Original-Klausur 2011 - Juristische Fakultät
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Original-Klausur 2011 - Juristische Fakultät
Juristische Fakultät Lehrstuhl Prof. Dr. Hermann Reichold Prof Dr. Hermann Reichold Sachverhalt Albrecht (A) ist als Fernmeldetechniker seit dem 1. 10. 2000 bei der tarifgebundenen M-GmbH mit Sitz in Mannheim an deren Standort Dresden beschäftigt, wo insgesamt 40 Mitarbeiter tätig sind. Er ist gewerkschaftlich nicht organisiert. Der seinem Arbeitsverhältnis zugrunde liegende Arbeitsvertrag lautet auszugsweise wie folgt: „Sie werden als Fernmeldemonteur für die Abteilung ‚Field Operations Germany East’ am Standort Dresden tätig sein. ... Für Ihr Arbeitsverhältnis gelten die tariflichen Bestimmungen für die gewerblichen Arbeitnehmer der Metallindustrie in Nordwürttemberg/ Nordbaden in ihren jeweils gültigen Fassungen.“ Entsprechende Klauseln finden sich in allen Arbeitsverträgen der in Dresden beschäftigten Mitarbeiter. Mit Wirkung vom 1. 2. 2008 geht das Arbeitsverhältnis des A aufgrund eines Betriebsübergangs auf die S-GmbH über, die die Abteilung „Field Operations Germany East“ in ihren eigenen Betrieb „Netzwerk“ eingliedert, dessen 200 Mitarbeiter 2006 einen Betriebsrat gewählt hatten. Die SGmbH ist nicht tarifgebunden. Am 25. 4. 2008 vereinbaren die IG Metall (IGM) und der Arbeitgeberverband Südwestmetall (AGV) einen Entgelttarifvertrag für Beschäftigte in der Metall- und Elektroindustrie Nordwürttemberg/ Nordbaden (ETV 2008), der zum 1. 6. 2008 in Kraft tritt. Aufgrund des ETV 2008 würde A von da an monatlich 180 Euro brutto mehr verdienen. Der ETV 2008 wird jedoch von der S-GmbH nicht umgesetzt. Aufgabe 1: A ist über die Nichtumsetzung des ETV 2008 empört und wendet sich an den Rechtsanwalt Bernd (B) mit der Bitte um Prüfung, ob er den höheren Tariflohn von der S-GmbH verlangen kann. Immerhin gebe es ja in seinem Vertrag eine entsprechende Klausel. B verweist nach längerem Nachdenken auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses und sieht Auslegungsprobleme wegen des vor dem 1.1.2002 abgeschlossenen „Altvertrags“. Erstatten Sie das von B erbetene Gutachten. Klausurenpool SPB 1b Arbeit und Soziales im Unternehmen 1/13 Juristische Fakultät Lehrstuhl Prof. Dr. Hermann Reichold Prof Dr. Hermann Reichold Die S-GmbH möchte die Bezahlung der von der M-GmbH übernommenen Mitarbeiter der ihrer eigenen Belegschaft weiter annähern. Zu diesem Zweck soll das seit 2006 den übernommenen Arbeitnehmern tariflich zustehende Weihnachts- und Urlaubsgeld gestrichen werden. Hierzu spricht sie - nach ordnungsgemäßer Anhörung des Betriebsrats – formell ordnungsgemäß gegenüber allen betroffenen 40 Mitarbeitern eine Änderungskündigung zum 1. 3. 2009 aus, mittels derer den Arbeitnehmern die Weiterbeschäftigung unter der Bedingung angeboten wird, dass das Weihnachts- und Urlaubsgeld nicht mehr gezahlt werde. Aufgabe 2: Diese Kürzung seines Entgelts will sich A erst recht nicht bieten lassen. Er nimmt die Änderungskündigung daher nur unter Vorbehalt an und erhebt form- und fristgerecht Klage vor dem Arbeitsgericht Dresden auf Feststellung, dass die Änderung der Arbeitsbedingungen sozial ungerechtfertigt sei. Es gebe gar keinen Grund für diese Kündigung. Eine Anpassung der Arbeitsbedingungen sei nicht geboten. Außerdem hätte der Arbeitgeber über diese Frage zunächst mit dem Betriebsrat verhandeln müssen. Eine aus der Anwendung eines Tarifvertrags entstandene betriebliche Vergütungsordnung könne der Arbeitgeber doch nicht einfach ohne den Betriebsrat abändern. Die S-GmbH erwidert, mit diesem Betriebsrat würde man nicht ernsthaft verhandeln können. Wegen der Nichtberücksichtigung von acht Leiharbeitnehmern sei die Betriebsratswahl im Jahr 2006 fehlerhaft gewesen. Man könne nicht erwarten, dass die SGmbH mit einem solchen „Pseudobetriebsrat“ zusammenarbeite. Prüfen Sie die Erfolgsaussichten der Klage des A. Bearbeitungshinweis: Auf alle in den zwei Aufgaben aufgeworfenen Rechtsfragen ist, gegebenenfalls hilfsgutachtlich, in Form eines Rechtsgutachtens einzugehen. Klausurenpool SPB 1b Arbeit und Soziales im Unternehmen 2/13 Juristische Fakultät Lehrstuhl Prof. Dr. Hermann Reichold Prof Dr. Hermann Reichold Lösung Aufgabe 1: Anspruch des A auf monatliche Vergütung in Höhe des Tarifabschlusses 2008? Anspruchsgrundlage: Arbeitsvertrag iSd § 611 BGB iVm dem ETV 2008 Geltung des Tarifvertrages? o §§ 4 Abs. 1, § 3 Abs. 1 TVG? (-), keine Gewerkschaftsmitgliedschaft des A keine Mitgliedschaft der S-GmbH im AGV o § 5 Abs. 1? (-), für eine AVE ist dem Sachverhalt nichts zu entnehmen o Geltung des ETV kraft arbeitsvertraglicher Bezugnahme? o Bezugnahmeklausel als Inhalt des ArbV zwischen A und der S-GmbH? Übergang nach § 613a Abs. 1 S. 1 BGB? Betriebsübergang? (+), laut SV Rechte und Pflichten aus dem ArbV? (+),Erwerber tritt an die Stelle des Veräußerers und nimmt dessen Rechtsstellung ohne inhaltliche Veränderung ein (vgl. BAG v. 19.9.2007, NZA 2008, 241 Rdnr. 21) NOTABENE: Durch Individualvertrag in Bezug genommene Tarifnormen gehen nach § 613a Abs. 1 S. 1 BGB und nicht etwa nach § 613a Abs. 1 S. 2 BGB über. Schwerer Fehler! o Auslegung der Bezugnahmeklausel Klausurenpool SPB 1b Arbeit und Soziales im Unternehmen 3/13 Juristische Fakultät Lehrstuhl Prof. Dr. Hermann Reichold Prof Dr. Hermann Reichold Auslegung als Gleichstellungsabrede? • Eine einzelvertraglich vereinbarte dynamische Bezugnahme auf einen bestimmten Tarifvertrag ist jedenfalls dann, wenn eine Tarifgebundenheit des ArbG an den im Arbeitsvertrag genannten Tarifvertrag nicht in einer für den ArbN erkennbaren Weise zur auflösenden Bedingung der Vereinbarung gemacht worden ist, eine konstitutive Verweisungsklausel, die durch einen Verbandsaustritt des ArbG oder einen sonstigen Wegfall seiner Tarifgebundenheit nicht berührt wird (BAG v. 18.4.2007, NZA 2007, 965). Unklarheiten gehen nach § 305c BGB zu Lasten des Verwenders vorformulierter Arbeitsbedingungen. Vorliegende Klausel ist nach diesen Grundsätzen nicht als Gleichstellungsabrede auslegbar. • ABER: Vertrauensschutz für Altfälle? Die Rspr. gewährt bei Verträgen die vor Inkrafttreten des SMG am 1.1.2002 abgeschlossen wurde, Vertrauensschutz dahingehend, dass damals vereinbare Bezugnahmeklauseln weiterhin i.S.d. früheren Rechtsprechung des BAG (z.B. v. 1.12.2004, NZA 2005, 478) als Gleichstellungsabrede auslegbar sind (BAG v. 18.4.2007, NZA 2007, 965) hier: Abschluss am 1.10.2000, also Altvertrag (+) Voraussetzungen der früheren Rechtsprechung: o Sinn und Zweck der Vereinbarung von Bezugnahmeklauseln durch den selbst tarifgebundenen ArbG dürfte regelmäßig die Gleichstellung der organisierten und nicht organisierten ArbN sein. Klausurenpool SPB 1b Arbeit und Soziales im Unternehmen 4/13 Juristische Fakultät Lehrstuhl Prof. Dr. Hermann Reichold Prof Dr. Hermann Reichold o Voraussetzung ist daher, dass der in Bezug genommene Tarifvertrag auch ohne die Bezugnahmeklausel bei Gewerkschaftsangehörigkeit des ArbN normativ nach §§ 3 Abs.1, 4 Abs. 1 TVG gelten würde. Eine einfache dynamische Verweisungsklausel, die ein Tarifwerk arbeitsvertraglich in Bezug nimmt, das auch bei beiderseitiger Tarifgebundenheit der Arbeitsvertragsparteien im Arbeitsverhältnis nicht normativ nach §§ 3 Abs. 1, 4 Abs. 1 TVG gelten würde, kann nicht als „Gleichstellungsabrede” ausgelegt werden (BAG v. 21.10.2009, NZA-RR 2010, 361). o Hier: Der ETV 2008 ist räumlich auf die in Nordwürttemberg / Nordbaden beschäftigten ArbN beschränkt. A wäre selbst bei Gewerkschaftszugehörigkeit wegen seiner Arbeit am Standort Dresden nicht normativ an den ETV 2008 gebunden. Eine Auslegung der Bezugnahmeklausel wäre daher auch nach der alten Rechtsprechung des BAG nicht in Betracht gekommen. Damit kommt auch kein Vertrauensschutz in Betracht! Die Bezugnahmeklausel kann daher nicht als Gleichstellungsabrede ausgelegt werden. Sie nimmt daher auch weiterhin den geänderten ETV 2008 in Bezug. Damit steht A grundsätzlich ein Anspruch auf Vergütung entsprechend des ETV 2008 zu. Klausurenpool SPB 1b Arbeit und Soziales im Unternehmen 5/13 Juristische Fakultät Lehrstuhl Prof. Dr. Hermann Reichold Prof Dr. Hermann Reichold o Verfassungsrechtliche oder europarechtliche Bedenken gegen die Bindung des Betriebserwerbers an den Tarifvertrag? i.E. (-), vgl. BAG v. 23.09.2009, NZA 2010, 513, dazu Reichold/Ludwig, Anm. AP AP TVG § 1 Bezugnahme auf Tarifvertrag Nr. 71. Eingriff in die Negative Koalitionsfreiheit des Erwerbers? (-) • schon begrifflich kann die negative Koalitionsfreiheit nicht durch eine arbeitsvertragliche Vereinbarung betroffen sein • Der Tarifvertrag wirkt vorliegend nicht kollektiv-rechtlich, sondern aufgrund individualvertraglicher Vereinbarung • Erwerber ist an die Übereinkunft von ArbG und ArbN genauso gebunden wie der Veräußerer selbst • Der Erwerber hat eine privatautonome Entscheidung durch den Erwerb des Betriebs getroffen. Die „Wehrhof“-Entscheidung des EuGH (v. 9.3.2006, NZA 2006, 376) • negative Koalitionsfreiheit des Erwerbers ist bei der Auslegung der dynamischen Bezugnahmeklauseln zu berücksichtigen • ABER: weder die statische noch die dynamische Weitergeltung von Bezugnahmeklauseln verstößt gegen Unionsrecht Ergebnis: A hat Anspruch auf monatliche Vergütung in Tarifabschlusses 2008 aus seinem Arbeitsvertrag iVm dem ETV 2008. Klausurenpool SPB 1b Arbeit und Soziales im Unternehmen 6/13 Höhe des Juristische Fakultät Lehrstuhl Prof. Dr. Hermann Reichold Prof Dr. Hermann Reichold Aufgabe 2: Erfolgsaussichten der Klage des A Die Klage des A hat Aussicht auf Erfolg, wenn der Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten eröffnet und die Klage zulässig und begründet ist. I. Eröffnung des Rechtswegs zu den Arbeitsgerichten? (+), § 2 Abs. 1 Nr. 3 lit. b ArbGG Zu den Bestandsstreitigkeiten gehören auch Streitigkeiten über den Inhalt eines Arbeitsverhältnisses aufgrund einer Änderungskündigung, die unter dem Vorbehalt der sozialen Rechtfertigung angenommen worden ist. II. Zulässigkeit o Örtliche Zuständigkeit? (+) - Dresden als Arbeitsort (§ 48 Abs. 1 a S. 1 ArbGG) - Dresden als Erfüllungsort (§ 46 Abs. 2 S. 1 ArbGG, § 29 ZPO, § 269 BGB) o Dresden als Sitz der S-GmbH (§46 Abs. 2 S. 1 ArbGG, § 17 ZPO) Feststellungsinteresse? (+) Das gemäß § 46 Abs. 2 S. 1 ArbGG, § 256 Abs. 1 ZPO erforderliche Interesse an der begehrten Feststellung folgt bereits daraus, dass gemäß § 7 KSchG die Kündigung nach Ablauf der Dreiwochenfrist des § 4 S. 1 KSchG als sozial gerechtfertigt und wirksam anzusehen Feststellungsklage erhoben wird. die Klage ist zulässig Klausurenpool SPB 1b Arbeit und Soziales im Unternehmen 7/13 ist, wenn nicht vorher die Juristische Fakultät Lehrstuhl Prof. Dr. Hermann Reichold Prof Dr. Hermann Reichold III. Begründetheit Die Änderungskündigungsschutzklage ist begründet, wenn die Änderungskündigung unwirksam ist. Dies kann sich aus allgemeinen Unwirksamkeitsgründen (1.) ergeben oder daraus, dass die beabsichtigte Änderung der Arbeitsbedingungen nicht sozial gerechtfertigt ist (2.). • Allgemeines Unwirksamkeitsgründe (-) • Formalien? (+), laut SV ordnungsgemäß • Beteiligung des BR (§ 102 BetrVG)? (+), laut SV ordnungsgemäße Anhörung • Änderungssperre (§ 613a Abs. 1 S. 2)? (-), - Nicht anwendbar auf Bezugnahmeklauseln, da dies keine kollektivrechtliche Reglung darstellt. - Außerdem: Jahresfrist bereits abgelaufen • Kündigungssperre (§ 613a Abs. 4 BGB) (-), nicht wegen des Betriebsübergangs sondern zur Angleichung der Arbeitsbedingungen • Soziale Rechtfertigung? • Anwendbarkeit des KSchG? • Persönlicher Anwendungsbereich (§ 1 Abs.1 S. 1 KSchG)? (+), A ist seit fast 9 Jahren beschäftigt. Die Betriebszugehörigkeit geht bei Betriebsübergang über. • Betrieblicher Anwendungsbreich (§ 23 Abs. 1 KSchG)? (+), im Betrieb „Netzwerk“ sind weit über 10 ArbN beschäftigt. KSchG anwendbar! • Soziale Rechtfertigung der Änderung der Arbeitsbedingungen? • Klausurenpool SPB 1b Arbeit und Soziales im Unternehmen 8/13 Juristische Fakultät Lehrstuhl Prof. Dr. Hermann Reichold Prof Dr. Hermann Reichold • Auswirkung der fehlenden Mitbestimmung? o Bestehen eines rechtmäßig amtierenden Betriebsrats? Fehler bei der Betriebsratswahl können zur Nichtigkeit oder Anfechtbarkeit der Wahl führen. Nichtigkeit • Die Nichtigkeit der Wahl ist nur in ganz besonderen denen Ausnahmefällen gegen allgemeine anzunehmen, Grundsätze in jeder ordnungsgemäßen Wahl in so hohem Masse verstoßen worden ist, dass auch der Anschein einer dem Gesetz entsprechenden Wahl nicht mehr vorliegt (st. Rspr., z.B. BAG v. 19.11.2003, NZA 2004, 395) • Die willkürliche Nichtberücksichtigung von Wählern kann grundsätzlich einen Nichtigkeitsgrund darstellen (BAG v. 24.01.1964, NJW 1964, 1338) • Leiharbeiter sind grundsätzlich bei Betriebsratswahlen nach § 7 S. 2 BetrVG aktiv wahlberechtigt. Bei der Berechnung der Zahl der ArbN nach § 9 BetrVG zählen sie aber nicht mit (BAG v. 16.4.2003, NZA 2003, 1345) Im Falle der Nichtigkeit ist es unerheblich, ob ohne die die Nichtigkeitsgründe die Wahl anders ausgegangen wäre (BAG v. 24.01.1964, NJW 1964, 1338). Klausurenpool SPB 1b Arbeit und Soziales im Unternehmen 9/13 Juristische Fakultät Lehrstuhl Prof. Dr. Hermann Reichold Prof Dr. Hermann Reichold • Für einen willkürlichen Ausschluss der Leiharbeiter von der Wahl ist vorliegend aber nichts ersichtlich. Aufgrund der Schwierigkeiten bei der Bestimmbarkeit des Wahlrechts von LeihArbNn kann jedenfalls weder von einem offensichtlichen noch von einem besonders groben Verstoß gegen Wahlvorschriften ausgegangen werden (BAG v. 22.3.2000, NZA 2000, 1119). Die Wahl ist damit vorliegend nicht nichtig (aA vertretbar) Anfechtbarkeit Die Wahl könnte aufgrund der Nichtberücksichtigung der LeihArbN anfechtbar sein. Dazu müsste sich der vorliegende Verstoß gegen Wahlvorschriften auf das Ergebnis ausgewirkt haben (§ 19 Abs. 1 aE BetrVG) Die kann hier nicht abschließend beurteilt werden. Hinsicht der Zahl Betriebsratsmitglieder der ändert Nichtberücksichtigung nichts, zu sich da die wählenden wegen der LeihArbN im Rahmen des § 9 BetrVG nicht zu berücksichtigen sind. Dem Sachverhalt ist aber nicht zu entnehmen, wie die LeihArbN ob die Beteiligung der LeihArbN ggf. Auswirkungen auf das Wahlergebnis gehabt hätten. Die kann aber auch dahinstehen bleiben. Eine Anfechtung (§ 19 Abs. 1) ist bisher noch nicht erfolgt. Selbst bei erfolgreicher Anfechtung ändert sich Klausurenpool SPB 1b Arbeit und Soziales im Unternehmen 10/13 Juristische Fakultät Lehrstuhl Prof. Dr. Hermann Reichold Prof Dr. Hermann Reichold die Rechtslage nur für die Zukunft. Eine Rückwirkung gibt es nicht. Der einmal gewählte Betriebsrat bleibt bis zur gerichtlichen Entscheidung betriebsverfassungsrechtlichen mit allen Befugnissen im Amt (BAG v. 13.3.1991, NZA 1991, 946). Damit besteht hier ein wirksam gewählter Betriebsrat, mit dem ggf. Verhandlungen zu führen gewesen wären. o Streichung des Urlaubs- und Weihnachtsgelds mitbestimmungspflichtig nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG? Grundsatz: Nur das „wie“ und nicht das „ob“ einer Entgeltleistung unterfällt § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG Hier: eigentlich totale Einstellung der Leistung ABER: durch die Einstellung bei nur einem Teil der Mitarbeiter (die anderen bekommen ja ohnehin schon nichts) wird die Vergütungsstruktur geändert. Eine solche „betriebliche Vergütungsordnung“ kann auch vom Betriebserwerber nicht mitbestimmungsfrei geändert werden. Dieser Mitbestimmungsrecht nach ist § bis 87 zu Abs. einer 1 dem BetrVG genügenden Änderung zur Fortführung der im Betrieb bestehenden Vergütungsordnung verpflichtet (BAG v. 8.12.2009, NZA 2010, 404, aA Reichold, FS Picker, S. 1079, 1084) Klausurenpool SPB 1b Arbeit und Soziales im Unternehmen 11/13 Juristische Fakultät Lehrstuhl Prof. Dr. Hermann Reichold Prof Dr. Hermann Reichold o Auswirkungen auf die Wirksamkeit der Änderungskündigung Grundsatz: Theorie der Wirksamkeitsvoraussetzungen Die ArbN belastende Maßnahmen sind nur wirksam, wenn zuvor das Mitbestimmungsverfahren abgeschlossen wurde (z.B. BAG v. 31.1.1984, NZA 1984, 167) ABER: Nach kollektivrechtliche neuerer noch Rspr. das ist weder das individualrechtliche Erfordernis vorrangig. Die Änderungskündigung ist zwar – bei Vorliegen einer sozialen Rechtfertigung – wirksam, aber bis zur Herbeiführung einer Einigung mit dem Betriebsrat nicht durchsetzbar („Theorie der Durchsetzbarkeitsvoraussetzung“, BAG v. 17.6.1998, NZA 1998, 1225, a.A. gut vertretbar) • Dringende betriebliche Erfordernisse? o Gleichstellung als betriebliches Erfordernis? (-), der allgemeine Gleichbehandlungsgrundsatz zwingt den ArbG nicht, eine Anpassung zugunsten der übernommen Mitarbeiter bzw. der Stammbelegschaft vorzunehmen (BAG v. 31.8.2005, NZA 2006, 265). Ebenso wenig kann dieser allein Grundsatz daher kein dringendes Betriebliches Erfordernis für die Änderungen der Arbeitsbedingungen darstellen (vgl. BAG v. 6.12.1978, NJW 1980, 1304). o Andere betriebliche Erfordernisse sind nicht ersichtlich (vgl. zu den Anforderungen an eine Änderungskündigung zur Klausurenpool SPB 1b Arbeit und Soziales im Unternehmen 12/13 Juristische Fakultät Lehrstuhl Prof. Dr. Hermann Reichold Prof Dr. Hermann Reichold Entgeltabsenkung BAG v. 20.8.1998, NZA 1999, 255; ist die 12.1.2006, NJW 2006, 3805) Mangels dringender betrieblicher Erfordernisse Änderungskündigung sozial nicht gerechtfertigt und damit unwirksam. • Hilfsweise: Fehlende Durchsetzbarkeit der Änderung der Vertragsbedingungen (BAG v. 17.6.1998, NZA 1998, 1225) Aufgrund der Unwirksamkeit der Änderungskündigung ist die Klage des A auch begründet. Ergebnis: Die zulässige und begründete Klage des A hat Aussicht auf Erfolg Klausurenpool SPB 1b Arbeit und Soziales im Unternehmen 13/13