/25 C25/30 C30/37 C35/45 C40/50 C45/55 C50/60 C55/67 C60/75 C70/85 C80/95 C90/105 1) C100/115 1) 1) Für Beton der Festigklassen C90/105 und C100/115 bedarf es weiterer auf den Verwendungszweck abgestimmter Nachweise. Für Leichtbeton gilt die Klasseneinteilung gemäß Tabelle D.3.3. Tabelle D.3.3: Druckfestigkeitsklassen für Leichtbeton fck,cube fck,cyl Festigkeitsklasse 2 [N/mm ] [N/mm2] hochfest normalfest LC8/9 8 9 LC12/13 12 13 LC16/18 16 18 LC20/22 20 22 LC25/28 25 28 LC30/33 30 33 LC35/38 35 38 LC40/44 40 44 LC50/55 50 55 LC55/60 55 60 LC60/66 60 66 LC70/77 1) 70 77 LC80/88 1) 80 88 Es dürfen andere Werte verwendet werden, wenn das Verhältnis zwischen diesen Werten und der Referenzfestigkeit von Zylindern mit genügender Genauigkeit festgestellt und dokumentiert worden ist. 1) Fußnote 1) in Tabelle D.3.2 gilt analog. Da die Betonfestigkeit zeitlich veränderlich ist und von der Probenform und -größe abhängt, wird die Betondruckfestigkeit normalerweise im Alter von 28 Tagen an Zylindern oder Würfeln ermittelt. In der Tabelle D.3.2 ist fck,cyl die charakteristische Festigkeit bestimmt an Zylindern mit 150 mm Durchmesser und 300 mm Länge im Alter von 28 Tagen. fck,cube ist die charakteristische Festigkeit ermittelt am 28 Tage alten Betonwürfel mit der Kantenlänge von 150 mm. - 142 Die Festigkeitswerte der neuen Norm beziehen sich auf die Prüfung im Alter von 28 Tagen nach einer Lagerung im Feuchtraum (20 °C, ≥ 95 % relativer Luftfeuchte) oder unter Wasser bei 20 °C (Referenzverfahren). Werden Würfel aus Normalbeton 7 Tage feucht (unter Wasser oder im Feuchtraum) und 21 Tage bei 20 °C und 65 % rel. Luftfeuchte gelagert (Trockenlagerung), so müssen die Druckfestigkeitswerte fc, dry wie folgt umgerechnet werden: bis C 50/60 fc, cube = 0,92 fc, dry, ab C 55/67 fc, cube = 0,95 fc, dry. Die Festigkeiten verschiedener Probezylinder einer Festigkeitsklasse weichen zum Teil erheblich voneinander ab. Festigkeitsunterschiede zwischen Zylindern, die aus einer Mischung gleichzeitig hergestellt wurden, führen zur Prüfstreuung Sp. Die Streuung der Festigkeiten von Zylindern aus gleichen, jedoch nicht gleichzeitig hergestellten Mischungen wird mit Qualitätsstreuung Sg bezeichnet. Wegen dieser Streuungen ist es nicht ausreichend, die Druckfestigkeit eines Betons nur durch den Mittelwert der Festigkeiten einzelner Zylinder zu charakterisieren. Daher wird die charakteristische Festigkeit als maßgebende Betonfestigkeit herangezogen. Die charakteristische Festigkeit des Betons fck, die auch zur Bezeichnung einer Festigkeitsklasse des Betons dient, entspricht dem 5 %-Quantil einer Häufigkeitsverteilung der Druckfestigkeiten einzelner Betonproben. Sie darf nur von 5 % der im Alter von 28 Tagen geprüften Zylinder unterschritten werden, wenn der Beton der entsprechenden Festigkeitsklasse angehören soll (siehe dazu Abbildung D.3.1). Die in den vorstehenden Abschnitten für zylindrische Betonprobekörper erläuterten Zusammenhänge gelten sinngemäß auch für Würfel. Häufigkeit Verteilungskurve: "Gauß'sche Glockenkurve"; Normalverteilung Symmetrieach- σ σ Standardabweichung i 1 2 σ= ⋅ ∑ ( fci − fcm ) n-1 mit 1 i fcm = ∑ fci n 5% 1,64⋅σ fck fcm Abbildung D.3.1: Häufigkeitsverteilung der Betondruckfestigkeitswerte fc Einteilung in Betongruppen EN 206-1 unterscheidet drei Betongruppen: Beton nach Eigenschaften (n. E.), Beton nach Zusammensetzung (n. Z.) und Standardbeton. Bei der Bestellung eines Betons n. E. müssen folgende Grundangaben gemacht werden: Bezug auf DIN 1045-2, Festigkeitsklasse, Expositionsklasse des Bauwerks oder Bauteils, Festigkeitsentwicklung im Zusammenhang mit der Nachbehandlung, Größtkorn, Art der Verwendung als unbewehrter Beton, Stahlbeton oder Spannbeton und Konsistenzklasse. Falls maßgebend, sind zusätzliche Anforderungen zu definieren und entsprechende Prüfverfahren zu vereinbaren. Hinsicht- - 143 lich der Betonzusammensetzung hat der Hersteller eine beträchtliche Freiheit, aber auch eine große Verantwortung. Demgegenüber wird bei Beton n. Z. die Betonzusammensetzung genau festgelegt. Die Grundangaben betreffen den Bezug zur DIN 1045-2, den Zementgehalt, die Art und Festigkeitsklasse des Zements, den Wasserzementwert oder die Konsistenzklasse, außerdem die Art des Zuschlags, bei Leichtbeton und Schwerbeton auch die Rohdichte des Zuschlags, das Größtkorn und die Sieblinie, Art und Menge von Zusatzmitteln und Zusatzstoffen und bei deren Verwendung noch die Herkunft dieser Stoffe und des Zements. Diese Angaben sind als Vorsorge für eventuelle Unverträglichkeiten gedacht. Zusätzliche Angaben können die Herkunft der Betonausgangsstoffe betreffen, die Frischbetontemperatur und eventuell weitere Anforderungen. Beim Beton n. Z. trägt der Besteller eine große Verantwortung für die Eigenschaften des Betons. Er wird einen Beton n. Z. nur bestellen, wenn er die Zusammenhänge zwischen Zusammensetzung und Eigenschaften aus eigener Erfahrung kennt. Standardbeton ist so zusammengesetzt, dass er auch bei gewissen Schwankungen immer noch die vereinbarte Festigkeit erreicht. Die Grundangaben betreffen den Bezug auf DIN 1045-2, die Festigkeitsklasse bis maximal C16/20, die Expositionsklasse des Bauwerks mit der Einschränkung auf XO, XC1 und XC2, die Festigkeitsentwicklung, das Größtkorn und die Konsistenzklasse. Einteilung nach Konsistenzklassen Darüber hinaus kann Beton auch auf der Grundlage seiner Frischbetoneigenschaften klassifiziert werden. Maßgebend ist hier die Konsistenz des Betons, die die Verarbeitbarkeit charakterisiert. Einzelheiten hierzu finden sich in Abschnitt D.5.1. Einteilung nach Umgebungsbedingungen Um die Dauerhaftigkeit von Betonbauteilen zu gewährleisten, müssen die Betoneigenschaften an die zu erwartenden Beanspruchungen in der Umgebung abgepasst sein. In Tabelle D.3.4 (aus DIN 1045) werden die möglichen Umgebungsbedingen, denen das Betonbauteil ausgesetzt ist, in Expositionsklassen eingeteilt. Zudem liefert Tabelle D.3.4 eine Zuordnung zwischen den jeweiligen Expositionsklassen und den Anforderungen an den w/z-Wert (Höchstwert), an die Festigkeitsklasse (unterer Grenzwert) und an den Mindestzementgehalt des zu verwendenden Betons. Tabelle D.3.4: Expositionsklassen und Anforderungen an die Betoneigenschaften nach DIN 1045 Klassenbezeichnung Beschreibung der Umgebung Beispiele 1 Kein Korrosions- oder Angriffsrisiko Für Beton ohne Bewehrung o. eingebettetes Metall: alle Umgebungsbedin- Fundamente ohne Bewehrung ohne Frost; InXO gungen, ausgenommen Frostangriff, nenbauteile ohne Bewehrung Verschleiß o. chemischer Angriff 2 Bewehrungskorrosion, ausgelöst durch Karbonatisierung Bauteile in Innenräumen mit üblicher Luftfeuchte (einschließlich Küche, Bad, Waschküche in XC1 trocken oder ständig nass Wohngebäuden); Beton, der ständig in Wasser getaucht ist XC2 nass, selten trocken Teile von Wasserbehältern; Gründungsbauteile Bauteile, zu denen die Außenluft häufig oder ständig Zugang hat, z. b. offene Hallen, Innenräume mit hoher Luftfeuchtigkeit z. B. in geXC3 mäßige Feuchte werblichen Küchen, Bädern, Wäschereien, in Feuchträumen von Hallenbädern und in Viehställen XC4 wechselnd nass oder trocken Außenbauteile mit direkter Beregnung max. w/z-Wert [-] min. Festigkeitklasse min. Zementgehalt [kg/m³] - C8/10 - 0,75 C16/20 240 0,75 C16/20 240 0,65 C20/25 260 0,60 C25/30 280 - 144 Tabelle D.3.4: Expositionsklassen und Anforderungen an die Betoneigenschaften (Fortsetzung) Klassenbezeichnung Beschreibung der Umgebung Beispiele 3 Bewehrungskorrosion, verursacht durch Chloride, ausgenommen Meerwasser Bauteile im Sprühnebelbereich von VerkehrsXD1 mäßige Feuchte fläche; Einzelgeragen Solebäder; Bauteile, die chloridhaltigen IndustXD2 nass, selten trocken riewässern ausgesetzt sind Teile von Brücken mit häufiger SpritzwasserbeXD3 wechselnd nass und trocken anspruchung; Fahrbahndecken; Parkdecks 4 Bewehrungskorosion, verursacht durch Chloride aus Meerwasser salzhaltige Luft, aber kein unmittelbarer XS1 Außenbauteile in Küstennähe Kontakt mit Meerwasser Bauteile in Hafenanlagen, die ständig unter XS2 unter Wasser Wasser liegen Tidebereich, Spritzwasser und SprühXS3 Kaimauern in Hafenanlagen nebelbereich 5 Frostangriff mit und ohne Taumittel mäßige Wassersättigung, ohne TaumitAußenbauteile tel Bauteile im Sprühnebel- und Spritzwasserbereich von taumittelbehandelten VerkehrsfläXF2 mäßige Wassersättigung, mit Taumittel chen, soweit nicht XF4; Betonbauteile im Sprühnebelbereich von Meerwasser offene Wasserbehälter; Bauteile in der WasXF3 hohe Wassersättigung, ohne Taumittel serwechselzone von Süßwasser Verkehrsflächen, die mit Taumittel behandelt werden; Überwiegend horizontale Bauteile im Spritzwasserbereich von taumittelbehandelten XF4 hohe Wassersättigung, mit Taumittel Verkehrsflächen; Räumerlaufbahnen von Kläranlagen; Meerwasserbauteile in der Wasserwechselzone 6 Betonkorrosion durch chemischen Angriff chemisch schwach angreifende UmgeXA1 Behälter von Kläranlagen; Güllebehälter bung Betonbauteile, die mit Meerwasser in Berühchemisch mäßig angreifende UmgeXA2 rung kommen; Bauteile in betonangreifenden bung und Meeresbauwerke Böden Industrieabwasseranlagen mit chemisch angreifenden Abwässern; Gärfuttersilos und FutXA3 chemisch stark angreifende Umgebung tertische der Landwirtschaft; Kühltürme mit Rauchgasableitung 7 Betonkorrosion durch Verschleißbeanspruchung Tragende oder aussteifende Industrieböden mit XM1 mäßige Verschleißbeanspruchung Beanspruchung durch luftbereifte Fahrzeuge Tragende oder aussteifende Industrieböden mit XM2 starke Verschleißbeanspruchung Beanspruchung durch luft- oder vollgummibereifte Gabelstapler Tragende oder aussteifende Industrieböden mit Beanspruchung durch elastomer- oder stahlrollenbereifte Gabelstapler; Oberflächen, die häuXM3 sehr starke Verschleißbeanspruchung fig mit Kettenfahrzeugen befahren werden; Wasserbauwerke in geschiebebelasteten Gewässern, z. B. Tosbecken XF1 1) max. w/z-Wert [-] min. Festigkeitklasse min. Zementgehalt [kg/m³] 0,55 C30/37 300 0,50 C35/45 320 0,45 C35/45 320 0,55 C30/37 300 0,50 C35/45 320 0,45 C35/45 320 0,60 C25/30 280 1) C25/30 C35/45 300 320 1) C25/30 C35/45 300 320 1) C30/47 320 0,60 C25/30 280 0,50 C35/45 320 0,45 C35/45 320 0,55 C30/37 300 0,55 0,45 C30/37 C35/45 300 320 0,45 C35/45 320 0,55 0,50 0,55 0,50 0,50 mit Luftporenbildner herzustellen Da Beton mehr als einer Einwirkung ausgesetzt sein kann, sind zur Definition der Einwirkungsbedingungen nach DIN 1045 auch Kombinationen der o. g. Expositionsklassen möglich. Einzelheiten hierzu finden sich in Abschnitt D.10. Einteilung in Betonfamilien Betone ähnlicher Zusammensetzung können in eine Betonfamilie aufgenommen werden, wenn zuverlässliche empirische Beziehungen zwischen deren Eigenschaften bestehen. Der Prüfaufwand vermindert sich, wenn die Anzahl Prüfkörper, die für eine Betonsorte gilt, auf die gesamte Familie angewendet werden kann. - 145 Bestehen die Zusammenhänge zwischen den Eigenschaften der einzelnen Betone in der Familie nicht, müssen diese in einem ersten Schritt ermittelt werden. In der Regel wird ein Beton, der im Mittelfeld der Betonfamilie liegt, als Referenzbeton ausgewählt. Auf diesen werden dann die Eigenschaften der anderen Familienmitglieder bezogen. Betone in einer Familie bestehen aus - Zementen gleicher Art, Festigkeitsklasse und Herkunft - Zuschlägen gleicher Art und geologischen Ursprungs. Betone mit puzzolanischen oder latent hydraulischen Zusatzstoffen, Verzögerern mit einer Verzögerungszeit ≥ 3 h, Luftporenbildnern und Betonverflüssigern bzw. Fließmitteln, die die Betonfestigkeit beeinflussen, bilden eigene Familien. Hinsichtlich des Festigkeitsbereichs gilt, dass Familien für die Festigkeitsklassen C12/15 bis C55/67 gebildet werden können. Wenn der ganze Bereich erfasst werden soll, müssen mindestens zwei Familien gebildet werden. Hochfester Beton ist aus Betonfamilien ausgeschlossen, da für ihn zusätzliche Konformitätsanforderungen gelten. Damit das Konzept der Betonfamilien den bisherigen Sicherheitsstandard gewährleistet, müssen alle Familienmitglieder regelmäßig geprüft werden. D.3.3 Übereinstimmungsnachweise Die früher bekannte Güteüberwachung wurde durch Einführung neuer Landesbauordnungen verändert. Die Landesbauordnungen unterscheiden zwischen geregelten, nicht geregelten und sonstigen Bauprodukten. Geregelte Bauprodukte entsprechen den in der Bauregelliste A Teil l bekannt gegebenen Regeln. Nicht geregelte Bauprodukte weichen von der in der Bauregelliste A Teil 1 bekannt gemachten technischen Regeln wesentlich ab oder es gibt für sie keine Technischen Baubestimmungen oder allgemein anerkannte Regeln der Technik. Die Verwendbarkeit ergibt sich: a) für geregelte Bauprodukte aus der Übereinstimmung mit den bekannt gemachten technischen Regeln, b) für nicht geregelte Bauprodukte aus der Übereinstimmung mit - der allgemeinen bauaufsichtlichen Zulassung oder - dem allgemeinen bauaufsichtlichen Prüfzeugnis oder - der Zustimmung im Einzelfall. Geregelte und nicht geregelte Bauprodukte dürfen verwendet werden, wenn ihre Verwendbarkeit in dem für sie geforderten Übereinstimmungsnachweis bestätigt ist und sie deshalb das Übereinstimmungszeichen (Ü-Zeichen) tragen. Die Bauregelliste A Teil 3 enthält nicht geregelte Bauarten. Sie bedürfen anstelle einer allgemeinen bauaufsichtlichen Zulassung nur eines allgemeinen bauaufsichtlichen Prüfzeugnisses. Der Übereinstimmungsnachweis bezieht sich auf die Übereinstimmung mit dem allgemeinen bauaufsichtlichen Prüfzeugnis. Hierbei hat der Anwender des Produktes bzw. der Bauart zu bestätigen, dass die Bauart entsprechend den Bestimmungen des allgemeinen bauaufsichtlichen Prüfzeugnisses ausgeführt wurde und die hierbei verwendeten Produkte den Bestimmungen des allgemeinen bauaufsichtlichen Prüfzeugnisses entsprechen. Bauprodukte nach Bauregelliste A Teil l, Teil 2 und Teil 3 bedürfen für ihre Verwendung eines Übereinstimmungsnachweises. Folgende Arten sind möglich: - Übereinstimmungserklärung des Herstellers (ÜH). - Übereinstimmungserklärung des Herstellers nach vorheriger Prüfung des Bauprodukts durch eine anerkannte Prüfstelle (ÜHP) oder - Übereinstimmungszertifikat durch eine anerkannte Zertifizierungsstelle (ÜZ). - 146 Sind in den technischen Regeln Prüfungen von Bauprodukten, insbesondere Eignungsprüfungen, Erstprüfungen oder Prüfungen zur Erlangung von Prüfzeugnissen oder Werksbescheinigungen vorgesehen, so sind diese Prüfungen im Rahmen der vorgeschriebenen Übereinstimmungsnachweise durchzuführen. Für den Übereinstimmungsnachweis ist die werkseigene Produktionskontrolle eine wesentliche Voraussetzung. Diese ist die vom Hersteller vorzunehmende kontinuierliche Überwachung der Produktion, um sicherzustellen, daß die von ihm hergestellten Bauprodukte den maßgebenden technischen Regeln entsprechen. In der Bauregelliste A wird bestimmt, in welchen Fällen bei wesentlichen Abweichungen von den technischen Regeln der Verwendbarkeitsnachweis durch eine allgemeine bauaufsichtliche Zulassung (Z) oder durch ein allgemeines bauaufsichtliches Prüfzeugnis (P) zu führen ist. Für Bauprodukte mit hohen Anforderungen an die Sicherheit ist immer ein Übereinstimmungszertifikat (ÜZ) bzw. eine allgemeine bauaufsichtliche Zulassung (Z) erforderlich. Eine allgemein baurechtliche Zulassung wird vom Deutschen Institut für Bautechnik auf Antrag erteilt, wenn die Verwendbarkeit des Bauprodukts nachgewiesen ist. Ein allgemeines baurechtliches Prüfzeugnis wird von einer anerkannten Prüfstelle erteilt. Es wird unterschieden in Prüfstelle, Zertifizierungsstelle und Überwachungsstelle. Die Prüfstellen sind für den Nachweis der Verwendbarkeit nicht geregelter Bauprodukte und im Rahmen des Übereinstimmungsnachweisverfahrens für die Untersuchung der Eigenschaften geregelter Bauprodukte einzuschalten. Zertifizierungsstellen sind besonders qualifizierte Stellen, die die Rechtmäßigkeit der von der Überwachungsstelle vorgelegten Prüf- und Überwachungsergebnisse durch Erteilung eines Übereinstimmungszertifikats bestätigen. Überwachungsstellen führen die Erstinspektion des Werkes und der werkseigenen Produktionskontrolle durch sowie Messungen, Untersuchungen und Kontrollprüfungen zur Feststellung der Produkteigenschaften und Auswertung des Herstellungsprozesses (Fremdüberwachung). D.3.4 Überwachung Produktionskontrolle Jeder Beton ist unter der Verantwortung des Herstellers (Transportbeton- und Fertigteilwerke) einer Produktionskontrolle zu unterziehen. Die Produktionskontrolle umfasst alle Maßnahmen, die für die Aufrechterhaltung der Konformität des Betons mit den festgelegten Anforderungen erforderlich sind. Sie beinhaltet: - Baustoffauswahl, Betonentwurf, Betonherstellung, Überwachung und Prüfung, Verwendung der Prüfergebnisse im Hinblick auf Ausgangsstoffe, Frisch- und Festbeton und Einrichtungen, Überprüfung der für den Transport des Frischbetons verwendeten Einrichtungen, Konformitätskontrolle. Detaillierte Vorgaben für die Produktionskontrolle enthält DIN EN 206-1, Abschnitt 9. Die Produktionskontrolle des Herstellers ist für alle nach DIN EN 206-2 bzw. DIN 1045-2 hergestellten Betone – ausgenommen Standardbeton – durch eine anerkannte Überwachungsstelle zu überwachen und zu bewerten. - 147 Zu den Aufgaben der Überwachungsstelle zählen: - Erstbewertung (Unterlagen der Produktionskontrolle, Anlagen und Ausrüstungen zur Durchführung der notwendigen Prüfungen, Qualifikation des Personals, Erstprüfungen der Betone) - Regelüberwachung (Aufrechterhaltung der Produktionskontrolle), - Sonderüberwachung (Klärung von Unstimmigkeiten, bei Änderung der Herstellbedingungen) Die Erfüllung der Anforderungen an den Beton nach DIN EN 206-2 bzw. DIN 1045-2 - ausgenommen Standardbeton - ist durch ein Übereinstimmungszertifikat einer anerkannten Zertifizierungsstelle nachzuweisen (vgl. Festlegungen in der Bauregelliste A Teil1). Für Standardbeton ist die Erfüllung der Anforderungen nach DIN EN 206-2 bzw. DIN 1045-2 durch die Herstellererklärung nachzuweisen. Überwachungsklassen Für die Überprüfung der maßgebenden Frisch- und Festbetoneigenschaften auf der Baustelle wird der Beton in drei Überwachungsklassen eingeteilt. Die Überwachungsklassen der Tabelle 8 unterscheiden sich durch den Umfang und die Häufigkeit der durchzuführenden Prüfungen. Entsprechende Vorgaben enthält die DIN 1045-3. Tabelle 9.8: Überwachungsklassen (Ausschnitt aus Tabelle 3 der DIN 1045-3) Spalte 1 2 3 4 Gegenstand Überwachungs-klasse 1 Überwachungs-klasse 2 Überwachungs-klasse 3 Druckfestigkeitsklasse für Normal- und Schwerbeton nach DIN EN 206-1 und DIN 1045-2 ≤ C 25/30 ≥ C 30/37 und ≥ C 55/67 Zeile 1 2 3 4 ≤ C 50/60 Druckfestigkeitsklasse für Leichtbeton nach DIN EN 206-1 und DIN 1045-2 der Rohdichteklassen D 1,0 bis D 1,4 nicht anwendbar D 1,6 bis D 2,0 ≤ LC 25/28 ≤ LC 25/28 ≥ LC 30/33 LC 30/33 und ≥ LC 40/44 LC 35/38 Expositionsklasse nach DIN 1045-2 X0, XC, XF1 XS, XD, XA, XM, XF2, XF3, XF4 - - 148 Die Überwachungsprüfungen auf der Baustelle sind vom Bauunternehmen durchzuführen. Dazu zählen die Prüfung des Lieferscheins, der Konsistenz, der Frischbetonrohdichte bei Leicht- und Schwerbeton, der Gleichmäßigkeit des Betons, der Druckfestigkeit, des Luftgehalts bei LP-Beton und die Funktionskontrolle der technischen Einrichtungen (Verdichtungsgeräte, Mess- und Laborgeräte). Weiterhin sind im Bautagebuch die Lufttemperatur (Minimum, Maximum) und die Witterungsverhältnisse während des Betonierens des Bauteils sowie die Art und die Dauer der Nachbehandlung aufzuzeichnen (DIN 1045-3, Abschnitt 11.5). In den Überwachungsklassen 2 und 3 ist der Einbau des Betons zusätzlich durch eine dafür anerkannte Überwachungsstelle zu prüfen (Fremdüberwachung). Das Bauunternehmen muss über eine ständige Betonprüfstelle verfügen. Literatur [D.3.1] Grübl, P.; Weigler, H., Karl, S.: Beton - Arten, Herstellung, Eigenschaften. Ernst & Sohn, Berlin, 2001 [D.3.2] Reinhardt, H.W.: Beton. In Beton-Kalender 2002, Ernst & Sohn, Berlin, 2002 [D.3.3] DIN 1048: 1991-06, Teile -1, -2, -4, -5: Prüfverfahren für Beton [D.3.4] Bauregelliste A, Bauregelliste B und Liste C, Ausgabe 200/1, Mitteilungen Deutsches Institut für Bautechnik 31, Sonderheft Nr.22, Ernst & Sohn, Berlin 2000 [D.3.5] Hinweise für Prüfstellen zur Erteilung von allgemeinen bauaufsichtlichen Prüfzeugnissen. Mitteilungen Deutsches Institut für Bautechnik 31 (2000), Nr. 2, S. 50-56 [D.3.6] Muster Verordnung über die Anerkennung als Prüf-, und Überwachungs-, oder Zertifizierungsstelle nach Bauordnungsrecht (PÜZAVO). Mitteilungen Deutsches Institut für Bautechnik 27 (1996), Nr. 6, S. 344-348 D.4 Ausgangsmaterialien zur Betonherstellung Problemstellung: Die Eigenschaften des Betons hängen in großem Maße vom Mischungsverhältnis Zement : Wasser : Betonzuschlag und von den Eigenschaften dieser Betonkomponenten ab. Das Verständnis der Faktoren, welche die Betoneigenschaften beeinflussen, setzt daher eine Kenntnis des Aufbaues, der Reaktionen und der Herstellung bzw. Aufbereitung der Betonkomponenten voraus. D.4.1 Bindemittel und Zemente Man unterscheidet zwischen hydraulischen und nicht hydraulischen Bindemitteln. Definition: D.4.1.1 Hydraulische Bindemittel erhärten unter Anlagerung von Wasser und sind nach ihrer Erhärtung gegenüber Wasser beständig Nicht-hydraulische Bindemittel Beispiel Luftkalk: Herstellung aus Kalkstein: Kalkbrennen: CaCO3 → CaO + CO2 (bei 800 - 1000°C) Kalklöschen: Branntkalk CaO + H2O → Ca(OH)2 gelöschter Kalk oder Kalkhydrat Erhärtung durch Carbonatisierung: Ca(OH)2 + CO2 → CaCO3 + H2O ∆H = 165,9 kJ ∆H = Enthalpie ∆H = -65 kJ - 149 Der Branntkalk wird entweder als Stückkalk mit viel Wasser gelöscht, und es bildet sich durch das überschüssige Wasser ein wässriger Kalkbrei (Sumpfkalk). Beim sog. Trockenlöschen wird der Stückkalk gebrochen, gemahlen und mit wenig Wasser oder Wasserdampf gelöscht. Dabei entsteht pulvriges Kalkhydrat. Kalkhydrat bzw. Sumpfkalk werden mit Wasser und Sand zu Kalkmörtel vermischt. Die Erhärtung beschränkt sich auf den Karbonatisierungsvorgang. Zwischen Kalkhydrat, Wasser und Sand (SiO2 = Kieselsäure) findet keine Reaktion statt. Eigenschaften: • Im frischen Zustand geschmeidiger und gut verarbeitbarer Mörtel • Erhärtung nur an Luft (CO2) • Sehr langsame Festigkeitsentwicklung • Geringe Druckfestigkeit auch nach langer Erhärtungsdauer (0,2 - 2 N/mm²) • Im erhärteten Zustand relativ gute Verformbarkeit und hohe Volumenbeständigkeit D.4.1.2 Gipse und Anhydrit Gips: Herstellung des Baugipses aus dem Gipsstein. Gipskochen: 2 (CaSO4. 2 H2O) → 2 [ CaSO4. 0,5 H2O ] + 3 H2O (bei 120 - 180°C) Halbhydrat = Stuckgips Erhärtung nach Zugabe von Wasser: 2 (CaSO4. 0,5 H2O) + 3 H2O → 2 (CaSO4. 2 H2O) Eigenschaften: • Schnelle Erhärtung (ca. 15 - 30 Minuten) • Festigkeit: 5 - 20 N/mm2 je nach Wasser / Gips-Verhältnis • Teilweise wasserlöslich, daher Festigkeitsverlust bei Wasserlagerung • Beim Abbinden Volumenvergrößerung um ca. 1 % Anhydrit: Herstellung: Durch Erhitzen auf Temperaturen von 300 - 500°C Bildung von wasserfreiem Calciumsulfat CaSO4 (Anhydrit). Bei Temperaturen um 1000°C teilweise Zersetzung zu CaO (Estrichgips): CaSO4 → CaO + SO3↑ Erhärtung durch Zugabe von Wasser und Auskristallisation zu CaSO4. 2 H2O, wobei der Vorgang beim Anydrit durch Zumahlen von Erregern (z.B. 3 % Aluminiumoder Eisensulfat) oder beim Estrichgips durch freien Kalk (CaO) eingeleitet wird. Eigenschaften: • Langsamere Erhärtung als Gips, daher längere Verarbeitungszeit (bis zu 4 Std. nach dem Anmachen) • sonstige Eigenschaften ähnlich dem Gips - 150 - D.4.1.3 Hydraulische Kalke Definition: Bindemittel, die durch eine Reaktion zwischen Kalk, Kieselsäure und Wasser unter Einwirkung eines Anregers erhärten: Bildung von Calciumsilikathydraten der Form 3 CaO . 2 SiO2 . 3 H2O (Tricalziumsilikathydrat). Wegen seiner Ähnlichkeit mit einem in der Natur vorkommenden Mineral wird Tricalziumsilikathydrat häufig als "Tobermorit" bezeichnet, obwohl es bei der Hydratation der Bindemittel in sehr verschiedenen Kristallmodifikationen entstehen kann. Kieselsäure SiO2 in Form von Quarz ist sehr reaktionsträge, daher wasserunlöslich und säurebeständig (außer gegenüber Flusssäure). Kieselsäure wird reaktionsfreudiger 1. bei erhöhten Temperaturen 2. als gelöste Kieselsäure, z.B. Wasserglas (wasserlösliche Verbindung aus KOH oder NaOH und SiO2, die bei erhöhter Temperatur entsteht) 3. in amorpher Form, z.B. in der Natur als Opal, Feuerstein, Diatomeenerde 4. wenn sie an andere Komponenten gebunden ist, z.B. an Ziegelmehl. Ziegelmehl wird durch Mahlen von Ziegeln (gebrannter Ton) gewonnen. Eine der Ausgangskomponenten des Tones ist Kaolinit. Beim Brennen des Tones entsteht aus Kaolinit: Al2O3. 2 SiO2. 2 H2O → Al2O3. 2 SiO2 + 2 H2O (siehe Kapitel B: Keramische Werkstoffe) 5. durch Erzeugung von Kalk-Kieselsäure-Verbindungen bei erhöhten Temperaturen (2 CaO . SiO2 oder 3 CaO . SiO2) Von den Möglichkeiten 3., 4. und 5. wird bei der Herstellung der hydraulischen Kalke und der Portlandzemente Gebrauch gemacht. Puzzolane und Puzzolankalke Puzzolane sind Stoffe natürlicher oder künstlicher Herkunft, die überwiegend aus Silizium-Aluminium-Verbindungen bestehen und Silikate in reaktionsfähiger Form enthalten. Sie können mit Kalkhydrat (Ca(OH)2) und Wasser reagieren. Beispiele: Ziegelmehl, Flugasche (siehe Abschnitt 4.2.2), Trass oder Gesteine vulkanischen Ursprungs. Mischungen aus Kalkhydrat und Puzzolanen werden als Puzzolankalke bezeichnet. Als Mörtel erhärten sie auch unter Luftabschluss langsam durch Hydratation, sind wasserbeständig und erreichen höhere Festigkeiten als Kalkmörtel. Beispiel: Kalk und Ziegelmehl: 2 (Al2O3. 2 SiO2) + 7 Ca(OH)2 → 2 (2 CaO . Al2O3. SiO2. 2 H2O) + 3 CaO . 2 SiO2. 3 H2O Gebrannte hydraulische Kalke Beim Erhitzen (Brennen) von tonhaltigem Kalkstein, z.B. Mergel auf ca. 1200°C bildet sich CaO, das sich mit der Kieselsäure des Tones verbindet zu Dicalciumsilicat: 2 CaO . SiO2 ≡ C2S Daneben bildet sich 3 CaO . Al2O3 und 4 CaO . Al2O3 . Fe2O3. - 151 Diese Komponenten haben hydraulische Eigenschaften, d.h. sie können durch Reaktion mit Wasser und unter Luftabschluss erhärten. Eigenschaften: Hydraulische Kalke verhalten sich ähnlich wie Portlandzemente (Abschnitt D.4.1.4), erhärten jedoch wesentlich langsamer und können nach mehreren Jahren je nach Verhältnis Wasser / Bindemittel Druckfestigkeiten von 10 - 40 N/mm2 erreichen. Einteilung der Baukalke Je nach Anteil der hydraulischen Komponenten laufen bei der Erhärtung von Baukalken gleichzeitig sowohl Reaktionen mit Wasser (Hydratation) als auch mit CO2 (Karbonatisierung) ab. Grob können die Baukalke eingeteilt werden in Baukalke Hydraulischer Anteil Luftkalke ca. 0 - 10 M.-% Wasserkalke ca. 10 - 25 M.-% Hydraulische Kalke ca. 25 - 45 M.-% Hochhydraulische Kalke > 45 M.-% Latent hydraulische Stoffe Definition: Stoffe, die allein keine Neigung zur Hydratation haben, durch andere Stoffe aber zu einer hydraulischen Reaktion angeregt werden können. Beispiel: Hochofenschlacke bzw. Hüttensand bestehen aus Calciumsilikaten und -aluminaten mit geringem Kalkgehalt. Sie können durch Hydrate, z.B. Ca(OH)2, Portlandzement oder Gips zur Hydratation angeregt werden. D.4.1.4 Zemente D.4.1.4.1 Abkürzungen der Zementchemie Zur Vereinfachung benutzt die Zementchemie folgende Abkürzungen zur Bezeichnung der Zementkomponenten: Komponente Bezeichnung Abkürzung der Zementchemie CaO Kalk C SiO2 Kieselsäure S Al2O3 Tonerde A Fe2O3 Eisenoxid F H2O Wasser H SO3 Sulfat S - 152 Daher gilt für: Komponente Bezeichnung Abkürzung der Zementchemie 2 CaO . SiO2 Dicalciumsilicat C2S 3 CaO . SiO2 Tricalciumsilicat C3S 3 CaO . Al2O3 Tricalciumaluminat C3A 4 CaO . Al2O3 . Fe2O3 Tetracalciumaluminatferrit C4AF CaSO4 Calciumsulfat CS Ca(OH)2 Calciumhydroxid CH D.4.1.4.2 Bestandteile der Zemente Die im Bauwesen üblichen Zemente bestehen aus Haupt- und Nebenbestandteilen. Hauptbestandteile sind der Portlandzementklinker und sog. Zumahlstoffe, die meist puzzolanische oder latent-hydraulische Eigenschaften besitzen, insbesondere Hüttensand, Silicastaub, natürliche oder künstliche Puzzolane, Flugasche, gebrannter Schiefer oder Kalksteinmehl. Nebenbestandteile sind insbesondere Calciumsulfat (Gips) und andere anorganische und organische Zusätze in kleinen Mengen (0 - 5 M.-%). Der klassische Zement im Bauwesen ist der Portlandzement, der nach DIN 1164 Teil 1 einen Anteil von 95 - 100 M.-% an Portlandzementklinker aufweisen muss. D.4.1.4.3 Komponenten und Herstellung Die häufigsten Ausgangsprodukte zur Herstellung von Zement sind Kalkstein und Ton oder Kalkmergel sowie ggf. die Zumahlstoffe und weitere Zusätze. Ähnlich den hydraulischen Kalken bestehen sie aus folgenden Hauptkomponenten: Kalk CaO = C Kieselsäure SiO2 = S Tonerde Al2O3 = A Eisenoxid Fe2O3 = F Durch Erhöhung der Brenntemperatur auf etwa 1250 - 1900°C bei der Herstellung (Brenntemperatur bei gebrannten hydraulischen Kalken ca. 1200°C) entsteht neben dem Dicalciumsilicat 2 CaO . SiO2 = C2S das labilere und daher schneller hydratisierende Tricalciumsilicat 3 CaO . SiO2 ≡ C3S Die Bildung von C2S und C3S erfolgt in einem Sintervorgang durch Reaktionen der Komponenten im festen Zustand. Der Vorgang würde eine äußerst feine Zerkleinerung der Ausgangskomponenten erfordern. Die Rohprodukte zur Zementherstellung enthalten jedoch neben CaO und SiO2 auch die niederschmelzenden Komponenten Al2O3 und Fe2O3, in deren Schmelze sich CaO und SiO2 teilweise lösen. Nach der Reaktion und Abkühlung entstehen harte, dichte Stücke mit Durchmessern bis zu mehreren Zentimetern, die als Portlandzementklinker bezeichnet werden. - 153 Dieser besteht aus folgenden Hauptkomponenten: Tricalciumsilicat C3S 3 CaO . SiO2 45 - 80 M.-% Dicalciumsilicat C2S 2 CaO . SiO2 0 - 32 M.-% Tricalciumaluminat C3A 3 CaO . Al2O3 7 - 15 M.-% C4AF 4 CaO . Al2O3 . Fe2O3 4 – 14 M.-% Tetracalciumaluminatferrit Als Nebenbestandteile enthält Portlandzementklinker noch geringe Mengen an MgO; SO3; K2O; Na2O; CaO (freier Kalk). Schließlich wird dem gemahlenen Portlandzementklinker zur Regelung des Abbindevorgangs eine kleine Menge (1 - 3 M.-%) an Gips zugegeben. SCHOTTER Gewinnen ROHMEHL Brechen Lagern Trocknen und Mahlen Abscheiden KLINKER Lagern Brennen Homogenisieren Konditionieren der Abgase Hüttensand Klinker Traß Gips ZEMENT Mahlen Lagern PZ EPZ HOZ Verladen TrZ sackweise lose Abbildung D.4.1: Schema der Zementherstellung im Drehrohrofen nach dem Trockenverfahren nach [A.1] - 154 Die Herstellung des Portlandzementes erfolgt in folgenden Schritten: 1. Gewinnung der Ausgangsmaterialien Kalkstein und Ton oder Mergel 2. Zerkleinern und Mahlen der Ausgangsmaterialien 3. Vermischen der Komponenten unter Beachtung eines geforderten Verhältnisses CaO und SiO2 mit oder ohne Zugabe von Wasser (Nass- oder Trockenverfahren) 4. Brennen des Mischgutes in einem Drehofen zur Erzeugung des Portlandzementklinkers 5. Abkühlen und Mahlen des Klinkers unter Zugabe von Gips und ggf. Zumahlstoffen und Zementzusatzmitteln 6. Abfüllen des Zementes in Säcke, Silos etc. D.4.1.4.4 Die Hydratation des Portlandzementes Mischt man Zement mit Wasser, so entsteht Zementleim. Durch Erhärtung wird er in Zementstein umgewandelt. Die Erhärtung (Hydratation) läuft im Wesentlichen in drei Stadien ab: Stadium 1: Beginnt unmittelbar nach Wasserzugabe. Die Reaktion zwischen C3A, Gips und Wasser führt zur Bildung von sehr dünnen, nadelartigen Kristallen ≡ Ettringit. Der Zementleim wird zwar steifer, ist aber thixotrop und bleibt verarbeitbar. Stadium 2: Beginnt etwa 1/2 Stunde nach Wasserzugabe, erstreckt sich bis zum Erstarrungsbeginn (eine bis mehrere Stunden nach Wasserzugabe). Die Ettringitbildung geht zurück. Der Zement ist chemisch relativ inaktiv. Zur Definition von Erstarrungsbeginn und Erstarrungsende siehe Abschn. D.4.1.4.8. Stadium 3: Beim Erstarrungsbeginn verliert der Zementleim deutlich seine Verarbeitbarkeit. Einsetzen von Erhärtung durch Reaktion des C3S unter Bildung von Calciumsilikathydraten und Calciumhydroxid. Mit zunehmendem Alter nimmt auch C2S am Hydratationsvorgang teil. Bei ausreichendem Vorhandensein von Wasser erstreckt sich der Erhärtungsvorgang über mehrere Jahre. Die Hauptkomponenten des Portlandzementes C2S und C3S reagieren mit Wasser entsprechend folgender Beziehungen (Symbole der Zementchemie): 2 C2S + 4 H → C3S2H3 + CH 2 C3S + 6 H → C3S2H3 + 3 CH Beide Komponenten bilden also dieselben Hydratationsprodukte C3S2H3 Calciumsilikathydrat und CH Calciumhydroxid. Die Komponente C3A reagiert mit Wasser und Gips zu: C3A + 3 CS H2 + 26 H → C3A . 3 CS . H32 oder C6AS 3. H32 Das Reaktionsprodukt wird nach einem in der Natur vorkommenden, nadelförmigen Mineral gleicher Zusammensetzung Ettringit genannt. Trotz der frühzeitigen Ettringitbildung bleibt der Beton verarbeitbar. Das Ettringit ist nur in sulfatreichen Lösungen stabil. In sulfatarmen, kalkreichen Lösungen bildet sich das sog. Monosulfat, in das auch Ettringit in höherem Alter umgewandelt wird: 2 C3A + C6AS 3H32 + 4 H → 3 C4AS H12 - 155 Die Ettringitbildung ist mit einer Volumenvergrößerung verbunden, die im noch nicht erhärteten Zementstein unschädlich ist. Sie kann aber zu einer erheblichen Schädigung des Betons führen, wenn Ettringit im Festbeton durch Reaktion von C3A und Sulfaten entsteht, die von außen in den erhärteten Beton eindringen (siehe Abschnitt D.10.7). Ohne Zugabe von Gips würde das C3A sehr schnell mit Wasser reagieren und zu einem frühzeitigen Erstarren des Betons führen: C3A + 21 H → C4AH13 + C2AH8 In höherem Alter wird das C4AH13 in das stabile 2 C3A6 umgewandelt. Die Reaktion der Komponente C4AF wird ebenfalls durch Gips verzögert. Es entstehen Hydratationsprodukte der allgemeinen Form C6(A,F)S 3·H32. Die Hydratationsprodukte des Zementes, vor allem die C-S-H-Komponenten, bestehen zum großen Teil aus mikrokristallinen Partikeln kolloidaler Größe, so dass die Struktur des erhärteten Zementsteins einem starren Gel entspricht. Seine Eigenschaften werden in Abschnitt 8 näher besprochen. D.4.1.4.5 Hydratation einiger Zumahlstoffe Hüttensand ist ein latent hydraulischer Stoff. Er entsteht durch schnelles Abkühlen flüssiger Hochofenschlacke. Er hat eine teilweise glasige Struktur und reagiert in Anwesenheit eines Anregers, im Allgemeinen Calciumhydroxid, unter Bildung von Hydratationsprodukten, mit Wasser. Seine wichtigsten Bestandteile sind CaO, MgO, Al2O3 und SiO2, wobei der Anteil des CaO ausreichend hoch sein muss. Über die Zusammensetzung und die Hydratation von Flugasche sowie von Silicastaub siehe Abschnitt D.4.2.2. Trass und andere natürliche Puzzolane enthalten reaktionsfähige Silikate, die in Verbindung mit dem bei der Reaktion der Portlandzementklinker entstehenden Calciumhydroxid Calciumsilikathydrate bilden. Gebrannter Schiefer, der als Zumahlstoff für die Zementherstellung Verwendung findet, wird aus einem bituminösen, kalkhaltigen Ölschiefer gewonnen. Durch Brennen bei ca. 800°C entsteht daraus ein selbständig erhärtendes Bindemittel. Kalksteinmehl ist relativ inert, kann aber unter bestimmten Bedingungen ebenfalls zur Festigkeitsentwicklung beitragen. D.4.1.4.6 Eigenschaften der Zementkomponenten Die Komponenten C3S und C2S sind für die Festigkeitsentwicklung des Zementsteins am wichtigsten. Während C3S für die Anfangserhärtung maßgebend ist, führt C2S zur weiteren Erhärtung des Zementsteins in höherem Alter. Da die Zementhydratation ein exothermer Prozess ist, wird bei der Reaktion der Zementkomponenten Hydratationswärme frei. Sie ist bei C3S größer als bei C2S (siehe Tabelle D.4.1). Die Komponente C3A bewirkt eine schnelle Anfangserhärtung, hohe Hydratationswärme und schnelles Erstarren. Das Erstarren kann durch Zugabe von Gips verzögert werden, da die so eingeleitete Ettringitbildung nur zu einer geringen Versteifung des Zementleims führt. Die Reaktion von C3A mit Sulfaten (z.B. Gips) und Wasser ist mit einer Volumenvergrößerung verbunden. Tritt sie im erhärteten Beton auf, so kann sie diesen zerstören. Zement mit hohem Gehalt an C3A ist daher gegen Sulfate, die in den erhärteten Zementstein eindringen, nicht widerstandsfähig (siehe Abschnitt D.10.7). Die Komponente C4AF erhärtet langsam, beeinflusst die Färbung des Zementes und ist für die Zementherstellung von Nutzen. Die Nebenkomponenten CaO, MgO, Na2O, K2O sind meist unerwünscht. Größere Mengen an CaO und MgO führen zum Kalk- bzw. Magnesiatreiben. Na2O und - 156 K2O können zu schädlichen Reaktionen mit manchen Zuschlägen, z.B. Silikate in amorpher Form, führen (siehe Abschnitt D4.4.5). Druckfestigkeit [N/mm²] 80 C3S 60 C2S 40 20 C3A 0 C4AF 0 28 90 180 360 Alter in Tagen Abbildung D.4.2: Festigkeitsentwicklung der Komponenten des Portlandzements Die Eigenschaften aller Zementkomponenten und damit auch der Zemente können durch die Mahlfeinheit [m2/kg] wesentlich beeinflusst werden. Sehr fein gemahlene Zemente besitzen eine hohe Oberfläche, die mit Wasser reagieren kann. Große Mahlfeinheit führt daher zu einer schnellen Festigkeitsentwicklung, hoher Hydratationswärme und erhöhtem Schwinden. Druckfestigkeit [N/mm²] 45 365 Tg 40 35 90 Tg 28 Tg 30 25 7 Tg 300 350 400 450 500 Spezifische Oberfläche [m²/kg] Abbildung D.4.3: Anstieg der Festigkeit von Beton mit der Feinheit des Zementes im Alter von 7, 28, 90 und 365 Tagen - 157 Zusammenfassung der Eigenschaften der Komponenten des Portlandzementes: Klinkerphase Eigenschaften Hydratationswärme [J/g] C3S Schnelle Anfangserhärtung Hohe Wärmeentwicklung 500 C2S Langsame, stetige Erhärtung Niedrige Wärmeentwicklung 250 C3A In größeren Mengen: Schnelle Anfangserhärtung und Erstarrung Hohe Wärmeentwicklung Geringer Sulfatwiderstand 1340 C4AF Langsame Erhärtung Färbung des Zements 420 Die Zumahlstoffe Hüttensand, Flugasche und natürliche Puzzolane führen zu einer langsameren Festigkeitsentwicklung und einer Reduktion der Hydratationswärme. Ihr Beitrag zur Festigkeit wird erst in höherem Alter wirksam. Sie können darüber hinaus zu einer Erhöhung des Widerstands von Beton gegen chemischen Angriff, insbesondere Sulfate, wesentlich beitragen (siehe dazu Abschnitt D.10.7). Silicastaub ist aufgrund seiner hohen spezifischen Oberfläche schon frühzeitig reaktiv. Neben seiner puzzolanischen Wirkung trägt er durch Verbesserung der Packungsdichte der Zementpartikel zu einer Erhöhung der Betondruckfestigkeit bei. D.4.1.4.7 Normenzemente Durch Kontrolle des Gehalts an den Komponenten C3S, C2S, C3A, C4AF sowie der Zumahlstoffe und der Mahlfeinheit können die Eigenschaften der Zemente, insbesondere Festigkeitsentwicklung, Hydratationswärme, Sulfatwiderstand u.a. in weiten Grenzen variiert werden. In den Normen DIN EN 197-1 bzw. DIN 1164 (siehe Abschnitt D.3.1) sind die Zemente, die in Deutschland im Betonbau eingesetzt werden können, erfasst. Sie werden als sog. CEM-Zemente bezeichnet. Tabelle D.4.1 gibt einen Überblick der Zusammensetzung und Bezeichnung der Zemente. Nach dieser Tabelle wird zwischen 5 Hauptgruppen von Zementen unterschieden: CEM I Zemente mit 95 bis 100 M.-% Portlandzementklinker CEM II Zemente mit 65 bis 94 M.-% Portlandzementklinker und einem geringen Anteil weiterer Komponenten CEM III Zemente mit 5 bis 64 M.-% Portlandzementklinker und einem hohen Anteil an Hüttensand CEM IV Zemente mit 45 bis 89 M.-% Portlandzementklinker und einem hohen Anteil an Puzzolanen bzw. Flugasche CEM V Zemente mit 20 bis 64 M.-% Portlandzementklinker und einem hohen Anteil an Hüttensand und Puzzolanen bzw. Flugasche Innerhalb der Hauptgruppen II bis V wird je nach Gehalt an Zumahlstoffen (A bzw. B) weiter differenziert. Die Zemente der Hauptgruppe CEM II, CEM IV und CEM V unterscheiden sich ferner in der Art der Zumahlstoffe. Da bis vor kurzem in Deutschland noch andere Bezeichnungen der Zementarten üblich waren und in zahlreichen Fachbereichen verwendet werden, sind in Tabelle D.4.2 die alten und die neuen Zementbezeichnungen gegenübergestellt. Tabelle D.4.1: Arten der CEM - Zemente und Zusammensetzung in M.-% nach DIN EN 197-1, Ausgabe 06.2000 Zusammensetzung: (Massenanteile in Prozent) Bezeichnung Hauptbestandteile Zementart CEM I Portlandzement Portlandhüttenzement Portlandsilicastaubzement Portlandpuzzolanzement CEM II a Portlandflugaschezement Portlandschieferzement Portlandkalksteinzement Portlandkompositzement CEM III Hochofenzement CEM IV Puzzolanzement CEM V Kompositzement c c c Portlandzement klinker Hüttensand Silicastaub K K D - - b CEM I 95 bis 100 CEM II/A-S CEM II/B-S CEM II/A-D CEM II/A-P CEM II/B-P CEM II/A-Q CEM II/B-Q CEM II/A-V CEM II/B-V CEM II/A-W CEM II/B-W CEM II/A-T CEM II/B-T CEM II/A-L CEM II/B-L CEM II/A-LL CEM II/B-LL CEM II/A-M CEM II/B-M 80 bis 94 65 bis 79 90 bis 94 80 bis 94 65 bis 79 80 bis 94 65 bis 79 80 bis 94 65 bis 79 80 bis 94 65 bis 79 80 bis 94 65 bis 79 80 bis 94 65 bis 79 80 bis 94 65 bis 79 80 bis 94 65 bis 79 6 bis 20 21 bis 35 - 6 bis 10 CEM III/A CEM III/B CEM III/C 35 bis 64 20 bis 34 5 bis 19 36 bis 65 66 bis 80 81 bis 95 - CEM IV/A CEM IV/B 65 bis 89 45 bis 64 - CEM V/A CEM V/B 40 bis 64 20 bis 38 18 bis 30 31 bis 50 - Puzzolane Flugasche natürlich kieselnatürlich kalkreich getempert säurereich P Q V W - - - - Kalkstein T L LL - - - 6 bis 20 21 bis 35 6 bis 20 21 bis 35 6 bis 20 21 bis 35 6 bis 20 21 bis 35 6 bis 20 21 bis 35 6 bis 20 21 bis 35 6 bis 20 21 bis 35 6 bis 20 21 bis 35 - - - - 11 bis 35 36 bis 55 - Gebrannter Schiefer 18 bis 30 31 bis 50 - Nebenbestandteile 0 bis 5 0 bis 5 0 bis 5 0 bis 5 0 bis 5 0 bis 5 0 bis 5 0 bis 5 0 bis 5 0 bis 5 0 bis 5 0 bis 5 0 bis 5 0 bis 5 0 bis 5 0 bis 5 0 bis 5 0 bis 5 0 bis 5 0 bis 5 - - - 0 bis 5 0 bis 5 0 bis 5 - - - 0 bis 5 0 bis 5 - - - 0 bis 5 0 bis 5 a Die Werte in der Tabelle beziehen sich auf die Summe der Haupt- und Nebenbestandteile. b Der Anteil von Silicastaub ist auf 10 M.-% begrenzt. c In den Portlandkompositzementen CEM II/A-M und CEM II/B-M, in den Puzzolanzementen CEM IV/A und CEM IV/B und in den Kompositzementen CEM V/A und in CEM V/B müssen die Hauptbestandteile außer Portlandzementklinker durch die Bezeichnung des Zements angegeben werden. - 159 Tabelle D.4.2: Gegenüberstellung der alten und neuen Zementbezeichnungen neu alt Portlandzement Portlandzement (PZ) Portlandhüttenzement Eisenportlandzement (EPZ) Portlandpuzzolanzement Trasszement (TrZ) Portlandflugaschezement Flugaschezement (FAZ) Portlandschieferzement Portlandölschieferzement (ÖPZ) Portlandkalksteinzement Portlandkalksteinzement (PKZ) Flugaschehüttenzement (FAHZ) Portlandkompositzement Portlandflugaschehüttenzement (CEM II/B-SV) Hochofenzement Hochofenzement (HOZ) Für neuere Zementtypen, die in Tabelle D.4.2 (links) nicht aufgeführt sind, existiert keine entsprechende alte Bezeichnung. Nach DIN EN 197-1 werden die Zemente auch in Festigkeitsklassen eingeteilt, die in der folgenden Tabelle zusammengefasst sind. Diese Tabelle enthält auch Richtwerte für die Hydratationswärmeentwicklung solcher Zemente. Um Verwechslungen zu vermeiden, sind Zemente einheitlich zu bezeichnen. Die in DIN 1164 geforderten Farbkennzeichnungen sind ebenfalls in dieser Tabelle enthalten. Tabelle D.4.3: Klassifizierung der Zemente nach DIN EN 197-1 bzw. DIN 1164 Druckfestigkeit (N/mm2) Festigkeitsklasse Anfangs festigkeit Normfestigkeit 28 Tg. Kennzeichnung durch Farbe Sack Aufdruck Hydratationswärme nach 2 Tg. 7 Tg. 7 Tagen min. min. min. max. 32,5 N - 16 32,5 52,5 hellbraun schwarz 150-300 32,5 R 10 - 32,5 52,5 hellbraun rot 275-380 42,5 N 10 - 42,5 62,5 grün schwarz 275-380 42,5 R 20 - 42,5 62,5 grün rot 340-380 52,5 N 20 - 52,5 - rot schwarz 340-380 52,5 R 30 - 52,5 - rot weiß 340-380 [J/g] Ein R-Zement erhärtet schnell bei höherer Wärmeentwicklung (hohe Anfangsfestigkeit; früher: F-Zemente). Beachte: Nicht alle Zementarten werden in allen Festigkeitsklassen hergestellt. - 160 Zemente mit besonderen Eigenschaften: Für manche Bauwerke und Zuschläge ist es erforderlich, Zemente mit besonderen Eigenschaften zu verwenden. Diese besonderen Eigenschaften können meist nur durch eine Begrenzung des Gehaltes bestimmter Zementkomponenten erreicht werden (DIN 1164): NW-Zemente: Zemente mit niedriger Wärmetönung dürfen in den ersten 7 Tagen nur eine Wärmemenge von max. 270 J/g Zement entwickeln. HS-Zemente: Zemente mit hohem Sulfatwiderstand. Bei Portlandzementen (CEM I) ist der Gehalt von C3A auf 3 M.-% und der Gehalt von Al2O3 auf 5 M.-% beschränkt. Bei den Hochofenzemente sind die Zementtypen CEM III/B und CEM III/C gemäß Tab. D.4.1 zulässig. NA-Zemente: Zemente mit niedrigem Alkaligehalt zur Vermeidung von AlkaliZuschlagreaktionen (siehe Abschnitt 4.4.5) CEM I bis V Na2O-Äquivalent ≤ 0,60 % CEM II/B-S Anteil Hüttensand ≥ 21 M.-% Na2O-Äquivalent ≤ 0,70 % CEM III/A Anteil Hüttensand ≤ 49 M.-% Na2O-Äquivalent ≤ 0,95 % Anteil Hüttensand ≥ 50 M.-% Na2O-Äquivalent ≤ 1,10 % CEM III/B u. C Na2O-Äquivalent ≤ 2,00 % Normenbezeichnung der Zemente nach DIN EN 197-1 bzw. DIN 1164: Diese erfolgt nach Art und Festigkeitsklasse des Zements, nach der Festigkeitsentwicklung und ggf. nach besonderen Eigenschaften. Beispiele: • Kompositzement mit einem Hüttensandanteil (S) zwischen 18 % und 30 % und einem Anteil kieselsäurereicher Flugasche (V) zwischen 18 % und 30 % sowie einer üblichen Festigkeitsentwicklung in der Festigkeitsklasse 32,5: Kompositzement EN 197-1 – CEM V/A (S-V) 32,5 N • Hochofenzement, Hüttensandgehalt 66 - 80 M.-%, Festigkeitsklasse 32,5, übliche Anfangsfestigkeit, niedrige Hydratationswärme, hoher Sulfatwiderstand: Hochofenzement DIN 1164 – CEM III/B 32,5 – NW/HS D.4.1.4.8 Eigenschaften und Prüfung von Zementen Beschaffenheit und Zusammensetzung der Zemente können insbesondere folgende Eigenschaften eines damit hergestellten Betons entscheidend beeinflussen: • Erstarrungsverhalten (Länge des Zeitraums, innerhalb dem der Frischbeton verarbeitbar bleibt) • Raumbeständigkeit • Festigkeitsentwicklung und Verformungseigenschaften • Wärmeentwicklung während der Erhärtung • Widerstand gegen chemische Angriffe - 161 Die Kontrolle dieser Eigenschaften erfordert daher eine laufende Überwachung des zur Betonherstellung verwendeten Zementes. Die dazu erforderlichen wichtigsten Versuche sind in DIN EN 196 festgelegt. Festigkeitsentwicklung und Betontemperatur: Wegen ihres Gehalts an latent hydraulischen Stoffen oder Puzzolanen hydratisieren Zemente mit Zumahlstoffen meist langsamer als Portlandzement CEM I. Sie zeigen daher auch in höherem Alter noch eine deutliche Festigkeitssteigerung (siehe Abbildung D.4.4). Betondruckfestigkeit in % der 28-Tage-Werte 160 CEMIII/A III/A 32,5 CEM 32,5 N 120 CEM RR CEMI 32,5 I 32,5 CEMI 52,5 I 52,5 CEM RR 80 40 0 0 3 7 28 90 Alter in Tagen (Wurzelmaßstab) 180 Abbildung D.4.4: Zeitliche Entwicklung der Druckfestigkeit von Betonen aus unterschiedlichen Zementen Wegen ihrer geringeren Hydratationswärme sind solche Zemente z. B. zum Bau dickwandiger Konstruktionen besonders geeignet. Dies geht auch aus den nachstehenden Diagrammen (Abbildung D.4.5) hervor, in denen die Erhöhung der Betontemperatur als Folge der Hydratationswärme für Beton aus unterschiedlichen Zementen bei Bauteilen unterschiedlicher Dicke in Abhängigkeit vom Betonalter aufgetragen ist. - 162 - Temperaturanstieg [°C] 50 CEM I 32,5 R β wN = 45 N/mm² 40 6m 30 3m 20 2m 10 1m 0 Temperaturanstieg [°C] 50 CEM III 32,5 N β wN = 40 N/mm² 40 6m 30 3m 20 2m 10 1m 0 Temperaturanstieg [°C] 40 CEM III 32,5 N NW/HS β wN = 30 N/mm² 30 6m 20 3m 10 0 1m 0 2 2m 4 6 8 10 Alter des Betons (Tage) 12 14 Abbildung D.4.5: Verlauf des Temperaturanstiegs im Kern von Betonbauteilen unterschiedlicher Dicke (Zementgehalt 300 kg/m3) Druckfestigkeit (DIN EN 196 Teil 1): Bestimmung der Druckfestigkeit an Hälften von Prismen 40/40/160 [mm] aus einer Mörtelmischung aus 1 Massenanteil Zement, 3 M.-Teilen Normensand und 0,5 M.Teilen Wasser im Alter von 2, 7 und 28 Tagen. Geforderte Festigkeiten siehe Abschnitt D.4.1.4.7. Erstarrungsverhalten (DIN EN 196 Teil 3): Ermittlung von Erstarrungsbeginn und Erstarrungsende durch Messung der Eindringtiefe einer Nadel (Vicatnadel) in einen steifen Zementbrei mit einem Wasserzusatz von 23 bis 30 M.-%. Der Erstarrungsbeginn darf frühestens 1 Stunde nach dem Anmachen eintreten. Das Erstarrungsende soll nach spätestens 12 Stunden erreicht sein. - 163 Mahlfeinheit (DIN EN 196 Teil 6): Bestimmung der spezifischen Oberfläche [m2/kg] durch Ermittlung der Luftdurchlässigkeit eines Zementpulvers nach dem Verfahren von BLAINE. Es beruht auf der Beobachtung, dass mit steigender Oberfläche (= wachsender Mahlfeinheit) die Gasdurchlässigkeit eines verdichteten Pulvers abnimmt. Erforderlicher Mindestwert: 220 m2/kg. Raumbeständigkeit (DIN EN 196 Teil 3): Hohe Gehalte an freiem Kalk, Magnesia oder Sulfaten können bei Wassereinwirkung zu einem Treiben (starke Volumenvergrößerung) und damit zu Rissen im Zementstein bzw. Beton führen. Der Treibvorgang kann durch Temperaturerhöhung beschleunigt werden, so dass die Raumbeständigkeit eines Zementes in einem Kochversuch in kurzer Zeit überprüft werden kann. Dazu wird ein aus Zementbrei hergestellter Kuchen in Wasser gekocht. Er muss auch nach dieser Behandlung scharfkantig und rissefrei bleiben und darf sich um nicht mehr als 2 mm verwölben. Widerstand gegen chemische Angriffe (DIN EN 196 Teil 2): Dieser ist durch die chemische Zusammensetzung des Zementes bestimmt und kann nur durch eine chemische Analyse oder durch andere in Deutschland nicht genormte Schnellversuche überprüft werden. Gehalt an Wasser und CO2 (DIN EN 196 Teil 21): Bei ungenügendem Schutz des Zementes gegen Feuchtigkeit kann dieser schon vor seiner Verarbeitung hydratisieren. Das Ausmaß dieser Hydratation sowie der Gehalt an CO2 kann aus dem Glühversuch (Erhitzen des Zementes auf T ≈ 1000°C und Bestimmung des Gewichtsverlustes) ermittelt werden. Er darf bei CEM I, CEM II/A(B)-S und CEM III/A(B) 5 M.-%, bei CEM II/A(B)-P 7 M.-% nicht überschreiten. Hydratationswärme (DIN EN 196 Teil 8 und Teil 9): Die Hydratationswärme ist nach DIN 1164 nur für NW-Zemente begrenzt. Sie wird nach dem Lösungswärmeverfahren (DIN EN 196 Teil 8) oder nach dem teiladiabatischen Verfahren (DIN EN 196 Teil 9) bestimmt und darf einen Wert von 270 J/g Zement nach 7 Tagen nicht überschreiten. Für einige der CEM-Zemente (Puzzolanzemente) ist deren Puzzolanität (Reaktionsfähigkeit) zu überprüfen (DIN EN 196 Teil 5). Andere Eigenschaften: Zement hat je nach Art eine Rohdichte zwischen 2,90 und 3,20 kg/dm3. CEM I: 3,10 - 3,20 kg/dm3 CEM II/A(B)-S: 3,04 kg/dm3 CEM III: 3,00 kg/dm3 CEM II/A(B)-P: 2,93 kg/dm3 Die Farbe des Zementes (grau bis weiß) hängt von den Rohstoffen (Fe2O3), der Art des Brennens und der Mahlfeinheit ab, sagt aber über die Zementeigenschaften nichts aus. Zementleim neigt häufig dazu, vor dem Erstarren Wasser abzusondern (Bluten). Die Neigung zum Bluten nimmt mit steigender Mahlfeinheit ab. Durch chemische Reaktion und Wasserverlust wird das Volumen des Zementsteins gegenüber dem Ausgangsvolumen u. U. um mehrere Prozent verringert (Schrumpfen; Schwinden). Unter Dauerlast wachsen die Verformungen des Zementsteins auf ein Vielfaches der Anfangsverformungen an (Kriechen, siehe Abschnitt D.9). - 164 Literatur: [D.4.1] ZEMENT-TASCHENBUCH 1984, Bauverlag GmbH, Düsseldorf [D.4.2] CZERNIN, W.: Zementchemie für Bauingenieure, Bauverlag GmbH, Wiesbaden-Berlin, 1977 [D.4.3] HILSDORF, H. K. & REINHARDT, H. W.: Beton aus Betonkalender 2000, Verlag Ernst & Sohn, Berlin, 2000 [D.4.4] GRÜBL, P.; WEIGLER, H.; KARL, S.: Beton: Arten - Herstellung - Eigenschaften, Verlag Ernst & Sohn, Berlin, 2001 [D.4.5] BASALLA, A.: Baupraktische Betontechnologie Bauverlag GmbH, Düsseldorf, 1984 - 165 - D.4.2 Betonzusatzmittel und Betonzusatzstoffe Definition: Betonzusatzmittel und Betonzusatzstoffe werden dem Frischbeton flüssig oder als Pulver zugegeben, um die Frischbeton- und/oder die Festbetoneigenschaften günstig zu beeinflussen Betonzusatzmittel: Zugabe in Mengen ≤ 50 g oder 50 cm³ je kg Zement Betonzusatzstoffe: Zugabe in Mengen > 50 g oder 50 cm³ je kg Zement Für Beton dürfen nur Substanzen als Zusatzmittel oder Zusatzstoffe verwendet werden, die vom Deutschen Institut für Bautechnik (DIBt) zugelassen sind und ein Prüfzeichen besitzen. Ihre Verwendung erfordert immer eine Eignungsprüfung des damit herzustellenden Betons. In jedem Fall ist sorgfältig zu überprüfen, ob Zusatzmittel oder Zusatzstoffe nicht auch schädliche Wirkungen auf den Beton oder bei Stahl- oder Spannbeton auf die Bewehrung haben können. D.4.2.1 Betonzusatzmittel Betonverflüssiger (BV) machen den Frischbeton flüssiger (leichter verarbeitbar) bzw. verringern die für eine bestimmte Verarbeitbarkeit des Frischbetons erforderliche Wassermenge. Chemische Substanzen: ligninsulfosaure Salze; anorganische Salze, z.B. von Hydroxylcarbonsäuren Wirkungsweise: Dispergierung von Zementagglomeraten und Schmierwirkung. Oberflächenaktive Stoffe setzen die Oberflächenspannung des Wassers herab, und/oder führen zu einer gleichmäßigeren Verteilung der feinen Feststoffe (Zement und Feinsand). Fließmittel (FM): Eine besondere Gruppe der Betonverflüssiger bilden die Fließmittel. Es wird zwischen zwei Gruppen unterschieden: (1) Bei FM auf der Basis von Melamin oder Ligninsulfonaten tritt keine Verzögerung der Erstarrung des Betons ein. Die verflüssigende Wirkung ist bereits nach ca. 30 Minuten beendet. (2) Die Naphthalinderivate können auch zu einem verzögerten Erstarren des Betons führen, wobei die verflüssigende Wirkung bis zu 2 Stunden anhält. Fließmittel können die Wirkung von LP-Mitteln beeinflussen. Bei der Herstellung von Fließbeton (siehe Kapitel 5) ist wegen meist nur begrenzter Wirkungsdauer der Fließmittel häufig ein Nachdosieren erforderlich. Luftporenbilder (LP) erzeugen im Zementleim ein System gleichmäßiger, verteilter kleiner Luftporen, die während des Mischens des Betons stabil bleiben und sich erst nach sehr langer Wasserlagerung des erhärteten Betons mit Wasser füllen. Luftporenbildner erhöhen den Frostwiderstand des Betons (siehe Kapitel 10). Da sie im Frischbeton wie Kugellager wirken, verbessern sie, ähnlich den BV-Mitteln, auch die Verarbeitbarkeit des Frischbetons. Chemische Substanzen: Wurzelharze; Ligninsulfonate; Salze verbindungen und Proteinsäuren der Carboxyl- Wirkungsweise: Stabilisierung von Schaum und Luftblasen in einer wässrigen Lösung durch bevorzugte Adsorption an Oberflächen und Reduktion der Oberflächenspannung. Betondichtungsmittel (DM) sollen die Wasserundurchlässigkeit des erhärteten Zementsteins und damit des Betons verbessern. Dies geschieht zum Teil durch eine gewisse wasserabstoßende Wirkung des Zusatzmittels, das auch begrenzt quellfähige Substanzen enthalten kann. Die dichtende Wirkung von DM-Mitteln ist häufig zeitlich begrenzt, und es ist sinnvoll, dichten Beton durch einen entsprechenden Aufbau des Betons (geringer ωWert; gute Verdichtung und Nachbehandlung) zu erreichen. Chemische Substanzen: Fettsaure Verbindungen, z.B. Kalziumstearat, Natriumoleat; Abbauprodukte des Eiweißes - 166 Erstarrungsverzögerer (VZ) behindern die Einleitung der Hydratation und verlängern den Zeitraum vom Mischen bis zum Erstarrungsbeginn, so dass die Verarbeitungszeit des damit hergestellten Betons verlängert wird. Die Erhärtung des Betons wird im Allgemeinen von VZ-Mitteln nicht oder nur wenig beeinflusst. Chemische Substanzen: Phosphate; Oxylcarbonsäuren und deren Salze; Sulfonate; Glukonate Wirkungsweise: Verzögern des Inlösunggehens der Aluminate; Bildung von Zwischenprodukten an der Oberfläche der Zementkörner, so dass weitere Hydratation verzögert wird. Erstarrungsbeschleuniger (BE) beschleunigen den Hydratationsvorgang und erhöhen damit die Frühfestigkeit des Zementsteins bzw. des Betons. Chemische Substanzen: Salze, die in wässriger Lösung alkalisch reagieren, z.B. Natriumkarbonat, Aluminate, Silikate. Ferner Natriumnitrit, Natriumfluorid und organische Stoffe. Wirkungsweise: Beschleunigtes Inlösunggehen der Bestandteile des Zementes. Förderung der Keimbildung zur Auskristallisation des Calciumhydroxides. Beachte: Das früher als Beschleuniger häufig verwendete Calciumchlorid CaCl2 sowie andere chloridhaltige Zusatzmittel dürfen für Stahlbeton- und Spannbetonkonstruktionen wegen der damit verbundenen Korrosionsgefährdung des Bewehrungs- bzw. Spannstahles nicht mehr verwendet werden. Einpresshilfen für Einpressmörtel bei Spannbeton (EH) enthalten Treibmittel, welche das Volumen der flüssigen Einpressmörtel vergrößern, die in die Spannkanäle von Spannbetonkonstruktionen eingepresst werden. Damit kann eine gleichmäßige, hohlraumfreie Füllung der Spannkanäle erzielt und das Bluten des Einpressmörtels reduziert werden. Chemische Substanzen: z.B. Aluminiumpulver, das in einem alkalischen Medium unter Bildung von Wasserstoff oxidiert. Stabilisierer (ST): Stabilisierer werden dem Beton zugegeben, um ein Entmischen (Bluten) zu vermeiden. ST wirken teilweise etwas verflüssigend. Sie bestehen aus hochmolekularen Polymeren. Schlussbemerkung: Manche Zusatzmittel können gleichzeitig verschiedene, z.T. unerwünschte Wirkungen haben. Beispiele: Manche Verzögerer erzeugen auch Luftporen; Fließmittel können verzögernd wirken. Bei der gleichzeitigen Verwendung verschiedener Zusatzmittel können sich diese gegenseitig beeinflussen, z.B. Fließmittel und LP-Bildner. Ihre Wirkung ist daher stets in Eignungsprüfungen besonders sorgfältig zu untersuchen. Bei falscher Dosierung kann sich die Wirkungsweise eines Zusatzmittels umkehren. Aus all diesen Gründen ist die Forderung von sorgfältigen Eignungsprüfungen von Beton bei Verwendung von Zusatzmitteln voll gerechtfertigt. - 167 - D.4.2.2 Betonzusatzstoffe Als Betonzusatzstoffe werden verwendet: • Inerte Stoffe und Pigmente, z.B. Quarz- oder Kalksteinmehl • Puzzolane Stoffe, Definition siehe Abschnitt D.4.1.3, insbesondere Trass (Tr), Steinkohlenflugasche (FA), Silicastaub (SF) und getemperte Gesteinsmehle (GG) • Latent hydraulische Stoffe, Definition siehe Abschnitt D.4.1.3, z.B. Hüttensand (als Betonzusatzstoff in Deutschland derzeit nicht bauaufsichtlich zugelassen) • Organische Stoffe, z.B. Kunstharzzusätze (Dispersionen) Inerte Zusatzstoffe, z.B. die Gesteinsmehle reduzieren aufgrund ihrer großen Mahlfeinheit das Bluten des Frischbetons und verbessern u.U. seine Verarbeitbarkeit. Als Pigmente zum Einfärben des Betons werden überwiegend Metalloxide, z.B. Eisenoxidrot, -braun, -schwarz, -gelb, Chromoxidgrün, Manganblau und Titandioxid verwendet. Die Farbwirkung der Pigmente hängt von der Betonzusammensetzung ab und kann zuverlässig nur an trockenen Betonoberflächen beurteilt werden. Tabelle D.4.4: Eigenschaften und Zusammensetzung von Zement, Silicastaub, Flugasche, Hüttensand und Trass im Vergleich mittl. Teilchendurchmesser Dichte Spez. Oberfläche SiO2 Al2O3 CaO [µm] [g/cm³] [m²/g] [M.-%] [M.-%] [M.-%] Zement 10 – 20 3,1 0,2 – 0,7 18 – 24 4–8 60 – 70 Silicastaub 0,1 – 0,2 2,3 20 – 25 85 – 98 <2 <1 Flugasche 10 - 20 2,0 – 2,6 0,3 – 1,0 40 - 55 20 - 30 3-7 Hüttensand 10 - 20 2,85 0,4 – 1,0 32 - 40 10 - 16 35 - 45 Trass 10 - 30 1,8 – 2,8 0,5 – 0,8 50 - 75 10 - 25 3 - 15 Stoff Puzzolane reagieren mit dem im Zementstein vorliegenden Calciumhydroxid unter Bildung von Calciumsilikathydraten. Da diese Reaktion nur sehr langsam abläuft, erfolgt eine Festigkeitssteigerung des Betons auch noch in hohem Alter. Die in der Betontechnologie am meisten verwendeten Puzzolane sind die Flugaschen. Sie fallen als Rückstände bei der Verbrennung von Kohle in Kraftwerken an und werden über Elektrofilter aus dem Rauchgas abgeschieden. Die Reaktionsfähigkeit von Flugaschen ist einerseits auf ihre sehr kleine Teilchengröße, andererseits auf ihre teilweise amorphe bzw. glasige Struktur zurückzuführen. Die Korngrößenverteilung der Flugaschen liegt etwa im Bereich jener von Zementen. Flugaschepartikel sind jedoch in ihrer Form meist kugelig. In Deutschland dürfen z.Zt. nur Steinkohleflugaschen als Betonzusatzstoffe verwendet werden. Dazu ist ein Prüfzeichen des Deutschen Instituts für Bautechnik erforderlich. Für Steinkohleflugaschen mit Prüfzeichen sind der C-Gehalt (Glühversuch), der SO3- und der Cl-Gehalt beschränkt. Ferner ist die Puzzolanität durch Vergleich der Druckfestigkeit von Mischungen mit und ohne Flugaschen nachzuweisen (siehe Literatur [D.4.3] und [D.4.4]). Flugaschen reduzieren wegen ihrer kugeligen Form häufig den Wasseranspruch des Frischbetons. Sie wirken insbesondere in höherem Alter aufgrund ihrer puzzolanischen Wirkung festigkeitssteigernd und reduzieren die Hydratationswärme. - 168 In Deutschland kann Flugasche unter bestimmten Voraussetzungen auf den Wasserzementwert und den Zementgehalt angerechnet werden: (w / z)eq = mit w z + kf ⋅ f , (D.4.1) (w/z)eq = äquivalenter Wasserzementwert w = Wassergehalt, kg/m3 z = Zementgehalt, kg/m3 f = Flugaschegehalt, kg/m3 kf = Beiwert, für Außenbauteile 0,3 bis 0,4, siehe [D.4.3] Flugasche kann den Widerstand von Beton gegen chemischen Angriff, insb. gegen Sulfate, verbessern, siehe Literatur [D.4.3] und [D.4.4]. Silicastaub (silica fume = SF) besteht zu ca. 95 % aus amorpher Kieselsäure und ist ein Abfallprodukt bei der Herstellung von Ferro-Silizium-Legierungen. Die Partikel sind kugelig und wesentlich feiner als bei üblichen Zementen. Silicastaub wirkt schon in jungem Alter festigkeitssteigernd und wird z.Zt. vor allem zur Herstellung hochfester Betone verwendet. Wegen seiner hohen Feinheit erhöht er den Wasseranspruch des Frischbetons und erfordert daher meist die Verwendung von Fließmitteln. Sowohl latenthydraulische als auch puzzolanische Zusatzstoffe werden meist als teilweiser Zementersatz verwendet. Dies wirkt sich sowohl auf die mechanischen Eigenschaften als auch auf die Dauerhaftigkeit des Betons aus. Organische Zusatzstoffe verbessern meist das Wasserrückhaltevermögen des Betons. Im Wesentlichen werden sie für Estriche, Reparaturmörtel und als Haftvermittler bei nachträglich aufzubringenden Schichten verwendet. Für tragende Bauteile aus Beton dürfen diesem keine Kunstharzdispersionen zugegeben werden. Literatur: [D.4.3] HILSDORF, H. K. & REINHARDT, H. W.: Beton aus Betonkalender 2000, Verlag Ernst & Sohn, Berlin, 2000 [D.4.4] GRÜBL, P.; WEIGLER, H.; KARL, S.: Beton: Arten - Herstellung - Eigenschaften, Verlag Ernst & Sohn, Berlin, 2001 [D.4.6] DEUTSCHER BETON- UND BAUTECHNIK-VEREIN E. V.: Betonherstellung und Verwendung nach neuer Norm, Verlag Ernst & Sohn, Berlin, 2003 - 169 - D.4.3 Anmachwasser für Beton Fast jedes natürlich vorkommende Wasser, das trinkbar ist oder keinen typischen Geschmack oder Geruch hat, kann als Wasser zum Mischen von Beton benutzt werden. Bei Wasser unbekannter Herkunft wird empfohlen, Mörtel- oder Betonwürfel herzustellen und deren Druckfestigkeit nach 28 Tagen zu bestimmen. Die Proben sollten dann mindestens 90 % der Festigkeit eines Betons besitzen, der mit Trinkwasser hergestellt wurde. Außerdem ist zu bestimmen, ob mögliche Verunreinigungen im Wasser auf den Erhärtungsbeginn und -ablauf des Betons einen Einfluss haben. Wasser mit gelösten Stoffen in einer Konzentration von weniger als 0,2 Vol.-% des Gesamtbetons kann in den meisten Fällen ohne Bedenken für die Betonherstellung verwendet werden. Verschiedene Stoffe, die im Folgenden beschrieben sind, können sich aber auch bei geringeren Konzentrationen auf die Eigenschaften von Beton nachteilig auswirken. D.4.3.1 Salze Saures Wasser: Die Verwendung von sauren Wässern zur Herstellung von Beton kann entweder aufgrund der Konzentration an Salzen oder nach dem pH-Wert beurteilt werden. Wenn möglich sollten saure Wässer mit einem pH-Wert kleiner 3,0 zum Herstellen von Beton nicht verwendet werden. Na2CO3 und K2CO3: Sobald im Mischwasser eine Konzentration von mehr als 0,1 Vol.-% Alkalicarbonaten beobachtet wird, sollten Abbindeverhalten und 28-Tage-Festigkeit überprüft werden (Eignungsprüfung). NaCl und Na2SO4: Verunreinigungen bis zu 2 Vol.-% können noch hingenommen werden. Andere Salze: CaCO3 und MgCO3 sind in Wasser nur wenig löslich und treten daher nur selten in Konzentrationen auf, die für den Beton schädlich sind. Bi-Carbonate des Calciums und Magnesiums sind öfters in Trinkwasser enthalten, erwiesen sich aber in den meisten Fällen als harmlos. Magnesiumsulfate und -chloride in Konzentrationen bis zu 4 Vol.-% wurden schon im Betonwasser vorgefunden, ohne dass dabei Schäden beobachtet wurden. Mangan-, Zinn-, Zink-, Kupfer- oder Bleisalze im Wasser können u.U. auch schon bei Konzentrationen von 0,05 Vol.-% schädliche Auswirkungen haben. D.4.3.2 Meerwasser Zur Herstellung von unbewehrtem Beton kann Meerwasser mit einer Konzentration an gelösten Salzen bis zu 3,5 Vol.-% verwendet werden. Die Salze führen oft zu einer Beschleunigung des Erhärtungsvorgangs und zu einer geringen Reduktion der Festigkeit des Betons in hohem Alter. Dies kann durch eine Verringerung des Wasserzementwertes berücksichtigt werden. Die Herstellung von bewehrtem Beton mit Meerwasser ist nur bedingt möglich, da sich vor allem bei hohem Chloridgehalt des Meerwassers das Risiko der Korrosion der Stahlbewehrung im Beton erhöht. D.4.3.3 Alkalisches Wasser Wasser, das NaOH in Konzentrationen über 0,5 Vol.-% enthält, kann zu einer Beschleunigung des Abbindevorgangs führen. Höhere Konzentrationen können sich auf die Festigkeit nachteilig auswirken. KOH bis zu einer Konzentration von 1,2 Vol.-% kann ebenfalls die Festigkeit des Betons merklich verringern. - 170 - D.4.3.4 Industrieabwässer Die meisten Industrieabwässer enthalten, soweit sie genügend gereinigt sind, nicht mehr als 0,4 Vol.-% an Festbestandteilen. Industrieabwässer führen normalerweise zu einem Abfall der Festigkeit bis zu 10 %. In jedem Fall sind jedoch bei der Verwendung von Industrieabwässern vor der Betonherstellung Eignungsprüfungen durchzuführen. D.4.3.5 Zucker Geringe Mengen an Zucker, d.h. 0,03 - 0,15 % des Gewichtes an Zement können zu einer erhebliche Verzögerung des Abbindens von Beton führen. Bei Konzentrationen über 0,2 % kann dagegen eine Beschleunigung des Abbindevorgangs eintreten. Konzentrationen über 0,25 % führen zu einem sehr schnellen Abbinden und einem erheblichen Abfall der Druckfestigkeit nach 28 Tagen. D.4.3.6 Schwebstoffe Bis zu 0,2 M.-% an Schwebstoffen können normalerweise im Mischwasser hingenommen werden. Stärker verunreinigtes Wasser sollte daher in Absetzbecken vorgereinigt werden, ehe es zur Betonherstellung verwendet wird. D.4.3.7 Öle Verschiedene Ölarten können gelegentlich im Anmachwasser vorkommen. Dabei hat Petroleum, soweit es nicht mit tierischen oder pflanzlichen Fetten vermengt ist, einen relativ geringen Einfluss auf die Betoneigenschaften. Andere mineralische Öle in Konzentrationen von mehr als 2 %, ausgedrückt in Gewichtsteilen des Zementes, können jedoch zu einer erheblichen Reduktion der Betonfestigkeit führen. D.4.3.8 Algen Algen im Mischwasser für Beton führen zu einer starken Reduktion der Betonfestigkeit, weil sie entweder mit dem Zement unerwünschte chemische Bindungen eingehen oder zu einer großen Erhöhung des Luftgehaltes führen. Algen können auch in Betonzuschlägen enthalten sein, wobei sie sich dann auch auf den Verbund zwischen Zuschlagstoff und Zementstein nachteilig auswirken können. D.4.3.9 Restwasser Aus Gründen des Umweltschutzes kann Brauchwasser, das in Transportbetonwerken z.B. beim Reinigen stationärer Mischer oder der Fahrzeugmischtrommeln anfällt, wegen seines hohen pH-Wertes nicht dem Abwasser zugeführt werden. Unter bestimmten Bedingungen - siehe dazu Lit. [D.4.6] - kann dieses Wasser zur Herstellung von neuem Beton verwendet werden. Literatur: [D.4.3] HILSDORF, H. K. & REINHARDT, H. W.: Beton aus Betonkalender 2000, Verlag Ernst & Sohn, Berlin, 2000 [D.4.4] GRÜBL, P.; WEIGLER, H.; KARL, S.: Beton: Arten - Herstellung - Eigenschaften, Verlag Ernst & Sohn, Berlin, 2001 [D.4.6] DEUTSCHER BETON- UND BAUTECHNIK-VEREIN E. V.: Betonherstellung und Verwendung nach neuer Norm, Verlag Ernst & Sohn, Berlin, 2003 [D.4.7] Richtlinie für die Herstellung von Beton unter Verwendung von Restwasser, Restbeton und Restmörtel, September 1991, DEUTSCHER AUSSCHUSS FÜR STAHLBETON, Beuth Verlag GmbH Berlin, 1991 - 171 - D.4.4 Gesteinskörnungen für Beton und Mörtel D.4.4.1 Allgemeines Gesteinskörnungen bestehen üblicherweise aus natürlichem oder künstlichem, dichtem oder porigem Gestein mit Korngrößen von 0 bis max. 63 mm. Die Gesteinskörnungen sind ein wesentlicher Bestandteil des Betons und füllen etwa 60 bis 80 % seines Gesamtvolumens aus. Der Begriff "Gesteinskörnung" ersetzt in der DIN 1045 den Begriff "Zuschlag", der jedoch noch häufig verwendet wird. Bedeutung: • billiger Füllstoff • Verminderung der Volumenänderungen des Zementsteines Die Gesteinskörnungen beeinflussen: • die Festbetoneigenschaften: hauptsächlich die Rohdichte, Festigkeit, Verformungseigenschaften und die Dauerhaftigkeit des Betons • die Frischbetoneigenschaften: Verarbeitbarkeit, Entmischungsneigung, Bluten D.4.4.2 Arten von Gesteinskörnungen Zuschläge können entweder nach ihrem Vorkommen oder nach ihrem Gewicht klassifiziert werden: Nach dem Vorkommen: • natürliche Gesteinskörnungen: Sand, Kies, gebrochenes Gestein (Brechsand, Splitt und Schotter) • industriell hergestellte Gesteinskörnungen: z.B. geblähter Ton oder Schiefer, Ziegelsplitt, aufbereiteter Altbeton, Hochofenschlacke Nach dem Gewicht: • leichte Gesteinskörnungen (ρ < 2,0 kg/dm3): z.B. Bims, Tuffe, Blähton und Blähschiefer • normale Gesteinskörnungen (2,0 < ρ < 3,0 kg/dm3): z.B. Sand, Kies, gebrochenes Gestein • schwere Gesteinskörnungen (ρ > 3,0 kg/dm3): z.B. Baryt, Magnetit, Stahlschrot Es ist grundsätzlich möglich und auch in zunehmendem Maß üblich, Gesteinskörnungen für Beton durch Recycling von Altbeton herzustellen. Solche Gesteinskörnungen können die Anforderungen nach DIN 4226-100 erfüllen, wobei die Anteile der Kornfraktion 0/4 mm z.Zt. im Allgemeinen nicht weiter verwendet werden. D.4.4.3 Kornaufbau von Gesteinskörnungen Gesteinskörnungen sollen aus Körnern verschiedener Größe aufgebaut sein, um die zur Herstellung eines Betons erforderliche Zementleimmenge zu einem Minimum zu machen und die Verarbeitbarkeit des Frischbetons zu optimieren. - 172 Bei kubisch primitiv gepackten Kugeln gleicher Größe entstehen unabhängig vom Kugeldurchmesser Hohlräume, deren Volumen etwa 48 % des Gesamtvolumens beträgt. Bei einer dichtesten Packung bleibt immer noch ein Hohlraumanteil von 26 Vol.-%, der mit Zementleim ausgefüllt werden müsste. vp ~ 0,48v vp ~ 0,26v d ~ 0,16D D d Eine günstigere Füllung kann mit Körnern verschiedener Durchmesser erzielt werden. Sind die Kugeldurchmesser so gewählt, dass kleinere Kugeln die Hohlräume zwischen den nächstgrößeren Kugeln gerade ausfüllen (Schlupfkorn), so entsteht jedoch ein Gemisch, das für die Verwendung als Gesteinskörnung für Beton meist zu sperrig ist. Tabelle D.4.5: Einige Eigenschaften von Gesteinen für "Betonzuschlag" (Gesteinskörnungen) 1 2 3 4 5 6 7 Reindichte Rohdichte (Trockenrohdichte) Wasseraufnahme Quellen und Schwinden Wärmedehnung Schleifverschleiß, Volumenverlust je 50 cm2 Prüffläche Druckfestigkeit des lufttrockenen Gesteins Gesteinsart kg/dm3 kg/dm3 Massen-% mm/m mm je m u. 100°C cm3 / 50 cm2 N/mm2 Granit, Granodiorit, Syenit 2,62-2,85 2,60-2,80 0,2-0,5 0,06-0,18 0,80 5,0-8,0 160-240 Basalt, Melaphyr 3,00-3,15 2,95-3,00 0,1-0,3 5,0-8,5 250-400 Grauwacke, Quarzit1, Gangquarz2 2,64-2,68 2,60-2,65 0,2-0,5 1,20 7,0-8,0 150-300 Quarzitischer Sandstein 2,64-2,68 2,60-2,65 0,2-0,5 0,03-0,70 1,20 7,0-8,0 120-200 Dichter Kalkstein, Dolomit, kristalliner Marmor1 2,70-2,90 2,65-2,85 0,2-0,6 0,10 0,75 15,0-40,0 80-180 Vulkanischer Tuffstein, Lavaschlacke 2,62-2,75 1,80-2,00 6,0-15,0 Gneis, Granulit 2,67-3,05 2,65-3,00 0,1-0,6 Baryt 4,10-4,30 Limonit, Goethit 3,6 1 Umwandlungsgestein 2 Erstarrungsgestein 20-30 4,0-10,0 160-280 - 174 - Für Beton werden Korngemische mit stetiger oder unstetiger Korngrößenverteilung verwendet. Die Korngrößenverteilung eines Korngemisches wird durch eine sog. Sieblinie charakterisiert. Für ein vorgegebenes Korngemisch wird sie anhand der Ergebnisse eines Siebversuches ermittelt. Dazu werden Prüfsiebe verwendet, deren Maschen- oder Quadratlochöffnungen nach DIN 4226-1 bzw. DIN 4226-2 festgelegt sind. Tabelle D.4.6: Beispiel für eine Siebzusammenstellung nach DIN 4226-1 0,063 +) Metalldrahtsiebe Lochblechsiebe mm mm 0,25 1 1,4 2 2,8 4 5,6 8 11,2+) 16 22,4+) 31,5+) 45 63 Nenngrößen des Korns: 11 mm, 22 mm, 32 mm a7 4,0 Sieböffnung [mm] a5 2,0 a4 1,4 a3 1,0 0,25 a2 0,063 a1 a Rückstand [kg] a6 2,8 Die Zusammenstellung der Prüfsiebe bzw. der Lochdurchmesser dieser Siebe ist in DIN 4226 Teil 1 und Teil 2 in Abhängigkeit vom größten und kleinsten Korndurchmesser der zu prüfenden Korngruppe festgelegt. In Tabelle D.4.6 ist ein Beispiel für eine Siebzusammenstellung angegeben. Eine Korngruppe umfasst die Korngrößen zwischen zwei gewählten Sieböffnungen. Z. B. entspricht der Rückstand auf dem Sieb mit einer Maschenweite von 2 mm (a5) der Korngruppe 2/2,8 mm. Durch Wägung der Rückstände auf Sieben verschiedener Durchmesser kann der prozentuale Siebdurchgang (Gewichtsanteil an Körnern mit einem Durchmesser < Öffnung des Siebes) wie folgt ermittelt werden: Tabelle D.4.7: Vorgehensweise zur Ermittlung des Siebdurchganges Sieböffnung Rückstand Siebdurchgang Siebdurchgang [mm] [kg] [kg] [%] 0 a0 - 0 0,063 a1 a0 a0 • 100 G 0,25 a2 a0 + a1 a 0 + a1 • 100 G 1,0 a3 a0 + a1 + a2 1,4 a4 a0 + a1 + a2 + a3 # # # # Σa = G Σa = G 100 - 175 - Durch Auftragen des Siebdurchgangs in Abhängigkeit von der Korngröße erhält man die Sieblinie. Bei dieser Auftragung gibt der jeweilige Ordinatenwert den Anteil des Korngemisches an, der kleiner als die zugehörige Korngröße ist. Die Siebdurchgänge von Korngruppen für Beton müssen den Vorgaben in DIN 4226 Teil 1 und Teil 2 entsprechen. Zusätzlich schlägt DIN 1045 Regelsieblinien für Korngemische mit unterschiedlichen Größtkörnern vor, die sich aus den verschiedenen Korngruppen erstellen lassen. Dabei wird jeweils zwischen den Grenzsieblinien A, B, C und U sowie zwischen Sieblinienbereichen c bis g unterschieden. Üblicherweise werden auf der Abszisse die Lochweiten der Prüfsiebe mit konstanten Abstand voneinander aufgetragen. Da sich die Öffnungen aufeinanderfolgender Normensiebe bei den Regelsieblinien nach DIN 1045 um einen konstanten Faktor 2 unterscheiden, entspricht dies einer Auftragung im logarithmischen Maßstab. Der Verlauf stetiger Sieblinien kann durch verschiedene Funktionen beschrieben werden, z. B. durch die Korngrößenverteilung nach Andreasen: ⎛ d⎞ A = 100 ⋅ ⎜ ⎟ ⎝D⎠ mit n A= Siebdurchgang aller Feststoffe in % d= Sieböffnung D= Größtkorn des Korngemisches n= Potenz , (D.4.2) Je höher eine Sieblinie in einem A = f(d)-Diagramm liegt bzw. je kleiner die Potenz in Gleichung D.4.2 ist, umso feiner ist die Sieblinie. Siebdurchgang [M.-%] 100 fein 80 60 40 grob 20 0 0,25 0,5 1 2 4 8 Lochweite [mm] 16 31,5 63 Abbildung D.4.6: Sieblinien eines feinen und eines groben Korngemisches nach DIN 1045 Die Regelsieblinien nach DIN 1045 können durch die Gleichung A= n⎤ ⎡ d n ⎢⎛⎜ ⎞⎟ − ⎛⎜ 0,125 ⎞⎟ ⎥ n ⎝ D ⎠ ⎥ ⎛ 0,125 ⎞ ⎢⎣⎝ D ⎠ ⎦ 1− ⎜ ⎟ ⎝ D ⎠ 100 (D.4.3) beschrieben werden (Ausnahme: Sieblinie U). Mit n ≈ 2/3 ergibt sich Sieblinie A; n ≈ 1/4 Sieblinie B und n → 0 Sieblinie C. Im Gegensatz zu Gleichung D.4.2 gilt Gleichung 4.3 nicht für den Siebdurchgang aller Feststoffe, sondern lediglich für Feststoffe mit d ≥ 0,125 mm, so dass sich nach Gleichung 4.3 für d = 0,125 mm A = 0 ergibt. - 176 - 100 Siebdurchgang (M.-%) (Vol.-%) Siebdurchgang 90 85 80 5 C8 70 74 71 B8 60 57 4 61 57 50 A8 40 42 3 30 30 20 21 10 11 36 2 1 U8 30 21 5 0 00 0 .125 0,125 0. 25 0,25 0. 5 0,5 1 22 44 88 Sieblochw eite (mm) Abbildung D.4.7: Grenzsieblinien für Korngemische mit einem Größtkorn von 8 mm 100 90 88 Siebdurchgang (Vol.-%) Siebdurchgang (M.-%) 80 5 C16 74 70 60 62 4 B16 60 56 50 49 3 40 A16 42 30 36 30 32 8 3 0 00 0.125 0,125 0.25 0,25 30 21 18 10 2 U16 1 20 76 12 0.5 0,5 1 2 4 8 16 Sieblochw eite (mm) Abbildung D.4.8: Grenzsieblinien für Korngemische mit einem Größtkorn von 16 mm - 177 - 100 90 C32 89 77 80 Siebdurchgang Siebdurchgang (Vol.-%) (M.-%) 80 70 5 B32 65 60 53 50 4 47 40 42 37 30 A32 3 38 30 28 62 62 20 23 2 U32 30 1 15 10 14 8 2 0 00 0 .125 0,25 0. 25 0,125 8 11 0 .5 0,5 22 4 8 16 31. 5 31,5 Sieblochw eite (mm) Abbildung D.4.9: Grenzsieblinien für Korngemische mit einem Größtkorn von 32 mm 100 90 90 C63 80 80 Siebdurchgang Siebdurchgang (Vol.-%) (M.-%) 80 5 70 60 59 70 B63 67 64 50 46 4 A63 50 49 40 39 38 30 24 20 30 30 00 U63 30 1 11 7 2 0 30 19 14 10 2 3 6 0,125 0.1 3 0,25 0.25 0 0,5 .5 1 2 4 8 16 3 1.5 63 63 31,5 Sieblochw eite (mm) Abbildung D.4.10: Grenzsieblinien für Korngemische mit einem Größtkorn von 63 mm Bereich c grobkörniges Gemisch Bereich d Ausfallkörnung Bereich e grob- bis mittelkörniges Gemisch Bereich f mittel- bis feinkörniges Gemisch Bereich g feinkörniges Gemisch - 178 - Der Kornaufbau eines Korngemisches beeinflusst die Verarbeitbarkeit des Frischbetons. Zementgehalt Mit feiner werdender Körnung steigt die spezifische Oberfläche des Gemisches. Entsprechend steigt die zur Benetzung der Gesteinsoberflächen erforderliche Wassermenge, der Wasseranspruch des Korngemisches wächst. Der Wasseranspruch ist dabei die für eine bestimmte Verarbeitbarkeit des Frischbetons erforderliche Wassermenge. Gehalt an Feinstoffen Abbildung D.4.11: Erforderlicher Zementgehalt zum Erreichen einer bestimmten Frischbetonkonsistenz Bei gegebenem Wasserzementwert steigt mit wachsendem Wasseranspruch auch der erforderliche Zementgehalt (siehe dazu Abschnitt D.5). Gesteinskörnungen kommen in der Natur meist als Gemenge von Körnern verschiedener Größe vor. Um den Aufbau eines natürlichen Korngemisches zu optimieren, wird das rohe Gesteinsmaterial im Kieswerk gewaschen und durch Sieben in Kornfraktionen getrennt. Aus wirtschaftlichen Gründen erfolgt die Trennung in Kornfraktionen, die mehrere Kornklassen umfassen, z.B. 0/2; 2/8; 8/32. Durch geeignete Zusammenstellung eines Korngemisches aus verschiedenen Kornfraktionen wird dann eine Gesamtsieblinie angestrebt, deren Kornaufbau den Regelsieblinien der EN 206-1 und der DIN 1045 möglichst entspricht. Dabei ist eine Sieblinie im Bereich e am günstigsten. Sieblinien im Bereich f sind zwar noch brauchbar, wegen ihres höheren Anteils an feinen Körnern haben sie jedoch im Vergleich zu Sieblinien im Bereich e einen höheren Wasseranspruch. Sieblinien von sog. Ausfallkörnungen (Bereich d) sind unstetig. Dies sind Korngemische, bei denen eine oder mehrere Korngruppen fehlen. Sie können zu wirtschaftlichen Betonmischungen mit guten Eigenschaften im frischen bzw. im erhärteten Zustand führen (siehe dazu z.B. [D.4.4]). Zur Abschätzung des für eine bestimmte Kornzusammensetzung erforderlichen Wasseranspruchs ist es erforderlich, eine Sieblinie durch einen Kennwert zu beschreiben. Dazu werden u.a. verwendet: ∑ Rückstände auf allen Normensieb en in M.-% Körnungsziffer: k= Durchgangssumme: D = ∑ Siebdurchgang durch alle Normensiebe in M.-% 100 Nachfolgende Tabelle gibt diese Kennwerte für die Regelsieblinien nach EN 206-1 bzw. DIN 1045 zusammen mit den dazugehörigen Wasseranspruchszahlen nach Abschnitt D.5.1.3. Sie entsprechen der Wassermenge in dm3, die für 100 dm3 Gesteinskörnung einer bestimmten Kornzusammensetzung zur Herstellung eines Frischbetons mit plastischer Konsistenz (F2) erforderlich ist. - 179 Tabelle D.4.8: Kennwerte für Regelsieblinien nach EN 206-1 bzw. DIN 1045 und zugehörige Wasseranspruchszahlen Sieblinie Körnungsziffer D-Summe Wasseranspruchszahlen [dm3/100dm3] A8 B8 C8 U8 3,64 2,89 2,27 3,87 536 611 673 513 10,96 14,46 18,60 11,05 A16 B16 C16 U16 4,61 3,66 2,75 4,88 439 534 625 412 8,90 12,28 16,89 8,72 A32 B32 C32 U32 5,48 4,20 3,30 5,65 352 480 570 335 7,54 11,53 15,13 7,53 A63 B63 C63 U63 6,15 4,91 3,72 6,57 285 409 528 243 7,09 10,53 14,37 7,04 Die Wahl des Größtkorns einer Gesteinskörnung richtet sich nach den Abmessungen des zu erstellenden Bauteils. Es soll 1/3 der kleinsten Querschnittsabmessung nicht überschreiten. Bei bewehrtem Beton nach DIN 1045-1 ist zu berücksichtigen, dass der Größtkorndurchmesser dg nicht größer als der Stababstand s zwischen zwei Bewehrungsstäben abzüglich 5 mm sein darf (jedoch nur wenn dg > 16 mm). Zudem muss der Größtkorndurchmesser kleiner als das Nennmaß der Betondeckung sein. Bei Betonfertigteilen nach DIN 1045-4 darf das Größtkorn 4/3 des Nennmaßes der Betondeckung nicht überschreiten. - 180 - Um einen Beton mit ausreichendem Zusammenhalt und geringer Neigung zum Bluten und Entmischen herzustellen, soll der Beton einen ausreichenden Mehlkorngehalt besitzen (= Summe des Gehalts an Zement, Zusatzstoff und Feinstzuschlag 0 bis 0,125), der bei einem Größtkorn von 16 bis 63 mm folgende Richtwerte nicht überschreiten darf: Tabelle D.4.9: Höchstzulässiger Mehlkorngehalt Höchstzulässiger Mehlkorngehalt Zementgehalt 3 [kg/m ] [kg/m³] Für Betone der Festigkeitsklassen bis einschließlich C50/60 und LC50/55 bei den Expositionsklassen XF und XM ≤ 300 400 > 350 450 Für Betone ab den Festigkeitsklassen C55/67 und LC55/60 bei allen Expositionsklassen ≤ 400 500 450 550 ≥ 500 600 Für alle anderen Betone beträgt der höchstzulässige Mehlkorngehalt 550 kg/m³. Eine Überschreitung dieser Grenzwerte um bis zu 50 kg/m3 ist zulässig, wenn • der Zementgehalt z > 350 kg/m3 ist • puzzolanische Zusatzstoffe verwendet werden • das Größtkorn 8 mm beträgt D.4.4.4 Eigenschaften der Gesteinskörnungen Die meisten normalen Gesteinskörnungen besitzen Festigkeiten von ca. 50 bis 400 N/mm2 und beeinflussen die Betondruckfestigkeit meist nur wenig. Dies gilt nicht für leichte Gesteinskörnungen (siehe Abschnitt D.11.3). Der Verschleißwiderstand der Gesteinskörnungen ist für Beton von Bedeutung, der besonders starker mechanischer Beanspruchung ausgesetzt ist. In solchen Fällen sind Körnungen mit besonders hoher Abriebfestigkeit zu verwenden. Die Rohdichte der Gesteinskörnungen beeinflusst die Rohdichte des Betons und schwankt zwischen 0,5 bis 2,0 kg/dm3 (leichte Gesteinskörnungen), 2,0 bis ca. 3,0 kg/dm3 (normale Gesteinskörnungen), > 3,0 kg/dm3 (schwere Gesteinskörnungen). Die Kornform hat einen Einfluss auf die Verarbeitbarkeit des Frischbetons. Gedrungene bzw. kugel- oder würfelförmige Körner ergeben einen gut verarbeitbaren Beton. Daher sollte höchstens die Hälfte der Gesteinskörnung über 8 mm so plattig sein, dass die Länge der Körner mehr als das 3-fache ihrer Dicke beträgt. Der Feuchtigkeitsgehalt der Gesteinskörnungen für Beton hängt von Art und Volumen der Poren in den Körnern ab. Eine hohe Eigenfeuchte des Korngemisches, vor allen Dingen des Sandes, erhöht den Wasserzementwert der Betonmischung, wenn sie bei der Wasserzugabe nicht berücksichtigt wird. Eigenfeuchte: Sie gibt den Feuchtigkeitsgehalt einer Gesteinskörnung und wird durch Bestimmung des Masseverlustes nach Trocknen des Korngemisches bei etwa 100°C bestimmt durch Eigenfeuchte = mit mf = Masse der feuchten Probe, mt = Masse der trockenen Probe. mf − mt mt , (D.4.4) - 181 Die Eigenfeuchte kann in Oberflächen- und Kernfeuchte aufgeteilt werden. Oberflächenfeuchte: Feuchtigkeit, die an der Oberfläche der Gesteinskörnung adsorbiert oder zwischen den Körnern angelagert ist und am Hydratationsvorgang des Zements teilnehmen kann. Sie ist vor allem bei den feineren Fraktionen (Sand) von Bedeutung. Zur Bestimmung der Oberflächenfeuchte muss die Eigenfeuchte der Gesteinskörnung um den Betrag der Kernfeuchte vermindert werden. Diese gibt das in den Poren der Körner enthaltene Wasser an, das am Hydratationsvorgang nicht teilnimmt. Es beträgt z. B. bei Moräne- und Rheinkies ca. 0,8 M.-% der getrockneten Körner. Frostwiderstand: Eine Gesteinskörnung für Beton, die häufigem Frost-TauWechsel ausgesetzt ist, muss einen ausreichenden Frostwiderstand besitzen. Dieser hängt vor allem vom Porenvolumen und Porengrößenverteilung der Gesteinskörnung sowie von der Größe der Körner ab. Körnungen mit einem hohen Gehalt an feinen, kontinuierlichen Poren sind meist weniger frostbeständig als dichte Körnungen mit geringem Porenvolumen. Große Körner werden durch Frosteinwirkung eher zerstört als kleine Körner (siehe dazu auch Abschnitt D.10). D.4.4.5 Schädliche Bestandteile Feinanteile: Die Feinanteile sind als Teile des Zuschlags < 0,063 mm definiert. Sie bestehen häufig aus lehm- oder tonhaltigen Stoffen, haften an der Oberfläche der Betonzuschläge und vermindern die Verbundfestigkeit zwischen der Gesteinskörnung und dem Zementstein. Ihr Gehalt soll folgende Werte nicht überschreiten: Tabelle D.4.10: Zulässige Gehalte an Feinanteilen nach DIN 4226-1 Gesteinskörnung [mm] Höchstwerte des Gehalts an Feinanteilen [M.-%] Grobe Gesteinskörnungen 1,0 Feine Gesteinskörnungen (0 mm bis 4 mm) 4,0 Natürlich zusammengesetzte Gesteinskörnungen (0 mm bis 8 mm) 3,0 Korngemische (0 mm bis 45 mm) 2,0 Stoffe organischen Ursprungs und erhärtungsstörende Stoffe: Organische Verunreinigungen der Gesteinskörnungen, wie z. B. Humus oder kohleartige Substanzen, können für den Beton schädlich sein, da sie den Erhärtungsablauf beeinflussen, zur Volumenvergrößerung oder zu einer Verfärbung der Betonoberflächen führen können. Der Anteil leichtgewichtiger organischer Verunreinigungen soll bei feinen Gesteinskörnungen (Sand) 0,5 M.-% und bei groben sowie natürlich zusammengesetzten Gesteinskörnungen und Korngemischen 0,1 M.% nicht überschreiten. Schwefelverbindungen: Sie können vor allen Dingen als Sulfate mit der C3A-Komponente des Zements reagieren und durch Treiben zu einer Betonzerstörung führen. Der Gehalt an Sulfat in Betonzuschlägen soll daher 0,8 M.-% des Trockengewichts nicht überschreiten. - 182 Chloride: Sie sind nicht für die Komponenten des Betons schädlich, zerstören aber die Passivschicht einer im Beton eingebetteten Stahlbewehrung. In nicht karbonatisiertem Beton werden geringe Mengen von Chlorid durch die C3A-Komponente gebunden. In Europa gelten folgende Grenzwerte für die maximalen Chloridgehalte des Betons bezogen auf das Zementgewicht (DIN V ENV 206): • unbewehrter Beton: 1,0 M.-% • bewehrter Beton: 0,4 M.-% • Spannbeton, nachträgliche Vorspannung: 0,2 M.-% Alkali-Zuschlag-Reaktionen: Betonzuschläge, die Silikate in amorpher Form enthalten, können in feuchter Umgebung mit den löslichen Alkalien des Zements (Na2O und K2O) reagieren. Die so entstehenden Alkalisilikate haben eine Gelstruktur und können große Mengen an Wasser bei gleichzeitiger Volumenvergrößerung aufnehmen. Diese Treiberscheinungen können den Beton zerstören (siehe z.B. Literatur [D.4.3]). D.4.4.6 Zusätzliche Anforderungen in den Normen Nach DIN 4226, Teil 1, „Gesteinskörnungen für Beton; Zuschlag mit dichtem Gefüge; Begriffe, Bezeichnungen und Anforderungen“, werden Gesteinskörnungen in die Kategorien "feine Gesteinskörnungen (Sand)", "grobe Gesteinskörnungen" sowie "natürlich zusammengesetzte Gesteinskörnungen" und "Korngemische" unterteilt. Für Jede dieser Kategorien werden Regelanforderungen angegeben. Diese Regelanforderungen betreffen neben den vorstehend angeführten Punkten folgende Eigenschaften: • Widerstand gegen Zertrümmerung, Verschleiß, Polieren und Abrieb • Frostwiderstand und Frost-Tausalz-Widerstand • Raumbeständigkeit D.4.4.7 Leichte Gesteinskörnungen Eine leichte Gesteinskörnung ist ein Gemenge aus natürlichen oder künstlich hergestellten Stoffen mit einer Rohdichte zwischen 0,4 und 2,0 kg/dm3 entsprechend einem Porenvolumen von 70 bis 35 Vol.-%. Beispiele: Naturbims; Lavaschlacken; Hüttenbims; Blähschiefer; Blähton Die hohe Porosität bewirkt eine hohe Wasseraufnahme der Gesteinskörner und u. U. einen hohen Wasseranspruch eines damit hergestellten Frischbetongemisches (siehe Abschnitt D.11.3). An leichte Gesteinskörnungen werden im Wesentlichen die gleichen Anforderungen wie an normale Gesteinskörnungen gestellt. (Weitere Einzelheiten siehe z. B. [D.4.3] und [D.4.4]). - 183 - D.5 Eigenschaften des Frischbetons Problemstellung: Die Eigenschaften des Frischbetons hängen von der Betonzusammensetzung, von den Eigenschaften der Ausgangsstoffe und von den Umweltbedingungen ab. Bei einer Kenntnis der Parameter, welche die Frischbetoneigenschaften beeinflussen, können die zur Betonherstellung erforderlichen Material- und Energiekosten (Verdichtung) gering gehalten und die Eigenschaften des erhärteten Betons optimiert werden. D.5.1 Verarbeitbarkeit und Konsistenz Die Verarbeitbarkeit ist die wichtigste Frischbetoneigenschaft. Sie kann nicht durch eine einzige Kenngröße beschrieben werden, da sie eine Reihe von Eigenschaften umfasst, insbesondere die Mischbarkeit der Komponenten, das Verhalten beim Transport und beim Einbringen des Betons in die Schalung, die Verdichtungswilligkeit und das Verhalten beim Abgleichen der Oberfläche. Eine am ehesten geeignete Messgröße ist der Energieaufwand, der zur Durchführung dieser Operationen erforderlich ist. Insbesondere die zum Verdichten erforderliche Energie kann über die Konsistenz des Frischbetons abgeschätzt werden. D.5.1.1 Klassifizierung Je nach seiner Konsistenz wird der Frischbeton nach DIN 1045 in folgende Klassen eingeteilt: Tabelle D.5.1: Ausbreit- und Verdichtungsmaße für verschiedene Konsistenzklassen Ausbreitmaß (Durchmesser) [mm] Klasse Konsistenzbeschreibung ≤ 340 F1 steif 350 bis 410 F2 plastisch 420 bis 480 F3 weich 490 bis 550 F4 sehr weich 560 bis 620 F5 fließfähig ≥ 630 F6 sehr fließfähig Verdichtungsmaß [-] Klasse Konsistenzbeschreibung ≥ 1,46 C0 sehr steif 1,45 bis 1,26 C1 steif 1,25 bis 1,11 C2 plastisch 1,10 bis 1,04 C3 weich Die Konsistenzklassen des Verdichtungs- und des Ausbreitmaßes sind nicht direkt vergleichbar. Beachte: Bei gegebenem Wasserzementwert sind die Materialkosten zur Herstellung eines trockenen Betons niedriger als zur Herstellung eines weichen Betons. Dagegen wachsen die zur vollständigen Verdichtung des Frischbetons erforderlichen Energiekosten mit steigender Steifigkeit. Weitere Beurteilungskriterien für die Betonkonsistenz nach DIN 1045 sind das Setzmaß und die Setzzeit. - 184 D.5.1.2 Methoden zur Bestimmung der Verarbeitbarkeit des Frischbetons Das Ausbreitmaß (DIN EN 12350-5): 130 mm 200 mm 200 mm Auf einen Ausbreittisch wird ein Blechkonus gestellt, der in zwei Lagen mit Frischbeton gefüllt wird. Dieser wird durch 10 Stöße je Lage mit einem Holzstampfer, Querschnitt 40.40 mm2 verdichtet. Nach dem Füllen des Konus wird dieser gezogen und der Ausbreittisch innerhalb 15 Sekunden 15-mal bis zu einem Anschlag hochgehoben und dann frei fallen gelassen. Dabei breitet sich der Beton aus. Das Ausbreitmaß ist der mittlere Durchmesser des so entstandenen Betonkuchens. Der Ausbreitversuch eignet sich nur für Beton der Konsistenzbereiche F1 bis F6. Das Verdichtungsmaß (DIN EN 12350-4): s h= 400 mm 200 mm Dieser Versuch ist für die Konsistenzbereiche C0 bis C3 geeignet. Der Frischbeton wird in einen offenen Blechkasten 200.200.400 mm3 lose eingefüllt. Danach wird der überstehende Beton abgestrichen und der Beton durch Rütteln optimal verdichtet. Der Abstand der Oberfläche des verdichteten Betons vom oberen Behälterrand ist ein Maß für die Konsistenz des Frischbetons: v= h h−s (D.5.1) - 185 - D.5.1.3 Einflussgrößen Die Konsistenzklasse steigt d.h. der Frischbeton wird weicher mit steigendem Wassergehalt und steigendem Gehalt an Zementleim. Sie kann durch Betonzusatzmittel insbesondere Verflüssiger, Fließmittel und Luftporenbildner erhöht werden. Auch der Mehlkorngehalt muss zur Optimierung der Konsistenz und Verarbeitbarkeit des Frischbetons auf ein richtiges Maß eingestellt werden. Von besonderer Bedeutung sind der Aufbau der Gesteinskörnungen sowie Größe und Form der Körner. Aus der Sieblinie der Gesteinskörnung ergibt sich der Wasseranspruch nach Abschnitt D.4.4.3. Der zur Erzielung einer bestimmten Frischbetonkonsistenz erforderliche Wassergehalt des Frischbetons ≡ Wasseranspruch kann nachfolgendem Diagramm entnommen werden. Körnungsziffer k (-) 6,0 F1 F2 F3 A 32 5,5 5,0 A 16 4,5 B 32 4,0 B16 A8 3,5 C32 3,0 B8 C16 2,5 C 2,0 120 140 8 F2 F1 160 180 200 220 Wasseranspruch (kg/m³) F3 240 260 Abbildung D.5.1: Abhängigkeit zwischen Körnungsziffer k des Korngemisches und Wasseranspruch w des Frischbetons Eine Erhöhung der Betontemperatur kann eine Reduktion der Konsistenzklasse und insbesondere eine Reduktion der Zeitspanne zur Folge haben, während der ein Frischbeton verarbeitbar bleibt. Fließbeton (Konsistenz F4 und F5) soll ein gutes Fließ- und ein gutes Zusammenhaltevermögen aufweisen. Er wird aus einem steiferen Beton als Ausgangsbeton durch nachträgliches Zumischen eines Fließmittels (siehe Abschnitt D.4.1) hergestellt. D.5.2 Abgleichen einer frischen Betonoberfläche In vielen Fällen ist es erforderlich, eine besonders gleichmäßige, glatte Betonoberfläche herzustellen. Dies ist umso leichter möglich, je höher der Wassergehalt und je größer der Gehalt an feinen Bestandteilen im Beton ist. - 186 - D.5.3 Neigung zum Entmischen Frischbeton, der einen ungenügenden Gehalt an feinen Stoffen und einen zu hohen Gehalt an Wasser hat, neigt zum Entmischen, d.h. beim Transportieren oder Einbringen des Betons trennen sich die groben Gesteinskörnungen vom Zementleim oder Mörtel. Eine besondere Art des Entmischens ist das Bluten. Wegen der hohen Rohdichte der Gesteinskörnungen und des Zements setzen sich diese in der Betonmischung ab, das Mischwasser steigt nach oben, so dass sich an der Betonoberfläche eine Wasserschicht bildet. Folgen: • Blutkanäle • Geringer Verschleißwiderstand der Oberfläche • Ungleichmäßige Festigkeitsverteilung: die höher gelegenen Bereiche des Betons haben wegen des hochsteigenden Wassers einen höheren Wasserzementwert • Reduzierte Verbundfestigkeit zwischen Beton und Stahlbewehrung: das hochsteigende Wasser sammelt sich unter der Bewehrung oder unter Gesteinskörnern • Verbesserte Abziehfähigkeit der Oberfläche Gegenmaßnahmen: • Reduktion des Wassergehaltes • Erhöhung des Mehlkorngehaltes • Verwendung von Luftporenbildnern, Stabilisierern oder Zusatzstoffen D.5.4 Luftgehalt Der Luftgehalt des Frischbetons (ohne Verwendung von LP-Mitteln) ist ein Maß für die erreichte Verdichtung des Frischbetons und damit auch für die bei gegebenem Wasserzementwert und Lagerung erreichbare Betondruckfestigkeit. Er soll bei vollständig verdichtetem Frischbeton ohne Verwendung von LP-Mitteln ca. 2 Vol.-% nicht überschreiten. Der Luftgehalt kann experimentell oder rechnerisch ermittelt werden. D.5.4.1 Direkte experimentelle Bestimmung 4 3 2 1 Die experimentelle Methode beruht auf dem Boyle-Mariott´schen Gesetz. Dieses besagt, dass das Volumen eines Gases bei konstanter Temperatur dem aufgebrachten Druck umgekehrt proportional ist (p·V = const.). Der Frischbeton wird in ein Druckgefäß c eingefüllt und wie der Baustellenbeton verdichtet. Nach dem Säubern des Topfrandes wird der Deckel d aufgeschraubt und der Hohlraum zwischen Beton und Deckel mit Wasser völlig gefüllt. Daraufhin wird in die Druckkammer e Luft gepumpt, bis das Manometer f einen bestimmten Luftdruck anzeigt. Dann wird das Ventil zwischen Druckkammer e und dem mit Wasser und Beton gefüllten Raum geöffnet und der Druckabfall über das Manometer f gemessen. Je höher der Druckabfall, um so höher der Luftgehalt des Betons. - 187 D.5.4.2 Bestimmung mit Hilfe der Frischbetonrohdichte Bei der rechnerischen Ermittlung des Luftgehalts eines Frischbetons wird mit Hilfe bekannter Werte für die Mischungszusammensetzung und für die Rohdichten der Betonkomponenten das theoretische Volumen des Betons bei einem Luftgehalt von 0 Vol.-% errechnet. Aus dem Unterschied zwischen der theoretischen Rohdichte ρT und der experimentell bestimmten Rohdichte ρE des verdichteten Frischbetons P(%) = vE − vT ρ − ρE • 100 = T ⋅ 100 ρT vE (D.5.2) kann der Luftgehalt berechnet werden. Beispiel: 1895 kg ρ = 2,64 v= 0,718 m3 Wasser 170 kg ρ = 1,00 v= 0,170 m3 Zement 340 kg ρ = 3,10 v= 0,110 m3 Gesteinskörnungen ∑= ρT = P= D.6 _______ _______________ 2405 kg ∑v = 2405 = 2,41 kg/dm 3 0,998 0,998 m3 ρE = 2,38 kg/dm3 2,41 − 2,38 0,03 ⋅ 100 = ⋅ 100 = 1,24 Vol. - % 2,41 2,41 Betonzusammensetzung Problemstellung: Beton soll so zusammengesetzt sein, dass unter Berücksichtigung der geforderten Wirtschaftlichkeit sowohl die Frischbetoneigenschaften (Verarbeitbarkeit, Widerstand gegen Entmischen) als auch die Eigenschaften des erhärteten Betons (Festigkeit, Verformungseigenschaften, Dauerhaftigkeit) ein Optimum erreichen. D.6.1 Eingangsgrößen und Einflussparameter Bei der Bestimmung der Betonzusammensetzung, dem Mischungsentwurf, sind folgende Eingangsgrößen zu berücksichtigen bzw. festzulegen: • Geforderte Festigkeitsklasse: Daraus ergeben sich die anzustrebende Festigkeit βD und der Wasserzementwert. Im Normalfall wird für den Beton eine bestimmte Festigkeit im Alter von 28 Tagen gefordert. Je nach Art des Bauwerks und seiner Beanspruchung kann jedoch auch eine Festigkeit maßgebend sein, die bei einem geringeren oder einem höheren Alter erreicht wird. • Die Umweltbedingungen während des Bauzustandes und während der Nutzung des Bauwerkes; sie beeinflussen die Wahl von Wasserzementwert, Zementart und Zementgehalt, die Verwendung von Zusatzmitteln und Zusatzstoffen, die angestrebte Frischbetonkonsistenz, besondere Vorkehrungsmaßnahmen während des Betonierens sowie Umfang und Art der Nachbehandlung. • Die Art der Konstruktion, ihre Abmessungen sowie Art und Abstand der Bewehrung; sie können maßgebend sein für die Anwendung spezieller Betonierverfahren, die geforderte Frischbetonkonsistenz, Sieblinie und Größtkorn des Korngemisches, Zementart und Zementgehalt sowie die Verwendung von Zusatzmitteln. - 188 • Die zur Verfügung stehenden Einrichtungen und Werkstoffe, bei Transportbeton auch die zu erwartende Beförderungszeit vom Transportbetonwerk bis zur Baustelle. D.6.2 Konformitätskontrollen Um zu überprüfen, ob die tatsächlichen Eigenschaften eines Betons mit den geforderten Betoneigenschaften übereinstimmen, sind so genannten Konformitätskontrollen notwendig. Dabei wird neben anderen Eigenschaften auch die Druckfestigkeit des Betons geprüft und bewertet. Die Erstprüfung ist ein integraler Bestandteil der Festlegung einer Betonzusammensetzung. Durch Probemischungen soll überprüft werden, ob ein Beton bestimmter Zusammensetzung die angestrebten Frischbetoneigenschaften sowie die Druckfestigkeit im Alter von 28 Tagen aufweist. Eine Erstprüfung ist zwingend erforderlich, bevor der Beton im Bauwerk eingesetzt wird. Die tatsächliche Druckfestigkeit des Betons mit derjenigen Zusammensetzung, die für den Anwendungsfall übernommen werden soll, muss die Werte der charakteristischen Festigkeit fck (nach Tabelle D.3.2) um eine gewisses Vorhaltemaß V überschreiten. Dieses Vorhaltemaß muss mindestens so groß sein, wie zur Erfüllung der Konformitätskriterien nach DIN 1045 erforderlich ist. Das Vorhaltemaß V sollte ungefähr das Doppelte der erwarteten Standardabweichung (mindestens 6 N/mm² und höchstens 12 N/mm²) betragen. Die Konformitätskriterien für die Erstherstellung von Normalbeton sind nachfolgend zusammengestellt: Anzahl n der Mittelwert fcm von n Jedes einzelne Prüfergebnisse Prüfergebnissen Prüfergebnis fci in der Reihe [N/mm²] [N/mm²] Erstherstellung: 3 fcm ≥ fck + 4 fcm ≥ fck – 4 (D.6.1) Sofern der Hersteller des Betons ausreichende Erfahrungen über die zu erwartende Standardabweichung σ der Druckfestigkeit besitzt, kann anstelle des Vorhaltemaßes die in der Konformitätsprüfung anzustrebende Druckfestigkeit aus folgenden Beziehungen ermittelt werden: Anzahl n der Mittelwert fcm von n Jedes einzelne Prüfergebnisse Prüfergebnissen Prüfergebnis fci in der Reihe [N/mm²] [N/mm²] Stetige Herstellung: D.6.3 15 fcm ≥ fck + 1,48 σ fcm ≥ fck – 4 (D.6.2) Kornzusammensetzung, Wasseranspruch, Wasserzementwert und Zementgehalt Nach der Definition und Festlegung der beim Mischungsentwurf zu berücksichtigenden Parameter sind das Größtkorn sowie die Zusammensetzung der Gesteinskörnung nach Abschnitt D.4.4.3 zu bestimmen. Daraus ergibt sich der Wasseranspruch des Frischbetons. Er kann dem Diagramm im Abschnitt D.5.1.3 oder der nachfolgenden Tabelle entnommen werden. - 189 - Tabelle D.6.1: Richtwerte für den Wassergehalt w Gesteinskörnung Richtwerte für den Wassergehalt w in kg/m3 Frischbeton der Konsistenzen F1, F2 und F3 bei Gesteinskörnungen mit Sieblinie nach Körnungs- großem Wasseranspruch DIN 1045 ziffer F1 F2 F3 F1 F2 F3 A63 6,15 120 ± 15 145 ± 10 160 ± 10 95 ± 15 125 ± 10 140 ± 10 A32 5,48 130 ± 15 155 ± 10 175 ± 10 105 ± 15 135 ± 10 150 ± 10 A16 4,61 140 ± 20 170 ± 15 190 ± 10 120 ± 20 155 ± 15 175 ± 10 A8 3,64 155 ± 20 190 ± 15 210 ± 10 150 ± 20 185 ± 15 205 ± 10 B63 4,91 135 ± 15 160 ± 10 180 ± 10 115 ± 15 145 ± 10 165 ± 10 B32 4,20 140 ± 20 175 ± 15 195 ± 10 130 ± 20 165 ± 15 185 ± 10 B16 3,66 150 ± 20 185 ± 15 205 ± 10 140 ± 20 180 ± 15 200 ± 10 B8 2,89 175 ± 20 205 ± 15 225 ± 10 170 ± 20 200 ± 15 220 ± 10 C63 3,72 145 ± 20 180 ± 15 200 ± 10 135 ± 20 175 ± 15 190 ± 10 C32 3,30 165 ± 20 200 ± 15 220 ± 10 160 ± 20 195 ± 15 215 ± 10 C16 2,75 185 ± 20 215 ± 15 235 ± 10 175 ± 20 205 ± 15 225 ± 10 C8 2,27 200 ± 20 230 ± 15 250 ± 10 185 ± 20 215 ± 15 235 ± 10 geringem Wasseranspruch Der Wasserzementwert ergibt sich aus der anzustrebenden Betondruckfestigkeit fcm und dem Zusammenhang zwischen Betondruckfestigkeit und Wasserzementwert nach Abschnitt D.9.1.3. Aus dem folgenden Diagramm, das für Beton ohne Betonzusatzmittel gültig ist, geht hervor, dass der zur Erzielung einer bestimmten Betonkonsistenz erforderliche Zementgehalt umso höher ist, je niedriger der Wasserzementwert. Stets sind aber die Anforderungen an den Mindestzementgehalt und den max. zulässigen Wasserzementwert nach Abschnitt D.10.8 zu überprüfen. - 190 - kg Zement pro m³ Beton 700 600 500 F3 400 F2 300 Konsistenz: (Ausbreitmaß) F1 200 weich plastisch steif 100 0 0,4 0,5 0,6 0,7 0,8 0,9 1,0 1,1 1,2 Wasserzementwert ω = w/z Abbildung D.6.1: Erforderlicher Zementgehalt in Abhängigkeit vom Wasserzementwert D.6.4 Mischungsentwurf Der rechnerischen Abschätzung der Betonzusammensetzung liegt die sog. Stoffraumgleichung zugrunde. Sie besagt, dass das Volumen von 1 m3 Frischbeton sich aus der Summe der Volumenanteile von Zement, Wasser, Gesteinskörnungen, Betonzusatzstoffen und Verdichtungs- bzw. Luftporen ergibt: z w g f + + + + p = 1000 dm 3 ρz ρ w ρg ρf wobei , z= w= g= f= p= Zementgehalt in kg/m3 Wassergehalt in kg/m3 Gehalt an Gesteinskörnungen in kg/m3 Gehalt an Betonzusatzstoffen in kg/m3 Porenraum in dm3/m3 ρz = Rohdichte des Zementes in kg/dm3 ρw = Rohdichte des Wassers (= 1 kg/dm3) ρg = Rohdichte der Gesteinskörnung in kg/dm3 ρf = Rohdichte der Betonzusatzstoffe in kg/m3 (D.6.3) Die Rohdichte von Zement liegt etwa im Bereich von 2,95 kg/dm3 für Trasszemente, 3,0 kg/dm3 für Hochofenzemente und 3,1 kg/dm3 für Portlandzemente. Angaben über die Rohdichte von Gesteinskörnungen können Abschnitt 4.4.3 entnommen werden. Die Rohdichte von Flugasche schwankt etwa zwischen 2,2 und 2,7 kg/dm3. - 191 Bei der rechnerischen Abschätzung einer Betonzusammensetzung ist dann wie folgt vorzugehen: 1. Festlegung der maßgebenden Expositionsklassen für den Einsatz des Betons (gemäß Tabelle D.3.4). Daraus ergeben sich die obere Grenze für den w/zWert, die untere Grenze für die Festigkeitsklasse und der Mindestzementgehalt des zu verwendenden Betons. Darüber hinaus sind in Abhängigkeit von der Expositionsklasse weitere Vorgaben wie die zu verwendende Zementart und der Mindestluftgehalt des Betons sowie Anforderungen an die Gesteinskörnungen zu beachten. 2. Festlegung folgender Kennwerte des Betons unter Beachtung der o. g. Vorgaben: 3. • anzustrebende mittlere Druckfestigkeit des Betons • anzustrebende Konsistenz des Frischbetons Wahl der zu verwendenden Ausgangsstoffe: • Art und Festigkeitsklasse des Zementes • Art und Größtkorn der Gesteinskörnungen • ggf. Art von Zusatzmitteln und Zusatzstoffen 4. Festlegung der Zusammensetzung der Gesteinskörnung nach Abschnitt D.4.4.3. 5. Bestimmung des erforderlichen Wassergehaltes w unter Berücksichtigung evtl. zu verwendender Betonzusatzmittel und -zusatzstoffe. 6. Festlegung des Wasserzementwertes ω. Er ist so niedrig zu wählen, dass die Grenzwerte auch bei den während der laufenden Betonherstellung auftretenden Streuungen nicht überschritten werden. Die o. g. Vorgaben in Bezug auf die Dauerhaftigkeit (Expositionsklassen) sind dabei unbedingt einzuhalten. 7. Bestimmung des Zementgehaltes: z = w/ω. Ist der Zementgehalt, z. B. wegen der damit verbundenen Hydratationswärme, zu hoch, so sind der Wasseranspruch bzw. der Wassergehalt nach 4. entsprechend zu korrigieren. Auch hierbei sind die o. g. Vorgaben in Bezug auf die Dauerhaftigkeit (Expositionsklassen) unbedingt einzuhalten. 8. Abschätzung des zu erwartenden Volumenanteils von Poren unter Berücksichtigung der möglichen Verwendung von LP-Bildnern. 9. Bestimmung des Gehaltes der Gesteinskörnungen nach Gleichung (D.5.4): z w f − − − p ⋅ ρ g g = 1000 − ρz ρw ρf 10. (D.6.4) Überprüfung des Gehaltes an Mehlkorn und Feinsand sowie des Gehaltes an Zugabewasser unter Berücksichtigung der Eigenfeuchte der Gesteinskörnungen. Eine Vorausberechnung der Betonzusammensetzung stellt nur eine Näherung der tatsächlichen Gegebenheiten dar und ist daher stets durch Konformitätsprüfungen (Erstprüfung und laufende Überwachung der Produktion) zu untermauern und, je nach Ergebnis, zu korrigieren. - 192 - D.7 Arbeiten mit Frischbeton D.7.1 Mischen der Ausgangsstoffe Die Ausgangsstoffe des Beton, Zement, Gesteinskörnungen und Wasser müssen innig miteinander vermischt sein, damit der eingebrachte Beton einen möglichst gleichmäßigen Aufbau und eine möglichst gleichmäßige Zusammensetzung besitzt. Über Mischwerkzeuge wird auf die Vorlesungen Baubetriebstechnik I und II verwiesen. Die Mischdauer bestimmt die Gleichmäßigkeit eines Betons. Eine zu kurze Mischdauer hat eine hohe Streuung der Eigenschaften des erhärteten Betons zur Folge. Im Allgemeinen darf die Mischzeit nach Zugabe aller Ausgangsstoffe bei Mischern mit besonders guter Mischwirkung 0,5 min. und bei allen übrigen Mischern 1 min. nicht unterschreiten. Diese Mindestmischzeiten sind sehr kurz und reichen in den meisten Fällen, insbesondere wenn die Mischwerkzeuge bereits abgenutzt oder nicht optimal eingestellt sind, nicht aus. Die Zusammensetzung des Betons darf nach dem Abschluss des Mischens nicht mehr verändert werden, weil sich dies auf die Betoneigenschaften nachteilig auswirken kann. Ist die nachträgliche Veränderung des Betons in Sonderfällen unvermeidlich, z.B. bei werkgemischtem Transportbeton mit Zusatz von Fließmitteln, so sind besondere Maßnahmen notwendig. D.7.2 Transportieren Beim Transport von der Misch- zur Verarbeitungsstelle muss darauf geachtet werden, dass der Beton sich nicht entmischt. Es ist ferner darauf zu achten, dass dem Beton durch Sonneneinstrahlung und Fahrtwind keine Feuchte entzogen wird. Plastischer oder flüssiger Beton darf nur in Spezialfahrzeugen transportiert werden, die so ausgerüstet sind, dass der Beton vor dem Einbringen noch einmal durchgemischt werden kann. Steigt im Sommer die Temperatur des Frischbetons auf 25 bis 30°C an, so versteift er rascher. Dieser Umstand bedarf vor allem bei Transportbeton besonderer Aufmerksamkeit. Bei heißem Wetter sind niedrige Frischbetontemperaturen anzustreben. Das kann geschehen durch Lagerung der Gesteinskörnungen im Schatten, Überrieselung der groben Gesteinskörnungen mit Wasser, Verwendung von kühlem Anmachwasser, z.B. durch Kühlen mit Eis und durch Einsatz von tief verlegten Leitungen und Auswahl eines Zements mit geringerer Wärmeentwicklung. Bei Verwendung von Betonzusatzmitteln insbesondere von Erstarrungsverzögerern, ist eine besonders sorgfältige Eignungsprüfung unter den zu erwartenden Temperaturbedingungen erforderlich. Überdosieren kann ein Umschlagen, d.h. eine Beschleunigung der Erhärtung auslösen. Wenn bei tiefen Temperaturen betoniert werden soll, kann die Temperatur des Frischbetons durch Anwärmen des Anmachwassers oder durch Anwärmen der Gesteinskörnungen erhöht werden. Im Allgemeinen nimmt die Frischbetontemperatur des normalen Konstruktionsbetons unter sonst gleichen Voraussetzungen um 1 K zu, wenn entweder die Temperatur des Zementes um 10 K oder die des Wassers um 3,5 K oder die der Gesteinskörnungen um 1,6 K erhöht wird. Auf dem Wege von der Mischanlage zur Einbaustelle sind die Temperaturverluste möglichst klein zu halten. Vorteilhaft sind große Behälter und kurze Förderwege. D.7.3 Einbringen Der Beton soll sobald wie möglich nach dem Mischen und möglichst ohne Unterbrechung eingebracht werden. Beim Einbringen ist dafür Sorge zu tragen, dass sich der Beton nicht entmischt und dass er derart eingebracht wird, dass eine gute Verdich- - 193 tung möglich ist. Die Schalung ist gut vorzunässen. Schalung und Bewehrung müssen stets frei von Stoffen sein, welche die Erhärtung des Zements stören können. Beim Einbringen darf der Beton nicht über 1 m frei fallen. Ferner ist darauf zu achten, dass der Beton nicht gegen die Schalung geschüttet wird, damit eine ‘Nesterbildung’ an den Außenflächen vermieden wird. Beton ist stets mittig einzufüllen, insbesondere bei Stützen. Im Winter ist darauf zu achten, dass Schalung und Bewehrung frei von Schnee und Eis sind. Auf gefrorenem Baugrund darf nicht betoniert werden; der Boden ist daher zunächst aufzutauen und vorzuwärmen. Durch Frost geschädigter Beton ist zu beseitigen. Nach dem Einbau von Beton im Winter ist ein guter Wärmeschutz des Betons notwendig, um einen Wärmeabfluss zu vermeiden und die eigene Wärmeentwicklung zu fördern. Beton kann in Rohren gepumpt werden, wenn er eine Konsistenz entsprechend KP hat. Dazu sind die Rohre nach Möglichkeit geradlinig zu verlegen. Rohre sollten nicht an der Schalung befestigt werden, damit auftretende Stöße nicht auf die Schalung bzw. auf das Bauwerk übertragen werden. D.7.4 Verdichten Eine gute Verdichtung des Betons ist zur Erzielung optimaler Betoneigenschaften, wie Festigkeit, Dichtigkeit, geschlossene Oberfläche, chemische und physikalische Widerstandsfäigkeit, unerlässlich. Der Frischbeton gilt als vollkommen verdichtet, wenn das experimentell festgestellte Raumgewicht dem Sollraumgewicht entspricht. Da ein völliges Austreiben der Verdichtungsporen in der Regel unmöglich ist, kann man bereits dann von einer optimalen Verdichtung sprechen, wenn der Frischbeton einen Luftgehalt von 1 bis 2 Vol.-% besitzt. Je nach der Konsistenz des Betons können folgende Arten der Verdichtung angewendet werden: D.7.4.1 Stampfen Gestampft wird nur steifer Beton der Konsistenzklasse F1. Der Beton wird in 15 bis 20 cm dicken, waagerechten Schichten eingebracht und solange gestampft, bis er an der Oberfläche feucht zu werden beginnt. Es ist darauf zu achten, dass die einzelnen Betonschichten möglichst frisch auf frisch eingebracht werden. Vor dem Aufbringen der nächsten Schicht ist die unterste Schicht leicht aufzurauhen. D.7.4.2 Rütteln Beton der Konsistenzklasse F2 wird am besten durch Rütteln verdichtet. Dabei wird unterschieden zwischen • Oberflächenrüttler: Sie finden Anwendung bei waagerechten Betonschichten, vorwiegend für die Herstellung von Betonbelägen, Fußböden, Straßen o.ä. • Innenrüttler: Sie finden Anwendung bei der Verdichtung von bewehrtem oder unbewehrtem Konstruktions- und Massenbeton. Die richtige Anwendung des Innenrüttlers bewirkt eine erhebliche Gütesteigerung des Betons durch besonders gute Verdichtung infolge optimaler Energieübertragung. Es ist darauf zu achten, dass mit einem Innenrüttler der Beton nicht verteilt, sondern verdichtet wird. • Schalungsrüttler: Werden dünnwandige, hohe oder stark bewehrte Bauteile wie Stützen, Behälter, Silowände u.ä. betoniert und ist das Rütteln mit Innenrüttlern schwierig und damit unwirtschaftlich, können Schalungsrüttler verwendet werden. Sie werden außen an den Schalungen dünnwandiger Bauteile befestigt und bringen die Schalung ins Vibrieren, wodurch eine Verdichtung erzielt wird. - 194 - D.7.5 Nachbehandlung Zur Erhärtung muss dem Beton eine ausreichende Menge an Wasser zur Verfügung stehen. Der junge Beton muss daher so nachbehandelt werden, dass sein vorzeitiges Austrocknen verhindert wird. Dies gilt vor allem bei der Einwirkung von Sonne oder trockenem Wind auf den jungen Beton. Beton soll daher möglichst lange nach seiner Herstellung feucht gehalten werden. Bei den Arten der Nachbehandlung kann unterschieden werden zwischen Methoden, bei denen Wasser dem jungen Beton zugeführt wird und Methoden, welche die Austrocknung behindern bzw. verzögern. Zur ersten Gruppe gehören das laufende Besprühen mit Wasser und das Aufbringen ständig wasserhaltiger Abdeckungen z. B. aus Jute. Der zweiten Gruppe sind zuzuordnen das Belassen des Betons in der Schalung, das Abdecken mit Folien oder das Aufbringen flüssiger Nachbehandlungsmittel. Die Dauer der Nachbehandlung hängt ab von der Nachbehandlungsempfindlichkeit des Betons, von der Betontemperatur, von den Umweltbedingungen während und unmittelbar nach der Nachbehandlung sowie von der Beanspruchung des Bauwerks während seiner Nutzung. Nachbehandlungsempfindlich sind insbesondere Betone mit langsam erhärtenden Zementen und/oder mit hohen Anteilen an puzzolanischen Zusatzstoffen. Mit sinkender Betontemperatur nimmt die Erhärtungsgeschwindigkeit ab, so dass eine längere Nachbehandlungsdauer erforderlich ist. Je schärfer die Trocknungsbedingungen, um so länger ist der Beton nachzubehandeln. Bei hohen Umgebungsfeuchten kann Beton ohne bzw. mit nur kurzer Nachbehandlung ausreichend lange hydratisieren. Die Nachbehandlungsdauer ist in DIN 1045 festgelegt. Bei Umgebungsbedingungen, die den Expositionsklassen gemäß Tabelle D.3.4 außer X0, XC1 und XM entsprechen, muss der Beton so lange nachbehandelt werden, bis die Festigkeit der oberflächennahen Bereiche 50 % der charakteristischen Festigkeit erreicht hat. Diese Anforderung ist in der Tabelle D.7.1 in eine entsprechende Mindestdauer der Nachbehandlung umgerechnet. Tabelle D.7.1: Mindestdauer der Nachbehandlung von Beton für alle Expositionsklassen außer X0, XC1 und XM nach DIN 1045-3 Mindestdauer der Nachbehandlung in Tagena Oberflächentemperatur ϑ [°C] Festigkeitsentwicklung des Betonsb r = fcm2/fcm28 r ≥ 0,50 r ≥ 0,30 r ≥ 0,15 r < 0,15 ϑ ≥ 25 1 2 2 3 25 > ϑ ≥ 15 1 2 4 5 15 > ϑ ≥ 10 2 4 7 10 10 > ϑ ≥ 5 3 6 10 15 a Bei mehr als 5 Stunden Verarbeitbarkeitszeit ist die Nachbehandlungsdauer angemessen zu verlängern b Die Festigkeitsentwicklung des Betons wird durch das Verhältnis der Mittelwerte der Druckfestigkeit nach 2 Tagen und nach 28 Tagen beschrieben. Bei Umweltbedingungen, die den Expositionsklassen X0 und XC1 nach Tabelle D.3.4 entsprechen, muss der Beton mindestens einen halben Tag nachbehandelt werden. Bei Temperaturen der Betonoberfläche unter 5°C ist die Nachbehandlungsdauer um die Zeit zu verlängern, während der die Temperatur unter 5 °C lag. Bei Betonen, deren Oberflächen einem Verschleiß gemäß der Expositionsklasse XM nach Tabelle D.3.4 ausgesetzt sind, muss die Nachbehandlung so lange fortgesetzt werden, bis die Festigkeit des oberflächennahen Betons 50 % der charakteristischen Festigkeit des verwendeten Betons erreicht hat. - 195 - D.8 Mikrostruktur und Festigkeitsentwicklung von Zementstein und Beton Problemstellung: Im Folgenden soll diskutiert werden, welche Mikrostruktur der erhärtete Zementstein und der Beton aufweisen und nach welchen Gesetzmäßigkeiten die Struktur von Zementstein und Beton mit deren mechanischen Eigenschaften, im besonderen mit der Festigkeit, in Verbindung gebracht werden kann. D.8.1 Komponenten des teilweise hydratisierten Zementsteins unhydratisierter Zement H2O Beim Mischen von Zement mit Wasser sind die einzelnen, noch nicht hydratisierten Zementsteinpartikel durch das Mischwasser voneinander getrennt. Das vom Wasser eingenommene Volumen wird als Kapillarporenvolumen bezeichnet. Die spezifische Oberfläche der Zementkörner liegt im Bereich von ca. 200 bis 400 m2/kg, die mittlere Größe beträgt mehrere µm. Während der Hydratation bilden sich vor allem kristallines Calciumhydroxid (CH) und nicht-kristalline Calciumsilikathydrate (C3S2H3), siehe Abschnitt D.4.1.4.4. Vor allem die C3S2H3-Partikel sind wesentlich kleiner als die Zementkörner vor der Hydratation. Die Hydratation nimmt an der Oberfläche der Zementpartikel ihren Ausgang. Die Bildung der Hydratationsprodukte führt zu K einem Zusammenwachsen der einzelnen Zementkörner. Dadurch entsteht ein durchgehendes Skelett (Matrix), das VoK K lumen der Kapillarporen (K) nimmt ab, und das Zementsteinsystem entwickelt K Festigkeit, die mit steigendem Hydratationsgrad m anwächst. Der Hydratationsgrad ist dabei jener Volumen- bzw. K K Massenanteil des Zementes, der zu einem bestimmten Zeitpunkt hydratisiert ist. Zu Beginn der Hydratation ist m = 0; bei vollständiger Hydratation des gesamten Zementes ist m = 1. - 196 Die Hydratationsprodukte weisen einige charakteristische Eigenschaften auf: Mittlere spezifische Oberfläche: ca. 2 - 3.105 m2/kg Mittlere Teilchengröße: 1.10-9 m Die Hydratationsprodukte sind daher um etwa drei Größenordnungen kleiner als die unhydratisierten Zementkörner und weisen eine kolloidiale Größe auf. Die Struktur eines erhärteten Zementsteins entspricht daher einem starren Gel (Baustofftechnologie I). Die Hydratation des Zements erstreckt sich über einen langen Zeitraum. Der teilweise hydratisierte Zement enthält verschiedene Bestandteile, die in folgender Skizze dargestellt sind und deren Anteile sich mit zunehmender Hydratation laufend verändern. Feststoffe: b 1 2 2 3 3 1 1 Poren: a 3 1) Reste des unhydratisierten Zementes 2) C3S2H3, u.a. Hydratationsprodukte 3) Calciumhydroxid a) Kapillarporen b) Gelporen 3 2 b 1 Die im Zementstein enthaltenen Poren sind für dessen Eigenschaften von wesentlicher Bedeutung: Die Kapillarporen sind die Reste des Volumens, das ursprünglich von Mischwasser eingenommen wurde. Je nach Feuchtegehalt des Zementsteins sind die Kapillarporen mehr oder weniger mit Wasser gefüllt. Die Gelporen trennen die einzelnen Gelpartikel voneinander; sie haben Durchmesser im Bereich von ca. 10-5 bis 10-7mm und bieten demnach Platz für höchstens 5 Moleküle Wasser. Sind diese Poren wassergefüllt, so bezeichnet man das darin enthaltene Wasser mit Gelwasser. Da das Wasser in den Poren des Zementsteins im Kräftefeld der großen Oberflächen des hydratisierten Zementsteines liegt, kann es u.U. die Eigenschaften des freien Wassers verlieren, d.h. es gewinnt an Festigkeit, wird schwerer beweglich und dichter. Sowohl Kapillarwasser als auch Gelwasser sind verdampfbar, d.h. bei Erwärmung auf 105°C entweicht dieses Wasser. Darüber hinaus enthält Zementstein auch chemisch gebundenes Wasser oder Kristallwasser, das in die Hydratationsprodukte eingelagert und im Allgemeinen bei 105°C nicht verdampfbar ist. Alle Hydratationsprodukte des Zements sowie das Gelwasser in den Gelporen werden als Einheit angesehen und mit Zementgel bezeichnet. D.8.2 Verteilung der Komponenten des teilweise erhärteten Zementsteins (Powers-Modell) D.8.2.1 Charakteristische Kenngrößen Aus vielen Untersuchungen wurden für den Zementstein folgende Kenngrößen experimentell bestimmt: a) Jedes Gramm Zement bindet im Mittel eine bestimmte Menge an nicht verdampfbarem Wasser wn, um vollständig hydratisieren zu können: wn = 0,24.m.z (D.8.1) - 197 Dabei bedeuten: b) wn : Gewicht an nicht verdampfbarem (chemisch gebundenem) Wasser z : Gesamtgewicht des Zements m : Hydratationsgrad, d.i. der Gewichtanteil des Zementes, der mit Wasser reagiert hat Die Menge an Gelwasser im wassergesättigten Zementstein und damit auch das Gelporenvolumen sind der Menge an hydratisiertem Zement proportional: wg = 0,18.m.z , wobei c) wg = Gewicht des Gelwassers Das chemisch gebundene Wasser nimmt in seiner gebundenen Form einen kleineren Raum ein als in seiner ungebundenen Form. Es gelten daher folgende Reindichten: ρw = 1,0 kg/dm3 Chemisch gebundenes Wasser: ρwn = 1,33 kg/dm3 Gelwasser: ρwg = 1,001 ≈ 1,0 kg/dm3 Freies Wasser: D.8.2.2 (D.8.2) Volumen des Zementgels Mit den unter D.8.2.1 gegebenen Kenngrößen kann das Volumen des Zementgels rechnerisch ermittelt werden: Vg = m⋅z ρz wn ρ wn + Zementgel- ursprüngl. Volumen volumen des bereits hydratisierten Zementes Vg = mit ρ wg Volumen des chem. gebundenen Wassers m ⋅ z 0,24 ⋅ m ⋅ z 0,18 ⋅ m ⋅ z + + ρz ρ wn ρ wg Volumen des Gelwassers bzw. der Gelporen (D.8.3) ρz = 3,15; ρwn = 1,33; ρwg = 1,00 erhalten wir Vg = 2,13 ⋅ wobei wg + m⋅z ρz , (D.8.3a) m⋅z = ursprüngliches Volumen des bereits hydratisierten Zementes. ρz Gleichung (D.8.3a) zeigt, dass das Zementgel für m = 1 mehr als das Doppelte des ursprünglichen Volumens des Zements vor der Hydratation einnimmt, d.h. das Kapillarporenvolumen nimmt ab (siehe Abschnitt D.8.2.3). Weil die Reindichte des chemisch gebundenen Wassers jedoch größer ist als die Reindichte des freien Wassers, ist das Volumen des Zementgels trotzdem geringer als die Summe des ursprünglichen Volumens von Zement und Wasser, aus denen es gebildet wurde: Vg0 = m⋅z 1 + wn + wg ρz ρw ( ) (D.8.4) ⇒ nach Einsetzen von (D.8.1) und (D.8.2) Vg 0 = 2,32 ⋅ m⋅z ρz (D.8.4a) Selbst wenn man verhindert, dass der Zementstein während der Hydratation, z.B. durch Trocknung, Wasser verliert, sind daher nicht alle verbleibenden Kapillarporen - 198 wassergesättigt und es verbleiben leere Kapillarporen. Man bezeichnet diesen Vorgang als „innere Austrocknung“. D.8.2.3 Kapillarporenvolumen Das Kapillarporenvolumen ergibt sich aus dem Unterschied zwischen dem ursprünglichen Volumen von Zement (z) + Wasser (w0) vor der Hydratation sowie dem Volumen des Zementgels + dem Volumen des noch nicht hydratisierten Zements: Ursprüngliches Volumen: z w0 + ρz ρw (D.8.5) 2,13 ⋅ m ⋅ z ρz (D.8.6) V0 = Zementgelvolumen: Vg = Volumen des noch nicht hydratisierten Zements: Vnh = (1 − m) ⋅ z ρz (D.8.7) Dann ist das Kapillarporenvolumen: Vk = V0 - Vg - Vnh VK = z ρz (D.8.8) w ρ ⋅ 0 ⋅ z − 1,13m z ρw (D.8.8a) Bezogen auf das Gesamtvolumen V0 ist w 0 ρz ⋅ − 1,13 ⋅ m VK z ρw = w 0 ρz V0 ⋅ +1 z ρw (D.8.9) w0 − 0,36 ⋅ m VK = z w0 V0 + 0,32 z (D.8.9a) mit ρz/ρw = 3,15 erhalten wir Gleichung (D.8.9a) zeigt, dass mit fallendem w0/z - Wert und steigendem Hydratationsgrad m (Alter) das Kapillarporenvolumen des Zementsteines abnimmt. D.8.2.4 Hydratationsgrad, Wasserzementwert Zementsteinkomponenten und Volumenanteile der Die Entwicklung des Hydratationsgrades m mit der Zeit hängt von der Hydratationsgeschwindigkeit des Zementes und damit von der Art und Festigkeitsklasse des Zementes, vom Wasserangebot und von der Temperatur ab. Das folgende Diagramm gibt einen ungefähren Anhaltspunkt über die zeitliche Entwicklung des Hydratationsgrades bei einer Temperatur von T = 20 °C für Portlandzemente unterschiedlicher Festigkeitsklassen. - 199 Hydratationsgrad, m 1,0 0,9 52,5 0,8 0,7 32,5 R 0,6 0,5 32,5 0,4 0,3 0,2 0,1 0,0 1 3 7 28 90 Betonalter (Tage) 365 Abbildung D.8.1: Abhängigkeit des Hydratationsgrads vom Betonalter für Zemente unterschiedlicher Festigkeitsklassen Gleichung (D.8.9a) enthält als Parameter auch das Gewichtsverhältnis Wasser w0, zu Zement z, also den Wasserzementwert. Daraus ergeben sich folgende Fragestellungen: a) Wieviel Wasser ist notwendig, damit der gesamte Zement gerade noch hydratisieren kann? Aus (D.8.1) und (D.8.2) folgt: wmin = 0,24 mz + 0,18 mz = 0,42 mz (D.8.10) Für m = 1 erhalten wir dann: min b) w0 = 0,42 z (D.8.10a) Wie klein müsste der Wasserzementwert sein, damit bei völliger Hydratation das Kapillarporenvolumen zu 0 wird? Nach Gleichung (D.8.9a) ist VK = 0 ⇒ w0 − 0,36 ⋅ m = 0 z (D.8.11) Für m = 1 erhalten wir: min w0 = 0,36 z (D.8.11a) Bedingung b) kann nur erfüllt werden, wenn dem Zementstein während der Hydratation zusätzlich Wasser zugeführt wird, das in den leeren Kapillarporen Platz findet. Aus den Angaben der Abschnitte D.8.2.1 bis D.8.2.3 können die Volumenanteile des Zementsteines in Abhängigkeit von m und w0/z bestimmt werden. Mit ρz/ρw = 3,15 sind dies: Zementgelvolumen: Vg V0 = 2,13 ⋅ m ⋅ z 0,68 ⋅ m = w0 ρ z ⋅ V0 + 0,32 z (D.8.12) - 200 w0 − 0,36 ⋅ m VK = z w0 V0 + 0,32 z Kapillarporenvolumen: (D.8.9a) Volumen des nicht hydratisierten Zementes: Vnh (1 − m) ⋅ z 0,32 ⋅ (1 − m) = = w0 V0 ρ z ⋅ V0 + 0,32 z (D.8.13) Bei versiegelter Lagerung – kein Wasserverlust durch Trocknung, keine zusätzliche Wasseraufnahme von außen – ist der Anteil leerer Poren im Kapillarporensystem: VK leer = V0 V0 m 1,0 m Volumen (%) 100 80 = 80 60 nicht hydratisierter Zement V nh 20 0 0,2 0,4 Wasserzementwert ω 0 Vk 80 60 Zementgel V g 0 0,2 Vg 40 Vnh 20 0,8 V k (leer) 100 Vk 40 0,6 m = 1,0 0,5 60 40 (D.8.14) m 1,0 V k (leer) 100 Kapillarporen, V k 0,06 ⋅ m w0 + 0,32 z m = 0,5 0,5 m=0 0 Vg0 − Vg Vnh 20 0,4 0,6 0,8 0 0 0,2 0,4 ω 0,6 0,8 ω Abbildung D.8.2: Einfluss von Wasserzementwert ω und Hydratationsgrad m auf die Volumenanteile des nicht hydratisierten Zementes vnh, des Zementgels vg, und der Kapillarporen vk im Zementstein D.8.3 Kapillarporenvolumen, Wasserzementwert und Druckfestigkeit des Zementsteines Die Festigkeit eines Werkstoffes nimmt mit zunehmender Porosität ab. Annähernd gilt folgende Beziehung, die sich auch theoretisch begründen lässt: β = β0 . (1-v)n Darin bedeuten: β= β0 = v= Vp V0 = n= Festigkeit des porösen Werkstoffes Festigkeit des Werkstoffes ohne Poren Quotient aus Porenvolumen und Gesamtvolumen Exponent (in der Regel zwischen 2 und 3) (D.8.15) - 201 Unter der Annahme, dass das Zementgel als Feststoff mit der Festigkeit β0 betrachtet werden kann, erhalten wir aus Gleichung (D.8.9a) und Gleichung (D.8.13): 1- v = 1 − Vk 0,32 + 0,36 ⋅ m = w Vo 0,32 + 0 z (D.8.16) und 0,32 + 0,36 ⋅ m β Z = β0 ⋅ 0,32 + w 0 z n , (D.8.17) wobei βZ = Festigkeit des Zementsteines. Diese Gleichung ist annähernd richtig für hohe Werte von m. Für m = 0 erhalten wir jedoch: 0,32 β Z = β0 ⋅ 0,32 + w 0 z n ≠0 , (D.8.17a) d.h. nach Gleichung (D.8.17) müsste der Zementstein auch vor Beginn der Hydratation bereits eine erhebliche Festigkeit besitzen, die vom Wasserzementwert abhängt. Dies ist offensichtlich falsch, und Gleichung (D.8.17) ist für diesen Grenzwert deswegen fehlerhaft, weil sie nicht berücksichtigt, dass der unhydratisierte Zement noch keine durchgehende Phase (Matrix) bildet. Powers schlug daher vor, das Kapillarporenvolumen Vk nicht auf das gesamte Volumen V0 zu beziehen, sondern nur auf jenen Volumenanteil Va, der zu einem bestimmten Zeitpunkt mit Zementgel gefüllt werden kann. Va Gelwasser chem. geb. Wasser Vg hydr. Zement VK freies Wasser leere Poren unhydr. Zement V0 Wir erhalten dann für Va = V0 − (1 − m) ⋅ z = ρz z ρz w ρ ⋅ 0 ⋅ z + m z ρw (D.8.18) und für w 0 ρz − 1,13 ⋅ m ⋅ VK z ρw = w 0 ρz Va +m ⋅ z ρw Für m = 1 entspricht Gleichung (D.8.19) Gleichung (D.8.9). (D.8.19) - 202 - Aus Gleichung (D.8.13) und Gleichung (D.8.19) ergibt sich dann mit ρz = 3,15 für die ρw Festigkeit des Zementsteines βZ: 0,68 ⋅ m β = β0 ⋅ 0,32 ⋅ m + w 0 z n ≤ β0 (D.8.20) Gleichung (D.8.20) erfüllt die Bedingung, dass für m = 0 auch β = 0 sein muss. Powers fand die beste Übereinstimmung zwischen Versuch und Theorie für n = 3 und β0 = 240 N/mm2. Gleichung (D.8.20) kann verbessert werden, wenn wir berücksichtigen, dass neben den Kapillarporen auch noch gewollte oder ungewollte Verdichtungs- und Luftporen mit einem Volumen A im Zementstein enthalten sind. Dann erhalten wir für das Volumen Va, das mit Zementgel gefüllt werden kann: Va = m⋅ z w0 + +A ρz ρw (D.8.21) und für 1− VK + A = Va 0,68 ⋅ m w +A 0,32 ⋅ m + 0 z (D.8.22) Daraus ergibt sich für die Zementsteinfestigkeit in [N/mm2]: 3 N 0,68 ⋅ m β Z = 240 ⋅ 2 0,32 ⋅ m + w 0 + A mm z (D.8.23) Zur leichteren Auswertung von Gleichung (D.8.23) ist es vorteilhaft, den Luftgehalt w z auszudrücken. des Zementsteines als Bruchteil des Zementleimvolumens 0 + ρw ρz Dann ist Ap = A z w0 + ρz ρw (D.8.24) und (D.8.23) wird zu 0,68 ⋅ m β Z = 240 ⋅ w0 w0 + A p ⋅ 0,32 + 0,32 ⋅ m + z z 3 Diese Beziehungen haben für verschiedene Zementarten Gültigkeit. (D.8.25) βz [N/mm²] - 203 - β z = 240 x³ [N/mm²] 200 100 0 0 0,2 0,4 0,6 0,8 1,0 Gelvolumenverhältnis x 2 βz [N/mm ] Abbildung D.8.3: Ergebnisse von Versuchen an Zementstein nach Powers [D.8.1] (verschiedene Zementarten, Lagerungsbedingungen, Alter) 250 200 150 100 m = 1,0 m = 0,5 50 m = 0,2 0 0 0,2 0,4 0,6 0,8 1,0 w/z = ω Abbildung D.8.4: Theoretischer Zusammenhang zwischen Zementstein-Druckfestigkeit und w0/z nach Gleichung (D.8.25) für Ap = 0 2 βz [N/mm ] - 204 - 250 200 150 100 m = 1,0 m = 0,5 50 m = 0,2 0 0 0,2 0,4 0,6 0,8 1,0 w/z = ω Abbildung D.8.5: Theoretischer Zusammenhang zwischen Zementstein-Druckfestigkeit und w0/z nach Gleichung (D.8.25) für Ap = 0,08 D.8.4 Kapillarporosität und andere Zementeigenschaften 12 Wasserdurchlässigkeit in cm/s ⋅ 10 140 120 spez. Oberfläche Alter in cm²/g in Tagen 100 3400 3400 7800 80 416 233 325 60 40 20 0 Hydratationsgrad [%] 100 Wasserzementwert: 80 60 0,2 0,3 0,4 0,8 0,5 0,7 0,6 40 0 10 20 30 40 Anteil der Kapillarporen [Vol.-%] Abbildung D.8.6: Kapillarporosität und Wasserdurchlässigkeit von Zementstein in Abhängigkeit vom Wasserzementwert und Hydratationsgrad - 205 Ähnlich wie die Druckfestigkeit nimmt auch der E-Modul des Zementsteines mit sinkender Kapillarporosität zu. Von besonderer Bedeutung für die Dauerhaftigkeit ist die deutliche Abnahme der Permeabilität (Durchlässigkeit) des Zementsteins gegen Wasser oder Luft mit sinkender Kapillarporosität. Diese ist für die Dauerhaftigkeit von Beton von ausschlaggebender Bedeutung, die durch den Widerstand des Betons gegen das Eindringen von Wasser, aggressiven Lösungen oder Gasen bestimmt wird, siehe Abschnitt D.10. Die Abnahme der Permeabilität des Zementsteins ist nicht nur auf die Abnahme der Kapillarporosität zurückzuführen, sondern besonders darauf, dass das Porensystem, das bei höheren w/z-Werten und niedrigem Hydratationsgrad noch kontinuierlich ist, mit zunehmender Hydratation diskontinuierlich wird. D.8.5 Folgerungen a) Die maximal erreichbare Druckfestigkeit des Zementgels beträgt ca. 240 N/mm2. b) Die Druckfestigkeit des Zementsteins wächst mit steigendem Hydratationsgrad m, d.h. bei ausreichender Feuchtlagerung mit steigendem Alter und für ein gegebenes Alter mit steigender Lagerungstemperatur. c) Die Festigkeit des Zementsteins ist um so größer, je kleiner das Volumen von Verdichtungs- und Luftporen ist. d) Die Druckfestigkeit des Zementsteins steigt mit kleiner werdendem Verhältnis w0/z, dem ω-Wert. e) In Gleichung (D.8.25) wird unterstellt, dass die Druckfestigkeit von Zementstein und Beton ausschließlich durch die Volumenanteile der Kapillarporen und durch die Druckfestigkeit des Zementgels bestimmt wird. Dies ist für Wasserzementwerte von ca. ω ≥ 0,45 eine hinreichend genaue Annahme. Bei kleineren Wasserzementwerten spielt aber auch die dritte Komponente, der nicht hydratisierte Zement, eine zunehmend wichtige Rolle. Dieser hat als keramischer Werkstoff und im porenfreien Zustand eine höhere Druckfestigkeit als das Zementgel und trägt zur Festigkeit insbesondere bei kleinen ω-Werten wesentlich bei. Die Druckfestigkeit von Zementstein und Beton steigt daher abweichend von Gleichung (D.8.25) - mit sinkendem Wassergehalt auch dann, wenn gilt: VK ≈ 0. Dies ist insbesondere für die Herstellung hochfester Betone von unmittelbarer praktischer Bedeutung (siehe dazu Abschn. D.11.2). Trotzdem beinhaltet Gleichung (D.8.25) direkt oder indirekt alle Einflussgrößen, die in der Betontechnologie von Bedeutung sind. Gleichung (D.8.25) zeigt ferner die Möglichkeiten auf, wie Zementstein optimaler Festigkeit hergestellt werden kann. Da, wie später gezeigt wird, Beton- und Zementsteinfestigkeit annähernd einander proportional sind, hat Gleichung (D.8.25) in ihrem Grundaufbau auch für die Druckfestigkeit von Beton Gültigkeit, sie ist dann lediglich noch mit einem zusätzlichen Proportionalitätsfaktor zu versehen. Literatur: [D.8.1] POWERS, T. C., BROWNYARD, T. L.: Studies of the Physical Properties of Hardened Portland Cement Paste, Research Laboratories, Portland Cement Association, Bulletin No. 22, 1948 sowie [D.4.2] CZERNIN, W.: Zementchemie für Bauingenieure, Bauverlag GmbH, Wiesbaden-Berlin, 1977 [D.4.3] HILSDORF, H. K. & REINHARDT, H. W.: Beton aus Betonkalender 2000, Verlag Ernst & Sohn, Berlin, 2000 - 206 - D.9 Mechanische Eigenschaften des erhärteten Betons D.9.1 Festigkeit und Bruchvorgänge Problemstellung: Zum Entwurf eines Tragwerks aus Beton ist die Kenntnis der wesentlichen, die Betonfestigkeit beeinflussenden Parameter erforderlich. Noch mehr als bei metallischen Werkstoffen hängt das Festigkeitsverhalten von Beton jedoch von einer Vielzahl von Parametern ab. D.9.1.1 Bruchvorgänge D.9.1.1.1 Druckbruch Druckspannung σ [N/mm²] 25 βD IV 20 V III 15 II 10 5 0 Der Bruch des Betons bei Druckbeanspruchung ist eine Folge langsamen und spontanen Wachstums von Mikrorissen. Unter Druckspannungen verhält sich Beton nicht rein spröde, sondern besitzt eine beschränkte Duktilität. Auch nach Erreichen der Druckfestigkeit βD kann der Beton bei sinkender Spannung noch weiter verformt werden. I 0 1,0 2,0 3,0 4,0 Stauchung ε [‰] Abbildung D.9.1: Spannungs-Dehnungsverhalten des Betons bei Druckbeanspruchung Der Bruch erfolgt in mehreren Stadien: I Wegen der Behinderung des Schwindens von Zementstein durch die Gesteinskörnungen entsteht ein innerer Spannungszustand, der schon im unbelasteten Beton zu Mikrorissen, hauptsächlich in den Kontaktzonen Zementstein-Gesteinskorn, führt. II Bei etwa 50 % von βD wachsen die Risse entlang der Kontaktzonen weiter. III Bei etwa 80 % von βD treten auch in der Zementsteinmatrix Risse auf. Ursachen: Spannungsspitzen an den Wurzeln der schon vorhandenen Risse. Gefügespannungen aufgrund der ungleichen Festigkeits- und Verformungseigenschaften von Zementstein und Gesteinskörnung. Rissorientierung: Die Risse verlaufen vorwiegend parallel zur Belastungsrichtung. Einige Risse weichen jedoch von dieser Richtung ab. IV Kleinere Risse vereinigen sich. Es entstehen größere Risse kritischer Länge, so dass ein spontanes Risswachstum und die Bildung einer Bruchfläche möglich ist. V Durch Verringerung der Belastung kann die Bruchflächenbildung verhindert werden. Die Mikrorisse wachsen langsam weiter. Dies führt zu einem Anwachsen der Betonverformung mit sinkender Spannung. - 207 D.9.1.1.2 Zugbruch Zugspannung σ [N/mm²] II 3 2 I βz III 1 0 0 0,2 Dehnung ε [‰] 0,4 Geeignete Prüfmethoden (hohe Steifigkeit der Prüfmaschine, Wegsteuerung) ermöglichen die Aufzeichnung eines SpannungsDehnungsdiagrammes von Beton unter Zugbelastung, wie es im nebenstehenden Bild dargestellt ist: Abbildung D.9.2: Spannungs-Dehnungsverhalten von Beton bei Zugbeanspruchung Auch beim Zugbruch können mehrere Stadien beobachtet werden: I Bis zu einer Spannung von ca. 80 % der Zugfestigkeit βZ verhält sich der Beton nahezu linear-elastisch. II An einer Schwachstelle im Probekörper beginnt senkrecht zur Belastungsrichtung die Ausbildung eines sehr schmalen Rissbandes, welches aus Mikrorissen besteht. Diese Mikrorisse sind zunächst diskontinuierlich, so dass noch Zugspannungen übertragen werden können. III Die Mikrorisse wachsen, wodurch mit zunehmender Verformung die aufnehmbare Spannung abnimmt. Reiner Zementstein ist kerbempfindlich und spröde. Bei Erreichen seiner Zugfestigkeit werden die Risse nicht, wie bei Beton oder Mörtel, an den Gesteinskörnungen abgebremst. Es kommt daher zu einem schlagartigen Abfall der aufnehmbaren Spannung. Mit steigendem Gehalt an Gesteinskörnern und steigendem Größtkorndurchmesser nimmt die zum Trennen eines Probekörpers in zwei Hälften notwendige Energie (= Bruchenergie) zu. Sie ist daher bei Beton höher als bei Mörtel. D.9.1.2 D.9.1.2.1 Methoden zur Bestimmung der Betonfestigkeit Zerstörende Prüfmethoden Am Bauwerk a) Belastung bis zum Bruch b) Entnahme von Proben (z.B. Bohrkerne) An Parallelproben Herstellung von Betonproben (Würfel, Zylinder, Prismen) aus den selben Mischungen, aus denen das Bauwerk hergestellt wird - 208 - Druckfestigkeit: Bei vorgegebenen Betoneigenschaften hängt die an einer Betonprobe ermittelte Druckfestigkeit von folgenden Parametern ab: • Probengröße • Probenschlankheit • Beschaffung der belasteten Endflächen • Exzentrizität der Belastung • Steifigkeit der Druckplatten und der Prüfmaschine • Art der Lastaufbringung (Belastungsgeschwindigkeit) Um diese zum Teil erheblichen Einflüsse möglichst gering zu halten, sind für die Betonprüfung Probenform, Versuchsdurchführung und Prüfmaschinen weitestgehend genormt. Standardprobe für den Druckversuch: • Würfel 200.200.200 [mm3] oder 150.150.150 [mm3] • In zweiter Linie auch Zylinder Durchmesser 150 mm, Höhe 300 mm β/βl/d = 2 2,00 2,0 β/βd = 200 σ=β d l σ=β d 1,40 1,4 > C20/25 1,5 1,0 1,50 1,15 1,20 1,10 1,00 < C12/15 0,5 d 1,2 1,0 < C12/15 > C20/25 2,0 3,0 0,92 1,00 1,0 0,90 0,88 4,0 l/d Abbildung D.9.3: Einfluss der Probenschlankheit auf die Druckfestigkeit des Betons 0,8 100 200 300 d (mm) Abbildung D.9.4: Einfluss der Würfelgröße auf die Druckfestigkeit des Betons Zugfestigkeit: Ähnlich wie für die Druckfestigkeit spielen auch für die Bestimmung der Zugfestigkeit etliche Einflussparameter eine Rolle. Besondere Bedeutung kommt hierbei dem Maßstabseffekt (engl. size effect) zu. Er beinhaltet die Abhängigkeit der gemessenen Zugfestigkeit von der Probengröße. Die ursprüngliche Form des Size Effect Law (SEL) von Bažant lautet: σ Nc d = B ⋅ f t 1 + d 0 − 1 2 , (D.9.1) - 209 mit σNc = nominale Festigkeit (nominale kritische Spannung) ft = Betonzugfestigkeit d = maßgebende Abmessung des Betonkörpers B, d0 = empirische Koeffizienten log(nominale Festigkeit σNc) Das SEL beschreibt den Übergang vom konventionellen Versagenskriterium der Festigkeitslehre zum energetischen Kriterium der Linear Elastischen Bruchmechanik (LEBM, vgl. Skriptum Baustofftechnologie I) als Funktion der Betonkörpergröße. LEBM-Kriterium Festigkeitskriterium ft SEL 2 Festigkeitslehre nichtlinearelastische Bruchmechanik 1 LEBM log(maßgebende Abmessung d) Abbildung D.9.5: Schematische Darstellung des Size Effect Laws für die einachsige Zugbeanspruchung Der in Abbildung D.9.5 aufgeführte Bereich der Nichtlinearen Bruchmechanik (NLBM), in dem das Size Effect Law den zutreffendsten Wert für die Zugfestigkeit in Abhängigkeit von der Probengröße (Bauteilabmessungen) liefert, berücksichtigt die bei Beton auftretende Bruchprozesszone an der Spitze eines durch einen Probekörper laufenden Risses. Weiterführende Erläuterungen siehe Vertiefervorlesung Werkstoffmechanik im Betonbau. Wegen der Sprödigkeit von Mörtel und Beton kann die Zugfestigkeit von Beton nicht, wie z.B. beim Stahl, durch Einspannen einer Betonprobe in die Prüfbacken einer Prüfmaschine ermittelt werden. Örtliche Spannungskonzentrationen an der Einspannung würden zum vorzeitigen Bruch führen. Die Zugfestigkeit von Beton wird daher meist auf indirekte Weise ermittelt, z.B. am Biegebalken (Biegezugfestigkeit) oder an einem durch zwei gegenüberliegende Linienlasten beanspruchten Zylinder (Spaltzugfestigkeit). Die zentrische Zugfestigkeit kann bestimmt werden, indem man auf die Stirnflächen der Proben mit einem geeigneten Kleber Stahlplatten aufklebt. Über diese Platten können Zugspannungen zwängungsfrei eingeleitet werden. Unterschiedliche Prüfmethoden führen zu unterschiedlichen Ergebnissen, da Spannungszustand und Spannungsverteilung bei den verschiedenen Methoden unterschiedlich sind. - 210 - 4-Punkt-Biegung F/2 Zug Spaltzug F/2 F 150 200 200 700 200 F 150 oder oder d = 150 3-Punkt-Biegung L = 300 F F L = 300 100 200 200 700 150 F d = 150 Abbildung D.9.6: Prüfmethoden zur Ermittlung der Zugfestigkeit von Beton Die zentrische Zugfestigkeit im Alter von 28 Tagen, kann aus der Druckfestigkeit nach folgender Beziehung abgeschätzt werden: β ZZ = β Z0 mit β ⋅ WN β W0 2 3 , (D.9.2) βZZ = zentrische Zugfestigkeit im Alter von 28 Tagen βZ0 = 1,32 N/mm2 βWN = Nennfestigkeit des Betons βW0 = 10 N/mm2 Die Biegezugfestigkeit des Betons hängt von der Balkenhöhe hb ab. Für die 4-Punkt-Biegung gilt näherungsweise β BZ β ZZ mit h 1 + α BZ b h0 = h α BZ b h0 0,7 0,7 , βBZ = Biegezugfestigkeit bei 4-Punkt-Biegung βZZ = zentrische Zugfestigkeit hb = Balkenhöhe [mm] h0 = 100 mm αBZ = 1,5 (D.9.3) - 211 - Spannungszustand beim Biegezugversuch Spannungszustand beim Spaltzugversuch (Annahme elastischen Verhaltens) F Verteilung im Schnitt y -y F y d x d l σx x F max. M = F*l 4 σxx - Biegespannungen: max. σ σy + y y + - Verteilung im Schnitt x - x β Z = max .σ = βZ = + σy - max.σ y 2F max.σx = π dl max.σ x max.σy = -6F π dl l: Länge des Zylinders max .M 6 ⋅ max .M = W b ⋅ d2 3 F⋅l 2 b ⋅ d2 Abbildung D.9.7: Biegezugversuch Abbildung D.9.8: Spaltzugversuch Der mit einer Einzellast beanspruchte Biegebalken hat meist eine etwas höhere Biegezugfestigkeit als der in den Drittelspunkten beanspruchte Balken, so dass βBZ3 ≈ 1,10 βBZ4 . (D.9.4) Im ersten Fall ist lediglich der Querschnitt in Balkenmitte der maximalen, zum Bruch führenden Beanspruchung unterworfen. Im zweiten Fall tritt die maximale Beanspruchung dagegen über einen größeren Bereich auf. Die Wahrscheinlichkeit des Zusammentreffens maximaler Beanspruchung und minimaler Festigkeit ist im zweiten Fall größer, die Festigkeit des Balkens deswegen meist geringer. Bei der Bestimmung der Spaltzugfestigkeit βSZ steht der höchst beanspruchte Querschnitt unter einem 2-achsigen Spannungszustand (Druck und Zug). Die ZugDruckfestigkeit von Beton ist jedoch geringer als die einachsige Zugfestigkeit bei zentrischer Belastung βZZ (siehe Abschnitt D.9.1.7). Andererseits tritt bei der Spaltzugprobe die maximale Beanspruchung nur in einem Querschnitt auf. Dies führt zu einer Festigkeitserhöhung gegenüber der Festigkeit eines gleichmäßig beanspruchten Körpers. Näherungsweise kann gesetzt werden: β SZ ≈ 1,10 β ZZ (D.9.5) - 212 D.9.1.2.2 Zerstörungsfreie Prüfmethoden Dies sind Methoden zur Abschätzung der Festigkeit eines Werkstoffes, ohne die Proben zu zerstören. Dabei wird meist nicht die Festigkeit, sondern eine andere Materialkenngröße bestimmt, z.B. die Dichte oder der E-Modul, aus der dann auf die Festigkeit geschlossen werden kann. Rückprallhammer: Skala Schlagbolzen Feder Die Methode basiert auf der Beobachtung, dass der Rückprall einer elastischen Masse von der Oberflächenhärte und vom Elastizitätsmodul des zu prüfenden Werkstoffes abhängt. Im Rückprallhammer wird ein Schlaggewicht mit einer bestimmten Energie gegen die Oberfläche des zu prüfenden Werkstoffes geschlagen und der Rückprall des Schlaggewichts gemessen. Dieser ist ein Maß für die wahrscheinliche Betondruckfestigkeit. Gewicht Beton Abbildung D.9.9: Rückprallhammer Schalllaufzeitmessung: Die Geschwindigkeit v, mit der ein Impuls einen festen Stoff durchläuft, folgt bei Längswellen folgender Beziehung: v2 = (1 − ν ) E ⋅ ρ (1 + ν ) ⋅ (1 − 2 ⋅ ν ) (D.9.6) Darin bedeuten E = Elastizitätsmodul ρ = Dichte des untersuchten Werkstoffes ν = Querdehnungszahl Bei bekannter Dichte und Querdehnungszahl kann daher über eine Schalllaufzeitmessung auf den E-Modul und damit indirekt auf die Festigkeit des untersuchten Betons geschlossen werden. Beachte: Neben der Druckfestigkeit hängt die Schalllaufzeit in hohem Maß von der Betonfeuchte ab. Untersuchungen mit Gammastrahlen: Wird ein fester Körper mit Gammastrahlen einer bestimmten Energie bestrahlt, so werden die Gammastrahlen abgebremst und gestreut. Mit steigender Entfernung von der Energiequelle fällt ihre Intensität S nach folgender Beziehung: S = S 0 ⋅ e − x⋅σ Darin bedeuten: S = Strahlungsintensität S0 = Strahlungsintensität an der Strahlungsquelle x = Entfernung von der Quelle σ = Materialkonstante, die auch von der Dichte abhängig ist (D.9.7) - 213 Mit Hilfe von Gammastrahlen können daher z.B. die Dicke eines Querschnittes oder bei bekannten Abmessungen die Dichte des Betons und damit indirekt seine Festigkeit abgeschätzt werden. Alle zur Zeit zur Verfügung stehenden indirekten Prüfmethoden sind relativ ungenau und erlauben nur eine sehr grobe Abschätzung der Festigkeit von Baustellenbeton. In den meisten Fällen können zuverlässige Werte nur über Vergleichsversuche an Betonen mit bekannten Eigenschaften erreicht werden. D.9.1.3 Einflüsse auf die Festigkeit von Beton Sowohl Zug- als auch Druckfestigkeit von Beton hängen ab • von der Betonzusammensetzung und den Eigenschaften der Ausgangsstoffe, • von den Erhärtungsbedingungen, d.h. von der Temperatur, dem Feuchtegehalt und dem Alter des Betons • von der Art der Belastung • vom Spannungszustand Darüber hinaus sind Prüfeinflüsse zu berücksichtigen, die im Abschnitt D.9.1.2 behandelt wurden. Betrachtet man den Beton als Mehrphasensystem, so sind die wichtigsten Einflussparameter für Zug- und Druckfestigkeit von Beton: • Festigkeit des Zementsteins (siehe Abschnitt D.8) • Festigkeit der Gesteinskörnungen • Festigkeit des Verbundes beider Komponenten Einfluss der Betonzusammensetzung: Die wichtigste Einflussgröße für die Betonfestigkeit ist der Wasserzementwert. Darüber hinaus nimmt die Druckfestigkeit von Beton im Alter von 28 Tagen mit der Normendruckfestigkeit des Zements zu. Dies wird in der folgenden Abbildung deutlich, in der für verschiedene Zementarten Beziehungen zwischen der mittleren Betondruckfestigkeit βW28 und dem Wasserzementwert angegeben sind. Die theoretischen Grundlagen für diesen Zusammenhang wurden im Abschnitt D.8 näher behandelt. - 214 Der experimentell gewonnene Einfluss des Wasserzementwerts aus nebenstehendem Diagramm entspricht für w/z > 0,45 dem theoretischen Verlauf der Zementsteinfestigkeit nach Abschnitt D.8.3 und Gleichung (D.8.23) Bei kleinerem Wasserzementwert nehmen Verarbeitbarkeit und damit Verdichtungswilligkeit des Frischbetons deutlich ab, was zu einem reduzierten Festigkeitsanstieg mit sinkendem w/z-Wert führt, es sei denn, es werden Betonzusatzmittel, insbesondere Fließmittel, eingesetzt. Betondruckfestigkeit β W28 (N/mm²) 70 N 28 = 63,5 N/mm² N 28 = 55 N/mm² 60 N 28 = 45 N/mm² 50 40 30 CEM 52,5 CEM 42,5 CEM 32,5 20 10 0,30 0,40 0,50 0,60 0,70 0,80 0,90 1,00 Wasserzementwert w/z Abbildung D.9.10: Betondruckfestigkeit in Abhängigkeit von w/z-Wert und der Zementart Für w/z-Werte < 0,45 ist im Diagramm daher ein Bereich anstelle einer eindeutigen Kurve angegeben. Darüber hinaus ist zu beachten, dass die Betondruckfestigkeit mit steigender Dicke der Zementsteinschicht, die die Gesteinskörnungen umhüllt, etwas abnimmt. Der Zementgehalt kann sich daher auf die Betonfestigkeit in zweierlei Hinsicht auswirken: Bei konstantem Wassergehalt führt eine Erhöhung des Zementgehalts zu einer Reduktion des w/z-Wertes und damit zu einer Festigkeitssteigerung. Wird der w/z-Wert aber konstant gehalten, so sinkt die Betondruckfestigkeit mit steigendem Zementgehalt, sofern ein insgesamt ausreichender Zementsteingehalt vorhanden ist. Einfluss der Gesteinskörnung: β Beton (N/mm²) 40 w/z = 0,4 30 w/z = 0,5 20 10 w/z = 0,7 0 100 200 β Körnung Zuschlag (N/mm²) Die meisten Gesteinskörnungen für Normalbeton haben Druckfestigkeiten, die höher liegen als die Druckfestigkeit des Zementsteins. Ihr Einfluss auf die Betonfestigkeit ist daher gering. Lediglich bei niederfesten Gesteinskörnungen (z. B. leichte Gesteinskörnungen) wird die Betonfestigkeit von der Festigkeit der Gesteinskörner wesentlich beeinflusst (siehe Abschnitt D.11.3). Abbildung D.9.11: Einfluss der Kornfestigkeit auf die Betonfestigkeit - 215 - Einfluss des Gesteinskorn - Zementstein - Verbundes: Wegen des weitgehenden Fehlens chemischer Bindungen zwischen Zementstein und Gesteinskorn ist die Verbundfestigkeit zwischen beiden Komponenten meist geringer als die Zugfestigkeit des Korns oder des Zementsteins. Die Grenzflächen beider Komponenten sind daher häufig der Ausgangspunkt für die Bildung von Mikrorissen und damit für den Bruch eines Betonkörpers (siehe Abschnitt D.9.1.1). Mit steigender Verbundfestigkeit steigt auch die Betondruckfestigkeit. Allerdings gibt es kaum technische Möglichkeiten, die Verbundfestigkeit zu beeinflussen, mit Ausnahme jener Parameter, die auch die Zementsteinfestigkeit bestimmen. Einfluss der Nachbehandlung des Betons: Eine lang andauernde Feuchtlagerung des Betons ist die Voraussetzung für einen hohen Hydratationsgrad des Zementsteins und damit eine hohe Betonfestigkeit. Junger Beton muss daher ausreichend nachbehandelt werden. Über die Dauer der erforderlichen Nachbehandlung siehe Abschnitt D.7.5. βD (%) 3 Mon. feucht trocken geprüft 120 100 80 60 40 20 0 0 2 4 6 8 100 % feucht bis zur Prüfung 60 % trocken gelagert bis zur Prüfung trocken gelagert feucht geprüft 10 12 Monat Abbildung D.9.12: Einfluss der Nachbehandlung auf die Festigkeitsentwicklung von Beton Herrscht während des ganzen Zeitraums der Nachbehandlung kühle Temperatur vor, so erfolgen Hydratations- und Festigkeitsentwicklung langsamer. Der Beton muss dann über einen längeren Zeitraum feucht gehalten werden, bis er die Festigkeit eines bei normaler Temperatur gelagerten Betons erreicht (siehe dazu Abschnitt D.9.1.4). - 216 - Einfluss des Feuchtigkeitsgehaltes zum Zeitpunkt der Prüfung: Betonproben, die unmittelbar vor ihrer Prüfung getrocknet werden, zeigen eine höhere Festigkeit als Proben, die auch zum Zeitpunkt ihrer Prüfung noch feucht sind. β D (N/mm²) 60 40 20 ofenofenfeucht trocken trocken feucht 0 0 40 80 120 160 200 240 Tage Abbildung D.9.13: Einfluss des Feuchtigkeitsgehaltes zum Zeitpunkt der Prüfung Erklärung: Wegen des kleiner werdenden Abstands zwischen den Gelpartikeln steigt die Festigkeit eines Gels mit sinkendem Feuchtigkeitsgehalt Einfluss der Belastungsgeschwindigkeit: Eine Erhöhung der Dehngeschwindigkeit ε, mit der Betonproben beansprucht werden, führt zu einer deutlichen Erhöhung der erzielten Druck- und Zugfestigkeit. β Z, dyn. β D, dyn. β Z, stat. β D, stat. 2,0 6,0 1,8 5,0 1,6 4,0 1,4 3,0 1,2 2,0 1,0 1,0 0 -7 -6 -5 -4 -3 -2 -1 0 1 2 10 10 10 10 10 10 10 10 10 10 . 0 -7 -6 -5 -4 -3 -2 -1 0 1 2 10 10 10 10 10 10 10 10 10 10 ε (1/s) . ε (1/s) Abbildung D.9.14: Einfluss der Belastungsgeschwindigkeit auf die Zug- und Druckfestigkeit D.9.1.4 Einflüsse auf die Erhärtungsgeschwindigkeit Die zeitliche Entwicklung der Festigkeit eines Betons wird durch die zeitliche Entwicklung des Hydratationsgrades und damit durch die Art und Festigkeitsklasse des verwendeten Zements sowie durch die Temperatur des Betons bestimmt (siehe z.B. Abschnitte D.4.1.4.7 und D.8.2.4). Je niedriger die Temperatur, um so geringer ist die Erhärtungsgeschwindigkeit (Vorlesung Baustoffkunde). Eine hohe Anfangstemperatur führt daher zu einer schnellen Betonerhärtung. Dies wird z.B. bei einer gezielten Wärmebehandlung von Beton technisch genutzt. - 217 Niedrige Temperaturen führen zwar zu einer langsameren Betonerhärtung, können aber eine höhere Endfestigkeit bewirken. Näherungsweise kann der Temperatureinfluss auf die Betonerhärtung mit dem Reifegrad R abgeschätzt werden. Die einfachste Beziehung hierbei ist der Reifegrad RS nach SAUL-NURSE: n R s = ∑ (Ti + 10 ) ⋅ ∆t i , (D.9.8) i=1 wobei Ti = mittlere Tagestemperatur des Betons in °C ∆ti = Anzahl der Tage, während denen eine Temperatur Ti vorherrscht Der Reifegrad Rs nach Gleichung D.9.8 entspricht dem Integral des Zeitverlaufes der Temperatur oberhalb von – 10 °C. In Gleichung D.9.8 wird davon ausgegangen, dass bei T = -10 °C die Hydratation völlig zum Stillstand kommt. Die Annahme eines linearen Zusammenhangs zwischen Erhärtung und Temperatur stellt eine grobe Näherung dar. Zuverlässiger ist eine Anwendung der ARRHENIUSGleichung (siehe Vorlesung Baustoffkunde): t −Q R A = const. ⋅ ∫ e RT ⋅ dt , (D.9.9) 0 mit T = t= Betontemperatur [K] Betonalter Q= Aktivierungsenergie für die Hydratation R= allgemeine Gaskonstante Die Aktivierungsenergie hängt von zahlreichen technologischen Parametern ab und muss daher experimentell bestimmt werden. Anstelle des Reifegrades kann auch das wirksame Betonalter tT verwendet werden. Weicht die Betontemperatur von 20 °C ab, so entspricht es jenem Betonalter, bei dem der Beton dieselbe Reife wie bei einer konstanten Temperatur von 20 °C erreicht hat. Unter Zugrundelegung von Gleichung D.9.8 erhält man für das wirksame Betonalter tT: n tT = ∑ (Ti + 10 ) ⋅ ∆t i i =1 (D.9.10) 30 Eine genauere, nichtlineare Abhängigkeit kann aus Gleichung D.9.9 abgeleitet werden: 4000 t T = ∑ ∆t i ⋅ exp13,65 − T(∆t i ) i=1 273 + T0 n mit , (D.9.11) tT = wirksames Betonalter T(∆ti) T0 = = Betontemperatur in °C während des Zeitintervalls ∆t Bezugswert = 1 °C - 218 - D.9.1.5 Verhalten von Beton unter Dauerlast Problemstellung: Viele Bauwerke sind über lange Zeiträume vorwiegend ruhenden, nahezu konstanten Dauerlasten unterworfen. Die Dauerstandfestigkeit des Betons ist jedoch auch bei Normaltemperaturen merklich kleiner als seine Kurzzeitfestigkeit. Bei der Bemessung eines Betonbauwerkes kann daher nur die Dauerstandfestigkeit als Bruchteil der Kurzzeitfestigkeit in Ansatz gebracht werden. Zur Abschätzung der Dauerstandfestigkeit des Betons sind zwei gegenläufige Einflüsse zu berücksichtigen: • Festigkeitsabfall als Folge einer hohen Dauerspannung • Festigkeitszunahme als Folge der fortschreitenden Hydratation während der Dauerbelastung Da die während der Dauerbelastung noch mögliche Hydratation vom Betonalter abhängt, hängt auch die Dauerstandfestigkeit in hohem Maße vom Belastungsalter des Betons ab. Wichtige Parameter: a) Dauer der Beanspruchung b) Höhe der Dauerspannung c) Belastungsalter d) Feuchtigkeitsgehalt während der Dauerspannung Das Dauerstandverhalten von unterschiedlichen Betonen kann durch eine einheitliche Beziehung beschrieben werden, wenn die Festigkeit als Bruchteil der Kurzzeitfestigkeit im Alter von 28 Tagen βW28 ausgedrückt wird. β DD /β W 28 1,6 Belastungsalter 3 Jahre 1,2 6 Monate 28 Tage 0,8 7 Tage 0,4 10 min. kritischer Zeitraum 100 min. 1000 min. 7 Tage 70 Tage 700 Tage Belastungsdauer (log.) Abbildung D.9.15: Dauerstandverhalten von Betonen Wegen der gegenläufigen Entwicklung der Einflüsse Hydratation und Dauerlasteinwirkung ist mit einem Dauerstandbruch nur innerhalb eines bestimmten Zeitraums zu rechnen = kritischer Zeitraum. Er ist um so kürzer, je geringer das Belastungsalter, da vor allem bei jungem Beton die Festigkeit als Folge der Hydratation (Nacherhärtung) noch erheblich zunehmen kann. Sobald der Festigkeitszuwachs größer ist als die Festigkeitsabnahme infolge der Dauerbeanspruchung, ist bei konstanter Dauerlast kein Bruch mehr möglich. Die Dauerstandfestigkeit von Beton im Alter von 28 Tagen beträgt ca. 0,8.βW28. - 219 - D.9.1.6 Verhalten von Beton bei wiederholter Beanspruchung Problemstellung: Betonquerschnitte (z.B. im Straßen- und Brückenbau) können einer großen Zahl von Be- und Entlastungen unterworfen sein. Ähnlich wie bei Metallen nimmt die Spannung, die der Beton ohne Bruch ertragen kann, mit steigender Lastwechselzahl ab. Bei der Bemessung so beanspruchter Bauwerke kann daher nur eine gegenüber der Kurzzeitfestigkeit reduzierte Festigkeit (Dauerschwingfestigkeit) in Ansatz gebracht werden. Wichtige Parameter: a) Lastwechselzahl b) Ober- und Unterspannung c) Schwingbreite d) Frequenz der Belastung e) Belastungsalter f) Feuchtigkeitsgehalt während der Ermüdungsbeanspruchung Spannungshöhe σ max. /β D 1,0 A = σmin. /σmax. 0,9 A = 0,75 0,8 A = 0,5 0,7 A = 0,25 0,6 A=0 0,5 1 10 1 10 2 10 3 10 4 10 5 Anzahl der Lastwechsel N 10 6 10 7 10 8 Abbildung D.9.16: Dauerschwingfestigkeit von altem Beton (keine wesentliche Nacherhärtung während der Belastung) Das Dauerschwingverhalten verschiedener Betone kann durch einheitliche Beziehungen ausgedrückt werden, wenn die Dauerschwingfestigkeit als Bruchteil der Kurzzeitfestigkeit bei Belastungsbeginn angegeben wird. - 220 - bezogene Oberspannung σ max. /β D 1,0 bei sehr niedriger Prüffrequenz 0,8 0,6 2R = 0,4 σmax. − σ min. βD 0,2 0 0,2 0,4 0,6 0,8 1,0 0 bezogene Unterspannung σ min. /β D Abbildung D.9.17: Einfluss der Schwingbreite auf die Dauerschwingfestigkeit von altem Beton (GOODWIN-Diagramm) D.9.1.7 Verhalten von Beton bei mehrachsiger Beanspruchung Problemstellung: In Flächentragwerken (Schalen, Scheiben, Platten, Faltwerke), dickwandigen Behältern, aber auch in Balken und umschnürten Säulen aus Beton herrscht ein mehrachsiger Spannungszustand. Festigkeits- und Verformungsverhalten von Beton hängen jedoch von der Art des Spannungszustandes ab. Zweiachsige Spannungszustände: Zug σ1 /βD Druck σ2 /βD 1,2 1,0 0,8 0,6 0,4 0,2 0,2 Zug σ2 /βD 0,4 0,6 0,8 1,0 1,2 Mohr-Coulomb Druck Bei zweiachsiger Druckbelastung steigt die Betonfestigkeit gegenüber der einachsigen Druckfestigkeit etwas an. Trotzdem kann in erster Näherung die MOHR-COULOMB´sche Bruchypothese zur Abschätzung der Festigkeit von Beton bei mehr-achsiger Beanspruchung ver-wendet werden. σ1 /βD Abbildung D.9.18: Betonfestigkeit bei zweiachsiger Beanspruchung - 221 - Dreiachsige Spannungszustände: 140 β A (N/mm²) 120 β 100 Das nebenstehende Bild zeigt die Festigkeit von Beton unter dreiachsigem Druck, wie sie an Betonzylindern bei radialer und achsialer Beanspruchung ermittelt wurde. A 80 60 β β 40 R β D 20 0 0 10 20 A 30 β R (N/mm²) Abbildung D.9.19: Betonfestigkeit bei dreiachsigem Druck für verschiedene βA/βRVerhältnisse Im Bruchzustand ist β A = σ1 β R = σ2 = σ3 (Druck ist positiv) σ1 ≥ σ2 = σ3 Mit steigender Radialspannung βR wächst die aufnehmbare Achsialspannung βA. Näherungsweise kann dieser Zusammenhang beschrieben werden durch: m β A = βD + n ⋅ β R (D.9.12) Für kleine Werte von βR ist n ≈ 4,0 und m ≈ 1,0. Von der Festigkeitssteigerung des Betons bei dreiachsiger Druckbeanspruchung wird im Stahlbetonbau z. B. bei der Ausbildung umschnürter Säulen Gebrauch gemacht. D.9.2 Verformungsverhalten Problemstellung: Die Kenntnis der Verformungseigenschaften eines Baustoffes ist Voraussetzung zur Abschätzung von Bauwerksverformungen. Mehr als bei metallischen Werkstoffen werden die Verformungseigenschaften von Beton durch eine Vielzahl von Werkstoffund Umweltparametern beeinflusst. Einteilung der Verformungen im festen Zustand: Lastunabhängige Verformungen Lastabhängige Verformungen Zeitunabhängig: Wärmedehnung Schwinden, Quellen elastische Verformungen, Schrumpfen, Treiben bleibende Verformungen Zeitabhängig: Kriechen Lastunabhängige Verformungen können auch im noch nicht erhärteten Beton auftreten. - 222 - Zusammenstellung lastunabhängiger Verformungen: In der folgenden Tabelle sind die wesentlichen lastunabhängigen Verformungsanteile des Betons aufgeführt. Dabei sind in erster Linie Schwinden, Quellen und Schrumpfen sowie durch Temperaturänderungen hervorgerufene Verformungen von Bedeutung. Tabelle D.9.1: Wesentliche lastunabhängige Verformungen Verformung Ursache Setzen (Bluten) Wasserabsonderung Plastisches Schwinden kapillarer Unterdruck Schrumpfen Hydratation - chem. Schwinden - innere Austrocknung Trocknungsschwinden Wasserverlust Quellen Wasseraufnahme Karbonatisierungsschwinden Karbonatisierung Thermische Längenänderung Temperaturänderung Treiben chemische Treibreaktion Eine Entmischung des noch nicht erhärteten Betons (Bluten) führt zu einer Absonderung von Wasser (siehe Kap. D.5.3). Das zuvor mit diesem Wasser gefüllte Kapillarporensystem bricht teilweise in sich zusammen, wodurch der frische Beton an Volumen abnimmt. Die Menge an abgesondertem Wasser und die Volumenabnahme sind einander proportional. D.9.2.1 Wärmedehnung Tabelle D.9.2: Richtwerte für die Wärmedehnzahl von Beton, αBT Art der Gesteins körnung αBT in 10-6 1/K Feuchtezustand für Zementgehalte in kg/m3 300 kg/m3 400 kg/m3 500 kg/m3 gebrochener wassergesättigt 11,6 11,6 11,6 Quarz lufttrocken 13,0 13,4 13,8 Quarzkies wassergesättigt 11,1 11,2 11,2 mit Sand lufttrocken 12,6 13,0 13,4 Granit wassergesättigt 8,1 8,3 8,5 lufttrocken 9,7 10,2 10,9 wassergesättigt 7,4 7,6 7,8 lufttrocken 9,1 9,6 10,4 dichter wassergesättigt 5,7 6,0 6,3 Kalkstein lufttrocken 7,2 7,9 8,7 Basalt - 223 - Wärmedehnzahl des Zementsteins je nach Alter und Feuchtigkeitsgehalt: 10.10-6 bis 20.10-6 K-1 Wärmedehnzahl des Kornmaterials je nach mineralogischem Aufbau: 4.10-6 bis 12.10-6 K-1 Wärmedehnzahl des Betons αBT je nach Zusammensetzung, Alter, Art des Kornmaterials, Feuchtigkeitsgehalt: 6.10-6 bis 15.10-6 K-1 D.9.2.2 Schwinden und Quellen Definition: Unter Schwinden versteht man eine last- und temperaturunabhängige Volumenabnahme eines Werkstoffes. Eine entsprechende Volumenzunahme wird mit Quellen bezeichnet. Bei normalfestem Beton ist die Ursache von Schwinden und Quellen hauptsächlich Wasserverlust als Folge einer Austrocknung bzw. Wasseraufnahme des Zementsteins. Schwind- und Quellvorgänge im Beton sind nur teilweise reversibel. Schwinden [‰] - 0,4 Trocknung bei 65 % rel. Feuchte Wasserlagerung - 0,3 - 0,2 - 0,1 0 3 + 0,1 + 0,2 7 14 28 90 180 360 Trocknungsdauer bzw. Dauer der Wasserlagerung [Tage] Quellen [‰] Abbildung D.9.20: Schwind- und Quellvorgänge von normalfestem Beton in Abhängigkeit von der Trocknungsdauer bzw. der Dauer einer Wasserlagerung Für Normalbetone liegt das Schwinden je nach Zusammensetzung und Lagerungsart im Bereich von 0,1 bis 1 ‰ (siehe Abschnitt D.9.2.5). Das in der Praxis beobachtete Schwinden von Betonbauteilen ist die Summe aus Trocknungsschwinden, Schrumpfen und Karbonatisierungsschwinden. Bei Bauteilen mit üblichen Abmessungen aus normalfestem Beton überwiegt bei Weitem das Trocknungsschwinden. Plastisches Schwinden des noch nicht erhärteten Betons: Die vor dem Erstarrungsbeginn entstehende und auf den frischen noch verarbeitungsfähigen Beton bezogene Volumenminderung infolge eines kapillaren Unterdrucks wird als plastisches Schwinden, seltener auch als Kapillar- oder Frühschwinden bezeichnet. - 224 Das Trocknungsschwinden resultiert aus dem durch Feuchteabgabe herbeigeführten Feuchteausgleich mit der Umgebung. Es ist mit strukturellen Änderungen und Volumenänderungen des Betons verbundenen. Diese werden durch Kapillarspannungen, Oberflächenspannungen und den Spaltdruck verursacht. Veränderung von Kapillarspannungen: d γw r α hK P = γw cos απ d d/2 d Abbildung D.9.21: Kapillares Saugen und Kapillarspannungen; siehe Gl. D.9.13 Die kapillare Steighöhe ergibt sich aus einer Kräftebilanz: Gewicht der Wassersäule = Aufnehmbare Kraft. hk ⋅ d2 π ⋅ ρ w = cosα ⋅ γ w ⋅ π ⋅ d; 4 hk = mit cosα = 4cos α ⋅ γ w 2γ w = ρw ⋅ d r ⋅ ρw r = Radius des Meniskus d = Durchmesser der Kapillare α = Benetzungswinkel Wasser - Kapillare γw = Oberflächenspannung des Wassers ρw = Reindichte des Wassers hk = Kapillare Steighöhe d 2r (D.9.13) Zugspannung im Wasser σw: σw = 2γ w r (D.9.14) Als Folge der Oberflächenspannungen freier Oberflächen steigt Wasser in dünnen Kapillaren. Dadurch entstehen Zugspannungen im Wasser, denen durch Druckspannungen in den Kapillarwandungen das Gleichgewicht gehalten wird. Die Steighöhe und damit die Spannungen hängen vom Kapillardurchmesser d, vom Radius des Meniskus r, und von der Oberflächenspannung des Wassers γw ab. Mit sinkender relativer Feuchte der Umgebung nimmt auch der Radius des Meniskus ab, so dass die Steighöhe des Wassers in der Kapillare und d i e Z u g s p a n n u n g e n im Wasser anwachsen. Entsprechend steigen auch die Druckspannungen in der Kapillare. Dies hat eine Volumenabnahme zur Folge (→ Schwinden). Veränderung der Oberflächenspannung: An der freien Oberfläche eines Körpers herrschen Zugspannungen (Oberflächenspannungen), denen durch Druckspannungen im Innern das Gleichgewicht gehalten wird. Wird die Oberfläche mit einer benetzenden Flüssigkeit überzogen, so werden die Oberflächenspannungen reduziert und ebenso die Druckspannungen im Inneren des Körpers. Das Volumen des Körpers nimmt zu (→ Quellen). Bei der Austrocknung - 225 nehmen die Oberflächenspannungen zu, das Volumen des Körpers nimmt ab (→ Schwinden). Veränderung des Spaltdrucks: H2O Die Entfernung zwischen 2 Partikeln sei so gering, dass an der schmalsten Stelle nur für wenige Wassermoleküle Platz vorhanden ist. Werden die Partikel mit Wasser in Berührung gebracht, so versuchen die Oberflächen zur Verringerung ihrer Oberflächenspannung Wasser zu adsorbieren. Um auch an der engsten Stelle zwischen beiden Partikeln Wasser anlagern zu können, müssen die Partikel auseinander geschoben werden. Es entsteht ein Spaltdruck, der eine Volumenvergrößerung des Gesamtsystems zur Folge hat (→ Quellen). Bei einem Wasserentzug rücken die Partikel wieder zusammen (→ Schwinden). Abbildung D.9.22: Spaltdruck zwischen zwei benetzten Feststoffpartikeln Aufgrund der chemischen Reaktionen zwischen Zement und Wasser wird eine Volumenabnahme beobachtet, die dadurch hervorgerufen wird, dass das Volumen des Zementgels kleiner ist als das Volumen des Wassers und des Zements, aus denen das Gel gebildet wurde. Diese Volumenabnahme, gemessen an einer versiegelten Probe bei konstanter Temperatur ohne äußere Belastung, wird mit Schrumpfen oder autogenem Schwinden bezeichnet. Das Schrumpfen kann weiter in chemisches Schwinden und in eine innere Austrocknung unterteilt werden. Das chemische Schwinden beinhaltet die Volumenabnahme bei der Hydratation, die sich im Wesentlichen auf die Umwandlung des Ettringits in Monosulfat zurückführen lässt. Die innere Austrocknung ist primär ein physikalischer Vorgang, bei dem das für eine weitere Hydratation notwendige Wasser nicht mehr von außen durch das bereits dichte Betongefüge dringen kann, sondern aus den inneren Bereichen eines Betonkörpers „abgesaugt“ wird. Hierdurch werden Kapillarkräfte aktiviert. Auch die Karbonatisierung der Hydratationsprodukte des Zements ist mit einer Volumenverminderung verbunden (→ Karbonatisierungsschwinden). Sie ist jedoch nur auf die Betonrandzone beschränkt. Parameter, welche die Größe des Schwindens beeinflussen: Entscheidend für die Größe des Schwindens ist in erster Linie der Wasserverlust während des Austrocknens. Daher führen alle Parameter, welche den Wasserverlust des Betons steigern, zu einer Erhöhung des Schwindens. • Zementsteinvolumen: Mit zunehmendem Volumenanteil des Zementsteins nimmt die Größe des Schwindens von Beton zu. • Wassergehalt und Wasserzementwert: Mit steigendem Wassergehalt und zunehmendem ω-Wert wächst das Schwinden, da die Menge an verdampfbarem Wasser und die Porosität des Zementsteins zunehmen. • Relative Luftfeuchte der umgebenden Luft: Mit sinkender relativer Luftfeuchte steigt der Wasserverlust des Betons und damit auch das Schwinden. - 226 - • Körpergröße: Die Körpergröße beeinflusst vor allem die Geschwindigkeit des Schwindablaufs: Große Körper schwinden langsamer als kleine. • Art der Gesteinskörnung: Die Gesteinskörner behindern die freie Schwindverformung des Zementsteins, und zwar um so mehr, je steifer sie sind. Daher ist die Schwindverformung eines Betons bei sonst gleichen Parametern um so kleiner, je höher der E-Modul der Gesteinskörner. Angaben zur Abschätzung der Größenordnung des Schwindens können Abschnitt D.9.2.5 entnommen werden. Folgeerscheinungen des Schwindens: a) Das Schwinden des Betons führt zu einem inneren Spannungszustand (Eigenspannungen), wobei die auftretenden Spannungen die Zugfestigkeit des Betons überschreiten können und dann zu Oberflächenrissen führen. Ursache: Die Größe der Schwindverformung ist dem Feuchtigkeitsverlust näherungsweise proportional. Da Beton jedoch nur sehr langsam austrocknet, sind Feuchtigkeit und damit die freie Schwindverformung über die Probendicke ungleichmäßig verteilt. Rel. Feuchte in % 100 5 Tage 90 10 20 40 80 80 70 60 50 Probenmitte 2,5 5,0 7,5 cm Abbildung D.9.23: Feuchtigkeitsverteilung in einer Betonprobe (rel. Luftfeuchtigkeit der Umgebung: 50 %) b) Neben den unter a) genannten Eigenspannungen treten auch Gefügespannungen auf, da das Schwinden und Quellen vorwiegend auf Vorgänge im Zementstein zurückzuführen ist. Die Gesteinskörner selbst schwinden und quellen aber selbst nicht oder nur sehr wenig (Ausnahme: manche leichte Gesteinskörnungen). Die i. d. R. steiferen Gesteinskörner behindern das Schwinden des Zementsteins, so dass Druckspannungen im Gesteinskorn, Zugspannungen in der Zementsteinmatrix entstehen. Diese können zu Rissen in der Kontaktzone zwischen Zementsteinmatrix und Gesteinskorn führen. Bei der Bestimmung der Größe der Schwindspannungen ist jedoch zu berücksichtigen, dass sie durch die Wirkung des Kriechens abgebaut werden können. c) Behinderte Schwindverformungen führen zu Zwängungsbeanspruchungen im Bauwerk. d) Beim Spannbeton verursacht das Schwinden des Betons einen Spannkraftverlust. - 227 - D.9.2.3 Spannungs-Dehnungsdiagramm, Elastizitätsmodul und Querdehnungszahl bei Druckbelastung Das Spannungs-Dehnungsdiagramm bei Druckbeanspruchung: Die Form des Spannungs-Dehnungsdiagrammes von Beton bei Druckbeanspruchung hängt in hohem Maße von seiner Druckfestigkeit ab. Mit steigender Porosität nimmt die Festigkeit des βD = 55N/mm² Betons ab, während seine Verformbarkeit steigt. σ (N/mm²) 60 40 20 0 0 1 2 3 Dehnung (‰) (°/oo) 4 Abbildung D.9.24: Spannungs-Dehnungsdiagramm bei Druckbeanspruchung Ferner wird das Spannungs-Dehnungsdiagramm des Betons von der Dehngeschwindigkeit beeinflusst: Je langsamer die Dehngeschwindigkeit, um so größer die Verformbarkeit. σ/βD 1,0 1 ‰ / 100 Tage 0,75 0,5 1 ‰ / 1 Tag βD = 21 N/mm² 0,25 0 1 ‰ / 1 Stunde 1 ‰ / 1 min. 0 1 2 3 4 5 6 7 Dehnung ε [‰] Abbildung D.9.25: Spannungs-Dehnungsdiagramm in Abhängigkeit von der Dehngeschwindigkeit 1 dε > Beachte: Sehr hohe Dehngeschwindigkeiten führen zu einem deutlichen dt sec Anstieg von Festigkeit und E-Modul. - 228 - Der Elastizitätsmodul: Der Elastizitätsmodul des Betons, definiert als Sekanten- oder Tangentenmodul, nimmt auch bei kleinen Spannungen mit steigender Spannung ab. Näherungsweise kann er jedoch im Bereich der Gebrauchsspannungen (σ < ca. 0,40.βd) als konstant angenommen werden. Einflussgrößen: • Elastizitätsmodul des Zementsteins, der mit steigender Porosität (steigender w/zWert, sinkender Hydratationsgrad) abfällt • Elastizitätsmodul der Gesteinskörnung • Korn- und Zementsteingehalt • Feuchtigkeitsgehalt des Betons zum Zeitpunkt der Belastung Die Abhängigkeit des E-Moduls von Beton von den E-Moduln der Gesteinskörnung und des Zementsteins kann mit Hilfe einfacher Modellvorstellungen abgeschätzt werden, die im Teil D beschrieben werden. Näherungsweise kann der E-Modul des Betons auch in Abhängigkeit von der Betondruckfestigkeit abgeschätzt werden (siehe dazu Abschnitt 9.2.5.1). Die Querdehnungszahl von Beton: 0,8 Die Querdehnungszahl ist abhängig von der Spannungshöhe und steigt bei hohen Spannungen von Anfangswerten zwischen 0,10 und 0,20 bis auf Werte > 0,5 an. 0,6 Ursache: βD σ/βD 1,0 Während der Belastung auftretende Mikrorisse im Beton führen zu hohen Querdehnungen 0,4 0,2 0 0 0,2 0,4 Querdehnungszahl µ Abbildung D.9.26: Querdehnungszahl in Abhängigkeit von der Spannungshöhe D.9.2.4 Kriechen von Beton Definition: Kriechen von Beton ist der zeitabhängige Anstieg der Verformung unter konstanter Dauerlast nach Abzug der an einer unbelasteten Probe beobachteten Schwindverformung. Die folgenden Ausführungen gelten für die Kriechverformung von Beton unter Druckbeanspruchung. In erster Näherung kann angenommen werden, dass bei absolut gleicher Spannung deutlich unterhalb der Zugfestigkeit, Kriechen bei Druck- bzw. Zugbeanspruchung annähernd gleich sind. - 229 Im Bereich der Gebrauchsspannungen betragen die Kriechverformungen von Beton unter konstanter Dauerlast ungefähr das 1- bis 4-fache der elastischen Augenblicksverformung (Verformung unmittelbar nach der Belastung). Wird der Beton nach einer Dauerbelastung wieder entlastet, so geht ein Teil der Kriechverformungen zurück (= verzögert elastische Verformung, Anelastizität). Der irreversible Anteil der Kriechverformung wird als Fließverformung bezeichnet. Die Gesamtverformung des Betons setzt sich daher aus folgenden Anteilen zusammen: εc(t) = εci(t0) + εcc(t) + εcs(t) + εcT(t) (D.9.15) εc(t) = εcσ(t) + εcn(t) (D.9.15a) εc(t) = εci(t0) + εcd(t) + εcf(t) + εcs(t) + εcT(t) (D.9.15b) bzw. Darin bedeuten: εc(t) = Gesamtverformung (total strain) des Betons bei einem Betonalter t εci(t0) = Elastische Augenblicksverformung (initial strain) bei einer Belastung im Betonalter t0 εcc(t) = Kriechverformung (creep) bei einem Betonalter t εcs(t) = Schwindverformung (shrinkage) bei einem Betonalter t εcT(t) = Temperaturdehnung (thermal strain) bei einem Betonalter t εcσ(t) = εci(t0) + εcc(t) = gesamte lastabhängige Verformung bei einem Betonalter t εcn(t) = εcs(t) + εcT(t) = gesamte lastunabhängige Verformung bei einem Betonalter t εcd(t) = Verzögert elastische Verformung bei einem Betonalter t εcf(t) = Fließverformung bei einem Betonalter t t0 = Belastungsalter t = Betonalter Dehnung εcc elastische Rückverformung verzögerte elast. Verformung εcd(t) Kriechverformung εcc(t) bleibende Verformung εcf(t) εcs(t) εci(t) εcs = Schwindverformung Belastungsdauer (t - t0) Abbildung D.9.27: Schematische Darstellung der einzelnen Verformungs- bzw. Kriechanteile des Betons Bei niedrigen Spannungen ist die Kriechverformung des Betons der aufgebrachten Spannung annähernd proportional. Bei Spannungen oberhalb der Dauerstandfestig- - 230 keit (Abschnitt 9.1.3) tritt unter Dauerlast ein Bruch ein, wobei die Bruchdehnung mit steigender Belastungsdauer bis zum Bruch wächst. σ/βD 1,0 Bruchgrenze 0,8 Augenblicksverformung 0,6 Kriechgrenze t= 0,4 β D = 35 N/mm² Belastungsalter = 56 Tage 0,2 0 0 2 4 6 Dehnung (°/oo) (‰) 8 Abbildung D.9.28: Betonbruch- und Kriechgrenzen Folgeerscheinungen des Kriechens: • Zeitabhängige Vergrößerung der Bauwerksverformungen (z.B. Durchbiegung) • Abbau von Eigenspannungen (z.B. von Schwindspannungen) • Reduktion der Vorspannkraft bei Spannbeton • Abbau von Zwängungsspannungen • Umlagerung der Spannungen bei Verbundwerkstoffen • Beeinflussung der Schnittkraftverteilung in statisch unbestimmten Tragwerken aus Werkstoffen mit unterschiedlichen Verformungseigenschaften Ursachen des Kriechens: Versuche an Beton mit unterschiedlichem Feuchtigkeitsgehalt zeigten, dass das Kriechen des Betons in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Wassergehalt und der Austrocknung des Betons während der Belastung steht. Relatives Kriechmaß 1,8 1,6 Trocknung während der Belastung 1,4 1,2 1,0 Trocknung vor der Belastung (kein Wasserverlust während der Belastung) 0,8 0,6 0,4 0,2 0 0 -10 -20 -30 -40 -50 Wasserverlust in % des Anmachwassers Abbildung D.9.29: Relatives Kriechmaß in Abhängigkeit vom Wasserverlust - 231 Das obenstehende Diagramm verdeutlicht folgende Beobachtungen: a) Beton, der während der Belastung versiegelt ist, so dass er keine Feuchtigkeit verlieren kann, kriecht um so weniger, je geringer sein Feuchtigkeitsgehalt ist. b) Sehr trockener Beton oder Zementstein zeigt nur sehr geringe Kriechverformungen. c) Beton, der während der Belastung austrocknet, kriecht um so mehr, je größer der Wasserverlust während der Belastung ist. Daraus ist zu schließen, dass die Vorgänge, die Kriechen und Schwinden des Betons verursachen, eng miteinander verwandt sind. Entsprechend dem Feuchtigkeitsgehalt und dem Feuchtigkeitsverlust während der Belastung unterscheidet man zwischen: Grundkriechen: Kriechverformung einer wassergesättigten Probe, die während der Belastung versiegelt ist, so dass sie kein Wasser verliert. Mögliche Ursache: Die äußere Belastung führt zu einer Veränderung des Abstandes zwischen den Zementsteinpartikeln. Adsorbierte Wassermoleküle stehen unter zusätzlichen, lastabhängigen Spannungen, das thermodynamische Gleichgewicht in der Nähe der Oberflächen ist gestört. Die Wassermoleküle diffundieren daher von den Bereichen hoher Spannung zu Bereichen niedrigerer Spannung. Dadurch wird eine weitere Annäherung der Gelpartikel (→ Kriechverformung) ermöglicht. Darüber hinaus können Gleitvorgänge zwischen und innerhalb der Gelpartikel auftreten. Bei hohen Spannungen führt eine zeitabhängige Rissbildung zu bleibenden Verformungen. Trocknungskriechen: Kriechverformung einer Probe, die während der Belastung austrocknen kann, abzüglich des Grundkriechens. Eine mit der Belastung gleichzeitig stattfindende Austrocknung erhöht die Beweglichkeit der Wassermoleküle und beschleunigt damit den Kriechvorgang bzw. erhöht die Kriechverformung. Verzögert elastische Verformung: Der teilweise Rückgang der Kriechverformung nach der Entlastung. Der Abstand zwischen den einzelnen Gelpartikeln hat sich durch die Entlastung wieder vergrößert, das thermodynamische Gleichgewicht ist erneut gestört, und ein Teil der Wassermoleküle wandert wieder an die ursprünglichen Stellen zurück. Das Kriechen kann wegen bleibender Strukturveränderungen jedoch nicht völlig reversibel sein. Ursachen: Mikrorissbildung während der Belastung; Bildung von Primärbindungen zwischen Gelpartikeln; Kriechen durch bleibende Gleitverformungen - 232 Parameter, welche die Größe des Kriechens beeinflussen: Alle Parameter, die zu einer Erhöhung der Schwindverformungen des Betons führen, verursachen auch eine Erhöhung des Kriechens: • Zementsteinvolumen • relative Luftfeuchte der umgebenden Luft • Körpergröße • Art der Gesteinskörnung Zusätzlich ist zu berücksichtigen: • Hydratationsgrad bzw. Alter des Betons bei Belastungsbeginn Das Kriechen ist um so geringer, je geringer die Porosität des Betons, d.h. je älter der Beton bzw. je höher sein Hydratationsgrad ist. D.9.2.5 Vorherbestimmung der Verformungseigenschaften von Beton Die in den folgenden Abschnitten dargestellten Ansätze zur Vorbestimmung des Schwindens und Kriechens von Konstruktionsbeton sind aus der neuen DIN 1045 entnommen. Hinsichtlich des stoffmechanischen Grundkonzeptes und der mathematischen Darstellung lehnen sich die neuen Ansätze an die Vorhersagemodelle im Eurocode 2 bzw. CEB-FIP Model Code 1990 an. Das angegebene Vorhersageverfahren für die elastische Verformung wurde aus dem CEB-FIP Model Code 1990 übernommen. D.9.2.5.1 Elastische Verformung oder Augenblicksverformung Solange auf den Beton einwirkende Druckspannungen etwa 40 % der Kurzzeitdruckfestigkeit des Betons nicht überschreiten, können die Augenblicksverformungen, die unmittelbar nach der Lastaufbringung auftreten, mit Hilfe des Elastizitätsmoduls Ec bestimmt werden. Dieser kann nach folgender Beziehung abgeschätzt werden: f σ E c = c = α E ⋅ E c 0 cm fcm ε ci 0 mit 1 3 (D.9.16) Ec = Elastizitätsmodul des Betons im Alter von 28 Tagen, definiert als Tangentenmodul bei σc = 0 [N/mm2] σc = Spannung [N/mm2] εci = elastische Verformung, Belastungsalter 28 Tage [mm/mm] Ec0 = Grundwert des E-Moduls = 2,15.104 [N/mm2] fcm = mittlere Zylinderdruckfestigkeit des Betons im Alter von 28 Tagen [N/mm2] 2 fcm 0 = Bezugswert = 10 [N/mm ] αE = Beiwert zur Berücksichtigung des Einflusses der Art der Gesteinskörnung auf den E-Modul. - 233 - Tabelle D.9.3: αE für verschiedene Arten von Gesteinskörnungen Art der Gesteinskörnung αE Basalt, dichter Kalkstein 1,2 Quarzitisches Gestein 1,0 Kalkstein 0,9 Sandstein 0,7 Soll der Einfluss bleibender Anfangsverformungen berücksichtigt werden, so ist Ec nach Gleichung D.9.16 um den Faktor 0,85 zu reduzieren. Für die Querdehnung kann für σc < 0,4.fcm eine Poisson´sche Zahl ν ≈ 0,20 angenommen werden. D.9.2.5.2 Schwinden, Quellen und Kriechen Berechnungsannahmen: a) Bei Druckspannungen unter etwa 40 % der Druckfestigkeit und bei Zugspannungen unterhalb 80 % der Zugfestigkeit ist das Kriechen der elastischen Dehnung bzw. der aufgebrachten Dauerspannung proportional. b) Die Kriechverformungen bei Druck- und Zugspannungen sind bei absolut gleicher Spannung gleich. c) Kriechvorgänge erstrecken sich über viele Jahre, u. U. über Jahrzehnte, wobei die Kriechgeschwindigkeit dauernd abfällt. Es ist noch nicht eindeutig geklärt, ob die Kriechverformung selbst oder nur die Kriechgeschwindigkeit einem Endwert zustreben. In erster Näherung wird jedoch angenommen, dass das Kriechen einen Endwert erreicht. d) Es werden nur Eingangsparameter angesetzt, die dem entwerfenden Ingenieur zum Zeitpunkt der Bemessung bekannt sind. Dies sind im Einzelnen: • Festigkeitsklasse des Betons • Belastungsalter des Betons • Bauwerksabmessungen • Festigkeitsklasse des Zementes. Die Kriechzahl: Die Kriechverformung des Betons εcc(t,t0) bei einem Betonalter t, der bei einem Belastungsalter t0 erstmals beansprucht wurde, wird durch die Kriechzahl ϕ(t,t0) ausgedrückt: ϕ(t,t0) = εcc(t,t0)/εci (D.9.17) Beim dargestellten Vorhersageverfahren wird für εci stets die elastische Verformung im Alter von 28 Tagen angenommen, so dass gilt: ε cc ( t, t 0 ) = ϕ ( t, t 0 ) ⋅ wobei σc E c 28 σc = kriecherzeugende Spannung [N/mm²] Ec28 = Elastizitätsmodul nach Gleichung D.9.16 [N/mm2]. (D.9.18) - 234 Die Vorhersage der Kriechzahl erfolgt nach einem sog. Produktansatz der allgemeinen Form: ϕ(t,t0) = k1(t0)...ki...k(t-t0) mit (D.9.19) k1(t0) = Beiwert, der den Einfluss des Belastungsalters t auf das Kriechen berücksichtigt ki = Beiwerte, welche andere Einflussgrößen auf das Kriechen, z. B. die Festigkeitsklasse des Betons, berücksichtigen t= Betonalter t0 = Belastungsalter k(t-t0) = Beiwert, der den zeitlichen Verlauf des Kriechens beschreibt t-t0 = Belastungsdauer. Im Einzelnen gilt für die Vorhersage: ϕ(t,t0) = ϕ0.βc(t, t0) (D.9.20) Darin sind ϕ0 = βc(t,t0) = Grundwert der Kriechzahl Funktion zur Beschreibung des zeitlichen Kriechverlaufes. Die Größe ϕ0 kann aus den Gleichungen D.9.21 bis D.9.24 bestimmt werden: mit ϕRH (D.9.21) RH 1− RH0 ⋅ α2 = 1 + ⋅ α 1 1 3 0,1⋅ h h0 (D.9.22) β(fcm ) = und β ( t0 ) = und 3,5 ⋅ fcm0 α1 = fcm mit wobei ϕ 0 = ϕRH ⋅ β(fcm ) ⋅ β(t 0 ) RH = RH0 = 5,3 fcm fcm 0 (D.9.23) 0,5 1 t 0,1 + 0 t1 0,7 3,5 ⋅ fcm0 und α 2 = fcm relative Feuchte der umgebenden Luft [%] Bezugswert = 100 % (D.9.24) 0,2 0,2 (D.9.25) - 235 fcm = mittl. Zylinderdruckfestigkeit des Betons im Alter von 28 Tagen [N/mm2] fcm0 = Bezugswert = 10 N/mm2 t0 = Belastungsalter [Tage] t1 = Bezugswert = 1 Tag h= wirksame Bauteildicke [mm] h0 = Bezugswert = 100 mm. Die wirksame Bauteildicke h ist definiert als h = 2.Ac/u mit Ac = Querschnittsfläche [mm] u = Anteil des Querschnittumfanges, welcher einer Austrocknung ausgesetzt ist [mm]. Die Beiwerte α1 und α2 bewirken, dass nach Gleichung D.9.22 mit steigender Betondruckfestigkeit der Einfluss der rel. Feuchte der umgebenden Luft auf das Kriechen immer geringer wird. Damit wird erfasst, dass mit steigender Betondruckfestigkeit der Beitrag des Trocknungskriechens zur gesamten Kriechverformung abnimmt. Nach Gleichung D.9.23 sinkt das Kriechen mit steigender Druckfestigkeit des Betons. Die Betondruckfestigkeit ist hier nur als Hilfsgröße zu betrachten, die den Einfluss des Wasserzementwertes indirekt erfasst. Gleichung D.9.24 berücksichtigt den Einfluss des Belastungsalters t0: Mit steigendem Belastungsalter nimmt die Kriechverformung deutlich ab. Die zeitliche Entwicklung des Kriechens wird durch eine Hyperbelfunktion nach Gleichung D.9.26 beschrieben: ( t − t0 ) t1 βc ( t, t 0 ) = t − t0 ) ( βH + t1 0,3 (D.9.26) mit 18 RH h β H = 150 ⋅ 1 + 1, 2 ⋅ + 250 ⋅ α 3 ≤ 1500 ⋅ α 3 RH 0 h 0 3,5 fcm0 α3 = fcm und wobei t1 = 1 Tag fcm0 = 10 N/mm2 RH0 = 100 % h0 = 100 mm (D.9.27) - 236 Nach den Gleichungen D.9.26 und D.9.27 entwickelt sich das Kriechen umso langsamer, je dicker das betrachtete Bauteil ist. Bei hoher rel. Luftfeuchte vermindert sich der Einfluss der Körperdicke wie schon in Gleichung D.9.22. Die folgende Tabelle gibt als Anhaltswerte die Endkriechzahlen von Beton ϕ70. Sie entsprechen den Kriechzahlen, die sich aus den Gleichungen D.9.20 bis D.9.26 für eine Belastungsdauer von 70 Jahren ergeben. Tabelle D.9.4: Endkriechzahlen für Beton ϕ70 Belastungsalter t0 [Tage] Trockene Umweltbedingungen (Innenräume) RH = 50 % Feuchte Umweltbedingungen (im Freien) RH = 80 % wirksame Bauteildicke h [mm] 50 150 600 50 150 600 1 5,8 4,8 3,9 3,8 3,4 3,0 7 4,1 3,3 2,7 2,7 2,4 2,1 28 3,1 2,6 2,1 2,0 1,8 1,6 90 2,5 2,1 1,7 1,6 1,5 1,3 365 1,9 1,6 1,3 1,2 1,1 1,0 Je nach verwendetem Zement hat der Beton bei einem gegebenen Belastungsalter unterschiedliche Hydratationsgrade und entsprechend eine unterschiedliche Kriechneigung. Dies kann durch eine Korrektur des Belastungsalters t0 nach Gleichung D.9.28 berücksichtigt werden: 9 t 0 = t 0,T ⋅ t 0,T 2 + t 1,T α 1,2 + 1 ≥ 0,5 Tage (D.9.28) Dabei ist t0,T das tatsächliche Belastungsalter, das nach Gleichung D.9.11 (Abschnitt D.9.1.4) korrigiert werden muss, wenn die Lagerungstemperatur vor der Belastung deutlich von 20 °C abweicht. Die Größe t0 ist das in Gleichung D.9.24 und Gleichung D.9.26 einzusetzende Belastungsalter. Die Potenz α ist Tabelle D.9.5 zu entnehmen. Tabelle D.9.5: Potenz α in Abhängigkeit von der Festigkeitsklasse des Zementes Festigkeitsklasse des Zementes Potenz α CEM 32,5 -1 CEM 32,5 R CEM 42,5 R CEM 42,5 CEM 52,5 0 +1 Nach Gleichung D.9.28 ist bei einem gegebenen Belastungsalter ein Beton aus einem langsam erhärtenden Zement CEM 32,5 im Vergleich zu einem Beton aus einem schneller erhärtenden Zement CEM 32,5 R in bezug auf das Kriechen jünger. Bei höheren Belastungsaltern (t0 > 28 Tage) verschwindet der Einfluss des Zementes. - 237 - Das Schwindmaß: Die Schwindverformung eines Betons εcs(t,ts) bei einem Alter t, der ab einem Alter ts austrocknen kann, setzt sich aus den Anteilen des autogenen Schwindens εc,as(t) und des Trocknungsschwindens εc,ds(t,ts) zusammen. Die Komponenten des Schwindens ergeben sich aus dem Grundwert des autogenen Schwindens (Schrumpfen) εc,as0(fcm) und einer Zeitfunktion βas(t) bzw. aus dem Grundwert des Trocknungsschwindens εs,ds0(t,ts), einem Beiwert βRH(RH) zur Berücksichtigung des Einflusses der rel. Luftfeuchte auf das Trocknungsschwinden sowie einer Zeitfunktion βds(t-ts). εc,as ( t ) = εc,as0 (fcm ) ⋅ βas (t) (D.9.29) εc,ds ( t,t s ) = εc,ds0 (fcm ) ⋅ βRH (RH) ⋅ βds ( t − t s ) (D.9.30) Das autogene Schwinden εc,as(t) nach D.9.29 ergibt sich aus D.9.31 und D.9.32. f f ε cas0 ( fcm ) = −α as cm cm0 6 + fcm fcm0 2,5 ⋅ 10 −6 (D.9.31) 0,5 t βas ( t ) = 1 - exp -0,2 ⋅ t1 (D.9.32) Darin bedeuten: fcm = mittlere Zylinderdruckfestigkeit des Betons im Alter von 28 Tagen [N/mm²] fcm0 = Bezugswert = 10 N/mm2 t1 1 Tag = αas = Beiwert, siehe Tabelle D.9.6. Tabelle D.9.6: Beiwerte nach Gl. D.9.31 und D9.33 in Abhängigkeit vom Zementtyp Festigkeitsklasse des Zements αas αds1 αds2 langsam erhärtend 800 3 0,13 32,5 R; 42,5 normal oder schnell erhärtend 700 4 0,12 42,5 R, 52,5 schnell erhärtend und hochfest 600 6 0,12 32,5 Merkmal Zur Bestimmung des Trocknungsschwindens εcds(t,ts) nach D.9.30 werden die Gleichungen D.9.33 bis D.9.36 herangezogen. -6 εc,dso( f cm) = [(220 + 110 ⋅ α ds1) ⋅ exp (-α ds2 ⋅ f cm / fcm0 )] ⋅ 10 βRH 3 -1,55 ⋅ 1- RH = RH0 0,25 für 40 ≤ RH < 99 % ⋅ β s1 für RH ≥ 99 % ⋅ β s1 (D.9.33) (D.9.34) - 238 - ( t - t s ) t1 β ds ( t - t s ) = 2 350 ⋅ ( h h ) + ( t - t ) t 0 s 1 0,5 (D.9.35) 0,1 3,5 ⋅ fcm0 β s1 = ≤ 1,0 f cm (D.9.36) darin bedeuten: αds1 = Beiwert zur Berücksichtigung der Zementart, siehe Tabelle D.9.6 αds2 = Beiwert zur Berücksichtigung der Zementart, siehe Tabelle D.9.6 βs1 = Beiwert zur Berücksichtigung der inneren Austrocknung des Betons RH = relative Luftfeuchte der Umgebung [%] RH0 = 100 % h = 2Ac/u = wirksame Bauteildicke [mm], mit Ac = Querschnittsfläche [mm2] und u = Umfang des Querschnitts, welcher der Trocknung ausgesetzt ist [mm]; Anm.: In der DIN 1045 wird h als h0 bezeichnet h0 = 100 mm fcm0 = 10 N/mm². Der Endwert des Trocknungsschwindens εcds∞ ergibt sich aus dem Produkt des Grundwertes des Trocknungsschwindens εcds0(fcm) nach D.9.33 und dem Beiwert für den Einfluss der Umgebungsfeuchte βRH nach D.9.34. Nach D.9.31 ist das autogene Schwinden für Betone niedriger Druckfestigkeit gering und nimmt erst für höhere Festigkeitsklassen mit steigender Betondruckfestigkeit deutlich zu. Im Gegensatz zum autogenen Schwinden sinkt das Trocknungsschwinden mit steigender Betondruckfestigkeit, und auch die gesamte Schwindverformung nimmt mit steigender Betondruckfestigkeit ab. Die Betondruckfestigkeit ist hier nur als Hilfsgröße zu verstehen. Insbesondere das Trocknungsschwinden ist umso geringer, je kleiner die Kapillarporosität bzw. je geringer der Anmachwassergehalt bzw. der Wasserzementwert ist. Dieser beeinflusst auch die Betonfestigkeit, so dass daraus der Zusammenhang zwischen Schwinden und Betondruckfestigkeit abgeleitet werden kann. Das autogene Schwinden ist von der rel. Feuchte der umgebenden Luft unabhängig, während das Trocknungsschwinden wegen der beschleunigten Austrocknung mit sinkender rel. Luftfeuchte deutlich zunimmt. Die zeitliche Entwicklung des Trocknungsschwindens wird durch D.9.35 beschrieben, die auf der Diffusionstheorie aufbaut. Nach Gleichung D.9.35 hat ein Betonkörper mit quadratischem Querschnitt bei einer Kantenlänge von 100 mm nach einer Trocknungsdauer von einem Monat ca. 50 % von εc,ds0 erreicht. Beträgt die Kantenlänge 500 mm, so sind wegen der langsameren Austrocknung nach einem Monat erst ca. 10 % von εc,ds0 aufgetreten. Der Grundwert des Schwindens εc,ds0 stellt zugleich den Endwert des Schwindens für (t-ts) → ∞ dar. Dicke Bauteile schwinden jedoch so langsam, dass sie auch nach jahrzehntelanger Trocknung diesen Wert nicht erreicht haben. Als Endschwindmaß kann daher die in der nachstehenden Tabelle angegebene Schwindverformung εcs70 angenommen werden. - 239 Tabelle D.9.7: Endschwindmaße εcs70 für Beton Trockene Umweltbedingungen (Innenräume) RH = 50 % Feuchte Umweltbedingungen (im Freien) RH = 80 % wirksame Bauteildicke h [mm] 50 150 600 50 150 600 -0,31 -0,26 Endschwindmaß εcs70 [‰] -0,57 -0,56 -0,47 -0,32 Literatur: [D.9.1] NEVILLE, A. M., DILGER, W. H., BROOKS, J. J.: Creep of plain and structural concrete, Construction Press, London - New York, 1983 [D.9.2] MÜLLER, H. S., KVITSEL, V.: Kriechen und Schwinden von Beton – Grundlagen einer neuen DIN 1045 und Ansätze für die Praxis. Beton- und Stahlbetonbau 97, 2002, Heft 1, S. 8-19. sowie [D.4.3] HILSDORF, H. K. & REINHARDT, H. W.: Beton aus Betonkalender 2000, Verlag Ernst & Sohn, Berlin, 2000 [D.4.4] GRÜBL, P.; WEIGLER, H.; KARL, S.: Beton: Arten - Herstellung - Eigenschaften, Verlag Ernst & Sohn, Berlin, 2001 - 240 - D.10 Dauerhaftigkeit von Beton Problemstellung: Im Betonbau ist das Versagen einer Konstruktion viel häufiger auf mangelnde Dauerhaftigkeit, d. h. unzureichenden Widerstand gegen Witterungseinflüsse und chemische Angriffe, als auf eine nicht ausreichende Tragfähigkeit zurückzuführen. Zur wirtschaftlichen Bemessung muss der entwerfende Ingenieur daher Kenntnisse über die Vorgänge besitzen, die zur Zerstörung des Betons durch Witterungseinflüsse oder chemische Angriffe führen können. D.10.1 Umweltbedingungen und Schädigungsmechanismen Für die verschiedenen Umweltklassen sind verschiedene Schädigungsmechanismen von Bedeutung, die z. T. unterschiedliche betontechnologische und konstruktive Maßnahmen erfordern. Die Mechanismen, welche die Dauerhaftigkeit von Beton gefährden, können in physikalische, chemische und mechanische Einwirkungen gruppiert werden. Unter den physikalischen Einwirkungen ist an erster Stelle der Frost zu nennen, der Beton, wenn dieser einen kritischen Wassersättigungsgrad aufweist, schädigen kann. Die schädigende Wirkung des Frostes wird verstärkt, wenn gleichzeitig Taumittel auf den Beton einwirken. Obwohl Beton nicht brennbar ist, können hohe Temperaturen den Beton bis zur völligen Zersetzung zerstören. Ein chemischer Angriff liegt vor, wenn in den Beton eindringende Substanzen, z. B. aus der Luft, aus dem Grundwasser oder aus Lagerstoffen, mit Komponenten des erhärteten Betons reagieren. Dadurch werden entweder Bestandteile des Betons gelöst (lösender Angriff) oder die Reaktionsprodukte nehmen ein größeres Volumen ein als der Reaktionspartner im Beton (treibender Angriff). Die Reaktionspartner können aber auch schädliche Bestandteile der Betonausgangsstoffe sein. Ein Sonderfall des chemischen Angriffs ist die Carbonatisierung, die vor allem für den Korrosionsschutz der Bewehrung wesentlich ist. Zu den Folgen mechanischer Einwirkungen ist insbesondere der Verschleiß zu zählen. Er kann auftreten, wenn die Oberfläche eines Betonbauteiles, z. B. durch Verkehr, Schüttgüter o. ä. beansprucht wird. Den meisten Schädigungsmechanismen ist gemeinsam, dass sie zunächst auf die oberflächennahen Bereiche einwirken und dass sie einen hohen Feuchtegehalt des Betons voraussetzen bzw. in ihrer Wirkung durch Feuchte verschärft werden. Ähnlich wie bei der mechanischen Beanspruchung wird in der EN 206-1 und der DIN 1045-2 unterschieden zwischen der Einwirkungsseite und der Widerstandsseite. Dauerhaft ist demnach ein Bauwerk, wenn der Widerstandsvorrat während der Nutzungsdauer größer ist als die Summe der Einwirkungen. Die Einwirkungsseite wird durch Expositionsklasssen (engl. exposure classes) beschrieben, die sich jeweils auf ein bestimmtes Schadensrisiko beziehen (siehe Tab. D.3.4). Dabei wird unterschieden zwischen solchen Einwirkungen, die Korrosion der Bewehrung oder anderer eingebetteter Metalle hervorrufen könnten, und solchen, die den Beton schädigen könnten. In manchen Fallen kann eine Exposition auch beide Mechanismen betreffen, z. B. Meerwasserumgebung, die sowohl den Beton angreifen könnte als auch zur Korrosion der Bewehrung führen könnte. Die Expositionsklasse wird durch den Großbuchstaben X (von Exposition) und einem weiteren Buchstaben bezeichnet: Klasse X0 XC XD XS XF XA XM Expositionsbedingung Englisch 0 Carbonation Deicing Salt Sea Frost Acid Mechanical Abrasion Deutsch 0 Karbonatisierung Chloride ohne Meerwasser Meerwasser Frost und Frost-Taumittel chemischer Angriff Verschleiß Korrosionstyp keine Korrosion Bewehrungskorrosion Betonkorrosion - 241 Die Klasse X0 (null) deutet darauf hin, dass kein Schadensrisiko besteht. Das Risiko eines Schadens wird in drei bis vier Stufen eingeteilt. In der Summe ergeben sich die 21 Expositionsklassen, die Tabelle D.3.4 zusammengestellt sind. Die Widerstandsseite wird durch die Betonzusammensetzung definiert. Kennzeichnende Größen sind der höchstzulässige Wasserzementwert, die Mindestdruckfestigkeitsklasse, der Mindestzementgehalt (ohne bzw. mit anrechenbaren Zusatzstoffen). der Mindestluftgehalt und Anforderungen an die Gesteinskörnungen. Außerdem werden bestimmte Zemente für bestimmte Expositionsklassen ausgeschlossen. D.10.2 Widerstand gegen das Eindringen aggressiver Stoffe Die in Abschnitt D.10.1 genannten Schädigungsmechanismen werden, mit Ausnahme des Angriffs durch hohe Temperaturen und des Verschleißes, nur wirksam, wenn Wasser, gelöste Stoffe oder Gase in den Beton eindringen. Dem Widerstand des Betons gegen das Eindringen solcher Stoffe bzw. seiner Dichtheit kommt damit für die Dauerhaftigkeit überragende Bedeutung zu. Die möglichen Transportwege für eindringende Stoffe sind die Kapillarporen des Zementsteines, die Poren in der Kontaktzone zwischen dem Zementstein und den Gesteinskörnern sowie Mikrorisse. Neben der Gesamtporosität und der Porengrößenverteilung ist dabei die Kontinuität des Porensystems von besonderer Bedeutung, die im Zementstein bei ausreichend niedrigem w/z-Wert und hohem Hydratationsgrad nicht mehr gegeben ist. Ein Stofftransport im Porensystem erfolgt nach drei unterschiedlichen Mechanismen oder deren Kombinationen: Permeation ist die Durchströmung des Porensystems durch Flüssigkeiten oder Gase als Folge eines Druckgefälles. Unter Diffusion versteht man den Transport von freien Atomen, Molekülen oder Ionen als Folge eines Konzentrationsgefälles. Kapillares Saugen ist die Aufnahme von Wasser oder anderen benetzenden Flüssigkeiten in das Porensystem des Betons als Folge von Kapillarkräften. Der Widerstand eines Betons gegen das Eindringen aggressiver Substanzen nach diesen Transportmechanismen kann durch Kenngrößen des Betons, den Permeabilitätskoeffizienten, den Diffusionskoeffizienten und den Wasseraufnahmekoeffizienten charakterisiert werden, siehe dazu Kap. C.6. Solche Kenngrößen können daher unter bestimmten Voraussetzungen ein Maß für die Dauerhaftigkeit von Beton sein, siehe dazu z. B. [D.4.3] und die Vorlesung „Korrosion und Dauerhaftigkeit“. D.10.3 Korrosionsschutz der Bewehrung im Beton D.10.3.1 Allgemeine Anforderungen Eine wesentliche Voraussetzung für die gemeinsame Tragwirkung von Stahl und Beton und für die Dauerhaftigkeit von Bauteilen aus Stahl- und Spannbeton ist, dass die Bewehrung, die an der Luft sehr rasch korrodieren würde, im Beton auf Dauer vor Korrosion geschützt ist. Der dauerhafte Korrosionsschutz der Bewehrung im Beton beruht darauf, dass die Porenlösung des Betons im Bereich der Bewehrung eine hohe OH-Ionen-Konzentration und daher einen pH-Wert oberhalb von 12,5 aufweist. Unter diesen Bedingungen bildet sich auf der Oberfläche des Stahles eine sog. Passivschicht. Dies ist eine sehr dünne, aber dichte Schicht aus Eisenoxid, die eine Auflösung des Eisens in Ionen verhindert (siehe dazu auch Kap. C.6). Eine Korrosion von Stahl im Beton kann daher nur auftreten, wenn gleichzeitig drei Bedingungen erfüllt sind: 1. Die Passivschicht wird durch Carbonatisierung oder Chloride zerstört 2. Der elektrische Widerstand des Betons wird durch einen hohen Feuchtegehalt deutlich vermindert 3. Sauerstoff kann in ausreichender Menge bis zum Bewehrungsstahl vordringen. Wegen des hohen elektrischen Widerstandes von trockenem Beton geht die Korrosionsgeschwindigkeit von Stahl in trockenem Beton auch dann gegen Null, wenn der - 242 Beton carbonatisiert ist oder freie Chloridionen enthält. Auch in ständig unter Wasser gelagertem Beton ist wegen unzureichender Sauerstoffzufuhr nicht mit Stahlkorrosion zu rechnen. Eine Korrosionsgefährdung der Bewehrung besteht jedoch bei nicht sachgerecht hergestellten Betonbauteilen, die wechselnd durchfeuchtet und ausgetrocknet werden. Hier kann der Fall eintreten, dass alle drei für die Korrosion erforderlichen Bedingungen erfüllt sind. Ein für die meisten Fälle ausreichender Schutz der Bewehrung wird aber durch eine ausreichend dicke Betondeckung aus ausreichend dichtem Beton und durch Begrenzung des Gehaltes an korrosionsgefährdenden Stoffen in den Betonausgangsstoffen erreicht. D.10.3.2 Carbonatisierung und Eindringen von Chloriden Dringt Kohlendioxid aus der Luft in den Beton ein, so kann es mit den Komponenten des Zementsteines, insbesondere mit dem Calciumhydroxid reagieren: Ca(OH)2 + CO2 → CaCO3 + H2O Mit dieser Reaktion (Carbonatisierung) verbunden ist ein Abfall des pH-Wertes der Porenlösung im Zementstein auf pH < 9, so dass die Passivierung eines im Beton eingebetteten Stahles nicht mehr gegeben ist, siehe Kap. C.6.3. Für Beton, der unter konstanten klimatischen Bedingungen gelagert ist und für Beton im Freien, der vor direkter Regeneinwirkung geschützt ist, kann die zeitliche Entwicklung der Carbonatisierung nach dem sogenannten t -Gesetz beschrieben werden: d c = const. ⋅ D CO2 ⋅ t mit dc = Carbonatisierungstiefe in mm t = Dauer der Carbonatisierung DCO = 2 (D.10.1) Diffusionskoeffizient für CO2 im carbonatisierten Beton. Die Carbonatisierungsgeschwindigkeit nimmt daher mit sinkendem DCO ab und ist 2 umso geringer, je kleiner die Kapillarporosität des Zementsteines ist. Bei Bauwerken, die häufig Feuchte, z.B. als Schlagregen, ausgesetzt sind, verläuft die Carbonatisierung deutlich langsamer und kann sogar einem Endwert zustreben. Dann ist vor allem die Dicke der Betonüberdeckung dafür maßgebend, ob die Carbonatisierungsfront die Bewehrung erreicht oder nicht. Chloride, z.B. aus Tausalzen, dringen durch Diffusion oder als wässrige Lösung in den Beton ein. Chloridionen zerstören auch bei hohem pH-Wert der Porenlösung die Passivschicht auf einer Stahloberfläche, siehe Vorlesung Kap. C.6. Betonoberflächen, die häufig Tausalzlösungen ausgesetzt sind, bedürfen in den meisten Fällen eines zusätzlichen Schutzes, um zu verhindern, dass während der Nutzung einer Stahlbetonkonstruktion Chloridionen bis zur Bewehrung vordringen. D.10.4 Wasserundurchlässiger Beton Ein Bauteil aus Beton wird als wasserundurchlässig bezeichnet, wenn bei längerer Einwirkung von Wasser auf das Bauteil auf der dem Wasser abgewandten Seite kein Wasser austritt und sich dort auch keine feuchten Flecken zeigen. Dies bedeutet, dass an der dem Wasser abgewandten Seite das Wasser schneller verdunstet, als es durch Permeation im Beton bis zur Oberfläche transportiert wird. Wasserundurchlässigkeit setzt einen niedrigen Wasserzementwert, i. a. w/z ≤ 0,60, und einen hohen Hydratationsgrad des Betons voraus. D.10.5 Widerstand von Beton gegen Frost Die Schädigung von Beton durch Frosteinwirkung gehört zu den häufigsten Schadensfällen von Betonkonstruktionen. Voraussetzung für die Schädigung von Beton durch Frosteinwirkung ist eine kritische Wassersättigung des Betons. Bei geeigneter - 243 Zusammensetzung, Herstellung und Lagerung kann Beton aber einen hohen Frostwiderstand besitzen. D.10.5.1 Mechanismen der Frostschädigung Die Menge an gefrierbarem Wasser: Wird reines, freies Wasser abgekühlt, so dehnt es sich nach Unterschreiten des Gefrierpunktes um ca. 9,1 Vol.-% aus. Die Abkühlkurve zeigt während der Phasenumwandlung einen Haltepunkt, d.h. die Temperatur bleibt so lange konstant, bis alles Wasser zu Eis gefroren ist. Temp. (°C) 0 Zeitraum, während dem alles Wasser gefriert Zeit Abkühlungskurve von reinem Wasser Abbildung D.10.1: Abkühlungskurve von reinem Wasser 3 w (g/dm -Beton) Wasser in g/dm³ Beton Menge an gefrorenem 160 ω = 0,72 80 ω = 0,49 Wird wassergesättigter Beton gefroren, so gefriert darin enthaltenes Wasser bei Erreichen einer Temperatur von 0 °C meist noch nicht. Mit weiter sinkender Temperatur nimmt die Menge an gefrorenem Wasser kontinuierlich zu. Sie hängt vom Wasserzementwert ab. ω = 0,41 0 -20 -15 Abbildung D.10.2: -10 -5 +/-0 0 Temp. (°C) Menge an gefrorenem Wasser in [g/dm3] Beton Ursachen: a) Das im Beton enthaltene Wasser ist nicht chemisch rein, sondern enthält Alkalien des Zementes und Calciumhydroxid in gelöster Form. Je nach Konzentration dieser Substanzen erniedrigt sich dadurch der Gefrierpunkt des Wassers. b) Der Zementstein besitzt Poren unterschiedlicher Größe. Das Wasser in den feinsten Poren (Gelporen) wird durch Adsorptionskräfte an Oberflächen gebunden und gefriert daher erst bei tiefen Temperaturen. Das Wasser in den größeren Poren (Kapillarporen) kann dagegen schon bei höheren Temperaturen gefrieren. Mit steigendem Wasserzementwert wächst das Kapillarporenvolumen und daher auch die Menge an gefrierbarem Wasser. Der Vorgang der Frostzerstörung des Betons: Das in den großen Poren des Zementsteines enthaltene Wasser gefriert bei einer bestimmten Temperatur, wobei die Menge des gefrorenen Wassers temperaturabhängig ist. Die Eisbildung hat eine Volumenvergrößerung zur Folge. Dadurch wird im noch nicht gefrorenen Wasser der kleinen Poren ein hydrostatischer Druck erzeugt, der, wenn die Zugfestigkeit des Zementsteines überschritten wird, den Zementstein zerstört. - 244 Die folgende Tabelle zeigt, dass die Volumenvergrößerung des zu Eis gefrorenen Wassers vom Wasserzementwert des Zementsteines abhängt und bei einer Temperatur von -10 °C 1 % des Zementsteinvolumens nicht überschreitet. Tabelle D.10.1: Bezogene Volumenvergrößerung des zu Eis gefrorenen Wassers gefrorenes Wasser im Beton bei -10 °C in % des Zementsteinvolumens Volumenzuwachs des Wassers in % des Zementsteinvolumens 0,41 3,8 0,35 0,49 4,8 0,45 0,72 8,1 0,75 w/z-Wert Das durchschnittliche Porenvolumen des Zementsteines im Beton beträgt ca. 4-6 %. Auch Beton, der über längere Zeit wassergelagert wurde, besitzt noch ein Volumen nicht wassergefüllter Poren, das größer als die Volumenzunahme des Wassers beim Gefrieren ist. Das unter Druck stehende Wasser könnte daher zu den leeren Porenräumen wandern und sich dort entspannen und ungehindert gefrieren. Trotzdem wird der Beton zerstört. Ursache: Der hydrostatische Druck im nicht gefrorenen Wasser wird um so größer, je länger der Weg ist, den das Wasser bis zum Entspannen in einer leeren Pore zurücklegen muss. Ohne besondere Maßnahmen ist trotz ausreichendem Porenvolumen der Abstand zwischen den leeren Poren zu groß, um den hydrostatischen Druck wirksam abzubauen. Wirkungsweise von Luftporenbildnern: Beton weist einen hohen Frostwiderstand auf, wenn im Zementstein mit Luftporenbildnern ein System sehr kleiner, gleichmäßig verteilter Luftporen erzeugt wird. Diese Luftporen sind nicht kontinuierlich und füllen sich auch bei länger andauernder Wasserlagerung nicht vollständig mit Wasser. Das wichtigste Merkmal eines wirksamen Luftporensystems im Zementstein ist der Abstandsfaktor AF. Er gibt die größte Entfernung eines Punktes im Zementstein zur nächst gelegenen Luftpore an und soll für Beton mit hohem Frostwiderstand im Bereich von 0,10 bis 0,20 mm liegen. Dann bleibt der von nicht gefrorenem Wasser bis zur Entspannung zurückzulegende Weg gering, so dass die Größe des hydrostatischen Druckes im Zementstein keine kritischen Werte erreicht. Erforderliche Luftgehalte: Um Zementstein gegen Frosteinwirkung ausreichend schützen zu können, muss er einen Luftgehalt von ca. 15 bis 20 Vol.-% besitzen. Bezogen auf das gesamte Betonvolumen ergibt sich ein erforderlicher Luftgehalt des Betons von 3 bis 6 Vol.-%. Mit steigendem Luftgehalt nimmt der Frostwiderstand des Betons zu: - 245 Ausdehnung (Vol.-%) Volumenzunahme (Vol.-%) 0,20 Relativer Frostwiderstand 0,16 100 80 0,12 60 0,08 40 0,04 20 0 0 4 8 12 Luftgehalt des Betons (Vol.-%) 0 0 2 4 6 Luftgehalt des Betons (Vol.-%) Abbildung D.10.3: Volumenzunahme des Betons und relativer Frostwiderstand in Abhängigkeit vom Luftgehalt des Betons Um sicherzustellen, dass das Luftporensystem im Zementstein nicht zu grobporig ist, wird als weiterer Kennwert der Mikroluftporengehalt L 300 herangezogen. Er gibt den Gehalt an Luftporen mit Durchmessern < 0,30 mm an und soll 1,5 Vol.-% nicht unterschreiten. Einfluss von Luftporenbildnern auf die Betonfestigkeit: Wegen der Erhöhung der Gesamtporosität führt die Verwendung von LP-Mitteln zu einer Reduktion der Betonfestigkeit und des Widerstandes von Beton gegen mechanische Angriffe. Luftporenbildner verbessern aber die Verarbeitbarkeit des Frischbetons, so dass bei vorgegebener Frischbetonkonsistenz der Wasserzementwert mit steigendem Luftgehalt etwas reduziert werden kann. Dadurch kann der Festigkeitsverlust des erhärteten Betons als Folge der Vergrößerung des Luftvolumens zumindest teilweise kompensiert werden. D.10.5.2 Parameter, die den Frostwiderstand von Beton beeinflussen POWERS gibt für die Größe des hydrostatischen Druckes p, der beim Gefrieren von Wasser in einem gesättigten Porensystem entsteht, folgende allgemeine Beziehung an: dT 0,09 ⋅ AF ⋅ dt p≈ (D.10.2) Kg wobei AF = Abstandsfaktor Kg = Permeabilität des Zementgels dT = dt Geschwindigkeit des Temperaturabfalles. Aus dieser Beziehung und den voranstehenden Überlegungen zur Frostschädigung von Beton ergeben sich die wesentlichen Parameter, welche den Frostwiderstand von Beton beeinflussen. • Sättigungsgrad: Trockener Beton ist nicht frostgefährdet. Erst wenn mehr als ca. 91 Vol.-% der Poren des Betons mit Wasser gefüllt sind, ist mit einer Frostschädigung zu rechnen. - 246 • Abstandsfaktor: Mit kleiner werdendem Abstandsfaktor nimmt der Frostwiderstand des Betons zu, da der vom nicht gefrorenen Wasser bis zur Entspannung zurückzulegende Weg kleiner wird. • Zementsteingehalt: Häufig ist der Zementstein frostgefährdeter als die Gesteinskörnung. Die Frostanfälligkeit von Beton wächst daher mit steigendem Zementsteingehalt. Der für Zementstein mit hohem Frostwiderstand erforderliche Luftgehalt beträgt ca. 15 bis 20 Vol.-%. Daher wächst mit steigendem Zementsteingehalt auch der auf das Betonvolumen bezogene erforderliche Luftgehalt. • Wasserzementwert: Mit steigendem Wasserzementwert wächst das Kapillarporenvolumen und daher auch die Menge an gefrierbarem Wasser. Beton, der niedrigen Temperaturen ausgesetzt sein kann, soll daher einen Wasserzementwert von weniger als 0,60 haben, und zwar auch dann, wenn ein Luftporenbildner verwendet wird. • Geschwindigkeit des Temperaturabfalles: Bei plötzlichen Temperaturänderungen ist die Gefahr der Frostzerstörung des Betons größer als bei langsam sinkender Temperatur, da die Höhe des hydrostatischen Druckes im nicht gefrorenen Wasser mit steigender Temperierungsgeschwindigkeit anwächst. • Anzahl der Frost-Tau-Wechsel: Durch häufige Frost-Tau-Wechsel wird der Zementstein einer Ermüdungsbeanspruchung unterworfen. Eine Zerstörung von Beton durch Frost erfolgt daher meist erst nach mehreren Frost-Tau-Wechseln. • Eigenschaften der Gesteinskörnung: Je nach Porenstruktur und Sättigungsgrad können auch Gesteinkörner durch Frosteinwirkung zerstört werden. Der Frostwiderstand von Gesteinskörnungen ist daher durch geeignete Versuche (siehe DIN 4226) nachzuweisen. Kleine Körner sind meist frostwiderstandsfähiger als große (Ähnlichkeit zwischen Korngröße und Abstandsfaktor). D.10.6 Einwirkung von Tausalzen Straßen und Fahrbahnen von Brücken werden im Winter zur Freihaltung von Eis und Schnee häufig mit Salzen bestreut, welche den Gefrierpunkt des Wassers erniedrigen. Die Behandlung von Betonoberflächen mit Tausalzen führt oft zu einer erheblichen Schädigung des Betons. Tausalzarten: a) Steinsalz (NaCl) b) Magnesiumchlorid (MgCl2) c) Calciumchlorid (CaCl2) d) Mischungen aus a), b) und c) e) Harnstoff (UREA) f) Gemische aus Isopropylalkohol und Ethylenglycol. Mechanismen der Betonschädigung durch Tausalze: a) Erhöhung des Sättigungsgrades: Durch Tausalz geschmolzenes Eis oder Schnee dringen in den Beton ein und führen zu einem überkritischen Sättigungsgrad des Betons. b) Die zum Schmelzen des Eises erforderliche Wärme wird dem Beton entzogen und führt zu einer starken Unterkühlung der Betonoberfläche. Daraus resultierende Temperaturspannungen können zu einem Ablösen der Oberflächenschichten des Betons führen. c) Osmotischer Druck: Zwischen dem im Beton enthaltenen Wasser und der in den Beton eindringenden Tausalzlösung besteht ein erheblicher Konzentra- - 247 tionsunterschied an gelösten Substanzen. Dadurch kann ein osmotischer Druck entstehen, der sich dem hydrostatischen Druck als Folge des Gefrierens von Wasser im Beton überlagert und so die Frostgefährdung des Betons erhöht. d) Beim Eindringen von Tausalzlösungen in den Beton sinkt die Konzentration des Tausalzes mit steigender Entfernung von der Oberfläche. Entsprechend verändert sich der Gefrierpunkt TS der wässrigen Lösung im Beton. Gleichzeitig liegt ein Temperaturgefälle im Beton vor. Unterschreitet die vorhandene Temperatur T die ortsabhängige Gefrierpunktstemperatur TS, so bildet sich in diesem Bereich Eis (z. B. im oberflächennahen Bereich). Wenn später die tieferen Betonschichten gefrieren, kann die darüberliegende Betonschicht abgesprengt werden. T (-Bereich) 0°C T Betonplatte TS Untergrund Abbildung D.10.4: Temperatur- und Gefrierpunktverlauf beim Eindringen von Tausalzlösungen e) Kristallwachstum: Aus den in den Beton eingedrungenen Tausalzlösungen kristallisieren bei Übersättigung die Tausalze in den Poren des Betons wieder aus. Dieses Kristallwachstum kann zu einem Überdruck in den Poren des Zementsteines und damit zu seiner Zerstörung führen. f) Chemische Reaktionen: Manche Tausalze können mit den Hydratationsprodukten des Zementsteines reagieren und damit zu einer Zerstörung des Zementsteines beitragen. g) Korrosion der Bewehrung: Tausalze können durch Risse in der Betonoberfläche nach verschiedenen Mechanismen bis zu einer evtl. vorhandenen Stahlbewehrung vordringen. Manche Tausalze (Chloride) zerstören die Passivschicht der Stahloberfläche und führen zu einer Korrosion der Bewehrung. Die Volumenausdehnung der Korrosionsprodukte führt dann zu einem Absprengen der Betonüberdeckung. Gegenmaßnahmen: Um Beton mit hohem Frost-Tausalz-Widerstand herzustellen, gelten die Anforderungen verschärft, die an Beton mit hohem Frostwiderstand gestellt werden. D.10.7 Widerstand von Beton gegen chemische Angriffe Hochwertiger Beton setzt vielen in der Natur vorkommenden Chemikalien einen ausreichenden Widerstand entgegen. Chemikalien, die Beton angreifen können und die erforderlichen Schutzmaßnahmen sind in DIN 4030 genauer beschrieben. Dabei wird zwischen lösendem und treibendem Angriff unterschieden. Tabelle D.10.2 führt die Grenzwerte für die Expositionsklassen bei chemischem Angriff nach EN 206-1 auf. Diese Klasseneinteilung chemisch angreifender Umgebung gilt für natürliche Böden und Grundwasser mit einer Wasser-/Boden Temperatur zwischen 5°C und 25°C und einer Fließgeschwindigkeit des Wassers, die klein genug ist, um näherungsweise hydrostatische Bedingungen anzunehmen. Der schärfste Wert für jedes einzelne chemische Merkmal bestimmt die Klasse. - 248 Wenn zwei oder mehrere angreifende Merkmale zu derselben Klasse führen, muss die Umgebung der nächsthöheren Klasse zugeordnet werden, sofern nicht in einer speziellen Studie für diesen Fall nachgewiesen wird, dass die nicht erforderlich ist. Tabelle D.10.2: Grenzwerte für die Expositionsklassen bei chemischem Angriff durch natürliche Böden und Grundwasser D.10.7.1 Salze und Säuren Trockener Beton ist im Allgemeinen gegenüber trockenen Salzen unempfindlich. Saure Wässer, d.h. Wässer, die freie Säuren enthalten, können auf Zementstein und carbonathaltige Gesteinskörnungen lösend wirken. Allgemein gilt, dass bei Wässern mit einem pH-Wert kleiner 6,5 die Gefahr der Betonkorrosion besteht. Schwefelwasserstoff und Schwefeldioxid können für den Beton vor allen Dingen deswegen schädlich sein, weil sie zur Bildung von Sulfaten (siehe Abschnitt D.10.7.2) führen können. Kalklösende Kohlensäure greift Beton vor allem dadurch an, dass das im Zementstein befindliche Calciumhydroxid gelöst wird. Chloride greifen den Beton nicht oder nur wenig an, können jedoch zu einer Korrosion von im Beton eingebetteten Stahl führen. Ammoniumsalze und Magnesiumsalze können ebenfalls das Calciumhydroxid des Zementsteines angreifen. Ebenso wirken weiche Wässer calciumhydroxidlösend. Fette und Öle können je nach Zusammensetzung und Herkunft verschiedene Wirkungen auf den Beton ausüben. Vorsicht ist geboten vor allen Dingen bei pflanzlichen und tierischen Fetten, weil diese als Ester der Fettsäure mit dem Calciumhydroxid des Zementsteines fettsaure Calciumsalze bilden. D.10.7.2 Sulfate Böden, Grundwasser und Abgase können Sulfate in der Form von z.B. K2SO4, Na2SO4 und MgSO4 enthalten. Wenn Sulfate in gelöster Form in den Beton eindrin- - 249 gen, können sie mit noch nicht hydratisiertem C3A reagieren oder Bestandteile des Zementsteines zu Gips oder Ettringit umsetzen. Diese Reaktion ist mit einer Volumenvergrößerung verbunden und führt bei ausreichendem Vorhandensein von Wasser zu einer Schädigung oder Zerstörung des Betons. Gegenmaßnahmen: Verwendung von HS-Zementen (siehe Abschnitt D.4.1.4.7) D.10.7.3 Schutzmaßnahmen Betone, die aggressiven Substanzen ausgesetzt sind, können durch geeignete Maßnahmen weitgehend geschützt werden. Grundvoraussetzung: Möglichst dichter Beton bei geringem Zementgehalt (niedriger w/z-Wert, hoher Hydratationsgrad, gute Frischbetonverdichtung, ausreichende Nachbehandlung). Bei besonders aggressiven Bedingungen kann Beton mit Schutzüberzügen meist auf Kunststoff-, Bitumen- oder Teerbasis geschützt werden, vorausgesetzt, dass der Überzug mechanischer Beanspruchung widerstehen kann, beständig ist und auch unter Belastung rissefrei und dicht bleibt. D.10.8 Anforderungen in den Normen Die Tabellen D.10.3 und D.10.4 gehen von einer vorgesehenen Nutzungsdauer von mindestens 50 Jahren aus, wobei eine übliche Instandhaltung vorausgesetzt wird. Tabelle D.10.3: Mindestanforderungen an die Betonzusammensetzung für die Expositionsklassen X0 bis XS3 Die Grenzwerte gelten auch für Schwerbeton, aber für Leichtbeton mit der Einschränkung, dass keine Mindestfestigkeitsklasse festgeschrieben wird. Der Zusammenhang zwischen Wasserzementwert und Festigkeit, der für Normalbeton gilt, ist bei Leichtbeton zusätzlich von der Festigkeit der Gesteinskörnung abhängig. Da die Dauerhaftigkeit hauptsächlich von der Dichte und Dauerhaftigkeit der Matrix abhangt. ist die Festlegung der anderen Grenzwerte (Wasserzementwert, Zementgehalt. Luftgehalt, Zementart) ausreichend. Wenn die vorgesehene Nutzungsdauer deutlich von 50 Jahren abweicht, sind zusätzliche Überlegungen hinsichtlich einer Verschärfung oder Abschwächung der Grenzwerte nach Tabelle D.10.3 und D.10.4 und, falls die Bewehrungskorrosion der kritische Risikofaktor ist, hinsichtlich der Betondeckung anzustellen. - 250 Von besonderer Bedeutung sind die Festlegungen bezüglich der Betondeckung nach DIN 1045-1, siehe Tabelle D.10.5. Die darin gegebenen Werte für die Betondeckung sind umso größer, je korrosionsgefährdender die Umweltbedingungen. Darüber hinaus wird zwischen einem Mindestmaß und einem Nennmaß der Betondeckung unterschieden. Beide Größen unterscheiden sich um ein Vorhaltemaß von 10 mm. Die Nennmaße sind Entwurf und Ausführung zugrunde zu legen, um so die Einhaltung der Mindestmaße im Bauwerk mit ausreichend hoher Wahrscheinlichkeit sicherzustellen. Für Spannbeton gelten darüber hinaus zusätzliche Festlegungen. - 251 - Tabelle D.10.4: Mindestanforderungen an die Betonzusammensetzung für die Expositionsklassen XF1 bis XM3 - 252 - Tabelle D.10.5: Mindestbetondeckung cmin zum Schutz gegen Korrosion und Vorhaltemaß ∆c in Abhängigkeit von der Expositionsklasse Spalte 1 2 Mindestbetondeckung cmin mm 1)2) Zeile 1 2 3 4 Klasse Betonstahl XC1 XC2 XC3 XC4 XD1 XD2 XD34) XS1 XS2 XS3 10 20 20 25 Spannglieder im sofortigen Verbund und im nachträglichen Verbund 3) 20 30 30 35 40 50 40 50 3 Vorhaltemaß ∆c mm 10 15 1) Die Werte dürfen für Bauteile, deren Betonfestigkeit um 2 Festigkeitsklassen höher liegt, als nach Tabelle 3 mindestens erforderlich ist, um 5 mm vermindert werden. Für Bauteile der Expositionsklasse XC1 ist diese Abminderung nicht zulässig. 2) Wird Ortbeton kraftschlüssig mit einem Fertigteil verbunden, dürfen die Werte an den der Fuge zugewandten Rändern auf 5 mm im Fertigteil und auf 10 mm im Ortbeton verringert werden. Die Bedingungen zur Sicherstellung des Verbundes nach Absatz (4) müssen jedoch eingehalten werden, sofern die Bewehrung im Bauzustand ausgenutzt wird. 3) Die Mindestbetondeckung bezieht sich bei Spanngliedern im nachträglichen Verbund auf die Oberfläche des Hüllrohrs. 4) Im Einzelfall können besondere Maßnahmen zum Korrosionsschutz der Bewehrung nötig sein. Literatur: [D.10.1] DEUTSCHER AUSSCHUSS 1995 FÜR STAHLBETON, Richtlinie für hochfesten Beton, [D.10.2] DIN 1045-1:2001-07, Tragwerke aus Beton, Stahlbeton und Spannbeton, Teil1: Bemessung und Konstruktion [D.10.3] HENNING, O., KNÖFEL, D.: Baustoffchemie, Verlag für Bauwesen, Berlin, Bauverlag GmbH, Wiesbaden und Berlin, 1997 [D.10.4] BICZÓK, J.: Betonkorrosion – Betonschutz, 6. Auflage, Bauverlag, Wiesbaden, 1968 [D.10.5] KNOBLAUCH, H., SCHNEIDER, U.: Bauchemie, 4. Auflage, Werner Verlag, Düsseldorf, 1995 sowie [D.4.3] HILSDORF, H. K. & REINHARDT, H. W.: Beton aus Betonkalender 2000, Verlag Ernst & Sohn, Berlin, 2000 - 253 - D.11 Sonderbetone D.11.1 Arten Sonderbetone sind je nach Eigenschaften des Festbetons bzw. seiner Zusammensetzung z. B. • Hochfester Beton (Festigkeitsklasse über C50/60) • Schwerbeton (ρ > 2,6 kg/dm3) • Leichtbeton (ρ < 2,0 kg/dm3) • Faserbeton • Selbstverdichtender Beton. Betone können auch nach besonderen Verfahren hergestellt werden, z. B. • Unterwasserbeton • Vakuumbeton • Spritzbeton und Faserspritzbeton • Trockenbeton • Beton für Gleitbauverfahren. D.11.2 Hochfester Beton Als hochfester Beton wird Beton mit einer Festigkeitsklasse über C50/60 im Falle von Normalbeton oder Schwerbeton und einer Festigkeitsklasse über LC50/55 im Falle von Leichtbeton bezeichnet. Mit modernen Technologien ist es möglich, auch unter Baustellenbedingungen Betone mit Nennfestigkeiten über 100 N/mm2 herzustellen. Hochfeste Betone fanden ihre erste Anwendung beim Bau von Off-ShoreKonstruktionen und werden in zunehmendem Maße in hohen Bauwerken eingesetzt. D.11.2.1 Ausgangsstoffe, Zusammensetzung und Herstellung Zur Herstellung von hochfestem Beton sind keine ungewöhnlichen Geräte und Mischer oder unübliche Zusatzmittel und Zusatzstoffe erforderlich. Trotzdem setzt die erfolgreiche Herstellung hochfester Betone eine besonders sorgfältige Wahl der Ausgangsstoffe und der Betonzusammensetzung sowie eine besonders gründliche Qualitätskontrolle voraus. Die hohen Festigkeiten werden durch niedrige Wasserzementwerte, häufig unter Verwendung puzzolanischer Zusatzstoffe, erzielt. Der Einsatz hochaktiver Fließmittel ist daher im Allgemeinen unerlässlich. Als Bindemittel sind die Normenzemente mit hoher Druckfestigkeit (CEM 42,5; CEM 52,5) besonders geeignet. Die Druckfestigkeit von Gesteinskörnungen für Beton kann bei hochfesten Betonen die erzielbare Betondruckfestigkeit begrenzen. So sind daher entsprechend feste Gesteinskörnungen erforderlich. Um den Wasseranspruch und damit für einen gegebenen Wasserzementwert den Zementgehalt möglichst niedrig zu halten, kommt der Auswahl einer geeigneten Kornzusammensetzung besondere Bedeutung zu. Wegen der meist hohen Zement- und Zusatzstoffgehalte kann der Gehalt an Feinstoffen in den Gesteinskörnungen niedrig sein. Aus Gründen der Verarbeitbarkeit wird das Größtkorn häufig auf 20 mm begrenzt. Puzzolanische Zusatzstoffe, insbesondere silikatische Feinstäube (SF) und u. U. auch einige hochaktive Flugaschen als teilweiser Zementersatz, tragen zur Festigkeitsentwicklung nicht nur wegen ihrer puzzolanischen Wirkung, sondern bei richtiger Abstimmung mit dem jeweils verwendeten Zement wegen der Verbesserung der Pa- - 254 ckungsdichte im Zementstein bei. Silikatische Feinstäube erhöhen den Wasseranspruch. Dies unterstreicht die Notwendigkeit der Verwendung von Fließmitteln. Hochfeste Betone werden auch unter Baustellenbedingungen mit Wasserzementwerten etwa zwischen 0,22 und 0,35 hergestellt. Bei Verwendung von silikatischen Feinstäuben (SF) wird von entsprechenden Wasserbindemittelwerten ausgegangen. Insbesondere in höherem Alter kann SF voll auf den Bindemittelgehalt angerechnet werden. Da SF bei seiner Hydratation Calciumhydroxid verbraucht, sollte aber das Verhältnis SF/Z auf etwa 0,10 begrenzt werden. Die Anforderungen an die Verarbeitbarkeit des Frischbetons entsprechen jenen an Normalbeton. Wegen der Verwendung von Fließmitteln ist häufig ein frühes Aussteifen des Frischbetons zu verzeichnen, das ein Nachdosieren des Fließmittels und u. U. auch die Verwendung von Verzögerern erforderlich macht. Beim Transport und der Verarbeitung hochfester Betonmischungen ist besonders darauf zu achten, dass möglichst wenig Wasser verdunsten kann. Wegen der geringen Wassergehalte neigen hochfeste Betone kaum zum Bluten. Dies erhöht aber die Gefahr des plastischen Schwindens, so dass entsprechende Schutzmaßnahmen unmittelbar nach dem Verdichten bzw. der Bearbeitung freier Oberflächen besonders wichtig sind. Die Entwicklung der Hydratationswärme hängt nicht nur vom Bindemittelgehalt, sondern auch vom Wassergehalt des Betons ab. Bei niedrigen Wasserzementwerten reicht das Anmachwasser für eine vollständige Hydratation des Bindemittels bei weitem nicht aus, so dass sich nur ein Teil der möglichen Hydratationswärme entwickelt. Trotzdem sollte durch besondere Vorkehrungen insbesondere bei massiven Bauteilen der Bindemittelgehalt möglichst niedrig gehalten werden. Die Anforderungen an die Nachbehandlung von Normalbeton gelten auch für hochfesten Beton, wobei den Methoden mit Wasserzufuhr der Vorzug zu geben ist. Dies gilt vor allem deswegen, weil bei den niedrigen Wasserzementwerten das Anmachwasser im Beton schnell verbraucht wird. Dies hat eine innere Austrocknung und eine damit verbundene Schwindverformung zur Folge. Hochfeste Betone sind aber im Allgemeinen schon nach wenigen Tagen so dicht, dass von außen zugeführtes Wasser nicht mehr in den Beton eindringen kann. D.11.2.2 Festigkeitsklassen und mechanische Eigenschaften Die Festigkeitsklassen für hochfesten Beton nach DIN 1045-1 sind in Tabelle D.3.2 angegeben. Hochfester Beton ist im Allgemeinen spröder als Normalbeton. Dies drückt sich insbesondere durch einen steilen Abfall des σ-ε-Diagrammes bei Druckbelastung aus. Mit steigender Druckfestigkeit steigt die Zugfestigkeit hochfester Betone nicht oder nur noch wenig an. Die Schwindverformungen insbesondere aber die Einzelverformungen hochfester Betone sind im Allgemeinen deutlich geringer als jene von Normalbetonen. Bei der Eignungsprüfung hochfester Betone im Labor sollte wegen der großen Abhängigkeit von der Streuung der Eigenschaften der Ausgangsstoffe und des Wasserzementwertes ein Vorhaltemaß vorgesehen werden, das etwa dem zweifachen der Standardabweichung des jeweiligen Betons entspricht. D.11.2.3 Dauerhaftigkeit Hochfeste Betone zeichnen sich, insbesondere bei der Verwendung silikatischer Feinstäube als Zusatzstoff, durch besondere Dichtheit aus. Es ist daher von solchen Betonen eine hohe Dauerhaftigkeit zu erwarten, soweit sie sachgerecht zusammengesetzt, hergestellt und nachbehandelt wurden. Die Zugabe von silikatischen Feinstäuben (SF) kann sich bei Verhältnissen SF/Z > 0,10 vor allem in höherem Betonalter wegen des hohen Verbrauchs an Calciumhydroxid und dem damit verbundenen Abfall des pH-Wertes des Porenwassers ungünstig auf den Korrosionsschutz der Bewehrung auswirken. Unklar ist jedoch, ob selbst bei reduziertem pH-Wert die anderen Voraussetzungen für eine Stahlkorrosion, - 255 ausreichende Sauerstoffzufuhr und eine ausreichende Wassermenge, erfüllt sind. Günstig wirkt sich bei Taumittelangriff die erhöhte Bindekapazität silikatischer Feinstäube gegenüber Chloriden aus. Der Widerstand hochfester Betone gegen chemische Angriffe ist im Allgemeinen deutlich höher als jener normaler Betone. Der Frostwiderstand hochfester Betone ist wegen ihrer sehr geringen Kapillarporosität so hoch, dass auch bei Frost-Tausalzangriff eine Verwendung von LP-Mitteln nicht zwingend erforderlich ist. D.11.3 Leichtbeton D.11.3.1 Definition und Anwendung Leichtbeton hat eine Rohdichte von höchstens 2,0 kg/dm3. Wärmedämmender Leichtbeton bietet wegen seiner guten wärmedämmenden Eigenschaften im Hochbau oft eine in bauphysikalischer und wirtschaftlicher Hinsicht günstige Alternative zum Normalbeton. Solche Leichtbetone enthalten meist porige Gesteinskörnungen und finden vorwiegend zur Herstellung von Betonwaren und kleineren Fertigteilen Verwendung, z.B. als Hohlblocksteine und Wandbauplatten. Betone für den konstruktiven Ingenieurbau mit mittleren und hohen Betonfestigkeiten, die wesentlich leichter als Normalbeton sein können (Konstruktionsleichtbeton), finden häufig als Stahlleichtbetone Verwendung. Für ihre Herstellung werden fast ausschließlich Blähtone und Blähschiefer als Gesteinskörnungen verwendet. Die folgenden Ausführungen gelten vorwiegend für Stahlleichtbetone. D.11.3.2 Grundarten Es wird zwischen folgenden Grundarten des Leichtbetons unterschieden: Haufwerksbeton aus dichten Gesteinskörnern Haufwerksbeton aus leichten Körnern mit porigem Gefüge Gefügedichter Beton aus porigen Gesteinskörnungen Porenbeton (Gas- und Schaumbeton) Abbildung D.11.1: Grundarten des Leichtbetons D.11.3.3 Konstruktionsleichtbeton Bei Konstruktionsleichtbeton sind zwei wesentliche Parameter zu optimieren: die Druckfestigkeit und die Rohdichte. Neben dem Wasserzementwert und der Zementart beeinflussen die leichten Gesteinskörnungen selbst alle Betoneigenschaften in hohem Maße. Festigkeitsklassen: Nach DIN 1045-1 wird bei Leichtbeton zwischen Festigkeitsklassen gemäß Tabelle D.3.3 unterschieden. Rohdichteklassen: Neben den Festigkeitsklassen wird bei Leichtbeton auch zwischen verschiedenen Rohdichteklassen unterschieden, siehe Tabelle D.11.1. - 256 Tabelle D.11.1: Rohdichteklassen von Leichtbeton (nach DIN 1045-1) Rohdichteklasse D1,0 D1,2 D1,4 D1,6 D1,8 D2,0 Rohdichte ≥ 800 >1000 >1200 >1400 >1600 >1800 und und und und und und ≤ 1000 ≤ 1200 ≤ 1400 ≤ 1600 ≤ 1800 ≤ 2000 Kg/m3 Ausgangsstoffe: Zement: Nach den Richtlinien für Leichtbeton muss der Zementgehalt mindestens 300 kg/m3 verdichteten Betons betragen. Es können alle Zemente nach DIN 1164 verwendet werden. Leichte Gesteinskörnungen: Für konstruktiven Leichtbeton werden in der Regel künstlich geblähte Gesteinskörnungen aus Schiefer bzw. Ton verwendet. Der Korndurchmesser für leichte Gesteinskörnungen ist auf maximal 25 mm begrenzt. Leichte Gesteinskörnungen für konstruktiven Leichtbeton müssen den Bedingungen der DIN 4226-2 entsprechen. Mischungsentwurf: Die Mischungsberechnung und die Stoffraumgleichung müssen bei der Verwendung von leichten Gesteinskörnungen unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Rohdichten der einzelnen Korngruppen erfolgen. Für die Zusammensetzung des Korngemischs gelten die Sieblinien nach DIN 1045. Wegen der unterschiedlichen Rohdichten verschiedener Kornfraktionen sind die Sieblinienanteile in Volumenprozenten anzugeben. Festigkeit: Bei Normalbeton ist die Festigkeit des Zementsteins in der Regel geringer als die der Gesteinskörnungen. Bei Leichtbeton ist dagegen die Festigkeit der Gesteinskörner gleich oder merklich geringer als die Festigkeit des Zementsteins. Sobald die Kornfestigkeit unter die Mörtelfestigkeit sinkt, gilt nicht mehr die Proportionalität zwischen Beton- und Zementsteinfestigkeit. 2 ββBeton (N/mm (N/mm²)) Db Kiessand 40 Lavaschlacke Blähton Blähschiefer 30 Blähton β Zem. βDb Db= =βZem Blähton 20 Naturbims 10 0 α0 βG 0 10 20 Naturbims 30 40 2 ββZementstein (N/mm(N/mm²) ) Zementstein Abbildung D.11.2: Druckfestigkeiten von Leichtbetonen in Abhängigkeit von der Zementsteinfestigkeit - 257 Die Festigkeitsentwicklung eines Leichtbetons entspricht in den ersten Tagen der des Normalbetons, da in diesem Zeitraum die Festigkeit der Gesteinskörnungen noch über der Mörtelfestigkeit liegt. Erreicht die Mörtelfestigkeit etwa die Kornfestigkeit, dann ist auch bei weiter zunehmender Festigkeit des Mörtels nur noch eine geringfügige Steigerung der Betondruckfestigkeit möglich. Die Anwendung der Leichtbetonfestigkeitsklasse LC 70/77 und LC 80/88 bedarf einer Zustimmung im Einzelfall oder einer Zulassung entsprechend den bauaufsichtlichen Vorschriften. Die Biegezug- und Spaltzugfestigkeit des Leichtbetons sind in stärkerem Maße von der Eigenfestigkeit der Gesteinskörnungen abhängig als dies beim Normalbeton der Fall ist. Der Verbund zwischen Mörtel und leichten Gesteinskörnern ist bei rauhen und ungleichförmigen Körnern günstiger als bei Normalbeton. Verformung: Der Elastizitätsmodul von Leichtbeton ist wesentlich kleiner als der von Normalbeton gleicher Druckfestigkeit. Dies ist darauf zurückzuführen, dass die leichten Gesteinskörnungen einer Verformung des Betons einen geringeren Widerstand entgegensetzen als dichtere Körner. Die Querdehnungszahl von konstruktivem Leichtbeton entspricht der des üblichen Normalbetons und beträgt rund 0,20. Die Wärmedehnzahl der leichten Gesteinskörnungen ist meist niedriger als die von normalen Körnungen, so dass die Wärmedehnung von Leichtbeton nur das 0,5- bis 0,8-fache der Werte von üblichen Kiessandbetonen erreicht. Dauerhaftigkeit: Leichtbetone unterscheiden sich bzgl. ihrer Dauerhaftigkeit nicht grundsätzlich von Normalbeton. Gute leichte Gesteinskörnungen müssen gemäß Prüfung nach DIN 4226 frostbeständig sein. Leichtbetone mit dichtem Gefüge lassen sich durch Einführung von Luftporen ebenfalls gegen Frost- und Tausalz-Beanspruchung widerstandsfähig machen. D.11.4 Faserbeton Um die mechanischen Eigenschaften von Beton zu verbessern, können bei der Betonherstellung kurze Fasern aus Stahl, Glas, Kunststoff oder Kohlenstoff zugegeben werden. Die Fasern bewehren die Matrix und bewirken im Festbeton eine - Erhöhung der Zug- und Druckfestigkeit - Steigerung der Dehnfähigkeit und Energieaufnahme - Verminderung der Rissbildung an der Bauteiloberfläche (z.B. infolge Hydratationswärmefreisetzung, Schwinden). Beim Frischbeton wird die Verarbeitbarkeit reduziert und die Grünstandfestigkeit erhöht. Abhängig von der Art der Herstellung und der Geometrie des Bauteils können die Fasern anstatt räumlich unorientiert eine mehr 2-dimensionale Orientierung aufweisen. Voraussetzung für die Wirksamkeit der Fasern ist, dass der Fasergehalt einen kritischen Wert überschreitet. Für die in der Praxis häufiger eingesetzten Stahlfaserbetone gilt ein Mindestfasergehalt von 25 kg je m³ Beton. Die nachfolgende Abbildung zeigt typische Last-Verformungskurven für Faserbetone. Die Wirkungsweise der Fasern im Festbeton lassen sich mit Hilfe der Verbundwerkstofftheorie und der Bruchmechanik erklären. Stahlfasern werden üblicherweise mit Durchmessern von ca. 0,2 bis 1 mm bei Längen bis zu 50 mm eingesetzt. Der Fasergehalt liegt bei Stahlfaserbeton im allgemeinen bei ca. 0,5 bis 2,5 Vol.-%. Beim Einsatz von Glasfasern oder Kunststofffasern kommen auch höhere Fasergehalte zur Anwendung. Der Durchmesser des Größtkorns sollte - 258 - Kraft F Kraft F bei Stahlfaserbeton etwa ein Drittel der Faserlänge nicht überschreiten. Für Glasfaserbetone bzw. Glasfasermörtel wird ein Größtkorn von 1 bis 2 mm empfohlen. vf > vf crit vf > 0 vf < vf crit vf = 0; unbewehrt vf = 0; unbewehrt Längenänderung, ∆l Längenänderung, ∆l Abbildung D.11.3: Typische Last-Verformungsbeziehungen für Faserbeton (links: zentrischer Zug, rechts: zentrischer Druck) Stahlfaserbetone sind dauerhaft. Die Korrosion der Fasern nahe der Oberfläche bewirkt keine nennenswerte Schädigung, sie kann jedoch den optischen Eindruck (Rostflecken) beeinträchtigen. Problematisch ist dagegen die Dauerhaftigkeit von Glasfaserbetonen. Übliche E-Glasfasern sind zur Betonherstellung wegen mangelnder Alkalibeständigkeit ungeeignet. Der hohe pH-Wert der Porenlösung des Betons bewirkt einen lösenden Angriff, dem auch alkaliresistente Glasfasern nicht über lange Zeiträume widerstehen können. Betone mit Kunststoff- oder Kohlenstofffasern sind im Zementstein beständig. D.11.5 Selbstverdichtender Beton Scherspannung τ Selbstverdichtender Beton weist die besondere Frischbetoneigenschaft auf, allein unter dem Einfluss der Schwerkraft ohne die Einwirkung zusätzlicher Verdichtungsenergie zu entlüften und bis zum Niveauausgleich zu fließen. Erreicht werden kann dies bei Betonen mit üblichem Wasserzementwert und Zementgehalt durch einen hohen Mehlkornanteil und eine hohe Dosierung eines hochleistungsfähigen Fließmittels. Bei einer Prüfung der Konsistenz von selbstverdichtendem Beton auf dem Ausbreittisch werden ohne Schlag Ausbreitmaße von 70 cm und mehr ermittelt. ρ Bingham: τ = τ0 + tg ρ ⋅ γ τ0 = Fließgrenze Newton: τ = tg ρ ⋅ γ Scherwinkelgeschwindigkeit γ Abbildung D.11.4: Rheologisches Verhalten einer Mehlkorn-Wasser-Suspension mit und ohne Fließmittel - 259 Die Fließfähigkeit des Betons wird durch den gegenüber üblichem Beton etwa doppelt so hohen Anteil an Mehlkorn erreicht, welches gemeinsam mit dem Wasser und dem Fließmittel eine tragfähige Suspension hoher Viskosität bildet, in der alle gröberen Gesteinskörner entmischungsfrei „schwimmen“. Dabei ist es grundsätzlich gleichgültig, ob das Mehlkorn z. B. aus Zement, Flugasche, Metakaolin, Silicastaub oder inertem Gesteinsmehl besteht, sofern nur die Suspension im Zusammenwirken mit dem Fließmittel die erforderliche rheologische Eigenschaft aufweist. Die Wirkung der Fließmittel besteht im Wesentlichen darin, dass die Oberflächenladungen (Zetapotential) an allen Feststoffpartikeln in der Dispersion ausgeglichen werden und auf diese Weise die Partikel desagglomerieren. Dadurch geht das rheologische Verhalten einer Mehlkorn-Wasser-Suspension vom Verhalten eines Bingham-Körpers durch Zusatz des Fließmittels in das Verhalten einer Newton‘schen Flüssigkeit über. Die Festbetoneigenschaften eines selbstverdichtenden Betons entsprechen weitgehend jenen eines üblichen Konstruktionsbetons. Erste Versuche zeigen, dass der selbstverdichtende Beton eine größere Nachbehandlungsempfindlichkeit aufweist (Gefahr der Kapillarschwindrissbildung), erhöhte Schwindverformungen auftreten und der Frostwiderstand offenbar etwas geringer ist. Den Vorteilen des Wegfalls der Verdichtung, der 30 bis 50 % höheren Betonierleistung, der Lärmminderung und der hohen Zuverlässigkeit, mit der beispielsweise Sichtbetonwände aus Ortbeton und komplizierte Fertigteile ohne Rüttler fehlerfrei hergestellt werden können, stehen die Nachteile der erhöhten Stoffkosten für zusätzliches Mehlkorn und Fließmittel gegenüber. Die Anforderungen der DIN 1045 hinsichtlich der Höchstwerte des Mehlkorngehaltes werden von selbstverdichtendem Beton nicht eingehalten. Auch kann seine Konsistenz nicht mehr mit den genormten Prüfverfahren erfasst werden. Daher bedarf die Anwendung des selbstverdichtenden Betons in Deutschland z. Z. noch einer bauaufsichtlichen Zustimmung. Literatur: [D.11.1] REINHARDT, H. W. ET AL.: DAfStb Sachstandbericht Selbstverdichtender Beton (SVB), Deutscher Ausschuss für Stahlbeton (DAfStb), Heft 516, Beuth Verlag GmbH, Berlin, 2000 sowie [D.4.3] HILSDORF, H. K. & REINHARDT, H. W.: Beton aus Betonkalender 2000, Verlag Ernst & Sohn, Berlin, 2000 [D.10.1] DEUTSCHER AUSSCHUSS 1995 FÜR STAHLBETON, Richtlinie für hochfesten Beton, - 260 - E Keramische Werkstoffe E.1 Definitionen und Struktur Keramische Werkstoffe sind anorganische, nicht-metallische, vorwiegend kristalline Stoffe und bestehen häufig aus Metalloxiden mit kovalenten bis ionischen Bindungen. Daraus ergeben sich als charakteristische Eigenschaften eine hohe Festigkeit, eine große Kerbempfindlichkeit und ein hoher Schmelzpunkt. Im Bauwesen finden keramische Werkstoffe Verwendung als gebrannte Tonmaterialien (siehe Abschnitt E.4.1), als künstliche Betonzuschläge (z.B. Blähton, Ziegelsplitt) und im weiteren Sinn als Kalksandsteine (siehe Abschnitt E.4.7). E.2 Herstellung und Formgebung Wegen der kovalenten Bindung besitzen keramische Werkstoffe einen hohen Schmelzpunkt und können daher nicht durch Erweichen, Schmelzen und Vergießen in eine bestimmte Form gebracht werden. Keramische Werkstoffe werden daher meist in einem Sinterprozess hergestellt (Baustofftechnologie I). Die Rohmaterialien, z.B. Sand und Ton, werden entweder als Pulver trocken in eine Form gepreßt oder mit Wasser vermengt, so dass eine formbare Masse entsteht. Der Körper wird dann gebrannt, d.h. bei einer Temperatur des ca. 0,6- bis 0,9-fachen der Schmelztemperatur durch Sintern oder durch Kristallumwandlungen verfestigt. Das bei der Herstellung des Formlings verwendete Wasser verdampft während des Brennens und hinterlässt Hohlräume (= Poren), deren Volumen durch die Zugabemengen an Wasser und Trocknung vor dem Brennen kontrolliert werden kann. E.3 Grundsätzliche Eigenschaften Die grundsätzlichen Eigenschaften keramischer Werkstoffe lassen sich aus der vorliegenden Mikrostruktur und der Bindungsart erklären. Hohe Sprödigkeit: als Folge der orientierten, kovalenten Bindungen. Geringe Zugfestigkeit: als Folge örtlicher Fehlstellen und Poren bei fehlender plastischer Verformbarkeit (Kerbempfindlichkeit). Hohe Druckfestigkeit: als Folge der hochfesten Bindungen (Abhängigkeit von der Porosität). Temperaturbeständigkeit: als Folge der hochfesten Bindungen. Geringe elektrische Leitfähigkeit: wegen des Fehlens freier Elektronen. Geringe Wärmeleitfähigkeit: wegen des Fehlens freier Elektronen sowie aufgrund der Porosität. Hohe chemische Widerstandsfähigkeit: als Folge der Bindungsart. - 261 - E.4 Keramische Werkstoffe im Bauwesen E.4.1 Einteilung der tonkeramischen Werkstoffe Grobkeramik Feinkeramik (li > 0,1 - 0,2 mm) (li < 0,1 - 0,2 mm) porös dicht porös (Wa > 6 %) (Wa < 6 %) (Wa > 2 %) Mauerziegel Klinker Steingut Dachziegel Spaltplatten dicht (Wa < 2 %) Tonrohre Steinzeug Schamotte Fliesen (Porzellan) Spaltplatten Rohre li = charakteristische Länge von Inhomogenitäten, die mit dem bloßen Auge noch erkennbar sind Wa = Wasseraufnahme in M.-% E.4.2 Ausgangsmaterialien 100 20 80 30 70 40 Tonsubstanz, 60 50 Feldspat und 50 60 1 70 80 Zur Herstellung von Ziegeln, Klinkersteinen, Steinzeug etc. werden silikatische Rohstoffe, Tone oder Lehm verwendet, deren Hauptbestandteile Feldspat 90 10 Quarz sind (siehe Abb. E.1). 40 30 2 3 90 100 20 4 5 10 6 1: Weichporzellan; 2: chemischtechnisches Porzellan; 3: Hartporzellan; 4: Steinzeug; 5: Steingut; 6: Ziegel, Klinker. 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100 Tonsubstanz Quarz Gew.-% Abbildung E.1: Dreistoffdiagramm der Hauptbestandteile keramischer Werkstoffe Die Tonsubstanz ist nach Wasserzugabe meist plastisch, bildsam und umschließt die gröberen, nicht plastischen Quarzteilchen. Die Tone bestehen aus schichtartigen Paketen von Kristallen mit einer Dicke von weniger als 0,1 µm. Die einzelnen Schichten werden durch Silikatetraeder und durch Aluminiumoktaeder gebildet (siehe Vorlesung "Baustoffkunde"). Die so entstehenden Mineralien bestehen entweder aus zwei oder drei Schichten. - 262 - Aluminiumoktaeder Silicatetraeder Sauerstoff Silicium Abbildung E.2: Symbol Sauerstoff oder OH-Ion Aluminium Symbol Silikatetraeder und Aluminiumoktaeder Typische Zweischichtminerale sind: Al2O3 · 2SiO2 · 2H2O Kaolinit: Halloysit: Al2O3 · 2SiO2 · 2H2O · nH2O Dreischichtminerale sind: Montmorillonit Glimmer (Muskovit, Biotit, Illit) Zwischenschicht aus K-Ionen Kaolinit Montmorillonit Abbildung E.3: Glimmer Symbolische Darstellung von Beispielen für Zwei- und Dreischichtminerale Durch Anlagerung von OH--Ionen oder Wasser zwischen den Schichten neigen manche Tonmineralien zum Quellen, insbesondere Montmorillonit. Kaolinit, bei dem sich zwischen den einzelnen Schichten Wasserstoffbindungen ausbilden, ist dagegen weniger quellfähig. E.4.3 Erhärtungsvorgänge E.4.3.1 Kristallumwandlung Am Beispiel des Kaolinit: Bei 550 - 600°C Austreiben von chemisch gebundenem Wasser: Al2O3 · 2SiO2 · 2H2O → Al2O3 · 2SiO2 + 2H2O Im Bereich von 870 - 1400°C Bildung von neuen Kristallen unter Freisetzung von SiO2: 3[Al2O3 · 2SiO2] → 3Al2O3 · 2SiO2 + 4SiO2 Die neu gebildeten Kristalle sind eng miteinander verflochten, und der so entstandene Scherben erweicht auch bei nachfolgender, ständiger Wasserlagerung nicht. - 263 - E.4.3.2 Sinterung Größere Einschlüsse, wie z.B. Quarzsand, werden durch Sinterungsvorgänge an den Oberflächen fest miteinander verbunden. E.4.3.3 Einfluss der Brenntemperatur Niedere Brenntemperatur: Entstehung leichter, poröser und daher wärmedämmender Scherben Höhere Brenntemperatur: Zunahme von Festigkeit, Dichte sowie chemischer und mechanischer Widerstandsfähigkeit Beim Brennen bis zur Sinterung des Quarzes wird eine nahezu völlige Wasserdichtigkeit und hohe Säurebeständigkeit erzielt. Zu starkes Brennen: Risse und Verziehen der Steine Zu schwaches Brennen: Der Ton im Ziegelkern behält seine Wasseraufnahmefähigkeit; Zerstörung des Ziegels durch Wassereinwirkung E.4.4 Färbung und schädliche Bestandteile Färbung: Die Farbe eines gebrannten Tons wird im wesentlichen vom Gehalt an Kalk (gelbliche Färbung) und an Fe2O3 (rötliche bis blau-graue Färbung) beeinflusst. Schädliche Bestandteile: Enthalten die Rohstoffe der Ziegel Kalkstein (CaCO3), so entsteht beim Brennen CaCO3 → CaO + CO2. Kalkeinschlüsse (CaO) im Ziegel können zu Treiberscheinungen (Abplatzen der Oberfläche, Zersprengen der Ziegel) führen, wenn das CaO mit Wasser in Berührung kommt, da die Reaktion CaO + H2O → Ca(OH)2 mit einer erheblichen Volumenvergrößerung verbunden ist. Größere Gesteinseinschlüsse verursachen Rissbildung, Chloride und Sulfate (Gips) führen zu Ausblühungen. Schwefelkiese (FeS2, Pyrit) schließlich bewirken örtliche Färbung, Treiberscheinungen sowie eine verminderte Feuer- und Witterungsbeständigkeit. E.4.5 Mechanische Eigenschaften gebrannter Tone Die Eigenschaften der Scherben hängen von der Porosität, Brenntemperatur und vom Ausgangsmaterial ab: Druckfestigkeit, βD: 10 bis 150 N/mm2 Zugfestigkeit, βZ: 1 bis 15 N/mm2 Elastizitätsmodul, E: 5000 bis 40000 N/mm2 Querdehnungszahl, µ: 0,2 bis 0,35 Rohdichte, ρ: 1,3 bis 2,0 kg/dm3 Porosität, p: 1 bis 20 Vol.-% Verformungsverhalten: bei Druck- und Zugbelastung sehr spröde; keine oder nur sehr geringe Kriechverformungen; meist geringe Schwind- und Quellverformungen bei Trocknung und Wasseraufnahme - 264 σ 80 2 [N/m m ] β = 87,8 N/m m ² Druck 60 β = 45,5 N/m m ² 40 β = 31,7 N/m m ² 20 Dehnung +1,0 Abbildung E.4: E.4.6 Stauchung -1,0 Zug -2,0 -3,0 -4,0 ε [‰] Spannungs-Dehnungslinien von Ziegelscherben verschiedener Druckfestigkeit Mauerziegel (nach DIN 105) Mauerziegelarten: Vollziegel (Mz): Bezeichnung für ungelochte Ziegel. Zur Verringerung des Gewichts ist jedoch ein Lochanteil bis zu 15 % der Lagerfläche zulässig. ρ = 1,1 bis 2,2 kg/dm3; Druckfestigkeit bis zu 80 N/mm2. Vollziegel Hochlochziegel (HLz): sind senkrecht zur Lagerfläche gelocht. Der Lochanteil muss mehr als 15 % der Lagerfläche betragen. Hintermauerziegel: ist eine Sammelbezeichnung für Mauerziegel, bei denen die Frostbeständigkeit nicht gefordert ist. Langlochziegel Vormauerziegel: sind Ziegel, deren Frostbeständigkeit durch Prüfung nachgewiesen ist. Klinker: Klinker werden bis zur Sinterung gebrannt; die Frostbeständigkeit muss nachgewiesen werden. Die Druckfestigkeit muss mindestens 28 MN/m2 betragen. Die Scherbenrohdichte darf im Mittel 1,9 kg/dm3 nicht unterschreiten. Klinker sind nur wenig saugfähig und besitzen eine hohe Widerstandsfähigkeit gegen mechanische und chemische Einwirkungen. - 265 - Vorzugsgrößen: Maße [mm] Bezeichnung Länge Breite Höhe Dünnformat DF 240 115 52 Normalformat NF 240 115 71 2 DF 240 115 113 3 DF 240 175 113 5 DF 300 240 113 10 DF 300 240 238 Druckfestigkeit und Kennzeichnung: Die mittlere Druckfestigkeit der Voll- und der Lochziegel ist definiert als Bruchlast bezogen auf die Lagerfläche einschließlich der Lochquerschnitte. Von 200 Ziegeln muss mindestens ein Stein durch eine 20 mm breite Farbmarkierung gekennzeichnet sein. Festigkeitsklassen: 4 - blau 6 - rot 8 - keine Farbkennzeichnung, aber entsprechende Stempel. 10 - ohne 20 - gelb 28 - braun Die Scherbenfestigkeit ist die auf die Nutzfläche bezogene Bruchlast eines Ziegels. Ziegelrohdichten: Die Ziegelrohdichte ist das Gewicht des trockenen Ziegels bezogen auf das Volumen einschließlich der Hohlräume. Die Mittelwerte der Ziegelrohdichte für Lochziegel und Vollziegel sind wie folgt festgelegt (größte Einzelwerte stehen in Klammern): Rohdichteklassen: 1,20 kg/dm3 (1,01 bis 1,20) 1,40 kg/dm3 (1,21 bis 1,40) 1,60 kg/dm3 (1,41 bis 1,60) 1,80 kg/dm3 (1,61 bis 1,80) 2,00 kg/dm3 (1,81 bis 2,00) 2,20 kg/dm3 (2,01 bis 2,20) Bezeichnung der Ziegel: Die Ziegel werden in der Reihenfolge DIN-Hauptnummer, Ziegelart, Festigkeitsklasse, Rohdichte und Formatkurzzeichen bezeichnet. - 266 Kurzbezeichnung: Mz = Vollziegel VMz = Vormauervollziegel VHLz = Vormauerhochlochziegel KMz = Vollklinker KHLz = Hochlochklinker Beispiele: 1. Hochlochziegel Druckfestigkeitsklasse 12 MN/m2 Ziegelrohdichteklasse 1,2 kg/dm3 Länge . Breite . Höhe 240 . 115 . 113 = 2 (DF) DIN 105 - HLz - 12 - 1,2 - 2 DF 2. Hochbauklinker Druckfestigkeitsklasse 28 MN/m2 Rohdichteklasse 2,0 kg/dm3 Länge . 240 . Breite . Höhe 115 . 52 = (DF) DIN 105 - KMz - 28 - 2,0 - DF E.4.7 Kalksandsteine Kalksandsteine werden aus einem Gemisch aus ca. 90 Gew.-% Quarzsand und 10 Gew.-% CaO hergestellt, das mit Wasser intensiv vermischt und unter hohem Druck zu Formlingen gepresst wird. Die Erhärtung erfolgt in einem Autoklaven bei ca. 8 bis 16 bar und ca. 200°C. Durch die Wärmebehandlung wird das reaktionsträge SiO2 aufgeschlossen. Es verbindet sich mit Ca(OH)2 zu einem Kalkhydrosilikat: (xCaO . ySiO2 . zH2O) Der Erhärtungsvorgang ähnelt dem der hydraulischen Kalke und des Zementsteins (siehe Abschn. D.4.1). Die Kalkhydrosilikatbildung erfolgt jedoch nur an den Oberflächen der Sandkörner, die auf diese Weise miteinander verkittet werden. Eigenschaften: Kalksteine besitzen meist bessere Maßhaltigkeit als Mauerziegel. Sie sollen jedoch nicht in frischem Zustand vermauert werden, da sie beim Austrocknen und Auskühlen schwinden. Sie sind gegenüber Säuren empfindlich. Ihr Wasseraufnahme- und -abgabevermögen ist ähnlich dem von Mauerziegeln. Kalksandvollsteine: KS Kalksandlochsteine: KS L und Kalksandhohlblocksteine: Rohdichteklassen: Festigkeitsklassen: Rohdichteklassen: 1,4 bis 2,2 kg/dm3 6 bis 60 MN/m2 0,6 bis 1,6 kg/dm3 Festigkeitsklassen: 5 bis 28 MN/m2 Frostbeständigkeit wird für Vormauersteine und Verblender nach DIN 106, Teil 2, gefordert. Bezeichnung: z. B. DIN 106 - KS - 12 - 1,6 - 2 DF DIN 106 - KS L - 6 - 1,2 - 3 DF - 267 Literatur: [E.1] SALMANG, H., SCHOLZE, H.: Keramik Teil 1: Allgemeine Grundlagen und wichtige Eigenschaften, Springer-Verlag Berlin, 1982 [E.2] OEL, H.J., TOMANDL, G.: Keramik: Leitfaden zur Vorlesung Glas und Keramik, Erlangen, 1990 [E.3] DIN-Taschenbuch 68: Mauerwerksbau, Berlin, 1991 - 268 - F Gläser und Kunststoffe F.1 Definitionen Gläser: Nicht-metallische Werkstoffe mit oder ohne beschränkter atomarer oder molekularer Ordnung ≡ amorph oder nicht-kristallin (siehe Baustofftechnologie I). Gläser bestehen aus Molekülen, die in Form eines dreidimensionalen Netzwerks angeordnet sind. Kunststoffe: Werkstoffe aus langen Kettenmolekülen oder dreidimensionalen Netzwerken organischen Ursprungs. Sie sind häufig nicht-kristallin. Beschreibung des Glaszustandes: Gläser können als ungeordnete Schmelze betrachtet werden, die ohne Strukturänderung (Ordnungsänderung) erstarrte. Im Gegensatz zu kristallinen Stoffen tritt daher beim Übergang vom festen in den flüssigen Aggregatzustand keine sprunghafte Volumenänderung ein. Das Ausmaß der Ordnung (Kristallinität) bzw. Unordnung (Glaszustand) kann aus einem Diagramm abgelesen werden, das die Häufigkeit des Auftretens von Atomen in bestimmten Abständen von einem Zentralatom angibt. Volumen fest Häufigkeit Glasüber- Atom- gangsbereich schnell gekühltes Glas flüssig abstand ideal amorph real amorph kristallin kristallin T T T S G G T S Temperatur Abstand vom Zentralatom : Schmelzpunkt des kristallinen Werkstoffes : Glasübergangstemperatur des Glases Abbildung F.1: Zusammenhang zwischen Volumen und Temperatur bei kristallinen und amorphen Werkstoffen (links); Auftretenshäufigkeiten von Atomen (rechts) F.2 Anorganische Gläser F.2.1 Zusammensetzung Technische Gläser bestehen aus anorganischen Oxiden. Ihre wesentlichsten Bestandteile sind Silikate sowie Na2O, CaO, PbO und kleinere Mengen Al2O3, Fe2O3. Rohstoffe für Baugläser sind: Sand (Quarz) SiO2, Soda Na2CO3, Kalk CaCO3. Beim Schmelzen entweicht CO2, und es entsteht 6SiO2·Na2O·CaO. - 269 - Sauerstoff Silicium Natrium Kristallines Silicat Struktur von Fensterglas (Zweidimensionale Darstellungen) Abbildung F.2: F.2.2 Atomare Struktur technischer Gläser Grundsätzliche Eigenschaften Bei Raumtemperatur sind anorganische Gläser äußerst spröde. Mit steigender Temperatur erweichen sie und zeigen viskoses Verhalten, d.h. die lastabhängigen Verformungen sind zeitabhängig und irreversibel. Wegen des Fehlens atomarer Ordnung haben Gläser keinen definierten Schmelzpunkt, bei dem sich die Struktur ändert, sondern eine Erweichungs- oder Glasübergangstemperatur TG. Sie liegt in der Mitte des Erweichungsbereiches eines Glases (siehe Abbildung F.1). Fehlerfreie Gläser besitzen einen hohen E-Modul und eine hohe Druck- und Zugfestigkeit. Sie sind jedoch bei Raumtemperaturen wegen ihrer Sprödigkeit äußerst fehler- und kerbempfindlich, so dass die Zugfestigkeit technischer Gläser meist gering ist. Porenfreie und reine Gläser sind durchsichtig, da keine reflektierenden Kristallebenen vorliegen, da freie Elektronen fehlen und die gebundenen Elektronen erst durch Wellenlängen des ultravioletten Lichtes angeregt werden. Gläser sind gegen chemische Angriffe äußerst widerstandsfähig, besitzen eine hohe Abriebfestigkeit und Härte und sind nach Erwärmen auf Temperaturen um TG leicht formbar. F.2.3 Anwendung und mechanische Eigenschaften Fehlerfreies Glas besitzt sehr günstige mechanische Eigenschaften, d.h. eine hohe Druck- und Zugfestigkeit und einen hohen E-Modul. Die Fehlerfreiheit kann vor allem bei dünnen Fasern erzielt werden. Daher werden Glasfasern zur Bewehrung (Verstärkung) von Verbundwerkstoffen verwendet, insbesondere werden glasfaserverstärkte Kunststoffe hergestellt (siehe Teil G). - 270 Tabelle F.1: Mechanische Eigenschaften (Auswahl) von technischem Glas Eigenschaft Bauglas1 E-Glas2 Chemische Zusammensetzung SiO2 72,5 % 62 % Al2O3 0,6 % 14 % Fe2O3 0,1 % - CaO 7,5 % 23 MgO 4,1 % - Na2O 14,3 % 1 Rohdichte kg/dm3 2,50 % % 2,54 ± 0,03 kg/dm3 Zugfestigkeit bei 5250 N/mm2 T = 43°C 3500 N/mm2 T = 540°C 1750 N/mm2 T = 23°C 50 - 80 N/mm2 7·104 E-Modul Poisson’sche Zahl Wärmedehnzahl F.2.4 N/mm2 7,4 - 8,7·104 N/mm2 0,20 0,20 -6 9·10 [1/K] Verfestigung von Gläsern • Oberflächenätzung: Ausrundung oder Entfernung von Oberflächenfehlern bzw. Kerben. • Vorspannen der Oberflächenzonen: Bei plötzlichem Abkühlen erstarren zuerst die Oberflächenbereiche. Darauffolgendes Erstarren der inneren Bereiche führt zu einer Volumenverringerung des Kerns und damit zu einer Druckvorspannung der Oberflächenzonen. Die Folge davon ist eine Erhöhung der Zugfestigkeit. • Dispersionsverstärkung bzw. Ausbildung einer zweiten Phase: (siehe Teil G). 1 als Tafelglas 2 in Form von Glasfasern ∅ 4·10-3 bis 2·10-2 mm - 271 - F.2.5 Einige Anwendungen von Gläsern im Bauwesen • Flachglas: • Fensterglas, Kristallspiegelglas oder Floatglas für Außenverglasungen oder Innenausbau • Drahtspiegelglas, d.i. Kristallspiegelglas mit Drahtverstärkung • Wärmeschutz-, Sonnenschutz- und Schallschutzgläser • Kompaktglas: • Glasbausteine, Betongläser, Glasdachziegel • Fasern: • Zur Verstärkung von Kunststoffen (siehe Abschnitt G.3.4.2) • Als Dämm- oder Schallabsorptionsstoffe • Schaumglas: • In Plattenform für tragende Bauteile Literatur: [F.1] SCHOLZE, H.: Glas: Natur, Struktur und Eigenschaften, Springer-Verlag, Berlin, 1988 [F.2] PETZOLD, A., MARUSCH, H. & SCHRAMM, B.: Der Baustoff Glas, Verlag für Bauwesen, Berlin, 1990 [F.3] RUSKE, W.: Glas, WEKA-Fachverlag, Berlin, 1988 [F.4] HORNBOGEN, E.: Werkstoffe, Springer-Verlag, Berlin, 1991 - 272 - F.3 Kunststoffe F.3.1 Ausgangsstoffe bei der Kunststoffherstellung Alle Kunststoffe sind auf der Basis Kohlenstoff aufgebaut und damit organische Werkstoffe. Eine Zusammenstellung der Ausgangsstoffe zeigt Abbildung F.3. Kunststoffe sind grundsätzlich Leichtwerkstoffe mit einem spezifischen Gewicht um 1 kg/dm3. Eine Erhöhung des spezifischen Gewichts ist durch Füllung mit anorganischen Stoffen, sog. Füllern (z. B. Quarzmehl, Sand bzw. Fasern) zu ermöglichen. ERDÖL GAS KOHLE KALK WASSER LUFT CHEMISCHER AUFSCHLUSS C H O Kohlenstoff N Sauerstoff Wasserstoff S Schwefel Stickstoff MONOMERE Ausgangsprodukt für synthetische organische Werkstoffe Abbildung F.3: F.3.2 Ausgangsstoffe zur Kunststoffherstellung Aufbau und Struktur Kunststoffe bestehen aus Riesenmolekülen, welche aus einer großen Anzahl wiederkehrender Einheiten zusammengesetzt sind. Ihnen wurde der Name "Polymer" vom Griechischen "poly" = "viel" und "meros" = "Teil" gegeben. Die einzelnen Einheiten bzw. Bausteine werden Monomere genannt. Die meisten Polymere bilden lange, flexible Ketten. Hierdurch entsteht ein mehr oder weniger regelmäßiges (komplexes) Netzwerk, dessen Struktur teils kristallin, überwiegend jedoch amorph ist. Die Kunststoffe werden nach dem Ausmaß ihrer Vernetzung eingeteilt in: Kettenpolymere bzw. Thermoplaste: Sie bestehen aus langen Fadenmolekülen, die untereinander keine Verbindungen (Vernetzung) haben. Wärmezufuhr verstärkt die molekularen Bewegungen, die Ketten gleiten aneinander vorbei, makroskopisch gesehen schmilzt der Werkstoff. Durch das Erkalten kommt die Bewegung wieder zur Ruhe, die Fadenmoleküle lagern sich zusammen, der Kunststoff wird wieder hart. Beispiele: Polyethylen Polyvinylchlorid Polypropylen Polyisobutylen Polystyrol Polyamide Polymethylmethacrylat (PE) (PVC) (PP) (PIB) (PolyPS) (PA) (PMMA) - 273 Elastomere: Die Gruppe der Elastomere umfasst weniger Kunststoffe, als vielmehr Syntheseund Naturkautschukerzeugnisse. Sie besitzen gummielastische Eigenschaften (große elastische Verformungen), und ihre Makromolekülfäden sind in größeren Abständen untereinander chemisch vernetzt (geringer Vernetzungsgrad). Beispiele: Naturkautschuk, Latex (unvernetzt) Butadien-Kautschuk (Buna) Chloropren-Kautschuk (Neopren, Baypren) Polysulfid-Kautschuk (Thiokol) Raumpolymere bzw. Duroplaste: Im Gegensatz zu den Thermoplasten sind die Molekülketten dieser Werkstoffe dreidimensional vernetzt (hoher Vernetzungsgrad). Bei höheren Temperaturen beginnen diese Werkstoffe nicht zu schmelzen, sondern sich irreversibel zu zersetzen. Sie lassen sich nicht mit den üblichen Verarbeitungsverfahren warm verformen, sondern werden in flüssiger Form bei Zugabe von Härtungsmitteln verarbeitet. Duroplaste sind auch bei höheren Temperaturen noch relativ beständig. Beispiele: F.3.3 Polyesterharze (UP-Harze) Epoxidharze (EP-Harze) Polyurethane (PUR) Herstellungsmethoden Die Verkettung der Monomere erfolgt nach verschiedenen Methoden. Dabei wird unterschieden zwischen • Polymerisation • Polykondensation • Polyaddition F.3.3.1 Polymerisation Gleiche Monomere werden durch Aufbrechen von Mehrfachbindungen verkettet. Beispiel: Polyvinylchlorid: H H H H H HI I I I I I C = C →C− C− C− C−... I I I I I HI Cl H Cl H Cl Vinylchlorid Polyvinylchlorid Die Polymerisation erfordert Energiezufuhr (Wärme; radioaktive Strahlung) oder Katalysatoren. Bei der Verbindung werden keine Stoffe abgespalten. Andere, durch Polymerisation verbundene Monomere: Ethylen (C2H4), Butadien (C4H6), Vinylbenzol (Styrol) Co- oder Mischpolymerisation: Verkettung verschiedenartiger Monomere durch Aufbrechen von Mehrfachbindungen - 274 - F.3.3.2 Polykondensation Kettenmoleküle werden aus verschiedenen Monomeren unter Abspaltung von Nebenprodukten (z.B. Wasser oder Alkohol) gebildet. Beispiel: Nylon: − (CH2 )y − C− OH → H − NI − (CH2 )x − NI − H + HO − C II II H H O O n n Diamin Dicarbonsäure → H2 O + N− (CH2 )x − N− C− (CH2 )y − C− I II II HI n H O O Wasser F.3.3.3 Nylon Polyaddition Verschiedene Monomere werden dadurch verkettet, dass einige Atome oder Atomgruppen ihren Platz wechseln, ohne dass dabei eine Abspaltung von Nebenprodukten eintritt. Beispiel: Polyurethan H-O-R1-O-H + O=C=N-R2-N=C=O + H-O-R1- ... → Diol Diisocyanat Diol → − C− N− R 2 − N− C− R1 − O − I I II II H O O H n Polyurethan F.3.3.4 Formgebungstechniken Die Formgebungstechniken werden weitgehend durch das unterschiedliche Erhärtungsverhalten der Kunststoffe bestimmt. F.3.3.4.1 Formgießen Das Verfahren der Polymerisation in Formen dient zur Massenfertigung, insbesondere gummielastischer, aufgeschäumter PUR-Formteile. F.3.3.4.2 Rotationsformen In Hohlformen werden abgemessene Mengen schmelzbarer Kunststoffe (pulverförmig oder flüssig) eingegeben. Diese Formen werden bei erhöhter Temperatur um zwei Achsen mit unterschiedlicher Geschwindigkeit langsam rotierend gedreht. An den Wandungen der Form bildet sich ein Hohlkörper. Das Anwendungsgebiet dieses Verfahrens erstreckt sich von der Massenfertigung kleinerer Formteile bis zu Großbehältern von 20.000 l Inhalt. F.3.3.4.3 Schleuderguss Unter Ausnutzung von Fliehkräften werden mittels Reaktionsharzen mit Füllstoffen Rohre mit glatten, harzreichen Oberflächen hergestellt. F.3.3.4.4 Handverfahren Für GFK-Bauteile (glasfaserverstärkte Kunststoffe) verwendet man überwiegend ungesättigte Polyester (GUP) als Reaktionsharze. Die Verstärkung der Reaktionsharze erfolgt durch Bewehrung mit Glasfaserprodukten. Im Handverfahren wird auf das Formwerkzeug eine Schicht Glasvlies aufgelegt und mit aufgegossenem, kalthärtendem Harz durchtränkt. Das Verfahren ist sehr arbeitsintensiv. - 275 F.3.3.4.5 Faser-Harz-Spritzverfahren Die Herstellung glasfaserverstärkter Kunststoffe kann auch automatisch erfolgen. Beim Faser-Harz-Spritzverfahren werden Harzgemisch und kurz geschnittene Glasseide mit Mehr-Komponenten-Spritzeinrichtungen, welche Rovings (Glasstränge) zerschnitzeln, aufgebracht. Die aufgespritzten Schichten müssen von Hand verdichtet werden. F.3.3.4.6 Injektionsverfahren Beim Injektionsverfahren verwendet man geschlossene Formen, in die das Harz eingesaugt oder unter Druck injiziert wird, bis sein Austreten aus der Form völliges Durchtränken erkennen lässt. F.3.3.4.7 Wickelverfahren Bei den Wickelverfahren werden Faserstränge mit Harz getränkt und anschließend unter Spannung auf einen rotierenden Kern gewickelt. Mit diesem Verfahren werden Lager und Transportbehälter bis 100 m³ Inhalt hergestellt (Heizöl, Erdlager, Haushaltstanks). F.3.3.4.8 Kalandrieren Kalandrieren ist das zügige Auswalzen heiß vorplastifizierter Massen zu Folien. Das Auswalzen geschieht auf schweren, geheizten Mehrwalzenwerken. Mit diesem Verfahren werden PVC-Hart- und -Weichfolien mit Durchsatzleistungen von mehreren Tonnen pro Stunde ausgewalzt. F.3.3.4.9 Extrudieren Mit einer kontinuierlich arbeitenden Schneckenstrangpresse werden thermoplastische Kunststoffe am häufigsten geformt. Durch den Aufsatz unterschiedlicher Spritzköpfe lässt sich nahezu jede beliebige Form vom Rohr bis zum komplizierten Profil extrudieren. F.3.3.4.10 Blasen von Hohlkörpern Luftzuführung Blaskopf Extruder Kühlring Kunststoffschlauch Leitbleche Quetschwalzen Aufwickelvorrichtung mit Spannrolle Abbildung F.4: F.3.3.4.11 doppelt flachgelegte Folie (nicht aufgeschnitten) Beim Extrusionsblasen von Hohlkörpern aus thermoplastischen Kunststoffen wird aus einer Ringdüse kontinuierlich ein Schlauch extrudiert. Dieser kann entsprechend Abbildung F.4 durch Quetschwalzen flach gelegt werden, so dass sich auch mit Hilfe der Extrusionstechnik Folien herstellen lassen. In Blasstationen kann auch der abgeschnittene extrudierte Schlauch zu Hohlkörpern aufgeblasen werden. Hohlkörperblasmaschinen haben Fertigungsleistungen bis zu mehreren Tausend Einheiten je Stunde. Folienblasanlage Spritzgießen In Spritzgussmaschinen wird über einen geheizten Kolben thermoplastischer Kunststoff in ein Formwerkzeug eingespritzt. Temperatur des Spritzgusszylinders, Taktzeit der Maschine, Temperatur der geheizten Form und Aushärtezeit müssen - 276 aufeinander abgestimmt sein. Das Spritzgießverfahren dient heute für Massenfertigung von Formteilen aller Arten. F.3.3.4.12 Formpressen Obertisch Patrize (Stempel, Kern) Heizung Kunststoff-Pulver Preßmasse (lose oder tablettiert) In ein aufgespanntes Formwerkzeug (Patrize oder Matrize), welches dauernd beheizt wird, werden abgemessene Mengen vorgewärmter Pressmassen eingebracht. Durch das Schließen der Pressform fließt die Masse unter Hitze und Druck und füllt das Formwerkzeug aus. Das ausgehärtete Formteil wird heiß aus der wieder geöffneten Form ausgestoßen. Heizung Matrize (Gesenk) Untertisch Abbildung F.5: F.3.3.4.13 Schema einer Kunststoffpresse Schäumen Schaumstoffe sind Werkstücke mit einem Luftporenvolumen von 20 % bis über 90 %. Gase, die sich unter hohem Druck in heißen plastischen Massen auflösen, schäumen als physikalische Treibmittel z.B. Polystyrol zu Werkstücken aus Polystyrolschaum (z. B. Styropor) auf. Eine Übersicht über die verschiedenen Schaumstoffarten zeigt die folgende Zusammenstellung (Abbildung F.6): Kunststoffschaum, Hartschaumstoff Geschäumtes Polystyrol Polyurethan Phenolharz Styropor Moltopren T 612 S Begriffe Harnstoffharz Stoffnamen Isoschaum Firmennamen Styrofoam Abbildung F.6: Schaumstoffe aus Kunststoff Dämmstoffe sind harte Schaumstoffe mit einem Porenvolumen von über 90 Vol.%. Ihre Rohdichte liegt unter 0,1 g/cm³. F.3.4 Mechanische Eigenschaften Folgende Eigenschaften sind charakteristisch für die meisten Kunststoffe: • gute chemische Beständigkeit • geringe Dichte • niedriger E-Modul • hohe Temperaturabhängigkeit von Festigkeits- und Verformungsverhalten • bei Thermoplasten niedriger Schmelzpunkt, daher gut schweißbar • ausgeprägte Zeitabhängigkeit von Festigkeit und Verformung - 277 - F.3.4.1 Festigkeit und Verformung bei Kurzzeitbeanspruchung Mit zunehmender Spannung führen folgende Vorgänge zur Verformung der Kunststoffe: 1. Strecken der Molekülketten 2. Scheren des Molekülgerüstes 3. Elastische Dehnung der gestreckten Molekülketten Bei nicht vernetzten Kunststoffen führt die Streckung der Molekülketten häufig zu plastischen Verformungen. Je nach Ausmaß der Vernetzung und je nach Kristallisationsgrad (Dichte) haben Kunststoffe auch bei Normaltemperatur stark unterschiedliche Festigkeits- und Verformungseigenschaften. Zugspannung [N/mm²] Zugspannung [N/mm²] 80 6 Duroplast 60 5 Elastomer 4 40 3 Thermoplast 20 2 1 0 0 10 20 30 Dehnung [%] Abbildung F.7: 0 40 0 35 10 30 8 25 6 20 4 15 2 10 F.3.4.2 8 Streckgrenze [N/mm²] 10²*12 0,92 Abbildung F.8: 4 6 Dehnung * 100 [%] Spannungs-Dehnungslinien von Kunststoffen mit unterschiedlicher Mikrostruktur Schubmodul [N/mm²] 0 2 0,94 0,96 5 0,92 0,94 0,96 Abhängigkeit mechanischer Eigenschaften bei Polyethylen von der Dichte bzw. dem Kristallisationsgrad Zeitstand- und Dauerstandfestigkeit Unter konstanter Dauerlast nehmen die Verformungen der Kunststoffe mit steigender Belastungsdauer zu. Darüber hinaus ist die Zeitstandfestigkeit, d. h. jene konstante Spannung, die der Werkstoff nur über eine begrenzte Zeit ertragen kann, im Vergleich zu anderen Werkstoffen gering. - 278 - Zugspannung σ [N/mm²] 40 30 Zeitbruchlinie 20 ε 10 % 5 2,5 10 1 0,75 0 10 Abbildung F.9: F.3.4.3 -2 10 -1 0 1 2 3 10 10 10 10 Belastungsdauer [h] 10 4 Zeitstandverhalten von Polypropylen bei T = 20 °C Einfluss der Temperatur Festigkeit und Verformbarkeit: Wie bei allen Werkstoffen wächst auch bei Kunststoffen die Verformbarkeit mit steigender Temperatur, während die Festigkeit abfällt. β z [N/mm²] σ [N/mm²] 75 125 bis 85 N/mm² 40 °C 60 a: PE b: PP c: PVC d: PMO 100 68 °C 86 °C 45 75 104 °C 30 50 a b c d 122 °C 15 25 140 °C 0 0 10 bis 130 % 20 30 ε [%] 0 -40 0 40 80 120 Temperatur ϑ [°C] Abbildung F.10: Abbildung F.11: Einfluss der Temperatur auf das Spannungs-Dehnungsverhalten von Plexiglas (PMMA = Polyethylmethacrylat) Kurzzeitfestigkeit einiger Thermoplaste bei Zugbeanspruchung in Abhängigkeit von der Temperatur Je nach Vernetzungsgrad und Kristallinität kann das Verhalten von Kunststoffen bei verschiedenen Temperaturen im wesentlichen in die Bereiche Glaszustand, Erweichung, Fließen und Schmelzen (siehe Abbildung F.12) unterteilt werden. Ebenso wie bei Gläsern kann auch bei Kunststoffen der Übergang vom Glaszustand zum Erweichungsgebiet durch die Glasübergangstemperatur TG beschrieben werden. - 279 - Edyn [N/mm²] 10 10 10 10 10 10 10 4 D: Glasübergangs3 temperatur 4 c: Thermoplast, hornartiger Zustand 2 1 amorph 1 3 d: Thermoplast, 2 kristallin Schmelzen 0 -1 Erweichungsgebiet -2 e: Elastomer Gummielastizität Glaszustand f: Duromer QuasigummiFließen elastizität Fließen Temperatur Abbildung F.12: Veränderung der Steifigkeit und des Aggregatzustandes von Kunststoffen Kriechen: Vor allem wenig oder nicht vernetzte Kunststoffe (Thermoplaste) zeigen mit steigender Temperatur zunehmende Kriechverformungen. Kriechmodul Ek [N/mm²] 5 10 10 10 10 50 25 10 Werkstoff: PVC σk = 10 N/mm² 4 20°C 3 40°C 60°C 2 10 -2 10 -1 10 0 1 2 10 10 Belastungsdauer t [h] 10 3 10 4 Abbildung F.13: Kriechmodul von PVC bei unterschiedlichen Temperaturen Kriechmodul: Ek = σk ε el + ε k (F.3.1) wobei εel = σ / Eel Darüber hinaus fällt die Zeitstandfestigkeit, ausgedrückt in Prozent der Kurzzeitfestigkeit, mit steigender Temperatur weiter ab. - 280 - F.3.5 Dauerhaftigkeit Einen Überblick über die chemische Widerstandsfähigkeit einiger Kunststoffe gibt Tabelle F.2: − Ø + − { + − Ø + { { Ø − { ⊕ Ø + − − − ⊕ + { ⊕ − { stark − Ø ⊕ − − − − ⊕ − − − − + Ø { { + − ⊕ Ø − − + + ⊕ + ⊕ ⊕ − { − − { − + − + + ⊕ ⊕ − Ø Ø − − − + − { { − { ⊕ Ø − Ø − − − − + Ø + + Ø ⊕ + Ø ⊕ − { Ø Fette, Öle − { + + { { { Mineralöl − + + { − + { Treibstoffgem. ⊕ + + + { Benzin − { + { Benzol { + + + + { Chlorkohl.-W. { + + + + + + + Äther ⊕ − − Ø Ketone + + { Ester − − − ⊕ { { { Alkohole + + + + ⊕ + ⊕ schwach + + + + + + + Halogene (trocken) Flußsäure PP PVC hart weich PMMA PS hart Schaum PA UP EP PUR hart Schaum oxidierend hart weich stark PE Chemische Widerstandsfähigkeit einiger Kunststoffe schwach Tabelle F.2: ⊕ { + Ø + + { + + { + { − − − + { + + + + + + + + + + { { + + + + + + + + { + + beständig ⊕ bedingt beständig bis beständig { bedingt beständig ∅ bedingt unbeständig bis unbeständig - unbeständig Manche Kunststoffe verspröden im Laufe der Zeit durch die Einwirkung von Licht (ultraviolette Strahlung). Auch radioaktive Strahlung kann zur Versprödung führen. Die Ursache hierfür liegt in der zunehmenden Vernetzung aufgrund der Strahlungseinwirkung. Auch bei Kunststoffen kann ähnlich wie bei Metallen eine Spannungsrisskorrosion auftreten. Die gleichzeitige Einwirkung von äußeren Zugspannungen und polaren Flüssigkeiten führt zur Versprödung und zur Bildung sowie zum Fortschreiten von Rissen. F.3.6 Verfestigungsmethoden und Erhöhung der Temperaturbeständigkeit Die Eigenschaften der Kunststoffe können durch folgende Maßnahmen verbessert werden: a) Kristallisation Die Auffaltung von Molekülketten führt zu einer Erhöhung der Dichte und der Anzahl der Bindungen zwischen den Ketten. b) Vernetzung - 281 c) Versteifung der Molekülketten Sie bewirkt vor allem eine Erhöhung der Steifigkeit. Dies kann erreicht werden durch Erhöhung der Anzahl der Verknüpfungspunkte der einzelnen Monomere und durch Anlagerung einzelner Riesenmonomere. d) Zugabe von Weichmachern oder Stabilisatoren e) Verwendung von Füllstoffen und Faserbewehrung Pulverförmige Zusätze anorganischer Substanzen können Wärmebeständigkeit, Härte und Abriebfestigkeit der Kunststoffe verbessern und ihre Verformbarkeit reduzieren. Über die Anwendung faserverstärkter Kunststoffe siehe Verbundwerkstoffe, Abschnitt G. F.3.7. Brandverhalten der Kunststoffe Kunststoffe gehören zur Klasse der brennbaren Baustoffe (Klasse B nach DIN 4102; B1 = schwer entflammbar, B2 = normal entflammbar, B3 = leicht entflammbar). Es gibt verschiedene Maßnahmen, die das Brandverhalten der Kunststoffe verbessern: 1. Kunststoffe können durch besondere Zusätze schwerer entflammbar eingestellt werden. 2. Kunststoffe können als Verbundwerkstoffe mit Komponenten aus nicht brennbaren Baustoffen eine wesentlich bessere Hitzebeständigkeit erzielen. F.3.8 Anwendungen im Bauwesen Im Folgenden werden exemplarisch anhand von Beispielen einige Anwendungsmöglichkeiten der Kunststoffe aufgezeigt, die sich in der Praxis bewährt haben. F.3.8.1 Folien Das Hauptanwendungsgebiet von Folien liegt im Bautenschutz bzw. in der Erhaltung von Bauwerken und Bauwerksteilen. Sie dienen vor allem der Abdichtung gegen nicht drückendes Wasser drückendes Wasser Chemikalien und zur Bedachung freiliegender bzw. beschichteter Dachkonstruktionen. Die auf dem Markt befindlichen Abdichtungs- und Bedachungsmaterialien aus Kunststoff weisen unterschiedliche Eigenschaften auf. Vor Verwendung einer Folie muss man sich unbedingt von ihrer Langzeitbeständigkeit gegen Wasser, Witterung, Chemikalien, Öle, Treibstoffe, Bitumen, Klebstoffe und u.U. gegen weitere Einflüsse vergewissern. Besondere Aufmerksamkeit muss den Stoßverbindungen von Kunststofffolien gewidmet werden. Folienbahnen können durch Kleben, Schweißen und Zusammenklemmen verbunden werden. Unter "Stoß" versteht man dabei einen Querstoß, unter "Naht" einen Längsstoß. Am gebräuchlichsten ist der Überlappungsstoß, bei dem sich die Folien an den Rändern überdecken und durch Kleben, Schweißen oder Zusammenklemmen verbunden werden. Verschiedene Arten, Folien miteinander zu stoßen, sind aus der Abbildung F.14 ersichtlich. - 282 Gewöhnlicher Überlappungsstoß Überlappungsstoß mit Luftkanal Überlappungsstoß mit Erdungsdraht oder Folienband Gewöhnlicher Stumpfstoß mit Decklasche Stumpfstoß mit verschweißter V-Naht und Decklasche Stumpfstoß mit Decklasche und Erdungsfolienband Stumpfstoß mit Decklasche und eingeschweißten Kehlschweißschnüren Abbildung F.14: Ausführungsarten verschiedener Folienstöße F.3.8.2 Fugenbänder Bewegungsfugen in Bauwerken haben den Zweck, einzelnen Bauteilen die Möglichkeit zu geben, sich gegeneinander zu verschieben. Bei Betonfundamenten, siehe Abbildung F.15, werden nach Montage der Schalung und der Baustahlbewehrung sog. Arbeitsfugenbänder eingelegt und an der Bewehrung befestigt. Sie haben wie bei den Bewegungsfugen die Aufgabe, die Fuge zwischen den unterschiedlichen Betonbauteilen (Fundament, Wand) abzudichten. Als Werkstoffe werden für diese vorgefertigten Profile sowohl Elastomere als auch PVC-weich verwendet. Wand Fugenband vorbetoniertes Fundament Abbildung F.15: Arbeitsfugenband bei Stahlbetonbauteilen F.3.8.3 Fugenmassen Bauwerksfugen werden mit Fugenmassen ausgefüllt. Fugenmassen sind Dichtungsmassen aus Kunststoffen, die den Bauwerksbewegungen folgen. Sie haben die Aufgabe, das Bauwerk gegen das Eindringen von Wasser zu schützen und müssen beständig sein. Die Adhäsion in der Grenzfläche und die Beständigkeit der angrenzenden Materialien selbst sind von großer Bedeutung. Die Fugenformen für Dehnungsfugen sind in Abhängigkeit von den vorhandenen Bauteilen zu gestalten. - 283 F.3.8.4 Kunststofffassaden Für den Fassadenbau können nur wenige Materialien aus der großen Palette der Kunststoffe Verwendung finden. Speziell kommt für den Bausektor Hart-PVC in Betracht. Dieses Material besitzt eine erhöhte Schlagzähigkeit auch bei Temperaturen unter dem Gefrierpunkt. Eine glatte Oberfläche bietet kaum Ansatzpunkte für Schmutzablagerungen. F.3.8.5 Baulager aus Elastomer-Werkstoffen Bei Auflagerungen aller Art, insbesondere bei Brückenauflagern, hat sich in den letzten Jahren die Verwendung von Elastomeren bewährt. Elastomer Stahlplatten V Zusammendrückung Stahlblech Elastomerschicht Bei hohen Lasten (Brückenbau) werden bewehrte Elastomerlager (Verbundbaustoff) eingesetzt. Dabei handelt es sich um ein schichtenweise zusammengesetztes, aus Elastomerlagen mit Stahlblechen abwechselnd aufgebautes Schichtenpaket. Bei schubfester Verbindung bewirken die Stahlbleche, dass infolge der durch sie hervorgerufenen Querdehnungsbehinderung senkrecht zur Hauptlastrichtung die Übertragung großer Lasten bei geringen Lagerstauchungen ermöglicht wird. Aus Gründen des Korrosionsschutzes ist die allseitige Ummantelung der Stahlbleche mit Elastomeren üblich. Abbildung F.16: Brückenlager Als wesentliche Vorteile von Elastomerlagern sind zu nennen: F.3.8.6 • sichere und dauerhafte Kraftübertragung • weitestgehende Wartungsfreiheit • Beständigkeit gegen chemische Angriffe • einfache Montage • niedrige Einbauhöhe • ggf. im Hochbau Unterbrechung der Körperschallübertragung. Reaktionsharze Reaktionsharze sind Produkte, die bei der Verarbeitung mit jeweils spezifischen Reaktionsmitteln (Härter, Beschleuniger) ohne Abspaltung flüchtiger Komponenten durch Polymerisation oder Polyaddition härten. Die Anwendung solcher Reaktionsharze ist aus der folgenden Tabelle F.3 ersichtlich. - 284 Tabelle F.3: Reaktionsharzanwendung (Verarbeitungsarten) Reaktionsharze Verwendungszweck ohne Zusatz Injektionen mit Lösungsmittel (Xylol, Toluol) Imprägnierungen, Haftvermittler mit Füllstoffen (Schiefermehl, Farb- Spachtelmassen, pigmente) Kleber, Anstriche mit organischen Zusätzen (Schaumbildner) Isolierstoffe mit Mineralfasern (Glasfasern) glasfaserverstärkte Kunststoffe mit Feinzuschlägen (Sand 0/4 mm) Mörtel mit Zuschlagstoffen (Kiessand 0/32 mm) Beton mit Dispergiermittel (Wasser) Imprägnierungen Tabelle F.4: Reaktionsharze im Bauingenieurwesen Polymerisate Duroplaste Polyesterharze (UP) Polyaddukte Epoxidharze (EP) Polyurethanharze (PU) Thermoplaste Polymethylmethacrylat (PMMA) Lieferformen Harz, Härter Katalysator, Beschleuniger flüssig flüssig, pastös, pulverförmig Epoxidharze haben zwei wesentliche Anwendungsgebiete. Das erste ist der Schutz von Bauten gegen mechanische, chemische und atmosphärische Einwirkungen durch korrosionsverhütende Überzüge, Bodenbeläge, Brückenisolierungen und -beläge. Das zweite ist das der kraftschlüssigen Verbindung von Bauteilen, der Haftbrücken zwischen frischem und erhärtetem Beton, der Injektion und der Verankerungen. F.3.8.7 Weitere Anwendungen • Sandwichelemente als raumtrennende Bauteile (nichttragend) • Kunststofffenster • EPS-Leichtbeton: Zuschlagstoffe bestehen aus expandiertem Polystyrolschaumstoff • Putze auf Kunststoffbasis • Polymer-Beton: Kapillarporen des Betons (in der Oberflächenzone) werden mit Kunststoffen gefüllt - 285 - F.3.9. Chemische Kurzzeichen für Kunststoffrohstoffe PIB Polyisobutylen PMMA Polymethylmethacrylat (Acrylglas) PMO Polymethylenoxid (Acetalharz) Celluloseacetobutyrat PP Polypropylen CP Cellulosepropionat PS Polystyrol CR Chloropren-Kautschuk (Polychloropren) PTFE Polytetrafluorethylen PUR Polyurethan EP Epoxidharz PVAC Polyvinylacetat EVA Ethylen-VinylacetatCopolymere PVC Polyvinylchlorid MF Melaminformaldehydharz PVDC Polyvinylidenchlorid NBR Nitrilkautschuk PVF Polyvinylfluorid PA Polyamid SAN Styrol-Acryl-NitrilCopolymere PB Polybuten (Polybutylen) SBR Styrol-Butadien-Kautschuk PC Polycarbonat SI Silicon PE Polyethylen UF Harnstoff-Formaldehydharz PEPT Polyethylenterephthalat UP Ungesättigtes Polyesterharz PF Phenolformaldehydharz ABS Acryl-Butadien-StyrolCopolymere AMMA Acrylnitril-MethacrylatCopolymere CA Celluloseacetat CAB F.3.10. Chemische Kurzzeichen für Kunststoffwerkstoffe GFK Glasfaserverstärkte Kunststoffe GUP Glasfaserverstärktes Polyesterharz HGW Hartgewebe HP Hartpapier HP,dek Dekorative Schichtstoffplatten HSW Holzspanwerkstoffe HSW,dek Holzspanwerkstoffe, dekorativ kunststoffbeschichtet KH Harte Holzfaserplatten, dekorativ kunststoffbeschichtet Literatur: [F.5] BASF - Kunststoffe in der Anwendung – Werkstoffblätter [F.6] Bauen mit Kunststoffen, Carl Hanser Verlag, München, 1973 [F.7] Bayer – Kunststoffe [F.8] BLUNK, G.: Über das Bauen mit Beton und Kunststoff, beton 4/71, 1971 [F.9] DOMKE, W.: Werkstoffkunde und Werkstoffprüfung, Cornelsen-Verlag, Düsseldorf, 1986 [F.10] MENGES, G.: Werkstoffkunde der Kunststoffe, Carl Hanser Verlag, München, 1979 [F.11] SAECHTLING, H.: Kunststoff-Taschenbuch, 26. Aufl., Carl Hanser Verlag, München, 1995 [F.12] SASSE, H.R.; SCHORN, H.: Elastomere als Baulager - Stand der Entwicklung, Plasticonstruction 5/71 [F.13] SCHWARZL, F. R.: Polymermechanik, Springer-Verlag, 1990 - 286 - G Verbundwerkstoffe Problemstellungen und Definitionen: Manche Materialien besitzen Eigenschaften, die sie zur Verwendung als Werk- und Baustoffe nur bedingt tauglich machen. Durch Kombination mit anderen Stoffen kann man aber ihre Eigenschaften soweit verbessern, dass sie als Werkstoffe verwendet werden können. Solche aus mehreren Komponenten oder Einzelwerkstoffen bestehenden Werkstoffe werden als Verbundwerkstoffe bezeichnet. Sie zeichnen sich dadurch aus, dass sie im Vergleich zu den Ausgangsstoffen deutliche Vorzüge besitzen, z.B.: • verbesserte Druck- oder Zugfestigkeit • erhöhte Steifigkeit und Duktilität • verbesserte Formgebung und Herstellung • reduziertes Gewicht, erhöhte Wärmedämmung Beispiele: Beton = Zementstein + Betonzuschlag Stahlbeton = Beton + Stahlbewehrung Leichtziegel = Ton und porenerzeugende Stoffe Mauerwerk = Steine und Mörtel Moderne Verbundwerkstoffe: z.B. faserbewehrte oder gefüllte Kunststoffe, Sandwich-Konstruktionen, Holzwerkstoffe. G.1 Theorie der Verbundwerkstoffe Zielsetzung: G.1.1 rechnerische Abschätzung bestimmter Eigenschaften von Verbundwerkstoffen mit Hilfe von Kennwerten der Einzelkomponenten. Grundmodelle: 1 v 1 2 v 2 Serienanordnung oder ‘weich’ v 1 1 2 v Parallele Anordnung oder ‘hart’ v1; v2 = Volumenkonzentration der Komponenten 1 bzw. 2 v1 + v2 = 1,0 2 - 287 - G.1.2 Rohdichte eines Verbundwerkstoffes ρ = v1.ρ1 + v2.ρ2 , (G.1.1) v2 = 1 - v1 ist (G.1.2) ρ = v1.ρ1 + (1 - v1).ρ2 . (G.1.3) mit wobei G.1.3 ρ = Rohdichte des Verbundwerkstoffes ρ1 = Rohdichte der Komponente 1 ρ2 = Rohdichte der Komponente 2 Wärmeleitfähigkeit λ = v1.λ1 + (1 - v1).λ2 , wobei λ; λ1; λ2 = G.1.4 Schwinden (G.1.4) Leitfähigkeiten des Verbundwerkstoffes bzw. der Komponenten Kombination eines Werkstoffs, der schwindet, mit einem 2. Werkstoff, der nicht oder nur wenig schwindet. Beispiel: Zementstein und Betonzuschlag. v 2 v 1 εs1 = Schwinden der Komponente 1 εs2 = Schwinden der Komponente 2 εs = Schwinden des Verbundwerkstoffes E1; E2 = E-Moduln der Komponenten 1 und 2 σ1; σ2 = Schwindspannungen in den Komponenten 1 und 2 Für εs2 = 0 erhält man: 1. Bedingung: Längenänderung beider Komponenten muss gleich sein: ∆l1 = ∆l2 = ∆l ε s1 + 2. Bedingung: σ1 σ 2 = = εs E1 E 2 (G.1.5) (G.1.6) Gleichgewicht muss erfüllt sein: Ergebnis: σ1.v1 + σ2.v2 = 0 (G.1.7) v 2 ⋅ E2 ε s = ε s1 ⋅ 1 − , v E v E ⋅ + ⋅ 2 2 1 1 (G.1.8) mit E1 = E2 vereinfacht sich Gleichung (D.1.8) zu: εs = εs1.(1 - v2) (G.1.9) v 2 ⋅ E2 ε s = ε s 2 + (ε s1 − ε s 2 )1 − v 2 ⋅ E 2 + v 1 ⋅ E1 (G.1.10) Ist εs2 ≠ 0 so erhält man: - 288 - G.1.5 E-Modul Unterer Grenzwert bei Serienanordnung (‘weich’): Bedingung: σ = σ1 = σ2, v1 ;E 1 da ∆l = ∆l1 + ∆l2 v2 ;E 2 ist ε = ε1.v1 + ε2.v2 , daraus folgt: σ σ σ1 = ⋅ v1 + 2 ⋅ v 2 E E1 E2 (G.1.11) 1 v 1 (1 − v 1 ) = + E E1 E2 (G.1.12) und Oberer Grenzwert bei Parallelanordnung (‘hart’): Bedingung: v1 ;E 1 v2 ;E 2 ε = ε1 = ε2, σ1.v1 + σ2.v2 = σ und E1.ε1.v1 + E2.ε2.v2 = E.ε E = E1.v1 + E2.(1 - v1) (G.1.13) - 289 Beispiel: Beton Zementstein E (N/mm²) b * 104 Zementstein: Zuschlag 4 (1 - vk) = 0,25, EZS = 10.000 N/mm2 2 Zuschlag 3 Zuschlag: vk, Ek ∆: Versuchsergebnisse 1 2 Zementstein 1 E (N/mm²) k 0 2,5 Abbildung G.1: G.1.6 5 7,5 * 10 4 E-Modul von Beton in Abhängigkeit vom E-Modul des Zuschlages Festigkeit Unterer Grenzwert bei Serienanordnung: Festigkeit des Verbundwerkstoffes = Festigkeit der schwächeren Komponente. wobei β = β1, wenn β1 < β2 , (G.1.14) β = β2, wenn β1 > β2 , (G.1.15) β; β1; β2 = Festigkeit des Verbundwerkstoffes bzw. der Komponenten 1 und 2 Oberer Grenzwert bei Parallelanordnung: σ = σ1.v1 + σ2.v2 Ist die Bruchdehnung beider Komponenten gleich, so wird β = β1.v1 + β2.(1 - v1) . (G.1.16) Ist die Bruchdehnung der Komponente 2, εu2 > εu1 so wird β = β 1 ⋅ v 1 + (σ 2 )εu1 ⋅ (1 − v 1 ) . (G.1.16a) - 290 - σ 1 2 (σ22)εu1 )ε (σ u1 ε (σ2)εu1 = Spannung in der Komponente 2 bei einer Dehnung gleich der Bruchdehnung von Komponente 1. ε u1 Abbildung G.2: G.2 Spannungs-Dehnungs-Diagramm der Komponenten 1 und 2 Mauerwerk Mauerwerk besteht aus Wandbausteinen (Ziegel, Kalksandsteine, Beton- oder Leichtbausteine) und Mörtel mit oder ohne Bewehrung. Der Vorzug des Mauerwerks als Verbundwerkstoff gegenüber den Eigenschaften der Einzelkomponenten liegt in der Verbesserung des Formgebungsverfahrens und in der Reduktion der Herstellungskosten. Neben der Aufnahme von Lasten muss Mauerwerk schützende Funktionen (Wärmeund Schalldämmung, Dichtigkeit und Feuerschutz) übernehmen. G.2.1 Mörtel Mörtel bestehen aus einem Bindemittel, mineralischen Zuschlagstoffen und Wasser. Die mineralischen Zuschlagstoffe (Sand) sollen Korngrößen von 4 mm nicht überschreiten. Mörtel für Mauerwerk sind in DIN 1053, Teil 1 genormt. Darin wird zwischen folgenden Mörtelgruppen unterschieden: Tabelle G.1: Mörtelgruppe Mindestdruckfestigkeit von Mörtel nach DIN 1053 Mörtelmindestdruckfestigkeit1) im Alter von 28 Tagen Mittelwert bei Eignungsprüfung 2 1) bei Güteprüfung [N/mm ] [N/mm2] I - - II 3,5 2,5 IIa 7 5 III 14 10 IIIa 25 20 Mittelwert der Druckfestigkeit von 6 Proben (aus 3 Prismen). Die Einzelwerte dürfen nicht mehr als 10 % vom arithmetischen Mittel abweichen. Darüber hinaus sind in DIN 1053 Anforderungen der Leichtmörtel mit verbesserter Wärmedämmung und sogenannte Dünnbettmörtel festgelegt. - 291 Als Bindemittel finden im wesentlichen Luft- und Wasserkalke, hydraulische und hochhydraulische Kalke und Zemente Verwendung. Die Zusammensetzung der verschiedenen Mörtelarten kann der nachfolgenden Tabelle entnommen werden: Tabelle G.2: Mörtel- Mörtelzusammensetzung resp. Mischungsverhältnis in Raumteilen Luft- oder Wasserkalk gruppe I II II a III III a 2) Hydrau- Hochhydr. Zement Sand1) aus natürlichem Gestein Kalkteig Kalkhydrat lischer Kalk Kalk, Putz- und Mauerbinder 1 - - - - 4 - 1 - - - 3 - - 1 - - 3 - - - 1 - 4,5 1,5 - - - 1 8 - 2 - - 1 8 - - 2 - 1 8 - - - 1 - 3 - 1 - - 1 6 - - - 2 1 8 - - - - 1 4 - - - - 1 4 1) Die Werte des Sandanteils beziehen sich auf den lagerfeuchten Zustand. 2) Die Mörtel der Gruppe III a sollen wie Mörtel der Gruppe III zusammengesetzt sein. Die größte Festigkeit soll vorzugsweise durch Auswahl geeigneter Sande erreicht werden. Anforderungen an den Mauermörtel: Im frischen Zustand soll Mauermörtel gut verarbeitbar sein, d.h. er soll eine hohe Plastizität und Geschmeidigkeit und ein gutes Wasserrückhaltevermögen besitzen, damit möglichst gleichmäßige Fugen mit gutem Verbund zu den Mauersteinen hergestellt werden können. Auch im erhärteten Zustand soll der Mauermörtel eine gute Verformbarkeit besitzen, damit er trotz Setzungen, Temperaturwechseln, Schwinden und Quellen nicht reißt und die Dichtigkeit der Fugen erhalten bleibt. Darüber hinaus ist ein guter Verbund zwischen Wandbausteinen und Mörtel erforderlich. In DIN 1053 werden daher auch Anforderungen an die Haftscherfestigkeit zwischen Mörtel und Wandbaustein gestellt. Die Verformbarkeit von Mauermörtel kann durch Kalkzusatz wesentlich erhöht werden. Die Festigkeit der Mörtel sinkt jedoch mit steigendem Kalkgehalt. Besonders gut verarbeitbare und auch im festen Zustand gut verformbare Mörtel besitzen meist eine geringe Festigkeit. Reiner Zementmörtel (Mörtelgruppe III) soll daher vorzugsweise nur für hochbeanspruchte Stellen im Mauerwerk verwendet werden. - 292 Ähnlich wie die Prüfung von Beton ist auch die Prüfung von Mörteln genormt. Die Bestimmung der Druckfestigkeit erfolgt in Anlehnung an die DIN 1164 an prismatischen Probekörpern 40.40.160 [mm3]. G.2.2 Wandbausteine Als Wandbausteine werden verwendet: • Mauerziegel (siehe Abschnitt E.4.6) • Mit hydraulischen Bindemitteln gebundene Steine: Kalksandsteine (siehe Abschnitt E.4.7) Voll- und Hohlblocksteine aus Leichtbeton Gas- und Schaumbetonsteine Hüttensteine nach DIN 398 bestehen aus Hochofenschlacke, die mit Kalk, Zement etc. als Bindemittel verbunden werden. Hüttensteine finden als Voll-, Loch- oder Hohlblocksteine für Mauerwerk Verwendung. Betonsteine sind entweder Hohlblöcke aus Leichtbeton nach DIN 18151 oder Vollsteine und -blöcke aus Leichtbeton nach DIN 18152. Gasbeton- bzw. Porenbetonsteine sind in DIN 1045 bzw. DIN 1046 als Block- oder Plansteine bzw. als Bauplatten genormt (siehe dazu Abschnitt D.11.3). G.2.3 Festigkeit und Verformung von Mauerwerk Ähnlich dem Beton ist Mauerwerk ein spröder Werkstoff mit relativ hoher Druck-, aber geringer Zugfestigkeit. Seine Zugfestigkeit wird im wesentlichen von der Haftfestigkeit zwischen Mörtel und Stein bestimmt. Entsprechend findet unbewehrtes Mauerwerk im konstruktiven Ingenieurbau nur zur Aufnahme von Druckkräften Verwendung. Mauerwerk kann jedoch auch für biege- bzw. zugbeanspruchte Bauwerke verwendet werden, wenn es wie beim Stahlbeton mit Stahleinlagen in den Mauerwerksfugen bewehrt wird. - 293 - G.2.3.1 Festigkeits- und Bruchverhalten Druckspannung σ (N/mm²) 40 Ziegel 30 Mauerwerk 20 ZementMörtel 10 0 Abbildung G.3: 0 0,1 0,2 0,3 Dehnung 0,4 ε (%) Spannungs-Dehnungsdiagramm von Mauerwerk und seinen Komponenten Durch die unterschiedlichen Verformungseigenschaften entsteht im Mauerwerk ein innerer Spannungszustand. Meist ist die Druckfestigkeit des Mörtels geringer als jene der Wandbausteine. Sobald die äußere Beanspruchung die einachsige Druckfestigkeit des Mörtels erreicht, versucht dieser sich stark querzudehnen. Er wird jedoch von den darüber und darunter liegenden steiferen Steinen an der freien Querdehnung behindert. Als Folge davon treten im Stein Zug- und in den Mörtelfugen Druckspannungen senkrecht zur Belastungsrichtung auf. Bei hohen Spannungen herrscht daher im Mörtelbett ein dreiachsiger Druckspannungszustand, in den Steinen dagegen treten Druck-ZugZugspannungen auf. σ x bzw. σ z -Spannungen y + + Riss + + z x - Abbildung G.4: σ y -Spannung Spannungszustände in einem Mauerwerkkörper - 294 Die Querzugspannungen im Stein führen zu vertikalen Rissen parallel zur Beanspruchungsrichtung. Wegen des dreiachsigen Spannungszustandes kann Mauerwerk über die einachsige Druckfestigkeit des M ö r t e l s hinaus beansprucht werden, während die einachsige Druckfestigkeit des S t e i n s kaum oder nur selten erreicht wird. Sind die Mörtelfugen ungleichmäßig gefüllt, so können im Stein Spannungskonzentrationen und Biegespannungen auftreten, welche sich den Querzugspannungen überlagern und die Mauerwerksfestigkeit weiter reduzieren. Abbildung G.5: Unregelmäßige Füllung von Mörtelfugen Aus dieser Beschreibung des Bruchvorgangs ergeben sich die wichtigsten Parameter, welche die Druckfestigkeit von Mauerwerk beeinflussen: • Druck- und Querzugfestigkeit der Mauersteine • Druckfestigkeit des Mauermörtels • Haftverbund zwischen Mörtel und Stein • Fugendicke bzw. Verhältnis zwischen Fugendicke - Steinhöhe • Qualität der handwerklichen Ausführung β β (Mauerwerk) (Mauerwerk) 2 2 [N/mm ] [N/mm ] 40 40 Ziegelfestigkeit Ziegelfestigkeit 30 30 20 20 10 10 0 0 β 20 Abbildung G.6: 40 60 (Mörtel) 2 [N/mm ] 0 0 5 10 Mauerwerksfestigkeit in Abhängigkeit von der Festigkeit des Fugenmörtels β(Mörtel) und der Fugendicke f f [mm] - 295 - G.2.3.2 Verformungsverhalten Der Elastizitätsmodul von Mauerwerk hängt von den E-Moduln der Einzelkomponenten ab. Er kann nach Gleichung (D.1.12) abgeschätzt werden: 1 f 1 s 1 = ⋅ + ⋅ EM s + f Ef s + f Es wobei s = (G.1.12) Steinhöhe f= Fugendicke EM = E-Modul des Mauerwerks Ef = E-Modul der Fuge Es = E-Modul der Steine E (kN/mm²) (Mauerwerk) 20 EZiegel = 14,7 kN/mm² 10 E 0 0 Abbildung G.7: 10 20 30 (Mörtel) (kN/mm²) Abhängigkeit des E-Moduls des Mauerwerks vom E-Modul des Mörtels Ähnlich dem Beton kann auch Mauerwerk bei Feuchtigkeitsverlust bzw. Feuchtigkeitsaufnahme schwinden und quellen und unter Dauerlast kriechen. Bei der Verwendung von gebrannten Steinen sind die Kriech- und Schwindverformungen vor allem auf das Kriechen und Schwinden des Mauermörtels zurückzuführen. Kalksandsteine, Betonsteine und im beschränktem Umfang Ziegel können jedoch zu den Kriech- und Schwindverformungen beitragen. Um Mauerwerkskonstruktionen rissefrei zu halten, sollen in den Wänden, deren freie Schwind- oder Temperaturdehnung z.B. durch eine Randeinspannung behindert wird, in ausreichenden Abständen Bewegungsfugen angeordnet werden. G.3 Moderne Verbundwerkstoffe G.3.1 Grundprinzipien Moderne Verbundwerkstoffe bestehen meist aus einer Matrix, die mit Teilchen verschiedener Größe oder mit Fasern bewehrt sind. Der Bewehrung können dabei verschiedene Aufgaben zukommen: • Erhöhung der Festigkeit • Erhöhung der Duktilität, z.B. durch Verzögerung des Rissfortschritts in der Matrix • Erhöhung der Temperaturbeständigkeit - 296 - Je nach Art der Bewehrung wird unterschieden zwischen: • Dispersionsverstärkung • Partikelbewehrung • Faserbewehrung G.3.2 Dispersionsverstärkte Verbundwerkstoffe Sie bestehen aus einer Matrix (kontinuierliche Phase) und sehr kleinen, gleichmäßig verteilten Partikeln mit einer Größe von 0,01 bis 0,1 mm bei Volumen-Konzentrationen von 1 bis 15 Vol.-%. Die äußere Beanspruchung wird im wesentlichen von der Matrix aufgenommen. Bei Metallen hat die Dispersion die Aufgabe, Versetzungsbewegungen zu behindern. Vorteile: • Erhöhung der Streckgrenze der Matrix durch die Behinderung der Versetzungsbewegung (FRANK-READ-Quellen) • Erhöhung der Temperaturbeständigkeit von Metallen Durch Zugabe von Dispersionen kann bei Temperaturen bis zu 80 % des Schmelzpunktes der Matrix die Streckgrenze bei Normaltemperatur erhalten werden. Beispiel: G.3.3 Verstärkung einer Kupfermatrix durch fein verteilte Silikate oder Aluminiumoxide Partikelbewehrte Verbundwerkstoffe Partikelbewehrte Verbundwerkstoffe bestehen aus einer Matrix und gleichmäßig verteilten Teilchen, deren Größe (> 1 mm) und Konzentration (> 25 Vol.-%) höher als bei einer Dispersionsverstärkung sind. Neben der Matrix beteiligt sich auch die Partikelbewehrung an der Lastaufnahme. Die Partikel beeinflussen vor allem Bruch- und Verformungseigenschaften der Matrix. Weiche Matrix, harte Partikel: Die Matrixverformung wird durch die Partikel behindert, so dass der Verbundwerkstoff steifer als die unbewehrte Matrix ist. Beispiel: Kunststoffmörtel, bestehend aus einer Kunststoffmatrix mit Sand oder Kies als Zuschlagstoff. Im weiteren Sinne ist hier auch Beton einzuordnen Steife und spröde Matrix, weiche Partikel: Spannungskonzentrationen an Rissspitzen in der Matrix werden durch die Partikel abgebaut. Bei kleinen Partikelabständen wird die Risslänge in der Matrix unter dem für eine bestimmte Spannung kritischen Wert gehalten und so der Sprödbruch der Matrix verhindert bzw. verzögert. Beispiel: Durch Aluminiumoxid partikelbewehrtes Silikatglas - 297 Zugfestigkeit des Glases (N/mm²) 200 100 0 0 Abbildung G.8: G.3.4 20 40 60*10 -3 Partikelabstand (mm) Zugfestigkeit von durch Aluminiumoxid bewehrtem Silikatglas Faserbewehrte Verbundwerkstoffe Sie bestehen aus einer Matrix und einzelnen Fasern, die in gleichen oder unterschiedlichen Richtungen angeordnet sein können. Je nach Art der Faser unterscheidet man zwischen: isotropen anisotropen faserbewehrten Verbundwerkstoffen orientierten nicht orientierten Fasern kurzen langen (kontinuierlichen) Fasern Wichtigste Anwendungsgebiete im Bauwesen: • Faserbewehrte Kunststoffe • Fasermörtel und Faserbeton G.3.4.1 Allgemeine Anforderungen Anforderungen an die Matrix: a) Die Matrix soll bei der Herstellung der Verbundwerkstoffe die Fasern nicht zerstören oder ihre Oberfläche beschädigen b) Die Matrix soll duktile Eigenschaften besitzen und den Rissfortschritt hemmen, sobald eine Faser gerissen ist c) Die Matrix soll gegenüber der Faser benetzend sein und mit ihr gute Verbundeigenschaften entwickeln Anforderungen an die Faser: a) b) c) hohe Festigkeit hohe Steifigkeit ausreichende Dauerhaftigkeit Vorteile einer Faserbewehrung: Dünne Querschnitte (Fasern) können im Vergleich zu dickeren Querschnitten relativ fehlerfrei hergestellt werden. Bei Verwendung spröder Werkstoffe als Faserbeweh- - 298 rung kann daher deren Festigkeitspotential in Verbundwerkstoffen ausgenutzt werden. Neben der Festigkeitserhöhung kann eine Faserbewehrung auch die Steifigkeit der Matrix wesentlich verbessern. Es ist auch möglich, eine spröde Matrix mit duktilen Fasern zu bewehren. Dann kann, ähnlich wie bei den partikelbewehrten Verbundwerkstoffen, bei sehr engem Faserabstand der Rissfortschritt in der Matrix kontrolliert und ein Sprödbruch der Matrix verzögert werden. G.3.4.2 Faserwerkstoffe Zur Verstärkung von Kunststoffen werden u.a. eingesetzt: • Glasfasern • Kohlenstofffasern • Kunststofffasern • Metallfasern Einkristallfasern (whisker) dienen insb. der Verstärkung hochfester keramischer Werkstoffe oder von Metallen. Die früher weit verbreiteten Asbestfasern dürfen wegen ihrer Gesundheitsgefährdung nicht mehr verwendet werden. Die am häufigsten eingesetzten Glasfasern bestehen aus E-Glas (E = elektrisch hochwertig), siehe Abschnitt F.2. Glasfasererzeugnisse sind u.a.: • Glasroving: parallel liegende Fasern endloser Länge (∅ = 3 - 15 µm). Sie bestehen aus ca. 60 Einzelfäden, die wiederum aus 50 bis 800 Elementarfäden zusammengesetzt sind, so dass ein Roving bis zu 48.000 Elementarfäden aufweist. • Spinnroving: nicht parallel liegende, versponnene Endlosfasern. • Glasseidenfasern: Kurzfasern (l < 1 mm). • Glasseidenmatten: Matten aus Glasseidenfasern, die z.B. durch Polyesterharz verklebt sind. • Glasseidengewebe: als Kreuzgewebe mit gleicher Rovingzahl in 2 Richtungen. Kohlenstofffasern besitzen besonders günstige Eigenschaften, sind für einen Großeinsatz im Bauwesen jedoch meist zu teuer. Faserdurchmesser: ∅ ≈ 5 bis 50 µm Zugfestigkeit: βZ ≈ 1750 bis 3250 N/mm2 E-Modul: E ≈ 2,8.105 bis 9.105 N/mm2 Metallfasern insb. Stahlfasern werden mit Erfolg zur Faserverstärkung von Beton (Faserbeton) eingesetzt. Kunststofffasern sind nur wirksam, wenn sie einen E-Modul aufweisen, der mindestens so groß ist wie der E-Modul der zu verstärkenden Matrix. - 299 - G.3.4.3 Verbundwerkstoffe mit langen, orientierten Fasern Bezeichnungen: Ff Ff Fm Fc Fm Verbundwerkstoff mit langen, orientierten Fasern Abbildung G.9: Matrix Faser Verbundwerkstoff Fläche Am Af A Volumen Vm Vf V Volumenkonzentration vm vf 1 Lastanteil Fm Ff F Spannung σm σf σ E-Modul Em Ef E Dehnung εm εf ε Zugfestigkeit βm βf β E-Modul parallel zur Faser: Nach (G.1.13) gilt: E = Em.(1-vf) + Ef.vf Folgerung: (G.3.1) Mit steigender Steifigkeit und Volumenkonzentration der Faser wächst die Steifigkeit des Verbundwerkstoffes - 300 - E-Modul senkrecht zur Faser: Nach (G.1.12) gilt: 1 v f (1 − v f ) = + E Ef Em (G.3.2) Von der Faser aufgenommener Lastanteil (senkrecht zur Faser): Mit n = Ef/Em ist vf Ff E ⋅ ε ⋅ vf = f f = n ⋅ Fm E m ⋅ ε m ⋅ v m 1− v f (G.3.3) und Ff Ef ⋅ εf ⋅ v f n⋅ vf = = F Em ⋅ εm ⋅ v m + E f ⋅ ε f ⋅ v f n ⋅ v f + (1 − v f ) Folgerung: Mit steigender Steifigkeit und Volumenkonzentration der Faser steigt der von den Fasern aufgenommene Lastanteil Ff/F Ff/Fm 100 100 10 1 (G.3.4) vf = 0,9 vf = 0,9 0,8 0,7 0,6 0,5 0,4 0,3 0,2 0,8 0,7 0,6 0,5 0,4 0,3 0,2 0,1 10 0,1 0,1 0,1 1 1 10 100 0,1 1 n = Ef/Em 10 n = Ef/Em 100 Abbildung G.10a: Abbildung G.10b: Einfluss des Verhältnisses der E-Moduln von Fasern (Ef) und Matrix (Em) auf das Verhältnis Ff/Fm für eine gegebene Volumenkonzentration der Fasern, vf Gleichung (G.3.3). Einfluss des Verhältnisses der EModuln von Faser (Ef) und Matrix (Em) auf den von der Faser aufgenommenen Lastanteil Ff/F für eine gegebene Volumenkonzentration der Fasern, vf Gleichung (G.3.4). - 301 - Zugfestigkeit des Verbundwerkstoffes: Bei der Verwendung spröder Fasern in einer duktilen Matrix wird die Zugfestigkeit des Verbundwerkstoffes erreicht, sobald die Bruchdehnung der Fasern erreicht ist. Damit ergibt sich aus (G.1.16a): β =β f ⋅ v f +(σ m )εBf ⋅ (1 − v f ) (G.3.5) Lastanteil Lastanteil der Fasern der Matrix εBf = Bruchdehnung der Faser (σ m )ε = Spannung der Matrix bei einer Dehnung εBf Bf Bei linear-elastischem Verhalten der Matrix bis zum Bruch kann die Größe (σ m )εBf nach dem HOOKE´schen Gesetz ermittelt werden: (σ m )ε Bf = E m ⋅ ε Bf (G.3.6) Sonst ist zur Bestimmung von (σ m )εBf die Kenntnis des σ-ε-Diagramms der unbewehrten Matrix erforderlich. Kritische Volumenkonzentration: Die Festigkeit des Verbundwerkstoffes soll größer sein als die Festigkeit der unbewehrten Matrix: β > βm Diese Bedingung ist erst bei einer Volumenkonzentration der Faserbewehrung erfüllt, die größer als ein kritischer Wert v fcrit. ist: β = β f ⋅ v f + (σ m )εBf ⋅ (1 − v f ) Nach (G.3.5) ist Die Bedingung β > βm ist erfüllt, wenn v f > v fcrit = βf β m − (σ m )εBF β f − (σ m )εBf . (G.3.7) c β = β f ⋅ v f + (σ m )εBf ⋅ (1 − v f ) β 1 d β = βm.(1 - vf) βm 2 0 v crit. vf 1,0 Abbildung G.11: Theoretische Abhängigkeit der Festigkeit β eines faserbewehrten Werkstoffs von der Volumenkonzentration der Faserbewehrung vf - 302 - G.3.4.4 Verbundwerkstoffe mit kurzen, orientierten Fasern Aus herstellungstechnischen Gründen kann es sinnvoll sein, anstelle von langen, kontinuierlichen Fasern kürzere, nicht kontinuierliche Fasern zu verwenden. Die Wirksamkeit einer solchen Faserbewehrung hängt dann davon ab, ob über Haftspannungen die von den Fasern aufzunehmende Last von der Matrix in die Faser eingeleitet werden kann. τm Matrix + lH l Faser σ f + τm Abbildung G.12: Spannungsverlauf bei kurzen, orientierten Fasern Diese Bedingung ist nur erfüllt, wenn die Faserlänge größer als ein kritischer Grenzwert lcrit. ist. Er kann wie folgt bestimmt werden: Die von einer Faser aufgrund ihrer Zugfestigkeit maximal aufnehmbare Zugkraft beträgt Fmax = π d2 ⋅ βf 4 , (G.3.8) wobei d = Durchmesser der Faser. Unter der Annahme, die Haftspannungen seien über die Faserlänge gleichmäßig verteilt und erreichen einen mittleren Maximalwert τm, kann eine Zugkraft F über eine Haftlänge lH in die Faser eingeleitet werden: F = π ⋅ d ⋅ lH ⋅ τ m (G.3.9) Die Haftlänge lH, die erforderlich ist, damit ein Bruch der Faser ohne Überschreiten der maximal aufnehmbaren Haftspannung (τm) eintritt, ergibt sich dann aus: Fmax = F π⋅ 2 d ⋅ β f = π ⋅ d ⋅ lH ⋅ τ m 4 lH = βf ⋅d 4τ m (G.3.10) (G.3.11) Die kritische Faserlänge lcrit entspricht der Mindestlänge einer Faser, in der eine Spannung gleich der Zugfestigkeit in die Faser über Haftverbund eingeleitet werden kann. Sie ist mindestens gleich der doppelten Haftlänge lH: l crit = α ⋅ 2l H = α ⋅ βf ⋅d 2τ m (G.3.12) Der Beiwert α berücksichtigt, dass ein Riss in der Matrix nicht immer in der Mitte einer Faser auftritt, so dass α > 1 ist. Die kritische Faserlänge hängt also von den Verbundeigenschaften zwischen Matrix und Faser (τm), von der Zugfestigkeit der Faser (βf) und vom Durchmesser einer Faser (d) ab. Mit kleiner werdendem Faserdurchmesser sinkt auch die kritische Faserlänge lcrit. Für die Wirksamkeit einer Faser gegebener Eigenschaften ist daher das Verhältnis lcrit/d maßgebend. - 303 G.3.4.5 Verbundwerkstoffe mit beliebig orientierten Fasern Verbundwerkstoffe können auch durch kurze, beliebig orientierte Fasern bewehrt werden. Vorteile: • Einfache Herstellung, z.B. durch Mischen von Fasern und Matrix vor dem Erstarren der Matrix • Weitgehend isotropes Verhalten des Verbundwerkstoffes Nachteile: • Bei einer einachsigen Beanspruchung werden nur ca. 40 Vol.-% der zugegebenen Fasern wirksam • In den meisten Fällen kann eine verarbeitbare Mischung zwischen Matrix und Fasern nur dann erreicht werden, wenn die Faserlänge kleiner als die kritische Länge (siehe Abschnitt G.3.4.4) ist Für diesen Fall ergibt sich als kritische Faserkonzentration: v fcrit. = βm η0 ⋅ ηv ⋅ βf (G.3.13) Der Beiwert η0 ≤ 1,0 berücksichtigt, dass nur ein Teil der Fasern in Richtung der angreifenden äußeren Spannung orientiert ist. Für eine 3-dimensionale, nicht orientierte Bewehrung ist η0 ≈ 0,40. Der Beiwert ηv ist < 1,0, wenn die Faserlänge < lcrit nach Gleichung (G.3.12) ist. Beispiele: Glasfaser- oder stahlfaserbewehrter Beton - 304 - H Holz Holz zeichnet sich aus durch geringes Gewicht bei relativ hoher Zug- und Druckfestigkeit sowie leichter Bearbeitbarkeit. Es gehört zu den traditionellen Werkstoffen des Bauwesens und ist auch heute noch ein vorzüglicher Baustoff, der in vielen Fällen mit den Werkstoffen Stahl, Aluminium und Beton erfolgreich konkurrieren kann. Den Vorteilen stehen als Nachteile gegenüber: Korrosionsanfälligkeit, Anisotropie als Folge des Wuchses, Brennbarkeit und schwierige Kontrolle der Werkstoffeigenschaften. Einige dieser Nachteile können durch Verwendung von Holzwerkstoffen, z.B. Sperrholz oder Spanplatten, ausgeschaltet oder reduziert werden. H.1 Aufbau und Struktur H.1.1 Grobstruktur Je nach Orientierung eines Schnittes wird beim Holz zwischen • Hirn- oder Querschnitt • Radial- oder Spiegelschnitt • Tangential- oder Fladenschnitt unterschieden Stammachse Hirn- oder Querschnitt Harzkanal Kambium Bast Borke Tangentialoder Fladenschnitt Jahresring 1Jahr Mark Markstrahl Frühholz Spätholz Radial- oder Spiegelschnitt Abbildung H.1: Grobstruktur des Holzes Im Zentrum eines Hirnschnittes liegt die Markröhre, daran schließen sich die Holzmasse mit aufeinander folgendem Früh- und Spätholz, das Kambium (Wachstumsschicht), die Innenrinde (Bast) und die Außenrinde (Borke) an. Von besonderer Bedeutung sind die Holzfehler, d.h. Abweichungen vom Wuchs und der Beschaffenheit normalen Holzes. Dies sind: • Fehler in der Stammform, z.B. Durchmesseränderungen, Krummschaftigkeit oder Zwieselbildung (Doppelkernbildung) • Fehler im Holzaufbau, z.B. Ästigkeit oder Drehwuchs • Fehler durch äußere Einwirkungen, z.B. Schwindrisse - 305 - H.1.2 Mikrostruktur Holz besitzt einen zellenartigen Aufbau. Nebeneinander liegende Zellen oder Röhren geben dem Holz Festigkeit und sind für seine mechanischen Eigenschaften verantwortlich. Die Zellen oder Röhren haben eine bevorzugte Orientierung in Richtung der Längsachse eines Baumes und werden von Cellulosefasern gebildet, die durch Lignin verkittet sind, siehe Abschnitt H.1.3. Aufgrund seiner Mikrostruktur ist Holz in hohem Maße anisotrop. H.1.3 Chemische Zusammensetzung 40 - 60 Vol.-% Cellulose: (C6H10O5)n in Form von Kettenmolekülen, deren Polymerisationsgrad n zwischen 1000 und 2000 liegt. Die Molekülketten sind orientiert und teilweise kristallin. Die Cellulose bildet röhrenförmige Einzelzellen, die durch 20 - 30 Vol.% Lignin und 20 - 25 Vol.-% Hemicellulose verkittet sind. Beim lebenden Baum besteht die Zellenfüllung im wesentlichen aus Wasser, Eiweißstoffen, Kohlenhydraten und Luft. H.2 Holzarten Im konstruktiven Ingenieurbau finden vor allem folgende Holzarten Verwendung: a) Nadelhölzer: Kiefer: Harzreiches Holz für Hoch- besonders für Brücken- und Wasserbauten geeignet; Hauptvorkommen in Nord- und Osteuropa Lärche: Festes, dauerhaftes, gegen Pilzbefall und Insektenfraß beständiges Bauholz, jedoch fast nur noch in den Alpenländern in größeren Mengen zu finden Fichte: Gutes Bauholz mit langer Lebensdauer, solange es ständig trocken oder unter Wasser gehalten wird; nicht für Wasserbauten geeignet; Vorkommen hauptsächlich in deutschen Mittelgebirgen Tanne: Verformbarer und weicher als Fichte; Verwendung im Hochbau b) Laubhölzer: Eiche: Verwendung für druckverteilende Unterlagen, Knaggen, Dübel; wegen hoher Widerstandsfähigkeit auch für Wasserbauten geeignet Buche: Druckverteilende Unterlagen, Knaggen, Dübel; nur beschränkt und nach vorhergehender Schutzbehandlung im Brückenbau verwendbar H.3 Mechanische Eigenschaften H.3.1 Festigkeit Richtwerte für die Zug- und Druckfestigkeiten verschiedener Holzarten bei Beanspruchung parallel zur Faserrichtung sind in der folgenden Tabelle zusammengestellt. Sie wurden an fehlerfreien normgerechten Proben ermittelt. - 306 Tabelle H.1: Mittelwerte der Festigkeit verschiedener Hölzer bei einer Holzfeuchtigkeit u = 12% Rohdichte bei u = 12 % Druckfestigkeit Zugfestigkeit Biegefestigkeit ρ βD βZ βB kg/dm3 N/mm2 N/mm2 N/mm2 Fichte (Rottanne) 0,47 40 80 68 Tanne (Weißtanne) 0,47 40 80 68 Kiefer (Föhre) 0,52 45 100 80 Lärche 0,59 48 105 93 Eiche (Traubeneiche) 0,67 52 110 95 Esche 0,69 50 130 105 Rotbuche 0,69 60 135 120 Weißbuche Hainbuche 0,77 60 135 130 Holzart +/− σ D, Z II (N/mm²) Im Vergleich zu den meisten anderen Baustoffen ist die Zugfestigkeit des Holzes größer als seine Druckfestigkeit. Der Grund liegt im Knicken der Röhrenstruktur bei Druckbelastung. βZ 90 Zug β ZP 75 Die Werte in der Tabelle zeigen ferner, dass im Allgemeinen mit steigender Rohdichte die Festigkeit des Holzes anwächst. 60 βD 45 Druck βDP 30 15 tg α= σ/ε =E α tgα ≡ σ/ε = E II 0 0 2 4 6 +/− ε D, Z Abbildung H.2: Da die Rohdichte über den Durchmesser eines Holzstammes ungleichmäßig ist, besitzt ein Holzstamm auch eine über den Querschnitt ungleichmäßige Festigkeitsverteilung. Im Allgemeinen führt ein hoher Anteil an Spätholz zu einer hohen Festigkeit. 8 (°/oo) Spannungs-Dehnungs-Diagramm von Holz Ferner sind die Wuchseigenschaften des Holzes zu beachten: Im Vergleich zu astfreiem Holz ist die Zugfestigkeit von astigem Holz wegen der auftretenden Kerbspannungen wesentlich geringer (bis zu 80% Festigkeitsabfall). Der Einfluss der Ästigkeit auf die Druckfestigkeit von Holz ist dagegen weniger stark ausgeprägt (bis zu 25 % Festigkeitsabfall). Aus diesem Grunde sind die in der DIN 1052 (Holzbauwerke) anzusetzenden Zugfestigkeiten, abhängig von der Sortierklasse, kleiner bzw. gleich den entsprechenden Druckfestigkeiten. Von besonderem Einfluss auf die Festigkeit des Holzes ist sein Feuchtigkeitsgehalt. Wie bei den meisten Werkstoffen, die Wasser aufnehmen können, sinkt die Festigkeit eines Holzes mit steigendem Feuchtigkeitsgehalt, allerdings nur bis zum sogenannten Fasersättigungspunkt. - 307 Definition der Holzfeuchtigkeit u (%): u= wobei = (H.3.1) Masse des im Holz enthaltenen Wassers mf = Masse des Feuchten Holzes mtr = Holzmasse nach Ofentrocknung (N/mm²) D 120 , mf - mtr w= β w ⋅ 100 g tr Fasersättigungspunkt 80 Rotbuche Fichte 40 0 0 Abbildung H.3: 20 40 60 Holzfeuchtigkeit u (%) 80 100 Druckfestigkeit βD in Abhängigkeit von der Holzfeuchte u β/β 0 (%) 100 80 Druck 60 Biegung 40 Zug 20 0 0° Abbildung H.4: 15° 30° 45° Winkel zwischen Kraft- und Faserrichtung 60° Festigkeit in Abhängigkeit vom Winkel zwischen Kraft- und Faserrichtung Der anisotrope Aufbau des Holzes führt dazu, dass Druck-, Biege- und Zugfestigkeit vom Winkel zwischen Kraft und Faserrichtung abhängig sind. Parallel zur Faserrichtung hat das Holz die größte, senkrecht dazu die geringste Festigkeit. - 308 - H.3.2 Spannungs-Dehnungslinien und Elastizitätsmodul Holz zeigt bei Zugbeanspruchung nahezu linear-elastisches Verhalten, bei Druckbeanspruchung eine deutliche Abweichung von der Linearität, insbesondere bei höheren Feuchtegehalten. σ D (N/mm²) 80 70 Ebenso wie die Festigkeit hängt auch das Spannungs-Dehnungsverhalten von Holz vom Feuchtigkeitsgehalt ab. Trockenes Holz ist nahezu ideal elastisch. Feuchtes Holz zeigt zwar geringere Festigkeit, aber größere Verformbarkeit und duktiles Verformungsverhalten. u = 0,7 % 60 50 40 u = 18,4 % 30 u = 43 % 20 10 0 0 2 4 6 ε (°/οο) Abbildung H.5: 8 10 Spannungs-Dehnungslinien für verschiedene Feuchtegehalte u E (N/mm²) 3 16*10 14 Buche 12 Der Einfluss des Winkels zwischen Kraftund Faserrichtung auf den E-Modul des Holzes kann für drei verschiedene Holzarten dem nebenstehenden Diagramm entnommen werden. Eiche 10 Fichte 8 6 4 2 0 0° 15° 30° 45° 60° 75° 90° Winkel zwischen Kraft- und Faserrichtung Abbildung H.6: H.3.3 Einfluss des Winkels zwischen Kraft- und Faserrichtung auf den E-Modul des Holzes Schwinden und Quellen Als Folge seiner Zellenstruktur und seiner hohen inneren Oberfläche schwindet und quillt Holz bei Wasserentzug bzw. Wasseraufnahme. Diese Volumenänderungen sind in verschiedene Richtungen unterschiedlich stark: Größenordnungen der gesamten Schwind und Quellverformungen: Tangential: Radial: Achsial: 5 - 10 % 3-5% 0,2 - 0,5 % - 309 Gewichtszunahme (%) 60 Gewichtsveränderung achsial 50 40 Quellen (%) 30 5 tangential Quellen tangential radial 4 20 10 3 radial 2 1 0 0 achsial 0 3 7 15 22 30 Tage Wasserlagerung Abbildung H.7: 30 2 7 14 28 43 Tage Luftlagerung 43 Quellen und Schwinden in Abhängigkeit von der Lagerung Die unterschiedlichen Eigenschaften des Holzes in verschiedenen Richtungen können zu einem Verwerfen oder Verziehen der Querschnitte und zu Rissbildungen führen. Abbildung H.8: H.3.4 Querschnittsverformungen des Holzes Kriechen Unter Dauerlast kriecht das Holz, d.h. die elastischen Augenblicksverformungen nehmen im Laufe der Zeit zu. Dabei werden Werte für das Kriechmaß ϕ = Kriechverformung/elastische Verformung nach langer Belastungsdauer zwischen 0,5 und 3 beobachtet. Ähnlich dem Beton kriecht auch das Holz umso mehr, je höher der Feuchtigkeitsverlust während der Belastung ist. Hohe Dauerlasten können zum Bruch führen. Die Zeitstandfestigkeit des Holzes nach 10-jähriger Belastung kann zwischen 45 und 65 % der Festigkeit bei Kurzzeitbelastung schwanken. Sie nimmt mit steigendem Feuchtegehalt ab. - 310 - H.4 Holzwerkstoffe Zielsetzung: Vergütung des Holzes insbesondere durch Verringerung der Anisotropie und Porosität. Verwendung von Abfallholz Pressvollholz: Verfestigung durch Pressen erhöhte Rohdichte reduzierte Porosität erhöhte Festigkeit reduziertes Schwinden geringe Anisotropie Lagenholz: Schichtholz durch paralleles Verleimen von Einzelhölzern Sperrholz: Kreuzweises Verleimen von Furnieren Holzspan- und Holzfaserwerkstoffe: Holzwolleleichtbauplatten = Holzspäne + mineralische Bindemittel. Holzspanplatten durch Verleimen von Holzspänen mit verschiedenen Klebern Holzverbundwerkstoffe: Verbundplatten aus Holzwerkstoffen, die ein- oder zweiseitig z.B. mit Kunststoffen als Feuchteschutz oder zur Verbesserung des Verschleißwiderstandes oder des Widerstandes gegen Bewitterung beschichtet sind H.5 Holzschutz H.5.1 Schädigungsarten • Witterung (Feuchte, UV- Strahlung, Frost und Temperaturschwankungen) • Thermischer Angriff (hohe Temperatur, Feuer) • Biologischer Angriff (Pilze, Insekten, Bakterien) • Chemischer Angriff H.5.2 Witterung Witterungseinflüsse verursachen eine Verfärbung und Veränderung der Holzoberflächen; Schwinden bzw. Quellen des Holzes. Schutzmaßnahmen: Baulicher Holzschutz (Konstruktive Maßnahmen zum Fernhalten von Feuchtigkeit); Oberflächenbehandlung oder Beschichtung, z.B. mit Ölen, Kunststoffen, Kunststoffdispersionen etc. H.5.3 Bei Thermischer Angriff T > 150°C: Beginn des Abbaus der Holzstruktur, Gasbildung T > 200°C: Selbstentzündung Bildung einer Holzkohleschicht an den Oberflächen, die wärmeisolierend wirkt Schutzmaßnahmen: Verzögerung der Entzündungszeit durch Feuerschutzmittel oder Beschichtungen - 311 - H.5.4 Biologischer Angriff verbleibende Druckfestigkeit (%) 100 90 80 70 60 50 40 Porenhausschwamm 30 Kellerschwamm 20 echter Hausschwamm 10 0 0 1 2 3 4 5 6 Einwirkungsdauer (Mon.) Abbildung H.9: Tabelle H.2: Verbleibende Druckfestigkeit nach einer Pilzschädigung Günstige Bedingungen für Pilzbefall Holzfeuchte Temperatur in °C echter Hausschwamm Porenschwamm Kellerschwamm 20 - 28 % 40 - 50 % ca. 55 % 18 - 22 25 - 28 22 - 26 Angriff durch tierische Schädlinge: Beispiele: • Hausbock • Ameisen • Termiten Folgen: Je nach Umfang der Schädigung Reduktion der Tragfähigkeit Schutzmaßnahmen: Imprägnieren mit fungiziden bzw. insektiziden Holzschutzmitteln, z.B. wasserlösliche Schutzsalze oder ölige Schutz- und Bekämpfungsmittel (siehe DIN 68800, Holzschutz im Hochbau) Verwendung von Kernholz oder resistenten Holzarten - 312 Literatur: [H.1] WESCHE, K. H.: Baustoffe für tragende Bauteile, Bd. 4, Bauverlag GmbH, Wiesbaden, 1981 [H.2] KOLLMANN, F.: Technologie des Holzes und der Holzwerkstoffe, SpringerVerlag, Berlin / München, 1951 [H.3] KNÖFEL, D.: Stichwort: Holzschutz, Bauverlag GmbH, Wiesbaden, 1979 [H.4] ILLSTON, I. M. & DINWOODIE, I. M., SMITH, A. A.: Concrete, Timber and Metals, van Nostrand Reinhold, International Student Edition, 1979 [H.5] GÖTZ, K. H. & HOOR, D., MÖHLER, K. & NATTERER, J.: Holzbauatlas, HimmerVerlag, Augsburg, 1991 [H.6] ROSTÀSY, F. S.: Baustoffe, Kohlhammer-Verlag, Stuttgart, 1983 - 313 - I Bituminöse Baustoffe – Bitumen, Teer und Peche Bitumen und Teer sind organische Werkstoffe, die im Bauwesen häufig verwendet werden. Bei ihrer Anwendung wird weniger von ihren Festigkeitseigenschaften, sondern mehr von ihrer Klebefähigkeit, Dichtigkeit und Verformbarkeit Gebrauch gemacht. Bitumen und Teer finden daher vorwiegend Verwendung im Straßenbau als Bindemittel sowie als Kleb-, Sperr- und Dichtungsmittel im Wasser- und Hochbau. I.1 Definitionen Bitumen: Im Erdöl enthaltene Kohlenwasserstoffgemische mit einer hohen Anzahl an Kohlenstoffatomen. Bitumen wird als Rückstand bei der Destillation geeigneter Erdöle gewonnen Asphalt: Technisch hergestelltes oder natürlich vorkommendes Bitumen-Mineral-Gemisch Naturasphalt: Erdölhaltiges Gestein, aus dem die leichteren (kohlenstoffärmeren) Bestandteile verdunstet sind Teer: Kohlenstoffreicher Rückstand nach der thermischen Zersetzung organischer Stoffe, z.B. Holzteer, Braunkohlenteer, Steinkohlenteer Pech: Destillationsrückstand des Teers, Bindemittelanteil des Teers I.2 Bitumen I.2.1 Aufbau und grundsätzliche Eigenschaften Maltene Mizelle Maltene Abbildung I.1: Schematischer Aufbau von Bitumen Schutzschicht (Asphaltharze) Asphaltene - 314 Bitumen besteht aus: • einer öligen Phase (Matrix) = Maltene, Molekulargewicht: 500 - 1000 • einer festen Phase (Füller) = Asphaltene, Molekulargewicht: 5000 - 100.000 Die Asphaltene können von einer Schutzschicht aus Asphaltharzen umgeben sein. Die Einheit Asphaltene - Asphaltharze wird als Mizelle bezeichnet. Die Struktur des Bitumens entspricht der eines Soles, d.i. eine kolloidale Lösung der Asphaltene in den Maltenen, ohne dass ein steifes Traggerüst entsteht. Die mechanischen Eigenschaften, im besonderen die Festigkeit, Verformbarkeit und Temperaturbeständigkeit, hängen vom Verhältnis Maltene/Asphaltene entscheidend ab. Als nichtkristalliner Werkstoff sind die Eigenschaften des Bitumens in hohem Maße temperaturabhängig (thermoplastisch). Bitumen besitzt keinen definierten Schmelzpunkt, sondern einen Erweichungspunkt. Unterhalb der Temperatur, bei der die Erweichung eintritt, verhält sich Bitumen relativ spröde, oberhalb dieser Temperatur ist es gut verformbar und zeigt viskose Eigenschaften. Eine Verkettung der Asphaltene untereinander wird durch die Schutzschicht aus Asphaltharzen verhindert. Beim Oxidationsbitumen (geblasenem Bitumen) wird diese Schutzschicht durch Einblasen von Luft zerstört, so dass ein starres Gerüst aus Asphaltenen mit der Struktur eines Geles entsteht. I.2.2 Bitumenarten Durch verschiedene Modifikationen und Beimengungen können die Eigenschaften von Bitumen über einen weiten Bereich variiert werden. Entsprechend können die Bitumenarten in die Hauptgruppen • Heißbitumen • Verschnittbitumen • Bitumenemulsionen eingeordnet werden. I.2.2.1 Heißbitumen Sie müssen vor der direkten Bearbeitung erhitzt werden. Heißbitumen werden nach ihrem Erweichungspunkt weiter unterteilt in: • Destillationsbitumen • Hochvakuumbitumen • Oxidationsbitumen Der Rückstand nach der Erdöldestillation, meist unter Anwendung eines Vakuums wird als Destillationsbitumen bezeichnet. Es hat einen Erweichungspunkt zwischen 27 und 72°C und zeichnet sich durch gute Klebefähigkeit und hohe plastische Verformbarkeit aus. Das Hochvakuumbitumen wird unter Anwendung eines erhöhten Vakuums hergestellt und hat einen geringeren Ölanteil als Destillationsbitumen und entsprechend einen erhöhten Erweichungspunkt (85 - 140°C). - 315 Durch Einblasen von Luft in heißflüssiges, weiches Destillationsbitumen entsteht das Oxidationsbitumen (siehe Abschnitt I.2.1) mit einem Erweichungspunkt von 70 175°C. Straßenbaubitumen wird durch Destillation und ggf. anschließende Oxidation hergestellt und findet vorzugsweise im Asphaltstraßenbau Anwendung. I.2.2.2 Verschnittbitumen Durch Zugabe von Verschnittölen kann die Verarbeitbarkeit von Bitumen erhöht und der Erweichungspunkt u.U. soweit reduziert werden, dass auch ein Kalteinbau des Bitumens möglich ist. Durch langsames Entweichen des Lösungsmittels erhärtet das Verschnittbitumen im Laufe der Zeit. Sog. Fluxbitumen sind weiche Bitumen, die mit geeigneten Erdöldestillaten verschnitten, d.h. vermischt oder fachlich heute richtig "gefluxt" werden, wodurch ihre Viskosität so herabgesetzt wird, dass sie nur leicht angewärmt verarbeitet werden können. Polymermodifizierte Bitumen enthalten Zusätze von Polymeren von ca. 3 M.-% zur Verbesserung ihrer Standfestigkeit bei Wärme (erhöhter Erweichungspunkt) und der Haftung an Mineralstoffen. I.2.2.3 Bitumenemulsion Die Kaltflüssigkeit von Bitumen kann durch Herstellung einer Wasser-BitumenEmulsion erreicht werden. In einer solchen Emulsion ist das Bitumen in Form kleiner Kugeln im Wasser gleichmäßig verteilt. Die Kugelbildung des Bitumens wird durch Zugabe von oberflächenaktiven Stoffen, den sog. Emulgatoren gefördert. I.2.3 Chemische Eigenschaften und Beständigkeit Bitumen zeigt gegenüber vielen organischen und anorganischen Salzen und anorganischen Säuren eine hohe Beständigkeit. Bitumen ist dagegen in anderen Erdölfraktionen (Benzin, Öl) und in anderen, meist organischen Lösungsmitteln, wie Tetrachlorkohlenstoff und Trichloräthylen löslich. Wie bei vielen organischen Stoffen kann Bitumen im Laufe der Zeit bei Vorhandensein von Sauerstoff und Sonnenlicht etwas verspröden. Diese Beeinflussung beschränkt sich jedoch auf die Oberflächen der aus Bitumen hergestellten Konstruktion. - 316 - I.2.4 Mechanische Eigenschaften und Prüfmethoden Die Eigenschaften von Bitumen werden primär durch folgende charakteristische Größen beschrieben: Penetration (Eindringtiefe): 100 g Sie ist ein Maß für die Härte des Bitumens. Es wird die Strecke bestimmt, um die eine mit 100 g belastete Nadel bei 25°C in 5 Sekunden in das Bitumen eindringt. 100 g vor der Prüfung nach 5 Sek. Bitumen Bitumen Abbildung I.2: Penetrationsversuch Erweichungspunkt: Bestimmt wird die Temperatur, bei der eine Bitumenschicht unter festgelegten Bedingungen (u.a. Innendurchmesser des Ringes: 15,9 mm; Höhe: 6,4 mm; Ausgangstemperatur des Wasserbades i.d. Regel: 5°C) bei gleichmäßiger Erwärmung um 5°C/min. eine bestimmte Verformung durch Auflegen einer Stahlkugel von 3,50 g Gewicht erfährt. 25,4 mm Abbildung I.3: Erweichungspunktversuch mit Ring und Kugel Brechpunkt: Bitumen 40+/-0,1 mm Abbildung I.4: 36,5+/-0,1 mm Der Brechpunkt ist diejenige Temperatur, bei der eine auf ein Stahlblech (Abmessungen 41.20.0,15 mm3) aufgeschmolzene Bitumenschicht von 0,5 mm Dicke bei gleichmäßiger Abkühlung bricht oder Risse bekommt, wenn sie unter festgelegten Bedingungen wiederholt gebogen wird. Prüfmethode zur Bestimmung des Brechpunktes Die Lage des Brechpunktes gibt einen Anhalt für das Verhalten des Bitumens bei niedrigen Temperaturen. - 317 Duktilität: Ein Probekörper wird unter festgelegten Bedingungen unter konstanter Ziehgeschwindigkeit (in der Regel 5 cm/min) auseinandergezogen, bis der entstehende Faden reißt. Die erreichte Verlängerung des Probekörpers wird in cm gemessen. Abbildung I.5: I.2.4.1 Duktilitätsprüfmethode Verformungseigenschaften -7 Im nebenstehenden Diagramm ist die Abhängigkeit der absoluten Viskosität von der Temperatur für verschiedene Bitumenarten dargestellt. Mit steigender Temperatur nimmt die Viskosität ab, d.h. die Verformbarkeit nimmt zu. 2 abs. Viskosität [10 N sec./mm ] 10 8 10 6 destilliertes Bitumen 10 4 Oxidationsbitumen 10 2 Bezüglich der Definition des Begriffs Viskosität siehe Anhang. Verschnittbitumen 10 1 -18 5 Abbildung I.6: 25 60 93 135 T [°C] Temperaturabhängigkeit der Viskosität für verschiedene Bitumenarten Entsprechend kriecht Bitumen unter konstanter Dauerlast, wobei die Verformung mit der Zeit annähernd linear anwächst. Reines Destillationsbitumen verhält sich daher wie eine Newton´sche Flüssigkeit. ε k [%] 100 T = 20 °C 80 60 40 33,3 % T = 10 °C 20 0 T = 0°C 0 100 Abbildung I.7: 500 0,063 % 1000 t [sec.] Kriechkurven für Destillationsbitumen bei verschiedenen Temperaturen - 318 - I.2.4.2 Festigkeitseigenschaften Die Festigkeitseigenschaften von Bitumen hängen wesentlich von der Herstellungsart und vom Aufbau des Bitumens ab. Seine Festigkeit fällt mit • steigendem Lösungsmittelgehalt • steigender Temperatur • sinkender Prüfgeschwindigkeit Da reines Bitumen im Normalfall nicht lastabtragende Funktionen hat, ist nicht so sehr die Festigkeit des reinen Bitumens von Bedeutung, sondern das Tragverhalten von Bitumen-Mineral-Gemischen (Asphalt, Asphaltbeton). Je nach Mischungsverhältnis und Bitumenarten kann Asphaltbeton Festigkeiten erreichen, die seine Anwendung als Tragschicht im Straßenbau ermöglichen. Seine Eigenschaften werden durch die Eigenschaften des Bindemittels Bitumen weitgehend beeinflusst, so dass auch Asphaltbeton je nach Temperatur spröde und fest oder verformbar und weich sein kann. I.2.5 Anwendungsgebiete im Bauwesen Im Straßenbau findet Bitumen Anwendung als Bindemittel für: • Oberflächenschutzschichten • Kompressionsbeläge (Beläge, die im Laufe der Zeit durch fortschreitende Verdichtung, z.B. aus dem Verkehr, eine Festigkeitssteigerung erlangen) • Kornstabile Beläge (nach dem Betonprinzip) • Tragschichten aus Bitumenzuschlaggemischen Ferner wird Bitumen als Bindemittel für Beläge und Dichtungen im Wasserbau verwendet. Im Hochbau findet Bitumen auf folgenden Gebieten Verwendung: • als Kleb-, Tränk- und Deckmasse für Dachpappen • als Korrosionsschutzmittel für Metalle • als Bindemittel für Estriche und Fußbodenbeläge I.3 Teer Je nach Rohstoff, aus dem durch thermische Zersetzung Teer erzeugt wurde, wird unterschieden zwischen: • Holzteer • Braunkohleteer • Steinkohleteer Rohteer ist nicht ohne weiteres verarbeitbar und enthält Wasser und Leichtöle. Er muss durch Destillation weiter aufbereitet werden. Die Destillate der Teere sind die Teeröle, die Destillationsrückstände sind die Teerpeche. Werden durch Destillation lediglich das Wasser und die Leichtöle entfernt, so entsteht destillierter Teer. Durch Abdestillieren aller Ölanteile entsteht Teerpech. Werden den Teerpechen später einzelne Ölfraktionen zugegeben, erhält man den präparierten Teer. - 319 - I.3.1 Aufbau und grundsätzliche Eigenschaften Ähnlich dem Bitumen ist Teer eine kolloidale Lösung hochmolekularer Harze in niedrigmolekularen Ölen. Entsprechend ist die Struktur des Teers ein Sol. Wie auch beim Bitumen können durch Einblasen von Luft eine Erstarrung und Gelstrukturbildung des Teers erzielt werden. Wie schon beim Bitumen sind auch die Eigenschaften von Teer zeit- und temperaturabhängig. Die Temperaturspanne zwischen Erweichung und Versprödung ist bei Teer jedoch wesentlich kleiner als beim Bitumen. Bei Raumtemperatur ist Teer weicher und verformbarer als Bitumen. Ähnlich dem Bitumen zeigt Teer große Beständigkeit gegen chemische Angriffe. Durch den Verlust an flüchtigen Bestandteilen verspröden Teere im Laufe der Zeit und sind einer Alterung durch Sauerstoff- und Lichteinwirkung unterworfen. Manche Teere besitzen eine fungizide und insektizide Wirkung, so dass Teer im Bautenschutz von besonderer Bedeutung ist. Teere weisen meist einen intensiven Geruch auf, so dass sie in geschlossenen Räumen nur bedingt verwendbar sind. Bitumen und Teer sind im Allgemeinen nicht in jedem Verhältnis miteinander vermischbar. I.3.2 Anwendungen im Bauwesen Teer findet wie Bitumen als Bindemittel im Straßenbau sowie als Dichtungs- und Sperrmittel im Wasser- und im Hochbau Verwendung. Wegen seines geringeren Verarbeitungsbereichs, der starken Geruchsentwicklung und der Neigung zur zeitabhängigen Versprödung ist die Verwendung von Teer im Bauwesen im Laufe der vergangenen Jahre zu Gunsten von Bitumen zurückgegangen. Literatur: [I.1] VELSKE, S.: Baustofflehre, bituminöse Stoffe, Werner Verlag, 1971 [I.2] VELSKE, S.: Straßenbautechnik, 3. Auflage, Werner Verlag, 1993 [I.3] SHELL: Bitumen für den Straßenbau und andere Anwendungsgebiete, 7. Auflage, Deutsche Shell Aktiengesellschaft, 1994 - 320 - LITERATURHINWEISE [1] Domke, W.: Werkstoffkunde und Werkstoffprüfung. Verlag W. Girardet, Essen, 1993 [2] Guy, A. G.: Metallkunde für Ingenieure. Akad. Verlagsgesellschaft, Frankfurt / Main, 1978 [3] Heckel, R.: Einführung in die technische Anwendung der Bruchmechanik. Carl Hanser Verlag, München, 1983 [4] Hornbogen, E.: Aufbau und Eigenschaften von Keramik-, Metall-, Polymer- und Verbundwerkstoffen. Springer-Verlag Berlin - Heidelberg - New York, 1994 [5] Illston, J. M.: Concrete, Timber and Metals. van Nostrand Reinhold Co. Ltd., 1979 [6] Ilschner, B.: Werkstoffwissenschaften; Eigenschaften, Vorgänge, Technologien. Springer-Verlag Berlin - Heidelberg - New York, 1990 [7] Knoblauch, H., Schneider, U.: Bauchemie. Werner-Verlag, Düsseldorf, 1992 [8] Macherauch, E.: Einführung in die Versetzungslehre. Universität Karlsruhe, Institut für Werkstoffkunde I, 1970 [9] Mang, F., Knödel, P.: Schweißen und Schweißverbindungen. Stahlbau Handbuch Band 1 Teil A, Stahlbau - Verlagsgesellschaft mbH, Köln 1993 [10] Röbert, S.: Systematische Baustofflehre, Bd. I-II, VEB Verlag für Bauwesen, Berlin, 1972 [11] Rostasy, F. S.: Baustoffe. Verlag W. Kohlhammer, Stuttgart - Berlin - Köln - Mainz, 1983 [12] Schatt, W.: Einführung in die Werkstoffwissenschaft. VEB Deutscher Verlag für Grundstoffindustrie, Weinheim, 1991 [13] Wesche, K.: Baustoffe für tragende Bauteile. Bd. I-IV, Bauverlag GmbH; Wiesbaden, Berlin, 1974/1981 [14] Wulff, J.: The Structure and Properties of Materials. Vol. I-IV; John Wiley & Sons Inc., 1964 [D.3.1] Grübl, P.; Weigler, H., Karl, S.: Beton - Arten, Herstellung, Eigenschaften. Ernst & Sohn, Berlin, 2001 [D.3.2] Reinhardt, H.W.: Beton. In Beton-Kalender 2002, Ernst & Sohn, Berlin, 2002 [D.3.3] DIN 1048: 1991-06, Teile -1, -2, -4, -5: Prüfverfahren für Beton [D.3.4] Bauregelliste A, Bauregelliste B und Liste C, Ausgabe 200/1, Mitteilungen Deutsches Institut für Bautechnik 31, Sonderheft Nr.22, Ernst & Sohn, Berlin 2000 [D.3.5] Hinweise für Prüfstellen zur Erteilung von allgemeinen bauaufsichtlichen Prüfzeugnissen. Mitteilungen Deutsches Institut für Bautechnik 31 (2000), Nr. 2, S. 50-56 [D.3.6] Muster Verordnung über die Anerkennung als Prüf-, und Überwachungs-, oder Zertifizierungsstelle nach Bauordnungsrecht (PÜZAVO). Mitteilungen Deutsches Institut für Bautechnik 27 (1996), Nr. 6, S. 344-348 [D.4.1] ZEMENT-TASCHENBUCH 1984, Bauverlag GmbH, Düsseldorf [D.4.2] CZERNIN, W.: Zementchemie für Bauingenieure, Bauverlag GmbH, Wiesbaden-Berlin, 1977 [D.4.3] HILSDORF, H. K. & REINHARDT, H. W.: Beton aus Betonkalender 2000, Verlag Ernst & Sohn, Berlin, 2000 [D.4.4] GRÜBL, P.; WEIGLER, H.; KARL, S.: Beton: Arten - Herstellung - Eigenschaften, Verlag Ernst & Sohn, Berlin, 2001 [D.4.5] BASALLA, A.: Baupraktische Betontechnologie Bauverlag GmbH, Düsseldorf, 1984 [D.4.6] DEUTSCHER BETON- UND BAUTECHNIK-VEREIN E. V.: Betonherstellung und Verwendung nach neuer Norm, Verlag Ernst & Sohn, Berlin, 2003 [D.4.7] Richtlinie für die Herstellung von Beton unter Verwendung von Restwasser, Restbeton und Restmörtel, September 1991, DEUTSCHER AUSSCHUSS FÜR STAHLBETON, Beuth Verlag GmbH Berlin, 1991 - 321 [D.8.1] POWERS, T. C., BROWNYARD, T. L.: Studies of the Physical Properties of Hardened Portland Cement Paste, Research Laboratories, Portland Cement Association, Bulletin No. 22, 1948 [D.9.1] NEVILLE, A. M., DILGER, W. H., BROOKS, J. J.: Creep of plain and structural concrete, Construction Press, London - New York, 1983 [D.9.2] MÜLLER, H. S., KVITSEL, V.: Kriechen und Schwinden von Beton – Grundlagen einer neuen DIN 1045 und Ansätze für die Praxis. Beton- und Stahlbetonbau 97, 2002, Heft 1, S. 8-19. [D.10.1] DEUTSCHER AUSSCHUSS FÜR STAHLBETON, Richtlinie für hochfesten Beton, 1995 [D.10.2] DIN 1045-1:2001-07, Tragwerke aus Beton, Stahlbeton und Spannbeton, Teil1: Bemessung und Konstruktion [D.10.3] HENNING, O., KNÖFEL, D.: Baustoffchemie, Verlag für Bauwesen, Berlin, Bauverlag GmbH, Wiesbaden und Berlin, 1997 [D.10.4] BICZÓK, J.: Betonkorrosion – Betonschutz, 6. Auflage, Bauverlag, Wiesbaden, 1968 [D.10.5] KNOBLAUCH, H., SCHNEIDER, U.: Bauchemie, 4. Auflage, Werner Verlag, Düsseldorf, 1995 [D.11.1] REINHARDT, H. W. 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Auflage, Werner Verlag, 1993 [I.3] SHELL: Bitumen für den Straßenbau und andere Anwendungsgebiete, 7. Auflage, Deutsche Shell Aktiengesellschaft, 1994 - AN 1 - ANHANG Modelle zur Beschreibung des zeitabhängigen Verformungsverhaltens nicht-kristalliner Werkstoffe - Viskoelastizitätstheorie Problemstellung: Die Verformungen vieler Werkstoffe, z.B. der Kunststoffe, des Bitumens und des Betons, setzen sich aus reversiblen und irreversiblen sowie aus zeitabhängigen und zeitunabhängigen Anteilen zusammen. Diese Verformungsanteile sind in hohem Maße temperaturabhängig. Da die Verformungseigenschaften der Werkstoffe für die in einem Bauwerk zu erwartenden Verformungen und für die Verteilung der Schnittgrößen in statisch unbestimmten Tragwerken von großer Bedeutung sind, wurden Theorien entwickelt, mit denen die Verformungseigenschaften der Werkstoffe durch Modellvorstellungen (Rheologische Modelle) dargestellt und daraus abgeleitete Gesetzmäßigkeiten berechnet werden können. Definitionen der Viskosität Ein Werkstoff hat viskose Eigenschaften, wenn er unter Last bleibende, zeitabhängige Verformungen aufweist. Er verhält sich dann ähnlich wie eine Flüssigkeit unter Last. Diese Eigenschaft kann durch ein Modell, das sogenannte Dämpfungselement, dargestellt werden. Kolben Verformung εv Flüssigkeit mit der Zähigkeit (Viskosität) η Abbildung AN.1: Dämpfungselement Das Dämpfungselement besteht aus einem Kolben und einem Zylinder, der mit einer Flüssigkeit gefüllt ist. Die Flüssigkeit kann durch Öffnungen im Kolben aus dem Zylinder entweichen. Damit verschiebt sich bei σ = const. der Kolben in Abhängigkeit von der Zeit. Eine Flüssigkeit, die der folgenden Gesetzmäßigkeit folgt, heißt Newton'sche Flüssigkeit: σv = η ⋅ wobei σf dε v σ σ ; dε v = v dt; ε v = v ∫ dt; dt η η = Spannung t = Zeit η = Viskosität (AN.1) Die Viskosität η ist ein Maß für den Widerstand eines Werkstoffes gegen Fließen. Je höher η, um so größer ist der Widerstand gegen Fließen bzw. um so geringer ist die Fließ- bzw. viskose Verformung. - AN 2 Die viskosen Eigenschaften einer Newton'schen Flüssigkeit können durch die absolu10 −7 N sec . te oder die dynamische Viskosität η in der Maßeinheit Poisse 1 P = bemm 2 schrieben werden. Die dynamische Viskosität ist zwar eine Materialkenngröße. Bei manchen Werkstoffen ist sie jedoch spannungsabhängig. Sie ist immer temperaturabhängig und fällt mit steigender Temperatur: η = f(σ) (häufig) η = f(T) (immer) Definition der Maßeinheit Poisse: Ein laminar strömender, homogener, isotroper Körper (= Newton'sche Flüssigkeit) hat die dynamische Viskosität von 1 P (1 Poisse), wenn bei einer Schubspannung von 10-5 N/cm2 ein Geschwindigkeitsgefälle von 1 cm/sec je Zentimeter auftritt. Für die Modellvorstellung des Dämpfungselements zeigt Gleichung (AN.1), dass bei einer Newton'schen Flüssigkeit mit der Viskosität η, die durch eine konstante Spannung σf beansprucht ist und aus einem durchlässigen Zylinder ausströmen kann, sich die Dehnung (Kolbenweg) proportional zur Zeit ändert. Bei veränderlicher Spannung ist die Spannung in der Flüssigkeit der Dehnungsänderung proportional. Die Viskosität η ist dem E-Modul bei elastischer Verformung ähnlich, denn nach dem Hooke'schen Gesetz gilt: σE = E.εE (Beachte: hier ist ε nicht zeitabhängig) σE E (AN.2) εE = Rheologische Modelle: Nur wenige Werkstoffe sind in ihren Eigenschaften Newton'sche Flüssigkeiten (z.B. einige Bitumenarten). Viele Werkstoffe besitzen neben viskosen (irreversible, zeitabhängige) auch elastische (reversible) Verformungsanteile. Ihre Verformungseigenschaften können durch erweiterte Modelle, sog. rheologische Modelle, beschrieben werden. Die rheologischen Modelle werden häufig aus den folgenden zwei Grundelementen aufgebaut: Grundelemente Dämpfungselement Feder σV = η σE = E ε E η E σE Kenngrößen: dε V dt σV E-Modul E Viskosität η (Federkonstante) Abbildung AN.2: Grundelemente der rheologischen Modelle - AN 3 Durch Kombination der Grundelemente erhält man die folgenden Modelle: Maxwell-Modell Kelvin- oder Voigt-Modell E E η η σ σ Burgers Modell E1 E2 η2 η 1 σ Abbildung AN.3: Maxwell-, Kelvin- (Voigt-) bzw. Burgers-Modell Maxwell-Modell: Voigt/Kelvin-Modell: σ = σE = σ v σ = σE + σ v ε = εE + ε v ε = εE = ε V Differentialgleichungen: dε 1 dσ σ = + dt E dt η σ = E⋅ε + η⋅ dε dt Beispiele: Beispiel 1: Konstante Dauerlast (Kriechen) und darauf folgende Entlastung σ σ 0 t=0 t=t1 Abbildung AN.4: Lastgeschichte t t' - AN 4 - Maxwell: Voigt / Kelvin: Lösung der Gleichungen Für t < t1 ist σ = σ0 = const. ε= σ0 σ0 ⋅t + E η ε= E⋅t − σ0 ⋅ 1 − e η E Für t > t1 (nach der Entlastung) ist σ0 = 0 ε= σ0 ⋅ t1 = const. η ε = ε1 ⋅ e − E⋅t η ε ε ε t=0 t=t1 t 1 t=0 t=t1 t Beim Maxwell-Modell steigt unter konstanter Dauerlast die Kriechverformung linear mit der Zeit an und bleibt nach der Entlastung konstant. Nur wenige Werkstoffe zeigen ein solches Verhalten. Beim Voigt-Modell stellt sich bei der Belastung noch keine Verformung ein (für viele Stoffe nicht zutreffend), die Dehnung wächst aber mit der Zeit nicht linear an. Nach der Entlastung tritt eine elastische Nachwirkung, d.h. ein Rückgang der Kriechverformung, ein. Für t → ∞ ist ε = 0. Die elastische Nachwirkung wird zwar bei vielen Werkstoffen beobachtet, seltener jedoch, dass die Verformung auf Null zurückgeht. Das einfache Voigt-Modell ist daher häufig nicht wirklichkeitsnah. Eine Kombination Maxwell-Modell + Voigt-Modell = Burgers-Modell kann jedoch zu befriedigenden Ergebnissen führen. Für t < t1 ist Für t > t1 ist 1 1 1 ε = σ0 ⋅ + ⋅t + E1 η1 E2 E ⋅t − 2 ⋅ 1 − e η2 E E − 2 ⋅ t1 − 2 ⋅t ' σ0 σ0 η2 η2 ε= ⋅ t1 + ⋅ 1− e ⋅e E 2 η1 . , (AN.3) (AN.4) wobei η1; E1 = Kennwerte des Maxwell-Modells η2; E2 = Kennwerte des Voigt-Modells t' = t - t1 Für den Fall, dass η1 = η2 und E1 = E2, gilt: Für t < t1: Für t > t1: σ ε= 0 E E⋅t − σ ⋅ 2−e η + 0 ⋅t η σ σ ε = 0 ⋅ t1 − 0 η E E⋅t E⋅t − 1 − η ⋅ 1− e ⋅e η (AN.5) ' (AN.6) - AN 5 Beispiel 2: ε = const; gesucht: σ (t) ε ε0 t Lösung: σ = σ 0 ⋅ e − E⋅t η σ σ0 t Abbildung AN.5: Relaxation nach dem Maxwell-Modell Beachte: Für manche Werkstoffe sind diese einfachen Modelle noch nicht ausreichend, um deren Verformungsverhalten zu beschreiben. Durch weitere Kombination von Grundelementen und Wahl verschiedener Kenngrößen für η und E ist es jedoch möglich, mit dieser Methode das Verformungsverhalten vieler Werkstoffe zu beschreiben. Literatur: [AN.1] FLÜGGE, W.: Viscoelasticity, Blaisdell Publishing Company, Waltham, Toronto, London, 1967