Gelebte Sexualität der reifen Frau
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Gelebte Sexualität der reifen Frau
FORTBILDUNG + KONGRESS GRUNDLAGEN FÜR DIE BERATUNG Gelebte Sexualität der reifen Frau Renate Wiesner-Bornstein Sexualität im Alter ist in unserer Gesellschaft und vielleicht auch in unseren eigenen Köpfen immer noch mit einem spürbaren Tabu belastet. Während der ältere Mann durchaus positive Bewertungen erfährt, hat die Wertschätzung älterer Frauen und ihrer Sexualität auch in unserer modernen und sexuell freizügigeren Zeit kaum zugenommen. Unsere Patientinnen haben jedoch das Recht, auch mit ihren sexuellen Problemen und Anliegen einen kompetenten Ansprechpartner in uns zu finden. Darum lohnt es sich, danach zu fragen, welche Bedingungen eigentlich das Sexualleben älterer Frauen charakterisieren. situation (die Kinder gehen ihre eigenen Wege) prägen in gleicher Weise den Ausdruck von Sexualität ab der Lebensmitte. Ganz unterschiedliche Faktoren beeinflussen unsere Sexualität. Im Wesentlichen zählen dazu: n biologische Grundlagen, n Persönlichkeitsfaktoren bzw. partnerschaftsbezogene Faktoren sowie n gesellschaftliche Normen und Werte. Will man also etwas Substanzielles zu diesem Thema aussagen, sollten in der Forschung immer mehrere Disziplinen an entsprechenden Untersuchungen beteiligt sein. Die Einstellung der Gesellschaft zur Sexualität der Älteren – besonders negativ kommen die älteren Frauen weg – schränken die Lebensmöglichkeiten von Sexualität weiter ein. Zu den biologischen Faktoren bei der Frau zählt zum einen die hormonelle Umstellung durch das Klimakterium mit all ihren uns gut bekannten Folgen: Hitzewallungen, schlechter Schlaf, trockene Scheide, Schmerzen beim Verkehr. Zum anderen kann es durch medikamentöse Therapie von Alterserkrankungen zu Libidoverlust kommen. Gynäkologische Operationen und Tumorerkrankungen können das Sexleben einer Frau ebenfalls meist negativ beeinflussen. Die persönliche Einstellung einer Frau zur Sexualität, persönliche Charaktereigenschaften, Vorerfahrungen aus der Vergangenheit, die Beziehung zum Partner, das gelebte Leben mit dem Partner und die Familien- 332 FRAUENARZT n 51 (2010) n Nr. 4 Sexualität in der zweiten Lebenshälfte – eine empirische Untersuchung In einer Untersuchung von Bucher, Hornung und Buddeberg wurden 641 Männer und 857 Frauen aus der deutschsprachigen Schweiz im Alter zwischen 45 und 91 Jahren befragt (2). Es fanden sich folgende Ergebnisse: n Sexualität bleibt bis in höchste Lebensalter ein relevantes Thema. Dies widerlegt das Vorurteil des asexuellen Alters. Erst ab 75 Jahren ist ein starkes Absinken von sexuellem Interesse und Aktivitäten zu erkennen. n Zwischen dem lebendigen sexuellen Interesse und der tatsächlichen sexuellen Aktivität klafft eine Lücke. Das kann z.B. an Krankheiten oder an einem fehlenden Partner liegen. n Die Mehrheit der älteren Menschen ist mit ihrem Sexualleben eher zufrieden oder sogar sehr zufrieden. Man deutet dies als Zusammenhang mit einer Anpassung der Erwartungen an die jeweils gegebenen Möglichkeiten. Die meisten Menschen jenseits der Lebensmitte scheinen über mehrere Möglichkeiten zu verfügen, Sexualität im Alter – nur für Männer? In der Geschichte gibt es zahlreiche Beispiele und Aussagen älterer Männer zur Sexualität, jedoch kaum Beiträge von Frauen. So dichtete Goethe mit 65: „So sollst du, muntrer Greis, Dich nicht betrüben, Sind gleich die Haare weiß, Doch wirst du lieben.“ Doch äußerten sich verschiedentlich auch Frauen sehr deutlich zu diesem Thema: Fürstin Metternich z.B. antwortete auf die Frage, ab welchem Alter eine Frau von ihrem Körper nicht mehr behelligt werde – gemeint ist hier in sexuellen Dingen: „Ich weiß es nicht, ich bin erst 65 Jahre alt.“ Die Dichterin Claire Goll (1890–1977), die nach ihrem 80. Geburtstag noch körperliche Liebe mit einem weitaus jüngeren Mann erlebte, wiederum konstatierte dazu: „Die Liebe hat weder mit dem Geburtsdatum noch mit Schönheit oder Gesundheit zu tun. Mit achtzig Jahren kann man lieben wie mit sechzehn. Die Falten graben sich ins Gesicht ein, aber nicht ins Herz oder ins Geschlecht.“ (Zitate aus 6) n Am stärksten wird die Sexualität in der zweiten Lebenshälfte neben dem Alter von der lebensgeschichtlichen Bedeutung der Sexualität sowie von einem aktiven Lebensstil beeinflusst. Es scheint so, dass im höheren Lebensalter die in früheren Lebensphasen erworbenen Handlungsund Orientierungsmuster wirksam werden, das gilt dann auch für den Bereich der Sexualität. n Der bereits in der mittleren Lebensphase stark ausgeprägte Wunsch nach Zärtlichkeit bleibt bis ins hohe Alter bestehen. Jedoch konnte ein Trend „Von der Genitalität zur Zärtlichkeit“ nicht bestätigt werden. Die Situation der Frauen ist durch einige besondere Aspekte gekennzeichnet: n Bei Frauen ist ein stärkerer Rückgang der sexuellen Aktivität festzustellen als bei Männern. Wichtigste Determinante hierfür ist der Partnerstatus. Es ist bekannt, dass Menschen mit festem Partner sexuell aktiver sind. Da Männer früher sterben, haben Frauen häufiger einen Mangel an sexuellen Partnern in höherem und erst recht in hohem Lebensalter. n Eine wichtige Rolle spielt auch die unterschiedlich ausgeprägte gesellschaftliche Akzeptanz und Toleranz gegenüber einem sexuell aktiven alten Mann und einer sexuell aktiven alten Frau. n Das sexuelle Erleben und Verhalten nach den Wechseljahren wird auch durch gesellschaftliche Vorstellungen darüber geprägt, ob das Ende der Reproduktionsfähigkeit auch das Ende der Sexualität einer Frau bedeutet. Für viele Frauen der älteren Generation kann daraus eine Verunsicherung im sexuellen Bereich resultieren. n Die Menopause – also das Ausbleiben der Periode – kann jedoch auch als sexuelle Befreiung erlebt werden, wenn die Angst vor einer unerwünschten Schwangerschaft wegfällt, auch wenn man meint, dass das in Zeiten der Pille keine Rolle mehr spielen dürfte. n Spielte die Sexualität in jungen Jahren eine wichtige Rolle, ist das sexuelle Interesse auch in der zweiten Lebenshälfte größer. Das gilt sowohl für Frauen wie für Männer. Was hat sich im Sexualverhalten von Frauen verändert? Eine repräsentative Befragung von 521 Frauen von Beate Schultz-Zehden erfasst nicht nur das aktuelle Sexualleben – sexuelles Verhalten und FRAUENARZT n 51 (2010) n Nr. 4 FORTBILDUNG + KONGRESS ihren Selbstwert und ihr Wohlbefinden aufrecht zu erhalten. Dies gibt ihnen die Flexibilität, der Sexualität je nach Lebenssituation einen mehr oder weniger großen Stellenwert beizumessen, weshalb unerfüllte Wünsche nicht als so einschneidend erlebt werden. 333 FORTBILDUNG + KONGRESS Erleben – von Frauen im höheren Erwachsenenalter, sondern fragt auch nach den Veränderungen der gelebten Sexualität (5). Das Ergebnis der Befragung widerlegt die Ansicht, dass das sexuelle Verlangen mit Beginn der hormonellen Umstellung deutlich abnimmt und bestätigt damit die Aussagen der oben zitierten Befragung. Das Spektrum der sexuellen Bedürfnisse reicht dabei vom täglichen Wunsch nach se- xuellem Kontakt bis hin zur völligen Ablehnung (s. Abb. 1). Zwischen dem 50. und 60. Lebensjahr wünschen sich die befragten Frauen durchschnittlich mehrmals im Monat Sex, hingegen möchte die Hälfte aller Frauen gar keine sexuelle Beziehung mehr. Allerdings war der Wunsch nach sexuellen Kontakten größer als die tatsächlich gelebte Sexualität. Vorhan- Wunsch nach sexuellen Kontakten 100 % 80 60 40 n mehrmals / Woche n bis 5-mal / Monat n weniger als 1-mal / Monat n gar nicht 20 0 50–54 55–59 60–64 Altersgruppen 65–70 Abb. 1: Die repräsentative Befragung von 521 Frauen zeigte, dass das sexuelle Verlangen mit Beginn der hormonellen Umstellung keineswegs deutlich abnimmt (5). Sexuelle Aktivität – Koitushäufigkeit dene sexuelle Bedürfnisse bleiben demnach bei einigen Frauen unbefriedigt (s. Abb. 2). Mit zunehmendem Alter nimmt nicht nur die Häufigkeit, sondern auch die Anzahl der Frauen mit sexuellem Verkehr ab. Danach erlebt ein Viertel der 50- bis 55-Jährigen nach eigenen Angaben keine aktive Sexualität mit Geschlechtsverkehr, bei den 65- bis 70Jährigen waren es bereits 66 Prozent. In diesem Alter gibt nur noch jede dritte Frau an, sexuell aktiv zu sein. Der wichtigste Grund für fehlenden sexuellen Kontakt ist auch in dieser Studie, wie oben dargelegt, zu mehr als 50% das Fehlen eines Partners. Darüber hinaus gibt die Studie Hinweise darauf, dass sich das sexuelle Verhalten von Frauen geändert hat. Es fand sich z.B. eine kleinere Gruppe von sogenannten „sexuell emanzipierten“ Frauen zwischen 50 und 65 Jahren, die über ein äußerst erfülltes und befriedigendes Sexualleben berichteten. Sie sind sexuell besonders aktiv, ergreifen zum Teil häufiger als ihr Partner die Initiative im Sexualleben und übernehmen anstelle des passiven Parts auch immer mehr eine aktive Rolle. Bei ihnen fiel auf, dass sie mit ihrem Partner über ihre Sexualität, eigene Bedürfnisse, Wünsche oder Probleme besser sprechen konnten als die übrigen Frauen in der Untersuchungsgruppe. % 80 60 40 n mehr als 1-mal / Woche n bis 5-mal / Monat n weniger als 1-mal / Monat 20 Wenn es für Frauen auch immer noch schwierig ist, über eigene sexuelle Wünsche zu sprechen und sie auszuleben, so scheint die Gesellschaft mittlerweile doch der weiblichen Sexualität, auch im Alter, mehr Akzeptanz entgegenzubringen. So ist es nicht mehr ungewöhnlich, wenn sich ältere Frauen jüngeren Männern zuwenden. Auch dafür gibt es einige prominente Beispiele. 0 50–54 55–59 60–64 65–70 Altersgruppen Abb. 2: Die Befragung ergab auch, dass der Wunsch nach sexuellen Kontakten und die tatsächlich gelebte Sexualität sich nicht decken (5). 334 FRAUENARZT n 51 (2010) n Nr. 4 Ist Alter wirklich so relevant für unser Sexualleben? Dieser Frage geht eine weitere Interviewstudie nach (3). Um den Einfluss des Alters beurteilen zu können, wurden 776 Männer und Frauen im Alter von 30, 45 und 60 Jahren befragt. Zunächst einmal war festzustellen, dass Sexualität im Sinne von Koitus bei allen Altersgruppen in der Regel, nämlich in 95 Prozent, in festen Beziehungen stattfindet, nur in 5 Prozent bei Singles. Die Koitusfrequenz, also die Häufigkeit von Geschlechtsverkehr, sinkt mit der Beziehungsdauer – was nicht besonders überrascht. Überraschend ist jedoch, dass 30-, 45- und 60-Jährige, die in gleich langen Beziehungen leben, in etwa die gleichen mittleren Koitusfrequenzen haben. In den ersten sechs Beziehungsjahren, davon in den ersten beiden Jahren der „Paarfindung“ besonders intensiv, findet danach bei allen Altersgruppen am häufigsten Verkehr statt. Danach sinkt die Frequenz. Sie bleibt dann in den fol- genden 20 bis 25 Beziehungsjahren relativ stabil. Die Deutung und Aussage von Paaren dazu ist: „Verloren haben wir die emotionale Lebendigkeit und Leichtigkeit des Anfangs, gewonnen haben wir Bindung.“ es gibt signifikant häufiger sexuelle Probleme. Sind die Wünsche nach Sex und Zärtlichkeit bei beiden Partnern kongruent, so ist dies die beste Voraussetzung für eine gelungene Sexualität. Die Dauer der Beziehung hat also den größten Einfluss auf die sexuelle Aktivität. Erst danach kommt die Qualität der Beziehung. Das Alter der Befragten spielt dagegen eine deutlich geringere Rolle als erwartet. Was beeinflusst die sexuelle Zufriedenheit von Frauen? Darüber hinaus beobachtet man in etablierten Beziehungen oft, dass der Wunsch nach häufigem Sex eher typisch für den Mann, der Wunsch nach Zärtlichkeit eher typisch für die Frau wird. Will der Mann öfter Sex haben als die Frau, hat das, wie man sich gut vorstellen kann, negative Folgen für das Paar: Die Qualität der gemeinsamen Sexualität wird geringer eingeschätzt, das Sexualleben häufiger als belastend empfunden, Betrachtet man zunächst einmal den Einfluss persönlicher Merkmale auf die sexuelle Zufriedenheit von Frauen, so spielen das Körperbild und damit die Bewertung der eigenen körperlichen Attraktivität bzw. der körperlichen Erscheinung eine sehr wichtige Rolle (4). Alterungsprozesse bei Frauen werden immer noch als Attraktivitätsverlust wahrgenommen und als sexuelle Entwertung erlebt. Es ist bekannt, dass Frauen ihren Körper wesentlich kritischer betrachten. So entwickeln sie häufiger Schamgefühle bezüglich ei- FORTBILDUNG + KONGRESS nes zu hohen Körpergewichts als Männer. Im Gegensatz zu Männern fehlt ihnen darüber hinaus häufiger die Chance, fehlende körperliche Attraktivität durch andere Qualitäten, z.B. berufliche Erfolge, zu kompensieren. Ein positives Selbstwertgefühl dagegen scheint zu einer besseren Durchsetzung eigener sexueller Wünsche und damit zu einer besseren sexuellen Zufriedenheit zu führen. Eine gute psychische Befindlichkeit ist eine der wichtigsten Voraussetzungen für sexuelles Wohlergehen von Frauen; bei Frauen ab 45 Jahre ist ein positiver Zusammenhang zwischen Optimismus und Zufriedenheit mit dem Sexualleben festzustellen. Betrachten wir nach den persönlichen Merkmalen genauer den Einfluss partnerschaftlicher Merkmale auf die sexuelle Zufriedenheit von Frauen: n Danach sind sexuell zufriedene Frauen auch mit ihrer Partnerschaft zufriedener und denken seltener über eine Trennung nach. Die sexuelle Zufriedenheit von Frauen steigt mit der Dauer der Beziehung. Sexuelle Zufriedenheit und Zufriedenheit mit der Beziehung beeinflussen sich gegenseitig. n Emotionale Nähe in der Partnerschaft, emotionale Verbundenheit, gegenseitige Zuneigung und Treue der Partner ist für Frauen von größerer Bedeutung für eine befriedigende Sexualität als die Häufigkeit des Geschlechtsverkehrs. n Partnerschaftliche sexuelle Kommunikation ist wichtig: Das Sprechen über eigene sexuelle Bedürfnisse und Abneigungen sowie die allgemeine partnerschaftliche Kommunikation über Sexualität stehen in einem engen Zusammenhang mit der sexuellen Zufriedenheit von Frauen. Die aktive Rolle der Frau ist hierfür wichtig, wie schon in der Untersuchung von Schultz-Zehden für die Gruppe der mit ihrer Sexualität besonders 336 FRAUENARZT n 51 (2010) n Nr. 4 zufriedenen Frauen erwähnt. Die „Kosten-Nutzen-Balance“ ist besser, wenn die jeweiligen Wünsche bekannt sind. n In der allgemeinen Kommunikation der Partner korrelieren ein offener Kommunikationsstil der Frau und empathisches Zuhören des Mannes mit hoher sexueller Zufriedenheit. n Gleichberechtigung in der Partnerschaft scheint sich positiv auszuwirken; denn es gibt einen Zusammenhang zwischen allgemeiner und sexueller Selbstbestimmung. Dadurch wird die sexuelle Begegnung positiv beeinflusst. Daraus lässt sich ein wichtiges Fazit ziehen, das auch Konsequenzen für die Behandlung sexueller Störungen hat: Sexuelle Funktionsstörungen sind nicht gleichbedeutend mit dem Erleben von sexueller Unzufriedenheit. Sexuelle Zufriedenheit wird vielmehr von zahlreichen anderen Faktoren wie emotionaler Nähe und gelungener Kommunikation wesentlich beeinflusst. Deshalb sollten nicht nur biologisch bedingte Funktionsstörungen betrachtet werden, sondern ebenso die psychosozialen Ressourcen, die einer befriedigenden Sexualität von Frauen (und damit auch von Männern) förderlich sind. Sex im Alter in den Medien Der Film „Wolke 9“ aus dem Jahr 2008 greift das Thema Sexualität im Alter offensiv und provokativ auf und gibt Hoffnung auf einen offeneren gesellschaftlichen Umgang damit. Die realistische Darstellung der Sexszenen polarisiert anscheinend das Publikum – wo die einen den offensiven Umgang mit diesem Thema ermutigend finden, stößt die anderen der Anblick alter Menschen, die sich leidenschaftlichem Sex hingeben, eher ab. Wie man hört, wurde der Film bei seiner Vorführung in Cannes trotzdem entgegen allen Erwartungen von Kritikern und Publikum überwiegend po- sitiv bis begeistert aufgenommen. Es zeigte sich, dass hier ein Thema aufgegriffen wurde, das vor allem den Älteren am Herzen lag, und dass die Zeit für die Gesellschaft für das Thema Sexualität im Alter mittlerweile reif ist. Geschlechtsspezifische Sozialisation und weibliche Sexualität Aus einer Diplomarbeit zum Einfluss der geschlechtsspezifischen Sozialisation von Frauen (1) auf ihre Sexualität möchte ich einige Thesen zitieren, die das bisher Gesagte unterstützen und abrunden: n Eine spezifische weibliche Sexualität im Alter gibt es nicht. Sie unterscheidet sich durch den gesellschaftlichen Einfluss nach Kulturkreis, nach Generationen und nach individuellen Erfahrungen. Sexuelle Bedürfnisse und Orientierungen entwickeln sich im Lebenslauf und sind stets in Verbindung zur Lebensgeschichte und zur gesellschaftlichen Stellung des Alters zu sehen. n Weibliche Sexualität im Alter ist – ebenso wie die männliche – keine besondere Form der Sexualität, sondern eine Fortführung und Entwicklung der bisher gelebten Sexualität. Deswegen existieren im Alter – wie in jeder anderen Lebensphase – vielfältige sexuelle Ausdrucksformen, die jedoch durch gesellschaftliche Erwartungen zum Teil unterdrückt werden. n Das Verhalten alter Frauen wird durch die Erwartungen mitbestimmt, die ihnen aufgrund ihres Geschlechts und aufgrund ihres Alters entgegengebracht werden. Die geschlechtsspezifische Sozialisation bewirkt, dass Frauen die von außen an sie herangetragenen Erwartungen in ihr Selbstbild übernehmen. Ihre eigenen Moralvorstellungen passen sich den gesellschaftlichen Werten an. n Ähnlich den geschlechtsbezogenen Rollenzuweisungen hat die allmähliche Enttabuisierung der Sexualität alter Menschen noch keine vollständige Loslösung von früheren Vorstellungen bewirkt, sodass das Bild des asexuellen Alters bislang nicht überwunden ist. Gesellschaftliche Wertvorstellungen, ebenso Verhaltensweisen ändern sich nur langsam, sodass von einem abrupten Wandel in Bewertung und Verhalten nicht ausgegangen werden darf. Fazit Sexualität ist insbesondere bei der Frau ein vielschichtiges Thema, in das nicht nur individuelle, sondern auch überindividuelle gesellschaftliche Faktoren hineinspielen. Das Wissen um die Realitäten von älteren Frauen und deren Bedingungen für eine befriedigend gelebte Sexualität ist die Grundlage für eine kompetente fachärztliche Beratung, an die sich je nach Interesse und Weiterbildungsstand des ärztlichen Beraters/der ärztlichen Beraterin eine se- xualtherapeutische Behandlung der Patientin anschließen kann. Ein kleines Zitat zum Abschluss: Ob es wirklich sein muss, dass ein Siebzigjähriger noch Viagra nimmt, darauf findet der deutsche Chefaufklärer Oswalt Kolle – mittlerweile selbst über 80 Jahre alt – in seiner jüngst erschienenen Autobiographie „Ich bin so frei“, folgende Antwort: „Gehen Sie zu Ihrem Großvater und sagen Sie zu ihm: Du brauchst keine Brille mehr, du hast schon genug gesehen…“ Literatur 1. Bleckmann J: Auswirkungen der geschlechtsspezifischen Sozialisation auf die weibliche Sexualität im Alter. 1997. www.janas-inter.net/pages/thema/diplomarbeit/diplomarbeit_inhalt.html. 2. Bucher T, Hornung R, Buddeberg C: Sexualität in der zweiten Lebenshälfte. Z Sexualforsch (2003). 3. Schmidt G, Matthiesen S, Meyerhof U: Faktoren sexueller Aktivität in heterosexuellen Beziehungen. Z Sexualforsch (2004). 4. Schönbucher V: Sexuelle Zufriedenheit von Frauen. Z Sexualforsch (2007). 5. Schultz-Zehden B: Wie wandelt sich Sexualität im Alter? Das Sexualleben älterer Frauen – ein tabuisiertes Thema. 2004. www.elfenbeinturm.net/archiv/2004/06.html. 6. Von Sydow K: Die Lust auf Liebe bei älteren Menschen. Ernst Reinhardt Verlag, München 1994. Autorin Dr. med. Renate Wiesner-Bornstein In der Partnerschaft Dr. Wiesner-Bornstein & Partner Tübinger Str. 96 71732 Tamm Tel. 07141 605556 dr.wiesner-bornstein@ t-online.de