Für einen fairen Wettbewerb zwischen Staat und Privatwirtschaft

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Für einen fairen Wettbewerb zwischen Staat und Privatwirtschaft
Daseinsvorsorge: Nutznießer Staat?
Für einen fairen Wettbewerb zwischen Staat
und Privatwirtschaft und mehr Investitionen,
höhere Effizienz und Gebührenoptimierung
Daseinsvorsorge: Nutznießer Staat?
Für einen fairen Wettbewerb zwischen Staat
und Privatwirtschaft und mehr Investitionen,
höhere Effizienz und Gebührenoptimierung
BDI – Bundesverband der Deutschen Industrie
Daseinsvorsorge: Nutznießer Staat?
Vorwort
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Vorwort
Wettbewerb und Daseinsvorsorge sind keine Gegensätze. Der Bürger
wünscht sich eine qualitativ hohe, flächendeckende und erschwingliche Versorgung mit notwendigen und wichtigen Dienstleistungen. Hierfür ist Wettbewerb unverzichtbar. Der Staat soll sein Handeln auf Kernbereiche der
Daseinsvorsorge zurückführen und sich auf die Überwachung der Durchführung dieser Leistungen beschränken. Die Privatwirtschaft möchte sich an
einem fairen Wettbewerb um das beste Angebot in sämtlichen Wirtschaftsbereichen beteiligen. In vielen Bereichen scheut der Staat jedoch diesen
Wettbewerb – der Leidtragende ist der Bürger.
Die unter dem Sammelbegriff der »Daseinsvorsorge« angesiedelten Dienste, die früher von Bund, Ländern und Kommunen hoheitlich wahrgenommen wurden, werden heute in immer größerem Umfang auch von Privaten angeboten. Die
Privatwirtschaft zeigt eindrucksvoll, dass sie in der Regel hochwertige Leistungen zu attraktiven Preisen erbringt. Dabei
erbringt sie diese Leistungen meistens wesentlich effizienter als die öffentliche Hand. Anders als die öffentliche Hand
steht die Privatwirtschaft grundsätzlich unter einem permanenten Wettbewerbsdruck, der zu einer stetigen Verbesserung
und Optimierung des Leistungsangebots führt.
Allerdings hat die öffentliche Hand in einigen marktbezogenen Dienstleistungsbereichen ihre Tätigkeit in der letzten
Zeit wieder merklich ausgebaut. Länder und Gemeinden sind weiterhin auf den Märkten besonders aktiv, die erst vor
kurzem liberalisiert worden sind. Zudem besteht ein Trend zur Rekommunalisierung bereits privatisierter Leistungen. So
behauptet die öffentliche Hand, dass die Versorgungssicherheit für wichtige Dinge des Lebens ohne ihre eigene wirtschaftliche Betätigung oft nicht gewährleistet sei. Dabei verkennt sie, dass private Unternehmen im Wettbewerb in der
Regel dynamischer, innovativer und günstiger als öffentliche Unternehmen die Leistungen der Daseinsvorsorge anbieten
können. Das haben die Liberalisierungserfolge, vor allem in den ehemals hoheitlich organisierten Märkten der Netzinfrastrukturen deutlich gezeigt. Diese Erfolge dürfen nicht durch eine erneute Ausweitung staatlicher Tätigkeiten wieder
zunichte gemacht werden. Der Liberalisierungs- und Privatisierungsprozess ist auf weitere Branchen – wie etwa die Wasserwirtschaft und die Abfallentsorgung – auszudehnen, um die darin liegenden Wachstumspotentiale zum Vorteil für die
Verbraucher zu nutzen. Die Privatisierung öffentlicher Aufgaben und die Durchsetzung von Gemeinwohlbelangen sind
keine Gegensätze. Die Steuerungsfähigkeit und Souveränität des Staates bleiben durch entsprechend ausgestaltete
gesetzliche oder vertragliche Rahmenbedingungen für die privaten Anbieter von Dienstleistungen unangetastet. Dies
folgt bereits aus der Gewährleistungsverantwortung des Staates.
Mit dieser Schrift will der BDI aktuelle Missstände im Verhältnis Staat – Privatwirtschaft aufdecken und für einen Wettbewerb unter gleichen Rahmenbedingungen eintreten: Der nachweislich beste Anbieter soll eine Leistung der Daseinsvorsorge erbringen dürfen. Hierfür ist es erforderlich, dass die Privatwirtschaft überhaupt in die Lage versetzt wird, ihre
Angebote in einem fairen Wettbewerb unterbreiten zu dürfen. Die Messlatte sollten die Erwartungen des Bürgers sein,
nicht die Begehrlichkeiten der öffentlichen Hand, Aufgabenbereiche – unabhängig von Kapazitäten und Expertise – in
Eigenregie durchführen zu wollen.
Jürgen Thumann
Präsident
des Bundesverbandes der Deutschen Industrie
BDI – Bundesverband der Deutschen Industrie
Daseinsvorsorge: Nutznießer Staat?
Inhaltsverzeichnis
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Inhaltsverzeichnis
A. Daseinsvorsorge – Sorge der Privatwirtschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6
B. Dimensionen der Daseinsvorsorge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8
1.
»Daseinsvorsorge« – ein konturenloser Begriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8
a) Daseinsvorsorge in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8
b) Daseinsvorsorge in Europa . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8
2.
Wettbewerb
a) Vorrang des Wettbewerbsprinzips . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9
b) Wettbewerb im europäischen Binnenmarkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9
c) Wettbewerb und Gemeinwohl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10
d) Wettbewerb und wirtschaftliche Betätigung der öffentlichen Hand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10
3.
Beihilfen
a) Wettbewerbsverzerrungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
b) Beihilfenrecht des EG-Vertrages . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
c) Ausnahmen für Leistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
d) Transparenzrichtlinie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Kommunales Wirtschaftsrecht
a) Selbstverwaltungsrecht der Gemeinden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
b) Schranken der wirtschaftlichen Betätigung der öffentlichen Hand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
c) Finanzierung öffentlicher Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
d) Rechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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4.
5.
Vergaberecht
a) Keine Ausschreibungsfreiheit interkommunaler Zusammenarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16
b) Kriterien für eine vergabefreie Inhouse-Beauftragung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17
c) Tendenzen in der nationalen Gesetzgebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17
6.
Steuern
a) Umsatzsteuer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19
b) Körperschaft- und Gewerbesteuer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19
c) Grunderwerbsteuer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20
C. Einzelne Sektoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21
1.
Energie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21
2.
Telekommunikation und Post . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23
3.
Verkehr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25
4.
Abfallwirtschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27
5.
Wasserwirtschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29
6.
Bauwirtschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31
7.
Ingenieur- und Consultingdienstleistungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32
D. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34
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BDI – Bundesverband der Deutschen Industrie
Daseinsvorsorge: Nutznießer Staat?
A. Daseinsvorsorge – Sorge der Privatwirtschaft
A. Daseinsvorsorge – Sorge der Privatwirtschaft
Die wirtschaftliche Betätigung gehört nicht zu den originären Aufgaben der
öffentlichen Hand. Wenn für eine Leistung ein funktionierender Markt vorhanden ist und kein zwingendes Erfordernis für eine staatliche Erbringung
besteht, muss sich der Staat zurückziehen.
Durch die Konkurrenz öffentlicher Unternehmen, die
gegenüber der Privatwirtschaft bevorzugte Wettbewerbsbedingungen vorfindet und diese zu nutzen weiß, kommt
das vorhandene Wertschöpfungspotential der Privatwirtschaft nicht zur Entfaltung. Die Formen der wirtschaftlichen Betätigung der öffentlichen Hand sind vielfältig,
etwa durch Regiebetriebe, kommunale Eigenbetriebe,
Anstalten des öffentlichen Rechts, kommunale Zweckverbände oder rechtsformprivatisierte Unternehmen im vollständigen oder teilweisen Eigentum der öffentlichen
Hand. Die Privilegien der öffentlichen Hand wirken sich
negativ auf den Standort Deutschland aus. Vor allem der
Mittelstand ist mit vielen Arbeitsplätzen in Gefahr. Anstatt
Wachstumspotentiale durch Wettbewerb freizusetzen, konservieren Länder und Gemeinden veraltete Strukturen.
Einige Kommunen agieren im Vergleich zu den Zeiten, in
denen wichtige Versorgungsbereiche, wie die Telekommunikation, die lokale Energieversorgung und die Entsorgungswirtschaft in der Hauptsache von staatlichen Monopolen geprägt war, heute zwar zunehmend wirtschaftlich
und kostenbewusst. Das ist im Interesse des Bürgers auch
notwendig und vor dem Hintergrund der Haushaltslage
unerlässlich. Wenn die Kommunen jedoch behaupten,
Leistungen generell sicherer und günstiger als Private
anbieten zu können, ist das ein vorschneller Trugschluss.
Können die Kommunen im Vergleich zu einem privaten
Anbieter tatsächlich Kosten einsparen, was in den seltensten Fällen der Fall sein dürfte, ist dies ungleichen Wettbewerbsbedingungen geschuldet und ist damit letztlich teuer
erkauft.
Anstatt wirtschaftliche Tätigkeiten dem Wettbewerb privater Unternehmen zu überlassen, entziehen Bundesländer
und Gemeinden den privaten Unternehmen unter dem
Deckmantel der Daseinsvorsorge wichtige Geschäftsfelder.
Auch bereits privatisierte Aufgabenbereiche werden
zunehmend wieder von der öffentlichen Hand selbst
erbracht, und es wird nach Möglichkeiten gesucht, zwingend gebotene Ausschreibungen zu umgehen. So fordern
in Deutschland Länder und Gemeinden die Beseitigung
gemeinderechtlicher Schranken der kommunalen Wirtschaftbetätigung und »ausschreibungsfreie Räume« für
Kommunen, in Europa wollen sie das Wettbewerbsprinzip
zugunsten kommunaler Unternehmen der Daseinsvorsorge einschränken. Wenn das nicht geschehe, seien die Versorgungssicherheit, soziale, karitative und kulturelle
Belange sowie die kommunale Selbstverwaltung gefährdet.
Bundesländer und Gemeinden gehen ordnungspolitisch
den falschen Weg. Nur vordergründig wollen sie mit dem
Hinweis auf die Daseinsvorsorge ihre sozialen Einrichtungen und verfassungsrechlich garantierten Selbstverwaltungsbereiche schützen. Im Kern geht es um etwas anderes: Um leere Kassen. Die öffentliche Hand nutzt die
»Daseinsvorsorge« als Rechtfertigung, um angesichts einer
zunehmend knappen Haushaltslage in gewinnträchtige
Wirtschaftsbereiche vorzustoßen, die vormals privaten
Unternehmen vorbehalten oder ihnen übertragen waren.
Die Kommunen steigerten zwischen 1999 und 2004 ihre
Einnahmen aus wirtschaftlicher Betätigung auf rund 8,8
Milliarden Euro. Das entspricht einer Steigerung von fast
11 %. In Nordrhein-Westfalen steigern sich diese Einnahmen in dem Zeitraum sogar um 21,4 %. Darüber hinaus
wird die Marktöffnung weiterer Sektoren verhindert, nicht
etwa für die Daseinsvorsorge, sondern um lukrative
Kommunen: Der Staat als Unternehmer
Kommunale Einnahmen aus unmittelbarer wirtschaftlicher
Tätigkeit in Millionen Euro
1999
2004
Bayern
1.323
1.562
7,7
Baden-Württemberg
1.520
1.468
7,6
Rheinland-Pfalz
382
420
Mecklenburg-Vorpommern
196
209
Sachsen
Nordrhein-Westfalen
392
432
1.847
2.243
Schleswig-Holstein
240
272
Thüringen
213
224
Hessen
650
675
Saarland
76
82
633
723
Brandenburg
216
221
Sachsen-Anhalt
211
216
Niedersachsen
Westdeutschland
6.671
7.444
Ostdeutschland
1.228
1.302
Bundesländer: ohne Stadtstaaten
iwd: Institut der deutschen Wirtschaft Köln
© 35/2007 Deutscher Instituts-Verlag
in Prozent der Gesamteinnahmen 2004
7,5
7,4
6,8
6,6
6,4
6,4
6,2
6,0
5,9
5,7
5,6
6,9
6,4
Ursprungsdaten: Statistisches Bundesamt
BDI – Bundesverband der Deutschen Industrie
Geschäftsfelder zu sichern. Deutschland fällt dadurch
zurück in eine staatlich betriebene Wirtschaft, die längst
überwunden schien.
Im Folgenden werden verschiedene Aspekte der Daseinsvorsorge beleuchtet. Zunächst werden einige ihrer Dimensionen erörtert. Danach werden exemplarisch einzelne
Branchen dargestellt.
Beispiel: In Bergkamen ist seit dem 1.7.2006 die Müllabfuhr rekommunalisiert worden, nachdem eine Wirtschaftsprüfungsgesellschaft – bei Eigenerbringung durch
die Stadt – ein Einsparungspotential von 30 % errechnet
hatte. Solche abstrakten Rechenmodelle werden auf der
Grundlage historischer, längst überholter Preisstrukturen
als auch unter Einbeziehung steuerlicher Privilegien
errechnet. Öffentliche Unternehmen in entsprechender
Rechtsform zahlen weder Umsatzsteuer noch Ertragssteuern. Letztlich sind die Müllgebühren infolge nur um
7,8 % (2006) und weitere 3,4 % (2007) gesenkt worden.
Da die Rekommunalisierung ohne erneute Ausschreibung stattfand, ist keinesfalls erwiesen, dass ein privater
Anbieter aufgrund der aktuellen Kostenentwicklung
weniger Einsparungen hätte verwirklichen können. Durch
die Verdrängung der Privatwirtschaft wird noch dazu auf
Steuereinnahmen verzichtet, was zu einer hohen Belastung des öffentlichen Haushaltes führt.
Daseinsvorsorge: Nutznießer Staat?
A. Daseinsvorsorge – Sorge der Privatwirtschaft
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BDI – Bundesverband der Deutschen Industrie
Daseinsvorsorge: Nutznießer Staat?
B. Dimensionen der Daseinsvorsorge
B. Dimensionen der Daseinsvorsorge
Auch im Bereich der Daseinsvorsorge gelten die Grenzen der kommunalen
Selbstverwaltung, die verfassungsrechtlichen Vorgaben für privatwirtschaftliche Berufs- und Gewerbefreiheit und die Maximen verfassungsrechtlich
garantierter Wettbewerbsfreiheit und Wettbewerbsgleichheit. Ebenso sind die
Vorgaben des europäischen Beihilfenrechts und Vergaberechts zu beachten.
Hieraus sind zwingend Konsequenzen zu ziehen.
1. »Daseinsvorsorge« – ein konturenloser Begriff
Die unter dem konturenlosen Begriff
»Daseinsvorsorge« angesiedelten
Dienste, die früher hoheitlich angeboten wurden, können und werden
in der Regel zu besseren Konditionen
von Privaten angeboten. Der Staat
sollte hierfür einen geeigneten Wettbewerbsrahmen schaffen.
a) Daseinsvorsorge in Deutschland
Der Begriff Daseinsvorsorge hat keine festen Konturen. In
Deutschland geht er auf Ernst Forsthoff zurück, der ihn
erstmals 1938 in seiner Schrift »Die Verwaltung als Leistungsträger« prägte. Zur Daseinsvorsorge gehört für die
einen die flächendeckende Versorgung mit wichtigen Wirtschaftsgütern zu gleichen Bedingungen, andere verstehen
darunter soziale und karitative Einrichtungen, wieder
andere meinen, auch die gleichmäßige Entwicklung der
Regionen sei umfasst. Daseinsvorsorge wird verwendet,
wenn es um die öffentliche Sicherheit, Landesverteidigung
und Justiz geht. Und schließlich sollen zur Daseinsvorsorge – nimmt man die öffentliche Diskussion ernst – TrimmDich-Gelände, ökologische Lehrpfade, Sportstadien und
Schwimmbäder gehören. Daseinsvorsorge wird in diesem
weiten Verständnis zum Inbegriff jeder Art von Politik
und scheint alles zu umfassen, was dem Menschen irgendwie zugute kommt, nämlich Vorsorge für sein Dasein im
weitesten Sinn.
Der konturenlose Begriff der Daseinsvorsorge hat über
viele Jahre – bis heute – die Politik der Länder und
Gemeinden geprägt. Sein Inhalt hat sich stets gewandelt.
Stadträte, Bürgermeister und Kreisdirektoren berufen sich
auf die Daseinsvorsorge, wenn sie Wasser-, Energieversorgungs- und Abfallbetriebe einrichten. Hinzu kommt oft
der Verweis auf die Daseinsvorsorge, um Telekommunikationsleistungen zu erbringen, Sparkassen abzusichern oder
den Personennahverkehr (ÖPNV) auszubauen. Mit dem
Begriff der Daseinsvorsorge ist – anders als dies gern dargestellt wird – aber keinesfalls eine zwingende staatliche
Zuständigkeit begründet. Vielmehr handelt es sich generell um wirtschaftliche Leistungen, die auf Seiten des Staates im Rahmen der Leistungsverwaltung und von Privaten
auf privatrechtlicher Grundlage erbracht werden. Der
Staat hat lediglich die Gewährleistungsverantwortung;
dies impliziert jedoch gerade nicht, dass die Aufgabe
durch die Gemeinden und ihre Unternehmen selbst ausgeführt werden muss. Im Gegenteil, die Gemeindeordnungen postulieren eine wirtschaftliche Betätigung des Staates
nur in Ausnahmefällen; grundsätzlich soll die Privatwirtschaft wirtschaftlich tätig werden.
b) Daseinsvorsorge in Europa
In anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union meint
der Begriff der Daseinsvorsorge, der dort mit etwas anderem Inhalt »Services of general interest« (England), »Services d’interet général« oder »Service public« (Frankreich)
oder »servizio pubblico« (Italien) genannt wird, weit
weniger als in Deutschland die Erbringung wichtiger Leistungen gerade durch den Staat. Unterschiede bestehen im
Ausmaß der staatlichen Aktivität in den Sektoren der
Daseinsvorsorge.
Die Europäische Kommission beschreibt die »Leistungen
der Daseinsvorsorge in Europa« als »marktbezogene oder
nichtmarktbezogene Tätigkeiten, die im Interesse der
Allgemeinheit erbracht und daher von den Behörden mit
spezifischen Gemeinwohlverpflichtungen verknüpft werden«. Begrifflich spricht sie dabei von »Dienstleistungen
im allgemeinen Interesse« und »Dienstleistungen in allgemeinem wirtschaftlichen Interesse«, wobei letztere in
Art. 86 EG explizit genannt werden. Diese beziehen sich
auf marktbezogene Tätigkeiten, die im Interesse der Allgemeinheit erbracht und daher von den Mitgliedstaaten
mit besonderen Gemeinwohlverpflichtungen verbunden
werden.
BDI – Bundesverband der Deutschen Industrie
Daseinsvorsorge: Nutznießer Staat?
B. Dimensionen der Daseinsvorsorge
Diese Unterscheidung unterstellt, dass eine Grenzziehung
zwischen marktbezogenen und nicht marktbezogen Leistungen möglich ist. Schon das ist zweifelhaft. Denn es
hängt – von wenigen öffentlichen Gütern, wie öffentliche
Sicherheit, Landesverteidigung oder Justiz abgesehen –
gerade von den jeweiligen gesetzlichen, wirtschaftlichen,
sozialen und politischen Rahmenbedingungen ab, ob
Unternehmen eine Leistung im Markt erbringen können,
oder ob es für besser angesehen wird, dass der Staat
gewisse Leistungen bereit hält. Die Begriffe »Daseinsvorsorge« und »Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse« sind deshalb nicht zu trennen. Sie liegen
eng beieinander. Wichtig ist die Erkenntnis, dass die Mitgliedstaaten wichtige Leistungen für die Bürger mit unterschiedlichen ordnungspolitischen Instrumenten sichern.
Zu Recht zogen sich der Staat und die öffentlichen Unternehmen europaweit zunehmend zurück. Wichtige Leistungen werden immer öfter von privaten Unternehmen im
Wettbewerb erbracht. Die positiven Ergebnisse für Innovation, Fortschritt und Kostensenkung sind unverkennbar.
Allerdings weitet die öffentliche Hand in letzter Zeit ihre
wirtschaftliche Betätigung zulasten der Privatwirtschaft
wieder zunehmend aus.
2. Wettbewerb
Das Prinzip des Wettbewerbs wirkt auf den Begriff
»Daseinsvorsorge« zurück. Zu verstehen ist Daseinsvorsorge daher vor allem als die Aufgabe des Staates auf allen
Ebenen, einen geeigneten Wettbewerbsrahmen zu schaffen, damit private Unternehmen Leistungen, die von den
Menschen als wichtig angesehen und nachgefragt werden,
auf hohem Niveau zur Verfügung stellen können.
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Allein der Wettbewerb garantiert
Effektivität, Qualität und nachhaltig
günstige, innovative Dienstleistungen
für die Verbraucher.
a) Vorrang des Wettbewerbsprinzips
Die Leistungen der Daseinsvorsorge werden in der Regel
mit höherer Qualität, mit einer größeren Vielfalt und zu
besseren Preisen von der Privatwirtschaft im Wettbewerb
erbracht. Das ist die praktische Erfahrung aus der Liberalisierung und Privatisierung der ehemals hoheitlich organisierten Märkte. Zu Recht haben die Mitgliedstaaten mit
Hilfe der Europäischen Union diese wichtigen Leistungen
der Daseinsvorsorge dem Wettbewerb geöffnet. Warum
wird dann mit der Liberalisierung der Wasserwirtschaft
gewartet? Auch die Sozialversicherungssysteme, das
Gesundheitswesen und die Hochschulen benötigen mehr
wettbewerbliche Elemente. Sowohl die Bürger als auch
weite Teile der Politik spüren die Vorteile des Wettbewerbs und möchten nicht mehr auf sie verzichten. Auch
einige Kommunen agieren im Vergleich zu den Zeiten, in
denen wichtige Versorgungsbereiche in der Hauptsache
von staatlichen Monopolen geprägt waren, heute zunehmend wirtschaftlich und kostenbewusst. Das ist im Interesse des Bürgers auch notwendig und vor dem Hintergrund der Haushaltslage unerlässlich.
b) Wettbewerb im europäischen Binnenmarkt
Beispiel: Städte und Gemeinden stoßen – neben den
mittlerweile weitgehend liberalisierten und privatisierten
Bereichen der Daseinsvorsorge – in sämtliche Bereiche
des wirtschaftlichen Lebens vor. Sie bieten z. B. an: Fitness- und Nagelstudios, Nachhilfe, Stadtrundfahrten,
Campingplätze, Konzert- und Veranstaltungsagenturen,
Fahrschulen, Hotel- und Gaststättenbetriebe,
Abschleppdienste, Gärtnereien, Krematorien, Heizungswartungsdienste, DSL-Anschlüsse, Seilbahnfahrten, etc.
Die Liste lässt sich um zahlreiche weitere Fälle erweitern. Diese Tätigkeiten der öffentlichen Hand sind weder
durch einen öffentlichen Zweck geboten, noch nach
dem Subsidiaritätsprinzip der Gemeindeordnungen
gestattet.
Das Wettbewerbsprinzip hat im europäischen Binnenmarkt eine besondere Bedeutung. Nach Art. 3 Abs. 1 lit. g)
EG wollen die Mitgliedstaaten ein System schaffen, das
den Wettbewerb innerhalb des Binnenmarktes vor
Verfälschungen schützt. Gemäß dem EU-Gipfel am
21./22.6.2007 wird sich dieses Bekenntnis künftig in
einem Protokoll finden, das aber den gleichen Status wie
der Vertragstext selbst hat. Die Europäische Kommission
hat die wichtige Funktion, die Einhaltung der Wettbewerbsregeln des EG-Vertrages zu überwachen. Insbesondere muss die Europäische Kommission dafür sorgen, dass
der Wettbewerb der Unternehmen wirksam und fair ausgeübt werden kann. Sie kontrolliert sowohl Wettbewerbsbeschränkungen und den Missbrauch marktbeherrschender Stellungen durch Unternehmen als auch unzulässige
Beihilfen durch die Mitgliedstaaten. Sie sichert dadurch
ab, dass sich die Marktkräfte im europäischen Binnenmarkt ohne Verzerrungen entfalten und die Nachfrage der
Menschen auf hohem Niveau durch Angebote der Privatwirtschaft befriedigt wird.
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BDI – Bundesverband der Deutschen Industrie
Darüber hinaus ist die Europäische Kommission ein wichtiger Motor für die Öffnung der Märkte und damit für
weitere Fortschritte im Binnenmarkt. Zu Recht treibt die
Europäische Kommission nach den Telekommunikationsund Postmärkten, den Strom- und Gasmärkten nun die
Liberalisierung des Personennahverkehrs voran. Sie hat
erkannt, dass die Marktkräfte in der Regel eine bessere
Verwendung der Ressourcen, mehr Effizienz, bessere Qualität und günstigere Preise ermöglichen. Das hat sie zuletzt
in ihrem Weißbuch über die »Dienstleistungen im allgemeinen Interesse« 2004 dargelegt. Der offene und wettbewerbsfähige Markt habe – jedenfalls in vielen Fällen –
wesentlich zur Verbesserung der Effizienz beigetragen und
zu einer Vergrößerung des Dienstleistungsangebots und zu
dessen Erschwinglichkeit geführt.
c) Wettbewerb und Gemeinwohl
Die Politik sieht sich zu Recht in der Verantwortung, das
Gemeinwohl zu sichern. Mit der Gemeinwohlsicherung
gehen aber nicht zwangsläufig Eingriffe in die Freiheit des
Wettbewerbs einher. Im Gegenteil: In der Marktwirtschaft
gewährleistet der Staat das Gemeinwohl vorrangig
dadurch, dass er einen geeigneten Wettbewerbsrahmen
schafft, ohne darüber hinaus in den Markt einzugreifen.
Der Wettbewerbsrahmen muss so gestaltet sein, dass er
ausreichende Anreize setzt, damit private Unternehmer
den Bedarf der Bürger an wichtigen Leistungen möglichst
optimal befriedigen. Der Wettbewerb sorgt dafür, dass
Unternehmen aus dem Markt ausscheiden, wenn sie die
Bedürfnisse der Nachfrager nicht erkennen oder nicht auf
einem ausreichend hohen Niveau befriedigen. Denn erst
diese reale Gefahr setzt die erforderlichen unternehmerischen Kräfte frei, um sich beständig für stete Innovation,
höhere Qualität und günstigere Preise einzusetzen. Nicht
die planende Hand des Staates, sondern der Wettbewerb
privater Unternehmer gewährleistet, dass neue Märkte
erschlossen werden und die Bürger auf hohem Niveau
Leistungen ihrer Wahl nachfragen können. Nicht öffentliche Unternehmen, sondern private Unternehmer – zuweilen angestoßen durch Initiativen der öffentlichen Hand –
sind die Motoren von Innovation und dynamischer Entwicklung.
Wenn die Politik meint, ein von ihr gewolltes Niveau für
bestimmte Leistungen oder Standards werde durch die
Privatwirtschaft im freien Wettbewerb nicht oder nicht
ausreichend erbracht, so hat sie verschiedene Möglichkeiten, den Wettbewerbsrahmen anzupassen. Die Politik
kann etwa Mindeststandards festlegen, von denen sie
glaubt, dass sie für das Gemeinwohl erforderlich sind. Ob
Mindeststandards erforderlich sind und in welchem Maß,
hängt allerdings von der Bedeutung der in Frage stehen-
Daseinsvorsorge: Nutznießer Staat?
B. Dimensionen der Daseinsvorsorge
den Leistung, von den Bedürfnissen der Nachfrager und
von den Strukturen des Marktes ab. Bekannt sind Mindeststandards für den Gesundheitsschutz, für die Sicherheit am Arbeitsplatz, für die Sicherheit von Produkten
oder für den Umweltschutz. Diese Standards können
durch Pflichten, Vereinbarungen oder andere Maßnahmen
flankiert werden. So wird beispielsweise bei den Post- und
Telekommunikationsdiensten die Grundversorgung der
Bevölkerung durch das Prinzip der Universaldienstverpflichtung gewährleistet. Das Universaldienstprinzip, nach
dem Anbieter einer Leistung diese im gesamten Staatsoder Lizenzgebiet zu erschwinglichen Preisen und in vergleichbarer Qualität erbringen müssen, kann für gewisse
Leistungen vorübergehend ein geeignetes Instrument sein,
um die Versorgung wichtiger Leistungen auch in der Fläche, also in entlegenen Gebieten, zu sichern. Der BDI
warnt jedoch vor einer ausufernden Definition von Leistungen, die angeblich im allgemeinen Interesse flächendeckend erbracht werden sollten. Ein weiter Ermessensspielraum der Mitgliedstaaten bei der Definition von Leistungen im allgemeinen wirtschaftlichen Interesse verführt zu
Eingriffen in den Marktmechanismus und zu einer eigenen wirtschaftlichen Betätigung der öffentlichen Hand. Es
kann nur im begründeten Ausnahmefall richtig sein, die
Vertragsfreiheit durch Universaldienstpflichten zu
beschränken. Kontrahierungszwänge sind dem Wettbewerbsprinzip fremd und daher ordnungspolitisch grundsätzlich falsch. Der Preis – auch für wichtige Leistungen –
darf als wichtiger Anhaltspunkt für das Wettbewerbs- und
Nachfrageverhalten der Markteilnehmer nicht reguliert
werden.
d) Wettbewerb und wirtschaftliche Betätigung der öffentlichen
Hand
Wenn ausnahmsweise eine Leistung aus Gründen des
öffentlichen Wohls nicht im Markt erbracht werden soll –
wie etwa bei Justiz, innerer Sicherheit und Landesverteidigung –, dann ist es gerechtfertigt, dass der Staat diese
Leistung selbst erbringt. Die wirtschaftliche Betätigung des
Staates ist jedoch für die Erbringung von Leistungen der
Daseinsvorsorge grundsätzlich nicht erforderlich und ordnungspolitisch der falsche Weg. Besonders schädlich sind
Monopolstellungen des Staates in Sektoren, die ebenso
gut von der privaten Wirtschaft bedient werden könnten,
etwa in Teilen der Entsorgungswirtschaft oder in der Wasserwirtschaft. Nachdem in den letzten Jahren staatliche
Monopole weitgehend abgebaut wurden, ist die wirtschaftliche Betätigung der öffentlichen Hand ein Anachronismus, der sich nur aufgrund ungleicher Bedingungen im
Wettbewerb und umfangreichen Ausnahmen von Ausschreibungserfordernissen zulasten der Privatwirtschaft
hält.
BDI – Bundesverband der Deutschen Industrie
Die privaten Unternehmen fürchten keineswegs die Konkurrenz der öffentlichen Unternehmen als solche. Konkurrenz ist Ausdruck der wettbewerblich organisierten Wirtschaft. Die Unternehmen der öffentlichen Hand werden
sich aufgrund ihrer Anbindung an den Staat und der
daraus folgenden strukturellen Ineffizienzen langfristig
ohnehin nicht im Wettbewerb behaupten können. »Neue
Steuerungsmodelle« ändern daran kaum etwas. Nachteilig
ist aber, dass der Steuerzahler für die Kosten der Ineffizienz öffentlicher Unternehmen aufkommen muss. Für die
Privatwirtschaft ist besorgniserregend, dass für einzelne,
vor allem kleine und mittlere Unternehmen die als Wettbewerber auftretende öffentliche Hand ruinös wirken
kann.
Der BDI ist der Auffassung, dass die wirtschaftliche Betätigung der öffentlichen Hand im Grundsatz unzulässig ist.
Dieser Grundsatz darf nur ausnahmsweise für einen eng
zu definierenden öffentlichen Zweck durchbrochen werden. Denn ein allein auf Gewinnstreben ausgerichtetes
Wirtschaften des Staates widerspricht dem Grundgesetz.
Gegen die wirtschaftliche Betätigung der öffentlichen
Hand spricht auch, dass private Unternehmer einen
wesentlichen Teil ihrer Erträge als Steuern an den Staat
abführen müssen. Sie dürfen daher erwarten, dass der
Staat nicht zusätzlich als Wettbewerber gegen sie auftritt.
Darüber hinaus ist der Wettbewerb der privaten Unternehmen mit den Unternehmen der öffentlichen Hand
nicht chancengleich. Die öffentlichen Unternehmen nehmen in der Regel Vorteile in Anspruch, die sich private
Unternehmen nicht erwirtschaften können. Das zeigen die
Privilegien öffentlicher Unternehmen bei der Vergabe von
Staatsbeihilfen, im Rahmen des kommunalen Wirtschaftsrechts, bei der Besteuerung und im Vergaberecht.
Daseinsvorsorge: Nutznießer Staat?
B. Dimensionen der Daseinsvorsorge
11
Beispiel: Die Marktöffnung und der Wettbewerb in den
liberalisierten Bereichen haben zu erheblichen Preissenkungen und verbesserten Serviceangeboten geführt.
Telekommunikation: Für Sprachtelefoniedienste an
Werktagen fallen nur noch rund vier Prozent des Betrags
zu Monopolzeiten an. Im Bereich der Mobilfunkdienste
ist seit 1995 das Preisniveau um rund 70 % gesunken
und seit 2000 sank der Verbraucherpreisindex für Internetnutzung um 44 %. Zudem wurde in allen Bereichen
der Telekommunikation und IT-Dienste eine Vielzahl
neuer Produkte und Dienste den Kunden zur Verfügung
gestellt.
Verkehr: Seit September 2001 vergibt die Stadt Frankfurt a.M. ihre Busverkehrsdienste schrittweise im Ausschreibungswettbewerb. Heute werden jährlich über
850.000 zusätzliche Buskilometer erbracht, die allein aus
den Effizienzgewinnen der Ausschreibungen finanziert
werden.
3. Beihilfen
a) Wettbewerbsverzerrungen
Beihilfen verzerren grundsätzlich den
Wettbewerb zwischen Unternehmen
und begünstigen Quersubventionierungen zulasten der Privatwirtschaft.
Beihilfen des Staates verzerren den Wettbewerb. Besonders oft gewährt die öffentliche Hand Beihilfen an öffentliche Unternehmen und damit zulasten der privaten Wirtschaft. Der Hinweis vieler öffentlicher Unternehmen, sie
kämen ohne Beihilfen aus, verzerrt die Wirklichkeit.
Selbst wenn direkte Zuschüsse nicht gezahlt werden, profitieren öffentliche Unternehmen in verschiedener Weise
indirekt vom Staat. Sie tragen weder ein echtes Konkursnoch ein Beschäftigungsrisiko. Fremdkapitalgeber dürfen
davon ausgehen, dass der hinter einem privatrechtlich
organisierten öffentlichen Unternehmen stehende Staat
oder die Gebietskörperschaft etwaige Verluste auffangen
wird. Darüber hinaus nutzen öffentliche Unternehmen
regelmäßig das hinter ihrem Unternehmen stehende Personal der öffentlichen Verwaltung. Auch diesen Vorteil
haben Privatunternehmer nicht. Nicht zuletzt haben
öffentliche Unternehmen durch ihre Nähe zur Verwaltung
in der Regel wettbewerbsrelevante Informationsvorsprünge, die sich private Unternehmen selbst bei größten
Anstrengungen nicht erarbeiten können. Diese indirekten
Vorteile öffentlicher Unternehmen – und nicht etwa aus-
12
BDI – Bundesverband der Deutschen Industrie
schließlich offene Finanzhilfen – sind zu berücksichtigen,
wenn der Umfang von Beihilfen an öffentliche Unternehmen diskutiert wird.
b) Beihilfenrecht des EG-Vertrages
Die Zuwendungen des Staates an öffentlichen Unternehmen sind nicht nur ordnungspolitisch bedenklich. Der
EG-Vertrag verbietet in Art. 87 EG wettbewerbsverzerrende Beihilfen der öffentlichen Hand, um die Chancengleichheit der Unternehmen im Wettbewerb zu sichern.
Das Beihilfenrecht unterscheidet nicht danach, ob die Beihilfe einem privaten oder einem öffentlichen Unternehmen gewährt wird. Beides ist grundsätzlich unzulässig.
Der Begriff der Beihilfe wird weit gefasst, um eine möglichst umfassende Kontrolle staatlicher Unterstützungen
zu gewährleisten. Er umfasst unmittelbare finanzielle
Zuwendungen ebenso wie indirekte Beihilfen, etwa in
Form zinsvergünstigter Darlehen oder durch Verkäufe von
Grundstücken unterhalb des Marktwertes.
c) Ausnahmen im EU-Beihilfenrecht für Leistungen von
allgemeinem wirtschaftlichen Interesse
In der Diskussion um die Daseinsvorsorge fordern die
Bundesländer und Kommunen weitere Ausnahmen vom
Beihilfenverbot für Leistungen im allgemeinen wirtschaftlichen Interesse. Der BDI warnt mit Nachdruck davor,
diesen Forderungen nachzugeben. Das EU-Beihilfenrecht
enthält bereits heute bedenklich weitgehende Ausnahmen
für die Daseinsvorsorge. Das scheinen die Bundesländer
und Kommunen zu verkennen. Neben der Möglichkeit,
das national gewünschte Niveau der Daseinsvorsorge
durch allgemeine Regeln zu bestimmen, sieht Art. 86 Abs.
2 EG vor, dass die Wettbewerbs- und Beihilferegeln des
EG-Vertrages für diejenigen (privaten oder öffentlichen)
Unternehmen, die mit Dienstleistungen von allgemeinem
wirtschaftlichen Interesse betraut sind, nur soweit gelten,
wie die Regeln die Erfüllung der Aufgaben nicht verhindern. Es obliegt grundsätzlich den Mitgliedstaaten zu
bestimmen, welche Leistungen sie im allgemeinen Interesse erbracht wissen wollen. Die Mitgliedstaaten können
insbesondere private Unternehmen mit der Erbringung
solcher Leistungen betrauen. In der Praxis profitieren vor
allem öffentliche Unternehmen von Beihilfen nach Art. 86
Abs. 2 EG. Die öffentliche Hand darf die Nachteile der
Unternehmen, die mit besonderen Aufgaben betraut sind,
durch Beihilfen in angemessenem Umfang ausgleichen.
Will etwa eine Gemeinde in einem grenznahen Gebiet
eine Splittersiedlung mit einem regelmäßigen Busverkehr
versorgen, bedienen die lokalen Busunternehmen die Strecke zur Splittersiedlung aber nicht oder nicht ausreichend,
so dürfte es mit dem EU-Beihilfenrecht vereinbar sein,
wenn die Gemeinde einem Busunternehmer angemessene
Daseinsvorsorge: Nutznießer Staat?
B. Dimensionen der Daseinsvorsorge
Zuschüsse für die höheren Kosten der Bedienung der
unwirtschaftlichen Strecke gewährt. Nach dem Urteil des
EuGH zu Altmark-Trans vom 24.7.2003 (Rs. C-4280/00)
ist eine Ausgleichszahlung dann eine Beihilfe, wenn diese
ohne vorherige Ausschreibung gewährt wird oder nicht
die Kosten eines durchschnittlichen, gut geführten Unternehmens zugrunde gelegt werden.
Nach Ansicht der Europäischen Kommission steht der
öffentlichen Hand ein weiter Ermessensspielraum für die
Definition der Daseinsvorsorge zu. Die Forderung der
Bundesländer und Gemeinden nach weiteren Ausnahmen
ist vor diesem Hintergrund unangemessen. Zu schnell
bejahen regionale und lokale Gebietskörperschaften die
Notwendigkeit von Beihilfen vor allem zugunsten öffentlicher Unternehmen. Der faire Wettbewerb wird untergraben, denn offene oder versteckte Beihilfen lassen kommunale Unternehmen nur kurzfristig wettbewerbsfähig
erscheinen. Auch »Neue Steuerungsmodelle« lösen nicht
das Problem der strukturellen Ineffizienz öffentlicher
Unternehmen.
d) Transparenzrichtlinie
Die Leistungen der Daseinsvorsorge sind zu Recht nicht
gänzlich der europäischen Wettbewerbskontrolle entzogen. Der Staat darf die Daseinsvorsorge nicht dazu missbrauchen, den Wettbewerb zugunsten der Unternehmen
der öffentlichen Hand zu verzerren. Der Staat darf insbesondere den Unternehmen, die Leistungen von allgemeinem Interesse erbringen, nur Beihilfen in einem Umfang
gewähren, der erforderlich ist, damit die Unternehmen
ihre Aufgabe, mit der sie betraut worden sind, erfüllen
können. Voraussetzung dafür ist, dass die öffentliche
Hand den bevorzugten Unternehmen klar und transparent
Zielvorgaben gibt, die zu erfüllen sind. Beihilfen können
dann in dem Umfang zulässig sein, der erforderlich ist, um
das vorgegebene, politisch gewollte Ziel zu erreichen.
Unzulässig sind zu Recht Beihilfen, die über das erforderliche Maß hinausgehen. Eine Gemeinde, die einem Busunternehmen Zuschüsse für die Bedienung einer unwirtschaftlichen Strecke gewährt, darf also allenfalls die spezifischen Mehrkosten des Busunternehmers ausgleichen.
Besonders problematisch sind Beihilfen für Unternehmen,
die Leistungen sowohl im freien Markt als auch aufgrund
eines öffentlichen Auftrags erbringen. Es besteht die
Gefahr, dass die begünstigten Unternehmen die Beihilfen
verwenden, um die Aktivitäten im freien Markt mitzufinanzieren (»Quersubventionierung«). Der Busunternehmer, der Zuschüsse für die Bedienung einer unwirtschaftlichen Strecke erhält, könnte und würde zu hohe Zuschüsse dazu verwenden, seinen allgemeinen, im Wettbewerb
BDI – Bundesverband der Deutschen Industrie
stehenden Busbetrieb zu unterstützen. Diese Quersubventionierung ist gängige Praxis.
Die Transparenzrichtlinie versucht dieses Problem zu
lösen. Danach müssen Unternehmen, die sowohl in vollständig liberalisierten als auch in Märkten tätig sind, in
denen sie besondere Rechte genießen, eine getrennte
Buchführung über ihre jeweiligen Aktivitäten einführen.
Die Transparenzrichtlinie ist damit ein Instrument, das
Wettbewerbsverzerrungen verhindern soll. Die Unternehmen, die besondere Rechte innehaben, um Leistungen im
allgemeinen wirtschaftlichen Interesse zu erbringen, und
dafür staatliche Beihilfen erhalten, müssen beide Bereiche
voneinander trennen und dokumentieren, wie sie Beihilfen verwenden. Die EU-Kommission hat bei der letzten
Änderung der Transparenzrichtlinie im Jahr 2005 sogar
klargestellt, dass diese Verpflichtung sogar unabhängig
von der rechtlichen Qualifizierung der Ausgleichszahlungen als Beihilfe besteht und damit bekräftigt, dass Quersubventionierungen in jedem Fall auszuschließen seien.
Der BDI tritt der Forderung der Bundesländer nach weiteren Ausnahmen im EU-Beihilfenrecht entschieden entgegen. Ausnahmen vom Beihilfenverbot wären ein falsches ordnungspolitisches Signal für Deutschland und für
Europa. Wettbewerbsverzerrungen durch staatliche Eingriffe würden legitimiert, die Liberalisierungs- und Privatisierungserfolge der vergangenen Jahre zunichte gemacht.
Dringend erforderliche Reformen würden verzögert oder
sogar verhindert. Beihilfen sind schließlich auch dann
bedenklich, wenn das europäische Beihilfenrecht sie nicht
sanktioniert, etwa weil die Beihilfe den Wettbewerb nicht
grenzüberschreitend beeinflusst. Die nationale Politik ist
dann umso stärker gefordert.
Daseinsvorsorge: Nutznießer Staat?
B. Dimensionen der Daseinsvorsorge
13
Beispiel: Die Deutsche Post AG hat in den 90er Jahren
ihren Paketdienst aus den Einnahmen des Briefdienstes
quersubventioniert. Die Europäische Kommission sah
nur deshalb von einer Geldbuße ab, da nicht geklärt
werden konnte, welche Kostenstandards an Unternehmen anzulegen seien, die sowohl auf reservierten Monopolmärkten als auch auf wettbewerblichen Märkten tätig
sind. In einer weiteren Kommissionsentscheidung aus
dem Jahr 2002 wurde die Bundesrepublik Deutschland
verpflichtet, finanzielle Unterstützungen in Höhe von 572
Mio. EUR zzgl. Zinsen als unzulässige Beihilfen von der
Deutschen Bundespost zurückzufordern. Die Deutsche
Post AG hatte staatliche Mittel in Höhe von 572 Mio.
EUR, die eigentlich der Grundversorgung dienten, zur
Finanzierung einer aggressiven Preisstrategie verwendet,
mit der sie die Preise der privaten Anbieter von Paketdiensten zwischen 1994 und 1998 unterboten hat. Ein
solches Vorgehen verletzt den Grundsatz, wonach
Unternehmen, die staatliche Beihilfen zur Finanzierung
von Dienstleistungen des Allgemeininteresses empfangen, diese Mittel nicht zur Subventionierung von Tätigkeiten verwenden dürfen, die dem Wettbewerb offenstehen.
14
BDI – Bundesverband der Deutschen Industrie
4. Kommunales Wirtschaftsrecht
Das Selbstverwaltungsrecht der
Gemeinden ist nicht schrankenlos
und gewährt diesen keinen Freibrief
für jede wirtschaftliche Betätigung.
Wenn für eine Leistung ein funktionierender Markt vorhanden ist und
kein zwingendes Erfordernis für eine
Betätigung des Staates besteht, muss
sich der Staat zurückziehen.
Die Kommunen und Landkreise meinen, ihre wirtschaftliche Betätigung sei Ausdruck der kommunalen Selbstverwaltung im Bereich der Daseinsvorsorge. Nicht nur die
Stadtwerke bemühen sich traditionell, private Wettbewerber vom lokalen Markt fernzuhalten. Beispiele, in denen
die öffentliche Hand in jüngerer Zeit unter dem Stichwort
»Daseinsvorsorge« in Wettbewerb mit privaten Unternehmen getreten ist, sind gemeindliche Gartenbau- und Friedhofsbetriebe, Werkstätten zur Prägung von Kfz-Schildern,
kommunale Cafés, landkreiseigene Busunternehmen oder
die Einrichtung kommunaler Reisebüros.
Das Grundgesetz hat zwar die kommunale Selbstverwaltung in Art. 28 Abs. 2 GG verankert. Daraus folgt jedoch
keineswegs, dass die Gemeinden ohne weiteres Leistungen, die sie selbst zur Daseinsvorsorge zählen, durch Einrichtungen der öffentlichen Hand erbringen dürfen. Die
Gemeindeordnungen, die Haushaltsgesetze und das Wettbewerbsrecht setzen dem zu Recht enge Grenzen. Aber
auch dann, wenn die öffentliche Hand den ihr vom
Gesetzgeber zugestandenen Spielraum für eine wirtschaftliche Betätigung im Rahmen des geltenden Rechts nutzt,
ist die wirtschaftliche Betätigung der öffentlichen Hand
ordnungspolitisch der falsche Weg.
a) Selbstverwaltungsrecht der Gemeinden
Das Selbstverwaltungsrecht der Gemeinden gibt diesen –
nach einer Formulierung des Bundesverfassungsgerichts –
die Möglichkeit, Bedürfnisse und Interessen zu befriedigen, die »in der örtlichen Gemeinschaft wurzeln«, die also
den Gemeindeeinwohnern als solchen gemeinsam sind,
soweit sie das Zusammenleben und -wohnen in der
Gemeinde betreffen. Die Bürger sollen die Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft mitregeln können. Dieser
Zweck – die demokratische Kontrolle gemeindlicher
Angelegenheiten – bestimmt zugleich den Inhalt und die
Daseinsvorsorge: Nutznießer Staat?
B. Dimensionen der Daseinsvorsorge
Grenzen der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie.
Gewährleistet ist die eigenständige Verwaltung der
gemeindlichen Binnenstruktur. Das Selbstverwaltungsrecht gewährt den Gemeinden also keinen Freibrief für
eine wirtschaftliche Betätigung. Die wirtschaftliche Betätigung der Gemeinden ist als spezifisch kommunale Betätigung räumlich begrenzt und zu Recht weiteren engen
Schranken unterworfen.
b) Schranken der wirtschaftlichen Betätigung der öffentlichen
Hand
Die Gemeindeordnungen der Länder konkretisieren das
Verfassungsgebot des Vorranges der Privatwirtschaft und
stellen die wirtschaftliche Betätigung der öffentlichen
Hand unter einen dreifachen Vorbehalt: (1) sie muss
durch einen öffentlichen Zweck gerechtfertigt sein, (2) es
muss ein Bedarf vorhanden sein, den die öffentliche Hand
mit den ihr zur Verfügung stehenden Mitteln zu decken in
der Lage ist und (3) private Unternehmen dürfen nicht
ebenso gut in der Lage sein, die Leistungen zu erbringen
(»Subsidiaritätsprinzip«).
Die wirtschaftliche Betätigung der öffentlichen Hand ist
nicht schon dann von einem öffentlichen Zweck gedeckt,
wenn sie dem öffentlichen Unternehmen Gewinne sichert,
mit denen Aufgaben und Begehrlichkeiten der öffentlichen
Hand finanziert werden sollen. Die Leistung selbst muss
einem öffentlichen Zweck dienen. Auch die nicht vom
öffentlichen Zweck getragene Auslastung von Überkapazitäten behindert die private Wirtschaft und ist daher unzulässig. Viele Gemeinden und Landkreise missachten diese
Gebote, um Gewinne zulasten der privaten Unternehmen
und zum Nachteil der Bürger, die höhere Kosten zu tragen haben, zu erwirtschaften. Der öffentliche Zweck darf
nicht durch eine weite Auslegung oder Umgehung verwässert werden.
Das Subsidiaritätsprinzip, das den Vorrang der privaten
Wirtschaft festschreibt, ist nicht verzichtbar. Die gemeinderechtliche Verankerung des Subsidiaritätsprinzips konkretisiert nämlich umgekehrt das Verfassungsrecht Privater auf freie Entfaltung ihrer wirtschaftlichen Betätigung.
Bevor Länder und Gemeinden eine Leistung an sich ziehen, sollten sie, wie in einigen Gemeindeordnungen verankert, deshalb durch Markterkundungsverfahren prüfen
und konkret darlegen, dass die private Wirtschaft die Leistung im Markt nicht erbringen kann.
Schließlich darf die Politik das Örtlichkeitsprinzip nicht
antasten. Schon im Ansatz verfehlt ist daher das zuweilen
vorgetragene Argument, das Örtlichkeitsprinzip führe zu
einer Ungleichbehandlung der öffentlichen Unternehmen
BDI – Bundesverband der Deutschen Industrie
Daseinsvorsorge: Nutznießer Staat?
B. Dimensionen der Daseinsvorsorge
im Wettbewerb mit privaten Unternehmen. Es geht nicht
darum, ob öffentliche Unternehmen im Wettbewerb mit
privaten Unternehmen gleich behandelt werden. Die wirtschaftliche Betätigung der öffentlichen Hand als solche
bedarf vielmehr umgekehrt einer besonderen Rechtfertigung, da sie in die Berufsfreiheit der privaten Unternehmer eingreift. Verwaltung bleibt auch dann Verwaltung,
wenn sie wirtschaftet. Die Wirtschaftstätigkeit der
Gemeinden kann daher als gemeindliche Eingriffs- oder
Leistungsverwaltung nur innerhalb der Gebietsgrenzen
gerechtfertigt sein. Ingesamt wird es in liberalisierten
Märkten zunehmend schwerer fallen, die wirtschaftliche
Betätigung der öffentlichen Hand zu rechtfertigen. Das gilt
auch und gerade für die Leistungen der Daseinsvorsorge.
Wenn die wirtschaftliche Betätigung der öffentlichen
Hand im Ausnahmefall durch einen öffentlichen Zweck
gerechtfertigt sein sollte, muss sie per se auf das notwendige Maß und auf das Gemeindegebiet beschränkt bleiben.
Die Tendenz der Gemeinden, das Örtlichkeitsprinzip
durch eine Ausdehnung von Zweckverbänden und Ausweitung der interkommunalen Zusammenarbeit immer
weiter auszuhöhlen, erfolgt oft nur in der Absicht, private
Unternehmen von wirtschaftlich interessanten Märkten
fernzuhalten. Die traditionelle Rolle der z. T. durchaus
sinnvollen gemeindeübergreifenden Zusammenarbeit wird
damit zunehmend entfremdet und zur Sicherung von
Marktanteilen eingesetzt.
die Kosten der Leistungserbringung decken müssen und
zum anderen die Kosten im Abrechnungszeitraum nicht
übersteigen dürfen. Raum für Gewinne bleibt schon deswegen nicht. Die Zivilgerichte haben das Kostendeckungsprinzip – wenngleich nur für Monopolbetriebe – auf die
wirtschaftliche Betätigung in privater Rechtform übertragen, um eine Flucht der öffentlichen Hand ins Privatrecht
zu verhindern. Dieser Gedanke ist richtig und sollte auf
alle Unternehmen der öffentlichen Hand ausgeweitet werden. In der Praxis ignorieren Länder und Gemeinden
auch diese Beschränkung oft, um ihre Einrichtungen zur
Gewinnerzielung zu nutzen. Die Vertreter der öffentlichen
Hand halten es geradezu für selbstverständlich, dass sie
gegen private Unternehmen um Marktanteile kämpfen.
Das ist weder von den Gemeindeordnungen noch vom
Haushaltsrecht und erst Recht nicht durch das kommunale Selbstverwaltungsrecht gedeckt.
Der BDI tritt der Forderung öffentlicher Unternehmen
nach einer Aufweichung der Voraussetzungen für eine
wirtschaftliche Betätigung mit Nachdruck entgegen. Die
Beschränkungen in den Gemeindeordnungen sind Ausdruck der ordnungspolitischen Entscheidung der Landesgesetzgeber, wirtschaftliche Aktivitäten dem freien Wettbewerb privater Unternehmen zu überlassen. Darüber
hinaus will der Gesetzgeber den Bürgern zu Recht nicht
zumuten, dass Gemeindevertreter die gemeindlichen
Haushalte mit Investitionen belasten, die ihre Leistungsfähigkeit oft weit übersteigen. Die Kosten von fehlgeschlagenen, risikoreichen Investitionen hätten die Bürger in den
Gemeinden zu tragen. Die Zurückhaltung der Kommunalaufsicht bei der Beurteilung der wirtschaftlichen Betätigung der öffentlichen Hand ist daher unverständlich.
Soweit die öffentliche Hand ihre wirtschaftlichen Leistungen öffentlich-rechtlich erbringt, ist sie zusätzlich an haushaltsrechtliche Grundsätze gebunden. Sie hat insbesondere das Äquivalenzprinzip und das Kostendeckungsprinzip
zu beachten. Nach dem Äquivalenzprinzip müssen sich
(öffentliche) Leistung und Gegenleistung angemessen
gegenüberstehen. Das Kostendeckungsprinzip besagt, dass
die Gebühren für eine (öffentliche) Leistung zum einen
15
c) Finanzierung öffentlicher Aufgaben
Bei näherer Betrachtung liegt der Grund für die wirtschaftliche Betätigung der Länder und Gemeinden nur
selten in dem Wunsch nach einer selbstverwaltenden
Organisation des Gemeindelebens. Im Vordergrund steht,
dass die Gemeinden ihre wachsenden Aufgaben nicht
mehr finanzieren können und daher nach alternativen
Finanzierungsquellen suchen. So sehr dieser Wunsch
nachvollziehbar ist, darf die Finanzknappheit der öffentlichen Hand nicht auf dem Rücken der privaten Unternehmen ausgetragen werden. Private Unternehmen zahlen
Steuern und dürfen daher erwarten, dass der Staat ihnen
nicht durch zusätzliche Konkurrenz den wirtschaftlichen
Boden entzieht. Die Verfassung »stützt« diese berechtigte
Erwartung mit dem Steuerstaatskonzept, wonach der
Staat sich durch Steuereinnahmen finanziert und nicht
durch eine eigene wirtschaftliche Betätigung. Anstatt die
Mittelbeschaffung zulasten der privaten Unternehmen auszudehnen, sollten wir über die Begrenzung staatlicher
Ausgaben und eine Änderung der Finanzierung von Ländern und Gemeinden diskutieren.
d) Rechtsschutz
Private Unternehmen, die sich in einem unfairen Wettbewerb mit öffentlichen Unternehmen benachteiligt sehen,
müssen sich gegen die wirtschaftliche Betätigung der
öffentlichen Hand zur Wehr setzen können. Eine auf das
Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb gestützte Klage
(§ 3 UWG) dürfte allerdings nicht mehr als erfolgreich
eingestuft werden, nachdem der Bundesgerichtshof die
unzulässige Erwerbstätigkeit der Gemeinde als solche
nicht als unlauter eingestuft hat. Es fehlt daher an einer
dringend erforderlichen gesetzlichen Normierung eines
Klagerechtes für private Unternehmen in den Gemeinde-
16
BDI – Bundesverband der Deutschen Industrie
ordnungen, um diese vor einem unzulässigen Wettbewerb
der öffentlichen Hand zu schützen.
Vor dem Hintergrund, dass private Unternehmen von den
Gemeinden abhängig sind, etwa bei der Vergabe öffentlicher Aufträge, ist auf jeden Fall auch eine Verschärfung
der Rechtsaufsicht der Gemeinden angezeigt. Jede wirtschaftliche Betätigung der Gemeinde sollte deshalb einer
Genehmigungspflicht unterliegen.
Leistet die öffentliche Hand unzulässige Beihilfen an ein
öffentliches Unternehmen, kommt bereits heute eine
öffentlich-rechtliche Konkurrentenklage in Betracht.
Beispiel: Die restriktive Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur erwerbswirtschaftlichen Betätigung von
Gemeinden erfordert eine explizite Aufnahme subjektivöffentlicher Rechte in die Gemeindeordnungen, aus dem
private Unternehmen Rechtsschutz in Form eines Unterlassungsanspruchs ableiten können.
BGH, Urteil vom 21.7.2005 – I ZR 170/02 – Friedhofsruhe: »Eine Gemeinde handelt nicht ohne Hinzutreten
besonderer Umstände wettbewerbsrechtlich unlauter
oder kartellrechtswidrig, wenn sie ihren gewerblichen
Bestattungsdienst im Friedhofsgebäude auf dem Gelände des städtischen Friedhofs unterbringt.«
BGH, Urteil vom 25.4.2002 – I ZR 250/00 – Elektroarbeiten (Hierbei ging es um die Ausführung von Elektroarbeiten, darunter auch das Aufstellen und das Entfernen von
Verteilerschränken und Anschlusssäulen für die »fliegenden Bauten« auf der Auer Dult und auf dem Oktoberfest
durch Stadtwerke):
»a) Ein Verstoß gegen die Vorschrift des Art. 87 BayGO,
die der erwerbswirtschaftlichen Tätigkeit der Gemeinden
Grenzen setzt, ist nicht zugleich sittenwidrig im Sinne
des § 1 UWG.«
»c) Die Vorschrift des § 1 UWG bezweckt nicht den
Erhalt bestimmter Marktstrukturen. Auch in den Fällen,
in denen aus ihr Ansprüche zum Schutz des Bestandes
des Wettbewerbs auf einem bestimmten Markt hergeleitet werden können, geht es nicht darum, bestimmte
Marktstrukturen zu erhalten, sondern darum, wettbewerbliche Verhaltensweisen zu unterbinden, die nach
den Gesamtumständen unter Berücksichtigung ihrer
Auswirkungen auf die Marktstruktur gerade auch als
Wettbewerbsmaßnahmen unlauter sind.«
Daseinsvorsorge: Nutznießer Staat?
B. Dimensionen der Daseinsvorsorge
5. Vergaberecht
Ausschreibungen sind immer dort
durchzuführen, wo marktfähige Leistungen erbracht werden. Dies gilt
unabhängig von der Anteilseignerstruktur und der gewählten Rechtsform.
Öffentliche Aufträge stellen europaweit einen wichtigen
Wirtschaftsfaktor dar. Für den Wettbewerb um öffentliche
Aufträge bietet das Vergaberecht den geeigneten gesetzlichen Rahmen. Entscheidend ist, die bestmögliche Leistung
für den Bürger zu finden. Werden Leistungen nach den
Kriterien der Wirtschaftlichkeit im Wettbewerb ausgewählt, nutzt dies dem Bürger und fördert somit das
Gemeinwohl. Die Nachfrage am Markt beeinflusst die
Höhe der Gebühr positiv. Deshalb ist es wichtig, faire
Wettbewerbsbedingungen zwischen dem öffentlichen Sektor und privaten Unternehmen zu schaffen und den
Anwendungsbereich des Vergaberechts nicht einzuschränken.
Werden Aufträge an kommunale Kooperationen ausschreibungsfrei vergeben, können marktgängige Leistungen nicht verglichen werden. Es fehlt jegliches Korrektiv
für die Art der Leistungserbringung und den dafür zu zahlenden Preis. Dies schließt keineswegs die Kooperation
zwischen Kommunen aus. Die generelle Freistellung kommunaler Kooperationen vom Vergaberecht trägt demgegenüber jedoch nicht zur effizienten Leistungserbringung
zum Wohle der Bürger bei. Die Bandbreite der hiervon
betroffenen Branchen ist weit. Auswirkungen zeigen sich
insbesondere beim Anbieten von Software, IT- und Telekommunikationsdiensten, Ingenieurleistungen, auf dem
Gebiet der Entsorgungswirtschaft, im Baugewerbe, bei
Postdienstleistungen und der Gebäudereinigung. All diese
Leistungen müssen in einem fairen Wettbewerb und unter
Nutzung eines förmlichen Vergabeverfahrens am Markt
nachgefragt werden. Bedient sich die Kommune zur Erledigung ihrer Aufgaben Dritter, folgt in Anwendung der
Vergabekoordinierungsrichtlinie (18/2004/EG) die Pflicht
auszuschreiben.
a) Keine Ausschreibungsfreiheit interkommunaler
Zusammenarbeit
Die Auftragsvergabe an interkommunale Zusammenschlüsse darf auch nach der Rechtsprechung des EuGH
nicht generell per Gesetz vom Vergaberecht freigestellt
BDI – Bundesverband der Deutschen Industrie
Daseinsvorsorge: Nutznießer Staat?
B. Dimensionen der Daseinsvorsorge
werden. Unter dem Begriff der interkommunalen Zusammenarbeit werden alle Kooperationen von Kommunen
und kommunalen Unternehmen zusammengefasst. Hierzu
zählen insbesondere Aufträge oder auch Pflichtenübertragungen an Zweckverbände und Anstalten öffentlichen
Rechts. Geschieht die Auftragsvergabe außerhalb des
Wettbewerbs, wirkt sich dies hemmend auf die Privatwirtschaft aus. Angebote privatwirtschaftlicher Unternehmen
werden nicht berücksichtigt, auch wenn diese günstiger als
die öffentlichen Unternehmen anbieten. Der Markt ist für
privates Engagement verschlossen.
fahrens. Bereits geringste Beteiligungen Privater führen
allerdings zur Ausschreibungspflicht. Dies wirkt sich in
der Konsequenz nachteilig aus, wenn es darum geht,
Öffentlich Private Partnerschaften (ÖPP) zu gründen und
von eigenen Anteilseignern zu beauftragen. Der Markteintritt für private Unternehmen wird erschwert.
Die nationale Rechtsprechung hat sich ebenfalls – wenn
auch nicht einheitlich – zur Frage der Ausschreibungsfreiheit interkommunaler Zusammenarbeit positioniert. Die
so genannte Mandatierung eines anderen kommunalen
Unternehmens soll danach zwingend den Regeln des Vergaberechts nach §§ 97 ff. GWB zu unterwerfen sein. Eine
mandatierende Aufgabenübertragung liegt vor, wenn kommunale Aufträge vergeben werden, ohne gleichzeitig die
öffentlich-rechtlichen Pflichten vollständig zu übertragen.
Kennzeichnend für eine delegierende Aufgabenübertragung ist demgegenüber die vollständige Pflichtenübertragung. Für diese Fälle urteilen die Gerichte divergierend.
Erfolgt die Pflichtenübertragung im Rahmen einer Zweckvereinbarung, soll eine öffentliche Ausschreibung notwendig sein. Demgegenüber wird die Pflichtenübertragung auf
einen Zweckverband für einen innerstaatlichen Organisationsakt gehalten, der außerhalb eines Ausschreibungsverfahrens umgesetzt werden dürfe.
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Für die Annahme eines Inhouse-Geschäfts muss sowohl
die Kontrolle wie über eine eigene Dienststelle seitens des
Auftraggebers vorliegen (EuGH, Teckal) als auch der Auftragnehmer im Wesentlichen für den Auftraggeber tätig
sein (EuGH, Stadt Halle). Eine Vielzahl von europäischen
und nationalen Entscheidungen konkretisiert seither das
Kontroll- und Wesentlichkeitskriterium. Danach ist beispielsweise das Kontrollkriterium auch bei einer hundertprozentig kommunalen Anteilseignerschaft dann nicht
erfüllt, wenn die Kontrolle einer Enkelgesellschaft durch
Befugnisse der zwischengeschalteten Holding nicht mehr
gewährleistet ist (z. B. EuGH, Carbotermo). In einer späteren Entscheidung sah der Europäische Gerichtshof
sowohl das Kontroll- als auch das Wesentlichkeitskriterium bei der Beauftragung einer gemischt öffentlichen
Gesellschaft als erfüllt an (EuGH, Tragsa). Beides sei
gegeben, wenn nur öffentliche Stellen am zu beauftragenden Unternehmen beteiligt sind und Leistungen ausschließlich für diese Stellen erbracht werden. Kooperationen der öffentlichen Hand sind somit gegenüber ÖPPGestaltungen vergaberechtlich bevorzugt, auch wenn sie
gleiche marktgängige Leistungen erbringen.
Zwei Aspekte sind in diesem Zusammenhang wesentlich.
Zum einen sollte von einem vergabefreien innerstaatlichen Organisationsakt nur für solche hoheitlichen Leistungen ausgegangen werden, für die tatsächlich kein
Markt besteht. Unbestritten ist dies für Fragen der inneren
und äußeren Sicherheit sowie der Justizverwaltung. Alle
anderen Bereiche können und müssen allen Marktteilnehmern offen stehen. Zum anderen ist es nicht einleuchtend,
dass die Pflichtenübertragung durch einen zweiseitigen
Vertrag (Zweckvereinbarung) anders als durch eine
Kooperation innerhalb eines Zweckverbandes zu beurteilen sein soll. Hier bedarf es einer Klärung auf höchstrichterlicher Ebene und zwar in der Weise, dass beide Gestaltungsformen auszuschreiben sind.
Durch die nationale Rechtsprechung wird das Wesentlichkeitskriterium eng ausgelegt. So ist ein vergabefreies
Inhouse-Geschäft zu verneinen, wenn das beauftragte
Unternehmen lediglich zu 92,5 % des Umsatzes Geschäfte
für den Auftraggeber tätigt. Zudem soll bereits im Gesellschaftsvertrag dafür Sorge getragen werden, dass die Tätigkeiten der Gesellschaft am Markt auch zukünftig lediglich
nur marginal bleiben. Die europäische Rechtsprechung
sieht das Wesentlichkeitskriterium bereits als erfüllt an,
wenn das beauftragte Unternehmen mindestens 90 % seiner Leistung für den öffentlichen Auftraggeber erbringt
(EuGH, Tragsa). Eine enge Interpretation des Wesentlichkeitskriteriums ist erforderlich, um eine extensive Ausschreibungsfreiheit und somit Marktverengung zu unterbinden.
b) Kriterien für eine vergabefreie Inhouse-Beauftragung
c) Tendenzen in der nationalen Gesetzgebung
Im Unterschied zu interkommunalen Kooperationen handelt es sich bei sogenannten Inhouse-Geschäften um die
Beauftragung eines Unternehmens, an dem die auftraggebende Kommune gesellschaftsrechtlich beteiligt ist. Die
Inhouse-Beauftragung erfolgt außerhalb des Vergabever-
In der Diskussion steht derzeit die Novellierung des
Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB). In
diesem Zusammenhang wird eine weitreichende Freistellung kommunaler Kooperationen vom Vergaberecht ernsthaft in Betracht gezogen, die weit über die derzeitige
18
BDI – Bundesverband der Deutschen Industrie
Rechtslage hinausgeht und weder der nationalen noch der
europäischen Rechtsprechung entspricht. So soll nicht nur
die so genannte Pflichtendelegation generell außerhalb des
Wettbewerbs gestellt werden, sondern auch für die mandatierende Aufgabenübertragung ein Vergabeverfahren entbehrlich sein. Es wird sogar überlegt, auf das europarechtlich vorgeschriebene Kontrollkriterium zu verzichten. Die
Grenzen zwischen interkommunaler Zusammenarbeit und
Inhouse-Geschäft würden folglich aufgehoben.
Der BDI warnt davor, eine Regelung in das GWB aufzunehmen, die es dem öffentlichen Auftraggeber ermöglicht,
ein vollständig öffentliches Unternehmen nur unter
Anwendung des Wesentlichkeitskriteriums ohne Ausschreibung zu beauftragen. Dies hätte fatale Folgen für
den Wettbewerb. Die Vorschrift könnte als Initialzündung
für eine weitergehende Verstaatlichung und Verdrängung
privaten wirtschaftlichen Engagements missverstanden
werden. Von diesem ordnungs- und wettbewerbspolitischen Fehlschritt ist zwingend abzusehen.
Daseinsvorsorge: Nutznießer Staat?
B. Dimensionen der Daseinsvorsorge
Beispiel: Der im Jahr 2005 gegründete Zweckverband
RegioEntsorgung übernahm ab dem 1.1.2006 für vier
Städte und Gemeinden in den Kreisen Aachen sowie
Düren und damit für 72.000 Einwohner die Hausmüllentsorgung. Die Gemeinden Würselen, Linnich, Inden und
Langerwehe übertrugen dem Zweckverband RegioEntsorgung die Entsorgungspflichten für das Sammeln und
Transportieren des Abfalls. Drei der vier Gemeinden beauftragten zuvor über Jahrzehnte private Entsorgungsunternehmen. Die Gemeinden Herzogenrath und Alsdorf
schlossen sich ab dem 1.1.2007 dem Zweckverband
RegioEntsorgung als weitere Zweckverbandsmitglieder an.
Die Einwohnerzahl im so vergrößerten Entsorgungsgebiet
des Zweckverbandes RegioEntsorgung stieg im Jahr 2007
auf 165.980. Nach Plänen des Zweckverbandes RegioEntsorgung soll diese nach Beitritt der Gemeinde Niederzier
zum Zweckverband im Jahr 2008 auf 180.289 weiter
erhöht werden. Die Gebührenfestsetzung und -erhebung
bleibt in der Zuständigkeit der Mitgliedskommunen. Insofern besteht kein Unterschied zur Beauftragung eines privaten Entsorgungsunternehmens. Das operative Geschäft
wird durch die RegioEntsorgung AöR (Anstalt öffentlichen
Rechts) abgewickelt. Die Pflichtenübertragung auf den
Zweckverband soll nach Auffassung des OLG Düsseldorf
(Beschluss vom 21.6.2006 – RegioEntsorgung) ein innerstaatlicher Organisationsakt und damit ausschreibungsfrei
erfolgen können. Die Beauftragung der AöR durch den
Zweckverband wird als Inhouse-Beauftragung angesehen,
die ebenfalls keines förmlichen Vergabeverfahrens bedarf.
Dieses Modell wird von kommunaler Seite als vorbildhaft
dargestellt. Nach Auslaufen von Entsorgungsverträgen soll
von einer weiteren öffentlichen Ausschreibung sowie
zukünftigen Beauftragung privater Unternehmen abgesehen werden; stattdessen sollen wirtschaftliche Leistungen
verstaatlicht werden. In der Konsequenz bleiben Märkte
einer Vielzahl von Anbietern verschlossen. Der Wettbewerb
wird eingeschränkt, ohne dass überhaupt die Möglichkeit
besteht, Angebote zur Leistungserbringung zu unterbreiten. Dem Gebot, die bestmögliche und kostengünstigste
Leistung für den Bürger zu erbringen, entspricht dies nicht.
Der BDI fordert daher, dass faire Wettbewerbsbedingungen zwischen kommunalen und privaten Unternehmen
weiter durch eine umfassende Anwendung des Vergaberechts garantiert werden.
BDI – Bundesverband der Deutschen Industrie
Daseinsvorsorge: Nutznießer Staat?
B. Dimensionen der Daseinsvorsorge
6. Steuern
vilegierung für öffentliche Unternehmen zu einem Wettbewerbsvorteil, da öffentliche Unternehmen ihre Leistungen
ohne Umsatzsteuer am Markt anbieten können. Private
Unternehmen müssen zzgl. 19 % Umsatzsteuer offerieren.
Gleiche steuerliche Voraussetzungen
für öffentlichrechtlich und privatrechtlich organisierte Unternehmen
schaffen.
Im deutschen Steuerrecht ist der Begriff der »Daseinsvorsorge« nicht verankert. Allerdings sind bestimmte wirtschaftliche Tätigkeiten der Körperschaften des öffentlichen
Rechts von der Umsatz-, Körperschaft- und Gewerbesteuer befreit, wofür die Daseinsvorsorge als Begründung
herangezogen wird. Auf Grund der Steuerprivilegierung
kommt es regelmäßig zu Wettbewerbsverzerrungen, wenn
private Unternehmen für die gleiche Tätigkeit Steuern
abführen müssen. Die Verbesserungspotentiale, die ein fairer Wettbewerb mit sich bringt, bleiben ungenutzt. Deshalb müssen nach dem Grundsatz der Neutralität des
Steuerrechts gleiche Wettbewerbsbedingungen geschaffen
werden.
a) Umsatzsteuer
Die Europäische Kommission hat die Gefahr der Wettbewerbsverzerrung durch Steuerprivilegierungen bei der
Umsatzsteuer erkannt. Nach Art. 13 Abs. 1 Unterabs. 2
der Mehrwertsteuer-System-Richtlinie unterliegen Einrichtungen des öffentlichen Rechts auch für die ihnen im Rahmen der öffentlichen Gewalt obliegenden Tätigkeiten der
Umsatzsteuer, sofern die Behandlung als Nichtsteuerpflichtige zu größeren Wettbewerbsverzerrungen führen
würde. Die Mitgliedstaaten sind demnach verpflichtet, die
Einrichtungen des öffentlichen Rechts der Steuerpflicht zu
unterwerfen, wenn diese Tätigkeiten – im Wettbewerb mit
ihnen – auch von Privaten ausgeübt werden können und
die Behandlung als Nicht-Steuerpflichtige zu größeren
Wettbewerbsverzerrungen führen kann. Diese Vorschrift
ist von jedem Mitgliedstaat in nationales Recht umzusetzen.
Die Umsetzung im deutschen Umsatzsteuergesetz in seiner jetzigen Fassung in § 2 Abs. 3 UStG widerspricht diesen europarechtlichen Vorgaben. Hiernach sind juristische
Personen des öffentlichen Rechts nur im Rahmen ihrer
Betriebe gewerblicher Art Unternehmer und damit
umsatzsteuerpflichtig. Die hoheitlichen Tätigkeiten und
Hilfsgeschäfte unterliegen nicht der Umsatzsteuer, unabhängig davon, ob neben den Körperschaften des öffentlichen Rechts private Unternehmen als Beliehene oder originär selbst diese Leistungen erbringen und damit im
Wettbewerb stehen. Hierdurch führt die Umsatzsteuerpri-
19
In einem Bericht von Ende 2004 über die umsatzsteuerliche Behandlung der öffentlichen Hand kommt auch der
Bundesrechungshof zu dem Ergebnis, dass bei der Auslegung des § 2 Abs. 3 UStG die gemeinschaftsrechtlichen
Vorgaben, insbesondere die Wettbewerbsklausel, in jedem
Fall zu beachten sind. Der Bundesrechnungshof hält es für
dringend geboten, die derzeitige Besteuerung der öffentlichen Hand grundlegend, bis hin zu einer gesetzlichen
Neuregelung zu überdenken und eine gleichmäßige, vollständige und wettbewerbsneutrale Besteuerung sicherzustellen. Dies fordert auch der BDI. Die umsatzsteuerliche
Ungleichbehandlung zwischen öffentlich-rechtlich und
privatrechtlich organisierten Unternehmen ist aufzuheben,
um faire Wettbewerbsbedingungen zum Wohle aller zu
schaffen.
Auch kommt es vor, dass Einrichtungen des öffentlichen
Rechts als Unternehmen im Sinne des Umsatzsteuerrechts
behandelt werden wollen. Dies immer dann, wenn hohe
Investitionen getätigt werden. Grund hierfür ist der Vorsteuerabzug, d. h. die in Eingangsrechnungen enthaltene
Umsatzsteuer wird vom Finanzamt den Unternehmen
erstattet. Vorsteuerabzüge können aber nur von umsatzsteuerpflichtigen Unternehmen geltend gemacht werden
und bieten einen Liquiditätsvorteil. Der unmittelbare
Liquiditätsvorteil ist bei großem Investitionsvolumen interessanter als der nur mittelbar und langfristig wirkende
Vorteil einer günstigeren Preisstruktur. Die Forderung
nach Anerkennung des Vorsteuerabzugs zeigt, dass das
Umsatzsteuerprivileg für die öffentliche Hand ein Anachronismus ist, der beseitigt werden muss.
b) Körperschaft- und Gewerbesteuer
Der Gesetzgeber stellt bei der Befreiung von direkten
Steuern auf die hoheitliche Tätigkeit ab, die dem Staat
»eigentümlich und rechtlich vorbehalten ist«. Er berücksichtigt dabei weder die rechtliche Natur der Tätigkeit
noch mögliche Wettbewerbsverzerrungen. Dieser Ansatz
wird vom BDI abgelehnt. Die Neutralität des Steuerrechts
kann nur dadurch erreicht werden, dass wirtschaftliche
Tätigkeiten der öffentlichen Hand, die auch von Privaten
erfüllt werden können, also im Kern einen Dienstleistungscharakter in sich tragen und damit nicht notwendigerweise eine dem Staat »eigentümlich und vorbehaltene Tätigkeit« darstellen, insgesamt steuerpflichtig sind.
20
BDI – Bundesverband der Deutschen Industrie
Darüber hinaus führt das deutsche Steuerrecht zu Wettbewerbsverzerrungen, als Nebenleistungen zur hoheitlichen
Tätigkeit von der Steuerpflicht befreit sind. Diese Tätigkeiten können jedoch originär von Privaten angeboten werden.
Auch die Auslegung der hoheitlichen Tätigkeit und die
hiermit verbundene Steuerprivilegierung wird von der
Finanzverwaltung sehr weit gefasst. So ist etwa nach Auffassung der Finanzverwaltung die entgeltliche Veräußerung der aus den Abfällen gewonnenen Stoffe und Energien ebenfalls eine hoheitliche Tätigkeit, obgleich damit
von der öffentlichen Hand weder »eigentümliche noch
rechtlich vorbehaltene Tätigkeiten« erfüllt werden. Das
wirtschaftliche Interesse der öffentlichen Hand, in dieses
lukrative Geschäft einzusteigen, wird auf Grund der Steuerbefreiung hier noch erhöht.
c) Grunderwerbsteuer
Das Grunderwerbsteuergesetz befreit juristische Personen
des öffentlichen Rechts von der Grunderwerbsteuer, wenn
das Grundstück aus Anlass des Übergangs von öffentlichrechtlichen Aufgaben mit übergeht und nicht überwiegend
einem Betrieb gewerblicher Art dient. Die öffentliche
Hand darf damit steuerfrei Grundstücke übertragen, auch
wenn das Grundstück in einem Betrieb gewerblicher Art
genutzt wird. Lediglich die überwiegende Nutzung in
einem Betrieb gewerblicher Art soll die Steuerfreiheit ausschließen. Diese Rechtslage ist unsicher und führt zu
Wettbewerbsnachteilen der privaten Wirtschaft immer
dann, wenn zugunsten der öffentlichen Hand eine überwiegende Nutzung im Betrieb gewerblicher Art verneint
wird. Private Unternehmen werden dagegen insbesondere
bei notwendigen Umstrukturierungen innerhalb eines
Konzerns in erheblichem Maße mit Grunderwerbssteuer
belastet.
Daseinsvorsorge: Nutznießer Staat?
B. Dimensionen der Daseinsvorsorge
Beispiel: Im Juli 2002 wurde von den Vertretern der
Stadt Preetz in den Beratungen zum Haushalt ein Defizit
von 970.000 EUR festgestellt, was zu der Überlegung
führte, den Eigenbetrieb Stadtentwässerung zu privatisieren. Die Stadt Preetz (60 km von Hamburg entfernt, in
Schleswig-Holstein gelegen) führte eine Markterkundung
durch, an der sich neben der Hamburger Stadtentwässerung (HSE) auch verschiedene private Abwasserentsorgungsunternehmen beteiligten. Die HSE ist eine
Anstalt öffentlichen Rechts, die das Abwasser der Stadt
Hamburg behandelt und beseitigt. Neben ihrem privatrechtlichen Angebot konnte die HSE der Stadt Preetz
folglich auch ein öffentlich-rechtliches Angebot unterbreiten. Im Januar 2004 wurde der »Abwasserzweckverband Preetz-Stadt und -Land« unter Beteiligung der
Hamburger Stadtentwässerung gegründet, über Landesgrenzen hinweg mit einer Entfernung von 60 km zwischen beiden Städten.
Durch diese Konstruktion wird auch eine umsatzsteuerliche Privilegierung erreicht. Auf die von dem Zweckverband in Rechnung gestellten Gebühren wird keine
Umsatzsteuer erhoben. Privaten Unternehmen ist es
nicht möglich, ein vergleichbares und steuerbegünstigtes Kooperationsmodell anzubieten. Diese müssen ihre
Leistungen stets zuzüglich 19 % Umsatzsteuer offerieren. Die so für Zweckverbände gewonnenen Marktanteile sind einem fairen Wettbewerb von vornherein entzogen.
BDI – Bundesverband der Deutschen Industrie
Daseinsvorsorge: Nutznießer Staat?
C. Einzelne Sektoren der Daseinsvorsorge
und andere Wirtschaftsbereiche
21
C. Einzelne Sektoren der Daseinsvorsorge
und andere Wirtschaftsbereiche
Die Liberalisierung und Privatisierung der Energie- und Telekommunikationsmärkte war erfolgreich. An diese Erfolge muss im Verkehrssektor, im
Postsektor und in den Bereichen der Entsorgungswirtschaft und Wasserwirtschaft angeknüpft werden. Grundsätzlich wird in allen Bereichen mehr Wettbewerb benötigt, um die Effizienz und Effektivität der Grundversorgung zu
fördern und ein günstiges Preis- und Gebührenniveau zu verwirklichen. Einer
reinen wirtschaftlichen Betätigung, beispielsweise in der Bauwirtschaft und
bei den Ingenieurleistungen, soll sich die öffentliche Hand von vornherein
enthalten.
1. Energie
Strom- und Gasversorgung sind wirtschaftliche Tätigkeiten, die am effizientesten durch private Unternehmen im Wettbewerb erfüllt werden
können.
Energie ist die Grundlage des Lebens und Wirtschaftens.
Der Einsatz von Energie ermöglicht es erst, zentrale
Bedürfnisse des Menschen – wie Essen, Kleidung, Wohnen, Kommunikation oder Reisen – zu befriedigen. Jede
Güterproduktion verlangt den Einsatz von Energie. Es
erstaunt daher, dass in Deutschland traditionell lediglich
die Versorgung mit Elektrizität und mit Gas als Daseinsvorsorge bezeichnet wird, nicht aber die Versorgung mit
Benzin, Diesel oder Heizmaterial wie Holz, Kohlen oder
Heizöl. Ernst Forsthoff hat dazu sicherlich mit seiner beispielhaften Aufzählung beigetragen. Der Grund mag auch
darin liegen, dass in Deutschland die Abhängigkeit von
den Transport- und Verteilnetzen der genannten Leistungen stillschweigend in den Vordergrund gerückt wurde.
Jedenfalls hat auch die bundesdeutsche Rechtsprechung
stets die Strom- und Gasversorgung gemeint, wenn sie
über Leistungen der Daseinsvorsorge zu entscheiden
hatte.
Diejenigen, die in der energiewirtschaftlichen Diskussion
die Ausweitung einer wirtschaftlichen Betätigung der
öffentlichen Hand fordern und sich dabei auf die Daseinsvorsorge berufen, verkennen, dass Forsthoff selbst den
Begriff »Daseinsvorsorge« lediglich zur Beschreibung des
Grundverhältnisses des Bürgers zum Staat entwickelt hat.
Die Bürger sollten einen Teilhabeanspruch an wichtigen
Leistungen und Einrichtungen haben. Diesem Teilhabeanspruch wollte Forsthoff den Schutz des öffentlichen
Rechts verleihen. Das Energiewirtschaftsgesetz von 1935
erfüllte diesen Anspruch, der nicht allein gegen den Staat
bestand, sondern gegen Energieversorgungsunternehmen,
unabhängig davon, ob sie öffentlich oder privatrechtlich
organisiert sind. Das Gesetz zeigt geradezu beispielhaft,
wie Daseinsvorsorge geordnet sein kann, nämlich mit
einem rechtlich gesicherten Teilhabeanspruch einerseits –
Anspruch eines jeden Bürgers auf Anschluss und Versorgung mit Strom und Gas zu allgemeinen Bedingungen und
Tarifen nicht gegen den Staat, sondern gegen jedes Energieversorgungsunternehmen – und staatlicher Aufsicht
andererseits.
Auch heute gilt für die Strom- und Gasversorgung noch
immer die Grundentscheidung des Energiewirtschaftsgesetzes von 1935, nunmehr in der Fassung der Energierechtsreform von 2005. Weder das Gesetz von 1935 noch
die Energierechtsreform von 2005 haben eine Entscheidung derart getroffen, dass die Erzeugung und Verteilung
von Strom und Gas Staats- oder Kommunalaufgabe sei.
Das Gesetz ist vielmehr neutral und trifft keine Aussagen,
in wessen Hand Produktion und Lieferung von Strom und
Gas sein sollen. Das Recht, als Energieversorgungsunternehmen tätig sein zu dürfen, ist zwar an bestimmte
Voraussetzungen und Bedingungen geknüpft und wird
staatlich überwacht. Aber es bleibt ein »Jedermannsrecht«,
das keiner staatlichen Einrichtung zugeordnet ist. Das
Energiewirtschaftsgesetz weist alle typischen Merkmale
einer Rahmengesetzgebung auf und macht deutlich, dass
der Staat seine Verantwortung für das Angebot daseinsnotwendiger Leistungen durch Normsetzung von Rahmenbedingungen und staatlicher Aufsicht wahrnimmt,
ohne gleichzeitig die Aufgaben selbst oder durch staatliche
Der diskriminierungsfreie Zugang zu den Netzen im europäischen Binnenmarkt und die Möglichkeit, von jedem
Anbieter Energie kaufen zu können, bieten die größte
Gewähr, die nachgefragte Energie mengenmäßig, aber
auch zu wettbewerbsfähigen Preisen erhalten zu können.
Die Wettbewerbsregeln der liberalisierten Energiemärkte
sichern die dauerhafte Versorgung effizienter als die wirtschaftliche Betätigung der öffentlichen Hand. Unternehmen in öffentlicher Hand sollten sich durch Privatisierung
aus dem leitungsgebundenen Strom- und Gasmarkt endgültig zurückziehen.
Dem steht nicht entgegen, dass die Strom- und Gaspreise
in Deutschland inzwischen wieder gestiegen sind. Denn
dieser Preisanstieg beruht auf politischen Entscheidungen
wie Einführung der Ökosteuer, Förderung der Kraft-Wärmekopplung, der erneuerbaren Energien zur Stromerzeugung sowie Anhebung der Energiesteuern und der Einführung des Emissionshandels, nicht zuletzt auch auf dem
beschlossenen Ausstieg aus der Kernenergie, weil dadurch
das Angebot an kostengünstiger Stromerzeugung verknappt wird. Die politischen Belastungen der Energiepreise haben die Vorteile des Wettbewerbs kompensiert.
Vergleich der Industriestrompreise in der EU
Angaben in Eurocent/kWh, mit Abgaben und sonstigen Steuern,
aber ohne Mehrwertsteuer
14,00
12,00
10,00
8,00
6,00
4,00
2,00
1.250.000 kWh
Po
rtu
g
Sp al
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N
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k
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st
Ö
10.000.000 kWh
50.000.000 kWh
Quelle: Eigene Berechnungen
er
e
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än
D
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de
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ts
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la
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lie
n
0
an
Die Reform des Energiewirtschaftsrechts 2005 hat die
Energieversorgung mit Strom und Gas noch deutlicher
dem privatwirtschaftlichen Bereich zugeordnet. Dem
widerspricht es, das einige Bundesländer durch Änderungen der Gemeindeordnungen Möglichkeiten für gemeindewirtschaftliche Tätigkeiten insbesondere bei der Stromund Gasversorgung über die Gemeindegrenzen hinaus
ausdehnen. Die Erfahrungen mit der Liberalisierung der
Strom- und Gasversorgung zeigen, dass der zunehmende
Wettbewerb die Gemeinwohlbelange wie Versorgungssicherheit, Qualität und Zuverlässigkeit der Energieversorgung, Umweltschutz, Ressourcenschonung oder Versorgung in der Fläche nicht negativ beeinträchtigt hat. Im
Gegenteil: Der Wettbewerbsdruck zwingt die Unternehmen dazu, die Energie möglichst rationell zu erzeugen, zu
transportieren und zu verteilen. Die Bundesnetzagentur
als neues Aufsichts- und Genehmigungsinstrument sorgt
für effizienten Betrieb der Netze und nimmt angesichts
des »natürlichen« Monopols Funktionen wahr, die der
Wettbewerb ansonsten ausübt. Die Effizienzsteigerungen
im Kraftwerkspark erhöhen nicht nur die Wirtschaftlichkeit der Stromerzeugung, sondern sind ein Beitrag zur
Ressourcenschonung und zum Klimaschutz. Die Verbraucher spürten darüber hinaus, dass die Netzentgelte und
Strompreise sinken. So sind die Stromtarife für die Haushaltskunden zu Beginn der Liberalisierung um bis zu 20 %
und die der Industrie um durchschnittlich 35 % in Einzelfällen gesunken. Damit wird das Ziel, breite Bevölkerungsschichten möglichst preisgünstig mit Energie zu versorgen, im liberalisierten Markt besser als im Monopol
erfüllt. Dem Aspekt der Daseinsvorsorge trägt der Gesetzgeber dadurch Rechnung, dass jeder Bürger einen gesetzlichen Anspruch auf Anschluss und Versorgung mit Strom
und Gas gegen jedes Energieversorgungsunternehmen hat
und dass die Wettbewerbsbedingungen für die Erzeugung
Die Industrie konnte nach zwei Jahren Liberalisierung
endlich Strom zu international wettbewerbsfähigen Preisen beziehen. Sie konnte mit ihren Produkten im globalen
Wettbewerb besser bestehen, mit positiven Wirkungen auf
bestehende und neue Arbeitsplätze.
Irl
Das Energiewirtschaftsrecht geht also davon aus, dass die
Strom- und Gasversorgung (Produktion und Verteilung)
grundsätzlich eine wirtschaftliche Tätigkeit wie jede andere ist. Vor allem das Gebot der Subsidiarität setzt der wirtschaftlichen Betätigung der Gemeinden in der Energieversorgung enge Grenzen. Angesichts einer in Deutschland
hoch integrierten Energieversorgungslandschaft ist ein
begründetes Bedürfnis nach einer eigenen wirtschaftlichen
Betätigung von Städten und Gemeinde in der Energieversorgung nicht erkennbar.
durch das Kartellrecht und der Netzzugang durch staatliche Aufsicht gesichert werden.
eu
Ebenen zu erfüllen. Der Gesetzgeber formuliert die Spielregeln und der Staat wacht als Schiedsrichter über die
Einhaltung der Spielregeln, ohne selbst als Wettbewerber
mitzuspielen.
Daseinsvorsorge: Nutznießer Staat?
C. Einzelne Sektoren der Daseinsvorsorge
und andere Wirtschaftsbereiche
D
BDI – Bundesverband der Deutschen Industrie
Ita
22
24.000.000 kWh
70.000.000 kWh
BDI – Bundesverband der Deutschen Industrie
Daseinsvorsorge: Nutznießer Staat?
C. Einzelne Sektoren der Daseinsvorsorge
und andere Wirtschaftsbereiche
23
Inzwischen müssen Industriekunden höhere Strom- und
Gaspreise bezahlen als vor der Liberalisierung. Das Ziel
der preisgünstigen Energieversorgung wurde gegenüber
der Finanzierung von Gemeinwohlinteressen wie Klimaschutz und Technologieförderung durch die Energieverbraucher politisch hintan gestellt.
Deutsche Industriestrompreise von 1995 bis 2007
Angaben in Eurocent/kWh;
Abnahmefall: 4 MW x 6000h/a = 24 Mio kWh
12
9,79
10
8,97
Beispiel: Seit der Liberalisierung der Strom und Gasmärkte im Jahre 1998 sind die politischen Belastungen
des Strommarktes von rund 2 Mrd. Euro auf rund 13
Mrd. Euro angestiegen. Diese Hypothek belastet die
Wettbewerbsfähigkeit des Standortes Deutschland. Wissenschaftliche Untersuchungen zeigen, dass die im
Inland stärker als im Ausland gestiegenen Stromkosten
höhere volkswirtschaftliche Kosten verursachen (vgl.
»Auswirkungen von Strompreiserhöhungen auf Preise,
Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit« Hamburgisches
WeltWirtschafts Institut, Hamburg; Gesamtwirtschaftliche Effekte niedrigerer Strompreise in Deutschland,
Gesellschaft für Wirtschaftliche Strukturforschung mbH,
Osnabrück). Unter der Annahme, dass die Strompreise
im Jahre 2006 um rund 30 % überhöht gewesen sind,
zeigen Modellrechnungen, dass das deutsche Wirtschaftswachstum im Jahre 2006 von 2,7 % bei einer
Preisbildung unter Wettbewerbsbedingungen auf dem
Strommarkt um 0,37 bis 0,47 Prozentpunkte hätte höher
liegen können. Das Beschäftigungsniveau wäre um
83.00 bis 106.000 Personen höher ausgefallen. Der
Preisindex der Lebenshaltung hätte um 0,5 % bis
0,65 % niedriger liegen können. Neben diesen kurzfristigen Effekten führen nicht wettbewerbsfähige Strompreise längerfristig zu Standortverlagerungen. Dies hat
zunächst direkt negative Folgen für die Produktion und
Beschäftigung in Deutschland. Indirekt ist mit einer
Abwanderung der energieintensiven Unternehmen zu
rechnen. Inländische Wertschöpfungsketten werden
unterbrochen und damit der Wissens- und Technologietransfer, was zu weiteren Standortverlagerungen führen
wird. Insgesamt ist eine langsame Erosion des Industriestandortes Deutschland zu besorgen. Fazit: Staatliche
Eingriffe in den liberalisierten Strommarkt sind zu vermeiden.
Eurocent/kWh
8
6
7,99
7,82
7,4
6,21 6,21 6,23
6,71
6,2
5,23 5,29
4,38
4
2
0
1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007
Jahr
Quelle: eurostat, Statistik kurz gefasst, Umwelt und Energie von 1995 bis 2007
2. Telekommunikation und Post
Die Liberalisierung der Telekommunikationsmärkte hat zu Wachstum,
Innovation und zu niedrigen Preisen
geführt. Eine Entwicklung, die bei
den Postmärkten durch eine vollständige Liberalisierung zum Teil
noch nachvollzogen werden muss.
Nicht mehr zeitgemäße Vorgaben für
Universaldienste sollten kritisch
überprüft und zurückgeführt werden.
Über lange Jahre hinweg galt das Post- und Fernmeldewesen als Bestandteil der Daseinsvorsorge. Man ging davon
aus, dass die Nachfrage nach diesen für das Gemeinwesen
essenziellen Dienstleistungen nur in der Hand eines einzigen Anbieters zu niedrigen Kosten befriedigt werden
kann. Es wurde daher als öffentliche Aufgabe des Staates
angesehen.
Knapp zehn Jahre nach der vollständigen Öffnung der
Telekommunikationsmärkte zeigt sich ein vollständig
anderes Bild: Für einen großen Teil der Kommunikationsdienstleistungen besteht ein ausgeprägter, teilweise aggressiver Wettbewerb. Dieser hat dazu geführt, dass heute beispielsweise für Sprachtelefoniedienste an Werktagen nur
noch rund vier Prozent des Betrags zu Monopolzeiten
24
BDI – Bundesverband der Deutschen Industrie
anfallen. Aber auch andere Dienste werden kontinuierlich
verbessert und zu immer günstigeren Preise angeboten. So
ist im Bereich der Mobilfunkdienste seit 1995 das Preisniveau um rund 70 % gesunken und seit 2000 sank der Verbraucherpreisindex für Internetnutzung um 44 %. Zudem
wurde in allen Bereichen der Telekommunikations- und
IT-Dienste eine Vielzahl neuer Produkte und Leistungen
den Kunden zur Verfügung gestellt. Die Öffnung der
Märkte hat auch zu einem Zuwachs an neuen Arbeitsplätzen geführt. Und der freie Wettbewerb hat ganz wesentlich dazu beigetragen, dass das innovative Potenzial der
Kommunikationsbranche sich frei entfalten kann. Denn
die innovativen Technologien in diesem Bereich haben
nach wie vor eine ganz zentrale Bedeutung in der industriellen Wertschöpfungskette. Als Innovationsmotor fördert die positive Entwicklung in der Telekommunikation
das Wachstum quer durch die Branchen. Diese Entwicklung wäre im Rahmen der öffentlichen Daseinsvorsorge
nicht in diesem Maße und nicht mit dieser Geschwindigkeit erreicht worden. Nur der private Wettbewerb konnte
diese Erfolge erzielen.
Trotz der heute für jedermann offenkundigen Errungenschaften gibt es gelegentlich rückwärts gewandte Forderungen: So sollen verschiedene neue Kommunikationsdienste wie Breitbanddienste oder Mobilfunk in das so
genannte Universaldiensteregime einbezogen werden, um
für diese Dienste die »Bereitstellung eines festgelegten
Mindestangebots an Diensten für alle Endnutzer zu einem
erschwinglichen Preis« zu gewährleisten. Diese vom
Gedanken der öffentlichen Daseinsvorsorge geprägte Forderung verkennt, dass es gerade der intensive Wettbewerb
war, der zu der gewachsenen Vielzahl von neuen Produkten und Dienstleistungen, einer deutlich verbesserten Servicequalität und eben zu starken Preissenkungen geführt
hat. Viel näher liegt es daher, die bestehenden Universaldienstvorgaben im Kommunikationssektor zu überprüfen,
ob sie heute noch notwendig und zeitgemäß sind.
Daseinsvorsorge: Nutznießer Staat?
C. Einzelne Sektoren der Daseinsvorsorge
und andere Wirtschaftsbereiche
Eine flächendeckende Erbringung der im Rahmen des
Universaldienstes beschriebenen Postleistungen wird ab
dann durch die Summe der im Wettbewerb stehenden
Marktteilnehmer erfolgen. Die Bundesnetzagentur überwacht und garantiert dieses Leistungsniveau und kann –
sollten bestimmte Leistungen in einzelnen Regionen nicht
ausreichend angeboten werden – über verschiedene
Instrumente (Ausschreibung, Umlagefinanzierung, Verpflichtung) rasch gegensteuern. Erfahrungen aus Großbritannien und den skandinavischen Ländern, die ihre Briefmärkte bereits liberalisiert haben, zeigen, dass Effizienz
und Zuverlässigkeit der Postdienste durch die Marktöffnung sogar gesteigert wurden. Unabhängig von der Form
der Erbringung sollte angesichts sich wandelnder Kommunikationsbedürfnisse und wachsender Digitalisierung der
Umfang der im Rahmen des Universaldienstes garantierten Postleistungen regelmäßig auf seine Notwendigkeit hin
überprüft werden.
Auf Ebene der Europäischen Union geht die angestrebte
Liberalisierung der Postmärkte gegenwärtig in eine entscheidende Phase. Nach Vorlage des Richtlinienentwurfes
der Europäischen Kommission vom Herbst 2006 sollen die
europäischen Postmärkte bis zum Jahr 2009 vollständig
geöffnet sein. Der Entwurf sieht umfangreiche Sicherungsmechanismen vor, die ein flächendeckendes Universaldienstangebot sicherstellen. Angesichts verschiedener
Bedenken in einigen Mitgliedstaaten gilt es noch deutlicher
zu machen, dass auch im Postbereich Wettbewerb letztlich
die beste Form des Verbraucherschutzes ist. Dazu muss der
Nutzer von Postdienstleistungen als Hauptzielgruppe und
Nutznießer der Liberalisierung allerdings noch stärker in
den Mittelpunkt der Diskussion gerückt werden.
Internettarife sinken kräftig
Verbraucherpreisindex für Internetnutzung*
100
95
Im Postmarkt befindet sich die Liberalisierung erst auf halbem Weg. Während einige Segmente wie beispielsweise die
Paket- und Expressdienste bereits seit vielen Jahren für den
Wettbewerb geöffnet sind, besteht auf dem Markt für Briefe
(bis 50 Gramm Gewicht) national noch ein gesetzlich
geschütztes Monopol in Form einer Exklusivlizenz für die
Deutsche Post AG. Dieses Monopol wird dem bestehenden
Postgesetz zufolge Ende 2007 auslaufen, sodass ab 2008 die
Postmarktöffnung in Deutschland (formal) abgeschlossen
sein wird. Profitieren werden letztlich alle Nutzer von Postdiensten, die dann aus einer Bandbreite verschiedener
Anbieter das preislich günstigste bzw. qualitativ am besten
passende Angebot auswählen können.
90
85
80
Vielnutzer
75
70
65
-47 %
60
55
Internetnutzer Gesamt
50
-44 %
2001
2003
Quelle: Destatis, eigene Berechnungen
2005
Mai 2007
*Index: 2000 = 100
BDI – Bundesverband der Deutschen Industrie
Daseinsvorsorge: Nutznießer Staat?
C. Einzelne Sektoren der Daseinsvorsorge
und andere Wirtschaftsbereiche
Weder theoretisch noch empirisch gibt es plausible Argumente dafür, dass Postdienste im Monopol besser oder
sicherer erbracht werden könnten als unter Wettbewerbs-
3. Verkehr
Telefonieren – so preiswert wie nie
Verbraucherpreisindizes für Telefongespräche* inkl. MwSt.
Mobilfunkpreise
120
150,2
Festnetzpreise
140
-42 %
120
110
100
87,3
103,1
‘98
‘00
‘02
‘04
‘06
100
88,6
90
-12 %
Januar ‘05
Quelle: Stat. Bundesamt
Januar ‘06
*Index: 2000 = 100
Oktober ‘06
2006 = Oktober
bedingungen. Umso wichtiger ist es, die begonnene Liberalisierung der Postmärkte zeitnah und für alle Mitgliedstaaten verbindlich abzuschließen und einen gemeinsamen
europäischen Binnenmarkt für Postdienste zu etablieren.
Beispiel: Die Zahl der Breitbandanschlüsse hat sich in
den vergangenen drei Jahren in Deutschland verdreifacht. Ende 2006 verfügten 37 % der Haushalte über
einen schnellen Internetzugang, Ende 2003 waren es
12 %. In den westeuropäischen Staaten hatten Ende
2006 im Schnitt 42 % der Haushalte einen Breitbandanschluss. Die weltweite Spitzenposition hält Südkorea mit
einem Anteil von 83 %. Für den auch für Deutschland
prognostizierten starken weiteren Zuwachs sorgen der
zunehmende Wettbewerb unter den Anbietern, der zu
niedrigeren Preisen bei gleichzeitig steigenden Bandbreiten führt. Derzeit gelten Übertragungsraten von über 384
Kilobit pro Sekunde als Breitband. In den Anfangszeiten
des Internets wurde nur ein Kilobit pro Sekunde übermittelt. Inzwischen sind Breitbandanschlüsse mit mindestens zwei Megabit pro Sekunde die Regel und der Startschuss für Angebote mit 50 Megabit pro Sekunde ist
bereits gefallen.
25
Nachhaltige Mobilität erfordert mehr
Wettbewerb.
Unsere arbeitsteilige Wirtschaft beruht darauf, dass Menschen und Güter Distanzen überwinden. Grundlage dieser
Mobilität sind Transportwege und Transportmittel.
Unstrittig ist, dass eine bedarfsgerechte Versorgung mit
Verkehrsinfrastruktur und Dienstleistungen des öffentlichen Personenverkehrs dauerhaft staatliches Engagement
erfordert. Dem Verkehrssektor wird daher in der Diskussion um die Daseinsvorsorge des Staates zu Recht große
Aufmerksamkeit geschenkt. Im Umkehrschluss bedeutet
das aber nicht, dass Privaten der Zugang zu diesen Märkten verschlossen bleiben muss. Das Gegenteil ist der Fall.
Überall dort, wo privatwirtschaftliche Leistungen im Verkehr unter fairen Vertragsbedingungen erbracht werden,
zeigt sich deren Effizienz: So fahren die städtischen Busse
in Frankfurt a. M. heute über 850.000 km mehr als 2002.
Diese Angebotsverbesserung konnte ausschließlich aus
den durch Ausschreibungen der Busverkehre erzielten
Einsparungen finanziert werden.
Die entscheidende Voraussetzung für mehr Qualität und
Effizienz im öffentlichen Personennahverkehr liegt in der
Kombination von staatlicher Daseinseinsvorsorge und verstärktem Wettbewerb. Der Aufgabenträger soll sich auf
seine Bestellerfunktion beschränken und die Auswahl des
geeigneten Verkehrsunternehmens dem Markt überlassen,
anstatt selbst Verkehrsleistungen durch eigene öffentliche
Unternehmen anzubieten. Ein kontrollierter, aber vollständiger Übergang in den Ausschreibungswettbewerb ist
der einzige Weg, um sinkende Tarife, Produktivitätssteigerungen und Kosteneinsparungen zu realisieren. Der Wettbewerb privater Transportunternehmen, nicht die wirtschaftliche Betätigung der öffentlichen Hand, muss vorangetrieben werden. Der BDI fordert deshalb, die europäische und nationale Verkehrspolitik insbesondere für die
Schiene konsequent an den Leitsätzen von Liberalisierung
und Wettbewerb auszurichten.
So ist auch nach nunmehr drei sogenannten Maßnahmepaketen der Liberalisierungsprozess für den europäischen
Schienenverkehr noch nicht abgeschlossen. Die vollständige Marktöffnung, die den Binnenverkehr einschließt,
steht weiter aus. Das Europäische Parlament hatte sich in
der Diskussion um das aktuelle dritte Maßnahmenbündel
zunächst für die Liberalisierung des gesamten Personenverkehrs ausgesprochen. Doch weder EU-Kommission
noch EU-Rat wollten auf diese Linie einschwenken. Der
26
BDI – Bundesverband der Deutschen Industrie
ausgehandelte Kompromiss sieht nur die Öffnung der
grenzüberschreitenden Personenverkehrsmärkte vor. Das
Argument der mangelnden Versorgungssicherheit dient
hier als Bremsklotz, der den Liberalisierungsprozess verzögert. Unterschiedliche Marktöffnungsgrade bleiben
bestehen, obwohl einige Mitgliedstaaten – darunter auch
Deutschland – bereits seit Jahren ihre Infrastruktur allen
Wettbewerbern zugänglich gemacht haben. Die EU-Kommission ist dringend aufgefordert, umgehend einen Vorschlag für die abschließende Liberalisierung des Schienenverkehrs vorzulegen.
Auf nationaler Ebene gilt es weiterhin, transparente Strukturen im Schienenpersonennahverkehr (SPNV) zu schaffen. Derzeit haben die Mitbewerber der DB Regio, bezogen auf die erbrachten Personenkilometer, nur einen
Marktanteil von 6,9 %. Die Ursache dafür sieht das aktuelle Sondergutachten der Monopolkommission »Wettbewerbs- und Regulierungsversuche im Eisenbahnverkehr«
vor allem in der öffentlichen Auftragsvergabe der Länder.
Lediglich 19 % der zu vergebenen Leistungen gelangten
seit der Regionalisierung des SPNV 1996 in den Ausschreibungswettbewerb. Häufig werden große Leistungspakete ohne Ausschreibung am Markt vorbei der Deutschen Bahn-Tochter DB Regio zugeteilt, während die DB
AG als Netzbetreiber gleichzeitig über Investitionen in
regionale Infrastruktur oder Standorte entscheidet. Für
einen dynamischen Wettbewerb müssen deshalb die
Zuständigkeiten für das Netz im Rahmen der geplanten
Bahnprivatisierung klar geregelt werden. Der BDI setzt
sich – auch im Rahmen der Föderalismusreform II – dafür
ein, die regionale Infrastruktur den Ländern zu übertragen.
Die Novellierung der EU-Verordnung über »Öffentliche
Personenverkehrsdienste auf Schiene und Straße« droht
die Fortschritte beim Ausschreibungswettbewerb zu konterkarieren. So soll es den zuständigen Behörden überlassen bleiben, ob sie öffentliche Aufträge direkt oder durch
Ausschreibungswettbewerb vergeben. Die wettbewerbslose
Direktvergabe würde damit vollständig die bislang vorrangig geltenden Vorschriften des EU-Vergaberechts verdrängen. Das widerspricht dem Grundprinzip europäischer
Bahnpolitik, Wettbewerb im Schienenmarkt durch marktöffnende Impulse fairer und transparenter Auswahlverfahren zu fördern. Der Verkehrsausschuss des Europäischen
Parlaments hatte die Kritik des BDI aufgegriffen und für
die Direktvergabe enge Grenzen definiert. Die EU-Parlamentarier sind diesem Votum in der 2. Lesung leider nicht
gefolgt. Damit wurde die Chance vertan, nachhaltig mehr
Wettbewerb im Schienenverkehr zu schaffen. Der Leidtragende ist – neben der Privatwirtschaft – der Verbraucher,
Daseinsvorsorge: Nutznießer Staat?
C. Einzelne Sektoren der Daseinsvorsorge
und andere Wirtschaftsbereiche
der letztlich für zu hohe Preise und Ineffizienz aufkommen muss.
Beispiel: Für Leistungen im SPNV gibt es einen attraktiven Markt in Deutschland. Jährlich werden für rund 5
Mrd. Euro etwa 43,3 Mrd. Personenkilometer (2006)
bestellt. Rein formal ist der freie Marktzugang gesichert.
Insgesamt sind neben der DB-AG-Tochter DB Regio
über 60 private Eisenbahnen aktiv. Letztere erbringen
aber gerade einmal rund 3 Mrd. Personenkilometer, was
einem Marktanteil von 6,9 % entspricht. Seit 1996 sind
nur 19 % der zu vergebenden Verkehrsleistungen über
Ausschreibungen zugeteilt worden. Mehr als die Hälfte
dieser Ausschreibungswettbewerbe gewannen die Wettbewerber der DB Regio. Die Erfahrungen von Hessen,
Niedersachsen und Schleswig-Holstein zeigen, dass
sich die Effizienzpotenziale auf etwa 20 % belaufen. Insgesamt könnte so jährlich rund 1 Mrd. Euro der Regionalisierungsmittel durch Ausschreibungen eingespart
werden. Dennoch wird der überwiegende Teil der SPNVLeistungen direkt (i.d.R. an die DB Regio) vergeben.
Grund dafür ist im Wesentlichen die Verhandlungsmacht
der DB AG. Als Schienennetzbetreiber entscheidet sie
über Infrastrukturinvestitionen und die Sicherung von
regionalen Standorten sowie Arbeitsplätzen.
Marktanteile im Schienenpersonennahverkehr
100%
Wettbewerber
6,9%
80%
60%
DB AG
93,1%
40%
20%
0%
2000
Quelle: DB AG 2007
2001
2002
2003
2004
2005
2006
BDI – Bundesverband der Deutschen Industrie
Daseinsvorsorge: Nutznießer Staat?
C. Einzelne Sektoren der Daseinsvorsorge
und andere Wirtschaftsbereiche
4. Abfallwirtschaft
Besitzer von Abfällen dafür verantwortlich sind, diese
nach den rechtlichen Vorgaben zu entsorgen (§§ 5, 11
KrW-/AbfG). Gleiches gilt für die Produzenten, die ihre
Erzeugnisse freiwillig oder aufgrund einer Pflicht zurücknehmen und entsorgen (§ 26 KrW-/AbfG). Das Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz hat also die Abfallwirtschaft
für den Markt geöffnet. Die Marktöffnung wird jedoch
durch die noch immer bestehenden Überlassungspflichten
eingeschränkt. Haushaltsabfälle und Beseitigungsabfälle
sämtlicher Herkunftsbereiche sind den öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträgern zu überlassen. Zudem bestehen
für besonders überwachungsbedürftige Abfälle Überlassungspflichten nach landesrechtlicher Ausgestaltung.
Entsorgungsaufgaben sollten in den
Markt gestellt und der Staat auf seine
partielle Gewährleistungsfunktion
beschränkt werden.
Abfallwirtschaft wird heute mehr und mehr als Bestandteil
der Ressourcen- und Klimaschutzpolitik verstanden. Die
jüngsten Initiativen sowohl des deutschen als auch des
europäischen Gesetzgebers belegen dies. Beispiele hierfür
sind etwa die Umsetzung des Deponierungsverbots für
unbehandelte Abfälle in Deutschland oder die thematische
Strategie für Abfallvermeidung und -recycling der Europäischen Kommission. Der Ressourcenaspekt tritt heute
gleichberechtigt neben die sichere Entsorgung von Abfällen. Die privaten Entsorgungsunternehmen haben in den
letzten Jahren erheblich investiert und mit ihren Innovationen dafür gesorgt, die Verfügbarkeit von Ressourcen
kontinuierlich zu steigern. Die private Entsorgungswirtschaft trägt damit nicht nur zur Ressourcensicherheit bei,
sondern hat so auch die Qualität der Entsorgungsdienstleistungen maßgeblich verbessert und die Umweltstandards stetig gesteigert.
Die sichere Entsorgung von Abfällen hat sowohl einen
gesundheits- als auch einen umweltschützenden Aspekt.
Gefühlsmäßig wurde Müll in der Vergangenheit als
»schmutzig« abgelehnt und seine Beseitigung gefordert.
Bis vor einigen Jahren ging man vor dem Hintergrund der
wachsenden Bevölkerungsdichte von steigenden Müllbergen aus, die das brennendste Umweltproblem der Zukunft
darstellen würden. Die öffentliche Hand zählt daher die
umweltverträgliche Abfallentsorgung noch heute zur
Daseinsvorsorge und nimmt sie für sich in Anspruch.
Den Befürchtungen von damals entspricht die Abfallwirtschaft von heute jedoch in keiner Weise. Statt ständig steigender Müllberge stagniert die Abfallmenge oder geht
sogar zurück. Dank effizienter Abfallbewirtschaftung mit
moderner Technik werden immer mehr Abfälle zum Nutzen von Umwelt und Wirtschaft verwertet und immer
weniger beseitigt. Ein wichtiger Grund für diese Entwicklung ist die im Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz
(KrW-/AbfG) angelegte Privatisierung und Deregulierung
der Entsorgungswirtschaft
Im Gegensatz zum vorherigen Abfallgesetz sieht der
Rechtsrahmen gegenwärtig vor, dass grundsätzlich nicht
mehr die öffentliche Hand, sondern die Erzeuger oder
27
Unter dem Vorwand der Entsorgungssicherheit sowie der
ökologisch sicheren Verwertung und Beseitigung von
Abfällen sind vor allem die Kommunen darum bemüht,
den Bereich der Kreislaufwirtschaft wieder hoheitlich auszugestalten. Anders als die öffentliche Hand Glauben
machen will, stehen jedoch nicht Entsorgungssicherheit
oder Ökologie im Vordergrund, sondern das Interesse der
Kommunen, in den lukrativen Markt der Entsorgungsleistungen einzudringen. Immer häufiger dehnt die öffentliche
Hand ihr Entsorgungsmonopol, das sich auf die Überlassungspflichten stützt, auf die bislang privat bedienten
Abfallverwertungsmärkte aus. Die Kommunen entziehen
damit den privaten Abfallentsorgern verwertbares Abfallmaterial und berauben so die private Recyclingwirtschaft
ihrer Existenzgrundlage. Zusätzlich sind die Kommunen
darum bemüht, durch Eigenbetriebe oder Beteiligungen an
Betrieben und Unternehmungen am lukrativen Verwertungsmarkt zu partizipieren.
Insbesondere die interkommunale Zusammenarbeit dient
den Kommunen verstärkt dazu, den Markt für die Entsorgung von Siedlungsabfällen langfristig abzuschotten.
Ursprünglich als Möglichkeit zur Schaffung von Synergien
in der Verwaltung gedacht, wird die interkommunale
Zusammenarbeit gerade in der Entsorgungswirtschaft verstärkt dazu genutzt, den Marktanteil privater Entsorgungsfirmen zurückzudrängen. Es werden nicht mehrere kommunale Betriebe zu einem zusammengeschlossen, sondern
ein kommunaler Entsorgungsbetrieb übernimmt unter
dem Deckmantel eines Zweckverbandes in Form einer
Anstalt des öffentlichen Rechts die Entsorgung für die
anderen im Zweckverband beteiligten Gemeinden mit –
an sich die klassische Form eines Auftragsverhältnisses,
allerdings im Gewande einer öffentlichen Organisationsform.
Das Problem wird noch dadurch verschärft, dass die Politik häufig auf das Ansinnen der Kommunen und Land-
28
BDI – Bundesverband der Deutschen Industrie
kreise eingeht. Es werden Stimmen laut, die im Gesetz
angelegten Privatisierungs- und Liberalisierungspotenziale
der Abfallwirtschaft zu korrigieren. Gemeindeordnungen
dehnen den kommunalen Aufgabenbereich auf die Abfallwirtschaft aus. Im Rahmen der Diskussionen zur 5. Novelle der Verpackungsverordnung war es eine Kernforderung
der Kommunen, teilweise unterstützt von der Politik, die
erfolgreich dem freien Markt überantwortete Sammlung
und Behandlung von Verpackungsabfällen dem Monopol
der öffentlichen Hand zu unterstellen. Am Ende fand
diese Forderung jedoch keine Mehrheit. Auch auf europäischer Ebene streben die Kommunen die Ausrichtung der
erfolgreichen europäischen Abfallpolitik auf ihre eigenen
wirtschaftlichen Interessen an. Als besondere Gefahr für
ihre Aktivitäten haben die öffentlichen Entsorgungsunternehmen in Deutschland den Binnenmarkt identifiziert.
Infolge der zunehmenden sinnvollen Nutzung von Abfällen in einem europäischen Markt sehen die Kommunen
ihre Abfälle davonschwimmen. So soll die Revision des
europäischen Abfallrechts genutzt werden, um die kommunalen Entsorgungsstrukturen in Deutschland zu schützen und zu stärken. Die Aufteilung des deutschen Abfallmarktes soll europarechtlich abgesichert und die kommunale Entsorgung in ihrem Bestand, ihren rechtlichen Rahmenbedingungen und ihrer Planungssicherheit gegenüber
den abfallwirtschaftlichen Entwicklungen gestärkt werden.
Die damit einhergehende Forderung nach einer Ausweitung der Überlassungspflichten auf sämtlichen Hausmüll,
hausmüllähnliche Gewerbeabfälle und gemischt anfallende Abfälle zielt auf einen abfallwirtschaftlichen Paradigmenwechsel ab, weg von Privatisierung und Liberalisierung, zurück zur hoheitlichen Abfallbewirtschaftung. Hintergrund dieser Bestrebungen ist allein das wirtschaftliche
Interesse der öffentlichen Hand, ihre bestehende Beseitigungsinfrastruktur auch zukünftig auszulasten und in das
lukrative Verwertungsgeschäft einzusteigen. Der Vorrang
der Abfallverwertung bzw. der Primat der Kreislaufwirtschaft für Abfälle aus anderen Herkunftsbereichen hat in
den letzten Jahren dazu geführt, dass eine leistungsfähige
Verwertungsindustrie entstanden ist. Private Anbieter, die
den hohen Anforderungen des KrW-/AbfG und den
hohen Standards der Verordnung für Entsorgungsfachbetriebe entsprechen müssen, gewährleisten heute flächendeckend die ökologisch und wirtschaftlich sinnvolle Verwertung von Abfällen. Private Entsorger entsorgen im Auftrag
der Kommunen den Hausmüll von 63 % der Bevölkerung.
Im Gewerbeabfall und bei der Erfassung des Sondermülls
nutzen die Abfallerzeuger bzw. -besitzer bisher fast ausschließlich die Dienstleistungen von privaten Unternehmen. Die Überwachungsmechanismen des KrW-/AbfG
garantieren, dass die Erzeuger und Besitzer dieser Abfälle
Daseinsvorsorge: Nutznießer Staat?
C. Einzelne Sektoren der Daseinsvorsorge
und andere Wirtschaftsbereiche
ihrer Verantwortung für eine hochwertige, sichere Entsorgung nachkommen. Diese Strukturen dürfen nicht aufs
Spiel gesetzt werden, sondern müssen ausgeweitet werden.
Eine zusätzliche Tätigkeit der Kommunen ist weder aus
Gründen der Entsorgungssicherheit noch aus ökologischen Gründen erforderlich, denn sie ist ein Schritt
zurück.
Der BDI lehnt es ab, die Überlassungspflichten auszuweiten und die Eigenverantwortung einzuschränken. Die Verantwortlichkeit der Abfallerzeuger und -besitzer sowie der
Produkthersteller für die ordnungsgemäße Entsorgung
gewährleisten einen hohen Verwertungsanteil im Bereich
gewerblicher Abfälle. Zudem sichern private Entsorger
bereits heute in überwiegendem Maße die Entsorgung der
Abfälle. Für die Behauptung, die Entsorgungssicherheit sei
bedroht, sind die Kommunen bislang ihren Beweis schuldig geblieben.
Abfälle sind heute in erster Linie ein Wirtschaftsgut. Eine
Ausdehnung der Überlassungspflichten trifft daher nicht
nur auf verfassungsrechtliche Bedenken. Auch das Erroparecht steht der Ausdehnung entgegen. Abfälle zur Verwertung unterliegen den europarechtlichen Bestimmungen
zum freien Warenverkehr. Die europarechtliche Zulässigkeit einer Autarkie für Verwertungsabfälle ist unter dem
Aspekt der Waren- und Dienstleistungsfreiheit und dem
Wettbewerbsrecht äußerst fraglich. Marktregelnde Vorschriften sind grundsätzlich ein Verstoß gegen das europäische Primärrecht. Europa setzt Maßstäbe für eine
marktkonforme Kreislaufwirtschaft. Wettbewerb – in diesem Fall zwischen mehreren Entsorgungsunternehmen –
ist ein zentrales Element der Marktwirtschaft. Er befördert
die Innovation und die Suche nach der optimalen Entsorgungs- und Verwertungslösung. Dies kommt der Umwelt
zugute, indem umweltfreundlichere Technologien entwickelt werden können. Davon profitiert auch der Entsorgungspflichtige, der die Kostenvorteile eines funktionierenden Wettbewerbs nutzen kann. Die Mechanismen des
Marktes müssen dazu genutzt werden, diese Effekte optimal auszunutzen.
Die öffentliche Hand darf die im Kreislaufwirtschaftsgesetz angelegten Privatisierungs- und Deregulierungsansätze nicht einschränken. Zusätzliche Überlassungspflichten
sind weder ökologisch noch ökonomisch zu rechtfertigen.
BDI – Bundesverband der Deutschen Industrie
Daseinsvorsorge: Nutznießer Staat?
C. Einzelne Sektoren der Daseinsvorsorge
und andere Wirtschaftsbereiche
29
5. Wasserwirtschaft
Verstaatlichungen in der Entsorgungswirtschaft
Die Rekommunalisierung der Abfallentsorgung und
Durchführung in kommunaler Eigenregie beruhen
zumeist nicht darauf, dass die Kommunen mit den Leistungen des privaten Entsorgers unzufrieden gewesen
sind. Ausschlaggebend für einen entsprechenden Ratsbeschluss ist oftmals der Wunsch, Kontrolle zu gewinnen und die Unternehmereigenschaft ohne Risiko auszuüben.
Bei in dem Zusammenhang angestellten Rechenbeispielen der öffentlichen Hand werden Privilegien genutzt und
Kosten der öffentlichen und privaten Leistungserbringung in verfälschender Weise verglichen. Anstelle aktueller Entsorgungspreise wird auf historische Entsorgungspreise Bezug genommen. Der Ausschreibungswettbewerb zeigt aber, dass derzeit Kostensenkungen von über
30 % möglich sind. Zudem haben Eigen- und Regiebetriebe, Zweckverbände und Anstalten des öffentlichen
Rechts den Vorteil, keine Umsatzsteuer zahlen zu müssen. Mit der Umsatzsteuererhöhung von 16 % auf 19 %
werden der Wettbewerbsvorsprung der öffentlichen
Hand und die damit einhergehende Wettbewerbsverzerrung im Vergleich zur privaten Entsorgungswirtschaft
noch größer.
Kommunen: Sprudelnde Einnahmequellen
Kommunale Einnahmen aus unmittelbarer wirtschaftlicher
Tätigkeit in Millionen Euro
2004
Veränderung 1999 bis 2004
in Prozent
WestOstdeutschdeutschland
land
Westdeutschland
Ostdeutschland
2.738,5
501,5
22,3
20,6
123,2
9,4
239,4
276,0
Abfallbeseitigung
54,3
16,4
43,7
-15,9
Fremdenverkehr
40,5
7,5
2,8
-2,6
5,6
1,6
5,7
0
164,4
19,9
8,7
-4,8
Versorgungsunternehmen
Abwasserbeseitigung
Land- u. Forstwirtschaft
Übrige Gemeinschaftsdienste
In ausgewählten Bereichen; übrige Gemeinschaftsdienste: zum Beispiel kommunale
Schlachthöfe und das Bestattungswesen; Ursprungsdaten: Statistisches Bundesamt
iwd: Institut der deutschen Wirtschaft, Köln
© 35/2007 Deutscher Instituts-Verlag
Die deutsche Wasserwirtschaft steht
vor großen Herausforderungen: Die
Umsetzung der EU-Wasserrahmenrichtlinie, der Klimawandel, der
demografische Wandel und die
Sanierung bestehender Anlagen
erfordern hohe Investitionen. Um
diese Herausforderungen zu bestehen, benötigen wir transparenten und
fairen Wettbewerb.
Wasser ist eine unverzichtbare Voraussetzung menschlichen Daseins. Zugleich ist Wasser das wichtigste Element
des Naturhaushaltes. Zugang und Gebrauch des Wassers
sind seit langer Zeit auch in wasserreichen Ländern vielfältig reglementiert. Die Verschmutzung des Trinkwassers
ist als so genannte Brunnenvergiftung der wahrscheinlich
älteste umweltrechtliche Straftatbestand. Das Wasserrecht
ist zugleich die älteste Disziplin des modernen Umweltrechts. Früher konzentrierte sich das Schutzinteresse
zunächst auf das Trinkwasser. Spätestens im Zeitalter der
Industrialisierung erkannte man, dass die Frage des Trinkwassers nicht von der Abwasserfrage zu trennen ist
In der Folge beeinflusst die öffentliche Hand heute –
direkt oder indirekt – beide Bereiche. Inzwischen haben
die Kommunen erkannt, dass die Bereitstellung von Trinkwasser und die Entsorgung von Abwasser keineswegs
allein eine lästige Pflicht ist, sondern sich durchaus lukrativ organisieren lässt. Die Wasserversorgung wird heute
zwar zumeist von Gesellschaften des Privatrechts getragen. Diese sind jedoch ihrerseits in der Regel von kommunalen Gebietskörperschaften beherrscht.
Wasser ist aber auch ein Wirtschaftsgut und seine Nutzung Grundvoraussetzung für Volkswirtschaften. Als Wassermühlen, Schifffahrtswege, Kühlwasser, in der Fischerei
oder als Produktionshilfsmittel ist das Wasser seit jeher
selbstverständlicher Teil des Wirtschaftens. Wie bei allen
Ressourcen müssen die Maßstäbe der Nachhaltigkeit für
seine Bewirtschaftung angelegt und als Grundlage verstanden werden. Diese Maßstäbe müssen die unterschiedlichen Nutzungsinteressen ausbalancieren und Lösungen
zeigen, wie eine Ressource Lebensraum, Lebensmittel und
Wirtschaftsgut zugleich sein kann.
30
BDI – Bundesverband der Deutschen Industrie
Die Abwasserentsorgung und Wasserversorgung sind
wesentliche Grundversorgungsleistungen für die Bürger
und unterliegen ökonomischen Kriterien. Transparenz und
ein fairer Wettbewerb um die Planung, den Bau und den
Betrieb von Anlagen der Wasserwirtschaft sind unerlässlich. In den Branchen des Umwelt- und Ressourcenschutzes sind effiziente Unternehmen von besonderer Bedeutung. Ressourceneffizienz und Energieeffizienz sind nicht
bloße Floskeln, sondern Grundvoraussetzung des nachhaltigen Wirtschaftens und für die Bewahrung der natürlichen
Ressourcen. Daher ist es von zentraler Bedeutung, dass
Unternehmen ihre Ressourcen, seien sie ökonomischer
oder ökologischer Art, effizient verwenden und einsetzen.
Die zumeist öffentlichen Unternehmen der Wasserwirtschaft, deren Tätigkeit zu Recht auf das Gemeindegebiet
beschränkt ist, werden durch die Gebietsmonopole in den
fortgeltenden §§ 103, 103 a GWB alter Fassung vor der
Konkurrenz anderer und privater Anbieter geschützt. Das
Modell der Konzessionierung bietet für die Kommunen
und die privaten Anbieter noch weitere Potentiale.
Trinkwasser wird seit jeher gehandelt, die Abwasserbeseitigung aber wurde als öffentliche Pflicht verstanden. Das
kann bis heute an der unterschiedlichen Besteuerung
abgelesen werden. Die Lieferung von Trinkwasser ist –
wie z. B. der Kauf von Lebensmitteln – nicht von der
Umsatzsteuer befreit, die Dienstleistung Abwasserbeseitigung aber als hoheitliche Aufgabe definiert und nicht
besteuerbar, solang sie von öffentlichen Unternehmen
erbracht wird. Die Abwasserbeseitigung ist als hoheitliche
Aufgabe geschützt, das Trinkwasser aber nicht.
Die größte Kläranlage in Deutschland wird nicht von
einer Kommune betrieben, sondern von einem privaten
Unternehmen in Ludwigshafen. Seit Jahrzehnten ist es
bewährte und gesetzlich vorgesehene Praxis, dass an
Industriestandorten die Abwässer von privaten Unternehmen behandelt und in die Gewässer eingeleitet werden.
Neben den Abwässern aus der Produktion werden dort
auch kommunale Abwässer geklärt. Gemeinschaftsklärwerke von Unternehmen und Kommunen in Leverkusen
oder in Schwarzheide sind weitere gute Beispiele dafür,
wie private Unternehmen ihre hohe Verantwortung wahrnehmen und im Einvernehmen verlässliche Leistungen in
der Abwasserbeseitigung erbringen.
Die Organisation der Abwasserwirtschaft bietet derzeit
wenig wettbewerbliche Anreize. Die Gebührenerhebung
ist lediglich kostenbasiert. Mehr wettbewerbliche Anreize
sind auch für die Wasserwirtschaft unverzichtbar. Ein ordnungsrechtlicher Rahmen, der sowohl Qualität wie scho-
Daseinsvorsorge: Nutznießer Staat?
C. Einzelne Sektoren der Daseinsvorsorge
und andere Wirtschaftsbereiche
nenden Umgang mit der Ressource regelt und gleichzeitig
den marktwirtschaftlichen Kräften den größtmöglichen
Spielraum lässt, wird den hohen Standard deutscher Wasserwirtschaft gewährleisten. Die öffentlichen Betriebe sind
nicht per se die zuverlässigeren Wasserver- und -entsorger.
Ebenso wenig bedingt die Gewinnerzielungsabsicht privater Anbieter einen Verlust an Qualitäts- und Umweltstandards. Eine Verbesserung der Technik verspricht einen
Nutzen für die Wasserqualität und die Umwelt zugleich.
Das Innovationspotential wird am besten durch den fairen
Wettbewerb von privaten und öffentlichen Unternehmen
um die ökonomisch beste Lösung freigesetzt.
Für die Abwasserwirtschaft fehlen bis heute hinreichende
Daten. Die Potentiale der Abwasserwirtschaft können ohne
eine Analyse dieser Daten auch in der Zukunft nicht ausreichend gehoben werden. Die Aufgabe der Politik ist es, einen
Rahmen zu finden, der die Besonderheiten der Abwasserund Wasserwirtschaft gerecht wird, um Innovationen und
Effizienz zu fördern. Entscheidend ist, dass sichere Leistungen zu günstigen Preisen, unabhängig von der Rechtsform
der Ver- und Entsorgungsunternehmen angeboten werden.
Auswirkungen auf die Unterwarnow
Kläranlage mit Unterwarnow vor Inbetriebnahme der biologischen Reinigung
Kläranlage mit Unterwarnow heute
BDI – Bundesverband der Deutschen Industrie
Beispiel: Nachdem das Zentrale Klärwerk Rostock, welches im Hinblick auf die Vorgaben der HELKOM (Helsinkier Konvention zur Reinhaltung der Ostsee) modernisiert werden sollte, aufgrund eines schwerwiegenden
Baufehlers nicht wie geplant 1992 in Betrieb genommen
werden konnte, beauftragte der Warnow-Wasser- und
Abwasserverband im Jahr 1993 die EURAWASSER Aufbereitungs- und Entsorgungs GmbH Rostock mit der
Wahrnehmung der Aufgaben zur Wasserversorgung und
Abwasserbehandlung für die Hansestadt Rostock und
das Umland und zugleich der Aufgabe, den Ausbau der
Zentralen Kläranlage Rostock als Beitrag zur Erfüllung
der HELKOM-Verpflichtungen bis Ende 1995 abzuschließen. Trotz schlechter Grundvoraussetzungen (begrenzte
Ausbaufläche, Baumaßnahmen erfolgten bei laufendem
Betrieb der Anlage, schlechter Baugrund im Bereich der
Belebungsbecken) wurde die Anlage durch enge Zusammenarbeit zwischen öffentlichem Auftraggeber und den
an der Modernisierung beteiligten privaten Unternehmen
innerhalb von nur zwei Jahren, bei sicherer Einhaltung
des Budgets, fertig gestellt und in Betrieb genommen.
Um trotz des begrenzten Raumangebots die HELKOMVorgaben einhalten zu können wurde ein für Europa bis
dahin völlig neues, innovatives Verfahrenskonzept zur
Abwasserbehandlung entwickelt, welches sich in der
Folge als überaus effizient bewiesen hat. Untersuchungen der Universität Rostock zufolge hat sich die Wasserqualität der Unterwarnow nach Inbetriebnahme der
modernisierten Zentralen Kläranlage erheblich gebessert, die von der HELKOM vorgegebenen Werte konnten
schon 1996 und nicht erst 1998 eingehalten werden.
6. Bauwirtschaft
Bauaufgaben sind keine Pflichtaufgaben des Staates im Rahmen der
Daseinsvorsorge. Sie sind daher ausschließlich der Privatwirtschaft zu
überlassen, die diese Leistungen in
aller Regel preisgünstiger und fachkundiger als die öffentliche Hand
erbringen kann.
Die wirtschaftliche Betätigung von Kommunen hat auch
in der Baubranche ein Ausmaß angenommen, das mit den
Daseinsvorsorge: Nutznießer Staat?
C. Einzelne Sektoren der Daseinsvorsorge
und andere Wirtschaftsbereiche
31
marktwirtschaftlichen Grundprinzipien nicht mehr vereinbar ist und insbesondere kleine und mittlere Unternehmen
massiv gefährdet.
Als wichtiger Nachfrager nach Bauleistungen hat der Staat
unmittelbaren Einfluss auf die Situation der Bauwirtschaft.
Allein im Jahr 2006 haben öffentliche Aufträge knapp
30 % zum Umsatz des Bauhauptgewerbes beigetragen.
Wenn die öffentliche Hand selbst Bauleistungen erbringt,
so steht sie immer im unmittelbaren Wettbewerb zu privaten Anbietern bzw. wird zu Lasten des privaten Auftragsvolumens tätig.
Hierbei muss unterschieden werden zwischen den privatrechtlich organisierten kommunalen Unternehmen, die
Bauleistungen erbringen und offen auf dem Markt agieren
sowie den direkt den Verwaltungshaushalten zugeordneten Bauhöfen. Diese erbringen unmittelbar Bauleistungen
für die Kommunen und sind damit dem Markt, dem Wettbewerb und einer Effizienzkontrolle entzogen. Beide Ausprägungen wirtschaftlicher Betätigung der Kommunen
greifen massiv in den Baumarkt ein und entziehen der Privatwirtschaft Bautätigkeit.
Die kommunalen Betriebe und die Bauhöfe erbringen
Bauleistungen, die alle Gewerke betreffen und nahezu das
gesamte Auftragspektrum der Bauwirtschaft umfassen:
Hoch- und Tiefbau, Neubau und Altbausanierung, Abrissarbeiten und Transport, Straßenbau und Landschaftsbau.
Problematisch ist besonders, wenn entweder die Kommunen ihre Bauaufträge direkt und ohne öffentliche Ausschreibung an ihre Unternehmen vergeben oder sich die
kommunalen Betriebe an den öffentlichen Ausschreibungen beteiligen und möglicherweise über quersubventionierte Angebote der ortsansässigen privaten Bauwirtschaft
wettbewerbswidrige Konkurrenz machen.
Die negativen Auswirkungen für die Bauwirtschaft sind
regional, aber auch überregional, in mehrfacher Hinsicht
weit reichend. So werden die konjunkturellen, aber insbesondere auch die strukturellen Anpassungsprozesse der
Branche durch kommunale Unternehmen massiv
erschwert. Darüber hinaus werden Auftrags- und Umsatzpotential der privaten Bauwirtschaft vermindert und somit
Insolvenzen Vorschub geleistet sowie an sich wettbewerbsfähige Arbeitsplätze gefährdet. Allein durch die
geschilderten Aktivitäten der kommunalen Unternehmen
(ohne Berücksichtigung der Bauhöfe) entgehen der Baubranche jährlich geschätzte 3,4 Mrd. EUR Umsatz. Wenn
sich der Staat derartiger Eingriffe in den Baumarkt enthielte, stünden demnach bei privaten mittelständischen
32
BDI – Bundesverband der Deutschen Industrie
Bauunternehmen vorsichtig geschätzt 35.000 Beschäftigte
mehr in Lohn und Brot.
Daseinsvorsorge: Nutznießer Staat?
C. Einzelne Sektoren der Daseinsvorsorge
und andere Wirtschaftsbereiche
Umsatz kommunaler Unternehmen im Baubereich in 2002
je Einwohner (in Euro)
80
Diese Entwicklung ist ein Irrweg zu Lasten der privaten
Bauwirtschaft. Privatinitiative und Potenzial gehen verloren, Beschäftigungs- und Branchenstrukturen werden verzerrt, einer ineffizienten Leistungserstellung Vorschub
geleistet und damit Steuergelder verschwendet sowie
Eigenverantwortung und unternehmerische Freiheit eingeschränkt.
Die politischen Entscheidungsträger sind aufgefordert, alle
verfügbaren Kräfte und Ressourcen zu nutzen, um investitions- und beschäftigungsfreundliche Rahmenbedingungen
zu stärken sowie das vorhandene Innovations- und Wertschöpfungspotenzial zu aktivieren. Die marktwirtschaftlichen Grundwerte wie Wettbewerb, Eigentum und Individualverantwortung müssen wieder stärker in den Fokus
gesamtgesellschaftlichen Handelns gerückt werden.
70,42
60
Neue Länder
34,26
40
Alte Länder
20
0
Umsatz kommunaler Unternehmen im Baubereich in 2002
(in Mio. Euro)
1.187
2.248
Neue Länder
Alte Länder
Hochrechnung Bauindustrieverband Sachsen/Sachsen-Anhalt e.V., ohne Berücksichtigung
der Bauhöfe
Beispiel: Im Freistaat Sachsen erbringen über 20 kommunale Unternehmen u. a. in Gestalt von Integrationswerken, Aufbauwerken oder Stadtentwicklungsgesellschaften direkt Bauleistungen. Nach Berechnungen einer
vom Bauindustrieverband Sachsen/Sachsen-Anhalt in
Auftrag gegebenen Studie summieren sich allein in
Sachsen die entgangenen Umsätze für die Baubranche,
die aus der Betätigung der kommunalen Unternehmen
herrühren, auf insgesamt 250 Mio. EUR jährlich. Bezöge
man die kommunalen Bauhöfe mit ein, würde der
Umsatzverlust für private Bauunternehmen noch um ein
Vielfaches höher liegen. Das von den kommunalen
Betrieben erbrachte Bauvolumen entspricht in Sachsen
ca. 3.500 Beschäftigten. Der Personalbestand der Bauhöfe wird vorsichtig auf 4.000 Arbeitnehmer geschätzt.
Unter dem Strich könnten im Freistaat theoretisch bis zu
7.500 zusätzliche Stellen in der privaten Bauwirtschaft
geschaffen werden, wenn sich der Staat aus der Erstellung von Bauleistungen zurückziehen würde.
7. Ingenieur- und Consultingdienstleistungen
Die primäre Aufgabe der Kommunen
ist es, der Privatwirtschaft einen verlässlichen Handlungsrahmen zu setzen und öffentliche Aufträge in
einem fairen und transparenten Wettbewerb zu vergeben. Die wirtschaftliche Betätigung der öffentlichen Hand
ist auf ein möglichst geringes Maß
zurück zu führen.
Die Ingenieur- und Consultingwirtschaft ist ein bedeutender Wirtschaftsfaktor in Deutschland. Ihre Unternehmen
leisten wichtige Arbeit für die Vorbereitung von Infrastruktur- und Industrieprojekten und verantworten durch
ihre Planungen und Vorarbeiten für Projekte enorme
Investitionsvolumina. Sowohl Industrie als auch die
öffentliche Hand sind wichtige Auftraggeber der beratenden Ingenieure und Consultants.
Allerdings wird im Bereich der Ingenieur- und Consultingdienstleistungen seit vielen Jahren die eigene wirtschaftliche Betätigung der öffentlichen Hand kontinuierlich ausgeweitet. Dies betrifft sämtliche Bereiche, auf denen Inge-
BDI – Bundesverband der Deutschen Industrie
Daseinsvorsorge: Nutznießer Staat?
C. Einzelne Sektoren der Daseinsvorsorge
und andere Wirtschaftsbereiche
nieure und Consultants tätig sind: Die Wasserversorgung,
das Abfallmanagement, die Verkehrsplanung, das Engineering, die Geowissenschaften, die Kommunikation, die
Stadtplanung, die Landwirtschaft, die Logistik, die Energie, IT und die Unternehmensberatung.
der kommunalen Gesellschaften, sie seien nicht an diese
Regelwerke gebunden, führt im Ergebnis zu einer weiteren
Verzerrung des Wettbewerbs mit der Privatwirtschaft.
So werden z. B. kommunale Bauämter organisationsrechtlich in formell privatrechtlich organisierte Unternehmen
umgewandelt oder ausgelagert, ohne tatsächlich – im echten Sinne – privatisiert zu werden. Die jeweilige Kommune bleibt alleiniger Eigentümer oder zumindest Mehrheitsgesellschafter der Gesellschaft. Die neue Gesellschaft hat
ihren Sitz häufig sogar an der alten Wirkungsstätte. Die
Palette der Unterstützung der neuen Gesellschaft durch
die öffentliche Hand ist reichhaltig und reicht von Auftrags- bis hin zu Gewinngarantien. So gestellt agieren die
kommunalen Eigenbetriebe ohne den Druck ausgeglichener betriebswirtschaftlicher Verhältnisse und – mangels
Ausschreibungen – oft ohne Wettbewerb. Sie haben weder
ein Insolvenz- noch ein Ausfallrisiko. Jahresfehlbeträge
werden mit Steuergeldern oder durch Anhebung von
Gebühren, z. B. im Bereich der Wasserwirtschaft von Entwässerungsgebühren, ausgeglichen.
Diese Einheiten sind dadurch in der Lage, Planungsleistungen zu Preisen anzubieten, die der Markt nicht hergegeben hätte. Zudem haben sie den großen Vorteil, dass sie
bei Auftragsvergaben in der Regel bevorzugt bedient werden. Aufträge werden oft frei vergeben, ohne dass eine
Ausschreibung der Leistung stattfindet. Zudem ist das normalerweise mit Ausführungsleistungen verbundene erhebliche werkvertragliche Risiko begrenzt, weil die öffentliche
Hand kein Interesse daran hat, ihr eigenes Unternehmen
in Regress zu nehmen.
Obwohl die Nachteile für die Privatwirtschaft sowie die
negativen volkswirtschaftlichen Auswirkungen solcher
„Scheinprivatisierungen“ auf der Hand liegen, gibt es
offenbar kein ausreichendes politisches Interesse, der eigenen wirtschaftlichen Betätigung der öffentlichen Hand
Einhalt zu gebieten.
Darüber hinaus argumentieren diese lediglich formal organisationsrechtlich privatisierten Gesellschaften häufig,
dass sie aufgrund ihrer privatrechtlichen Rechtsform nicht
als »öffentlicher Auftraggeber« in die Pflicht genommen
werden können und somit von der Anwendung z. B. von
VOB/A und der Honorarordnung für Architekten und
Ingenieure (HOAI) befreit seien. Dabei ergibt sich die
Definition des »öffentlichen Auftraggebers« eindeutig aus
dem Wortlaut des § 98 GWB und umfasst auch die formal
privatisierten kommunalen Gesellschaften. Die Auffassung
33
Erschwerend kommt hinzu, dass die formal privatisierten
Gesellschaften der öffentlichen Hand gegenüber den
unabhängigen Ingenieur- und Consultingunternehmen
einerseits als Konkurrenten und andererseits auch als Auftraggeber auftreten. Letzteres für Leistungen, für die die
eigenen Kapazitäten nicht ausreichen oder an deren
Erbringung kein Interesse besteht. Zudem bieten sich
diese Gesellschaften zunehmend als Kooperationspartner
zur Abwicklung von Auslandsaufträgen an. Diese Kooperationswünsche lassen sich nicht leicht ausschlagen,
obgleich die Expertise und die Kapazitäten für die Auftragsdurchführung ausschließlich auf privater Seite angesiedelt sind. Auf diese Weise profitiert die öffentliche
Hand enorm vom Know-How der privaten Consultingwirtschaft, ohne dass dieser ein ersichtlicher Vorteil für die
Privatwirtschaft gegenüberstünde.
Der BDI tritt für einen fairen und transparenten Wettbewerb im Bereich der Ingenieur- und Consultingdienstleistungen ein. Jegliche Bevorzugung nur formal privatisierter
Gesellschaften der öffentlichen Hand muss unterbleiben.
Dies gilt in besonderem Maße für die Trinkwasserver- und
die Abwasserentsorgung, deren Anlagen unmittelbar mit
Gebühren der Steuerzahler finanziert werden.
34
BDI – Bundesverband der Deutschen Industrie
Daseinsvorsorge: Nutznießer Staat?
D. Zusammenfassung
D. Zusammenfassung
Bundesländern und Gemeinden nutzen den unscharfen
Begriff der Daseinsvorsorge vor allem als Deckmantel für
eine Ausweitung der wirtschaftlichen Betätigung der
öffentlichen Hand. Die vorliegende Broschüre zeigt die
Probleme auf, die mit der Daseinsvorsorge verbunden
sind. Nicht nur das EU-Beihilfenrecht ist berührt, sondern
auch das kommunale Wirtschaftsrecht, die Steuerpolitik,
das Vergaberecht und die Vergabepraxis. Durch die
Daseinsvorsorgepolitik der Bundesländer und Gemeinden
gerät die Privatwirtschaft zunehmend in Bedrängnis. Der
Mittelstand ist mit vielen Arbeitsplätzen in Gefahr. Die
Politik fällt zurück in überwunden geglaubte staatswirtschaftliche Strukturen. Auf welche Weise wichtige Leistungen besser im Wettbewerb erbracht werden können,
haben wir für die Energie, die Telekommunikation, den
Verkehr, die Abfallwirtschaft, die Wasserwirtschaft, die
Bauwirtschaft und die Ingenieur- und Beratungsleistungen
gezeigt.
Die Europäische Kommission sollte auch in Zukunft offene und versteckte Beihilfen des Staates an öffentliche
Unternehmen unterbinden. Anstatt weitere Ausnahmen
für die Daseinsvorsorge in den EG-Vertrag aufzunehmen,
sollte sich die Politik dafür einsetzen, den Vorrang der privaten Wirtschaft vor der öffentlichen Hand in Anlehnung
an das gemeindewirtschaftliche Subsidiaritätsprinzip europäisch zu verankern. Die öffentliche Hand darf erst dann
tätig werden, wenn nach einem strengen Maßstab ein
dringender öffentlicher Zweck ein Handeln des Staates
gebietet und private Unternehmen die Leistung nicht
ebenso gut erbringen können.
Die Bundesländer und Gemeinden sollten ihre nachvollziehbare Sorge um knappe Kassen nicht auf dem Rücken
der privaten Wirtschaft austragen. Das grundgesetzlich
verankerte Steuerstaatskonzept schützt die privaten
Unternehmen vor unternehmerischen Eingriffen des Staates. Daran muss sich die Praxis der öffentlichen Hand halten. Anstatt Unternehmen zu gründen, sollte die öffentliche Hand auf allen Ebenen die staatlichen Ausgaben senken, die Finanzierung der gemeindlichen Aufgaben tragfähig gestalten und die Rahmenbedingungen für den Wettbewerb der privaten Unternehmen verbessern.
Der BDI setzt sich dafür ein, dass Deutschland und
Europa endlich weitere Märkte dem Wettbewerb öffnen.
Die Verbraucher werden von der Vielfalt des Angebots
und von günstigen Preisen profitieren. Arbeitsplätze werden geschaffen. Nur wenn wir das Wettbewerbsprinzip
beachten, werden wir im internationalen Vergleich zur
Spitze gehören – wirtschaftlich und sozial.
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BDI – Bundesverband der Deutschen Industrie
Daseinsvorsorge: Nutznießer Staat?
Impressum
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BDI-Drucksache Nr. 403
November 2007
Herausgeber:
Bundesverband der Deutschen Industrie e.V.
Breite Straße 29
10178 Berlin
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www.bdi.eu
Gesamtredaktion:
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(030 278732-11)
Ingenieur- und Beratungsleistungen
BDE:
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Helge Kleinwege
(030 5900 335-32) Vergaberecht, Wasserwirtschaft
(0032-2-5483 895) Abfallwirtschaft
HDB:
Dr. Robert Momberg
(0341 33 637-0)
Druck:
DCM – Druck Center Meckenheim
Bauwirtschaft
Daseinsvorsorge: Nutznießer Staat?
Für einen fairen Wettbewerb zwischen Staat
und Privatwirtschaft und mehr Investitionen,
höhere Effizienz und Gebührenoptimierung