Armenier in der Türkei vor 100 Jahren
Transcription
Armenier in der Türkei vor 100 Jahren
© 2017 - NRhZ-Online - Neue Rheinische Zeitung bzw. gekennzeichnete AutorInnen / Institutionen Beitrag des Online-Flyers Nr. 39 vom 12.04.2006. "Geh doch mal hin!" Armenier in der Türkei vor 100 Jahren Von Elen Köln, Sa., 8.4. 06 Lieber Freund, stell Dir vor, Du gehst in eine Ausstellung und stellst fest, vor 100 Jahren haben in Deiner unmittelbaren Nachbarschaft Sumerer oder meinetwegen Chinesen gewohnt. Auf den Bildern siehst Du Kirchen, Schulen, Werkstätten und Menschen, die das Stadtbild von damals prägten und von denen Du heute keine Spur mehr findest. Dabei nahmen sie ganz offensichtlich am gesellschaftlichen Leben rege teil, ja, in so manchem Handelszweig oder Handwerk hatten sie die Nase vorn. Ausstellungseröffnung Köln-Lindenthal Copyright: Kulturforum TR/D Foto: Rolfjörg Hoffmann So oder ähnlich muß es den Istanbulern gegangen sein, als sie im vergangenen Jahr in der Fußgängerzone Istanbuls in die Ausstellung Sireli Jeghpajrs ("Lieber Bruder") des Kurators Osman Köker gingen. 600 Besucher sollen in der ersten Woche in die Ausstellung geströmt sein, ein Gedränge wie auf dem Jahrmarkt. Kein Wunder, angesichts der ausgestellten Postkarten, die das Leben der osmanischen Armenier darstellen, fragt man sich, wo sind sie geblieben, die mehr als eine Million Armenier in der Türkei (heute leben noch ungefähr 65000 dort) in den türkischen Geschichtsbüchern findet man darüber wenig. Dafür wird man in deutschen Archiven fündig. Botschafter Wolf-Metternich berichtete an den deutschen Reichskanzler Bethmann Hollweg von der Vertreibung und Ermordung der Armenier durch die türkische Regierung. Die Aufrechterhaltung des Bündnisses zur Türkei während des WK I. war jedoch wichtiger als das Leben der Armenier in Anatolien. In der Bundestagsdebatte am 21. April 2005 beschäftigte sich erstmals die deutsche Politik auch mit der deutschen Verantwortung im Zusammenhang mit dem Völkermord an den Armeniern 1915/16. Das KulturForum TürkeiDeutschland (http://www.das-kulturforum.de) und die Deutsche-Armenische Gesellschaft haben die Ausstellung jetzt nach Köln geholt, in die Kunsthalle Lindenthal - nun ja, man muß sich an den Ausstellungsraum gewöhnen. Die Bezirkschefin sagt selbst, sie hätten den Raum, der als Kantine vorgesehen war, besetzt, um ihn mit Kultur zu füllen. Dem entsprechend bescheiden ist die Ausstattung und ich kann Dir nur empfehlen, in der Dämmerung hinzugehen, damit Du bei der spärlichen Beleuchtung auch was siehst allerdings, wenn sich Deine Augen eingewöhnt haben, wirst Du reich belohnt. Die Postkarten sind nach geographischen Regionen geordnet, und liebevoll werden die jeweiligen Besonderheiten der einzelnen Regionen beschrieben, so daß am Ende ein recht detailliertes Bild des armenischen Lebens in Anatolien entsteht. Armenische Schule in Adana Quelle: www.ntvmsnbc.com Unterstützt wurden die Ausstellungsmacher u.a. von Heide Rühle und Cem Özdemir, der in seiner Rede zur Eröffnung von den grausigen Ereignissen nur in der dritten Person sprach: "Eines Tages wird man vor dem türkischen Parlament davon sprechen, was ... 1915 geschehen ist", und er zählte all die Repressalien gegen nichttürkische Minderheiten in der türkischen Vergangenheit auf, die der Türkei nicht zum Ruhm gereichen, 1977, 1964, 1955 und eben auch 1915. Armenisches Viertel in Izmi Quelle: www.yapi.com.tr Der Verleger und Kurator Osman Köker, der seine Landsleute vor allem darauf aufmerksam machen will, daß die Armenier und auch andere Völker, einen wesentlichen Beitrag zur Gründung und Entwicklung der Städte beigetragen haben, schlägt mit der Ausstellung eine Brücke zwischen der multi-religiösen und vielsprachigen Gesellschaft von vor hundert Jahren und der Gegenwart. Er hat einen wunderbaren Katalog zu der Ausstellung herausgebracht; ich habe ihn dort nur in türkischer Sprache gesehen, es soll ihn aber auch in englischer und deutscher Übersetzung geben; leider sprengt er mein derzeitiges Budget. Man kann nicht alles haben. Wenn ich Dich neugierig genug gemacht habe - ich komme gern noch einmal mit, wenn Du Dir die Ausstellung ansiehst. Beste Grüße Elen "Sireli Jeghpajrs - Lieber Bruder" - Armenier in der Türkei vor 100 Jahren - Ausstellung mit Postkarten des Sammlers Orlando Carlo Calumeno Der Flyer zur Ausstellung kann hier abgerufen werden. Kunsthalle Lindenthal (Aachener Str. 220, 50931 Köln) noch bis zum 25. April 2006, täglich von 10-18h, Sa + So 14-18h geöffnet. Ausstellungseröffnung Köln-Lindenthal, Copyright: Kulturforum TR/D, Fotograf: Rolfjörg Hoffmann Armenische Schule in Adana, Quelle: www.ntvmsnbc.com Armenisches Viertel in Izmit, Quelle www.yapi.com.tr Für Menschen, die der türkischen Sprache mächtig sind, siehe auch: http://www.radikal.com.tr/haber.php?haberno=179023 http://www.yapi.com.tr/turkce/haber_detay.asp?NewsID=22236 Die "Stimme Armeniens" (staatlicher Rundfunk) sendet auf Deutsch: täglich 20.50 h (MESZ) auf Kurzwelle 4810 kHz und 9660 kHz, auf zweiter Frequenz gut zu empfangen. Literatur: Franz Werfel "Die vierzig Tage des Musa Dagh", Johannes Lepsius "Der Todesgang des Armenischen Volkes", Tempel-Verlag, Potsdam 1927, Wolfgang Gust "Der Völkermord an den Armeniern 1915/16", Dokumente aus dem Politischen Archiv des deutschen Auswärtigen Amts, zu Klampen Verlag 2005, ISBN 3-934920-59-4 Geschichte: http://de.wikipedia.org/wiki/Armenien#Geschichte Kontakt: http://www.nrhz.de [email protected]