Lösungshinweis Klausur SomSem 08
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Lösungshinweis Klausur SomSem 08
Prof. Dr. Lipke 33 Punkte und 5 Zusatzpunkte = 38 Punkte Für ein ausreichend sind min. 17 Punkte erforderlich Lösungshinweise Klausur im Arbeitsrecht 03. September 2008 Zu Frage 1: Entscheidend ist die persönliche, nicht die wirtschaftliche Abhängigkeit vom Arbeitgeber, um von einem Arbeitnehmer auszugehen, der in einem Arbeitsverhältnis zu einem Arbeitgeber steht. Diese persönliche Abhängigkeit offenbart sich zum einen in der Weisungsgebundenheit (Direktionsrecht des Arbeitgebers) und der Eingliederung in die fremde Arbeitsorganisation, die der Arbeitgeber festlegt. Der Arbeitnehmerbegriff wird abgeleitet von dem des Handelsvertreters in § 84 Abs. 1 Satz 2 HGB. Danach spricht im Umkehrschluss für einen Arbeitnehmer, dass er weder Arbeitszeit noch Tätigkeit frei gestalten kann und auch die Wahl des Arbeitsortes dem Arbeitgeber vorbehalten ist. Dagegen ist ein freier Mitarbeiter in Umsetzung und Ausführung seiner Tätigkeit weitgehend frei. Ihm wird vom Unternehmer/Arbeitgeber nur eine Aufgabenerfüllung übertragen, die er unabhängig und weitestgehend weisungsfrei zu verfolgen hat. Zu Frage 2: zu a) Die Rechtmäßigkeit von Arbeitskampfmaßnahmen kann auf arbeitsvertraglicher Ebene eine Verletzung des Arbeitsvertrages, auf tariflicher Ebene eine Verletzung der Friedenspflicht und auf gesetzlicher Ebene eine gesetzeswidrige unerlaubte Handlung in Form eines Eingriffs in das Eigentum oder das Recht am eingerichteten ausgeübten Gewerbebetrieb des Arbeitgebers sein. Entscheidend für die Beurteilung der Rechtsmäßigkeit ist allein die kollektive tarifliche Ebene. Nimmt der Arbeitnehmer an einem gewerkschaftlich geführten Streik teil, der den Seite 1 von 7 Abschluss eines Tarifvertrages bezweckt und nicht gegen die Friedenspflicht eines bestehenden Tarifvertrages verstößt, so verletzt er weder seine arbeitsvertraglichen Pflichten noch begeht er eine deliktische Handlung. zu b) Im Fall der Teilnahme an einem rechtmäßigen Arbeitskampf wird das Arbeitsverhältnis suspendiert, d.h. die Rechte und Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis ruhen auf Arbeitnehmerund auf Arbeitgeberseite. Der Arbeitnehmer verliert seinen Lohnanspruch; der Arbeitgeber verliert seinen Anspruch auf Erbringung der Arbeitsleistung durch den Arbeitnehmer. Es gelten insoweit die Regeln des § 326 Abs. 1 BGB. Zu Frage 3: Es ist das Ziel des Kündigungsschutzrechtes im KSchG und im BGB auch im Falle von Vertragsstörungen das Arbeitsverhältnis möglichst zu erhalten. Die Idee des „geringst möglichen Eingriffs“ macht sich fest am Vorrang der betriebsbedingten Änderungskündigung vor der betriebsbedingten Beendigungskündigung, aber auch an der Verpflichtung des Arbeitgebers bei verhaltensbedingten Kündigungsgründen im Regelfall zunächst eine Abmahnung auszusprechen, bevor er im Wiederholungsfall zur Beendigungskündigung greifen darf. Das Abmahnungserfordernis kann § 314 Abs. 2 BGB entnommen werden. Als Ausprägung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes kann ferner die Unterscheidung von ordentlicher Kündigung (Regelfall) und außerordentlicher Kündigung (Ausnahmefall) herangezogen werden. Dies spiegelt sich in der Interessenabwägung und Zumutbarkeitsprüfung bei einer fristlosen Kündigung aus wichtigem Grund in § 626 Abs. 1 BGB wider. Seite 2 von 7 Prof. Dr. Lipke Lösungshinweise Klausur im Arbeitsrecht 03. September 2008 II. Fälle Fall 1 Für die Lösung maßgeblich ist das allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG), das im August 2006 in Kraft getreten ist und der Umsetzung mehrerer EU-Richtlinien zum Schutz vor Diskriminierung dient. Der Diskriminierungsschutz nach § 1 AGG ist hier einschlägig, da es einmal um Vorbehalte gegenüber der sexuellen Orientierung und zum anderen gegenüber einer körperlichen Behinderung geht. Auch der Anwendungsbereich des Gesetzes ist betroffen, wie sich aus § 2 Abs. 1 Nr. 1 AGG ergibt. Es geht hier um den Zugang zu einer unselbständigen Erwerbstätigkeit, bei der Herr Rosa und Frau Humpel wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes unter Umständen rechtswidrig benachteiligt wurden (§ 7 AGG). Im einzelnen: a) Herr Rosa ist eingeladen worden und deshalb verfahrensmäßig nicht diskriminiert worden. Soweit er auf Einstellung klagen will, steht dem § 15 Abs. 6 AGG entgegen, wonach ein Verstoß des Arbeitgebers gegen das Benachteiligungsverbot des § 7 Abs. 1 AGG keinen Anspruch auf Begründung eines Beschäftigungsverhältnisses begründet. Allerdings stehen ihm Schadensersatzansprüche zu, soweit es zu einem Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot gekommen ist. Dies kann sowohl den materiellen Schaden als auch den ideellen Schaden betreffen, der in der Persönlichkeitsverletzung liegt. Der Schadensersatzanspruch zu dem in aller Regel allein geltend zu machenden Nichtvermögensschaden darf bei einer Nichteinstellung 3 Monatsgehälter nicht übersteigen und ist innerhalb einer Frist von 2 Monaten ab Zugang des Ablehnungsschreibens geltend zu machen (§ 15 Abs. 2 und 4 AGG). Aufgrund des Auftritts von Herrn Rosa im Vorstellungsgespräch ist nicht auszuschließen, dass er wegen seiner zur Schau getragenen Homosexualität nicht eingestellt wurde. Soweit dafür Indizien sprechen, kehrt sich die Beweislast nach § 22 AGG zu Lasten des Arbeitgebers um. Die Firma Prüde müsste deshalb Seite 3 von 7 zur Abwehr von Schadensersatzansprüchen darlegen und beweisen können, dass der ausgewählte Bewerber in der Tat höher qualifiziert ist als Herr Rosa. b) Das Frau Humpel als schwerbehinderter Mensch überhaupt nicht zum Vorstellungsgespräch eingeladen worden ist, obwohl sie die Einstellungsvoraussetzungen erfüllte, ist eine Verfahrensdiskriminierung (vgl. § 81 Abs. 1 SGB IX), aus der sich ein Schadensersatzanspruch nach den o.g. Vorschriften des AGG ergeben kann. Da § 81 Abs. 2 SGB IX anstelle vorher geltender eigener Regelungen auf das AGG verweist, sind die oben bei Herrn Rosa dargestellten Erwägungen ebenfalls anzustellen. Während bei Herrn Rosa der Schadensersatzanspruch noch offen ist, dürfte bei Frau Humpel zumindest wegen der Verfahrensdiskriminierung ein Schadensersatzanspruch wegen Verletzung des Persönlichkeitsrechts gegeben sein. Fall 2 Betroffen ist hier das Wettbewerbsverbot aus § 60 HGB, das für alle Arbeitsverhältnisse gilt. Neben der Hauptpflicht des Arbeitnehmers Pfiffig, während seiner Arbeitszeit seine vertraglichen Arbeitspflichten gegenüber seinem Arbeitgeber, der Grafik und Design GmbH zu erfüllen, steht die Nebenpflicht Wettbewerbs- und Konkurrenztätigkeiten im Verhältnis zum Arbeitgeber zu unterlassen (Treue- und Schadensabwendungspflicht). Nach dem Sachverhalt wäre der Freundschaftsdienst, im privaten Bereich unentgeltlich eine Webseite einzurichten, ein Grenzfall. Hier wird es im Zweifel nicht um einen potenziellen Kundenstamm des Arbeitgebers gehen, so dass ein Wettbewerbsverstoß nicht vorliegen dürfte. Anders ist es hingegen mit den in der Freizeit erfüllten Aufträgen von kleinen Handwerksunternehmen, die sich ansonsten auch an den eigenen Arbeitgeber hätten wenden können. Hier liegt eine klare Verletzung des Wettbewerbsverbotes vor, da Pfiffig – ohne Einwilligung des Arbeitgebers – in dessen Handelszweig für eigene oder fremde Rechnung Geschäfte macht (§ 60 Abs. 1 HGB). Dem Arbeitgeber stehen mehrere Möglichkeiten offen, darauf zu reagieren. Er kann zum einen Schadensersatz verlangen, der sich auf den entgangenen Gewinn aus den Geschäften des Pfiffig beschränkt. Er kann aber auch statt dessen verlangen, die von Pfiffig für eigene Rechnung gemachten Geschäfte als seine eigenen abzurechnen (§ 61 Abs. 1 HGB). Er tritt somit in die Geschäftsposition seines Arbeitnehmers ein. Die Ansprüche müssen allerdings binnen 3 Monaten nach Kenntnisnahme des Arbeitgebers geltend gemacht werden. Die Firma Grafik und Design kann desweiteren die Seite 4 von 7 Nebenpflichtverletzung zum Anlass einer Abmahnung nehmen, um Pfiffig im Wiederholungsfalle kündigen zu können. Hat die „Nebentätigkeit“ des Pfiffig in der Vergangenheit bereits größere Ausmaße angenommen, so dass die Firma Grafik und Design einen deutlichen Auftragsrückgang zu verzeichnen hatte, kann anstelle der Abmahnung sogar eine ordentliche oder außerordentlich fristlose Kündigung wegen verhaltensbedingt gravierender Störung des Arbeitsverhältnisses (§§ 626 BGB, 1 KSchG) in Betracht kommen. Fall 3 Die Voraussetzungen für die Anwendung des Kündigungsschutzgesetzes sind gegeben. Das Unternehmen Plakat & Co beschäftigt in seinen Betriebsabteilungen insgesamt 40 Arbeitnehmer, so dass nach § 23 KSchG das Kündigungsschutzgesetz zur Anwendung kommt. Schulte ist langjährig beschäftigt; deshalb hat er auch die 6-monatige Wartezeit nach § 1 KSchG hinter sich gebracht. Bei Zugang des Kündigungsschreibens am 20. August ist auch nicht die 3-Wochenfrist zur Erhebung der Kündigungsschutzklage nach § 4 KSchG abgelaufen, die anderenfalls nach § 7 KSchG die Kündigung rechtswirksam machen würde. Hier hat der Arbeitgeber im Wege sog. freier unternehmerischer Entscheidung eine Reorganisation beschlossen, bisher von Arbeitnehmern ausgeübte Tätigkeiten in Zukunft nicht mehr durch Arbeitnehmer, sondern durch selbständige Unternehmer ausführen zu lassen. Eine solche Entscheidung kann nur auf Willkür und Missbrauch, nicht aber auf organisatorische und betriebswirtschaftliche Zweckmäßigkeit überprüft werden. Eine solche willkürliche und missbräuchliche Handhabung lässt sich aber nicht feststellen, wenn der Arbeitgeber der Auffassung ist, in Zukunft kostengünstiger mit freien Unternehmen anstelle von Arbeitnehmern arbeiten zu können (nachgebildet der Entscheidung BAG, 13 März 2008 – 2 AZR 1037/06). Die einzige Möglichkeit für den Arbeitnehmer Schulte wäre eine Überprüfung der sozialen Auswahl. Dies würde allerdings voraussetzen, dass er mit Arbeitnehmern in der anderen Betriebsabteilung, die Plakate an Litfaßsäulen kleben, vergleichbar ist. Eine Sozialauswahl kann nur zwischen vergleichbaren Arbeitnehmern stattfinden, die von der Arbeitsleistung her und auch arbeitsvertraglich untereinander austauschbar sind. Wäre dies im Fall Schulte zu Seite 5 von 7 bejahen, bliebe zu prüfen, ob nach den Sozialkriterien des § 1 Abs. 3 KSchG (Lebensalter, Unterhaltspflichten, Betriebszugehörigkeit, Schwerbehinderung) in der anderen Betriebsabteilung sozial stärkere Arbeitnehmer beschäftigt sind, die vor Schulte gekündigt werden müssten. Seite 6 von 7 Prof. Dr. Lipke Lösungshinweis Klausur im Arbeitsrecht 03. September 2008 III. Zusatzfrage Nach § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB wird bei einem Betriebsübergang das Arbeitsverhältnis in der Weise mit dem Betriebserwerber fortgesetzt, dass dieser in die Rechte und Pflichten aus dem im Zeitpunkt des Übergangs bestehenden Arbeitsverhältnisses eintritt. Ergeben sich diese Rechte und Pflichten nicht aus dem Arbeitsvertrag sondern aus einem Tarifvertrag oder einer Betriebsvereinbarung, so werden sie Inhalt des Arbeitsverhältnisses – sozusagen unter Verlust ihrer Normqualität Bestandteil des Arbeitsvertrages – und dürfen nicht vor Ablauf eines Jahres nach dem Zeitpunkt des Betriebsüberganges zum Nachteil des Arbeitnehmers geändert werden (§ 613a Abs. Satz 2 BGB). Damit sind die Grundregeln beschrieben. Eine Ausnahme kann – auch zum Nachteil des Arbeitnehmers – dann entstehen, wenn in dem Betrieb des Betriebserwerbers Tarifverträge gelten, an die sowohl der Betriebserwerber als auch der durch Betriebsübergang wechselnde Arbeitnehmer gebunden sind. Diese Tarifbindung über Mitgliedschaft im Arbeitgeberverband bzw. in der Gewerkschaft kann dadurch zustande kommen, dass die Gewerkschaft in unterschiedlichen Branchen voneinander abweichende Arbeitsbedingungen mit dem jeweiligen Arbeitgeber (Firmentarifvertrag) oder Arbeitgeberverbänden abgeschlossen hat. So kann es vorkommen, dass ein bei der Gewerkschaft Ver.di organisierter Arbeitnehmer mit dem Betriebsübergang in einen anderen Tarifvertrag wechselt und sich dabei von den Arbeitsbedingungen her verschlechtert. Voraussetzung ist aber die jeweils beiderseitige einschlägige Tarifbindung von Arbeitgeber und von Arbeitnehmer. Die schlechteren Arbeitsbedingungen müssen hingenommen werden, da Tarifverträge die Vermutung der Richtigkeitsgewähr für sich beanspruchen können und für branchenspezifisch abweichende Regelungen die Tarifautonomie ausschlaggebendes Gewicht hat. Als Spezialnorm ist hier § 613 a Abs. 1 Satz 3 BGB einschlägig. Seite 7 von 7