Europa-Informationen - Evangelische Kirche in Deutschland
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Evangelische Kirche in Deutschland Der Bevollmächtigte des Rates Dienststelle Brüssel Europa-Informationen In dieser Ausgabe: Leitartikel Wege aus der Sinn-Krise: Ideen für ein Europa von morgen Zukunft der EU Frische Ideen gegen die Krise - Die Beschlüsse des EU-Gipfels Ende Juni 2012 und das Van-Rompuy-Papier Asyl und Migration Durchbruch: Die EU hat ein gemeinsames Resettlement-Programm Demokratie & Schutz der Religionsfreiheit im Fokus der EU - Neuer Sonderbeauftragter Menschenrechte für Menschenrechte Forschungspolitik Horizont 2020 - EU-Mittel für Forschung und Innovation Bildung, Jugend und Sport EU-Bildungsministerrat trifft wichtige Entscheidungen für das Förderprogramm Bildung, Jugend und Sport - „Erasmus für alle“ Kohäsionspolitik Stand der Regionalpolitik 13 21 26 28 34 Juli/August 2012 | 140 Herausgeber: Leitung: OKR‘in Katrin Hatzinger 5 32 Kurze Meldungen EKD-Büro Brüssel Rue Joseph II 166 B-1000 Brüssel 3 Kontakt: Tel. 0032 - (0)2 - 230 16 39 Fax 0032 - (0)2 - 280 01 08 [email protected] Redaktion: [email protected] ISSN: 2034-7847 Wenn Sie die EKD-Europa-Informationen regelmäßig beziehen möchten, melden Sie sich auf unserer Website www.ekd.eu unter Newsletter / Anmeldung an oder schicken Sie uns eine E-Mail an [email protected]. Geben Sie dabei bitte Ihren Namen, ggf. Ihre Institution und die E-Mail-Adresse an, über die Sie den Newsletter erhalten möchten. Der Newsletter kann auch auf unserer Website gelesen und heruntergeladen werden. Wege aus der Sinn-Krise: Ideen für ein Europa von morgen (OKR‘in Katrin Hatzinger) Aktuell steht die Bewältigung der Schulden- und Bankenkrise im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses, doch so wichtig und notwendig eine gemeinsame Bankenaufsicht, Schuldenbremsen und eine strenge Haushaltsdiziplin auch sind, Europa ist mehr als der gemeinsame Markt und die gemeinsame Währung. Deshalb ist es richtig, dass Politiker wie Finanzminister Schäuble oder der Präsident des Europäischen Parlaments, Martin Schulz, über den Moment hinausdenken und eine Debatte zur Schaffung einer echten politischen Union in Europa anregen. Dabei wird immer deutlicher, dass die „zivilisierende Kraft Europas“ (Habermas) angesichts der wirtschaftlichen Probleme, der schmerzhaften Einschnitte und der gefühlten Ungerechtigkeit gerade einer Zerreißprobe ausgesetzt wird. Längst zurecht in die Mottenkiste der Geschichte verbannte Stereotype und Vorurteile erleben eine gruselige Renaissance, die Zurückbesinnung auf den Nationalstaat ist wieder en vogue, gegenseitige Schuldzuweisungen und Bevormundung sind an der Tagesordnung. So kann es nicht weitergehen. Es ist eine glückliche Fügung, dass es immer noch genügend Besonnenheit in der politischen Klasse Europas gibt, sich nicht vor den einfachen Botschaften verführen zu lassen und zu populistischer Rhetorik zu greifen, sondern bereit zu sein, den unbequemeren Weg durch Parlamente und öffentliche Debatten zu einer mühsamen Kompromissfindung zu beschreiten. Diese Besonnenheit war gerade in den letzten Monaten gefragt, als die parlamentarische Demokratie immer wieder bedenklicher Marginalisierung ausgesetzt war, die dringend beendet werden muss. Denn die Krise wird uns noch länger begleiten. Es wird aber auch zunehmend deutlich, welche Fehler in der Vergangenheit gemacht worden sind, die nun zum Tragen kommen. Dabei geht es nicht nur um die Erkenntnis, dass eine gemeinsame Währungspolitik ohne eine abgestimmte Wirtschaftsund Finanzpolitik auf Dauer nicht funktionieren kann und dass Stabilitätskriterien eingehalten werden müssen. Europa befindet sich auch in einer Sinnkrise. Zu lange hat man sich auf Bürokratie und Gesetzgebung verlassen, ohne die Zeit und Energie zu investieren, das geistige Vakuum zu füllen, eine gemeinsame Identität zu schmieden und die Menschen mitzunehmen. Solange wirtschaftsund finanzpolitisch alles rund lief und die EUFördergelder flossen, hat dieses Manko allerdings auch nicht wirklich jemanden gestört. Europa, das waren „die da in Brüssel“: die überbezahlten EUBeamten, die vielreisenden EU-Parlamentarier, die in ihrer Blase vor sich hin regulierten und debattierten - oft ungeliebt und unverstanden, aber auch EKD-Europa-Informationen Nr. 140 nicht weiter störend. Die Annehmlichkeiten einer gemeinsamen Währung, grenzenlosen Reisens, Arbeitens und Studierens wurden von jedermann gerne in Anspruch genommen, aber auch nicht weiter hinterfragt. Viele gesetzgeberische Impulse aus Brüssel blieben von einer breiteren Öffentlichkeit weitestgehend unbemerkt. Vielen Bürgerinnen und Bürgern ist bis heute unbekannt, wie viele Bereiche der nationalen Gesetzgebung auf Vorgaben aus Brüssel zurückgehen und welche Bedeutung etwa der Europäische Gerichtshof in Luxemburg bei der Vertiefung der Integration spielt. Das Bewusstsein für die Bedeutung der EU-Institutionen hat sich durch die Krise gewandelt, dennoch bleibt der Blick durch die Krise getrübt: Ein Großteil der Öffentlichkeit assoziiert Europa mit Misswirtschaft, Schulden und ständig wachsenden Rettungsschirmen. Es ist ganz klar: Wir können in dieser globalisierten Welt mit ihren Unsicherheiten und Verteilungskämpfen Stabilität und Wohlstand dauerhaft nur in einer Union erhalten (Dr. Wolfgang Schäuble in der Rede zur Verleihung des Karlspreises am 17. Mai 2012). Doch je länger die Krise dauert, desto deutlicher zeichnet sich ab, dass sich in Europa Grundlegendes ändern muss und dass ein „Weiter so“ nicht der Ausweg sein kann. Für mich sind in diesem Kontext drei Aspekte entscheidend: Europa muss die Herzen der Menschen erreichen, Europa muss sozial und Europa muss demokratisch sein. Europa muss die Herzen der Menschen erreichen Ein vereintes Europa wird nur bestehen können, wenn Politik und gesellschaftliche Kräfte die Bürgerinnen und Bürger auch künftig für den europäischen Gedanken gewinnen, ja begeistern können. Der Präsident des Europäischen Rates, Herman van Rompuy, hat am 4. Juni 2012 in einer Veranstaltung in der Auferstehungskapelle im Brüsseler Europaviertel in eindrücklicher Weise seine Vision eines geeinten Europas vorgestellt. Er ist einer derjenigen europäischen Vordenker, denen es gelingt, angesichts der anhaltenden Debatte der Diskussion Tiefgang zu verleihen und das geistige Fundament Europas mit Substanz zu füllen. Van Rompuy attestierte unseren Gesellschaften eine „Sinnkrise“. Bezugnehmend auf den jüdischen Religionsphilosophen Martin Buber und dessen Schrift „Ich und Du“ erläuterte der Belgier, dass alles wirkliche Leben Begegnung sei. „Indem ich die Betonung auf den anderen lege, interessiere ich mich nicht für den anderen als Individuum, sondern für den anderen als Person, als Person, die ich im christlichen Sinne Nachbar, meinen Nachbar nenne. (…) Ich wünsche mir, dass sich das Schicksal Europas im Lichte dieser Philosophie der Zusammengehörigkeit, dieser Philosophie der Begegnung entfaltet.“ Diese Chance Europas, Begegnungen mit dem Anderen in seinem Andersein zu schaffen und dabei 3 die eigene Identität zu festigen, ist gerade auch für Kirchen eine besondere Aufgabe. Denn Kirchen und Kirchengemeinden sind bestens geeignete Räume europäischer/ökumenischer Begegnungen. Kirchen und Religionsgemeinschaften bieten den Menschen ethische Orientierung und neue Sprache, um den Wert der europäischen Idee, von Freundschaft, Nachbarschaft und Solidarität zu vermitteln. Europa muss sozial sein Die Evangelische Kirche in Deutschland sieht sich in der Verantwortung, die Europäische Union im Sinne der Bürgerinnen und Bürger sozial und solidarisch mitzugestalten und gleichzeitig eine Brücke zwischen dem „abstrakten“ politischen Europa und den Menschen vor Ort zu schlagen. Dieser Brückenschlag wird aber nur gelingen, wenn Europa als Solidargemeinschaft seine sozialen Konturen schärft, wie der Ratsvorsitzende der EKD, Präses Nikolaus Schneider, am 9. Mai auf dem WDR-Europa-Forum in Brüssel erneut deutlichangemahnt hat. Zurzeit sind in der EU der 27 Mitgliedstaaten rund 23 Millionen Menschen arbeitslos, darunter erschreckend viele junge Menschen, so dass die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) bereits von einer „verlorenen Generation“ spricht. Rund 113 Millionen Menschen sind von Armut und sozialer Ausgrenzung bedroht. Die Schere zwischen Arm und Reich klafft in erschreckendem Ausmaß immer weiter auseinander, auch in Deutschland. Gemeinsam mit ihren Wohlfahrtsverbänden haben die beiden großen Kirchen sich sehr dafür eingesetzt, dass in die Europa-2020-Strategie für innovatives, nachhaltiges und integratives Wachstum das Ziel der Armutsbekämpfung aufgenommen wird (siehe EKD-Europa-Informationen Nr. 133). Bis 2020 soll die Zahl der Menschen, die von Armut und sozialer Ausgrenzung bedroht sind, um 20 Millionen gesenkt werden. Das ist erstmals eine quantitative Vorgabe zum Thema Armut in einem EUPapier, ein Anfang. Doch wirft man einen Blick in die nationalen Reformprogramme zur Umsetzung der Strategieziele, macht sich Ernüchterung breit. Es tut sich EU-weit viel zu wenig und ausgerechnet Deutschland geht mit schlechtem Beispiel voran. Armut ist ein komplexes Phänomen, das entsprechend umfassender Antworten bedarf. Dass die Bundesregierung sich in ihrem im April 2012 vorgelegten Nationalen Reformprogramm allein darauf konzentriert, die Zahl der Langzeitarbeitslosen um 320.000 Menschen zu reduzieren, ist angesichts der 16 Millionen von Armut gefährdeten Menschen in Deutschland das falsche Signal. Weitere Armutsindikatoren werden unverständlicherweise ausgeblendet. Denn es sind leider auch zunehmend Kinder, Alleinerziehende, Einwanderer, Ältere und Menschen mit Behinderungen, die von Armut bedroht sind. Viel stärker müsste auch das Phänomen der sog. „working poor“, also der Menschen, die trotz Erwerbstätigkeit 4 in Armut leben, in den Blick genommen werden. Mit der gleichen Verve, mit der die EU nun den wirtschaftlichen Aufschwung herbeiführen will, sollte sie den Kurs gegen Arbeitslosigkeit, Armut und soziale Ausgrenzung einschlagen. Das vorgeschlagene Job-Paket vom 19. April (siehe Artikel S. 12) ist ein erster Weg, aber solange die Vorschläge reinen Empfehlungscharakter haben, was etwa die Einführung eines Mindestlohns in allen EUMitgliedstaaten betrifft, wird sich wenig bewegen. Nur ein wahrhaft solidarisches Europa ist meines Erachtens zukunftsfähig, wie es sich etwa seit Jahren in der europäischen Struktur-und Kohäsionspolitik ausdrückt (siehe Artikel S. 32). Schaffen es die politisch Verantwortlichen nicht, das Prinzip der Sozialen Marktwirtschaft auch in der Krise zu erhalten, werden die Menschen mit dem „Modell Europa“ eine Gesellschaftsordnung der sozialen Ungerechtigkeit verbinden. Der daraus resultierende anti-europäische Reflex ist die vielleicht größte Gefahr für das Projekt Europa. Der Mensch und nicht die Märkte müssen im Mittelpunkt der Politik stehen. Eine weitere Regulierung der Finanzwirtschaft ist daher dringend nötig und die Einführung einer Finanztransaktionssteuer in einigen Mitgliedstaaten ein erster Schritt. Europa muss demokratisch sein Ein vereintes Europa muss aber wirklich demokratisch sein, gerade vor dem Hintergrund wachsender Kompetenzen der EU. Nur auf diese Weise werden die Menschen Entscheidungen, die gefühlt „so weit weg“ getroffen werden, akzeptieren und mittragen. Ich bin davon überzeugt, dass wir Europa auf Dauer nur voranbringen durch eine neue politische Ordnung, die mit Pragmatismus und Flexibilität die nötigen Integrationsschritte beschreitet. Dass dies in unterschiedlichen Geschwindigkeiten geschieht, ist kein Novum, sondern in der Geschichte der EU ein altbekanntes Phänomen. Die europäische Integration hatte von Anfang an diesen Charakter des Unfertigen, diesen Prozesscharakter. Zur neuen politischen Ordnung gehört für mich außerdem mehr Klarheit im Hinblick auf Zuständigkeiten. Es gibt Kernbereiche nationaler Souveränität, die aus guten Gründen dort verbleiben sollten. Nicht alles muss in Brüssel geregelt werden, aber das was dort geregelt wird, bedarf der demokratischen Legitimation. Insofern ist ein echtes Initiativrecht des Europäischen Parlaments mittelfristig anzustreben. Als Evangelische Kirche in Deutschland mischen wir uns in die EU-Politik ein und beziehen durchaus auch kritisch Stellung zu EU-Vorhaben. Wir tun das, weil wir an das vereinte Europa glauben und an die Worte von Jean Monnet: „Die europäische Einigung - das ist der Beitrag für eine bessere Welt.“ EKD-Europa-Informationen Nr. 140 Zukunft der EU Spanien beantragt europäische Hilfe für den Bankensektor (Christopher Hörster, Referent) Die spanische Regierung hat am 9. Juni 2012 offiziell bestätigt, Hilfen aus dem europäischen Rettungsfond in Anspruch nehmen zu wollen. Das Land hatte sich aus Angst vor mit Krediten verbundenen Zwängen zu massiven Haushaltskürzungen lange gegen eine offizielle Anfrage gesträubt, musste aber letztlich aufgrund des wachsenden Zinsdrucks auf Staatsanleihen einräumen, zur selbstständigen Rekapitalisierung der spanischen Banken nicht mehr in der Lage zu sein. Nach Auskunft der Eurogruppe könnten Kredite von bis zu 100 Milliarden Euro fließen. Am Abend vor der Mitteilung der spanischen Regierung hatte der Internationale Währungsfonds (IWF) Ergebnisse eines Stresstests zu Stabilität des spanischen Bankensektors vorgelegt. Der Kapitalbedarf der spanischen Banken wurde darin auf 40 Milliarden beziffert, könnte aber bei weiteren Kreditausfällen nach Auskunft des IWF auf bis zu 80 Milliarden anwachsen. Wesentlicher Grund des Finanzbedarfs spanischer Banken ist die schwere Immobilienkrise im Land. Ähnlich wie in den USA war der Immobiliensektor seit Ende der 90er Jahre Gegenstand massiver Spekulationen, was die Preise für Immobilien in extreme Höhen trieb und nach Platzen der „Immobilienblase“ Anfang 2008 in Spanien zu hohen Ausfällen der Banken führte. Da die finanziellen Hilfen für die Rekapitalisierung des Bankensektors vorgesehen sind, hofft die spanische Regierung, harten Sparauflagen für die öffentliche Hand, die in anderen Staaten bereits zu erheblichen sozialen Verwerfungen geführt haben, zu entgehen. Inwieweit dies gelingen wird, ist noch nicht abschließend geklärt: Die genauen Konditionen für die Kreditvergabe werden in den kommenden Wochen ausgehandelt. Tatsache ist, dass die Staatsverschuldung in Spanien Folge und nicht Ursache der Krise ist. Das Land war 2007 mit lediglich 36,3 % des eigenen BIP verschuldet, ungefähr die Hälfte der nach den Maastricht-Kriterien erlaubten Gesamtverschuldung. Wie sich der spanische Hilferuf nach europäischen Gelder auf die Wirtschaften in Europa, insbesondere in Italien, auswirken wird, bleibt abzuwarten. Ein weiteres Mal müssen allerdings die Staats- und Regierungschefs den Menschen in Europa erklären, warum für Banken Milliarden bereitstehen, während Kürzungen in hochsensiblen Bereichen wie Rente, Sozialleistungen, Krankenpflege oder Bildung „alternativlos“ sind. EKD-Europa-Informationen Nr. 140 Frische Ideen gegen die Krise - Die Beschlüsse des EU-Gipfels Ende Juni 2012 und das Van-Rompuy-Papier (Martin Kasperek, Assistent) Die Staatsschulden- und Bankenkrise hält Europa weiter auf Trab. Beim Gipfeltreffen des Europäischen Rates am 28. und 29. Juni 2012 in Brüssel standen die Staats- und Regierungschefs vor der Aufgabe, angesichts der akuten wirtschaftlichen und finanziellen Probleme der südlichen Mitgliedstaaten von EU und Eurozone kurzfristige Maßnahmen zu beschließen, aber auch mittel- und langfristige Perspektiven für einen Ausweg aus der Krise aufzuzeigen. Dabei trafen grundverschiedene Positionen aufeinander: Auf der einen Seite sprach sich die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel für strenge Haushaltsdisziplin und für Spar- und Reformauflagen im Gegenzug für Finanzhilfen aus. Auf der anderen Seite setzten sich der im Mai gewählte französische Präsident François Hollande und die Regierungschefs aus Italien und Spanien - Mario Monti und Mariano Rajoy - für starke Wachstumsimpulse ein. Als Kompromiss konnte man sich in Brüssel darauf einigen, dem im März beschlossenen Fiskalpakt (siehe EKD-Europa-Informationen Nr. 139) einen „Pakt für Wachstum und Beschäftigung“ zur Seite zu stellen. Dieser verlangt von den Mitgliedstaaten eine „wachstumsfreundliche Haushaltskonsolidierung“ und ruft sie dazu auf, Strukturreformen einzuleiten. Gleichzeitig werden sie aufgerufen, die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen und soziale Ungleichgewichte zu beheben, wofür auch der Europäische Sozialfonds (ESF) eingesetzt werden soll. Anfang Mai hatte der EKD-Ratsvorsitzende, Präses Nikolaus Schneider, im Rahmen des WDR-Europaforums in Brüssel bereits Ähnliches gefordert, nämlich die Sparpolitik durch sozialpolitische Initiativen zu flankieren. Wie bereits erwartet worden war, hatte auch Spanien Anfang Juni europäische Finanzhilfen für seine maroden Banken beantragt. In Brüssel konnte Ministerpräsident Rajoy durchsetzen, dass aus dem aktuellen Euro-Rettungsschirm EFSF (Europäische Finanzstabilisierungsfazilität) und seinem Nachfolger, dem ESM (Europäischer Stabilitätsmechanismus), auch Banken mit Kapital versorgt werden können. Dies wird jedoch erst möglich sein, nachdem eine der Europäischen Zentralbank unterstellte, gemeinsame Bankenaufsicht installiert wurde, wozu von der EU-Kommission noch ein konkretes Konzept erwartet wird. Angesichts einer möglichen Inanspruchnahme von Geldern aus dem Rettungsschirm konnte der italienische Premier Monti erreichen, dass EFSF bzw. ESM künftig „in flexibler und effizienter Weise“ eingesetzt werden. Angeschlagene Länder müssen dann deutlich weniger Reformauflagen erfüllen, um Hilfsgelder zu erhalten. 5 Diskutiert wurde auch die Finanztransaktionssteuer: Deren EU-weite Einführung war bereits im Frühjahr am Widerstand Großbritanniens und Schwedens gescheitert. Deutschland und neun andere Euroländer wollen sie nun über das Instrument der „verstärkten Zusammenarbeit“ (Art. 20 EUV / Art. 326ff. AEUV) implementieren. Ziel ist, dem spekulativen Handel auf den Finanzmärkten Einhalt zu gebieten. Wie sich EU bzw. Eurozone mittel- bis langfristig weiterentwickeln könnte, stellte Ratspräsident Herman van Rompuy beim Gipfel in seinem Bericht mit dem Titel „Auf dem Weg zu einer echten Wirtschafts- und Währungsunion“ vor, den er zusammen mit Kommissionspräsident José Manuel Barroso, Euro-Gruppen-Chef Jean-Claude Juncker und EZB-Präsident Mario Draghi erarbeitet hatte. Das Konzept enthält vier Bausteine: 1. Ein integrierter Finanzrahmen: Es soll eine Bankenunion geschaffen werden, die eine einheitliche Bankenaufsicht einsetzt, die Abwicklung bzw. Restrukturierung maroder Banken übernimmt und die Sicherung der Spareinlagen vergemeinschaftet. 2. Ein integrierter Haushaltsrahmen: Auf die europäische Ebene wird die Kompetenz übertragen, eine „nicht tragfähige“ Haushaltspolitik in einzelnen Mitgliedstaaten korrigieren zu dürfen, wozu Obergrenzen für die Verschuldung festgelegt werden können. Außerdem sind gemeinsame Schuldanleihen vorgesehen, wobei deren genaue Form nicht festgelegt ist - denkbar ist ein Schuldentilgungsfonds, wie ihn der deutsche Sachverständigenrat fordert. 3. Ein integrierter wirtschaftspolitischer Rahmen: Basierend auf der durch das „Europäische Semester“ vorgesehenen Abstimmung der nationalen Haushaltsplanung sowie dem im März 2011 beschlossenen „Euro-Plus-Pakt“ sollen Wirtschaftspolitiken der einzelnen Mitgliedstaaten stärker koordiniert werden. 4. Stärkung der demokratischen Legitimität und Rechenschaftspflicht: Das Konzept erkennt das Budgetrecht als „Königsrecht“ der nationalen Parlamente an und möchte diese sowie das Europäische Parlament eng in die künftige Wirtschafts- und Finanzpolitik der EU einbinden. Dieses Konzept stieß beim Gipfeltreffen auf viel Kritik, trotzdem soll van Rompuy die Überlegungen vorantreiben und hierzu im Herbst einen Zwischenbericht ablegen. Auf welche konkreten Maßnahmen sich die Staatsund Regierungschefs auch einigen mögen - in der aktuellen Situation scheint es nicht nur geboten, die Finanzmärkte zu beruhigen, sondern vor allem auch den Bürgern zu zeigen, dass ihre demokratische Rechte gewahrt bleiben und die EU den sozialen Ausgleich in Europa fest im Auge behält. Den Bericht von van Rompuy finden Sie unter: http://www.consilium.europa.eu 6 „Mehr Europa“ - Anmerkungen zu einem populären Schlagwort (Christoph Schnabel, Referent) In der Planung von Projekten bildet ein Dreieck aus Zeit, Kosten und Qualität das Grundmuster. Ein höherer Zeitaufwand bedingt steigende Kosten bei steigender Qualität. Geringere Kosten bedeuten geringere Qualität bei einem ebenso geringeren Zeitaufwand usw.: Dieses simple Planungsmuster lässt sich auch auf das europäische Projekt übertragen, hier lauten die Parameter allerdings Erweiterung, Vertiefung und Demokratie. „Von den drei Zielen der EU lassen sich stets nur zwei gleichzeitig erreichen, auf Kosten des jeweils dritten Ziels. Wer die Demokratie erhalten will, muss daher Abstriche bei der Vertiefung machen.“ Diese Argumentation von PD Dr. Martin Höpner (FAZ vom 27. April 2012), Wissenschaftler am Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung, greift ein wesentliches Problem auf. Die demokratische Qualität der Europäischen Union ist in Teilen noch mangelhaft. Das Europäische Parlament hat zwar mit dem Vertrag von Lissabon weitere Kontrollkompetenzen und Mitentscheidungsrechte erhalten, jedoch beleibt die Dominanz der nationalen Regierungen bestehen. „Solange die europäischen Bürger allein ihre nationalen Regierungen als Handelnde auf der europäischen Bühne im Blick haben, nehmen sie die Entscheidungsprozesse als Nullsummenspiel wahr, in denen sich die eigenen Akteure gegen die anderen durchsetzen müssen“, konstatierte Jürgen Habermas (2011). Er charakterisiert den gegenwärtigen europapolitischen Zustand als „postdemokratischen Exekutivföderalismus“. Mehr parlamentarische Kontrolle und demokratische Mitbestimmung stellen Auswege aus diesem Dilemma dar. Dass dies nicht nur vage theoretische Abhandlungen sind, wurde unlängst von Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble nahegelegt. Mit der Forderung nach einem direkt gewählten Präsidenten der Kommission und der Fortentwicklung der Europäischen Kommission „zu einer echten Regierung“ (Treffpunkt Gendarmenmarkt am 26. März 2012) sind bereits konkrete Reformvorschläge in der Debatte angekommen. Auch Bundeskanzlerin Merkel kündigt an, dass „Schritt für Schritt Kompetenzen vergemeinschaftet“ werden müssen und die Kommission „so etwas wie eine europäische Regierung“ sein soll“ (Prag, 3. April 2012). Den Forderungen nach einer politischen Un ion stehen auch kritische Stimmen gegenüber. „Was Kompetenzverlagerungen angeht, sind wir jetzt schon an der Grenze dessen angelangt, was die Verfassung erlaubt“, stellt der CDU-Bundestagsabgeordnete Wolfgang Bosbach den Äußerungen Wolfgang Schäubles gegenüber („Stern“ vom 26. Juni 2012). EKD-Europa-Informationen Nr. 140 Einigkeit herrscht jedoch in der Auffassung, dass eine differenzierte Integration notwendig ist. Diese Einschätzung wird sogar von den traditionell euroskeptischen britischen Politikern geteilt. David Cameron, Premierminister von Großbritannien, kündigte eine Volksabstimmung diesbezüglich an und verwies explizit drauf, dass eine radikale „Ja-/ Nein“-Entscheidung nicht zielführend sei. Besonders der europäische Binnenmarkt und die Kooperation in sicherheits- und außenpolitischen Bereichen stellten einen Mehrwert für Großbritannien dar. Hierbei kommt erneut der Aspekt der Qualität zu tragen. Welchen ökonomischen und politischen Nutzen stellt eine verstärkte Integration dar? Das Demokratiedefizit konnte bislang durch eine „Legitimität durch Leistung“ (Kohler-Koch 2004) ersetzt werden. Die Zustimmung zu der Europäischen Union war besonders durch diejenigen Länder gesichert, die durch einen Beitritt und durch die Integration in den Binnenmarkt einen Wohlfahrtsgewinn und bessere Lebensstandards verzeichnen konnten. Die sinkende Zustimmung der Bürgerinnen und Bürger zu einer EU-Mitgliedschaft ihres jeweiligen Landes wird mit schlechteren ökonomischen Aussichten zunehmen. Auch ist die These einer „Output-Legitimation“ (Scharpf 1998) ins Wanken geraten. Es ist also an der Zeit, sich erneut „Gedanken über die Finalität der europäischen Integration“ zu machen (Fischer 2000). Weiterführende Literaturhinweise: Die Rede von Bundeskanzlerin Angela Merkel vom 03. April 2012 finden Sie unter www.bundesregierung.de. Beate Kohler-Koch: Europäische Integration - Europäisches Regieren. VS Verlag, 2004. Joschka Fischer: Vom Staatenverbund zur Föderation - Gedanken über die Finalität der europäischen Integration. Suhrkamp Verlag, 2000. Jürgen Habermas: Zur Verfassung Europas - Ein Essay. Suhrkamp Verlag , 2011. Fritz W. Scharpf: Interdependence and Democratic Legitimation MPIfG Working Paper 98; http://www.mpi-fg-koeln.mpg.de. Martin Höpner, Armin Schäfer: Die Politische Ökonomie der europäischen Integration. Campus Verlag, 2008. Werner Weidenfeld, Wolfgang Wessels: Jahrbuch der Europäischen Integration. 2011, Nomos 2012. EKD-Europa-Informationen Nr. 140 Konsultation zur Unionsbürgerschaft: „Unionsbürger - Ihre Rechte, Ihre Zukunft“ (Maike Bannick, Praktikantin) Das Jahr 2013 ist das „Europäische Jahr der Bürgerinnen und Bürger“. Anlässlich des 20. Jahrestages der Einführung der Unionsbürgerschaft soll der Blickpunkt verstärkt auf die Rechte der Bürger der Europäischen Union (EU) gelegt werden. Um einen Eindruck zu bekommen, welche Hindernisse das Ausleben der Unionsbürgerrechte noch einschränken, hat die Europäische Kommission am 9. Mai 2012 eine Konsultation unter dem Titel „Unionsbürger - Ihre Rechte, Ihre Zukunft“ gestartet. Mit dem Vertrag von Maastricht 1992 wurde auch der Unionsbürgerschaft der Weg bereitet, deren Rechte mit dem Vertrag von Lissabon noch einmal verstärkt worden sind. Unionsbürger ist automatisch jede Person, die eine Staatsangehörigkeit in einem der EU-Mitgliedstaaten hat. Die Unionsbürgerschaft gewährt den Bürgern EU-weit zahlreiche Rechte unabhängig davon, ob sie sich in dem Land ihrer Nationalität befinden. Dazu zählen z.B. die Reise- und Niederlassungsfreiheit, Schutz vor Diskriminierung aufgrund der Staatszugehörigkeit, Wahlrechte, konsularischer Schutz in Drittstaaten, das Petitionsrecht und das Recht der Bürgerinitiative. Die Europäische Union hat bereits vor dieser Konsultation Maßnahmen ergriffen, um die Rechte der Unionsbürgerschaft zu stärken. 2010 wurde von der Kommission auf der Grundlage von EurobarometerErhebungen, einer im selben Jahr durchgeführten Konsultation und Bürgeranfragen/-beschwerden ein Bericht über die Unionsbürgerschaft veröffentlicht mit dem Ziel, die Bürger verstärkt auf ihre Rechte und Möglichkeiten hinzuweisen. In dem Bericht wurden verschiedene Aktionsbereiche aufgeführt, in denen noch Handlungsbedarf besteht. Dazu gehören: • Bürger als Privatpersonen (z.B. grenzüberschreitende Anerkennung zivilrechtlicher Dokumente, Besteuerung in grenzüberschreitenden Situationen, Schutz in Strafsachen, grenzüberschreitende Gesundheitsvorsorge, konsularischer Schutz in Drittstaaten) • Bürger als Verbraucher (z.B. einheitliche Verbraucherschutzregeln, Bürger in der Rolle als Passagiere und Urlauber) • Bürger als Einwohner, Studenten und Berufstätige (z.B. Verwaltungsverfahren, Anerkennung von Hochschulabschlüssen und Berufsqualifikationen, Sozialversicherungssysteme) • Bürger als politische Akteure • Mangel an leicht zugänglicher Information und Unterstützung der Bürger 7 • Mangelndes Bewusstsein für die Bedeutung der Unionsbürgerschaft Dabei wurden jeweils konkrete Maßnahmen aufgelistet, die für eine Verbesserung der Rechte und Behebung der Schwierigkeiten der Unionsbürger sorgen sollen. Die Kommission berichtet auf ihrer Internetseite über die bereits erzielten Fortschritte durch diese Maßnahmen. Zum Beispiel wurde Ende 2011 eine Richtlinie über den konsularischen Schutz vorgelegt und eine Internetseite zum Thema eingerichtet; eine Richtlinie über die Ausübung der Patientenrechte in der grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung wurde verabschiedet; es wurden zentrale Anlaufstellen für Bürger eingerichtet (Portal „Ihr Europa“ und „Europe-Direct“-Zentren) etc. Die Konsultation läuft noch bis zum 9. September 2012. In Anlehnung an die Ergebnisse der Konsultation wird die Kommission 2013 einen neuen Bericht über die Unionsbürgerschaft präsentieren. Mehr zu dem Thema Unionsbürgerschaft sowie die angesprochenen Berichte finden Sie unter: http://ec.europa.eu Die Konsultation können Sie auf folgender Seite einsehen: http://ec.europa.eu Umfrage zur Stimmungslage in Europa - „Deutsche und Griechen als polare Gegensätze“ (Stefanie Heuer, Assistentin) Am 29. Mai 2012 hat die Bertelsmann-Stiftung den „Global Attitudes Report“ des amerikanischen Meinungsforschungsinstituts „Pew Research Center“ vorgestellt. Die Umfrage wurde zwischen Mitte März und Mitte April 2012 in acht EU-Mitgliedstaaten (Deutschland, Frankreich, Griechenland, Großbritannien, Italien, Polen, Spanien, Tschechien) sowie den USA telefonisch oder persönlich durchgeführt. Der Bericht legt dar, dass die Wirtschaftskrise große Differenzen zwischen den betreffenden EUStaaten hervorgerufen hat. Bruce Strokes, Leiter der Forschungsgruppe am Pew Research Center, stellte fest, dass die wirtschaftliche Situation in den jeweiligen Ländern ausschlaggebend dafür sei, inwieweit die Bevölkerung die Europäische Integration befürworte. Dabei eröffnet sich eine große Lücke zwischen Deutschland und den anderen europäischen Ländern, insbesondere Griechenland. Die befragten Deutschen empfanden mit 73 Prozent die wirtschaftliche Situation in Deutschland als gut und gaben mit 59 Prozent an, die europäische Integration habe ihre Wirtschaft gestärkt. Im Durchschnitt empfanden nur 15 Prozent der Befragten die wirtschaftliche Lage als gut und 34 Prozent sahen eine Stärkung durch die Europäische Integration - die griechische Bevölkerung sah in ihr vielmehr eine Schwächung der heimischen Wirtschaft. Mit Blick in die Zukunft sehen die meisten Deutschen die wirtschaftlichen Aussichten positiv; lediglich 27 Prozent der Deutschen befürchten eine Verschlechterung im Gegensatz zu 81 Prozent der Griechen. Die Umfrage ergab des Weiteren, dass Deutschland die angesehenste Nation mit dem am höchsten geachteten Staatschef ist. Die Deutschen werden als die arbeitsamste Bevölkerung sowie als am wenigsten korrupt angesehen. Die Mehrzahl der Befragten nannten die Griechen als die am wenigsten arbeitende Bevölkerung und die Italiener als am korruptesten. Nur die Griechen selbst sehen sich als das arbeitsamste Land an. Im Allgemeinen herrscht in Griechenland eine negative Stimmung gegenüber den Deutschen, speziell gegen Angela Merkel. Auch wenn die Akzeptanz für die EU und den Euro seit Ausbruch der Wirtschaftskrise rückläufig ist, sehen die meisten Befragten die Mitgliedschaft in der Europäischen Union dennoch als positiv an, darunter Polen, Deutsche, Franzosen und Spanier. Besorgniserregend ist die drastische Abnahme der 8 EKD-Europa-Informationen Nr. 140 Befürworter der EU-Mitgliedschaft in Tschechien. Im Jahr 2009 befürworteten noch 45 Prozent der befragten Tschechen die EU-Mitgliedschaft - im Jahr 2012 nur noch 28 Prozent. Die Schuld an den wirtschaftlichen Problemen geben die meisten Befragten ihrer jeweiligen Regierung; an zweiter Stelle stehen die Banken. Bis auf Polen hat die überwiegende Mehrheit der Umfrageteilnehmer ein schlechtes Bild von der Europäischen Zentralbank. Widererwarten möchte die Mehrheit der Befragten den Euro aber behalten (71 Prozent der Griechen, 69 Prozent der Franzosen und 66 Prozent der Deutschen) und nicht zu ihrer früheren Währung zurückkehren. Dennoch ist eine Mehrheit der Befragten in Großbritannien, Griechenland, Tschechien und Deutschland gegen die Abgabe von Haushaltskompetenzen an die Europäische Kommission. In Italien sind lediglich 40 Prozent der Befragten dagegen. Einigkeit unter den Befragten bestand in den größten Bedrohungen des wirtschaftlichen Wohlergehens: 88 Prozent nannten Arbeitslosigkeit als die größte Bedrohung. Danach folgten die nationale Verschuldung sowie Inflation. Alarmierend ist der Trend, seit Beginn der Wirtschaftskrise anti-europäisch zu denken. Dennoch gibt es Grund zur Hoffnung: In keinem der befragten Länder wurde die Existenz der Europäischen Union grundsätzlich in Frage gestellt. Auch herrscht Einigkeit über die größten wirtschaftlichen Bedrohungen. Hier gilt es anzuknüpfen und gemeinsam nach Lösungen zu suchen. Die Europaparlamentarier Elmar Brok und Reinhard Bütikofer, die bei der Vorstellung des Berichts anwesend waren, plädierten daher für mehr Europa. Das brauche Mut und Nerven, um schließlich gestärkt aus der Krise hervorzugehen. Den Bericht (in englischer Sprache) finden Sie unter: http://www.pewglobal.org Aus den Institutionen „Für ein besseres Europa“ - Zypern übernimmt EU-Ratspräsidentschaft Am 1. Juli 2012 hat Zypern turnusgemäß die Präsidentschaft des Rates der Europäischen Union übernommen und hat sie unter das Motto „Für ein besseres Europa“ gestellt. Das Ziel soll es sein, den Europäern, speziell den jungen Menschen in Europa, eine Perspektive zu geben. Die Prioritäten der sechsmonatigen Ratspräsidentschaft besinnen sich auf die Grundlagen der EU und lauten wie folgt: 1. Ein effizienteres und nachhaltiges Europa 2. Ein Europa mit einer leistungsfähigeren Wirtschaft, die sich auf Wachstum gründet. 3. Ein Europa, das seinen Bürgern mehr bedeutet, mit Solidarität und sozialem Zusammenhalt. 4. Europa in der Welt, seinen Nachbarn näher. Die erste Priorität - „ein effizienteres und nachhaltiges Europa“ - beinhaltet die Verhandlungen und schließlich die Vollendung des Mehrjährigen Finanzrahmens für den Zeitraum 2014-2020. Im Zuge dessen sollen auch Fortschritte bei den Verhandlungen über die rechtlichen Rahmenbedingungen in der Gemeinsamen Agrar- und Fischereipolitik, der Kohäsionspolitik sowie der Forschungs- und Innovationspolitik erzielt werden. Des Weiteren widmet sich die zyprische Ratspräsidentschaft der Energiepolitik, insbesondere der transeuropäischen Netze für Verkehr, Telekommunikation und Energie. Auch werden die nachhaltige Entwicklung und grünes Wachstum durch die nachhaltige Bewirtschaftung von Ressourcen, insbesondere von Wasser, sowie die Wiederbelebung der integrierten Meerespolitik der EU priorisiert. Eine leistungsfähigere und wachstumsorientierte Wirtschaft strebt Zypern durch einen neuen, verstärkten Rahmen der Wirtschaftssteuerung, eine stärkere Haushaltsüberwachung und größere Markttransparenz in Bezug auf Finanzdienste an. Um die Krise zu überwinden und das Wirtschaftswachstum wieder anzukurbeln, sieht es die Ratspräsidentschaft als wichtig an, die Strategie „Europa 2020“ weiter umzusetzen sowie Impulse zum Ausbau des Binnenmarktes zu geben, die u.a. auf die Förderung von kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) und einen leistungsfähigeren, digitalen Einheitsmarkt abzielen. „Ein bürgernahes Europa mit Solidarität und sozialem Zusammenhalt“ lautet der dritte Schwerpunkt. Hier wird besonderes Augenmerk gelegt auf die Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit, u.a. durch Bildungs- und Ausbildungsprogramme, die Schaffung des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems bis Ende 2012 sowie die Förderung der Gesundheit und des Wohlergehens von Kindern im Rahmen des EKD-Europa-Informationen Nr. 140 9 „Europäischen Jahres für aktives Altern und Solidarität zwischen den Generationen“. Die rechtlichen Rahmenbedingungen zum Schutz personenbezogener Daten stehen ebenfalls auf der zyprischen Prioritätenliste. Schließlich möchten die Zyprer Europa seinen Nachbarn näher bringen. Dieser Schwerpunkt fokussiert die südliche Dimension der europäischen Nachbarschaftspolitik, „um die Beziehungen zu den Mittelmeer-Partnerländern zu verbessern und gleichzeitig den Pluralismus und eine facettenreiche Beziehung zu gewährleisten“. Der Inselstaat sieht außerdem vor, den EU-Erweiterungsprozess zu unterstützen, wobei die größte Schwierigkeit die Türkei darstellt, die die zyprische Ratspräsidentschaft boykottieren will und zu Gesprächen nicht bereit ist. Des Weiteren sollen die Ernährungssicherheit im Rahmen der EU-Entwicklungsziele unterstützt und die EU-Außenhandelspolitik gefördert werden. Die Übernahme der EU-Ratspräsidentschaft kommt für Zypern zu einem Zeitpunkt, an dem sich der kleine Inselstaat mit nur 840.000 Einwohnern in einer schwierigen finanziellen Lage befindet und Hilfen aus dem Euro-Rettungsschirm zu erwarten sind. Als einziges kommunistisches Staatsoberhaupt in Europa hat Dimitris Christofias eine Herkules-Aufgabe zu bewältigen, Zypern sowie die 27 EU-Mitgliedstaaten wieder auf einen Kurs des wirtschaftlichen Aufschwungs zu lenken. (Stefanie Heuer) Das Programm und die Prioritäten der zyprischen EU-Ratspräsidentschaft finden Sie unter: http://www.cy2012.eu Solidarität der Generationen als Thema beim diesjährigen Treffen der europäischen Religionsführer Am 12. Juli 2012 fand auf Einladung von Kommissionspräsident José Manuel Barroso bereits zum achten Mal das Treffen der europäischen Religionsführer mit den Spitzen von EU-Kommission, Europäischen Parlament und Europäischem Rat statt. Dieses Mal stand anlässlich des aktuellen Europäischen Jahres das Thema „Generationensolidarität Parameter für die europäische Gesellschaft von Morgen“ im Mittelpunkt des halbtägigen Austauschs. Dazu geladen waren zudem EU-Klimakommissarin Connie Hedegaard und der EU-Kommissar für institutionelle Angelegenheiten, Maroš Šefčovič. EPPräsident Martin Schulz ließ sich aufgrund anderer Verpflichtungen durch Vize-Präsident László Surján vertreten. In seinem Eingangsstatement betonte Kommissionspräsident Barroso, Europa würde nur dann gestärkt aus der Wirtschaftskrise hervorgehen, wenn der Erhalt der Generationensolidarität im Zentrum der Maßnahmen stehen würde. Dies sei die Bindekraft, die unsere Gemeinschaften zusammenhalten, und die Kirchen und Religionsgemeinschaften könnten Brücken bauen. Der Präsident des Europäischen Rates, Herman van Rompuy versprach sich von dem Treffen Inspirationen und Ideen „gegen den Zeitgeist“ und betonte die Kraft der Religionen, nicht nur die Glaubensfragen zu regeln, sondern auch Solidarität und Zusammengehörigkeit zu vermitteln. Für ihn gehörten Solidarität und Verantwortung zusammen. Er betonte die Weisheit der älteren Generationen und die Rolle von Eltern und Familie u.a. bei der Unterstützung für junge Arbeitslose. Der familiäre Zusammenhalt verstärke den sozialen Zusammenhalt. Die Vertreter der katholischen Kirche betonten bei dem Treffen insbesondere den Schutz der „klassischen“ Familie als Kern der Gesellschaft, während die Vertreter des Islams und des Judentums viele praktische Beispiele für das Miteinander der Generationen in den Gemeinden in die Debatte einbrachten sowie die Notwendigkeit eines inter-religiösen Dialogs betonten. Die westfälische Präses Annette Kurschus nahm als Vertreterin der EKD an dem Treffen teil und unterstrich angesichts der hohen Jugendarbeitslosigkeit die Notwendigkeit, keine Generation verloren zu geben. Der Begriff der „lost generation“, den die Internationale Organisation für Arbeit für die junge Generation verwendet, werde der Lebenswirklichkeit der Menschen in keinster Weise gerecht und führe daher nicht weiter. Der Einsatz für die aktive Gestaltung eines solidarischen Miteinanders der Generationen sei der EKD wichtig und eine der 10 EKD-Europa-Informationen Nr. 140 großen Herausforderungen der Zukunft. Es sei eine Frage der Teilhabegerechtigkeit. Nicht zuletzt deshalb habe man sich in Brüssel dafür stark gemacht, die thematische Ausrichtung des Jahres nicht allein auf die Beschäftigungsfähigkeit der älteren Generation zu richten. Beschäftigung und Soziales Zudem unterstrich sie, dass der demographische Wandel natürlich elementare Auswirkungen auf die Gemeindestrukturen im ländlichen Raum habe. Kirche und Diakonie kämen dadurch ganz neue Aufgaben für den sozialen Zusammenhalt zu. Dass die Perspektive der jungen Menschen in der EKD und den Landeskirchen eine wichtige Rolle spielt, illustrierte sie an Hand der Jugenddelegierten auf den Synoden. Auch die Politik müsse die Rahmenbedingungen schaffen, um ein solidarisches Miteinander der Generationen zu ermöglichen. Das gelte für die nationale wie für die europäische Ebene. Die Generationengerechtigkeit müsse als Querschnittsthema z.B. in der Haushalts, Sozial- und Wettbewerbspolitik mitgedacht werden. Die Europäische Kommission hat am 21. März 2012 zwei Vorschläge zur Arbeitnehmerfreizügigkeit vorgelegt. Zum einen soll durch die Richtlinie zur Durchsetzung der „Entsenderichtlinie“ die Entsendung von Arbeitnehmern in andere Mitgliedstaaten vereinfacht, zum anderen durch die Verordnung zu kollektiven Maßnahmen ein Ausgleich zwischen Streikrecht und Grundfreiheiten hergestellt werden. Die dänische EU-Kommissarin Hedegaard machte sich angesichts des Klimawandels und der jüngsten Enttäuschung auf dem Klimagipfel „Rio+20“ für ein neues Wachstumsmodell stark. Mit der Natur könnte man nicht verhandeln, es müsse vielmehr jetzt gehandelt werden. Sie hoffte auf die Unterstützung der Kirchen und Religionsgemeinschaften für einen neuen ethischen Politikansatz, um das Bewusstsein unter den Menschen dafür zu stärken, dass wir uns nicht nur auf materielle Werte fokussieren sollten. Ihr slowakischer Kollege Maroš Šefčovič hob am Rande des Treffens seine Besorgnis über die zunehmend anti-europäische Rhetorik in vielen EU-Staaten hervor und warb bei den Religionsführern für Unterstützung der europäischen Idee. Auf der Pressekonferenz unterstrich der Kommissionspräsident zudem eindrücklich die Besonderheit dieses jährlichen Termins als Ausdruck der Religionsfreiheit in der EU. “Dieses Treffen wäre in dieser Form nicht an vielen Orten dieser Welt möglich. Ich bin stolz darauf, dass wir in der Europäischen Union miteinander diesen Dialog führen können und unsere Überlegungen teilen,“ so Barroso vor der Presse. Der Termin mit 24 Vertreterinnen und Vertretern des Christentum, des Judentums, des Islams, aber auch der Hindu-Religion und der Bahá’í zeigt jedenfalls erneut, dass die Kirchen und Religionsgemeinschaften mit ihrem „besonderen Beitrag“ (Art. 17 AEVU) die (EU-)Politik bereichern. (Katrin Hatzinger) Die EKD-Pressemeldung finden Sie unter: http://www.ekd.de EKD-Europa-Informationen Nr. 140 Kommission legt Vorschläge zur Entsendung von Arbeitnehmern und Streikrecht vor Hintergrund der Richtline zur Durchsetzung der Entsenderichtlinie sind bestehende Schwierigkeiten, wenn ein Arbeitgeber Angestellte in einen anderen Mitgliedstaat entsendet, um dort Dienstleistungen zu erbringen. Obwohl insbesondere die Gewerkschaften immer wieder eine Überarbeitung der zugrundeliegenden Entsenderichtlinie gefordert hatten, um entsandte Arbeitnehmer heimischen Arbeitnehmern weitgehend gleichzustellen, entschloss sich die Kommission lediglich zu einer Richtlinie, die die praktische Anwendung der bestehenden Regelungen verbessern soll. Hintergrund der Verordnung zum Streikrechtrecht sind die beiden Urteil des EuGH „Viking“ und „Laval“. In den Entscheidungen wandte der EuGH die Grundfreiheiten auf Gewerkschaften an und eröffnete so ein Spannungsverhältnis zwischen kollektiven Arbeitsmaßnahmen und den wirtschaftlichen Freiheiten des Binnenmarktes. Die Kommission versucht nun in dem Vorschlag, ein Gleichgewicht zwischen marktwirtschaftlicher Integration und sozialen Erfordernissen herzustellen. Allerdings wurde der Vorschlag bereits vom Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) sowie von einzelnen Abgeordneten des Europäischen Parlaments kritisiert. Eingriffe in das im Kompetenzbereich der Mitgliedstaaten liegende Streikrecht dürften in keinem Fall geduldet werden, erklärte beispielsweise DGB-Vorstandsmitglied Annelie Buntenbach. Richtig ist sicherlich, dass die in den Verträgen ausdrücklich den Mitgliedstaaten vorbehaltene Kompetenz bezüglich des Streikrechts (Art. 153 Abs. 5 AEUV) respektiert werden muss. Auch im Rahmen der Entsendung ist die Forderung, Arbeitnehmer aus anderen Mitgliedstaaten den einheimischen gleichzustellen, sicherlich im Sinne der Europäischen Integration. (Christopher Hörster) Die Vorschläge der Kommission finden Sie unter: http://ec.europa.eu http://ec.europa.eu 11 Mitteilung der Kommission: Einen arbeitsplatzintensiven Aufschwung gestalten Am 18. April 2012 hat die Europäische Kommission ein Beschäftigungspaket vorgestellt, das konkrete Maßnahmen zur Schaffung zusätzlicher Arbeitsplätze beinhaltet. Hintergrund dieser Empfehlung sind die hohen Arbeitslosenzahlen in der Europäischen Union (EU): Im Januar 2012 lag die Arbeitslosenquote bei 10,2 %. Zwar konnten in den Jahren 2008 bis 2011 1,5 Millionen neue Arbeitsplätze geschaffen werden, jedoch sind in dem gleichen Zeitraum auch sechs Millionen Stellen gestrichen worden. Im Rahmen der Strategie „Europa 2020“ hat sich die EU zum Ziel gesetzt, bis zum Jahre 2020 bei den 20- bis 64-Jährigen eine Erwerbsquote von 75 % zu erzielen, was einem Zuwachs von 17,6 Millionen Arbeitsplätzen entspricht. Im sog. „Jobpaket“ wird zum Ausdruck gebracht, dass die EU-Politik eine beschäftigungs- und sozialpolitische Dimension benötigt, damit die Beschäftigungssituation langfristig verbessert werden kann. Dabei spricht sich die Kommission in ihren Ausführungen dafür aus, menschenwürdige und nachhaltige Entgelte ohne Niedrigentgeltfallen in allen Mitgliedsstaaten zu etablieren. Damit reagiert sie auf eine problematische Entwicklung auf dem europäischen Arbeitsmarkt, wo die Armutsrate trotz Beschäftigung bei gut acht Prozent liegt. Außerdem fordert die Kommission eine Überarbeitung des Kündigungsschutzes sowie der Arbeitsverträge, um Teilzeitarbeit und befristeten Arbeitsverträgen entgegenzuwirken und zugleich den Arbeitnehmern mehr Rechte und Sicherheiten zu gewähren. Gleichzeitig wird das Konzept der „Flexicurity“ hervorgehoben, das den europäischen Arbeitsmarkt modernisieren und diesem mehr Flexibilität bei gleichzeitiger sozialer Absicherung gewähren soll. Als Maßnahmen zur Verbesserung der Arbeitsmarktsituation werden im Beschäftigungspaket eine Reihe von Strategien aufgeführt. Dazu zählt u.a. die Stärkung der nationalen Beschäftigungspolitik: Qualifikationsmöglichkeiten und Informationen über starknachgefragte Berufe sollten verbreitet werden, um Fachkräfte in Sektoren wie z.B. Informations- und Kommunikationstechnik, im Gesundheitswesen und im Energiesektor auszubilden. Es müssten günstige Bedingungen für die Schaffung neuer Arbeitsplätze geboten werden, wie z.B. Einstellungszuschüsse. Insgesamt sei der Fachkräftebedarf besser zu planen. Auch der Arbeitsmarkt an sich sollte reformiert werden, so dass das Ungleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage ausgeglichen werden kann. Zur Reform gehört genauso, geeignete Verträge für die Arbeitnehmer zu entwickeln. Des Weiteren wird für die Schaffung eines EU-Arbeitsmarktes geworben, der erleichtern soll, einen Arbeitsplatz in einem anderen 12 EU-Land anzutreten. Dafür müssen die zum Teil noch vorhandenen Hindernisse der Arbeitnehmerfreizügigkeit beseitigt werden. Unterstützt werden soll dieser Prozess durch den Ausbau von EURES, dem europäischen Portal zur beruflichen Mobilität. Auch die Koordinierung der Beschäftigungspolitik soll ausgeweitet werden: Angedacht sind hier z.B. Möglichkeiten für den Meinungsaustausch und das Monitoring. Im Zusammenhang mit dem Beschäftigungspaket, das auf den beschäftigungspolitischen Leitlinien nach dem Beschluss 2010/707/EU über Leitlinien für beschäftigungspolitische Maßnahmen der Mitgliedstaaten basiert, wurden neun Begleitdokumente veröffentlicht, die die ausbaufähigen Handlungsfelder einzeln noch einmal genauer in den Fokus nehmen, wie Praktika/Traineeships, Haushalt und Pflege, Arbeitsmarktsituation der Jugendlichen, Informations- und Kommunikationstechniken, Gesundheitswesen, grünes Wachstum, die Gestaltung eines offenen und dynamischen Arbeitsmarktes und ein Überblick über die Gesamtsituation auf dem Arbeitsmarkt. Dabei werden den Mitgliedstaaten Möglichkeiten vorgeschlagen, wie und in welchen Sektoren Potential für zusätzliche Arbeitsplätze vorhanden ist. Außerdem werden Handlungsempfehlungen ausgesprochen, wie die Arbeitsmarktsituation verbessert werden kann. Das Beschäftigungspaket stellt eine Reaktion auf die Aufforderung des Europäischen Rates dar, die neue wirtschaftspolitische Steuerung durch eine stete Überwachung der Beschäftigungsund Sozialpolitik zu stärken. Insgesamt können die sozialen Komponenten, auf die im Jobpaket verwiesen wird, positiv bewertet werden. Die Anregungen der Kommission sind ein wichtiger Schritt in Reaktion auf die momentanen schwierigen Zeiten. Das Konzept der „Flexicurity“ bringt jedoch durch den größeren Spielraum flexibler Arbeitsverhältnisse eine Gefahr für die Arbeitnehmer mit sich. Auch muss bedacht werden, dass das Jobpaket der Kommission lediglich Handlungsempfehlungen für die Mitgliedstaaten bietet und es keine Verpflichtungen zu den aufgeführten Schritten. (Maike Bannick) Die Mitteilung der Kommission sowie die erwähnten Dokumente finden Sie unter: http://ec.europa.eu EKD-Europa-Informationen Nr. 140 Konsultation: Qualitätsrahmen für Praktika Vom 19. April bis zum 11. Juli 2012 hat die Europäische Kommission eine Konsultation zu dem Thema „Qualitätsrahmen für Praktika“ durchgeführt. Einen Tag zuvor, am 18. April 2012, hatte die Kommission als Begleitdokument des Beschäftigungspakets „Einen arbeitsplatzintensiven Aufschwung gestalten“ Arbeitsunterlagen für einen Qualitätsrahmen für Praktika veröffentlicht. Der Qualitätsrahmen soll ein Instrument darstellen, um in der gesamten Europäischen Union (EU) die Qualität der Praktika zu steigern. Der Hintergrund dabei ist, dass es in vielen Ländern keine Vorschriften für Praktika gibt. Zudem besteht vermehrt die Gefahr, dass Praktikanten anstelle von regulären Arbeitskräften beschäftigt werden. Ziel des Qualitätsrahmens ist es, einheitliche Regelungen zu treffen in Bezug auf die Rahmenbedingungen eines Praktikums. Dazu zählen eine Entlohnung sowie eine gewisse soziale Absicherung. Gleichzeitig soll die Dauer eines Praktikums zeitlich beschränkt werden und dessen ordnungsgemäße Anerkennung gewährleistet sein. Hinzu kommt der Abschluss eines Arbeitsvertrags zwischen beiden Parteien, durch den die Rechte und Pflichten der Vertragspartner deutlich werden. Des Weiteren ist es von Bedeutung, dass der Praktikant Arbeitserfahrungen sammeln kann, die zu seinen Qualifikationen passen und ihm dabei ein Ansprechpartner an die Seite gestellt wird. Praktika sind eine Möglichkeit, Menschen während oder nach ihrer Ausbildung Einblicke in die Arbeitswelt zu ermöglichen und erste praktische Erfahrungen sammeln zu können. Sie sollen einen niedrigschwelligen Übergang von der Ausbildung zum Arbeitsplatz ermöglichen und dadurch auch einen Beitrag dazu leisten, der hohen Jugendarbeitslosigkeit entgegenzuwirken. Um einen Konsens über die bereits zusammengestellten möglichen Inhalte für einen Qualitätsrahmen zu finden und gegebenenfalls weitere Aspekte mit einzubeziehen, wurde diese Konsultation durchgeführt. Die Ergebnisse werden in die Ausarbeitung eines Qualitätsrahmens für Praktika einfließen, der Ende 2012 vorgelegt werden soll. (Maike Bannick) Die Arbeitsunterlagen für den Qualitätsrahmen für Praktika können Sie auf folgender Seite einsehen: http://ec.europa.eu EKD-Europa-Informationen Nr. 140 Asyl und Migration Durchbruch: Die EU hat ein gemeinsames Resettlement-Programm Am 29. März 2012 hat die EU nach längerem Tauziehen zwischen Europäischem Parlament, Rat und Europäischer Kommission tatsächlich ein gemeinsames Resettlement-Programm beschlossen. Damit ist sie u.a. einer Forderung der EKD-Synode nachgekommen (Synodenbeschluss vom 9. November 2011). Unter „Resettlement“ (Neuansiedlung) versteht man die dauerhafte Ansiedlung von besonders schutzbedürftigen Flüchtlingen in aufnahmebereiten Drittstaaten. Dabei kommt Resettlement als dritte sog. dauerhafte Lösung zum Flüchtlingsschutz erst dann in Betracht, wenn weder die Integration im Erstzufluchtsstaat noch die Rückkehr in das Herkunftsland möglich sind. Die Teilnahme an dem nun geltenden europäischen Neuansiedlungsprogramm ist freiwillig. Durch eine optimierte Koordination und finanzielle Anreize sollen möglichst viele EU-Staaten dazu ermutigt werden, ihren Anteil an Resettlement-Plätzen auszubauen: Vor allem die EU-Staaten, die sich erstmalig an der Neuansiedlung beteiligen, sollen von der Förderung profitieren. Vorgeschlagen sind 6.000 Euro je angesiedelter Person im ersten Jahr, 5.000 Euro im zweiten Jahr und 4.000 Euro ab dem dritten Jahr. Das Geld dafür stammt aus dem europäischen Flüchtlingsfonds. Momentan liegt die finanzielle Unterstützung für eine Neuansiedlung bei 4.000€ pro Person. Auch gestattet es das Programm den EU-Staaten, im Rahmen vorab vereinbarter Prioritäten jährlich bestimmte Bevölkerungsgruppen für die Neuansiedlung auszuwählen. Für 2013 sind dies: irakische Flüchtlinge in der Türkei, Syrien, Libanon und Jordanien; afghanische Flüchtlinge in der Türkei, Pakistan und im Iran; kongolesische Flüchtlinge in Burundi, Malawi, Ruanda und Sambia sowie somalische Flüchtlinge in Äthiopien. Für die neue finanzielle Vorausschau 2014 bis 2020 schlägt die Kommission vor, ein flexibleres System zu entwickeln, welches noch attraktiver für die Mitgliedstaaten ist, den strategischen Nutzen der Neuansiedlung ausweitet und die Mitgliedstaaten dabei unterstützt, weitere nationale Programme zu entwickeln. Die Einführung des europäischen Programms hatte sich aufgrund von Kompetenzstreitigkeiten zwischen Europäischem Parlament und Rat lange verzögert. Der Vorschlag der Kommission datiert bereits aus dem Jahr 2009 (siehe EKD-Europa-Informationen Nr. 130). Aufgrund seiner Unverbindlichkeit kommt dem europäischen Programm eher eine symbolische Bedeutung zu, allerdings darf auch seine strategische Wirkung, Mitgliedstaaten aufgrund des finanziellen Anreizes für Resettlement zu interessieren, nicht unterschätzt werden. 13 Bislang gibt es unter den europäischen Staaten, die Neuansiedlungen durchführen, keine einheitliche Strategie. Eine engere Zusammenarbeit und Koordination auf EU-Ebene auf Basis einheitlich formulierter Resettlement-Kriterien könnte die Effektivität des Verfahrens verstärken und die Kosten für jedes einzelne Verfahren senken. Gleichzeitig könnten dann Erfahrungen weitergegeben werden, sodass auch die Länder, die neu zum ResettlementProgramm hinzustoßen, zielgerichteter mit der Aufnahme beginnen können. Von den jährlich ca. 100.000 Flüchtlingen mit Resettlement-Bedarf werden weltweit etwa 80.000 Flüchtlinge in 22 Resettlement-Staaten neuangesiedelt, davon der Großteil in den USA, Kanada und in Australien. Die Europäische Union stellt nach Angaben des Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Nationen (UNHCR) etwa acht Prozent der weltweit verfügbaren Resettlement-Plätze. Dreizehn Mitgliedsstaaten verfügen bisher über ein Resettlement-Programm: Schweden, Dänemark, Finnland, die Niederlande, Großbritannien, Irland, Portugal, Frankreich, Rumänien, Tschechien, Spanien, Ungarn und Bulgarien. Die meisten Neuansiedlungsplätze stellen dabei die skandinavischen Länder zur Verfügung. Deutschland hat in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder in Ad-hoc-Aktionen Flüchtlinge aus verschiedenen Gebieten aufgenommen, wenn eine besondere Krisensituation bestand. Bisher verfügte Deutschland jedoch über kein festes Programm. Die Innenministerkonferenz hat jedoch im Dezember 2011 beschlossen, je 300 Flüchtlinge in den kommenden drei Jahren in Deutschland im Wege eines Neuansiedlungsprogramms in Deutschland aufzunehmen. Für 2012 geht der UNHCR davon aus, dass bei Beachtung der Auswahlkriterien gut 170.000 Resettlement-Plätze weltweit benötigt werden. Aufgrund der aktuellen Entwicklungen in den nächsten drei bis fünf Jahren wird von einem Bedarf an etwa 800.000 Resettlement-Plätzen ausgegangen. Die Kommission der Kirchen für Migranten in Europa (CCME) fordert in einem Aufruf vom 30. März 2012 die Aufnahme von 20.000 Flüchtlingen bis 2020 in die EU. Dies sei ein realistisches Ziel, wenn sich alle Mitgliedstaaten mit ihrem Mitteln an dem Programm beteiligten. Für Deutschland werden beispielweise als Minimum 2500 und als Maximum 5000 Flüchtlinge aufgeführt. (Maike Bannick / Katrin Hatzinger) Näheres unter: http://www.europarl.europa.eu 14 Generalanwalt Bot legt Schlussanträge zu Asyl wegen Verletzung der Religionsfreiheit vor Der französische Generalanwalt am Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) hat am 19. April 2012 seine Schlussanträge in den verbundenen Verfahren C-71/11 und C-99/11 vorgelegt, in denen er sich nachdrücklich gegen eine zu restriktive Interpretation der Religionsfreiheit im Rahmen eines Asylgesuchs in der EU ausspricht. Das Bundesverwaltungsgericht hatte dem EuGH im Wesentlichen die Frage vorgelegt, ob eine von Teilen der deutschen Rechtsprechung vertretene Interpretation des Begriffs „Verfolgungshandlung“ mit der einschlägigen EU-Richtlinie im Einklang steht. Nach dieser deutschen Interpretation soll nur dann eine Verfolgungshandlung und somit ein Anspruch auf Asyl wegen religiöser Verfolgung bestehen, wenn der Kernbereich der Religionsfreiheit, was insbesondere die private, nicht-öffentliche Ausübung der Religion beinhaltet, verletzt ist. Ein Urteil des EuGH steht noch aus. Allerdings fasst einer der acht Generalanwälte am EuGH, bevor ein Urteil ergeht, in den meisten Fällen Schlussanträge ab, die eine konkrete Empfehlung enthalten, wie der Fall zu entscheiden ist. Die Schlussanträge sind nicht bindend, oft wird der Empfehlung aber aufgrund der hervorgehobenen Stellung der Generalanwälte gefolgt. Generalanwalt Bot lehnt in seinen Schlussanträgen die generelle Bestimmung eines Kernbereiches der Religionsfreiheit eindeutig ab. Vielmehr hätten religiöse Handlungen je nach Religion, Land oder Persönlichkeit des Einzelnen sehr unterschiedliche Bedeutungen. Für die Verfolgungshandlung käme es ferner nicht auf den betroffenen Bereich der Religionsfreiheit, sondern auf die Art und die Folgen der Unterdrückung an. Bestände eine tatsächliche Gefahr etwa einer Inhaftierung oder unmenschlichen Behandlung, so läge eine Verfolgungshandlung vor. Besonders zu begrüßen ist aus kirchlicher Sicht die ausdrückliche Klarstellung des Generalanwalts, dass Asylsuchende nicht darauf verwiesen werden könnten, ihren Glauben in ihrem Heimatland nicht öffentlich zu bekennen. Der damit verbundene Zwang zur Verheimlichung der eigenen Religion verstoße gegen das fundamentalste Prinzip eines Rechtstaates: die Menschenwürde. (Christopher Hörster) Die Schlussanträge finden Sie unter: http://curia.europa.eu EKD-Europa-Informationen Nr. 140 Vorschlag der Kommission zur Kontrolle der EU-Außengrenzen stößt auf Widerstand Christliche Organisationen zur EU-Förderung im Bereich Asyl und Migration Nachdem die Europäische Kommission im Dezember letzten Jahres ihren Vorschlag zur Errichtung eines Europäischen Grenzüberwachungssystems (EUROSUR) vorgelegt hatte, zeichnet sich nun in der entscheiden Beratungsphase im Europäischen Parlament Widerstand gegen die Pläne zur intensiveren Kontrolle der EU-Außengrenzen ab. Der Arbeitskreis christlicher Organisationen, die in Brüssel zu Fragen der Asyl- und Migrationspolitik arbeiten (Christian Group), hat am 30. April 2012 eine Stellungnahme zur Förderung von asyl- und migrationspolitischen Maßnahmen im neuen Finanzrahmen ab 2014 abgegeben. Der Vorschlag der Kommission zur Grenzüberwachung enthält zwei wesentliche Elemente: Zum einen soll ein umfangreiches System für den Austausch von Informationen der Grenzschutzorgane etabliert werden, in dem sogenannte nationale Kompetenzzentren mit einer europäischen Agentur eng vernetzt werden. So ist beispielsweise geplant, Einsatzpläne, besondere Vorkommnisse und aus Überwachung gewonnen Informationen auszutauschen und so eine umfassende Analyse der Migrationsströme und Kontrolle der Außengrenzen zu ermöglichen. Zum anderen soll dieses Informationsnetzwerk dadurch wirksamer werden, dass neueste Technologien, wie unbemannte Drohnen und Satelliten, zur Überwachung bis an die Grenzen benachbarter afrikanischer Staaten eingesetzt werden. Eine enge Kooperation mit den Behörden von Drittstaaten im Rahmen von EUROSUR ist ebenfalls vorgesehen. Vor allem im Europäischen Parlament regen sich kritische Stimmen. Die Kooperation mit Drittstaaten erfolge aufgrund von multilateralen Abkommen, sei hochgradig intransparent und wecke insbesondere Bedenken, was den Grundrechtsschutz von Flüchtlingen angehe, kritisiert beispielsweise die migrationspolitische Sprecherin der Grünen, Ska Keller. Auch sehe die Verordnung keine ausdrückliche Verpflichtung zu Rettungsmaßnahmen in Seenot geratener Flüchtlinge vor. Schließlich stellten der unkontrollierte Datenaustausch mit Drittstaaten und die extrem hohen Kosten des Vorhabens ein massives Problem dar. Der Kommissionsvorschlag steht aufgrund nur sehr vereinzelter Hinweise auf Seenotrettung und Grundrechte einerseits, andererseits aber extrem umfangreicher und hochtechnologischer Überwachungsmechanismen unter dem Verdacht, lediglich einer möglichst vorgelagerten Flüchtlingsabwehr zu dienen. Einmal mehr steht in der Europäischen Asyl- und Migrationspolitik die Abschottung, und nicht der Grundrechtsschutz im Vordergrund. (Christopher Hörster) Den Vorschlag der Kommission finden Sie unter: http://eur-lex.europa.eu EKD-Europa-Informationen Nr. 140 Am 15. November 2011 hat die EU-Kommission unter dem Titel „Ein offenes und sicheres Europa: Die Haushaltsmittel für den Bereich Inneres für 2014-2020“ eine Mitteilung vorgelegt (KOM(2011) 749). Darin wird u.a. die Zusammenlegung von drei der bisherigen Fonds (EFF, Integrationsfonds und Rückführungsfonds) in einen „Asyl- und Migrationsfonds“ (AMF) vorgeschlagen. Der AMF soll in diesen sechs Jahren über ein Mittelvolumen von insgesamt 3,9 Mrd. Euro verfügen. Intern sollen diese Finanzmittel, einer Folgenabschätzung des Sekretariats der Europäischen Kommission zufolge, wie folgt aufgeteilt werden: • Asyl: 36 Prozent (1,4 Mrd. Euro), • Bekämpfung irregulärer Migration/Rückkehr: 23 Prozent (0,9 Mrd. Euro), • Integration (inkl. European Migration Network): 30 Prozent (1,2 Mrd. Euro), • Externe Dimension: 11 Prozent (0,4 Mrd. Euro). Der von der Europäische Kommission am 15. November 2011 vorgeschlagene Asyl- und Migrationsfonds (KOM (2011) 751 endg. und KOM (2011) 752 endg.) soll vorrangig der integrierten Steuerung von Migrationsströmen dienen. Unterstützt werden sollen Maßnahmen, die sich mit sämtlichen Aspekten der Migration befassen (Asylfragen, legale Zuwanderung, Eingliederung in die Gesellschaft und Rückführung von sich illegal in der EU aufhaltenden Drittstaatangehörigen). Das Papier des Arbeitskreises, der eng mit dem EKD-Büro zusammenarbeitet, konzentriert sich u.a. auf folgende Aspekte: • Anerkennung von Kirchen und Religionsgemeinschaften als Partner bei der Entwicklung und Umsetzung nationaler Programme Bislang sieht der Vorschlag der EU-Kommission die Einbeziehung von Partnern aus der Zivilgesellschaft lediglich bei der Entwicklung und Umsetzung nationaler Programme vor und zwar mit dem Zusatz, wenn es „angemessen“ ist. Hier sprechen sich die Verfasser für eine umfassende Zusammenarbeit aus, die der Kooperation mit Behörden ebenbürtig ist und insbesondere auch die Rolle von Kirchen und Religionsgemeinschaften berücksichtigt. Letztere sollten explizit als Partner anerkannt werden. 15 • Einbeziehung dieser Partner bei der Vorbereitung, Umsetzung, Begleitung, Evaluierung und Überarbeitung der nationalen Programme und der Aktionen der Union Die Einbeziehung der Partner aus der Zivilgesellschaft und aus dem kirchlichen Raum sollte sich zudem nach Auffassung des Arbeitskreises auch auf den sog. Politikdialog zwischen Kommission und einem bestimmten Mitgliedstaat erstrecken. Hinsichtlich der Aktionen fordern die Unterzeichner u.a., dass künftig Maßnahmen • zur Verbesserung der Asylpolitiken und -verfahren, • zur Integration von Asylsuchenden z.B. auf dem Arbeitsmarkt, • die Verelendung und Obdachlosigkeit vorbeugen; und • Alternativen zur Inhaftierung von Migranten gefördert werden sollten. Schließlich wird in der Stellungnahme angeregt, hohe finanzielle Anreize für Mitgliedstaaten zu schaffen, um mit der Neuansiedlung von Flüchtlingen zu beginnen. Im Hinblick auf die vorgesehene Förderung einer gerechten und effektiven Umsetzung der gemeinsamen Rückführungsstandards schlagen die christlichen Organisationen vor, auch Maßnahmen des Abschiebemonitorings unter dem neuen Asyl- und Migrationsfonds als förderfähig anzuerkennen. (Katrin Hatzinger) Die Vorschläge finden Sie unter: http://eur-lex.europa.eu http://eur-lex.europa.eu Die Stellungnahme finden Sie u.a. hier: http://www.caritas-europa.org Integration der Roma: Kommission bewertet die Umsetzung der nationalen Aktionspläne Am 23. Mai 2012 hat die Europäische Kommission einen Bericht über die Situation der Roma verabschiedet, in dem eine Bilanz der Umsetzung des europäischen Rahmens zur Integration der Roma vom April 2011 gezogen wird: Der EU-Rahmen stellt einen Orientierungspunkt für die nationalen Integrationskonzepte dar und erleichtert den Zugang zu möglichen Finanzunterstützungen. Zwar lobt die Kommission die Versuche der Mitgliedstaaten, Fortschritte zu erzielen, jedoch bedarf es insgesamt noch intensiverer Anstrengungen, um eine ganzheitliche Verbesserung für die Roma zu schaffen. In Anlehnung an die speziellen Ausgangssituationen eines jeden Landes sollen deshalb spezifische Integrationsziele festgelegt werden. Positiv wird in dem Bericht vermerkt, dass alle Mitgliedstaaten bereits nationale Kontaktstellen gegründet haben, um die Realisierung des Rahmenplans zu kontrollieren. Jedoch haben bisher nur zwölf Mitgliedsländer einen Finanzrahmen für die geplanten Maßnahmen entwickelt. Aus wirtschaftlicher Sicht erlangen die Mitgliedstaaten durch den Ausschluss der Roma weniger Einnahmen als eigentlich möglich wäre: Zum Teil wäre ein jährlicher Nutzen von einer halben Milliarde Euro möglich. Zudem ist die Integration der Roma ein wichtiger Schritt, um die Ziele der Europa-2020-Strategie umzusetzen. Im Rahmen des Berichts werden die vier Aktionsbereiche angesprochen, in denen für einen Ausbau der wirtschaftlichen und sozialen Integration der Roma besonderer Handlungsbedarf besteht. Dazu zählen Bildung, Beschäftigung, Gesundheitsfürsorge und Wohnraumsituation. Für diese Felder werden in dem Bericht spezifische Umsetzungshinweise aufgeführt. Zudem können sich die Mitglieder von der Kommission beraten lassen. Derzeit leben in der EU etwa zehn bis zwölf Millionen Roma und stellen damit die größte Minderheit in der Union dar. Auch wenn ihr Bevölkerungsanteil variiert, sind Roma in nahezu allen europäischen Ländern angesiedelt. Ein Großteil von ihnen erfährt Diskriminierung und Ausgrenzung und viele werden an der Ausübung ihrer Rechte gehindert. Sie haben mit erkennbar schlechteren sozialen und wirtschaftlichen Konditionen zu kämpfen als die übrigen Bürger. Da die Ungleichbehandlung der Roma auf viele Ursachen zurückzuführen ist, sind umfassende Aktionen unumgänglich, um Fortschritte der Integration zu erzielen. Die Kommission wird weiterhin jährlich über den aktuellen Stand der Integration der Roma in der EU informieren. (Maike Bannick) Weitere Informationen dazu finden Sie unter: http://ec.europa.eu 16 EKD-Europa-Informationen Nr. 140 Migration und Asyl im Jahr 2011 Jahresbericht der Europäischen Kommission (Dr. Anna Donata Quaas, Pastorin im Sondervikariat) Die Entwicklungen des Jahres 2011 wirkten sich auch auf die Migrationspolitik aus. Durch die ökonomische Krise wurden Wirtschaft und Wachstum der EU geschwächt und im Zuge des arabischen Frühlings kam es zu einem erhöhten „Migrationsdruck“ an den Außengrenzen der EU im Mittelmeerraum und an den Südostgrenzen, so die EU-Kommission am 1. Juni 2012 in ihrem Jahresbericht. Zudem stellte der Missbrauch der seit Ende 2010 bestehenden Visa-Liberalisierung, welche Staatsangehörigen aus Albanien, Bosnien und Herzegowina eine visumsfreie Einreise in die Schengen-Staaten ermöglichte, die Migrationspolitik vor zusätzliche Probleme. In der EU leben derzeit 20,2 Millionen Angehörige von Drittstaaten, also 9,4 % aller Migrantinnen und Migranten weltweit. Die Angehörigen von Drittstaaten, von denen prozentual am meisten aus der Türkei, Marokko und Albanien stammen, repräsentieren 4 % der Gesamtbevölkerung der EU. Neben Menschen, die einen Aufenthaltstitel in der EU gewährt bekommen (2,5 Millionen im Jahr 2010) und solchen Migranten, die als Asylbewerber im Flüchtlingsstatus, unter subsidiärem Schutz oder aus humanitären Gründen ein Aufenthaltsrecht in der EU haben (knapp 60 000 im Jahr 2011), gibt es vagen Schätzungen zufolge in einem Jahr etwa 2 bis 4,5 Millionen irreguläre Migrantinnen und Migranten in die EU. Dem Bericht der Europäischen Kommission entsprechend soll auf die bestehenden migrationspolitischen Herausforderungen auf dreierlei Weise reagiert werden: 1. Aufgrund des demographischen Wandels und des Konkurrenzdrucks auf dem internationalen Talentmarkt begrüßt die Europäische Kommission Wirtschaftsmigration ausdrücklich. Mit Hilfe sog. Mobilitätspartnerschaften, die bereits mit der Republik Moldau, Georgien, Kap Verde und Armenien bestehen, soll der ungewünschten Abwanderung von Fachkräften entgegen gewirkt und gleichzeitig der gezielte Einsatz von Fachkräften im Ausland gefördert werden. Verhandlungen zu Mobilitätspartnerschaften mit Ländern des südlichen Mittelmeerraumes und Ghana wurden bereits aufgenommen. Weitere Gespräche mit Ägypten, Marokko und Tunesien sind geplant. Die Abwanderung von Fachkräften soll zudem durch die Förderung des WHO-Verhaltenskodex für die grenzüber- EKD-Europa-Informationen Nr. 140 schreitende Anwerbung von Gesundheitsfachkräften eingedämmt werden, sowie durch die Anwendung der Blue-Card-Richtlinie, die es den Mitgliedstaaten erlaubt, einen Antrag aus ethischen Gründen, d.h. um die Abwanderung von Fachkräften zu vermeiden, abzulehnen. Ein neu eingerichtetes EU-Zuwanderungsportal (http://ec.europa.eu/immigration/) soll über Möglichkeiten und Bedingungen der Migration in die EU informieren und auf Risiken irregulärer Migration hinweisen. Weitere Maßnahmen zur Förderung von Wirtschaftsmigration in die EU sind die Richtlinie über eine kombinierte Aufenthalts-/Arbeitserlaubnis und die Richtlinienvorschläge für Saisonarbeiter und für konzerninterne Entsendungen. 2. Laut Bericht der Europäischen Kommission soll die Integration Drittstaatangehöriger weiter gefördert werden. Dass auf dem Gebiet der Integration Handlungsbedarf besteht, illustrieren folgende Zahlen: Die Prozentzahl der Arbeitslosen ist unter Angehörigen von Drittstaaten im Vergleich zur Gesamtbevölkerung mehr als doppelt so hoch. Während 46,4 % der Drittstaatenangehörigen für ihre Arbeit überqualifiziert sind, trifft dies nur auf 21,2 % der Gesamtbevölkerung zu. Die Integration in den Arbeitsmarkt ist für Angehörige von Drittstaaten besonders dringend, da der Verlust des Arbeitsplatzes häufig den Verlust ihrer Aufenthaltsberechtigung nach sich zieht. 3. Besonders ausführlich behandelt der Bericht Strategien zur Bewältigung des „Migrationsdrucks“ - ein Thema, das aufgrund der irregulären Migrationsströme in Folge des Arabischen Frühlings an den südlichen Außengrenzen der EU (besonders in Italien und auf Malta) sowie an der türkisch-griechischen Grenze an Brisanz gewinnt. Die EU habe „stets großen Wert auf Maßnahmen zur Bekämpfung der irregulären Migration gelegt.“ Der Ausbeutung der Betroffenen durch Menschenhändler und Schlepper solle ebenso entgegengewirkt werden wie der Tatsache, dass sich Migranten nach Überschreitung der Visumsfrist oder nach Erhalt eines ablehnenden Visumsbescheids weiter in der EU aufhielten. Es müsse sichergestellt werden, „dass die Außengrenzen der EU effizient verwaltet werden und geeignete legale Einreisekanäle vorhanden sind.“ Beim Schutz der Außengrenzen der EU habe sich die Europäische Agentur Frontex besonders verdient gemacht. Das Budget der Agentur Frontex sei um 30 Mio. Euro aufgestockt worden. In Zukunft soll Frontex verstärkt mit weiteren EU-Agenturen wie dem Europäischen Polizeiamt (EURPOL) und dem Europäischen Unterstützungsbüro für Asylfragen (EASO) zusammenarbeiten. Zur Bewältigung des Migrationsdrucks soll außerdem einerseits der Dialog und die Kooperation mit Drittstaaten und andererseits die Solidarität mit Mitgliedstaaten der EU geför- 17 dert werden, die von Migration betroffen sind. Der gesteigerte ‚Migrationsdruck‘ in der EU hat zur Folge, dass derzeit über eine Wiedereinführung von Kontrollen an den Binnengrenzen der Schengen-Staaten diskutiert wird. Zeitgleich mit dem Jahresbericht der Europäischen Kommission über Einwanderung und Asyl wurden im Juni 2012 die Ergebnisse der Meinungsumfrage „Eurobarometer“ veröffentlicht, in der die Einstellung europäischer Bürgerinnen und Bürger zu grenzübergreifender Mobilität, Migration und Sicherheit abgefragt wurde. Insbesondere in der Einschätzung der Wirtschaftsmigration zeigt sich eine Diskrepanz zwischen der Einschätzung der Europäischen Kommission und den Ergebnissen der Umfrage: Während 42 % der befragten EU-Bürger die Auffassung der Europäischen Kommission teilen, dass Wirtschaftsmigration gefördert werden sollte, um demografische Herausforderungen und den Arbeitskräftemangel zu bewältigen, sind 46 % gegenteiliger Meinung. Von den befragten Deutschen halten sogar nur 38 % die Arbeitskräftemigration aus Nicht-EU-Ländern für notwendig, 49 % hingegen lehnen sie ab. Allerdings sieht laut Umfrage des Eurobarometers die Mehrzahl der befragten EU-Bürger (53 %) Einwanderung als wirtschaftliche und kulturelle Bereicherung an. In Deutschland sind sogar 63 % dieser Meinung. Integrationsschwierigkeiten von Migranten führen 73 % der Befragten in der EU insgesamt und 86 % der befragten Deutschen primär auf den fehlenden Integrationswillen der Betroffenen zurück. 60 % der durch die Umfrage des Eurobarometers erreichten EU-Bürger und weniger als die Hälfte der befragten Deutschen sind der Meinung, dass Diskriminierung der vornehmliche Grund für Integrationsschwierigkeiten ist. Was die irreguläre Migration angeht, sind laut Umfrage des Eurobarometer 80 % der EU-Bürger und 77 % der Deutschen der Meinung, dass die EU ihre Unterstützung für die Mitgliedstaaten bei der Bewältigung irregulärer Migration verstärken sollte. 80 % der befragten EU-Bürgerinnen und Bürger und 88 % der Deutschen halten es für wichtig, dass Menschen, die dies benötigen, Schutz und Asyl in der EU gewährt werden sollte. Der dritte Jahresbericht der Europäischen Kommission über Einwanderung und Asyl (2011) ist nachzulesen unter: http://ec.europa.eu Die Ergebnisse der Eurobarometer-Umfrage finden Sie hier: http://ec.europa.eu (englisch) http://ec.europa.eu (deutsche Kurzversion) 18 Auf der Zielgeraden? Die Verhandlungen um das gemeinsame europäische Asylsystem (GEAS) Nach der intensiven Arbeiten der dänischen Ratspräsidentschaft scheint es so, als könnten die Verhandlungen über die Neufassung der Asylrechtsinstrumente tatsächlich im 2. Halbjahr unter dem Vorsitz von Zypern abgeschlossen werden. Zur Revision stehen weiterhin u.a. die Asylverfahrensrichtlinie und die Dublin-II-Verordnung an. Eine politische Einigung wurde am 13. Juli 2012 über die Richtlinie über Aufnahmebedingungen erzielt - aus flüchtlingspolitischer Sicht ein fauler Kompromiss. Das Europäische Parlament, die Europäischen Kommission und die jeweilige Ratspräsidentschaft verhandeln im sog. Trialogverfahren, weitestgehend unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Als sehr problematisch erweist sich insbesondere die Neufassung der Regelung zur Inhaftierung von Asylsuchenden. Das bisherige europäische Asylrecht definiert keine Inhaftierungsgründe für Asylsuchende, sondern regelt in der Asylverfahrensrichtlinie (Art. 18) lediglich, dass Mitgliedstaaten eine Person nicht allein deshalb in Gewahrsam nehmen dürfen, weil es sich bei ihr um einen Asylbewerber handelt. Bei einer etwaigen Inhaftierung soll außerdem eine rasche gerichtliche Überprüfung des Gewahrsams möglich sein. Noch 2009 stellte die Kommission fest: „Angesichts der weit verbreiteten Anwendung von Gewahrsamsmaßnahmen im Asylbereich durch die Mitgliedstaaten und der sich festigenden Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte erachtet es die Kommission für notwendig, diese Frage in der vorliegenden Richtlinie ganzheitlich anzugehen, um sicherzustellen, dass Ingewahrsamsmaßnahmen nicht willkürlich erfolgen und in allen Fällen die Grundrechte beachtet werden.“ Im internationalen Flüchtlingsrecht gilt nämlich der Grundsatz, dass allein die Stellung eines Asylantrags keinen Haftgrund begründet. Art. 31 der Genfer Flüchtlingskonvention legt fest, dass Asylsuchende wegen unrechtmäßiger Einreise oder Aufenthalt grundsätzlich nicht zu bestrafen sind. Haftgründe sollten entsprechend eng gefasst und genau umrissen sein. Auf Druck der Mitgliedstaaten sah sich die Kommission jedoch veranlasst, ihren ersten Entwurf zurückzuziehen (siehe EKD-Europa-Informationen Nr. 137) und präsentierte 2011 eine neue Version der Aufnahmebedingungsrichtlinie, die u.a. die Reihe der Haftgründe ausgeweitet hat. Diese Ausweitung wurde nun von den Verhandlungsparteien angenommen. Angesichts der umfassenden Haftgründe, die sich in Art. 8 Abs. 3 lit. a) bis f) der neuen Aufnahmebedingungsrichtlinie finden, sowie der Möglichkeit, auch Minderjährige festzunehmen (Art. 11 Abs. 2), ist nun zu befürchten, dass die Inhaftierungspraxis in der EU noch ausgeweitet werden wird bzw. die EKD-Europa-Informationen Nr. 140 derzeitige ausufernde Inhaftierungspraxis einzelner Mitgliedstaaten wie Griechenland und Ungarn eine Legitimierung erfahren dürfte. Als problematisch stellen sich dabei u.a. dar: 1. Identitätsfeststellung (Art. 8 Abs. 3 a): Dieser Haftgrund ermöglicht fast ausnahmslos jeden einreisenden Asylsuchenden festzunehmen, da Schutzsuchende oft ohne Papiere einreisen bzw. die Papiere von den Behörden angezweifelt werden. 2. Beweissicherung (Art. 8 Abs. 3 b): Dieser Haftgrund ermöglicht eine Inhaftierung, wenn die dem Asylgesuch zugrundeliegenden Beweismittel nur auf diese Weise gesichert werden können. Diese Regelung verstößt dennoch gegen die Grundprinzipien des Verwaltungsrechts: Ein Antragsteller ist für den Nachweis der seinen Anspruch begründenden Tatsachen selbst verantwortlich. Eine Festnahme zur Sicherung dieser Tatsachen ist daher systemfremd. 3. Verfahren zur Bestimmung des Einreiserechts und bei verspäteter Asylantragstellung (Art. 8 Abs. 3 c): Dieser Haftgrund sieht vor, dass Asylsuchende festgenommen werden können, wenn im Verfahren noch geklärt werden soll, ob sie in einen Mitgliedstaat einreisen dürfen. Er könnte künftig als Rechtsgrundlage für das deutsche Flughafenverfahren dienen. Der Haftgrund der verspäteten Asylantragstellung berührt das Recht der Asylsuchenden aus der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) - eine Inhaftierung ist dort nur für Ausreisepflichtige vorgesehen, trifft also auf die Situation von Asylsuchenden gerade nicht zu. 4. Anordnung der Haft durch Verwaltungsbehörden (Ar. 9 Abs. 2): Die Anordnung der Ingewahrsamnahme stellt einen schweren Eingriff in das Grundrecht auf persönliche Freiheit dar, dementsprechend bedürfen derartige Entscheidungen der richterlichen Anordnung und könnten nicht von Verwaltungsbehörden durchgeführt werden. 5. Inhaftierung von Minderjährigen (Art. 11 Abs. 2): Art. 11 des Entwurfes der Aufnahmebedingungsrichtlinie sieht die Möglichkeit vor, Minderjährige und in bestimmten Fällen auch unbegleitete Minderjährige, unter bestimmten Voraussetzungen zu inhaftieren. Diese Regelung ist unverhältnismäßig und widerspricht dem Kindeswohl. Die EKD hat sich deshalb immer dafür ausgesprochen, Minderjährige überhaupt nicht zu inhaftieren, sondern die Unterbringung in speziellen Jugendhilfeeinrichtungen vorzusehen. Strittig war bis zuletzt die von EP und Kommission geforderte automatische Überprüfung der Haftanordnung innerhalb von 72 Stunden durch ein Gericht sowie die Art und Weise der Identifikation der Bedürfnisse besonders schutzbedürftiger Asylsuchender. Die politische Einigung sieht nun keine automatische Überprüfung mehr vor. Zudem werden die Mitgliedstaaten verpflichtet, die Bedürfnisse EKD-Europa-Informationen Nr. 140 der besonders Schutzbedürftigen zu identifizieren, allerdings nicht im Rahmen eines Verwaltungsverfahrens. Einigkeit besteht nun auch darüber, dass die Asylsuchenden nach neun Monaten Zugang zum nationalen Arbeitsmarkt erhalten sollen. Die formale Annahme durch das EP wird für September erwartet. Die Verhandlungen über die Überarbeitung der Dublin-II-Verordnung und die Asylverfahrensrichtlinie werden nach der Sommerpause indes weitergehen. Allerdings vermeldeten die Zyprioten am 18. Juli 2012, dass sich der Ausschuss der Ständigen Vertreter (COREPER) über die Neufassung der Dublin-II-Verordnung verständigt habe. Sollte das EP gleichfalls zustimmen, könnte über das Dossier Anfang Dezember im Plenum abgestimmt werden. Einzelheiten über den endgültigen Verordnungstext wurden allerdings nicht bekannt. Fest steht nur, dass ein Frühwarnsystem eingerichtet wird. Der ursprüngliche Vorschlag der EU-Kommission, den Überstellungsmechanismus auszusetzen, wenn der zuständige Mitgliedstaat besonderem Druck ausgesetzt ist oder wenn zu befürchten ist, dass das Schutzniveau in dem betreffenden Staat unzureichend ist, war leider nicht mehrheitsfähig. Das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) sowie Kirchen und NGOs fordern zudem seit Monaten u.a. eine breitere Definition von Familienangehörigen, die Berücksichtigung des Kindeswohls beim Umgang mit unbegleiteten Minderjährigen, die Möglichkeit gegen einen Überstellungsbescheid einen aufschiebenden Rechtsbehelf einzulegen, mit den Betroffenen im Verfahren Interviews durchzuführen und Inhaftierungen im Dublin-Verfahren nur so kurz wie möglich anzuwenden. Die Überarbeitung der Asylverfahrensrichtlinie wirft schließlich aufgrund ihrer Komplexität besonders viel Fragen auf. Problematisch ist weiterhin die vorgesehene Möglichkeit beschleunigter Verfahren mit eingeschränkten Verfahrensrechten für Antragssteller. Die beschleunigten Verfahren sollten nach Ansicht von Kirchen und NGOs nur in ganz eng definierten Ausnahmefällen zur Anwendung kommen dürfen. Für unbegleitete Kinder sind diese Verfahren gar nicht geeignet. Gleiches gilt für die Anwendung sog. Grenzverfahren („border procedures“). Aus flüchtlingsrechtlicher Sicht unakzeptabel bleiben das Konzept des sicheren Dritt- bzw. Herkunftsstaates, genauso wie die Idee sog. „Supersicherer Drittstaaten“, die vorsieht, Antragssteller ohne Prüfung ihrer Gesuche umgehend in diese Staaten zurückzuschicken. Ob wir bis Ende 2012 wirklich von einem „Gemeinsamen Europäischen Asylsystem“ sprechen können, das den Namen verdient hat? (Katrin Hatzinger) Die aktuellen Forderungen des UNHCR an die zyprische Ratspräsidentschaft finden Sie unter: http://www.unhcr.org 19 Demokratie & Menschenrechte Jahresbericht des Europäischen Netzwerkes gegen Rassismus Im März 2012 hat das Europäische Netzwerk gegen Rassismus (European Network against Racism ENAR) seinen Jahresbericht 2010/2011 zum Rassismus in der EU und ihren Mitgliedstaaten vorgelegt, der die Ergebnisse von 27 Länderberichten bündelt. Ziel des Schattenberichts ist es, aus der Perspektive von Nichtregierungsorganisationen auf Rassismus aufmerksam zu machen und Darstellungslücken in offiziellen Erhebungen und akademischen Berichten auszugleichen. Menschen afrikanischer Herkunft, Migranten (EU-Bürger und Angehörige von Drittstaaten), Roma, Muslime und Juden stehen im Zentrum des Berichts, da sie als besonders betroffen von Rassismus und Diskriminierung, auch religiöser Art, gelten. Behandelt werden Bereiche wie Arbeitsmarkt und Beschäftigung (Arbeitslosigkeit unter Migranten, Anerkennung von Qualifikationen, sprachliche und kulturelle Hürden, Diskriminierung bei Stellenbesetzungen), Bildung (Zugang zu Bildung, Diskriminierung durch Lehrende und vorzeitiger Abbruch der Ausbildung), Gesundheit (Diskriminierung durch Gesundheitspersonal und Patienten, schlechte medizinische Versorgung), Strafjustiz (höhere Wahrscheinlichkeit der Fahndung und Verhaftung, unzureichender polizeilicher Schutz) und Medien (einseitige Berichterstattung, negative oder fehlende Repräsentation ethnischer Minderheiten). Exemplarisch soll hier das Feld „Arbeitsmarkt und Beschäftigung“ vorgestellt werden: Wie das Europäische Netzwerk gegen Rassismus (ENAR) berichtet, liegt in Großbritannien die Arbeitslosenquote unter ethnischen Minderheiten bei 12,8 % verglichen mit einer allgemeinen Arbeitslosigkeit von 7,8% der Bevölkerung. In Bulgarien sind 49,9 % der Roma arbeitslos: Im Vergleich zum Bevölkerungsdurchschnitt ist die Arbeitslosenquote damit unter den Roma dreimal so hoch. Diese Zahlen verdeutlichen die prekäre Situation von Migranten und ethnischen Minderheiten auf dem Arbeitsmarkt. wählte statistische Erhebungen sowie Erfahrungsberichte aus den verschiedenen Ländern vorgestellt. Außerdem dokumentiert und kommentiert der Bericht Entwicklungen in der europäischen Politik im Umgang mit ethnischen Minderheiten und Migranten. In der Einschätzung des ENAR lassen sich im Berichtszeitraum generell folgende Tendenzen feststellen: 1. Nach Ansicht des Netzwerks beeinträchtigt die Wirtschaftskrise die Situation von Migranten und ethnischen Minderheiten negativ: Die allgemeine Unsicherheit provoziere Ängste, die sich in rassistischem Verhalten niederschlügen. Überdies stünden aufgrund der Krise weniger finanzielle Mittel zur Bekämpfung von Rassismus und Xenophobie zur Verfügung. 2. Mit Besorgnis wird auf den Erfolg nationalistischer Parteien in Großbritannien, Dänemark, Ungarn, Griechenland und Polen hingewiesen und auf die Zunahme rassistisch motivierter Gewalt. 3. Die Richtlinie zur Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes ohne Unterschied der Rasse oder der ethnischen Herkunft wird nach Ansicht des ENAR noch zu wenig in die Praxis umgesetzt. 4. Schließlich setzt sich nach Beobachtung des ENAR zunehmend eine restriktive Migrationspolitik durch. Angehörigen ethnischer Minderheiten würde vorgeworfen, zu wenig für ihre Interessen einzutreten und sich kaum zu integrieren. Übersehen würde dabei, dass aufgrund von Diskriminierung und Gewalt im öffentlichen Raum deren gesellschaftliche Teilhabe erschwert oder ausgeschlossen ist. (Dr. Anna Donata Quaas) Den Schattenbericht des ENAR finden Sie unter: http://www.enar-eu.org Das ENAR würdigt, dass der Europäische Rat in seiner Europa-2020-Strategie, die das Ziel verfolgt, bis zum Ende dieses Jahrzehnts 75 % der Bevölkerung in den Arbeitsmarkt zu integrieren, ein besonderes Augenmerk auf Migranten richtet. Bemängelt wird aber, dass bisher kein einziger EU-Staat die Internationale Konvention zum Schutz der Rechte aller Wanderarbeitnehmer und ihrer Familienangehörigen unterzeichnet und ratifiziert habe. Für die anderen oben aufgeführten Teilbereiche werden ähnlich wie im Bereich „Arbeitsmarkt und Beschäftigung“ - leider etwas unverbunden - ausge- 20 EKD-Europa-Informationen Nr. 140 „Brighton Declaration“ zur Zukunft des Europäischen Gerichtshofs für Menschrechte (EGMR) veröffentlicht Schutz der Religionsfreiheit im Fokus der EU - Neuer Sonderbeauftragter für Menschenrechte Am 19. und 20. April 2012 fand in Brighton auf Einladung des Vereinigten Königreichs, welches seit November 2011 den Vorsitz im Ministerkomitee des Europarates innehat, eine Konferenz der 47 Mitgliedstaaten der Europäischen Menschrechtskonvention (EMRK) statt. Am Ende der Konferenz veröffentlichten die Mitgliedstaaten die sogenannte „Brighton Declaration“, die aktuelle Probleme in der Umsetzung der EMRK sowie in der Funktionsweise des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) analysiert und Lösungsansätze aufzeigt. Am 6. Juni 2012 wurde der Jahresbericht 2011 zu Menschenrechten und Demokratie der Europäischen Union (EU) veröffentlicht und von der Hohen Vertreterin der Union für Außen- und Sicherheitspolitik, Catherine Ashton, vorgestellt. Auch 2011 stehen Menschenrechte im Zentrum weltweiter EUAktionen. Dabei werden verschiedene Facetten der Menschenrechte weltweit angesprochen. Unter anderem wird in dem Bericht auch auf die Glaubensund Religionsfreiheit eingegangen, die als grundlegend für die Entwicklung freier Gesellschaften bezeichnet wird: 2011 wurden von der EU vermehrt Handlungen religiöser Intoleranz wahrgenommen. Die Abschlusserklärung der Konferenz war insbesondere deswegen mit Spannung erwartet worden, weil die englische Regierung bereits im Vorfeld immer wieder restriktivere Vorschriften für die Entscheidungskompetenz des EGMR gefordert hatte. Hintergrund waren zwei Urteile des EGMR, die in der britischen Öffentlichkeit als weitgehende Einmischung in innerstaatliche Angelegenheiten angesehen worden waren. Mit ihren zentralsten Anliegen konnte sich die englische Delegation allerdings in Brighton nicht durchsetzen. Der ursprüngliche Plan, das Subsidiaritätsprinzip sowie das Prinzip des Ermessenspielraums der Mitgliedstaaten in den Konventionstext selbst aufzunehmen, war auf zu viel Widerstand bei den anderen Konventionsstaaten gestoßen. Die beiden Grundsätze werden nun lediglich in der Präambel erwähnt. Auch die verbindliche Aufnahme einer Präklusionsvorschrift, welche eine Berufung auf das Konventionsrechts bereits im nationalen Verfahren zwingend voraussetzt, war nicht mehrheitsfähig. Die Erklärung enthält darüber hinaus eine Reihe von Maßnahmen, welche die Überlastung des EGMR, beispielsweise durch eine bessere Einhaltung der EMRK auf nationaler Ebene, abbauen sollen. Insgesamt wurden die getroffenen Reformentscheidungen sowohl vom Generalsekretär des Europarates, Thorbjørn Jagland, als auch vom deutschen Delegationsleiter, Dr. Max Stadler, als maßvoll und vernünftig bewertet, um einen effektiven Rechtschutz durch das Gericht weiterhin zu gewährleisten, gleichzeitig aber den Zugang zum EGMR für Einzelpersonen nicht übermäßig zu erschweren. (Christopher Hörster) Die „Brighton-Erklärung“ finden Sie unter: http://www.coe.int EKD-Europa-Informationen Nr. 140 Das Grundrecht der Gedanken- und Gewissensfreiheit ist in Art. 10 der europäischen Grundrechtecharta garantiert und beinhaltet das Recht, eine selbstgewählte Glaubensrichtung auszuleben, genauso wie das Recht, keiner Religion anzugehören. Es hat ebenso das Recht zum Gegenstand, eine Religion anzunehmen, zu wechseln und abzulegen. Die EU vertritt die Ansicht, dass die Verteidigung solcher universellen Prinzipien grundlegend für die Entwicklung freier Gesellschaften ist, weshalb sie verstärkt daran arbeitet, weltweit religiöse Intoleranz und Diskriminierung zu verringern. Im Februar vergangenen Jahres hat der Rat für auswärtige Beziehungen Empfehlungen verabschiedet, die das wichtige Anliegen unterstreichen, jede Art von Intoleranz, Diskrimination und Gewalt aus religiösen Gründen zu verurteilen. Im Zuge dessen wurde in dem vorliegenden Bericht erneut betont, dass es zunächst die primäre Aufgabe der jeweiligen Staaten sei, ihre Bürger zu schützen und deren Rechte zu wahren. Zudem erinnert der Bericht alle EU-Delegationen an ihre Rolle, Respekt gegenüber der Glaubens- und Meinungsfreiheit in Ländern zu verbreiten, in denen diese fundamentalen Menschenrechte verletzt werden. So wurden die EUDelegationen damit beauftragt, das Bewusstsein gegenüber der Glaubens- und Gewissensfreiheit zu schärfen, sich mit Partnerländern zusammenzutun, um gegen Diskriminierung aufgrund des Glaubens und der Religion anzugehen sowie Kontakte mit örtlichen Menschenrechtsorganisationen aufzunehmen und gemeinsam an der Stärkung dieser Rechte zu arbeiten. Am 25. Juni 2012 hat der Rat der Europäischen Union zudem zum ersten Mal einen Strategischen Rahmen für Menschenrechte und Demokratie in Kraft gesetzt; für die praktische Umsetzung der Inhalte ist zugleich ein Aktionsplan mit auf den Weg gebracht worden. Bislang hatte die EU lediglich länder- oder themenspezifische Erklärungen zu Menschenrechten und Demokratie abgegeben. In dem Strategischen Rahmen sind für die nächsten zehn 21 Jahre Grundsätze, Ziele und Prioritäten formuliert, durch die die Reichweite und Kohärenz der EU-Politik ausgeweitet werden sollen. Der Fokus des strategischen Rahmens richtet sich auf folgende Felder: die Menschenrechte sowohl in der EU-Politik als auch in allen Bereichen der EU-Außenpolitik sowie die Umsetzung der Prioritäten der EU in Bezug auf die Menschenrechte; die Förderung der Universalität der Menschenrechte; die Zusammenarbeit mit multilateralen Institutionen und innerhalb der EU sowie die bilaterale Zusammenarbeit mit Partnern. Zusätzlich hat Catherine Ashton vorgeschlagen, einen EU-Sonderbeauftragten für Menschenrechte einzusetzen, der die „Sichtbarkeit und Stimmigkeit der EU-Menschenrechtspolitik“ stärken soll. In seine Zuständigkeit soll wohl auch der Schutz der Religionsfreiheit fallen. Der Sonderbeauftragte, dessen Ernennung noch aussteht, soll in einem engen Kontakt zum Europäischen Auswärtigen Dienst stehen und eine erste Amtszeit von zwei Jahren innehaben. Der zum strategischen Rahmen zusätzlich aufgestellte EU-Aktionsplan, der bis Ende 2014 läuft, ist vom Europäischen Auswärtigen Dienst in Zusammenarbeit mit der Europäischen Kommission und den Mitgliedstaaten der EU entworfen worden; diese Beteiligten sind auch für die Durchführung verantwortlich. Über die Umsetzung des Aktionsplans wird die EU im jährlichen Bericht über Menschenrechte und Demokratie informieren. (Maike Bannick / Katrin Hatzinger) Weitere Informationen finden Sie unter: http://www.consilium.europa.eu Den Jahresbericht 2011 finden Sie hier: http://eeas.europa.eu „Mit tiefgreifendsten Unterschieden leben“ Die „Global Charter of Conscience“ Im Europäischen Parlament ist am 21. Juni 2012 auf Einladung der schwedischen Abgeordneten Sari Essayah (EVP) die „Globale Charta der Gewissensfreiheit“ vorgestellt worden. Ziel der Charta ist es, den 18. Artikel der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (1948), der das allgemeine Recht auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit proklamiert, wieder in das Zentrum der öffentlichen Diskussion zu rücken. Zur Vorstellung der Charta und zur Diskussion ihres Inhalts waren Os Guiness (Initiator der Charta), Thomas Schirrmacher (Religionssoziologe und Mitautor der Charta) und Heiner Bielefeldt (Sonderberichterstatter für Religions- und Weltanschauungsfreiheit des UN-Menschenrechtsrats) eingeladen. „Living with deepest differences“ (mit tiefgreifendsten Unterschieden leben) ist eins der Grundaxiome des Dokuments. An Fragen des Gewissens, der religiösen und weltanschaulichen Überzeugung würden tiefgreifende, existentielle Unterschiede zwischen Menschen deutlich. Diese Unterschiede seien gegeben und sollten nicht nivelliert werden. Trotzdem sei ein „robust dialogue“ möglich und erstrebenswert. Dabei sei zu unterscheiden zwischen der Person und ihren Überzeugungen. Die Freiheit des Gewissens schütze die Person; ihre Überzeugungen jedoch könnten respektvoll diskutiert und in Frage gestellt werden. Ein weiterer Leitgedanke der Charta ist die Idee eines „civil public square“ (zivilen, öffentlichen Platzes). Im Gegensatz zum „sacred public square“ (heiligen, öffentlichen Platz), der von einer bestimmten Religion eingenommen werde und für andere Glaubensrichtungen keinen Raum lasse und einem „naked public square“ (leeren, öffentlichen Platz), der Religionen aus dem öffentlichen Leben verbanne, propagiert die Charta einen „civil public square“ als Vision eines öffentlichen Lebens, das gleichzeitig freie Glaubensentfaltung und Religionslosigkeit ermöglicht. Dabei erhebt die „Globale Charta für Gewissensfreiheit“ den Anspruch, Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit für jeden Menschen maximieren zu wollen und Einschränkungen dieser Freiheit nur ausnahmsweise und unter klar definierten Bedingungen zuzulassen. Auch die Rechte unpopulärer Gruppen und kleinster Minderheiten müssten geschützt werden. Im Blick auf Minderheiten sei ein demokratisches System zum Schutz der Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit unzureichend, da darin Einzelpersonen und Minderheiten nicht genügend berücksichtigt würden. 22 EKD-Europa-Informationen Nr. 140 Die Gewissensfreiheit sei Grundlage der Demokratie. Da Menschenrechte vom Staat unabhängig und ihm vorgeordnet seien, könne der Staat diese auch nicht gewähren, sondern habe sie für alle Bürgerinnen und Bürger zu schützen. Die UN-Menschenrechtscharta wird in diesem Jahr 64 Jahre alt. Einem Bericht des Pew-Forschungszentrum zu Religion und öffentlichem Leben zufolge leben drei Viertel der Erdbevölkerung in Ländern, in denen die Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit eingeschränkt ist. Die „Globale Charta der Gewissensfreiheit“ versteht sich als Herausforderung und Verheißung. Die Herausforderung liegt darin, mit den „tiefgreifendsten“ Unterschieden zu leben. Die Verheißung besteht darin, den „civil public square“ so zu gestalten, dass Menschen mit und ohne religiöse Überzeugungen in Frieden zusammen leben können. (Dr. Anna Donata Quaas) Weitere Informationen zur „Globalen Charta für Gewissensfreiheit“ finden Sie hier: http://charterofconscience.org „Politik aus dem Netz und von der Straße - Bewegung für eine demokratische und friedlichere Welt?“ Podiumsdiskussion und Vorstellung des Friedensgutachtens 2011 Das EKD-Büro hat am 20. Juni 2012 bereits zum dritten Mal das jeweils aktuelle Friedensgutachten im Rahmen einer Podiumsdiskussion vorgestellt. In diesem Jahr war der Aufsatz des Geschäftsführers des Netzwerks Friedenskooperative, Manfred Stenner, „Politik aus dem Netz und von der Straße - Bewegung für eine demokratische und friedlichere Welt?“, Gegenstand der Debatte. Nach einem Impuls des Europaparlamentariers Gerald Häfner (Die Grünen) diskutierten - moderiert von der Leiterin des EKD-Büros, Katrin Hatzinger - Mitherausgeberin Dr. Corinna Hauswedell vom Bonn International Centre for Conversion (bicc), Manfred Stenner, der Europaabgeordnete Michael Gahler (CDU) sowie Roland Freudenstein, Forschungsleiter am Centre for European Studies. Dabei standen folgende Fragen im Mittelpunkt: Welches Potential zur positiven Veränderung der Weltgesellschaft steckt in den Protestbewegungen? Hat die Einforderung von Partizipation und sozialer Gerechtigkeit auch friedenspolitische Implikationen? Wie verändern die unterschiedlichen Bewegungen von Occupy bis Arabellion unser Demokratieverständnis? Im einleitenden Impulsvortrag thematisierte Gerald Häfner das schwindende Vertrauen der Bürger in die Politik. Die momentanen krisenhaften Zeiten bestimmten das Lebensgefühl. Niemand könne genau sagen, welche Entwicklungen auf die Staaten zukommen werden. Das Vertrauen der Bürger in die Politik erodiere, da Prophezeiungen gemacht würden, die im Endeffekt nicht einträten. Eine Typologie der unterschiedlichen Protestbewegungen zu erstellen sei schwierig. Es handle sich um verschiedene Phänomene. Während es sich in der Arabellion um eine Protestbewegung klassischen Zuschnitts handele mit einem klaren Ziel und einem klaren Gegner, fehle es der Occupy-Bewegung an einem greifbaren Gegenspieler: Occupy habe keinen konkreten Angriffspunkt. Ihr liege ein umfassendes Unwohlsein mit den heutigen politischen Verhältnissen zugrunde. Dazu gehöre zum einen die Demokratiefrage, da zwischen den Wahlen keine konkrete Möglichkeit bestehe mitzureden. Er plädierte daher dafür, das System der Demokratie zu überarbeiten, um den Bürgern mehr Partizipation zu gewähren. Nicht nur die fehlenden Mitsprachemöglichkeiten, auch ein entfesselter Finanzkapitalismus zerstöre die sozialen Verhältnisse und die Umwelt. Häfner sprach von einem „Krieg“ auf den Finanzmärkten. Die Politik müsse die Verantwortung für die derzeitigen Entwicklungen übernehmen und nach Alternativen suchen. Die Aufgabe Europas sei es in diesem Kontext, Ideen für eine EKD-Europa-Informationen Nr. 140 23 nachhaltige und soziale Ökonomie zu entwickeln. Denn die Frage nach dem Frieden schließe die Frage des sozialen Friedens und des Friedens mit der Natur ein: Nur eine ganzheitliche Bearbeitung könne zielführend sein. Nach Dr. Corinna Hauswedell kann die Occupy-Bewegung in zwei Phasen unterteilt werden: Am Anfang habe sich die Bewegung selbst artikuliert und sei stellvertretend für 99 Prozent der Bevölkerung aktiv geworden. Die Bewegung habe eine symbolische Bedeutung und öffentliche Wirkung erzielt. Im Verlauf der Zeit sei es dann zu einer zweiten Phase gekommen, in der Zweifel an der Reichweite der Proteste laut wurden. Roland Freudenstein betonte die Notwendigkeit neuer Demokratieformen, die mehr Mitsprache der Bürger ermöglichten. Gleichzeitig warnte er davor, die bürgerliche Demokratie im Zuge der Protestbewegungen vorschnell gegen etwas Schlechteres einzutauschen. Freudenstein auf einen langjährigen Fehler der EU aufmerksam: Europa habe lediglich mit den alten Eliten zusammengearbeitet, ohne den Blick auf die Oppositionen zu richten. Der Kontakt zur Zivilgesellschaft müsse intensiviert werden. Durch eine bessere Visapolitik müsse eine Wissenspolitik basierend auf internationalem Austausch entwickelt werden, um die Länder wirtschaftlich voranzubringen. Abschließend stellte Katrin Hatzinger fest, dass die Themenstellung viele interessante Fragen aufgeworfen habe, sie sich jedoch im Rahmen der zur Verfügung stehenden Zeit nicht abschließend diskutieren ließen. Ein erster anregender Schritt sei jedoch getan worden. (Maike Bannick / Katrin Hatzinger) Weitere Informationen zum Friedensgutachten finden Sie hier: http://www.friedensgutachten.de Manfred Stenner sprach über die sozialen Medien als Instrumente demokratischer Partizipation, sie seien ein verbindendes Element zwischen den Bewegungen. Insbesondere die Occupy-Bewegung sei ein Aufschrei gegen die aktuelle Politik, die ursächlich für die jetzigen Probleme sei. Man müsse die Deregulierung der Finanzpolitik zurückschrauben und Spekulationen begrenzen. Er sprach von einer Politik(-er-)verdrossenheit, die unter den Bürgern zu spüren sei und sich seit der Finanzkrise noch einmal verschärft habe, was an den geringen Wahlbeteiligungen und dem Ruf nach einer stärkeren Mitbestimmung deutlich werde. Die EU brauche mehr direkte Demokratie und vermehrte Volksentscheide auf regionaler, nationaler und internationaler Ebene. Michael Gahler, sicherheitspolitischer Sprecher der EVP-Fraktion, versuchte dem Ursprung der angesprochenen Politikverdrossenheit auf den Grund zu gehen: Sie sei größtenteils in dem Moment entstanden, als die Politik das Wachstumsversprechen nicht mehr halten konnte. Mittlerweile sei zunehmend Konkurrenz durch andere Staaten entstanden, die mit der EU gleichzögen. Der Abgeordnete des Europäischen Parlaments betonte, dass die Politik in der Verantwortung stehe, zu erklären, warum es nicht in dem gleichen Tempo immer weiter gehen könne. An dieser Ehrlichkeit gegenüber den Bürgern fehle es der Politik, so dass Vertrauen schwinde. In Bezug auf die aktuelle Lage in Tunesien erläutert Gahler, der 2011 die EU-Wahlbeobachtungsmission in Tunesien geleitet hatte, dass dort momentan die wirtschaftlichen, religiösen und politischen Fragen geklärt werden müssten. Die EU habe eine große Verantwortung, ein Land wie Tunesien zu stabilisieren. Bezugnehmend darauf machte Roland 24 EKD-Europa-Informationen Nr. 140 Forschungspolitik Steigerung menschlicher Kapazitäten durch technische Mittel (Human Enhancement) - Fluch oder Segen? Bericht einer Fachtagung Vom 25. bis 27. April 2012 hatte die Kommission Kirche und Gesellschaft der KEK (Konferenz Europäischer Kirchen) zu einer Tagung zum Thema „Human Enhancement: Moral, Religious and Ethical Aspects from a European Perspective“ eingeladen. Beim „human enhancement“, der Steigerung menschlicher Kapazitäten durch technische Mittel, handelt es sich um ein derzeit kontrovers diskutiertes Thema: Zwar haben Menschen von jeher versucht, in natürliche Prozesse einzugreifen und ihre Möglichkeiten zu erweitern, sei es durch den Einsatz von Heilmitteln zur Behandlung von Krankheiten, sei es durch die Entwicklung von technischen Hilfsmitteln. Neu sind jedoch chemische Produkte, welche die sportliche Leistungsfähigkeit erhöhen, kognitive Fähigkeiten steigern oder einen Menschen psychisch verändern. In den Körper eingepflanzte Implantate, beispielsweise Computerchips im Gehirn, sollen Fähigkeiten stimulieren, über die der Mensch gewöhnlich nicht (mehr) verfügt. Modifikationen an menschlichen Zellen und Genen werden vorgenommen, um Behinderungen zu beseitigen oder menschliche Möglichkeiten zu verbessern. Diese neuen Entwicklungen provozieren eine Reihe von Fragen: Welche Auswirkungen haben sie im Blick auf den ganzen Menschen in seiner Einheit von Körper, Geist und Seele? Welche Folgen hat „human enhancement“ für das Menschenbild? Wie verändert sich eine Gesellschaft angesichts dieser technischen Neuerungen? Welche Auswirkungen haben sie auf das Bild von Gott als Schöpfer? Wie werden zukünftig finanzielle Ressourcen verteilt: Werden Mittel, die zur Förderung von Biotechnologie eingesetzt werden, in anderen Bereichen des Gesundheitssektors fehlen? Im Laufe der letzten Jahre hat sich die Kommission Kirche und Gesellschaft mehrfach mit dem Thema befasst: Im Jahre 2003 gab es bereits eine ökumenische Konsultation zum Thema Bioethik, 2009 wurde ein Diskussionspapier zum Thema „human enhancement“ vorgelegt. Die Tagung konnte daher auf vorangegangene Diskussionsprozesse aufbauen. Etwa 50 Repräsentanten europäischer Kirchen und Religionsgemeinschaften sowie Vertreter aus Wissenschaft und Politik aus 18 verschiedenen Ländern nahmen an der Konferenz teil. Einige Referate sollen im Folgenden skizziert werden: Cees Dekker, Professor am Institut für Nanowissenschaften der Technischen Universität Delft, gab eine Einführung in seinen Fachbereich. Auf Schlagzeilen wie „Playing God?“, die im Zusam- EKD-Europa-Informationen Nr. 140 menhang mit seiner Forschung für Furore sorgten, reagiert der - sich explizit als Christ ausweisende Wissenschaftler - mit einer Unterscheidung: „Playing God“ könne einerseits als menschliche Hybris verstanden werden. Mit dem Gebot, die Schöpfung zu bewahren, sei den Menschen jedoch auch ein „cultural assignment“, also ein die Welt gestaltender Auftrag, übertragen worden. In diesem ethischen Dilemma bewege sich die Biotechnologie. Roland Kipke, wissenschaftlicher Koordinator des Internationalen Zentrums für Ethik in den Wissenschaften (IZEW) an der Universität Tübingen, ging es in seinem Beitrag um eine Differenzierung zwischen dem allgemein menschlichen Streben nach Verbesserung (etwa im Blick auf Leistungsfähigkeit, charakterliche Eigenschaften und Gesundheit) und der künstlich herbeigeführten Veränderung menschlicher Kapazitäten durch pharmakologisches Neuro-Enhancement. Während ersteres ein aktives Arbeiten an der eigenen Persönlichkeit einschlösse, spiele bei letzterem die eigene Anstrengung und Selbstreflexion keine wesentliche Rolle. An die graduelle Veränderung über einen längeren Zeitraum trete der rasche Wandel. Auch wenn Neuro-Enhancement grundsätzlich moralisch nicht verwerflich sei, entfalle dadurch die Arbeit an der eigenen Persönlichkeitsentwicklung - ein wichtiges menschliches Gut. Im Zentrum der Konferenz stand der Austausch mit der STOA (Scientific and Technological Options Assessment), einer Abteilung im Europäischen Parlament zur Folgenabschätzung wissenschaftlicher und technologischer Optionen. Nach Einführungsvorträgen zu neuen Entwicklungen in Nano-, Biound Informationstechnologie sowie den Kognitionswissenschaften wurde das Thema aus christlicher, jüdischer und muslimischer Perspektive beleuchtet und anschließend durch ein Expertenpodium und die Konferenzteilnehmer diskutiert. Am Schluss der Konferenz stand ein zusammenfassender Vortrag des Systematischen Theologen und Ethikers Professor Peter Dabrock (Universität Erlangen): Darin rief er dazu auf, das Thema ‚human enhancement‘ nüchtern zu betrachten. Bei transhumanistischen Ideen handele es sich nach wie vor um Utopien. Hinter der Debatte um „human enhancement“ erkennt er vielmehr eine soziale Krise, auf die Kirchen dringend zu reagieren hätten. Die Konferenz bot eine Fülle von Beiträgen und Perspektiven auf das Thema, die auf der Internetseite der Kommission Kirche und Gesellschaft der KEK (siehe unten) nachzulesen sind. Dort sind auch die bisher erschienenen Beiträge der Kommission Kirche und Gesellschaft der KEK und ihrer Mitgliedskirchen zum Thema Bioethik und -technologie aufgeführt. (Dr. Anna Donata Quaas) http://csc.ceceurope.org 25 Horizont 2020 - EU-Mittel für Forschung und Innovation Derzeit werden die Konditionen des Rahmenprogramms „Horizont 2020“ verhandelt, das von 2014 bis 2020 EU-Mittel in Höhe von etwa 80 Milliarden Euro für Forschung und Innovation bereit stellen soll. Die Mittel sollen zur Förderung von Exzellenzforschung, der führenden Rolle der Industrie und zur Bewältigung gesellschaftlicher Herausforderungen eingesetzt werden. Besonders bei der Bewältigung gesellschaftlicher Herausforderungen nehmen die Geistes- und Sozialwissenschaften aus kirchlicher Sicht eine herausgehobene Stellung ein. Als vorrangiges Forschungsfeld sollte dabei auch die Forschung über die Rolle der Religionen in Europa und ihr Beitrag zur Europäischen Integration angesehen werden. Entsprechend hatte sich die Bundesregierung in ihrem 2. Leitlinienpapier vom 17. Juni 2011 dafür ausgesprochen, die „kulturelle und religiöse Vielfalt als Ressource gesellschaftlicher Erneuerung und Entwicklung“ durch das neue Rahmenprogramm für Forschung und Innovation zu fördern. Im bisherigen Vorschlag der EU-Kommission für „Horizont 2020“ wird auf die Rolle von Religionen nur an einer Stelle hingewiesen. Unter der Überschrift „Reflektierende Gesellschaften - Kulturerbe und europäische Identität“ wird unter „Schwerpunkten der Tätigkeiten“, die „Erforschung der Geschichte, Literatur, Philosophie und Religionen der Länder und Regionen Europas...“ genannt. Im Kernthesenpapier der Bundesregierung vom 15. Mai 2012 wird zudem darauf hingewiesen, dass es für Europa wichtig sei, „seine geistigen und kulturellen Grundlagen zu reflektieren und auf dieser Basis geistige, kulturelle und soziale Beiträge zur weiteren Entwicklung Europas zu leisten.“ Besonders in den Bereichen „Demographischer Wandel“ und „Migration“ bestehe mehr Forschungsbedarf auf gesamteuropäischer Ebene. Um Europas kulturelle Wurzeln als Basis für eine gemeinsame Identität zu verstehen, sei eine „hierauf zugeschnittene Forschungsagenda mit eigener Programmatik“ notwendig. Zum Erhalt des Kulturguts und zur Erforschung von Quellen und Sammlungen wird auf die besondere Rolle der Geistes-, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften hingewiesen. Aus Sicht der Kirchen ist jedoch die Rolle von Geistes- und Sozialwissenschaften im neuen Rahmenprogramm insgesamt noch zu wenig berücksichtigt. Wie bereits im Vorfeld des 7. Forschungsrahmenprogramms wird weiter darum gestritten, ob mit EU-Mitteln auch die Verwendung humaner embryonaler Stammzellen für Forschungszwecke finanziert werden soll. Wegen der ethischen Relevanz des Themas wurde der Rechtsausschuss (JURI) vom eigentlich für Forschungsfragen zuständigen Ausschuss für Industrie, Forschung und Energie (ITRE) um eine Stellungnahme gebeten. Am 22. Mai 2012 legte der 26 Berichterstatter des Rechtsausschusses, Piotr Borys (EVP, Polen), den Entwurf einer Stellungnahme vor. In seinem Entwurf einer Stellungnahme beruft sich Berichterstatter Borys auf das Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom 18. Oktober 2011, wonach embryonale Stammzellen nicht patentierbar sind. Hintergrund dieses Urteils war ein Patentstreit zwischen der Umweltorganisation Greenpeace und dem Bonner Stammzellenforscher Oliver Brüstle (siehe EKD-Europa-Informationen Nr. 139). Aufgrund des Urteils des EuGH plädiert Borys dafür, „Forschungstätigkeiten, bei denen menschliche Embryonen zerstört oder humane embryonale Stammzellen verwendet werden, gänzlich von einer Förderung durch die EU auszuschließen“. Seiner Stellungnahme zufolge soll Artikel 16 des Vorschlags für das Rahmenprogramm entsprechend verändert werden. Im Sinne der Kirchen fordert er, die bisherige Protokollerklärung der Europäischen Kommission, keine Forschungsprojekte zu fördern, in deren Verlauf humane Embryonen zur Gewinnung von Stammzellen zerstört werden müssen, rechtlich verbindlich in der Verordnung festzuschreiben. In dem Kernthesenpapier der Bundesregierung wird hingegen lediglich von der Europäischen Kommission gefordert, eine Protokollerklärung abgeben und im Amtsblatt der Europäischen Union zu veröffentlichen. Die ethischen Standards, die im 7. Forschungsrahmenprogramm gesetzt sind, hält sie für ausreichend. Der Entwurf einer Stellungnahme des Berichterstatters Piotr Borys kann möglicherweise bei der für September 2012 angesetzten Abstimmung im JURI-Ausschuss eine Mehrheit erzielen. Ob sich sein Vorschlag auch im Plenum durchsetzt, ist fraglich. (Dr. Anna Donata Quaas) Das „2. Leitlinienpapier der Bundesregierung für das kommende Rahmenprogramm für Forschung und Innovation“ ist online verfügbar unter http://www.bmbf.de Der „Vorschlags für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über das Rahmenprogramm für Forschung und Innovation ‚Horizont 2020‘“ ist hier nachzulesen: http://www.parlament.gv.at Das „Kernthesenpapier der Bundesregierung zum Vorschlag der Europäischen Kommission für ein neues europäisches Rahmenprogramm für Forschung und Innovation „Horizont 2020“ ist veröffentlicht unter: http://www.forschungsrahmenprogramm.de Den Entwurf einer Stellungnahme des Rechtsausschusses von Berichterstatter Piotr Borys finden Sie hier: http://www.europarl.europa.eu EKD-Europa-Informationen Nr. 140 Jugend, Bildung, Sport Nach dem Spiel ist vor dem Spiel EU-Politik und Sport Jugendund bildungspolitische Schwerpunkte der zyprischen EURatspräsidentschaft Mit dem Vertrag von Lissabon wurden der Europäischen Union sportpolitische Kompetenzen eingeräumt (siehe EKD-Europa-Informationen Nr. 139), die sie bei der Fußball-Europameisterschaft 2012 zum ersten Mal als politischer Akteur unter Beweis stellen konnte. Neben der inner-europäischen Sportförderung ist die Sportpolitik der EU-Kommission auch ein entwicklungspolitisches Instrument. Explizit wird die „Förderung des interkulturellen Dialoges und des Friedens“ als Leitziel proklamiert. (Doris Klingenhagen, Referentin) Dass Sport und Politik sich oft nicht klar trennen lassen, wurde bereits bei den Olympischen Spielen in Peking 2008 ersichtlich. Ein Blick auf die Veranstaltungsorte zukünftiger sportlicher Großereignisse verdeutlicht, dass auch künftig klare Positionierungen der EU-Politik von Nöten sind. 2014 findet die Eishockey-Weltmeisterschaft in Weißrussland statt, die Fußball-Weltmeisterschaft wird 2018 in Russland und 2022 in Katar abgehalten. Die Europäische Kommission hatte auf die Berichte über Menschenrechtsverletzungen in der Ukraine, insbesondere den Fall Julija Tymoschenko, mit einem Fernbleiben europäischer Spitzenpolitiker von den Meisterschaften reagiert, da es „unter den gegebenen Umständen inopportun wäre, zu den Spielen in der Ukraine zu reisen“. • Die Förderung der Beteiligung junger Menschen und der sozialen Inklusion mit besonderer Berücksichtigung junger Menschen mit Migrationshintergrund sowie • die Förderung der gesellschaftlichen Integration junger Menschen. Vor dem Hintergrund, dass die Sportpolitik noch ein junges Feld der EU-Politik darstellt, waren diese Reaktionen ein erster Schritt, von den neuen Kompetenzen Gebrauch zu machen. Gleichwohl ist in Anbetracht der kommenden Großereignisse nochmals die diplomatische Schärfe der nun zur Verfügung stehenden politischen Instrumente von Dialog, Restriktion, Kooperation und Förderung zu überdenken. (Christoph Schnabel) Die Seite der EU-Kommission zum Thema Sport finden Sie unter folgender Adresse: http://ec.europa.eu EKD-Europa-Informationen Nr. 140 Die zyprische EU-Ratspräsidentschaft hat auf den Sitzungen der Jugend- und Bildungsminister und -ministerinnen am 10./11. Mai 2012 über ihre politischen Schwerpunkte in der zweiten Jahreshälfte 2012 informiert. Als übergreifendes Thema wird „Soziale Inklusion“ auf der Tagesordnung stehen. Jugendpolitisch werden zwei Schwerpunkte in die gemeinsame Arbeit eingebracht: Zum erstgenannten Thema sollen Schlussfolgerungen verabschiedet werden. Der Jugendrat der EU wird sich darüber hinaus mit zwei Entschließungsvorschlägen befassen (einen zum Zwischenstand der Umsetzung des Strukturierten Dialogs und einen weiteren zum zweiten EU-Jugendbericht), die beide im September von der EU-Kommission in die Diskussion gebracht werden. Die bildungs- und berufsbildungspolitischen Prioritäten des zypriotischen EU-Vorsitzes sind die Bekämpfung des Analphabetismus, die Gleichheit und Exzellenz in der Berufsbildung sowie ein Folgebericht zur Umsetzung des strategischen Rahmens für die europäische Zusammenarbeit auf dem Gebiet der allgemeinen und beruflichen Bildung. Ein gemeinsames Thema der Bildungs- und Jugendpolitiker der EU könnte die Beratung einer Empfehlung zur Anerkennung des nicht formalen und informellen Lernens sein. Die Veröffentlichung des Vorschlags wurde bereits von der EU-Kommission für Juni dieses Jahres angekündigt, jedoch verschoben. 27 EU-Bildungsministerrat trifft wichtige Entscheidungen für das Förderprogramm Bildung, Jugend und Sport - „Erasmus für alle“ Am 11. Mai 2012 ist durch den EU-Bildungsministerrat eine wichtige Weichenstellung für das ab 2014 geplante europäische Förderprogramm „Erasmus für alle“ für die Bereiche Bildung, Jugend und Sport erfolgt. Der Rat hat dafür gesorgt, dass im neuen Programm die unterschiedlichen Zielgruppen passgenau angesprochen werden. Am deutlichsten wird dies durch die Einführung eines Jugendkapitels. Darüber hinaus stärkt er den Stellenwert der beruflichen Bildung sowie die eigenständige Verwaltung des Programms durch die Mitgliedstaaten. Eine wichtige Errungenschaft ist ebenfalls, dass für jede Zielgruppe ein bestimmtes Mindestbudget vorgesehen sein soll. Der Kommissionsentwurf hatte beabsichtigt, unter dem Titel „Erasmus für alle“ ein übergreifendes Förderprogramm aufzulegen, in dem alle bisherigen Aktionen aus Hochschulbildung, schulischer Bildung, beruflicher Bildung und außerschulischer Bildung in den drei horizontalen Aktionslinien aufgehen sollten. Dem stimmten die Mitgliedstaaten nicht in allen Punkten zu. Bildung Im Programmbeschluss des Rates wurde im Kapitel „Bildung und Ausbildung“ eine Struktur geschaffen, die die verschiedenen Zielgruppen klar erkennbar macht und sich dabei an der Struktur des „Life-Long-Learning“-Programms orientiert. Diese wurden den drei horizontalen Aktionslinien des Gesamtprogramms zugeordnet: 1. Lernmobilität von Einzelpersonen; 2. Zusammenarbeit zur Förderung von Innovation und bewährten Verfahren; 3. Unterstützung politischer Reformen. Ebenfalls ist es gelungen, den besonderen Stellenwert des Austausches in der beruflichen Bildung und des deutschen Ausbildungssystems zu verankern. Darüber hinaus wurde die berufliche Bildung in der Zusammenarbeit mit außereuropäischen Ländern gestärkt. Die EU-Kommission hatte zuvor vorgeschlagen, diese Zusammenarbeit auf den Hochschulbereich zu konzentrieren. Die Bedeutung der Zusammenarbeit der Einrichtungen von Bildung und Ausbildung mit Partnern der Arbeitswelt wurde durch den Ratsbeschluss bestärkt. Im Bereich der Schulbildung („COMENIUS“) finden Aktivitäten mit Schülern und Schülerinnen jedoch weiterhin keine Berücksichtigung, auch die Erwachsenbildung („GRUNDTVIG“) wird weiter unter den Aspekt der Berufsbildung gefasst. 28 Jugend Aus deutscher Sicht ist die Einigung auf ein eigenes Kapitel „Jugend“ ein besonders wichtiger Punkt. Mit der Forderung eines eigenen Jugendprogramms war die Bundesregierung in einem großen Schulterschluss mit Jugendorganisationen und anderen Trägern und Verbänden aus der Jugendhilfe ursprünglich in die Verhandlungen gegangen. Die verschiedenen Interessenslagen der Mitgliedstaaten haben als Kompromiss jetzt nur ein Jugendkapitel zugelassen. Dieses ist jedoch mit gesonderten jugendpolitischen Zielbestimmungen versehen und erfüllt jugendpolitische Mindestanforderungen. Das Kapitel „Jugend“ ist ebenso an den drei horizontalen Aktionslinien des Gesamtprogramms orientiert. Es eröffnet Formate und Förderziele, die im Wesentlichen die Aktivitäten von JUGEND IN AKTION weiter ermöglichen. So stehen Jugendaustausch, Europäischer Freiwilligendienst und die Mobilität von Fachkräften in Qualifizierungs- und Vernetzungsaktivitäten innerhalb der EU und mit Partnerländern im Mittelpunkt. Ebenso sind die Förderung von Jugendinitiativen, der Strukturierte Dialog mit jungen Menschen sowie die Förderung des Europäischen Jugendforums und der europäischen Nichtregierungsorganisationen enthalten. Das Jugendkapitel hat im Ratsbeschluss darüber hinaus einen klaren Bezug zu den Zielen der EUJugendstrategie erhalten. In Sachen der Verantwortung für das zukünftige Programm (programmbegleitender Ausschuss) und die Programmverwaltung (jugendspezifische Nationalagentur) hat sich der Rat der Fachminister auf Kompromisslinien eingelassen. Nach Meinung des Rates wird es nur einen zuständigen Programmausschuss geben, den dann verantwortlichen Bildungsausschuss. Dieser kann in speziellen Zusammensetzungen tagen, um über bereichsspezifische Fragen wie den Jugendbereich beraten zu können. Ein eigener jugendspezifischer Programmausschuss ist nicht mehr vorgesehen. Zur Programmverwaltung wird den Mitgliedstaaten die Möglichkeit eingeräumt, diese auf nationaler Ebene unter Berücksichtigung eigener Bedürfnisse und Gegebenheiten zu gestalten. Das heißt für Deutschland, dass es weiter eine „Nationalagentur Jugend“ geben kann. Sie muss sich jedoch in ein koordiniertes Vorgehen mit den anderen Agenturen und Ministerien einordnen. Denn an dem Gesamtprogramm „Erasmus für alle“ sind in Deutschland zukünftig sowohl das Bundesministerium für Familien, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ), das Bundesministerium des Inneren (für den Sportbereich) (BMI) und das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) beteiligt. EKD-Europa-Informationen Nr. 140 Sport Eine größere Änderung hat der EU-Rat gegenüber dem Kommissionsvorschlag im Sportkapitel vorgenommen, indem er nur noch die Förderung transnationaler Netzwerke und Studien vorsieht. Herausgefallen sind dabei Strukturfördermittel für Sportorganisationen und die Förderung für Sportereignisse mit ihren vorbereitenden Maßnahmen. Hinzu kommt eine Erhöhung der Koinanzierungsquote auf 40 Prozent. Diese Ausrichtung schließt die Nutzung des Programms für den Breitensport zukünftig aus. Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass der Bildungsministerrat wichtige (jugend-)politische Forderungen aufgegriffen hat - jedoch mit Einschnitten und noch vielen offenen Punkten. Bei allem Erreichten ist zu beachten, dass dieser Ratsbeschluss ein Teilbeschluss und -kompromiss ist, der die Fragen zur finanziellen Mittelausstattung des Gesamtprogramms wie auch die konkrete Zuweisung zu einzelnen Bereichen ausklammert. Diese hängen vom Beschluss des Mehrjährigen Finanzrahmens ab. Das Europäische Parlament wird auf der Grundlage des Kommissionsvorschlags einen eigenen Beschluss voraussichtlich Anfang 2013 fassen. Diese drei Beschlüsse bzw. Vorschläge werden dann mit dem Finanzrahmen zu einem endgültigen Programmbeschluss im Trilog-Verfahren zwischen EU-Kommission, EU-Rat und Europäischem Parlament verhandelt. Somit besteht jetzt die Möglichkeit über das Europäische Parlament weitere jugendpolitische wie auch bildungspolitische Konkretisierungen zu erreichen. (Doris Klingenhagen) Zum Beschluss des Rates: http://www.jugendpolitikineuropa.de Jugendministerrat setzt auf Kreativitäts- und Innovationspotential junger Menschen Der Rat der Jugendminister hat am 11. Mai 2012 Schussfolgerungen zur Förderung des Kreativitätsund Innovationspotenzials junger Menschen angenommen. Er machte darin deutlich, dass nicht formales und informelles Lernen sowie Jugendarbeit und Jugendorganisationen wichtige Instrumente zum Erwerb notwendiger Fähigkeiten und Kompetenzen sind. Als Grundforderung formulierte der Rat, dass junge Menschen unbedingt am Arbeitsmarkt beteiligt werden müssen, damit ihr Kreativ- und Innovationspotenzial genutzt wird. Beispielhaft weist er dabei auf die Jugendinitiativen im Programm „JUGEND IN AKTION“ hin, die den kreativen Unternehmergeist bei jungen Menschen anregen und fördern. An die Mitgliedstaaten gingen folgende Empfehlungen: • Kreativität und Innovationsfähigkeit junger Menschen durch Angebote der persönlichen und sozialen Entwicklung zu fördern und die Sicherung der Jugendarbeit zu gewährleisten, • eine angemessene und nachhaltige Finanzierung der Angebote zu ermöglichen, • sich für strategische Partnerschaften zwischen Jugendorganisationen, Behörden auf lokaler, regionaler und nationaler Ebene sowie dem Privatsektor einzusetzen, um Jugendinitiativen anzuregen, • die Anerkennung und Validierung von nicht formalem und informellem Lernen zu verbessern. Darüber hinaus wurde im Rat diskutiert, welche Beiträge Jugendarbeit zur Lösung der Jugendarbeitslosigkeit leisten kann. Es wurde deutlich, dass die Stärkung des Freiwilligendienstes und die bessere Anerkennung des nicht formalen und informellen Lernens zwei zentrale Beiträge der Jugendpolitik darstellen. Weiterhin wurde eine Expertengruppe auf Ebene der EU eingerichtet, die den Auftrag hat, sich über Verfahren auszutauschen, bei denen die Kreativität und Innovationsfähigkeit junger Menschen durch nicht formales und informelles Lernen gefördert werden und ihnen so Kompetenzen und Fähigkeiten vermittelt, die für die Beschäftigungsfähigkeit von Belang sind. (Doris Klingenhagen) Zu den Schlussfolgerungen: http://www.jugendpolitikineuropa.de EKD-Europa-Informationen Nr. 140 29 Neuer Benchmark für den Bildungsbereich „Beschäftigungsfähigkeit“ EU-Jugendkonferenz empfiehlt die Senkung des Wahlalters Der Bildungsrat der EU hat sich am 12. Mai 2012 mit der Beschäftigungsfähigkeit von Absolventinnen und Absolventen allgemeinbildender und beruflicher Bildungsgänge befasst und die Benchmark „Beschäftigungsfähigkeit“ beschlossen, um die Fortschritte zu dieser Zielvorgabe besser messen zu können. Die Jugendarbeitslosigkeit gehört in der EU derzeit zu den vieldiskutierten Themen. 5,5 Millionen junge Menschen im Alter von 15 bis 24 Jahren in der Europäischen Union sind arbeitslos. Die dänische Ratspräsidentschaft hat vom 19. bis 21. März 2012 zur EU-Jugendkonferenz nach Kopenhagen geladen. Im Rahmen der Konferenz diskutierten Jugenddelegierte, Generaldirektoren für Jugendpolitik und Vertreter der Jugendverbände zum Thema des laufenden Strukturierten Dialogs der EU mit der Jugend: „Beteiligung von Jugendlichen am demokratischen Leben“. Die Teilnehmer und Teilnehmerinnen der Konferenz einigten sich auf gemeinsame Empfehlungen, die auch die Senkung des Wahlalters auf 16 Jahre und ein unabhängiges Jugendprogramm umfassen. Mit dieser neuen europäischen Benchmark versprechen sich Rat und Kommission die Ermittlung von Bildungs- und Ausbildungsmaßnahmen, mit denen der Übergang von der allgemeinen und beruflichen Bildung ins Erwerbsleben erleichtert und die Beschäftigungserfolge verbessert werden. Beschäftigungsfähigkeit wird als eine Kombination von Faktoren verstanden, die dem Einzelnen ermöglichen, „Fortschritte auf dem Weg ins Erwerbsleben zu machen oder ins Erwerbsleben einzutreten, dort zu verbleiben und beruflich voranzukommen“. In der Diskussion wurde deutlich, dass Beschäftigungsfähigkeit über die Politik der allgemeinen und beruflichen Bildung hinausgeht und von weiteren Determinanten, wie z.B. Arbeitsmarktregulierungen, aber auch der Qualität der Arbeitsplätze, der Struktur der Wirtschaft und der allgemeinen Wirtschaftslage beeinflusst wird. Mit der Benchmark liegt der Fokus auf den Leistungen von Bildung und Berufsbildung für die Vorbereitung auf den Arbeitsmarkt, was sicher auch einen gewissen Vergleich der Bildungs- und Berufsbildungssysteme nach sich ziehen wird. Der europäische Bezugswert sagt aus, dass der Anteil erwerbstätiger Absolventen im Alter von 20 bis 34 Jahren, die das allgemeine und berufliche Bildungssystem seit höchstens drei Jahren vor dem Referenzjahr verlassen haben, bis zum Jahr 2020 mindestens 82 % betragen sollte. Dabei wird die Gruppe von Menschen in den Blick genommen, die mindestens über die Sekundarstufe II (wie Abitur, Abschluss Berufsausbildung Duales System und Berufsfachschulen), eine postsekundäre, nicht-tertiäre Qualifikation (Abschluss Fach-, Berufsoberschulen) oder den Hochschulabschluss verfügen. Der Anteil der erwerbstätigen Absolventen ist in der EU gesunken, von 81 % in 2008 auf 76,5 % in 2010. In Deutschland liegt die Quote aktuell bei 84,7 %. In der Empfehlung werden die Mitgliedstaaten der EU aufgefordert, für Jugendliche einen vereinfachten Zugang zu Wahlen zu schaffen. Politische Bildung soll stärker in die formale Bildung integriert werden, Jugendorganisationen besser eingebunden werden. Die Partizipation Jugendlicher sollte außerdem durch Fördermöglichkeiten für Jugendinitiativen und einen transparenten Entscheidungsprozess gewährleistet werden. Die Mitgliedstaaten und die EU werden außerdem aufgefordert, die Erforschung der Verwendung neuer Medien bei der Jugendpartizipation voranzutreiben, um mehr darüber zu erfahren, welche Kanäle junge Menschen nutzen, um am demokratischen Leben teilzuhaben. Die Teilnehmer und Teilnehmerinnen der Jugendkonferenz beschäftigten sich auch mit dem neuen EU-Programm für Bildung und Jugend, das gegenwärtig in Brüssel verhandelt wird und ab 2014 gelten soll. Sie sprechen sich für ein Programm aus, das die persönliche und soziale Entwicklung aller jungen Menschen durch non-formales Lernen, Freiwilligentätigkeit, „Active Citizenship“, Interkultureller Kooperation und Jugendarbeit fördert. (Doris Klingenhagen) Zu den Forderungen der Konferenzteilnehmenden: http://web28.aksb1.proadnet.de (Doris Klingenhagen) Die Schlussfolgerungen des Rates finden Sie hier: http://www.jugendpolitikineuropa.de 30 EKD-Europa-Informationen Nr. 140 Fachgespräch in Brüssel zur Solidarität der Generationen 2012 ist das europäische Jahr des „Aktiven Alterns und der Solidarität der Generationen“. Dies haben die Vertretungen der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD-Büro) und des Diakonischen Werkes der EKD in Brüssel gemeinsam mit der Arbeitsgemeinschaft der Evangelischen Jugend in Deutschland e.V. (aej) zum Anlass genommen, am 31. Mai 2012 zu einem Fachgespräch in das Haus der EKD in Brüssel einzuladen unter dem Titel „jung und (un)beschwert - alt und (in)aktiv? Die Solidarität der Generationen im Fokus der EU“. Ziel des Fachgesprächs war es, Fragen nachzugehen, die sich durch den demographischen Wandel für das Verhältnis der Generationen neu stellen: Wo liegen mögliche Interessenskonflikte? Was wird für das Zusammenleben von Alt und Jung und für die Solidarität der Generationen zukünftig notwendig sein? Wie kann Solidarität zwischen den Generationen aussehen und was kann die EU dazu beitragen? Impulse zu dieser Thematik lieferten Ilse Falk, die Vorsitzende der Evangelischen Frauen in Deutschland e.V., sowie Professor Dr. Gerhard Wegner, der Leiter des Sozialwissenschaftlichen Instituts der EKD. An der anschließenden Diskussion beteiligten sich auf dem Podium zudem Johannes Stockmeier, der Präsident des Diakonischen Werkes der EKD, Martin Kastler, Mitglied und Berichterstatter des Europaparlaments zum Europajahr 2012, sowie Manuela Wörle, die Vorsitzende der Evangelischen Jugend in Baden. Die Moderation der Diskussion übernahm Doris Klingenhagen, Mitarbeiterin der aej und des EKD-Büros in Brüssel. OKR‘in Katrin Hatzinger machte in ihrer Begrüßung auf die aktuelle Situation der Jugendlichen bezüglich der Arbeitsmarktsituation in Europa aufmerksam: Man spreche bereits von einer „lost generation“. Selbst wenn ihnen der Eintritt in den Arbeitsmarkt gelänge, dann oft nur im Rahmen unbefriedigender Beschäftigungsverhältnisse. Das Bild von den leichten und unbeschwerten jungen Jahren muss also revidiert werden. Ein Teil der Menschen der älteren Generation sei aktiv, engagiere sich ehrenamtlich und nehme an Weiterbildungsmaßnahmen teil. Aber auch hier führe ein Schwarz-Weiß-Denken in die Irre, habe sich durch die Wirtschaftskrise in der EU das Problem der Altersarmut doch drastisch verschärft. Im Kontext der Generationen betont die Leiterin des EKD-Büros die Verbundenheit untereinander: „Junge Menschen sind auf ältere angewiesen und umgekehrt. Jedes Alter, jeder Mensch mit seinen besonderen Gaben trägt zum Gesamtwerk bei.“ Die Vorsitzende der Evangelischen Frauen, Ilse Falk, zeigte sich davon überzeugt, dass es eine Vielzahl an Möglichkeiten gebe, wie sich die Generati- EKD-Europa-Informationen Nr. 140 onen gegenseitig zur Seite stehen können. Voraussetzung dafür sei, dass Begegnungen ermöglicht werden: „Es sollten auch in Zukunft vielfältige Formen der Begegnung zwischen allen Generationen länderübergreifend unterstützt werden. Viele gute Erfahrungen zeigen, dass das ein richtiger Weg ist für grenzüberschreitende Solidarität.“. Grundlegend für das Miteinander zwischen den Generationen sei dabei auch die eigene Wahrnehmung. Jeder solle für sich selbst ergründen, was für ihn persönlich eine mögliche Teilhabe darstelle und dementsprechend handeln. Der Leiter des wissenschaftlichen Instituts der EKD, Professor Dr. Gerhard Wegner, stellte Zahlen, Daten und Fakten zum Verhältnis der Generationen vor. Dabei wurde deutlich, dass die sozialen Ungleichheiten innerhalb der Gesellschaft und auch innerhalb der einzelnen Generationen zunehmen: „Die Chancen im Alter hängen von ungleich verteilten sozialen Voraussetzungen ab. Armutserfahrung geht mit geringer Lebenserwartung und einer geringeren Zahl bei guter Gesundheit verbrachten Lebensjahren einher.“ Das momentane Agieren auf vielen politischen Ebenen geschehe nicht im Sinne der Nachhaltigkeit. Um Generationengerechtigkeit zu erreichen, sollten „die Teilhabechancen zukünftiger Generationen mindestens so groß wie die der heutigen Generation sein.“ Schulden-, Umwelt-, Energie- und Sozialpolitik reduzierten die Möglichkeiten der nachwachsenden Generation. Zudem betont Wegner, dass das Alter heutzutage sehr individuell sei und man nicht durch das biologische Alter einer Person Zuschreibungen vornehmen dürfe, sondern eher konstatieren müsse, dass die Altersgrenzen überflüssig würden, da die noch vorhandenen Fähigkeiten ganz individuell seien. Man solle über eine Arbeitsumverteilung nachdenken, die die Arbeitskraft der Älteren, die noch aktiv sind, der jüngeren Generation zugutekommen lässt. Manuela Wörle, die Vorsitzende der Evangelischen Jugend in Baden, sprach von einem früh beginnenden hohen Leistungsdruck, der auf der jungen Generation laste. Es bleibe wenig Raum für persönliche Entfaltung und eigene Interessen. Dies führe dazu, dass sich junge Menschen nur noch selten Zeit für soziales Engagement nehmen könnten, was einerseits ein Ausgleich zum Alltagsleben wäre und andererseits solidarisches Handeln ermögliche. Eine Förderung von Freiräumen für ehrenamtliches Engagement halte sie für sinnvoll. Viele Studien bestätigten, dass in der Jugend eingeübtes Ehrenamt sich häufig durch eine Lebensbiographie hindurch ziehe. „Wer später aktive und engagierte ältere Menschen sehen möchte, darf heute nicht an Zeit und Freiräumen für junge Menschen sparen und sie nur als Humanressource für eine funktionierende Wirtschaft sehen“, so Manuela Wörle. Johannes Stockmeier, der Präsident des Diakonischen Werkes der EKD, machte darauf aufmerk- 31 Kohäsionspolitik sam, dass wir - wenn vielleicht auch unbewusst - stetig „Lasten für zukünftige Generationen anhäufen.“ Stockmeier betonte eine Erkenntnis, die durch das Europäische Jahr 2012 klar geworden sein sollte: „Wir können nicht so weitermachen wie bisher.“ Er warb für konkretes Handeln, das die zahlreichen Diskussionen zu dem Themenbereich unbedingt nach sich ziehen müssten. Martin Kastler, Mitglied des Europäischen Parlaments, sprach von einem notwendigen Umdenken in der Gesellschaft: Dafür sei es notwendig, die Thematik in verschiedenen Politikfeldern anzusprechen und zu bearbeiten. Zudem verweist er auf die Problematik der Rentenansprüche bei transnationalen Arbeitsverhältnissen und stellt die Frage in den Raum: „Wie können wir etwas mit Leben füllen, was wir ständig fordern: Mobilität?“ Die rege Beteiligung des Publikums zeigte, dass die Veranstalterinnen mit ihrem besonderen Fokus auf die Lebenslagen junger Menschen und der Frage nach dem Miteinander von Jung und Alt einen besonderen Akzent gesetzt hatten, den auch der Kommissionsvertreter gerne aufnahm. (Doris Klingenhagen / Maike Bannick) Weitere Informationen zur Veranstaltung: http://www.ekd.de Stand der Regionalpolitik In der gegenwärtigen Wirtschafts- und Finanzkrise wird neben fiskalischen Interventionen auch auf die Möglichkeiten der europäischen Regionalpolitik zurückgegriffen. 55 Milliarden Euro sind für Projekte zur Bewältigung von strukturellen Problemen für 2013 bereitgestellt. Die Regionalpolitik steht dabei in einem Spannungsfeld von Ausgleichszielen und einer möglichst wirksamen Umsetzung. Dieses Spannungsfeld wird erneut in den Verhandlungen für die nächste Förderperiode 2014-2020 ersichtlich. Neben strikteren gesamtwirtschaftlichen Auflagen bei der Verwendung der Mittel wurden auch thematische Prioritäten in den Förderbereichen gesetzt. So soll der Hauptfokus der Förderung sich auf die Bereiche der Energieeffizienz, erneuerbare Energien, Forschung und Innovation und die Wettbewerbsfähigkeit von klein- und mittelständischen Unternehmen konzentrieren. 336 Milliarden Euro stehen hierzu zur Verfügung. Am 11. Juli 2012 wurde eine wichtige Etappe in der Vorbereitung auf die nächste Förderperiode genommen. Im Rahmen des Mitentscheidungsverfahrens hat das Europäische Parlament im zuständigen Ausschuss für Regionalentwicklung die Verordnungsentwürfe in einer Abstimmung ergänzt und einzelne Punkte des Kommissionsvorschlags gestrichen. Durch die Änderungen des Parlaments soll die Rolle der lokalen Gebietskörperschaften gestärkt und Regionen in der Umsetzung mehr Flexibilität gewährt werden. Mehr Gewicht soll daneben die territoriale Zusammenarbeit bekommen. Für grenzüberschreitende Projekte sind nunmehr sieben Prozent der Fördermittel vorgesehen. Der als „makroökonomische Konditionalität“ bezeichnete Mechanismus, Fördermittelzuweisungen an Mitgliedstaaten mit erhöhten Staatsschulden auszusetzten, wurde abgelehnt. Ebenso wurde eine Leistungsreserve, welche am Ende der Förderperiode als Rücklage ausgezahlt werden sollte, als ungeeignetes Kontrollinstrument verworfen. Das Ergebnis der parlamentarischen Abstimmung wurde unterschiedlich bewertet. Die Reaktionen reichten von „krasser Fehlentscheidung“ (MdEP Michael Theurer, FDP) und einem „Rollback in die Zeit der frühen neunziger Jahre“ (MdEP Elisabeth Schroedter, Die Grünen) bis hin zum Vorwurf einer „unseriöse Abstimmung“ (MdEP Hermann Winkler, MdEP Markus Pieper, MdEP Joachim Zeller, CDU). Kritisiert wurde damit unter anderem der hohe Zeitdruck, mit welchem die mehr als 2000 Änderungsanträge in nur wenigen Tagen zur Abstimmung gestellt wurden. Die verantwortlichen Berichterstatter Lambert van Nistelrooij (EVP) und Constanze Krehl (SPD) werteten die Abstimmung als einen wichtigen Teilerfolg, um nötige Investitionen 32 EKD-Europa-Informationen Nr. 140 für 2014 umfänglich starten zu können und hoben die gute Koordinierung zwischen den verschiedenen Förderprogrammen hervor. Frau Krehl betonte in diesem Zusammenhang, dass „die Kohäsionspolitik das wichtigste europäische Investitionsprogramm ist, das wir für Wachstum zur Verfügung haben“. Das EKD-Büro Brüssel hatte sich bereits 2011 frühzeitig mit einer Stellungnahme in den Verhandlungsprozess eingebracht Anknüpfend an diese Arbeit wurde in einer gemeinsamen Stellungnahme mit dem Sekretariat der COMECE, der Kommission für Kirche und Gesellschaft der KEK und dem Kommissariat der deutschen Bischöfe die Rolle kirchlicher Akteure in der europäischen Kohäsionspolitik in vier wesentlichen Punkten dargestellt: • die Kirchen als Partner in der regionalen, transregionalen und transnationalen Kooperation • die Tragkraft der Bildungsinfrastruktur, welche die Kirchen in Europa bereitstellen. • die Bedeutung der Kirchen für die Kultur in Europa • die soziale Infrastruktur der Kirchen und ihre Bedeutung für die Kohäsionspolitik Die Ausführungen wurden an entscheidenden Stellen in die parlamentarische Diskussion eingebracht und stießen auf eine durchweg positive Resonanz. Die regionalpolitische Bedeutung von Kirchen wurde außerdem mit der Vorsitzenden des Regionalausschuss, Danuta Hübner, in einer gemeinsamen Sitzung diskutiert. Damit die Verordnungen rechtzeitig 2014 in Kraft treten können, wurden bereits die Verhandlungen zwischen dem Europäischen Parlament unter Vorsitz von Frau Hübner und dem Rat aufgenommen. Auf Seiten der Mitgliedstaaten herrscht jedoch noch keine Einigkeit bei wichtigen Fragen der zukünftigen Regionalpolitik. So sind die makroökonomischen Konditionalitäten umstritten sowie das Finanzvolumen für die Regionalpolitik. Der Erfolg der zukünftigen Regionalpolitik hängt dabei nicht ausschließlich von dem Umfang des Budgets ab. Wesentlich für eine zielgerichtete und wirkungsvolle Implementation sind die nationalen und regionalen Verwaltungen. Sie sind maßgeblich an der Verteilung der Fördermittel beteiligt und setzen die Regionalpolitik in den entsprechenden Gebietskörperschaften durch die Konzeption der Förderprogramme, die Auswahl der Projekte und den Finanzfluss bei der Abrechnung um. Wichtiger Bestandteil ist das Partnerschaftsprinzip, welches relevanten Akteuren, wie zum Beispiel Wirtschafts- und Sozialpartnern ermöglichen soll, für eine optimale Umsetzung der Fonds die Verwaltung zu unterstützen. Jedoch bleibt abzuwarten, inwiefern die gegenwärtige Stärkung der kommunalen Gebietskörperschaften zu Lasten der zivilgesellschaftlichen Akteure und Sozialpartner ausfallen wird. EKD-Europa-Informationen Nr. 140 Der zuständige Kommissar Johannes Hahn stellte nochmals die neue Bedeutung der „Kohäsionspolitik als Wachstumspolitik“ heraus. Hierbei wird das Prinzip der Solidarität zugunsten der „Stärkung unserer technologischen Marktführerschaft“ zunehmend an den Rand gedrängt. Zwar wird in der EU2020-Strategie die Armutsbekämpfung immer noch als Leitziel definiert und als Interventionsbereich in den Strukturfondsverordnungen aufgeführt, jedoch werden die verbindlichen und verpflichtenden Maßstäbe der Finanzierung für diesen Bereich in Frage gestellt. Der Vorschlag der Kommission, 20 Prozent der Mittel aus dem Europäischen Sozialfonds für das thematische Ziel der „Förderung der sozialen Eingliederung und Bekämpfung der Armut“ aufzuwenden, wird sich nach aktuellem Stand der Debatte, nicht durchsetzten können. Die Notwendigkeit von wirtschaftlichem Wachstum zur Überwindung der nun bereits vier Jahre andauernden „Krise“ sollte jedoch nicht ohne die Berücksichtigung von „sozialen Krisen“ erfolgen. Die vielen europäischen Projekte der Evangelischen Kirche in Deutschland, ihrer Gliedkirchen und Wohlfahrtsverbände leisten hier einen wichtigen Beitrag. (Christoph Schnabel) Die gemeinsame Stellungnahme zur Rolle kirchlicher Akteure in der europäischen Kohäsionspolitik finden Sie hier: http://www.ekd.de Eine Darstellung des Partnerschaftsprinzips finden Sie unter: http://ec.europa.eu 33 Kurze Meldungen KOM/DAWI: Die Kommission hat am 25. April 2012 eine De-minimis-Verordnung für Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse (DAWI) angenommen. Staatliche Ausgleichsleistungen für diese Art Dienstleistungen, unter die auch die von kirchlichen Trägern erbrachten sozialen Dienstleistungen fallen, müssen nun nicht mehr bei der Europäischen Kommission angemeldet werden, wenn sie 500.000 Euro in drei Jahren nicht übersteigen. Mit der Verabschiedung einer De-minimis-Verordnung speziell für Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse kommt die Kommission einer langjährigen Forderung der Kirchen und kirchlichen Träger nach. Die Erhaltung des hoher sozialer Standards bei der Erbringung sozialen Dienstleistungen durch kirch-liche Träger ist durch die Verordnung ein Stück weit gesichert worden. Antrag: „Wir wollen und dürfen nicht zulassen, dass es zu einer kommerziellen Monopolisierung unserer Nutztiere und Nutzpflanzen kommt“, so die Ministerin. Die Verordnung finden Sie unter: http://eur-lex.europa.eu CH EuGH/Dublin-II-Verordnung: Der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) hat durch ein Urteil vom 3. Mai 2012 den Anwendungsbereich der Dublin-II-Verordnung, welche die Zuständigkeit für Asylgesuche in der EU festlegt, näher bestimmt. Nach der Entscheidung kann eine Überstellung eines Asylsuchenden in einen anderen Mitgliedstaat nach der Verordnung nicht mehr erfolgen, wenn der Asylantrag zurückgenommen wurde, bevor der übernehmende Staat der Über-weisung zustimmt. Schwedischen Behörden hatten eine Asylsuchende nach Frankreich überweisen wollen, obwohl diese ihren Asylantrag zurückgenommen hatte. Das Urteil finden Sie unter: http://curia.europa.eu CH EP/Biopatentrichtlinie: Am 10. Mai 2012 hat das Europäische Parlament in einer Resolution eine strengere Umsetzung der Richtlinie zur Patentierung von biotechnologischen Erfindungen angemahnt. Entgegen der Vorgabe der EU-Biopatentrichtlinie, dass wesentliche biologische Verfahren nicht patentiert werden dürfen, wurden in den letzten Jahren immer mehr Patente auf konventionell gezüchtete Tiere und Pflanzen, wie z.B. Brokkoli, Melonen oder Tomaten, angemeldet. Das Europäische Patentamt (EPA) hat zwar einige dieser Patente eingeschränkt; die Abgeordneten fordern aber eine konsequente Umsetzung der sog. BroccoliEntscheidung des EPA aus dem Jahr 2010 und den Ausschluss konventioneller Zuchtverfahren von der Patentierung. Das müsse auch für die Produkte aus diesen Verfahren gelten. Der Antrag stellt daher klar, dass konventionell gezüchtete Nutztiere und -pflanzen nicht patentiert werden dürfen. Zudem wird die EU-Kommission aufgefordert, ihren Berichtspflichten im Rahmen der Biopatentrichtlinie nachzukommen. Die europäische Biopatentrichtlinie sollte präzisiert und gegebenenfalls geändert werden. Bundeslandwirtschaftsministerin Ilse Aigner begrüßte den Antrag: „Wir wollen und dürfen nicht zulassen, dass es zu einer kommerziellen Monopolisierung unserer Nutztiere und Nutzpflanzen kommt“, so die Ministerin. Die Resolution finden Sie unter: http://www.europarl.europa.eu KH EGMR/Arbeitsrecht: Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg (EGMR) hat am 15. Mai 2012 ein weiteres Urteil im Bereich des kirchlichen Arbeitsrechts veröffentlicht. Die Entscheidung eines spanischen Bistums, den Arbeitsvertrag eines Religionslehrers aufgrund seines Engagements in einer kirchkritischen Organisation nicht zu verlängern, verstößt nicht gegen die EMRK. Der spanische Ad-hoc-Richter Siaz Arnaiz vertrat in dem Verfahren hingegen die Auffassung, Art. 8 EMRK (Recht auf Privatsphäre) sei vorliegend verletzt und legte seine Ansichten in dem der Entscheidung angehängten Sondervotum dar. Mit dem Urteil hat der Gerichtshof in Straßburg seine bisherige Rechtsprechung bestätigt und erneut die nationale Ausgestaltung des Staat-Kirchen-Verhältnisses gebührend respektiert. Das Urteil finden Sie unter: http://cmiskp.echr.coe.int CH 34 EKD-Europa-Informationen Nr. 140 EU/ENORB: Mit einer Konferenz am 29. Mai 2012 im Europäischen Parlament wurde das neu gegründete „European Network on Religion & Belief“ (ENORB) vorgestellt. Geplant ist ein europaweites Netzwerk, welches eine Dialogplattform für alle Religion und säkulare Organisationen bilden soll, um gegenseitiges Verständnis, den Abbau von Vorurteilen sowie soziale Kohäsion zu fördern. Die gemeinsamen Positionen des Netzwerks sollen im Rahmen des Dialogs nach Art. 17 AEUV mit den EU-Institutionen in den europäischen Meinungsfindungsprozess eingespeist werden. Weitere Informationen unter: http://www.enorb.eu CH EU/Datenschutz: Die von der Kommission am 25. Januar 2012 vorgeschlagenen Instrumente zur Reform des Europäischen Datenschutzes, eine Datenschutz-Grundverordnung sowie eine Richtlinie für den Bereich Polizei und Justiz, werden augenblicklich im Rat und im Europäischen Parlament verhandelt. Berichterstatter im Parlament ist der Abgeordnete der Grünen Jan-Philipp Albrecht, der am 29. Mai 2012 im Ausschuss für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres (LIBE) einen ersten Workshop mit Interessenvertretern organisierte, woran sich am 30. Mai eine erste Aussprache im Ausschuss anschloss. Der Berichterstatter plant, noch dieses Jahr seinen Bericht zu der Reform vorzulegen. Insgesamt haben Rat und Parlament das ambitionierte Ziel, die Verordnung sowie die Richtlinie bis zum Ende der Legislaturperiode des Parlaments 2014 zu verabschieden. Die Vorschläge der Kommission finden Sie unter: http://eur-lex.europa.eu http://eur-lex.europa.eu CH KOM/EURODAC: Die Kommission hat am 30. Mai 2012 einen Vorschlag zur Reform der EURODAC-Datenbank vorgelegt. Die Fingerabdrücke, die Drittstaatsangehörige bei einem Asylgesuch oder der illegalen Überschreitung einer EU-Außengrenze bereits nach geltendem Recht abgeben müssen (EURODAC-System), sollen nun auch den nationalen Strafverfolgungsbehörden sowie Europol zugänglich gemacht werden. Kritiker, wie der Datenschutzexperte der Grünen im Europäischen Parlament Philipp Albrecht, sehen darin einen unverhältnismäßigen Eingriff in die Datenschutzrechte von Drittstaatsangehörigen. Auch würden Asylsuchende auf diese Weise als Kriminelle stigmatisiert, kritisiert die migrationspolitische Sprecherin der Grünen, Ska Keller. EASO/Afghanistan: Das europäische Asylunterstützungsbüro (European Asylum Support Office - EASO) mit Sitz in Malta hat am 12. Juli 2012 seinen ersten Herkunftslandsbericht veröffentlicht, der als Unterstützung für Behörden und Politiker, die mit Herkunftslandinformationen arbeiten, dienen soll. Der Bericht beschäftigt sich mit Afghanistan, da eine Vielzahl der Asylanträge in der EU von afghanischen Staatsangehörigen gestellt werden. 2011 waren allein 9 % der Asylsuchenden in der EU Afghanen. Nach den Recherchen von EASO ist der Hauptgrund für die Flucht die Angst der Antragssteller, von den Taliban oder anderen aufständischen Gruppen zwangsrekrutiert zu werden. Wie die Antragssteller berichteten, setzten die Taliban Mittel wie Drohbriefe und Entführungen zur Rekrutierung ein. Den Bericht finden Sie hier: http://ec.europa.eu KH KOM/„Dein erster EURES-Arbeitsplatz“: Die europäische Kommission hat das Pilotprojekt “Dein erster EURES-Arbeitsplatz“ auf den Weg gebracht: Ziel ist es, die transnationale Mobilität junger Menschen auf dem Arbeitsmarkt zu verbessern und so in den Jahren 2012/2013 5000 Menschen einen Arbeitsplatz zu vermitteln. Dabei soll das Verhältnis zwischen Angebot und Nachfrage ausbalanciert werden. Das Projekt richtet sich an Menschen im Alter zwischen 18 und 30 Jahren, die Staatsangehörige eines europäischen Mitgliedslandes sind. Die jungen Arbeitssuchenden werden mit Informationen und Hilfestellungen versorgt und können für Bewerbungen und für Schulungen finanzielle Zuschüsse bekommen. Auch die Arbeitgeber können durch das Projekt Unterstützung erhalten: Es richtet sich grundsätzlich an alle Unternehmen, finanzielle Mittel werden aber nur kleinen und mittelständischen Unternehmen zur Verfügung gestellt. Vier ausgewählte Arbeitsverwaltungen in den Ländern Deutschland, Dänemark, Spanien und Italien sind mit der Hilfeleistung beauftragt; unabhängig davon richtet sich das Programm aber an Interessierte aus alle Mitgliedstaaten, die sich dann mit einer der Arbeitsverwaltungen in Verbindung setzen können. Weitere Informationen finden Sie folgender Seite: http://ec.europa.eu MB Den Vorschlag der Kommission finden Sie unter: http://ec.europa.eu CH EKD-Europa-Informationen Nr. 140 35 Veranstaltungen Am 18. März 2012 veranstaltete Herr Christoph Schnabel, Referent für EU-Förderpolitik, einen Workshop zu europäischen Fördermitteln am Institut zur Erforschung von Evangelisation und Gemeindeentwicklung (IEEG) in Greifswald. Hierbei wurde mit Wissenschaftlern der Theologischen Fakultät Greifswald und Mitarbeitern des Pommerschen Diakonievereins über europäische Fördermöglichkeiten und Projektvorhaben diskutiert. Am 19. März 2012 informierte Herr Schnabel Mitglieder der Kirchengemeinden Greifswald über europäische Fördermittel und erörterte Projekte für die nächste Förderperiode. Am 19. März 2012 lud das Brüsseler EKD-Büro zu einem „Presselunch“ ein und stellte den Korrespondenten aktuelle Arbeitsschwerpunkte der Dienststelle vor. Am 26. März 2012 war Frau OKR‘in Hatzinger Podiumsdiskussionsteilnehmerin des Forums der „Spinelli Group“ an der Université Libre de Bruxelles. Sie beteiligte sich an der Diskussion zum Thema „Ungleichheiten bekämpfen: das gleiche Niveau an sozialem Schutz für alle Europäer?“ http://www.ekd.de Ebenfalls am 26. März 2012 fand in Berlin der „Treffpunkt Gendarmenmarkt“ statt. Finanzminister Wolfgang Schäuble und der vormalige Ratsvorsitzende der EKD, Professor Wolfgang Huber, diskutierten über „Folgen aus der Krise - Möglichkeiten und Grenzen eines vereinten Europas“. Am 3. April 2012 luden Prälat Dr. Felmberg und Frau OKR‘in Hatzinger zu einem weiteren „Evangelischen Frühstück“ für Assistentinnen und Assistenten der Abgeordneten des Europäischen Parlaments ein. Die Teilnehmer tauschten sich, passend zur Fastenzeit, zu dem Thema „Gut genug! 7 Wochen ohne falschen Ehrgeiz“ aus. Am 18. April 2012 hat Gisela de Vries, Förderberaterin für EU-Fördermittel, an einer Netzwerkveranstaltung der Agentur für Europäische Bildungsprogramme der Deutschsprachigen Gemeinschaft Belgiens teilgenommen und die Kooperationsmöglichkeiten mit deutschen diakonischen und kirchlichen Einrichtungen vorgestellt. Ebenfalls am 18. April 2012 hielt Frau OKR‘in Hatzinger vor Volontären der Evangelischen Journalistenschule Berlin einen Vortrag über die Arbeit des EKD-Büros Brüssel. Am 20. April 2012 referierten Frau OKR‘in Hatzinger und Herr Conny Reuter, Generalsekretär von Solidar und Präsident der Social Platform, je aus ihrem Arbeitsgebiet in der Landesvertretung Rhein- 36 land-Pfalz vor der Europaabteilung über aktuelle sozialpolitische Themen. Auf Einladung von Prälat Dr. Felmberg und Frau OKRin Hatzinger fand am 24. April 2012 ein „Evangelisches Frühstück“ mit Abgeordneten des Europäischen Parlaments statt. Unter dem Titel „Die Datenschutzverordnung - Mehr Bürgerrechte oder europäischer Regelungswahn?“ wurde über die Resonanz auf den Vorschlag der Europäische Kommission zur neuen Datenschutzverordnung diskutiert. Vom 2. bis 5. Mai 2012 fand in Novi Sad, Serbien, die Konferenz „Das Edikt von Mailand (313-2013): Grundlage für Religions- und Glaubensfreiheit?“ mit verschiedenen europäischen Religionsvertretern statt. Frau OKR‘in Hatzinger referierte über das deutsche Staats-Kirchenverhältnis und moderierte die Diskussionsrunde zum Thema „Institutionelle Auswirkungen auf das Kirche-Staat-Verhältnis“. Am 9. Mai 2012 nahm der Vorsitzende des Rates der EKD, Präses Dr. h.c. Nikolaus Schneider, am 15. Internationalen WDR Europaforum im Europäischen Parlament teil. Im Rahmen des mit hochrangigen Vertretern aus Politik und Gesellschaft besetzten Forums diskutierte Präses Schneider zu der Frage „Europas politische Union: Wie sozial muss die EU sein?“ mit Abgeordneten des Europäischen Parlaments sowie mit László Andor, EU-Kommissar für Beschäftigung, Soziales und Integration. http://www.ekd.de Am 24. Mai 2012 stellte Herr Schnabel die Arbeit der Servicestelle EU-Förderpolitik/-projekte Studierenden der Ev. Fachhochschule Rheinland-Westfalen-Lippe Bochum vor und erläuterte die Bedeutung europäischer Strukturpolitik. Frau OKR‘in Hatzinger und Herr Schnabel stellten am 29. Mai 2012 im Kirchenamt der EKD Vertretern der Landeskirchen und kirchlicher Einrichtungen im Rahmen einer Informationsveranstaltung die neue Brüsseler Servicestelle EU-Förderpolitik/projekte vor und gaben einen Überblick über die politischen Entwicklungen der Strukturfonds. http://www.ekd.de Am 31. Mai 2012 fand auf Einladung des EKDBüros Brüssel, der Arbeitsgemeinschaft der Evangelischen Jugend in Deutschland e.V. (aej) und der EU-Vertretung der Diakonie im Haus der EKD in Brüssel das Fachgespräch „jung und (un)beschwert - alt und (in)aktiv? Die Solidarität der Generationen im Fokus der EU“ statt. Moderiert wurde die Veranstaltung von Doris Klingenhagen, Referentin für Jugend- und Bildungspolitik (siehe Bericht in diesem Newsletter). http://www.ekd.de EKD-Europa-Informationen Nr. 140 Unter dem Motto „Hoffnung und Solidarität in die Europäische Integration bringen“ feierte die „Chapelle de la Résurrection“ am 4. Juni 2012 ihren 10. Jahrestag. Der Präsident des Europäischen Rates, Herman van Rompuy, hielt eine Rede zu den Werten Europas. In der anschließenden Diskussion mit Religionsvertretern sprach Frau OKR‘in Hatzinger über den Beitrag der Kirchen zur EU-Integration. http://www.resurrection.be Am 7. Juni 2012 fand wieder ein „Evangelisches Frühstück“ mit Abgeordneten des Europäischen Parlaments statt. Prälat Dr. Felmberg und Frau OKR‘in Hatzinger hatten dieses Mal zu dem Thema „Die Kirche im Dorf lassen: Anspruch und Realität der zukünftigen Regionalpolitik“ geladen. Am Abend des 7. Juni 2012 veranstaltete das EKDBüro Brüssel anlässlich des Themenjahres der Reformationsdekade „Reformation und Musik“ ein Orgelkonzert in der Église Protestante de Bruxelles. Unter dem Titel „Ein neuer Klang für die Welt - Reformation und Musik“ sang die Kurhessische Kantorei Marburg unter der Leitung von Landeskirchenmusikdirektor Uwe Maibaum, der auch als Solist an der Orgel auftrat. http://www.ekd.de Am 8. Juni 2012 stellte Herr Schnabel die Arbeit der Servicestelle EU-Förderpolitik/-projekte Studierenden der Ev. Hochschule Freiburg vor und erläuterte die Bedeutung europäischer Strukturpolitik. Am 12. Juni 2012 referierten Herr Christopher Hörster und Frau Anne Wagenführ, EU-Vertretung des Deutschen Caritasverbandes, vor einer Studiengruppe der Hochschule Kempten über die Arbeitsschwerpunkte der jeweiligen Büros. Am 18. Juni 2012 nahm Frau OKR‘in Hatzinger an der Tagung „Soziale Marktwirtschaft - Leitbild für eine gute Zukunftspolitik?“ in der Evangelischen Stadtakademie Frankfurt/Main teil. Sie referierte im Anschluss an ein Referat von Professor Traugott Jähnichen über die Bedeutung der Sozialen Marktwirtschaft im europäischen Kontext. http://ffmev.lplusl.de Am 19. Juni 2012 hielt Herr Schnabel vor Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen brandenburgischer Landtagsabgeordneten einen Vortrag zur Arbeit des EKD-Büros sowie über Entwicklungen in der europäischen Strukturpolitik. Zu dem Thema „Politik aus dem Netz und von der Straße - Bewegung für eine demokratische und friedlichere Welt?“ fand am 20. Juni 2012 eine Podiumsdiskussion statt. Die Veranstaltung stand in Verbindung mit der Vorstellung des Friedensgutachtens 2012. Nach einem Impulsreferat durch MdEP Gerald Häfner moderierte Frau OKR‘in Hatzinger die Debatte mit dem Autor des gleich- EKD-Europa-Informationen Nr. 140 namigen Aufsatzes, Manfred Stenner, der MitHerausgeberin Dr. Corinna Hauswedell sowie dem Europaparlamentarier Michael Gahler und dem stellvertretenden Leiter des Center for European Studies, Roland Freudenstein (siehe Artikel S. 23). http://www.ekd.de Am 26. Juni 2012 stellte Herr Hörster Vertretern der Diakonie Münster bei deren Besuch in Brüssel die Arbeit und Themenschwerpunkte des EKD-Büros vor. Am 28. Juni 2012 informierte Herr Schnabel in einem Kompaktworkshop die Evangelische Stiftung Hephata in Mönchengladbach hinsichtlich europäischer Fördermöglichkeiten. Am 2. Juli 2012 war der Chor der Erlöserkirche aus Berlin-Lichtenberg zu Besuch im EKD-Büro. Frau Dr. Quaas, Pastorin im Sondervikariat im Brüsseler Büro der EKD, berichtete über die Arbeitsbereiche der EKD-Dienststelle in Brüssel, und beantwortete Fragen der Besuchergruppe unter der Leitung von Pfarrer Joachim Cierpka und Kantor Matthias Elger. Am 12. Juli 2012 fand auf Einladung von Kommissionspräsident Barroso das jährliche Treffen der europäischen Religionsführer zum Thema „Solidarität der Generationen“ statt. Annette Kurschus, Präses der Evangelischen Kirche von Westfalen, nahm als Vertreterin der EKD an den Gesprächen in der EUKommission teil, begleitet von Frau OKR‘in Hatzinger. (siehe Artikel S. 31) Am 18. Juli 2012 waren die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des 20. Lehrgangs der Führungsakademie Baden-Württemberg im EKD-Büro zu Gast. Gemeinsam mit Drs. Michael Kuhn von der COMECE stellte Frau OKR‘in Hatzinger die kirchliche Arbeit in Brüssel vor und gab einen Einblick in die ökumenische Zusammenarbeit. Herr Schnabel erläuterte die Arbeit der Servicestelle EU-Förderpolitik und -projekte. In eigener Sache: Hello and good-bye Zum 15. Juli 2012 hat Frau Stefanie Heuer, Assistentin im EKD-Büro, eine neue Stelle in Brüssel angetreten. Wir wünschen Frau Heuer für ihre neuen Aufgaben alles Gute und Gottes Segen und sagen Danke für die gute Zusammenarbeit im EKD-Büro. Wir freuen uns, dass Frau Dr. Anna Donata Quaas, Pastorin aus der Evangelischen Kirche im Rheinland, am 10. April 2012 ihr Sondervikariat im EKDBüro Brüssel begonnen hat und das Team für ein Jahr unterstützen wird. 37 Print: ISSN 2034-7847 Online: ISSN 2034-7855 Evangelisch. In Europa.