ULF - Hausarbeiten und Klausurensammlung

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ULF - Hausarbeiten und Klausurensammlung
Die große Hausarbeiten- und
Klausurensammlung
3. Auflage
Komplette Sammlung für das Zivilrecht,
Strafrecht und Öffentliche Recht
3 Originalklausuren
3 Originalhausarbeiten
Nur von deiner Studentenvertretung
- ULFUnabhängige Liste Fachschaft Jura
Inhaltsverzeichnis
Vorwort .................................................................................................................................... 1
Hausarbeit im Zivilrecht
(1. Hausarbeit in der Übung für Anfänger bei Prof. Reichold im WS 04/05) ......................... 3
Hausarbeit im Strafrecht
(1. Hausarbeit in der Übung für Anfänger bei Prof. Günther und Prof. Haft im WS 04/05). 31
Hausarbeit im öffentlichen Recht
(1. Hausarbeit in der Übung für Anfänger bei Prof. Graf Vizthum im WS 03/04)................ 67
Klausur im Zivilrecht
(1. Klausur in der Übung für Anfänger bei Prof. Reichold im WS 04/05) .......................... 107
Klausur im Strafrecht
(1. Klausur in der Übung für Anfänger bei Prof. Günther und Prof. Haft im WS 04/05) ... 112
Klausur im öffentlichen Recht
(Abschlussklausur in der Übung für Anfänger bei Prof. Remmert im WS 04/05) .............. 121
Big Points für die Hausarbeit ............................................................................................... 128
Big Points für die Klausur.................................................................................................... 130
Übersicht zum Gutachtenstil ................................................................................................ 132
Leitfaden zur Remonstration................................................................................................ 134
Impressum
Unabhängige Liste Fachschaft (ULF) der Eberhardt-Karls-Universität Tübingen
c/o Dekanat Juristische Fakultät
Wilhelmstraße 7, 72074 Tübingen
Fon: 07071/2974547
E-mail: [email protected]
Homepage: www.jura.uni-tuebingen.de/ulf
Redaktion: Julia Koch, Jochen Rauber, Thomas Pflock, Alex Wild, Pascal Ludwig
Layout: Pascal Ludwig
Druck: Mails and More • Doppeinstraße 2 • A-3441 Baumgarten • www.mailsandmore.at
®
ULF- Unabhängige Liste Fachschaft Jura
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JURA NOT ALONE!
Vorwort
Liebe Kommilitoninnen und Kommilitonen!
Die Hausarbeiten- und Klausuren-Sammlung, die Ihr hier vorliegen habt, stellt einen Versuch
von ULF dar, Euch eine Hilfestellung beim Schreiben Eurer ersten Hausarbeiten und
Klausuren zu bieten.
Wir haben aus jedem der drei Rechtsgebiete (Zivilrecht, Strafrecht und öffentliches Recht) je
eine Klausur und eine Hausarbeit, die in vergangenen Semestern in der jeweiligen AnfängerÜbung gestellt, wurden ausgewählt und hier veröffentlicht. Die Arbeiten waren nicht in jedem
Fall die jeweils bestbenoteten und stellen somit auch keine Musterlösung für den jeweiligen
Fall dar. Auch haben wir sie nicht ausgewählt, weil sich an ihnen irgendetwas besonders gut
zeigen ließe. Es sollen einfach Beispiele dafür sein, was Euch erwartet. Durch die
abgedruckte Lösung eines Kommilitonen könnt Ihr erkennen, wie eine Klausur oder eine
Hausarbeit aufgebaut wird und welche Inhalte ungefähr erwartet werden. Darum haben wir
auch größtenteils die Rand- und Schlussbemerkungen des Korrektors eingefügt. Da es vor
allem bei den Hausarbeiten auch sehr auf die äußere Form ankommt, haben wir diese mit
Deckblatt, Gliederung und Literaturverzeichnis abgedruckt. Aber auch hier gilt: es sind nur
Beispiele und nicht die allselig machende Lösung.
Zur Hilfe bei der Erstellung und Formatierung einer Hausarbeit haben wir auch noch ein
Merkblatt zusammengestellt, das die wichtigsten Punkte darstellt.
Zwei Seiten widmen sich dem schreiben von Klausuren. Hier gibt es Tipps zu Formalien,
Herangehensweise und Stil.
Das Grundwissen zum Gutachtenstil, dem wichtigsten Werkzeug beim Schreiben von
juristischen Arbeiten im Studium, versuchen wir Euch in einem kurzen Überblick näher
zubringen.
Sollte am Ende doch alles vergeblich gewesen sein und die Klausur oder Hausarbeit nicht
bestanden sein, so ist ja noch nicht aller Tage Abend. Solltet Ihr der Auffassung sein, das die
schlechte Bewertung nicht an Eurer Leistung, sondern an der des Korrektors lag (was wir sehr
hoffen J ), so bleibt Euch immer noch die Möglichkeit der Remonstration. Auch hierzu haben
wir ein Merkblatt beigefügt.
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JURA NOT ALONE!
Diese Sammlung will und kann Fallbücher, wie es sie im Seminar, der UB oder im
Buchhandel gibt, nicht ersetzen. Sie soll Euch nur einen Einblick in die Inhalte und die Form
der Anfängerübungen bieten. Solltet Ihr Fragen zu Hausarbeiten und Klausuren haben könnt
Ihr Euch gerne an uns wenden. Wir werden Euch so gut es geht zu helfen versuchen. Kommt
einfach in unsere Sprechstunde oder schreibt eine E-Mail an [email protected]. Nur
über das Inhaltliche einer laufenden Hausarbeit dürfen wir Euch natürlich nichts sagen! J
Anders als das einheitliche Pseudonym Martin Mustermann erwarten lässt, stammen die
Arbeiten von unterschiedlichen Personen. Vielen Dank an alle die sich bereit erklärt haben,
ihre Arbeit uns zur Verfügung zu stellen. Ein Lob haben auch die verdient, die die Arbeiten
am Computer für eine Veröffentlichung vorbereitet haben.
Euer ULF-Team wünscht Euch viel Glück und Erfolg bei Euren Anfängerübungen und
natürlich auch im weiteren Studium.
Tübingen, im Juni 2005
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Martin Mustermann
Wilhelmstr. 7
72074 Tübingen
Mat.Nr.: 1234567
2. Fachsemester
JURA NOT ALONE!
Tübingen, den 1. Oktober 2004
Übung im bürgerlichen Recht
für Anfänger
1. Hausarbeit
bei Prof. Dr. Hermann Reichold
im WS 2004/2005
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JURA NOT ALONE!
SACHVERHALT:
Manfred Naiv (M) und sein langjähriger Freund D wollen eine eingetragene Lebenspartnerschaft
begründen. Zur Feier dieses Ereignisses planen sie ein kleines Fest im engsten Familienkreis und
suchen hierfür einen passenden Raum. Die 85jährige Witwe Penibel (P) stellt regelmäßig einen
geschmackvoll eingerichteten Nebenraum ihrer Villa für Privatfeiern zur Verfügung. Sie hat ihre
Haushälterin Resi (R) mit der Vermietung betraut. R ist berechtigt, im Namen der P den Nebenraum zu
vermieten. P hat sie lediglich angewiesen dafür zu sorgen, dass keine „unzüchtigen“ Veranstaltungen in
ihrem Hause stattfinden.
Über seine weitläufige Verwandtschaft wird M auf den Nebenraum in der Villa der P aufmerksam. M
erfährt auch, dass R im Auftrag der P den Raum vermietet. Die Anweisung der P in Bezug auf die Art
der Veranstaltungen ist M allerdings nicht bekannt. Am 7. Juni wendet er sich an R und bittet sie, ihm
den Raum zur Feier seiner „Hochzeit“ am 10. September von 14.00 bis 24.00 Uhr zu überlassen. R freut
sich darauf, eine Braut im Brautkleid zu sehen, verzichtet aber aus Diskretion darauf, nähere
Informationen von M zu erhalten. R vermietet den Nebenraum für den üblichen Betrag von € 100,- an M.
Die schriftliche Terminbestätigung, die sie M sofort aushändigt, enthält den Vermerk „Familienfeier“ und
die Unterschrift der R - versehen mit dem Kürzel „i.A.“.
Vier Wochen später erfährt P von ihrer Nachbarin, dass es sich bei der „Hochzeit“ in Wirklichkeit um die
Feier einer eingetragenen Lebenspartnerschaft handle. Sie ist entsetzt. Am 5. Juli teilt sie in einem Brief
an M mit, sie nehme Abstand von dem Mietvertrag. Ihre Haushälterin R sei nicht berechtigt gewesen,
den Raum für eine derart skandalöse Veranstaltung zur Verfügung zu stellen. Nun ist M seinerseits
empört. Er hatte nicht damit gerechnet, dass eine Privatperson, die einen Raum für Festlichkeiten
vermietet, Anstoß am Anlass seiner Feier nehmen könnte. Auch hatte er die Einladungen zur Feier
bereits gedruckt und versandt. Einen anderen, ähnlich passenden Raum würde er hier nicht finden. M
fragt sich, ob er einen Anspruch auf Überlassung des Raums hat. Ein befreundeter Jurastudent, an den
er sich in seiner Verzweiflung wendet, meint, er solle sich keine Sorgen machen, P könne sich von dem
Vertrag nicht lösen. Es spiele vor allem keine Rolle, welche Vorgaben die R von P hinsichtlich der
Vermietung erhalten habe.
Die Familie des M bereitet sich währenddessen auf die Feier vor.
Die Mutter des M, Gesine Naiv (G), braucht noch eine Bluse. Bei einem Stadtbummel mit ihrem jüngeren
Sohn, dem 17jährigen Simon (S), entdeckt G in der Boutique des V ein passendes Modell zum Preis von
€ 65,-. Nach der Anprobe bittet G den Inhaber, die Bluse 30 Minuten lang für sie zu reservieren, da sie
wegen der Höhe des Preises etwas Bedenkzeit brauche. Als G in einem anderen Damengeschäft eine
ähnliche, allerdings etwas zu bunt gemusterte Bluse für € 50,- entdeckt, schickt sie S in das Geschäft
des V zurück. S soll V mitteilen, dass sie die zurückgelegte Bluse nehme, wenn V sie ihr für den Preis
von € 55,- überlasse. S ist nicht gerade erfreut darüber, von G in die bei ihr übliche „Feilscherei“
einbezogen zu werden. Obwohl er solche Aufträge bisher stets gewissenhaft und zur vollen
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Zufriedenheit der G ausgeführt hat, beschließt er, sie dieses Mal zu ärgern. Er teilt V wahrheitswidrig mit,
G sei so begeistert von der Bluse, dass sie zwei Stück nehme, wenn V sie für € 55,- pro Stück
überlasse. V freut sich, dass er die zwei letzten Modelle dieser Bluse verkaufen kann, und akzeptiert. S
teilt G anschließend nur kurz mit, dass V einverstanden sei, und verschwindet. Als G in der Boutique
„ihre“ Bluse abholen möchte, besteht V auf Zahlung von zwei Blusen zu je € 55,-. G lehnt dies empört
ab. Ihr Sohn habe sich wohl einen Scherz erlaubt. Dafür werde sie nicht einstehen. V ist ebenfalls
verärgert. Er hätte in der Zwischenzeit eine der Blusen an eine andere Kundin für € 65,- verkaufen und
dabei einen Gewinn von € 30,- machen können. V fragt, was er von G oder von S verlangen kann.
Aufgabe:
In einem Rechtsgutachten sind alle aufgeworfenen Fragen, ggf. im Wege eines Hilfsgutachtens,
zu erörtern. Dabei sollen deliktsrechtliche Ansprüche und Ansprüche, die auf § 311 Abs. 2 und
3 BGB beruhen, nicht erörtert werden.
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GLIEDERUNG:
BIBLIOGRAPHIE ..................................................................................................................... IV
GUTACHTEN ............................................................................................................................ 1
1. TATKOMPLEX – DIE ANMIETUNG DES RAUMES .................................... 1
ANSPRUCH DES M GEGEN P AUF ÜBERLASSUNG DER MIETSACHE NACH
§ 535 I BGB ...............................................................................................................................
1
A. Anspruch entstanden ................................................................................................................. 1
I. Mietvertrag gemäß § 535 geschlossen ............................................................................ 1
1. Angebot des M durch Bitte um Vermietung ...................................................... 1
2. Annahme durch Willenserklärung der P ............................................................ 1
a. Annahme durch P selbst ......................................................................... 1
b. Annahme durch R ................................................................................... 1
i. Annahmeerklärung ...................................................................... 1
ii. Wirksame Stellvertretung der P für R gemäß § 164 .................. 2
c. Zwischenergebnis ................................................................................... 4
3. Vertragsschluss .................................................................................................. 4
II. Nichtigkeit wegen verstecktem Einigungsmangel gemäß § 155 ................................... 4
III. Nichtigkeit wegen Sittenwidrigkeit § 138 .................................................................... 5
IV. Vernichtung durch Anfechtung gemäß § 142 I ............................................................ 5
V. Zwischenergebnis ......................................................................................................... 8
B. Anspruch untergegangen ........................................................................................................... 8
C. Anspruch durchsetzbar .............................................................................................................. 8
D. Ergebnis .................................................................................................................................... 8
2. TATKOMPLEX – DER KAUF DER BLUSE(N) .............................................. 9
ANSPRUCH DES V GEGEN G AUF ABNAHME DER KAUFSACHE
UND KAUFPREISZAHLUNG AUS § 433 II ......................................................................... 9
A. Anspruch entstanden ................................................................................................................. 9
I. Kaufvertrag gemäß § 433 geschlossen ........................................................................... 9
1. Angebot des V durch Ausstellen der Ware ......................................................... 9
2. Angebot der G durch Bitte um Reservierung ..................................................... 9
3. Angebot der G durch Schicken des S ................................................................. 10
I
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a. Angebotsabgabe durch G selbst .............................................................. 10
b. Angebotabgabe durch S .......................................................................... 10
i. S als Stellvertreter der G ............................................................. 10
ii. S als Erklärungsbote der G ......................................................... 10
iii. Zurechnung des Handelns eines "Pseudoboten"? ..................... 11
iv. Angebotsabgabe ......................................................................... 13
4. Kaufvertragsschluss ........................................................................................... 13
5. „An-sich-ziehen“ des Vertrags gemäß § 177 I ................................................... 13
II. Zwischenergebnis .......................................................................................................... 14
B. Ergebnis ..................................................................................................................................... 14
ANSPRUCH DES V GEGEN S AUF ERFÜLLUNG ODER SCHADENSERSATZ AUS
§ 179 ............................................................................................................................................. 14
A. Anspruch entstanden ................................................................................................................. 14
I. Vertragsschluss ohne Vertretungsmacht gemäß § 179 I ................................................. 14
II. Haftungssausschluss nach § 179 III 2 .......................................................................... 14
III. Zwischenergebnis ........................................................................................................ 15
B. Ergebnis .................................................................................................................................... 15
II
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JURA NOT ALONE!
BIBLIOGRAPHIE:
Bork, Reinhard
J. von Staudingers Kommentar zum
Bürgerlichen Gesetzbuch
Band 4, §§ 134 - 163
13. Bearbeitung
Berlin, 1995-2003
Brox, Hans
Erman – Bürgerliches Gesetzbuch
Band 1, §§ 1 - 811
12.Auflage
Münster, 2004
Zit.: „Erman/Brox, § 139, Rdn.1;“
Brudermüller, Gerd
Palandt – Bürgerliches Gesetzbuch
63. Auflage
München, 2004
Zit.: „Palandt/Brudermüller, Einl.v. § 1297,
Rdn.1;“
Canaris, Claus-Wilhelm
Geschäfts- und Verschuldensfähigkeit bei
Haftung aus „culpa in contrahendo“,
Gefährdung und Aufopferung
NJW, 17. Jahrgang
München, 1964
Zit.: „Canaris, NJW 1964, S.1987(1988);“
Eneccerus, Ludwig
Nipperdey, Hans-Carl
Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts
Band : Entstehung, Veränderung und Untergang
der Rechte
15. Auflage
Tübingen, 1960
Zit.: „Eneccerus/Nipperdey, BGB/II, § 178, 1c,
S.1089f.;“
Diederichsen, Uwe
Der logische Dissens
in: Festschrift zum 125-Jährigen Bestehen der
juristischen Gesellschaft zu Berlin
Berlin, 1984
Zit.: „Diederichsen, FS-JGBerlin, S.81(89);“
Erman, Walter
Erman – Bürgerliches Gesetzbuch
12.Auflage
Münster, 2004
Zit.: „Erman/Brox, § 139, Rdn.1;“
Flume, Werner
Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts
Heidelberg, 1992
4. Auflage
Zit.: „Flume, BGB AT/II, § 35 I 1.;“
III
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JURA NOT ALONE!
Giesen, Dieter
Die Stellvertretung
Jura, 13. Jahrgang
Berlin 1991
Zit.: „Giesen/Hegermann, Jura 1991, S.357
(358);“
Hefermehl, Wolfgang
Erman – Bürgerliches Gesetzbuch
Band 1, §§ 1 - 811
12.Auflage
Münster, 2004
Zit.: „Erman/Hefermehl, § 145 Rn. 3.;“
Hefermehl, Wolfgang
Soergel – Bürgerliches Gesetzbuch
Band 2, §§ 104 - 240
Stuttgart, 1999
Zit.: „Soergel/Hefermehl, § 123, Rdn.2;“
Hegermann, Philip
Die Stellvertretung
Jura, 13. Jahrgang
Berlin 1991
Zit.: „Giesen/Hegermann, Jura 1991, S.357
(358);“
Heinrichs, Helmut
Palandt – Bürgerliches Gesetzbuch
63. Auflage
München, 2004
Zit.: „Palandt/Heinrichs, § 123, Rdn.2;“
Hupka, Josef
Die Haftung des Vertreters ihne
Vertretungsmacht
Leipzig, 1903
Zit.: „Hupka, Haftung des VoVm, S.108f.;“
Jung, Ute
Die Einigung über die „essentialia negotii“ als
Voraussetzung für das Zustandekommen eines
Vertrages
JuS, 38. Jahrgang
München, 1999
Zit.: „Jung, JuS 1999, S.28;“
Köhler, Helmut
BGB – Allgemeiner Teil
28. Auflage
München, 2004
Zit.: „Köhler, BGB AT, § 11, Rdn.6;“
Kramer, Ernst
Münchener Kommentar zum Bürgerlichen
Gesetzbuch
Band 1, §§ 1 - 240
4. Auflage
München, 2001
Zit.: „MüKo/Kramer, § 155, Rdn.7;“
IV
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Krings, Günter
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JURA NOT ALONE!
Die „eingetragene Lebenspartnerschaft“ für
gleichgeschlechtliche Paare
ZRP, 33. Jahrgang
München, 2000
Zit.: „Krings, ZRP 2000, S.409 (Fn.14);“
Laband, Paul
Die Stellvertretung bei dem Abschluss von
Rechtsgeschäften nach dem ADHGB
in: Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht
Erlangen, 1866
Zit.: „Laband, ZHR 10, S.183(206);“
Larenz, Karl
Wolf, Manfred
Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts
9. Auflage
Münchren, 2004
Zit.: „Larenz/Wolf, BGB AT, § 7 C II d 2 ee, S.
326;“
Leptien, Ulrich
Soergel – Bürgerliches Gesetzbuch
Band 2, §§ 104 - 240
Stuttgart, 1999
Zit.: „Soergel/Leptien, § 164, Rdn.44;“
Marburger, Peter
AbsichtlicheFalschübermittlung und
Zurechnung von Willenserklärungen
AcP 173
Tübingen, 1973
Zit.: „Marburger, AcP, 173, 137ff.;“
Medicus, Dieter
Allgemeiner Teil des BGB
8. Auflage
Heidelberg, 2002
Zit.: „Medicus, BGB AT, § 48, Rdn.749;“
Oertmann, Paul
Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch und
seinen Nebengesetzen
Band 1, Allgemeiner Teil
3. Auflage
Berlin, 1927
Zit.: „Oertmann, § 177, Anm.7;“
Palandt, Otto
Palandt – Bürgerliches Gesetzbuch
63. Auflage
München, 2004
Zit.: „Palandt/Heinrichs, § 123, Rdn.2;“
Palm, Heinz
Erman – Bürgerliches Gesetzbuch
Band 1, §§ 1 - 811
12.Auflage
Münster, 2004
Zit.: „Erman/Palm, § 119, Rdn.2;“
V
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Pauly, Walter
Sperrwirkungen des verfassungsrechtlichen
Ehebegriffs
NJW, 50. Jahrgang
München, 1997
Zit.: „Pauly, NJW 1997, S.1955(1956);“
Petersen, Jens
Bestand und Umfang der Vertretungsmacht
Jura, 25.Jahrgang
Berlin, 2003
Zit.: „Petersen, Jura 2003, S.310(311);“
Prölss, Jürgen
Haftung bei der Vertretung ohne
Vertretungsmacht
JuS, 26. Jahrgang
München. 1986
Zit.: „Prölss, JuS 1986, S.169(172);“
Rüthers, Bernd
Stadler, Astrid
Allgemeiner Teil des BGB
13. Auflage
München, 2003
Zit.: „Rüthers/Stadler, § 30, Rdn.2;“
Schramm, Karl-Heinz
Münchener Kommentar zum Bürgerlichen
Gesetzbuch
Band 1, §§ 1 - 240
4. Auflage
München, 2001
Zit.: „MüKo/Schramm, Vor § 164, Rdn.46a;“
Schreiber, Klaus
Grundbegriffe des BGB – Allgemeiner Teil:
Willenserklärung, Vertrag, Rechtsgeschäft
Jura, 21. Jahrgang
Berlin, 1999
Zit.: „Schreiber, Jura 1999, S.275 f.“
Schwung, Siegfried
Die Verfälschung von Willenserklärungen durch
den Boten
JA, 15. Jahrgang
Neuwied, 1983
Zit.: „Schwung, JA 1983, S.12ff.;“
Soergel, Hans-Theodor
Soergel – Bürgerliches Gesetzbuch
Stuttgart, 1999
Zit.: „Soergel/Leptien, § 164, Rdn.44;“
Staudinger, Julius von
J. von Staudingers Kommentar zum
Bürgerlichen Gesetzbuch
13. Bearbeitung
Berlin, 1995-2003
Zit.: „Staudinger/Dilcher, § 120, Rdn.9;“
VI
ULF- Unabhängige Liste Fachschaft Jura
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JURA NOT ALONE!
Steffen, Erich
Das Bürgerliche Gesetzbuch
Band 1, §§ 1 – 240
12. Auflage
Berlin, 1982
Zit.: „RGRK/Steffen, Vor.§ 164, Rdn.32;“
Venrooy, Gerd von
Zur Dogmatik von §179 Abs.3 Satz 2 BGB
AcP, 181
Tübingen, 1981
Zit.: „van Venrooy, AcP 181, S.220(231);“
Wolf, Manfred
Soergel – Bürgerliches Gesetzbuch
Band 2, §§ 104 - 240
Stuttgart, 1999
Zit.: „Soergel/Wolf, § 155, Rdn.9;“
VII
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JURA NOT ALONE!
1. TATKOMPLEX – DIE ANMIETUNG DES RAUMES
ANSPRUCH DES M GEGEN P AUF ÜBERLASSUNG DER
MIETSACHE NACH § 535 I BGB1
M fragt sich, ob er gegen P einen Anspruch auf Überlassung des
Raumes hat. Als Grundlage hierfür kommt § 535 I in Betracht.
A. Anspruch entstanden
Dazu muss der Anspruch zunächst entstanden sein.
I. Mietvertrag gemäß § 535 geschlossen
Voraussetzung dafür ist ein zwischen den Parteien geschlossener
Mietvertrag gemäß § 535. Der Abschluss eines Vertrages setzt
sich aus zwei übereinstimmenden Willenserklärungen – Angebot
und Annahme – zusammen.
1. Angebot des M durch Bitte um Vermietung
Die Bitte des M, ihm den Raum zur Feier seiner „Hochzeit“
während einer festgelegten Nutzungszeit zu vermieten, enthält
alle notwendigen Bestandteile zum Abschluss eines Vertrages
(essentialia negotii2); er hat somit ein wirksames Angebot
abgegeben.
2. Annahme durch Willenserklärung der P
Problematisch ist, ob P das unterbreitete Angebot auch
angenommen hat.
a. Annahme durch P selbst
Eine Annahme durch P selbst erfolgte nicht.
b. Annahme durch R
Möglicherweise hat aber R anstelle der P das Angebot des M
wirksam angenommen. Das setzt voraus, dass R ihrerseits die
Annahme erklärte und dabei als Stellvertreterin der P handelte.
i. Annahmeerklärung
Zunächst stellt sich die Frage, ob R das Angebot des M
angenommen hat. Eine Annahmeerklärung liegt vor, wenn
zwischen beiden Parteien eine Einigung über die essentialia
1
§§ ohne Gesetzesbezeichnung sind im Folgenden solche des BGB.
Jung, JuS 1999, S.28;
2
Am Ende der Fußnoten
besser einen Punkt
setzen
1
ULF- Unabhängige Liste Fachschaft Jura
negotii
des
- 14 Vertrags
erfolgt
3
ist .
Fehlt
JURA NOT ALONE!
es an einer
Übereinstimmung in diesen Punkten, so liegt ein Totaldissens4
(auch logischer Dissens5) vor; ein Vertragsschluss ist dann wegen
Perplexität nicht gegeben. M bat um Vermietung für seine
Hochzeit, während die von R verfasste Bestätigung auf den
Vertagszweck „Familienfeier“ rekuriert. Die Zusicherung einer
Eigenschaft betrifft aber lediglich einen vertraglichen Nebenpunkt
Gut!
(gehört also zu den accidentialia negotii6) und ist nicht
wesentlicher Vertragsbestandteil. Über die wesentlichen Teile –
Vertragsart, Leistung der Parteien, Mietzeit- und Gegenstand –
erfolgte eine Einigung zwischen M und R. Im Ergebnis lässt sich
daher festhalten, dass eine Annahmeerklärung durch R erfolgte.
ii. Wirksame Stellvertretung der P für R gemäß § 164
Voraussetzung für die Möglichkeit eines Vertragsschlusses ist
überdies, dass P durch R im Sinne von § 164 wirksam vertreten
wurde.
(1)Das Wirken eines Stellvertreters ist immer dann zulässig, wenn
wie hier im Fall der Vertetung zum Abschluss eines
Mietvertrages, keine höchstpersönlichen Rechtsgeschäfte des
Vertretenen betroffen sind7.
(2)Charakteristisch für ein Tätigwerden als Stellvertreter, ist das
entäußern einer eigenen Willenserklärung, während der Bote
lediglich
eine
fremde
Willenserklärung
überbringt8.
Problematisch könnte sein, dass R mit „i.A.“ unterschrieben hat,
was regelmäßig ein Auftreten als Erklärungsbote signalisiert,
während bei Verteterhandeln mit „i.V.“ unterzeichnet werden
müsste9. Entscheidend ist, ob aus der objektiven Sicht des
Empfängers dem äußeren Auftreten des Erklärenden zu
entnehmen ist, ob dieser als Bote oder Vertreter handelt10. R fällte
offensichtlich eine eigene Entscheidung, als sie den Raum, ohne
3
Staudinger/Bork, § 145, Rdn.17;
MüKo/Kramer, § 155, Rdn.7;
5
Diederichsen, FS-JGBerlin, S.81(89);
6
Diederichsen, FS-JGBerlin, S.81(90);
7
vgl. Köhler, BGB AT, § 11, Rdn.6;
8
Giesen/Hegermann, Jura 1991, S.357(358);
9
Soergel/Leptien, § 164, Rdn.44; BGH NJW 1988, S.210;
10
BGHZ, S.327(334); Eneccerus/Nipperdey, BGB/II, § 178, 1c, S.1089f.;
RGRK/Steffen, Vor.§ 164, Rdn.32;
4
2
- 15 JURA NOT ALONE!
Rückfrage an P, vermietete. Sie gab somit eine eigene
ULF- Unabhängige Liste Fachschaft Jura
Willenserklärung ab.
(3)Weiter ist notwendig, dass R im Namen der P handelte. Die
erforderliche Offenkundigkeit der Vertretung ist gemäß § 164 I 2
auch dann gewahrt, wenn sich die Vertretung aus den Umständen
ergibt; der Name des Vertretenen braucht nicht genannt zu
werden11. M ist die Tatsache, dass R im Namen der P die
Raumvermietung vornimmt bekannt, die Voraussetzungen sind
damit erfüllt.
(4)Die Wirkungen der Stellvertretung können nur eintreten, wenn R
gemäß § 164 I mit Vertretungsmacht gehandelt hat. Das ist der
Fall, wenn eine Vollmacht im Sinne von § 166 I erteilt und das
Handeln des Vertreters von deren Umfang umfasst ist12.
(a) Zunächst hatte P der R eine wirksame Innenvollmacht gemäß §
167 I 1.Var. erteilt.
Durch die Kennzeichnung der Bestätigungsurkunde mit „i.A.“
könnte sich ergeben, dass gemäß § 171 I eine Kundgabe nach
Außen
erfolgte.
Rechtsscheintatbestandes
Für
ist
die
hier
Schaffung
ausreichend,
wenn
eines
der
Kundgebungsakt durch den Bevollmächtigten vollzogen wird13.
Die von einer Gegenmeinung vertretene Ansicht, der zufolge eine
Aufdeckung nur durch den Vertretenen selbst vorgenommen
werden kann, ist abzulehnen; das angeführte Erfordernis stellt §
171 in keinster Weise auf. Vielmehr verlangt die Norm eine zur
Bekanntgabe „besondere Mitteilung“. Danach ist eine genaue
Kennzeichnung des Bevollmächtigten wie unter anderem die
Angabe von Name und Wohnort unerlässlich14. Die durch R
erfolgte handschriftliche Unterzeichnung der Terminbestätigung
erfüllt
diese
Voraussetzungen
nicht.
Die
bestehende
Innenvollmacht wurde somit nicht wirksam kundgegeben.
(b)Problematisch ist zudem, ob die von R getätigte Vermietung des
Raumes auch vom Umfang der Vertretungsmacht gedeckt ist.
Dem könnte die Einschränkung der P, der Raum dürfe nicht für
11
BGH Lindenmaier/Möhring, § 164, Nr.10;
Petersen, Jura 2003, S.310(311);
13
Soergel/Leptien, § 171, Rdn.3; MüKo/Schramm, § 171, Rdn.5;
14
RGZ 124, S. 386; RGJW 1929, S.576; BGH NJW 1956, 906;
12
3
- 16 JURA NOT ALONE!
„unzüchtige Veranstaltungen“ genutzt werden, entgegenstehen.
ULF- Unabhängige Liste Fachschaft Jura
Die
Einbeziehung
solcher
Klauseln
bei
privaten
Vertragsschlüssen bewegt sich im Rahmen der Privatautonomie
und ist durchaus zulässig. Weisungen des Vertretenen können auf
dem Vollmachtsumfang verschiedene Auswirkungen haben: Nach
Laband15
gilt
bei
Abstraktionsprinzip,
der
Stellvertretung
wonach
das
grundsätzlich
rechtliche
ein
Dürfen
in
Innenverhältnis vom rechtlichen Können im Außenverhältnis zu
unterscheiden ist. Eine Weisung die lediglich das Innenverhältnis
einschränkt
kann
danach
im
Außenverhältnis
keine
Bindungswirkung entwickeln. Bezieht sich die Weisung aber auf
die Vollmacht selbst, so zieht ein Überschreiten derselben einen
Verlust der Vertretungsmacht gemäß § 177 I nach sich16. Die
Bestimmung der P bezieht sich letzlich auf den Zweck des
Mietverhältnisses und entzieht dem Vertreter unter bestimmten
Umständen die Erlaubnis zu kontrahieren. Es ist somit von einer
Gut!
Beschränkung der Vollmacht auszugehen. Somit bleibt näher zu
untersuchen, ob R bei der Vermietung an M innerhalb der
Grenzen der ihr verliehenen Vollmacht gehandelt hat.
Maßgeblich ist hierbei, wie der Vertreter die Weisung des
Erteilenden
verstehen
durfte.
Die
Erklärung
des
Vollmachtsgebers ist nach Treu und Glauben, sowie nach der
Verkehrssitte gemäß §§ 133, 157 auszulegen17. Entscheidend ist
dabei der objektive Empfängerhorizont18. Eine genauere
Definition
ihres
Unzüchtigkeits-Verständnisses
äußert
P
gegenüber der R nicht. Es ist dem Sachverhalt auch nicht zu
entnehmen, dass R diesbezügliche Ansichten der P kennt.
Ausgehend von der gegenwärtigen Rechtslage, die das LPartG
zur
Schließung
verfassungsgemäß
Gut!
eingetragener
anerkennt19,
Lebenspartnerschaften
ist
anzunehmen,
dass
als
ein
objektiver Dritter eine Unzüchtigkeit der von M geplanten Feier
wohl verneinen würde. Eine Überschreitung des Umfangs der
15
Laband, ZHR 10, S.183(206);
Rüthers/Stadler, BGB AT, § 30, Rdn.23;
17
Petersen, Jura 2003, S.310(311);
18
BGHZ 124, S.64(67);
19
BVerfG NJW 2002, S.2543 ff.;
16
4
- 17 durch
Vermietung
ULF- Unabhängige Liste Fachschaft Jura
Vollmacht
Es steht allerdings noch
gar nicht fest, welchen
Inhlat der Mietvertrag
(Nutzungszweck) hat
zur
JURA NOT ALONE!
Feier
einer
gleichgeschlechtlichen Partnerschaft seitens der R kann somit
nicht konstatiert werden.
c. Zwischenergebnis
Das Angebot des M wurde durch R im Namen der P
angenommen.
3. Vertragsschluss
Zwischen den Parteien wurde ein Mietvertrag gemäß § 535
geschlossen.
II. Nichtigkeit wegen verstecktem Einigungsmangel gemäß § 155
Die Wirksamkeit des Vertrags kann allerdings an einem
versteckten Einigungsmangel im Sinne von § 155 scheitern. Das
ist dann der Fall, wenn die kontrahierenden Parteien, sich
unbewusst über einen Punkt nicht geeinigt haben, der für den
Bestand des Vertrages von Bedeutung war. Ein solcher
versteckter
Dissens
Parteienerklärungen
liegt
zwar
u.a.
dann
objektiv
ihrem
vor,
wenn
Wortlaut
die
nach
übereinstimmen, aber in einem abweichenden Bedeutungssinn
aufgefasst worden sind20, oder schon äußerlich von einander
abweichen21. Vor Feststellung eines Einigungsmangels ist der
Erklärungsinhalt auszulegen22. Ein Dissens nach § 155 könnte
sich hier dadurch ergeben, dass
die Parteien sich über den
Vetragszweck nicht oder nicht hinreichend genau geeinigt haben.
Möglicherweise wurde der Vertragszweck von M durch seine
Äußerung, er wolle seine „Hochzeit“ feiern bereits festgelegt. R
geht darauf allerdings nicht ein und bestätigt schriftlich die
Vermietung für eine „Familienfeier“. Hätte R dem Punkt, nur für
eine „Hochzeit“ zu vermieten wesentliches Gewicht beigemessen,
so hätte sie diesen Wunsch auch an M herantragen müssen23. Das
kann nur durch offene Willensäußerung geschehen24, R verzichtet
aber auf Klärung. Eine Auslegung nach §§ 133, 157 kommt
daraufhin zu dem Ergebnis, dass R durch ihr Abstellen auf eine
20
BGH Lindenmaier/Möhring, § 155, Nr.1; Soergel/Wolf, § 155, Rdn.9;
BHG Der Betrieb 1961, S.1020 f.;
22
BHG NJW 1961, S.1668(1669);
23
vgl. BGH WM 1966, S.16;
24
Soergel/Wolf, § 154, Rdn.4;
21
5
- 18 JURA NOT ALONE!
„Familienfeier“ ein „Mehr“ gegenüber des von M gewollten
ULF- Unabhängige Liste Fachschaft Jura
Vertragszwecks erklärt hat; der Begriff der „Hochzeit“ ist darin
als ein „Weniger“ beinhaltet. Die Vereinbarung wurde also über
Gut!
eine „Familienfeier“ geschlossen, ein dissentieren der Parteien
über den Vertragszweck kann mithin nicht festgestellt werden.
III.
Nichtigkeit wegen Sittenwidrigkeit § 138
Eine
Unwirksamkeit
des
Mietvertrages
zur
Feier
der
eingetragenen Lebenspartnerschaft wegen Verstoß gegen die
guten
Sitten
gemäß
angesprochenen
§
138,
ist
aufgrund
Verfassungsmäßigkeit25
des
der
bereits
LPartG
auszuschließen.
IV.
Vernichtung durch Anfechtung gemäß § 142 I
Die Nichtigkeit eines vorgenommenen Rechtsgeschäfts kann sich
zudem aus einer erfolgten Anfechtung nach § 142 I ergeben.
1. Die Annahme des Angebots durch R ist eine privatrechtliche
Willenserklärung und somit anfechtbar26.
2. P lies ihren Willen, das Geschäft nicht gegen sich gelten lassen zu
wollen durch ihren Brief an M deutlich erkennen, was für eine
Anfechtungerkärung nach § 143 I ausreicht27. Sie war als
diejenige für die die Willenserklärung durch einen Vertreter
abgegeben wurde auch anfechtungsberechtigt28.
3. Die Gültigkeit einer erfolgten Anfechtung bedingt zudem die
Einhaltung der Fristbestimmungen. So muss die Anfechtung
eines Irrtums gemäß § 121 unverzüglich ab Kenntniserlangung
des möglichen Willensmangels erfolgen; bei Anfechtung wegen
Drohung oder Täuschung ist ab Aufdeckung dazu ein Jahr Zeit,
wie aus § 124 I und II folgt. Der Willensmangel wurde P vier
Wochen nach Vertragsschluss bekannt. Noch am selben Tag ging
M die Anfechtungserklärung zu. Mögliche Fristerfordernisse sind
somit eingehalten.
4. Schließlich muss auch ein Anfechtungsgrund im Sinne des BGB
vorliegen. Hierbei sind gemäß § 166 potentielle Willensmängel
des Vertreters zu betrachten.
25
vgl. oben, A I 2 b ii (4) (b), S.4;
vgl. Erman/Palm, § 119, Rdn.2;
27
vgl. BGHZ 88, S.245; BGHZ 91, S.331;
28
vgl. Rüthers/Stadler, BGB AT, § 25, Rdn.17;
26
6
- 19 JURA NOT ALONE!
a. Möglicherweise kann P das vollzogene Rechtsgeschäft gemäß §
ULF- Unabhängige Liste Fachschaft Jura
123 I anfechten. Das ist dann der Fall, wenn pflichtwidrig wahre
Tatsachen unterdrückt werden oder aktiv ein Irrtum durch
Vorspiegeln falscher Tatsachen hervorgerufen wird29. Die
Täuschung muss sich gegen den Vertreter gerichtet haben30 und
zudem mit Arglist erfolgt sein.
i. Das Verschweigen von Tatsachen ist nur dann als Täuschung zu
werten,
wenn
hinsichtlich
dieser
eine
Aufklärungspflicht
besteht31. Es besteht grundsätzlich keine Pflicht, ungefragt alle
Umstände zu offenbaren die für die andere Seite von Bedeutung
sein
können32;
anderes
gilt,
wenn
diese
Faktoren
den
Vertragszweck vereiteln oder erheblich gefährden können33. Für
M ist nicht zu erkennen, dass für P der Vertragszweck davon
abhängen konnte, welcher Art die geplante Familienfeier ist. Im
Gegenteil, für ihn muss es den Anschein haben, dass R, die nicht
einmal die Feier der „Hochzeit“ als Vertragsbestandteil aufnimmt,
auf den genauen Gebrauchszweck keinen Wert legt. Die
Einschränkung die P gegenüber der R macht ist ihm nicht
bekannt. Eine Aufklärungspflicht ist mithin zu verneinen.
ii. M könnte R aber über den Vertragszweck getäuscht haben. Eine
aktive Täuschung erfolgt durch ein Verhalten das dazu dient bei
dem Gegenüber einen Irrtum hervorzurufen, der diesen zur
Abgabe einer Willenserklärung zu veranlasst34. M hat hier
möglicherweise dadurch, dass er den von ihm zugrunde gelegten
Wortsinn des Begriffs "Hochzeit" unberechtigterweise auch
seitens der R voraussetzte, diese über den Vertragszweck
getäuscht. R brachte mit der von M gewählten Bezeichnung die
"Hochzeit" zwischen Mann und Frau in Verbindung. Eine
Täuschung ist dann zu bejahen, wenn das Begehren des M seine
eingetragene Lebenspartnerschaft zu feiern, der von ihm
gewählten Formulierung auch nach allgemeinem Verständnis
29
Soergel/Hefermehl, § 123, Rdn.2; Palandt/Heinrichs, § 123, Rdn.2;
BGH 51, S.141(145);
31
RG 77, S.309(314); BGH Lindenmaier/Möhring, § 123, Nr.52;
32
BHG NJW 1971, S.1795(1799); BGH WM 1983, 1006(1007);
33
BHG NJW 1989, S.763(764); BGH NJW 1979, S.2243;
34
BGH NJW 1999, S.2804(2806);
30
7
- 20 nicht zu entnehmen war.
JURA NOT ALONE!
ULF- Unabhängige Liste Fachschaft Jura
Verbreiteten Definitionswerken zufolge ist unter dem Begriff der
"Hochzeit", die
"Feier der Eheschließung35" zu verstehen.
Rechtsprechung und juristische Literatur stellen klar, dass der
Begriff der Ehe wiederum strikt von dem der Lebenspartnerschaft
zu trennen ist36. Das allgemeine Verständnis speist sich aber noch
aus anderen Quellen: Es ist zuzugeben, dass der Hochzeitsbegriff
vereinzelt auch bereits auf die Vermählung gleichgeschlechtlicher
Paare angewendet wird. In der breiten medialen Diskussion fällt
allerdings
auf,
dass
zu
deren
Beschreibung
bewusst
Abwandlungen vom eigentlichen Ehe-Begriff benutzt werden
(z.B."Schwulen- oder Homoehe")37. Es ist somit festzustellen,
Fraglich, aber
vertretbar
dass
sich
die
Verwendung
des
Hochzeitsbegriffes
zwar
möglicherweise in einem Wandel befindet – mehrheitlich ist aber
davon auszugehen, dass das Verständnis wie M es bei R
voraussetzt noch nicht allgemein anerkannt ist.
M hat also eine falsche Tatsachenbehauptung aufgestellt und
damit bei R einen Irrtum über den Vertragszweck hervorgerufen.
Diese wurde also aktiv getäuscht.
iii. Die Täuschung muss aber darüberhinaus auch mit Arglist erfolgt
sein. Der Täuschende muss die Unrichtigkeit seiner Angaben
kennen38 und zudem in dem Bewusstsein handeln, dass die
Erregung eines Irrtums beim Getäuschten für die Abgabe einer
Willenserklärung ursächlich sein werde oder zumindest sein
könnte39. M hatte nicht damit gerechnet, dass Anstoß am Anlass
seiner Feier genommen werden könnte, es war für ihn aus dem
Auftreten der R auch nicht ersichtlich. M handelte somit gerade
nicht arglistig. Eine Anfechtbarkeit die sich auf eine Täuschung
im Sinne von § 123 beruft ist somit unberechtigt.
b. Unter Umständen ergibt sich ein Anfechtungsgrund aber aufgrund
eines Inhaltsirrtums gemäß § 119 I 1.Alt.. Das ist zu bejahen,
35
DUDEN Rechtschreibung; Brockhaus, Band 10, S.149;
BVerfG NJW 2002, S.2543(2548); Palandt/Brudermüller, Einl.v. § 1297, Rdn.1;
Pauly, NJW 1997, S.1955(1956);
37
So auch Krings, ZRP 2000, S.409 (Fn.14);
38
BGH NJW 2001, S.2326(2327);
39
BGH NJW 1957, S.988; BGH NJW 1971, S.1795(1800);
36
8
ULF- Unabhängige Liste Fachschaft Jura
wenn
- 21 JURA NOT ALONE!
Gewolltes und Erklärtes seitens des Abgebenden nicht
übereinstimmen, weil er sich eine falsche Vorstellung über die
rechtsgeschäftliche Bedeutung seiner Erklärung gemacht hat40.
Möglicherweise liegt der Sonderfall des Empfängerirrtums vor:
Ein solcher besteht, wenn der Erklärungsempfänger eine auf
einem Missverständnis beruhende Willenserklärung abgibt41.
Wurde die Erklärung lediglich auf einer falschen Grundlage
gebildet und fehlt es an einem Auseinanderfallen von Wille und
Erklärtem, so handelt es sich um einen unbeachtlichen
Motivirrtum42. Der Entschluss der R mit M zu kontrahieren fußte
auf dem Missverständnis des Begriffs "Hochzeit", dem wie oben
bereits
festgestellt43
durchaus
verschiedene
Bedeutung
zugemessen werden kann. R nahm an, den Raum für eine
Hochzeit zwischen Mann und Frau zu vermieten. Ihre als
Annahmeerklärung zu verstehende Bestätigung, rekurrierte aber
auf eine Familienfeier. Sie erklärte an dieser Stelle genau das, was
sie auch erklären wollte. Dass sie ihre Entscheidung deshalb traf,
weil sie eine Braut zu sehen hoffte ist lediglich ein Irrtum auf der
Motiv-Ebene und somit nicht anfechtbar.
c. Unter Umständen könnte sich eine Anfechtbarkeit aber daraus
ergeben, dass R die Homosexualität ihres Vertragspartners nicht
kannte. Es könnte sich hierbei um einen Eigenschaftsirrtum im
Sinne von § 119 II handeln. Ein solcher beachtlicher Motivirrtum
liegt unter anderem dann vor, wenn der Erklärende über
Eigenschaften mit Verkehrswesentlichkeit, die die mit ihm
kontrahierende
Person
betreffen,
im
Irrtum
ist.
Unter
Eigenschaften sind alle natürlichen Persönlichkeitsmerkmale zu
verstehen44.
Als
verkehrswesentlich
dürfen
nur
solche
Eigenschaften der Person berücksichtigt werden, die von dem
Erklärenden in irgendeiner Weise erkennbar dem Vertrag
zugrunde gelegt worden sind45. Die sexuelle Orientierung des
40
Soergel/Hefermehl, § 119, Rdn.17
Medicus, BGB AT, § 48, Rdn.749;
42
Rüthers/Stadler, BGB AT, § 25, Rdn.19;
43
vgl. oben, A II 4 a ii, S.6 f.;
44
BGHZ 88, S.240(245);
45
BGHZ 88, S.240(246);
41
9
- 22 JURA NOT ALONE!
Gegenübers spielte gegenwärtig gerade keine Rolle für die Frage
ULF- Unabhängige Liste Fachschaft Jura
des Vertragsschlusses; hätte M den Raum beispielsweise für einen
Geburtstag mieten wollen, wäre er P ohne Zweifel als
Vertragspartner wilkommen gewesen. Auch an dieser Stelle bietet
vgl. Anmerkung am Ende
sich der P also keine Anfechtungsmöglichkeit.
5. Eine Vernichtung des geschlossenen Vertrags kann sich mangels
Anfechtbarkeit auch aus § 142 I nicht ergeben.
V. Zwischenergebnis
Der Anspruch ist mithin entstanden.
B. Anspruch untergegangen
Gründe für den Untergang des Anspruchs liegen nicht vor.
C. Anspruch durchsetzbar
Der Anspruch ist auch durchsetzbar.
D. Ergebnis
M ist berechtigt, aus § 535 I die Überlassung des Raumes von
P zu verlangen.
vgl. Anmerkung am Ende
2. TATKOMPLEX – DER KAUF DER BLUSE(N)
ANSPRUCH DES V GEGEN G AUF ABNAHME DER
Zug um Zug gegen …
KAUFSACHE UND KAUFPREISZAHLUNG AUS § 433 II
V kann gegen G ein Anspruch auf Kaufpreiszahlung und
Abnahme der Kaufsache erwachsen sein, der sich auf § 433 II
stützt.
E. Anspruch entstanden
Das setzt zunächst voraus, dass der Anspruch entstanden ist.
I. Kaufvertrag gemäß § 433 geschlossen
Bedingung dafür ist, dass die Parteien einen Kaufvertrag gemäß
§ 433 geschlossen haben.
1. Angebot des V durch Ausstellen der Ware
Zunächst ist zu untersuchen, ob das Ausstellen der Bluse in der
Boutique des V bereits ein Angebot darstellt. Durch ein Angebot
muß der Wille zu einer rechtlichen Bindung zum Ausdruck
gebracht werden46. Es muß daher dem bekundeten Interesse des
Antragenden entsprechen, daß mit der Annahme seines Angebots
46
Palandt/ Heinrichs, § 145, Rn. 2.;
10
- 23 JURA NOT ALONE!
ein gültiger, ihn bindender Vertrag zustande kommt47. Fraglich ist wie
ULF- Unabhängige Liste Fachschaft Jura
diesbezüglich das Ausstellen von Waren
angeboten in Geschäftsräumen, dass
sich an eine unbestimmte Anzahl von Personen (ad incertas
personas) richtet zu bewerten ist. Der herrschenden Meinung48
zufolge stellt die Warenauslage in Selbstbedienungsläden
lediglich eine Aufforderung zur Angebotsabgebe (invitatio ad
offerendum) dar. Die Gegenmeinung49 die in dem Aufstellen der
Ware bereits ein Angebot mit Bindungswirkung sieht ist
abzulehnen: Für den Kaufmann besteht in der Regel kein
Kontrahierungszwang; es ist also nicht einzusehen, warum ihm zu
seinem Nachteil die Freiheit über seine Waren nach eigenem
Ermessen zu disponieren genommen werden sollte. Somit stellt
auch das Ausstellen in der Boutique des V noch kein Angebot dar.
2. Angebot der G durch Bitte um Reservierung
Unter Umständen hat G durch ihre Bitte, die ausgesuchte Bluse
für sie zu reservieren, ein Angebot abgegeben hat. Fraglich ist
die rechtliche Erheblichkeit dieser Äußerung. G handelte nicht
mit der Absicht, sich gemäß § 147 sofort oder gemäß § 148 für
einen befristeten Zeitraum fest an ihr Angebot zu binden. Möglich
wäre aber der Abschluss eines im Rahmen der Vertragsfreihet
geschlossenen Vorvertrages. Ein Vorvertrag begründet die
Verpflichtung zum späteren Abschluss eines Hauptvertrages50.
Das
setzt
Erklärungen
entsprechende
der
ausdrückliche
beteligten
Parteien
oder
konludente
voraus.
Der
Reservierungswunsch der G wurde seitens des V nicht mündlich
bestätigt. Auch auf eine konkludente Annahme, wie etwa durch
eine übliches „Zurücklegen“ der Ware hinter den Verkaufstresen,
deutet nichts hin. Die Bitte der G entfaltet somit keine rechtliche
Wirkung.
3. Angebot der G durch Schicken des S
47
Erman/Hefermehl, § 145, Rn. 3.;
Rüthers/Stadler, BGB AT, § 19, Rdn.5; Flume, BGB AT/II, § 35 I 1.; Köhler,
BGB AT, §8 Rdn.11;
49
Schreiber, Jura 1999, S.275 f.; MüKo/Kramer, § 145, Rdn.8;
50
BGHZ 102, 384(388);
48
11
- 24 JURA NOT ALONE!
Fraglich ist, ob G an späterer Stelle ein Kaufangebot unterbreitet
ULF- Unabhängige Liste Fachschaft Jura
hat, als sie V ihre Bereitschaft, die Bluse zum Preis von € 55,- zu
erwerben, durch S mitteilen lassen wollte.
a. Angebotsabgabe durch G selbst
G gab in eigener Person kein Angebot ab.
b. Angebotsabgabe durch S
Die Angebotsabgabe kann aber durch Ihren Sohn S erfolgt sein.
Dazu muss dieser als Stellvertreter der G gehandelt, oder als
Erklärungsbote ihre Willenserklärung überbracht haben.
i. S als Stellvertreter der G
Zunächst ist zu prüfen, ob S als Stellvertreter der G im Sinne des
§ 164, dem V gegenüber ein wirksames Angebot abgegeben hat.
(1)Ein höchstpersönliches Rechtsgeschäft ist nicht betroffen, die
Vertretung ist zulässig.
(2)S müsste gemäß § 164 I eine eigene Willenserklärung
abgegeben haben. Wie bereits festgestellt51 ist hierbei auf das
äußere Auftreten des Handelnden abzustellen. S teilte V mit, dass
G sich entschieden habe zwei Blusen zu kaufen. Das konnte der
Verkäufer nur als eine, durch einen Boten übermittelte
Gut!
Fremderklärung
auffassen.
Hinweise
auf
einen
eigenen
Willensentschluss des S waren daraus nicht zu entnehmen. Die
Wirksamkeit der Stellvertretung scheitert somit bereits daran, dass
S keine eigene Willenserklärung geäußert hat.
ii. S als Erklärungsbote der G
Eine Angebotsabgabe der G kann aber auch durch per
Erklärungsbote erfolgt sein. Dessen Auftreten ist dadurch
gekennzeichnet, dass er eine bereits entäußerte Willenserklärung
lediglich übermittelt52 und dazu auch mit einer entsprechenden
Botenmacht befugt ist53. Wer eine andere Erklärung als die ihm
Aufgetragene abgibt handelt aber nicht als Bote54. Wie eben
festgestellt, war das entäußerte Angebot zwar als überbrachte
Erklärung der G aufzufassen, es hatte jedoch nicht den von G
gewollten und dem S aufgetragenen Inhalt. Es ist folglich
51
vgl. A I 2 a ii (2), S.5;
Giesen/Hegermann, Jura 1991, S.357(358);
53
MüKo/Schramm, Vor § 164, Rdn.46a;
54
RGRK/Steffen, Vor.§ 164, Rdn.32;
52
12
- 25 JURA NOT ALONE!
festzustellen, dass S auch nicht als Erklärungsbote der G
ULF- Unabhängige Liste Fachschaft Jura
gehandelt hat als er ein Kaufangebot bezüglich der beiden Blusen
abgab.
G beabsichtigte aber durchaus den Kauf einer der beiden
Blusen. Möglicherweise kann der Vertragsschluss dahingehend
umzudeuten sein, dass durchaus ein Kaufvertrag über eine Bluse
zwischen G und V wirksam geschlossen wurde. Dafür spricht,
dass S dazu durchaus mit einer entsprechende Botenmacht
ausgestattet war. Es erscheint angebracht an dieser Stelle auf den
Rechtsgedanken des § 139 zurückzugreifen, der die Wirksamkeit
eines
Rechtsgeschäftes
vom
wirklichen
Willen
der
Vertragsparteien abhängig macht. Dieser Wille ist durch
Auslegung zu ermitteln55. Den Preis im Einzelkauf von € 65,- war
G nicht zu zahlen bereit. Es ist festzustellen, dass V die Bluse
aber nur deshalb im Preis auf € 55,- heruntergesetzt hat, weil er
somit die zwei letzten Modelle verkaufen konnte. Eine
Teilwirksamkeit des Vertrages nach der G eine einzelne Bluse
vergünstigt erwerben konnte wäre nicht im Interesse des V. Eine
dahingehende Umdeutung ist deshalb nicht vorzunehmen.
iii. Zurechnung des Handelns eines "Pseudoboten"
S setzte anstelle der Willenserklärung der G bewusst seinen
eigenen Willen und war somit nur Pseudo-Bote56. Problematisch
ist, ob sein Handeln dennoch zu einer der G zurechenbaren
Angebotsabgabe führen konnte. Das Gesetz trifft keine explizite
Regelung für den Fall des Boten ohne Botenmacht, es ist folglich
zu entscheiden wie sein Verhalten rechtlich zu behandeln ist.
Sie sollten bei der Darstellung (1)Zum einen wäre es möglich, das Tun des bewusst falsch
eines Meinungsstreits
Übermittelnden von vornherein als unerlaubte Handlung57 zu
kennzeichnen, welche
Auffassung h.M. und welche nur klassifizieren und ihn schließlich nach deliktsrechtlichen
Mindermeinung ist.
Haftungsmaßstäben zur Verantwortung zu ziehen. Die
abgegebene Willenserklärung wäre ex tunc nichtig und ein
= Mindermeinung
Angebot bereits nicht unterbreitet.
(2)Mit
der
einzigen
Norm
im
BGB
die
sich
mit
der
55
Erman/Brox, § 139, Rdn.1;
vgl. Soergel/Leptien, Vor § 164, Rdn.45;
57
RG HRR 1940, S.1277(1278); Hupka, Haftung des VoVm, S.108f.; Oertmann, §
177, Anm.7;
56
13
- 26 JURA NOT ALONE!
Falschübermittlung von Willenserklärungen befasst, könnte auch
ULF- Unabhängige Liste Fachschaft Jura
eine Anwendbarkeit des § 12058 in Frage kommen. Danach wäre
ein Vertragsschluss zwischen dem entsendenden Prinzipal und
dem Erklärungsempfänger mittels des Pseudo-Boten erfolgt;
ersterem bliebe dann lediglich eine Anfechtungsmöglichkeit.
= Mindermeinung
Folgt man dieser Ansicht, so hätte G dem V also ein Kaufangebot
gemacht.
(3)Als dritte Möglichkeit käme eine analoge Verwendung der
Regelungen über den Vertreter ohne Vertretungsmacht59 (§§
177 ff.) in Betracht – ähnlich wie der eine nicht vorhandene
Vertretungsmacht vorspiegelnde falsus procurator, gibt der
Pseudobote unberechtigterweise vor eine Botenmacht zu besitzen.
Die Angebotsabgabe würde somit auf S zurückfallen, G hätte aber
= h.M.
die Möglichkeit einen geschlossenen Vertrag per Genehmigung
nach § 177 I an sich zu ziehen.
(4)Stellungnahme: Die erste Ansicht geht davon aus, das der
Vertreter gerade keine eigene Erklärung abgegeben hätte, ebenso
läge eine Erklärung des Prinzeps in Wirklichkeit nicht vor.
Verneint wird somit bereits die juristische Qualität der
Willenserklärung. Dieser Ansatz wird der Tatsache allerdings
nicht gerecht, dass mit dem bekundeten Kaufinteresse aber
durchaus eine Willenserklärung in den Rechtsverkehr entäußert
wurde. Vielmehr ist die Frage zu klären, wem das unterbreitete
Angebot schließlich zuzurechnen ist.
Die an zweiter Stelle aufgeführte Ansicht beantwortet diese Frage
mit der Zuständigkeit des Prinzeps, der diesem gemäß dem
Risokoprinzip60 selbst die Verantwortung für einen auf den Weg
geschickten Boten zuschreibt. Dem ist zuzugeben, dass die
Regelung des § 120 durchaus nicht zwischen dem bewusst und
unbewusst Übermittelnden differenziert. Dieses Argument wird
allerdings dadurch entkräftet, dass § 120 durch seinen Verweis auf
§ 119 und die Gesetzessytematik in die Reihe der Irrtumslehre zu
58
Marburger, AcP, 173, 137ff.;
Soergel/Leptien, Vor § 164, Rdn.45; Schwung, JA 1983, S.12ff.; Müller, AcP
168, S. 119(139); Medicus, BGB AT, § 60, Rdn.997; OLG Oldenburg NJW 1978,
S.951;
60
Marburger, AcP, 173, 137(155);
59
14
- 27 JURA NOT ALONE!
stellen ist. Diese wiederum umfasst aber das unbewusste
ULF- Unabhängige Liste Fachschaft Jura
Auseinanderfallen
von
subjektivem
Willen
und
objektiv
61
Erklärtem . Bei genauerer Betrachtung erweist sich gerade auch
das ins Feld geführte Risikoprinzip als problematisch. Im
vorliegenden Fall, musste G dem eingesetzten S aufgrund seiner
sonst tadellos verrichteten Auftragserledigung unbedingt in
seinem Tätigwerden vertrauen. Bei Festhalten an einer Regelung
nach § 120, die auch den sich bewusst unrichtig äußernden
Pseudoboten einschließe, würde letztlich jegliche Einsetzung
eines Boten zum nicht hinnehmbaren Risiko für den Prinzipal.
Das aber würde zur übergroßen Vertrauenshürde für die
Botenschaft, die gerade in der heutig arbeitsteilig arbeitenden
Wirtschaft ein unverzichtbares Rechtsinstitut darstellt62.
Die Regelungen des falsus procurator hingegen scheinen gut auf
den Fall des Pseudoboten anwendbar. Die letztlich abgegebene,
bewusst verfälschte Willenserklärung hat mit der ursprünglich
vom Prinzeps entäußerten nichts mehr gemein. Ihr liegt vielmehr
ein autonomer Willensentschluss des „Boten“ zugrunde –
vergleichbar mit der selbständig gebildeten Erklärung des
Vertreters. Da die vom Prinzeps aufgetragene Erklärung ihr Ziel
niemals erreicht, ist er auch von jeglicher Verantwortung dafür
entbunden. Die analoge Anwendung der §§ 177 ff. tritt somit als
beste Lösung hervor, ihr ist zu folgen.
Somit ist das entäußerte Kaufangebot für die beiden Blusen nicht
der G zuzurechnen.
iv. Angebotsabgabe
G hat mithin kein Angebot entäußert.
4. Kaufvertragsschluss
Es fehlt somit bereits am Schluss eines Kaufvertrags zwischen G
und V gemäß § 433; die Annahme des Angebots durch V bewirkt
lediglich eine Bindung zwischen ihm und S.
5. „An-sich-ziehen“ des Vertrags gemäß § 177 I
Durch § 177 I wird G die Möglickeit eingeräumt den Vertrag
gemäß § 184 I zu genehmigen und damit an sich zu ziehen. Die
61
Rüthers/Stadler, BGB AT, § 25, Rdn.1;
vgl. Medicus, BGB AT, § 54, Rdn.881;
62
15
- 28 JURA NOT ALONE!
Verantwortlichkeit des falsus procurator entfällt dann in der
ULF- Unabhängige Liste Fachschaft Jura
Regel. Fraglich ist, ob ein solches „An-sich-ziehen“ des Vertrags
im Fall einer absichtlich falsch übermittelten Willenserklärung
überhaupt möglich ist. Dies wird teilweise abgelehnt63, die
Mehrheit der Stimmen will allerdings eine Genehmigung analog §
177 zulassen64. Der Streit ist allerdings nicht zu entscheiden, da G
die Zustimmung ohnehin verweigert. Auch an dieser Stelle
entsteht somit keine vertragliche Verbindung zwischen G und V.
II. Zwischenergebnis
Der Anspruch ist bereits nicht entstanden.
F. Ergebnis
V hat keinen Anspruch gegen G auf Kaufpreiszahlung und
Abnahme der Kaufsache aus § 433 II.
ANSPRUCH DES V GEGEN S AUF ERFÜLLUNG ODER
SCHADENSERSATZ AUS § 179
Als Rechtsgrundlage für einen Anspruch des V gegen S auf
Erfüllung oder Schadensersatz kommt § 179 in Frage.
G. Anspruch entstanden
Der Anspruch müsste zunächst entstanden sein.
Vorsicht! S ist ja
keine Vertreter
sondern Bote
I. Vertragsschluss ohne Vertretungsmacht gemäß § 179 I
S hat als „Pseudobote“, wie ein falsus procurator einen Vertrag
über den Kauf der beiden Blusen geschlossen ohne das er die
dazu notwendige Ermächtigung besaß. Eine Genehmigung des
Vertrags durch die Vertretene G erfolgte nicht.Damit kommt eine
Haftung als Vertreter ohne Vertretungsmacht gemäß § 179 I
Hier fehlt die Frage
nach der Zulässigkeit
einer Analogie
in Betracht.
II. Haftungssausschluss nach § 179 III 2 analog
Eine Haftung nach § 179 setzt aber auch bei analoger Anwendung
voraus, dass ihr kein Haftungsausschluss aus § 179 III entgegen
steht. In Frage käme hier § 179 III 2, der die Haftung des falsus
procurator
ausschließt,
wenn
dieser
nur
beschränkt
geschäftsfähig war, und keine Zustimmung des gesetzlichen
63
Larenz/Wolf, BGB AT, § 7 C II d 2 ee, S.326;
Ennecerus/Nipperdey, BGB/II, § 178 II 1, Fn.7, S.1089; Schwung, JA 1983,
S.12(14), Flume, BGB AT/II, § 23 3, S.456;
64
16
- 29 JURA NOT ALONE!
Vertreters zu dessen Handeln vorliegt. Auch diese Norm ist
ULF- Unabhängige Liste Fachschaft Jura
analog auf den Fall des „Pseudoboten“ anzuwenden, da
Minderjährige grundsätzlich bei jedem Handeln vor den Folgen
von rechtlich nachteiligen Geschäften zu schützen sind. Der
17jährige S ist beschränkt geschäftsfähig im Sinne von § 106.
Seine gesetzliche Vertreterin ist nach § 1629 I 1 seine Mutter G.
Sie war damit einverstanden, dass S als Bote für sie tätig wird.
Fraglich ist, ob dies als Zustimmung im Sinne des § 179 III 2
ausreichend ist.
1. Es wird die Möglickeit in Betracht gezogen65, dass das
Einverständnis des gesetzlichen Vertreters nur zu irgendein
Tätigwerden des minderjährigen für einen Anderen gegeben
werden muss um eine Haftung nach § 179 III 2 auszulösen. Dazu
hätte G zugestimmt als sie S als Boten einsetzte.
2. Ebenfalls wäre denkbar sich mit van Venrooy66 auf den
Standpunkt zu stellen, der gesetzlich Vertreter müsste dem
Handeln als Vertreter ohne Vertretungsmacht zustimmen. Das
aber hat G zu keinem Zeitpunkt getan.
3. Nach fast einhelliger Meinung der Literatur67 genügt es aber,
G hatte aber dich ihre
Einwilligung in die
Botenschaft des S erklärt!
wenn der nach § 1629 I 1 Berechtigte sein Einverständnis zu
einer Vertretertätigkeit des Minderjährigen gibt. Auch nach
dieser Ansicht wäre keine Zustimmung der G erfolgt.
4. Stellungnahme: Die erstgenannte Ansicht erweist sich bei
genauerem Hinsehen als wenig praktikabel. Diese Bewertung
Auslegung des § 179 III 2 würde ein viel zu großes Feld für die
Minderjährigenhaftung aufspannen, was nicht im Sinne der
Rechtsordnung sein kann die dem Minderjährigenschutz oberste
Priorität einräumt68. Sie ist mithin abzulehenen.
Eine Entscheidung zwischen für oder gegen eine der anderen
Ansichten ist nicht notwendig, da sie beide zu dem selben
Falsch!
Ergebnis kommen: Eine Zustimmung der G als gesetzliche
65
Prölss, JuS 1986, S.169(172);
van Venrooy, AcP 181, S.220ff.;
67
Palandt/Heinrichs, § 179, Rdn.4; MüKo/Schramm, § 179, Rdn.38; Köhler, BGB
AT, § 11, Rdn.71; Canaris, NJW 1964, S.1987(1988); Soergel/Leptien, § 179,
Rdn.20;
68
Canaris, NJW 1964, S.1987(1988);
66
17
- 30 JURA NOT ALONE!
Vertreterin zu dem Handeln ihres Sohnes des S liegt ist nicht
ULF- Unabhängige Liste Fachschaft Jura
gegeben. Eine Haftung nach Maßgabe der §§ 177 ff. ist gemäß §
179 III 2 ausgeschlossen.
III.
Zwischenergebnis
Ein Anspruch ist bereits nicht entstanden.
H. Ergebnis
§ 179 kommt als Grundlage für eine Haftung des S gegenüber
V nicht in Betracht.
_________________________
Martin Mustermann
Sachverhaltsabschnitt 1:
[Um „Straftaten“ geht es hier nicht; der Begriff „Tatkomplex“ passt sonach nicht recht}
Klare und –vom Aufbau und Inhalt her – konsequente Argumentation.
Bei § 119 Abs. 2 BGB konnte noch gefragt werden, ob ein Irrtum über eine verkehrswesentliche Eigenschaft
einer Sache [= Vertragsgegenstand] in Betracht kommt.
Sachverhaltsabschnitt 2:
Es geht um § 179 II, 2 BGB analog. Die Frage ob die Zustimmung zur Vertretung bzw. wie hier zur
Botenstellung genügt, hätte somit geklärt werden müssen.
Insgesamt aber: klare Argumentation. Relevante Literatur wird hinreichend berücksichtigt.
Da Verfasser hat fast alle Probleme gesehen, richtig gewichtet und mit eigener Argumentation bearbeitet hat,
handelt es sich um eine weit überdurchschnittliche Arbeit.
Daher: 13 P. [gut]
18
- 31 -
ULF- Unabhängige Liste Fachschaft Jura
Martin Mustermann
Wilhelmstr. 7
72074 Tübingen
Mat.Nr.: 1234567
2. Fachsemester
JURA NOT ALONE!
Tübingen, den 1. September 2004
Übung im Strafrecht
für Anfänger
1. Hausarbeit
bei Prof. Dr. Hans-Ludwig Günther
&
Prof. Dr. Fritjof Haft
im WS 2004/2005
ULF- Unabhängige Liste Fachschaft Jura
- 32 -
Prof. Dr. Hans-Ludwig Günther
JURA NOT ALONE!
Wintersemester 2004/ 2005
Prof. Dr. Fritjof Haft
Übung im Strafrecht für Anfänger
1. Hausarbeit
Der Angehörige der Zeugen Jehovas Z leidet an einem bösartigen Tumor und muss sich daher
in einem Krankenhaus einer Operation unterziehen. Er willigt gegenüber dem Chirurgen C in
den Eingriff ein. Aus religiösen Gründen verweigert er jedoch die Zustimmung gegenüber
einer eventuell erforderlichen Transfusion mit Fremdblut. Da ein derartiges Szenario sehr
unwahrscheinlich ist, entscheidet der C, die Operation dennoch durchzuführen. Während der
Operation tritt jedoch das Unwahrscheinliche ein. Dem Patienten muss sofort Fremdblut
injiziert werden, soll er nicht verbluten. Ausreichend Zeit, dem Z einen Betreuer zu bestellen
oder den Vormundschaftsrichter einzuschalten, hat C nicht. C fühlt sich als von christlichen
Wertvorstellungen geprägter Arzt trotz der vorab verweigerten Zustimmung des Z aus
Gewissensgründen verpflichtet, seinen Patienten nicht sterben zu lassen. Der Blutverlust kann
kompensiert werden. Der Zeuge Jehova Z überlebt zunächst.
Nach einiger Zeit bricht die Erkrankung erneut aus. Z wird nunmehr im Krankenhaus von
dem
Arzt
A
behandelt.
Trotz
verschiedener
Therapien
verschlechtert
sich
der
Gesundheitszustand von Z zusehends. Schließlich muss Z, der inzwischen sein Bewusstsein
verloren hat, durch einen Respirator künstlich beatmet werden. Zur selben Zeit entsteht
aufgrund eines unerwarteten medizinischen Vorfalls auch bei dem Patienten P des Arztes A
akuter Bedarf für eine künstliche Beatmung. A ist klar, dass P sterben wird, wenn er nicht an
einen Respirator angeschlossen wird. Da er jedoch kein weiteres freies Beatmungsgerät zur
Verfügung hat, entschließt er sich, P an den Respirator von Z durch die informierte Schwester
S anschließen zu lassen, weil die Überlebensaussichten von P erheblich größer sind als von Z,
dessen Krankheit nicht mehr zu stoppen ist. Die eigentliche Sterbephase hat jedoch bei Z noch
nicht begonnen. Es kann ferner nicht ausgeschlossen werden, dass Z für einige Momente
wieder zu Bewusstsein kommt. Die Schmerzen, die Z zu ertragen hätte, wären aufgrund einer
entsprechenden Behandlung erträglich. Ein Patiententestament, das einen Hinweis auf einen
der Fortbehandlung entgegenstehenden Willen geben könnte, existiert nicht. Gleichwohl
trennt S den Z von dem Respirator und schließt statt dessen P an das Gerät. P überlebt,
während bei Z aufgrund der fehlenden maschinellen Unterstützung die Atmung
I
ULF- Unabhängige Liste Fachschaft Jura
- 33 -
JURA NOT ALONE!
zusammenbricht. Z stirbt, was A und S, die beide von der Rechtmäßigkeit ihres Tuns
ausgegangen sind, in Kauf genommen haben.
In der Station von A liegt ein weiterer Schwerkranker, K, dem unerträgliche Schmerzen
drohen. K - im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte - bittet daher A, der für seine progressiven
Ansichten in Fragen der Sterbehilfe bekannt ist, ihn von seinen drohenden Leiden zu erlösen.
A vergewissert sich, dass die geäußerte Bitte nicht nur einer momentanen Stimmung
entspringt, und vereinbart schließlich mit K, demnächst eine Krankenschwester mit einer
Spritze vorbei zu schicken. A bespricht die Angelegenheit mit der Schwester S und überzeugt
sie wider besseres Wissen davon, dass ein derartiger Gnadenakt keineswegs rechtswidrig sei.
S glaubt schließlich A und erklärt sich bereit, dem K die gewünschte Spritze zu verabreichen.
Nachdem S die Spritze präpariert hat, macht sie sich auf den Weg. Aufgrund eines für A nicht
voraussehbaren Blackouts verwechselt jedoch S den schwer kranken K mit dem bettlägerigen
B und injiziert diesem die Lösung im vermeintlichen Einverständnis. Die Injektion endet für
B tödlich.
Wie haben sich C, S und A strafbar gemacht? § 211 StGB ist nicht zu prüfen. Der
Umfang der Bearbeitung sollte 20 Seiten nicht überschreiten. Es ist 1/3 Korrekturrand
zu lassen. Die Hausarbeit ist spätestens in der ersten Übungsstunde des Wintersemesters
2004/2005, am Mittwoch, den 20. Oktober 2004, um 15 Uhr abzugeben.
II
ULF- Unabhängige Liste Fachschaft Jura
- 34 -
JURA NOT ALONE!
Literaturverzeichnis:
Lehrbücher:
Baumann, Jürgen/
Weber, Ulrich/
Mitsch, Wolfgang
Strafrecht, Allgemeiner Teil
11. Auflage
Bielefeld 2003
Zitiert: Baumann/ Weber/ Mitsch
Ebert, Udo
Strafrecht Allgemeiner Teil
3.Auflage
Heidelberg 2001
Zitiert: Ebert AT
Haft, Fritjof
Strafrecht, Allgemeiner Teil
9. Auflage
München 2004
Zitiert: Haft AT
Jakobs, Günter
Strafrecht Allgemeiner Teil
2. Auflage
1991
Zitiert: Jakobs AT
Jescheck, Hans- Heinrich/
Weigend, Thomas
Lehrbuch des Strafrechts, Allgemeiner Teil
5. Auflage
Berlin 1996
Zitiert: Jescheck/ Weigend
Krey, Volker
Strafrecht, Allgemeiner Teil
Band 2, AT
Auflage
Stuttgart
Zitiert: Krey AT
ders.
Strafrecht, Besonderer Teil
Band 1, BT ohne Vermögensdelikte
12. Auflage
Stuttgart 2002
Zitiert: Krey BT
Kühl, Kristian
Strafrecht, Allgemeiner Teil
4. Auflage
München 2002
Zitiert: Kühl AT
Maurach, Reinhart/
Zipf, Heinz
Strafrecht, Allgemeiner Teil
Teilband 1
8. Auflage
Heidelberg 1992
Zitiert: Maurach/ Zipf
III
ULF- Unabhängige Liste Fachschaft Jura
- 35 -
Roxin, Claus
Strafrecht, Allgemeiner Teil
Band I
3. Auflage
München 1997
Zitiert: Roxin AT
Wessels, Johannes/
Beulke, Werner
Strafrecht, Allgemeiner Teil
33. Auflage
Heidelberg 2003 ?
Zitiert: Wessels/ Beulke
JURA NOT ALONE!
Kommentare:
Joecks, Wolfgang
Strafgesetzbuch Studienkommentar
3. Auflage
München 2001
Zitiert: Joecks
Kindhäuser, Urs
Strafgesetzbuch, Lehr- und Praxiskommentar
1. Auflage
Baden- Baden 2002
Zitiert: Kindhäuser
Leipziger Kommentar
Großkommentar zum Strafgesetzbuch
10. Auflage
Berlin 1989
Zitiert: LK/ Bearbeiter
Lackner, Karl/
Kühl, Kristian
Strafgesetzbuch mit Erläuterungen
22. Auflage
München 1997
Zitiert: Lackner/ Kühl
Münchener Kommentar
Kommentar zum Strafgesetzbuch
Band 1, §§ 1- 51 StGB
1. Auflage
München 2003
Zitiert: MünchKomm/ Bearbeiter
Neumann, Ulfried/
Schild
Nomos Kommentar zum Strafgesetzbuch
Stand: November 2001
Zitiert: NK/ Bearbeiter
Palandt
Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch
63. Auflage
München 2004
Zitiert: Palandt BGB
IV
ULF- Unabhängige Liste Fachschaft Jura
- 36 -
Rudolphi, Hans- Joachim
u.a. (Hrsg.)
Systematischer Kommentar zum StGB AT
Band 1, §§ 1- 79 b
1995
Zitiert: Sk/Bearbeiter
Schchönke, Adolf/
Schröder, Horst
Kommentar zum Strafgesetzbuch
25. Auflage
München 1997
Zitiert: Sch/Sch/Bearbeiter
Staudinger, Julius von
Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch
Zweites Buch, §§ 652 – 704
13. Auflage
Berlin 2004
Zitiert: Staudinger/ Bearbeiter
Tröndle, Herbert/
Fischer, Thomas
Kurzkommentar zum Strafgesetzbuch
51. Auflage
München 2003
Zitiert: Tröndle/ Fischer
JURA NOT ALONE!
Aufsätze und Monographien:
Baumann, Jürgen
Täterschaft und Teilnahme
JuS 1963, S. 85 - 98
Zitiert: Baumann
Bockelmann, Paul
Rechtliche Grundlagen und rechtliche Grenzen der
ärztlichen Aufklärungspflicht
NJW 1961, S.945 – 951
Zitiert: Bockelmann
Bockelmann, Paul
Operativer Eingriff und Einwilligung des Verletzten
JZ 1962, S. 525 - 529
Zitiert: Bockelmann
Bottke, Wilfried
Der praktische Fall – Strafrecht: Marderfall(e)
JuS 1992, S. 765 – 770
Zitiert: Bottke
Britz, Guido
Der praktische Fall – Strafrecht: errare humanum est?
JuS 2002, S. 465 - 470
Zitiert: Britz
Burski, Ulrich von
Die Zeugen Jehovas
Die Gewissensfreiheit und das Strafrecht
Freiburg i.B.1970
Zitiert: Burski
V
ULF- Unabhängige Liste Fachschaft Jura
Chatzikostas, Konstantinos
Dencker, Friedrich
- 37 -
JURA NOT ALONE!
Die Disponibilität des Rechtsguts Leben in ihrer
Bedeutung für die Probleme von Suizid und Euthanasie
Frankfurt am Main 2001
Zitiert: Chatzikostas
Kausalität und Gesamttat
Berlin 1996
Zitiert: Dencker
Engisch, Karl
Tun und Unterlassen
in: Festschrift für Wilhelm Gallas zum 70. Geburtstag
Berlin 1973, S.163 - 196
Zitiert: Engisch
Geilen, Gerd
Neue juristisch – medizinische Grenzprobleme
JZ 1968, S. 145 - 152
Zitert: Geilen
Geppert, Klaus
Materiell-rechtliche und strafprozessuale Grundfragen
zum Thema „ Alkohol und Verkehrsstrafrecht“
Jura 1986, S. 532 - 539
Zitiert: Geppert
Geerds, Friedrich
Körperliche Untersuchung
Jura 1988, S.1 - 13
Zitiert: Geerds
Gössel, K.H.
Zur Abgrenzung der Vorbereitung vom Versuch
JR 1976, S. 248 - 251
Zitiert: Gössel
Gropp, Walter
Die „Pflichtenkollision“: weder eine Kollision von
Pflichten noch Pflichten in Kollision
in: Festschrift für Hans Joachim Hirsch
Berlin 1999, S. 207 – 224
Zitiert: Gropp
Grünwald, Gerald
Die Aufklärungspflicht des Arztes
ZStW 1961 (Band 73), S.5 - 44
Zitiert: Grünwald
Hardtung, Bernhard
Gift in der Wurst – Ein Bericht über eine strafrechtliche
Hausarbeit
JuS 1996, S. 1088 – 1094
Zitiert: Hardtung
Herzberg, Rolf Dietrich
Abergläubische Gefahrabwendung und mittelbare
Täterschaft durch Ausnutzung eines Verbotsirrtums –
BGHSt. 35, 347 –
Jura 1990, S. 16 – 26
Zitiert: Herzberg
VI
ULF- Unabhängige Liste Fachschaft Jura
- 38 -
JURA NOT ALONE!
Hilgendorf, Eric
Was meint „ zur Tat bestimmen“ in § 26 StGB?
Jura 1996, S.9 - 13
Zitiert: Hilgendorf
Hruschka, Joachim
Pflichtenkollisionen und Pflichtenkonkurrenzen
in: Festschrift für Larenz
1983, S.257 - 289
Zitiert: Hruschka
Jakobs, Günter
Mittelbare Täterschaft der Mitglieder des Nationalen
Verteidigungsrats
NStZ 1995, S. 26-27
Zitiert: Jakobs
Janker, Helmut
Heimliche HIV- Antikörpertests – strafbare
Körperverletzung?
NJW 1987, S.2897 - 2903
Zitiert: Janker
Kadel, Bertold
Versuchsbeginn bei mittelbarer Täterschaft – versuchte
mittelbare Täterschaft
GA 1983, S. 299 - 309
Zitiert: Kadel
Kaufmann, Arthur
Die eigenmächtige Heilbehandlung
ZStW 1961 (Band 73), S. 341 - 384
Zitiert: Kaufmann
Kohlhaas, Max
Medizin und Recht
Karlsruhe 1969
Zitiert: Kohlhaas
Krey, Volker
Grundfälle zu den Straftaten gegen das Leben
JuS 1971, S. 248 – 251
Zitiert: Grundfälle
Küper, Wilfried
Noch einmal: Rechtfertigender Notstand,
Pflichtenkollision und übergesetzliche Entschuldigung
JuS 1971 S. 474- 477
Zitiert: Küper
ders.
Tötungsverbot und Lebensnotstand
JuS 1981, S. 785 - 794
Zitiert: Küper
Merkel, Reinhard
Früheuthanasie
Baden-Baden 2001
Zitiert: Merkel
VII
ULF- Unabhängige Liste Fachschaft Jura
- 39 -
JURA NOT ALONE!
Otto, Harro/
Brammsen, Joerg
Die Grundlagen der strafrechtlichen Haftung des
Garanten wegen Unterlassens (I)
Jura 1985, S. 530 - 542
Zititert: Otto/ Brammsen
Otto, Harro
Die Strafrechtliche Problematik der Sterbehilfe
Jura 1999, S. 434 – 441
Zitiert: Otto
ders.
Das Problem der Abgrenzung von Tun und Unterlassen
Jura 2000, S. 549 - 550
Zitiert: Otto
Peters, Karl
Verfassungsrecht. Strafrecht. Verwaltungsprozessrecht
JZ 1972, S. 83 - 86
Zitiert: Peters
Puppe, Ingeborg
Der objektive Tatbestand der Anstiftung
GA 1984, S. 101 - 123
Zitiert: Puppe
Rotsch, Thomas
Tatherrschaft kraft Organisationsherrschaft?
ZStW 2000 (Band 112), S. 518 -562
Zitiert: Rotsch
Roxin, Claus
Täterschaft und Tatherrschaft
7. Auflage
Berlin 2000
Zitiert: Roxin TuT
Roxin, Claus/
Schroth, Ulrich
Medizinstrafrecht
Im Spannungsfeld von Medizin, Ethik und Strafrecht
2. Auflage, München 2001
Zitiert: Roxin/ Schroth/ Bearbeiter
Schilling, Georg
Der Verbrechensversuch des Mittäters und des
mittlebaren Täters
Köln 1975
Zitiert: Schilling
Schmidhäuser, Eberhard
„Tatherrschaft“ als Deckname der ganzheitlichen
Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme im
Strafrecht
in: Festschrift für Walter Stree und Johannes Wessels
zum 70. Geburtstag
1993, S. 258
Zitiert: Schmidhäuser
VIII
ULF- Unabhängige Liste Fachschaft Jura
Schöch, Heinz
Schröder, Horst
- 40 -
JURA NOT ALONE!
Beendigung lebenserhaltender Maßnahmen – zugleich
eine Besprechung der Sterbehilfentscheidung des BGH
vom 13.9.1994
NStZ 1995, S. 153 - 157
Zitiert: Schöch
Eigenmächtige Heilbehandlung im geltenden Strafrecht
und im StGB- Entwurf 1960
NJW 1961, S. 951 - 955
Zitiert: Schröder
Schumann, Heribert
Abgrenzung von mittelbarer Täterschaft und Anstiftung
NStZ 1990, S.32 – 35
Zitiert: Schumann
Schwalm, Georg
Gesetzliche Regelung der ärztlichen Aufklärungspflicht?
MDR 1962, S. 689 - 694
Zitiert: Schwalm
Tag, Brigitte
Der Körperverletzungstatbestand im Spannungsfeld
zwischen Patientenautonomie und Lex artis
Eine arztstrafrechtliche Untersuchung
Heidelberg 2000
Zitiert: Tag
Voll, Doris
Die Einwilligung im Arztrecht
Frankfurt am Main 1996
Zitiert: Einwilligung im Arztrecht
Wolters, Gereon
Die Neufassung der Körperverletzungsdelikte
JuS 1998, S. 582 - 587
Zitiert: Wolters
IX
ULF- Unabhängige Liste Fachschaft Jura
- 41 -
JURA NOT ALONE!
Gliederung:
A.) 1. Tatkomplex: Die Operation ........................................................................ 1
I. Handlungsabschnitt: Operation des Z.........................................................................1
Strafbarkeit des C gem. §§ 223 I, 224 I Nr.1 Alt.2, 2 Alt.2, 5 StGB1:................................1
I. Tatbestandsmäßigkeit ..........................................................................................1
1. objektiver Tatbestand ..............................................................................1
a) § 223 I .........................................................................................1
aa) Schrifttum ......................................................................1
bb) Rechtssprechung ...........................................................1
cc) Stellungnahme ...............................................................1
b) § 224I Nr.1 Alt.2, 2 Alt.2, 5 .......................................................2
c) Zwischenergebnis .......................................................................2
2. subjektiver Tatbestand ............................................................................2
II. Rechtswidrigkeit ................................................................................................2
1. Berufsbegründete Rechtfertigung .........................................................2
2. Erklärte Einwilligung ............................................................................2
III. Ergebnis ............................................................................................................3
II. Handlungsabschnitt: Die Bluttransfusion .................................................................3
1. Strafbarkeit des C gem. § 223 I, 224 I Nr.2 Alt.2: .........................................................3
I. Tatbestandsmäßigkeit ..........................................................................................3
1. objektiver Tatbestand ..............................................................................3
a) § 223 I .........................................................................................3
b) § 224 I Nr.2 Alt.2 .......................................................................3
c) Zwischenergebnis .......................................................................3
2. subjektiver Tatbestand ............................................................................3
II. Rechtswidrigkeit ................................................................................................3
1. Einwilligung ..........................................................................................3
2. Rechtfertigende Notstandshilfe, § 34 ....................................................3
a) Notstandslage ............................................................................3
b) Notstandshandlung ....................................................................3
c) Güter- und Interessenabwägung ...............................................4
d) Angemessenheit ........................................................................4
1
Im folgenden sind alle §§ ohne Gesetzesangabe solche des StGB.
X
ULF- Unabhängige Liste Fachschaft Jura
- 42 -
JURA NOT ALONE!
aa) Lebenserhaltungspflicht ................................................4
bb) Autonomieprinzip .........................................................4
cc) Stellungnahme ...............................................................4
3. Geschäftsführung ohne Auftrag, § 679 BGB ........................................5
III. Schuld ...............................................................................................................5
1. Entschuldigender Notstand, § 35 I ........................................................5
Notstandslage ..................................................................................5
2. Entschuldigungstatumstandsirrtum, § 35 II ............................................5
Vermeidbarkeit ...............................................................................6
IV. Ergebnis ............................................................................................................6
2. Strafbarkeit des C gemäß § 240 I ...................................................................................6
B.) 2. Sachverhaltsabschnitt: Respirator ............................................................. 6
A. Strafbarkeit der S gemäß §§ 212, 13 I: ......................................................................6
I. Vorprüfung: Abgrenzung positives Tun/ Unterlassen ........................................6
1. Energie- und Kausalitätskriterium ..........................................................6
2. Schwerpunkt des Vorwurfs ....................................................................7
3. Stellungnahme ........................................................................................7
II. Tatbestandsmäßigkeit ........................................................................................7
1. objektiver Tatbestand ..............................................................................7
a) Erfolgseintritt, Handlungsmöglichkeit, Quasikausalität .............7
b) Garantenstellung, § 13 I ..............................................................7
c) Entsprechungsklausel, § 13 aE ...................................................7
2. subjektiver Tatbestand ............................................................................8
III. Rechtswidrigkeit ...............................................................................................8
1. Rechtfertigender Notstand, § 34 .............................................................8
a) Notstandslage ..............................................................................8
b) Notstandshandlung .....................................................................8
c) Güter- und Interessenabwägung .................................................8
2. Rechtfertigende Pflichtenkollision .........................................................8
a) Geringerwertige/ höherwertige Pflicht .......................................8
b) Gleichwertige Pflichten ..............................................................8
c) Ergebnis ......................................................................................9
3. Mutmaßliche Einwilligung .....................................................................9
IV. Schuld ...............................................................................................................9
XI
ULF- Unabhängige Liste Fachschaft Jura
- 43 -
JURA NOT ALONE!
1. Irrtum ......................................................................................................9
2. Abgrenzung Erlaubnistatbestandsirrtum (ETI) / Erlaubnisirrtum ..........9
3. Erlaubnissubsumtionsirrtum ...................................................................10
4. Vermeidbarkeit .......................................................................................10
5. Rechtsfolgen des Erlaubnisirrtums (indirekter Verbotsirrtum) ..............10
V Ergebnis ..............................................................................................................10
B. Strafbarkeit des A: ......................................................................................................11
1. Strafbarkeit des A gemäß §§ 212, 13 I, 25 I Alt.2: ........................................................11
Tatbestandsmäßigkeit .............................................................................................11
1. objektiver Tatbestand ..............................................................................11
a) Verwirklichung des objektiven Tatbestandes .............................11
b) Tätereigenschaften des A ............................................................11
2. Strafbarkeit des A gemäß §§ 212, 13 I, 25 II: ................................................................11
3. Strafbarkeit des A gemäß §§ 212, 13 I, 26: ....................................................................11
I. Tatbestandsmäßigkeit ..........................................................................................11
1. objektiver Tatbestand ..............................................................................11
a) Vorsätzliche rechtswidrige Haupttat ...........................................11
b) Teilnahmehandlung ....................................................................11
aa) Reine Verursachungstheorie .........................................12
bb) Theorie vom geistigen Kontakt ....................................12
cc) Theorie vom Unrechtspakt ............................................12
dd) Stellungnahme ..............................................................12
2. subjektiver Tatbestand ............................................................................13
II. Rechtswidrigkeit ................................................................................................13
III. Schuld ...............................................................................................................13
1. Erlaubnisirrtum ...................................................................................................13
2. Vermeidbarkeit des Erlaubnisirrtums ..................................................... 13
IV. Ergebnis ............................................................................................................ 13
C.) 3. Sachverhaltsabschnitt: Tödliche Spritze ................................................... 13
A. Strafbarkeit der S gemäß § 212 I ...............................................................................13
I. Tatbestandsmäßigkeit ..........................................................................................14
1. objektiver Tatbestand ..............................................................................14
2. subjektiver Tatbestand ............................................................................14
a) Vorsatz ........................................................................................14
XII
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- 44 -
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b) Vorsatzausschluss gemäß § 16 I 1 ..............................................14
c) Irrtum nach § 16 II ......................................................................14
II. Rechtswidrigkeit: ...............................................................................................14
1. Erklärte und Mutmaßliche Einwilligung ................................................14
2. Zwischenergebnis ...................................................................................14
III. Entschuldigungsgründe ....................................................................................15
Verbotsirrtum, § 17 .....................................................................................15
1. Direkter Verbotsirrtum ...............................................................15
2. Vermeidbarkeit ...........................................................................15
IV. Ergebnis ............................................................................................................15
B. Strafbarkeit des A: ......................................................................................................15
1. Strafbarkeit des A gemäß §§ 212, 25 I Alt.2 ..................................................................15
I. Tatbestandsmäßigkeit ..........................................................................................15
1. objektiver Tatbestand ..............................................................................15
a) Verwirklichung des objektiven Tatbestandes durch S ................15
b) Tätereigenschaften des A ............................................................15
aa) Gemäßigte subjektive Theorie ......................................15
bb) Täterschafts- (materiell- objektive) Theorie .................16
cc) Stellungnahme ...............................................................16
2. Auswirkungen des Verbotsirrtums auf die mittelbare Täterschaft .........16
a) Strenge Verantwortungstheorie ..................................................16
b) Eingeschränkte Verantwortungstheorie ......................................17
c) Stellungnahme ............................................................................17
3. subjektiver Tatbestand ............................................................................17
a) Unbeachtlichkeit des „error in persona“ .....................................17
b) „Aberratio ictus“ .........................................................................17
c) Stellungnahme ............................................................................18
II. Ergebnis .............................................................................................................18
2. Strafbarkeit des A gemäß §§ 212, 25 I Alt.2, 22, 23 I an K: ..........................................18
I. Vorprüfung ..........................................................................................................18
II. Tatbestandsmäßigkeit ........................................................................................18
1. Tatentschluss ...........................................................................................18
2. Unmittelbares Ansetzen ..........................................................................18
a) Gesamtlösung .............................................................................18
XIII
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b) Einzellösung ...............................................................................19
c) Vermittelnde Ansicht ..................................................................19
d) Stellungnahme ............................................................................19
III. Rechtswidrigkeit ...............................................................................................19
IV. Schuld ...............................................................................................................19
V. Ergebnis ..............................................................................................................19
3. Strafbarkeit des A gemäß §§ 222, 25 I Alt. 2, 15: ..........................................................19
I. Vorprüfung ..........................................................................................................19
II. Tatbestandsmäßigkeit ........................................................................................19
1. Tatbestandsverwirklichung durch A .......................................................20
2. Fahrlässigkeit ..........................................................................................20
III. Ergebnis ............................................................................................................20
4. Strafbarkeit des A gemäß § 216, 25 I Alt.2, 22, 23 I Hs. 1: ...........................................20
I. Vorprüfung ..........................................................................................................20
II. Tatbestandsmäßigkeit ........................................................................................20
1. Tatentschluss ...........................................................................................20
2. objektiver Tatbestand ..............................................................................20
a) Unmittelbares Ansetzen ..............................................................20
b) Ernstliches Verlangen .................................................................20
III. Rechtswidrigkeit ...............................................................................................20
Rechtfertigender Notstand, § 34 ..................................................................20
IV. Schuld ...............................................................................................................21
V. Konkurrenzen ............................................................................................. 21
VI. Gesamtergebnis ................................................................................................21
XIV
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A.) 1. Tatkomplex: Die Operation
I. Handlungsabschnitt: Operation des Z:
Strafbarkeit des C gem. § 223 I, 224 I Nr.1 Alt.2, 2 Alt.2, 5 StGB1:
Indem C an Z einen operativen Eingriff vorgenommen hat, könnte er sich
wegen gefährlicher Körperverletzung gemäß §§ 223 I, 224 I Nr.1 Alt.2, 2 Alt.2,
5 strafbar gemacht haben.
I. Tatbestandsmäßigkeit:
1. objektiver Tatbestand:
a) § 223 I: Der operative Eingriff müsste eine Gesundheitsschädigung oder
körperliche Misshandlung i.S. des § 223 I darstellen. Es ist heftig umstritten, ob
dies im Falle eines ärztlichen Heileingriffs zu bejahen ist.
aa) Schrifttum: Nach Meinung der Rechtslehre ist der Tatbestand des § 223 I
nicht
verwirklicht,
wenn
ein
objektiv
indizierter
und
kunstgerecht
durchgeführter Heileingriff vorliegt.2 Dem Sachverhalt ist zu entnehmen, dass
die Operation des Z das Ziel verfolgte, den Z zu heilen bzw. dessen
Erkrankung zu lindern. Demnach ist ein ärztlicher Heileingriff gegeben.
bb) Rechtssprechung: Nach ständiger Rechtssprechung stellt jeder ärztliche
operative Eingriff eine Körperverletzung dar.3
cc) Stellungnahme: Es ist hier der Rechtsprechung zu folgen. Ein
Tatbestandsausschluss hätte die Schutzlosigkeit des Patienten in Bezug auf
dessen Selbstbestimmungsrecht und Menschenwürde zur Folge.4 Nach den §§
240 und 239 kann dieser Schutz nicht ausreichend gewährleistet werden, es
würde eine Strafbarkeitslücke5 hinsichtlich eigenmächtiger Heileingriffe
bestehen. Die Operation greift nicht unerheblich in die körperliche
Unversehrtheit des Z ein. Auch von einer vorläufigen Gesundheitsschädigung
muss bei einem solchen operativen Eingriff ausgegangen werden. Folglich
muss also der ärztliche Heileingriff
objektiv als Körperverletzung gewertet werden.6
1
Im folgenden sind alle §§ ohne Gesetzesangabe solche des StGB.
h.M.: Einwilligung im Arztrecht, S. 17; Sch/Sch/Eser, § 223 Rn.30; Bockelmann, JZ 1962, S.
525 ff.; Lackner/ Kühl, § 223 Rn. 8; Kühl AT § 9 Rn. 26.
3
Seit RGSt 25, 375, 378; BGHSt 11, 111; BGH NStZ 1996, 34f; ständige Rspr.
4
Baumann/Weber/Mitsch § 3 Rn.55-58; Krey BT § 3 Rn.219ff; Jescheck/
Weigend S. 379; Wolters JuS 1998, S. 587.
5
LK/Hirsch Vor § 223 Rn.6
6
Roxin/Schroth/Knauer, S.2: Chirurgische Eingriffe, die wg. ihrer Schwere unter Vollnarkose
durchgeführt werden, müssen als Körperverletzung gewertet werden.
2
1
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b) § 224I Nr.1 Alt.2, 2 Alt.2, 5: Weiterhin könnten die qualifizierten Merkmale
des § 224 I Nr.1, 2 Alt.2, 5 vorliegen. Dazu müsste die Körperverletzung durch
das Beibringen von gesundheitsschädlichen Stoffen vorgenommen worden
sein. Die Verabreichung von Narkosemitteln o.ä. durch den Arzt kann jedoch
nicht unter den § 224 I Nr.1 Alt.2 subsumiert werden.7 Die Verwendung von
solchen Mitteln ist notwendig für eine Operation. Außerdem ist nicht
ersichtlich, dass diese gegen Z eingesetzt wurden oder dessen Gesundheit
beeinträchtigt haben.
Die Körperverletzung könnte auch mittels eines gefährlichen Werkzeuges
vorgenommen worden sein. Es ist davon auszugehen, dass Operationen mit
Operationsbesteck, Spritzen u.ä. vorgenommen werden. Diese stellen aber in
den Händen einer qualifizierten Heilperson kein gefährliches Werkzeug dar.8
Sie verfolgen keinen Angriffs- oder Verteidigungszweck.9 Weiterhin könnte
abwegig!
die Operation eine das Leben gefährdende Behandlung nach § 224 I Nr.5
darstellen. Hierbei genügt es, wenn die Operation abstrakt dazu geeignet ist,
das Leben des Patienten zu gefährden.10 Die
Notwendigkeit der
Bluttransfusion zeigt, dass dies hier der Fall ist. Es ist demnach davon
auszugehen, dass die Gefahr11 für das Leben von Z erhöht wurde.
c) Zwischenergebnis:
C hat demnach den objektiven Tatbestand der §§ 223 I, 224 I Nr.5 erfüllt.
2. subjektiver Tatbestand: C müsste vorsätzlich gehandelt haben. Er handelte in
Kenntnis der körperverletzenden Umstände der Operation für Z.
II. Rechtswidrigkeit:
1. Berufsbegründete Rechtfertigung:
Das Handeln des C könnte gerechtfertigt sein. Der Arzt wird erst durch ein
Heilungsbedürfnis des Patienten zur Ausübung seines Berufes legitimiert. C
hat also kein berufsbegründetes Recht zu Heileingriffen.12
2. Erklärte Einwilligung: Ferner könnte C aber durch die mündlich erklärte
Einwilligung von Z gerechtfertigt sein. Fraglich ist, ob Z über das ihm
zustehende Rechtsgut Dispositionsbefugnis besaß. Die Operation stellt eine
7
Tröndle/Fischer § 224 Rn. 4, 5; Tag § 18 S. 426 ff.
Lackner/Kühl § 224 Rn.5; Sch/Sch/Stree §224 Rn. 9b;BGH NJW 1978, S. 1206.
9
BGH NJW 1978, S.1206; Janker NJW 1987, S.2899;Geppert Jura 1986, S. 536.
10
BGHSt 2, 163; Tröndle/Fischer/T § 224 Rn.12; Geerds Jura 1988, S.46; a.A.: Sch/Sch/Stree §
224 Rn.12; LK/Hirsch § 224 Rn 21.
11
Tag § 18 S.429
12
Sch/Sch/Eser § 223 Rn.37.
8
2
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Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit dar. Dies ist ein verfügbares
Rechtsgut. Laut Sachverhalt ergeben sich keine Willensmängel bezüglich der
Einwilligung in die Operation. Es gibt auch keine Anhaltspunkte für eine
Aufklärungspflichtverletzung durch C. Dieser handelte auch in Kenntnis der
Einwilligung.
Weiterhin dürfte die Tat nicht gegen die guten Sitten, § 228, verstoßen haben.
Dafür sind vorliegend aber keinerlei Anhaltspunkte ersichtlich. C ist demnach
aufgrund erklärter Einwilligung des Z gemäß § 228 gerechtfertigt.
III. Ergebnis: C hat sich nicht gem. §§ 223 I, 224 I Nr.5 strafbar gemacht.
II. Handlungsabschnitt: Die Bluttransfusion
1. Strafbarkeit des C gem. § 223 I, 224 I Nr.2 Alt.2:
I. Tatbestandsmäßigkeit:
1. objektiver Tatbestand:
a) § 223 I: Die Bluttransfusion, also das Einführen einer Kanüle als Teil der
Operation, muss als Körperverletzung gem. § 223 I angesehen werden.13
b) § 224 I Nr.2 Alt.2: Daneben könnte das qualifizierte Merkmal des § 224 I
Nr.2 Alt.2 erfüllt sein. Eine Kanüle stellt jedoch in den Händen des Arztes C
kein gefährliches Werkzeug in diesem Sinne dar.14
c) Zwischenergebnis: C hat den objektiven Tatbestand des § 223 I erfüllt.
2. subjektiver Tatbestand: C handelte vorsätzlich.
II. Rechtswidrigkeit:
1. Einwilligung: Z hat vor der Operation ausdrücklich erklärt, dass er keine
Bluttransfusion
Mutmaßliche
Einwilligung!
erhalten
möchte.
Eine
Rechtfertigung
durch
erklärte
Einwilligung scheidet demnach von vornherein aus.
2. Rechtfertigende Notstandshilfe, § 34:
Möglicherweise war C jedoch durch Notstand gerechtfertigt.
a) Notstandslage: Für das Leben15 des Z bestand während der Operation eine
gegenwärtige Gefahr.
b) Notstandshandlung: Diese Gefahr konnte C nur dadurch abwähren, dass
er die Bluttransfusion ohne die Einwilligung des Z vornahm und somit in
dessen körperliche Integrität eingriff. („Nicht-Anders-Abwendbarkeit“16)
13
Vgl. oben: I. Handlungsabschnitt: I.1.cc)
Vgl. oben: I. Handlungsabschnitt: I.1.b)
15
Wessels/Beulke, Rn. 299f.
16
Sch/Sch/Lenckner § 34 Rn.8; Kühl AT § 8 Rn.75.
14
3
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c) Güter- und Interessenabwägung:
§ 34 setzt weiter voraus, dass bei Abwägung der widerstreitenden Interessen
das
geschützte
Interesse
(Erhaltungsinteresse)
das
beeinträchtigte
(Eingriffsinteresse) wesentlich überwiegt. Das Leben bzw. die Lebensrettung
des Z wiegt im Vergleich zu der mit der Transfusion verbundenen
Körperverletzung weitaus mehr. Zu prüfen ist weiterhin, ob C die
Notstandssituation schuldhaft selbst verursacht hat.17 Dies ist jedoch zu
verneinen. Z hat in die gefahrauslösende Operation eingewilligt. Ein derartiger
Blutverlust war normalerweise nicht zu befürchten. Demnach ist C die
Verursachung der Notstandssituation nicht vorwerfbar.
d) Angemessenheit: Jedoch ist fraglich, ob die Bluttransfusion ein
angemessenes Mittel zur Gefahrenabwehr im Sinne des § 34 S.2 darstellte.
aa)
Lebenserhaltungspflicht:
Vereinzelt
wird
vertreten18,
dass
die
Lebenserhaltungspflicht des Arztes den Willen des Patienten immer überwiege.
Demnach könne von einem Arzt nicht verlangt werden, einen Patienten, der
sich in einer realen Unfallsituation nach § 330 c befindet, verbluten zu lassen.19
Demnach würde also eine Pflicht des C bestehen, auch gegen den Willen von
Z, dessen Leben zu erhalten.
bb) Autonomieprinzip: Nach einer anderen Ansicht20 sei die gegen den Willen
des Patienten durchgeführte Bluttransfusion zur Lebensrettung nach § 34
mangels Angemessenheit des Mittels nicht gerechtfertigt. Danach wird der
Persönlichkeitsautonomie ein so hoher Wert zugesprochen, dass ein
Überwiegen des Lebenserhaltungsinteresses gegen das Freiheitsprinzip und die
Menschenwürde des Patienten verstoßen würde.21 Der Anspruch auf
Selbstbestimmung der Person (Autonomieprinzip22) schließe trotz der
Höherrangigkeit des bedrohten Rechtsguts (Leben) einen Eingriff in einen
anderen Personenwert (körperliche Integrität) aus. Unter Berücksichtigung
dessen wäre ein derartiger Eingriff gegen den Willen von Z nicht gerechtfertigt.
cc) Stellungnahme: Es handelt sich hier um die Rechtsgüter ein und derselben
Person. Demnach müssen die subjektiven Wertvorstellungen von Z maßgeblich
17
Tröndle/ Fischer § 34 Rn.15; Joecks § 34 Rn. 27.
Kohlhaas S.127ff;Burski S.156ff;Peters JZ 1972, S. 86ff.
19
Kohlhaas S.127ff;Burski S.156,157;BGHSt6,147ff;Peters JZ 1972, S. 86.
20
Tröndle/ Fischer§34;MünchKomm/Erb§34;Maurach/Zipf §27.
21
Tröndle/Fischer§34Rn.16;Sch/Sch/Lenckner§34Rn.38;Maurach/Zipf§27Rn.43.
22
Tröndle/ Fischer§34Rn.16;MünchKomm/Erb §34Rn.95;LK/Hirsch § 34 Rn.80.
18
4
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gut!
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sein.23 Der Patient sollte selbst darüber entscheiden können, welches Interesse
er eher bereit ist „zu opfern“.24 Es ist also der letzteren Meinung zu folgen. C
ist folglich nicht durch Notstand gerechtfertigt.
3. Geschäftsführung ohne Auftrag, § 679 BGB:
C könnte durch einen Sonderfall der zivilrechtlichen Geschäftsführung ohne
weglassen!
Auftrag nach
§
679 BGB
gerechtfertigt
sein.
Danach
kann
eine
Geschäftsführung auch gegen den Willen des Geschäftsherrn gerechtfertigt
sein. Entscheidend ist hierbei jedoch, dass eine Rechtfertigung danach
überwiegend auf dem konkreten öffentlichen Interesse an der Erfüllung der
Geschäftsführung beruht.25 Eine sittliche Pflicht ist hierbei nicht ausreichend.26
Allerdings rettete C den Z aufgrund eines sittlichen Pflichtgefühls. Eine
Rechtfertigung aus § 679 BGB scheidet von daher aus.
III. Schuld:
1. Entschuldigender Notstand, § 35 I: C könnte nach § 35 I entschuldigt sein.
Notstandslage: Hierzu müsste eine gegenwärtige Gefahr für Leib und Leben für
eine dem C nahe stehende Person zum Zeitpunkt der Tat bestanden haben. Für
das Leben von Z bestand während der Operation eine gegenwärtige Gefahr.27
Fraglich ist jedoch, ob Z eine dem C nahe stehende Person im Sinne des § 35 I
war. Diese muss eine Person sein, bei deren Not man sich zur Rettung
verpflichtet fühlt. Es ist hier also eine feste gegenseitige Bindung zu fordern.28
Zwischen C und Z herrschte jedoch ein normales Arzt - Patienten Verhältnis,
welches der Gleichstellung mit Angehörigenbeziehungen nicht standhält. Aus
der Garantenstellung von C ergibt sich noch keine auf Dauer29 angelegte
persönliche Beziehung. Es fehlt also an der Nähebeziehung zwischen C
und Z. Eine Entschuldigung aus § 35 I ist auszuschließen.
2. Entschuldigungstatumstandsirrtum, § 35 II:
Möglicherweise hat sich C jedoch im Irrtum über die tatsächlichen Umstände
eines Entschuldigungsgrundes gemäß § 35 II befunden. Er müsste sich also
irrig eine Situation vorgestellt haben, in der er, hätte sie so vorgelegen, nach §
23
BGHSt 42, 301; Sch/Sch/Lenckner Rn.8a; Kindhäuser § 34 Rn.39.
BGHSt 11, 114.
25
Palandt BGB § 679 Rn.3; Staudinger/Wittmann § 679 Rn.2-7; .
26
Staudinger/ Wittmann § 679 Rn.2.
27
Vgl. oben: I. Handlungsabschnitt: I.1.b)
28
Haft AT S.141f; Roxin AT §22 Rn.30,3; Kühl AT §12Rn.37; Kindhäuser §35Rn.4;
Baumann/Weber/Mitsch §23Rn.23.
29
Maurach/Zipf §34IRn.14;Roxin AT§22Rn.31;OLG Koblenz NJW 88,S.2317 f.
24
5
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JURA NOT ALONE!
35 I entschuldigt gewesen wäre. C glaubte dem akut in Lebensgefahr geratenen
Z helfen zu müssen und ihm gegen seinen Willen eine Bluttransfusion
verabreichen zu dürfen.
Vermeidbarkeit:
Fraglich ist jedoch, ob dieser Irrtum vermeidbar gewesen ist. Für das Leben
von Z bestand akute Gefahr, die C nur sofort abwenden konnte. Er hatte also
C ist immer noch keine
nahestehende Person!
Übergesetzlicher Notstand
wäre einschlägig gewesen.
unter diesem Zeitdruck keine Möglichkeit, sich rechtlichen Rat einzuholen oder
gar einen Betreuer zu bestellen. Außerdem zwang ihn seine christliche
Wertvorstellung und sein Berufsethos dazu, einen Menschen nicht einfach
verbluten zu lassen. Der Irrtum nach § 35 II war folglich für C nicht
vermeidbar. Er ist demnach gemäß § 35 II entschuldigt.
IV. Ergebnis: C ist nicht wegen Körperverletzung nach § 223 strafbar.
2. Strafbarkeit des C gem. § 240 I: C könnte sich durch die Vornahme der
Bluttransfusion einer Nötigung30 strafbar gemacht haben. Hierzu müsste die
Transfusion eine Gewaltanwendung i.S.d. § 240 darstellen. Z war zum
Zeitpunkt der Bluttransfusion bereits bewusstlos. Demnach fehlt es hier an
einer derartigen Gewaltanwendung. C missachtet hier zwar den Willen von Z,
nötigt ihn aber nicht. Das heißt er beugt seinen Willen nicht. Eine Strafbarkeit
nach
§ 240 I scheidet daher aus.
B.) 2. Tatkomplex: Respirator
A. Strafbarkeit der S gem. §§ 212, 13 I:
In Betracht kommt eine Tötung des Z durch Unterlassen nach §§ 212, 13I.
I. Vorprüfung: Abgrenzung positives Tun / Unterlassen:
Vorweg ist zu prüfen, ob vorliegend in der Nichtweiterbehandlung des Z
(Unterlassen) durch Abschalten des Respirators per Knopfdruck (aktives Tun)
ein Tun oder Unterlassen zu sehen ist.
1. Energie- und Kausalitätskriterium:
Nach einer Ansicht sind die Kriterien Energieeinsatz und Kausalität
entscheidend.31 Durch den Einsatz von Energie (Knopfdruck) stößt S hier den
Kausalverlauf an, der den Tod von Z herbeiführt. Demnach greift sie hier aktiv
in die Außenwelt ein. Nach dieser Ansicht liegt ein positives Tun vor.32
30
Schröder NJW 1961, S. 953; Grünwald, ZStW 1961, S.9; Schwalm MDR 1962, S. 693;
Kaufmann ZStW 1961, S. 374.
31
SK/Rudolphi Vor§13Rn.6;Engisch FS Gallas S.168ff; Jescheck/Weigend §58.
32
Otto/Brammsen, Jura 1985, S.530 (531); Otto Jura 1999, S. 434 (438) sowie 2000, S.549f;
Baumann/Weber/Mitsch 15/33.
6
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2. Schwerpunkt des Vorwurfs: Die Gegenauffassung hebt auf den Schwerpunkt
des Vorwurfs, also auf das strafrechtlich relevante Verhalten ab.33 Dieses liegt
hier nicht in dem Ausschalten des Respirators, sondern darin, dass weitere
Rettungsbemühungen ausbleiben. Demzufolge handelt es sich um ein
Unterlassen34.
3. Stellungnahme: Das Verhalten der S kann mit dem Abbruch einer bereits
begonnenen Herzmassage verglichen werden. Hier hat der Helfer aufgehört
weiterzuhelfen. S bricht den Erfolgsabwendungsversuch nur auf höherer
vertretbar
technisierter Ebene ab.35 Zu folgen ist also der letzteren Ansicht. Es liegt hier
ein Unterlassen vor.
II. Tatbestandsmäßigkeit:
1. objektiver Tatbestand:
a) Erfolgseintritt, Handlungsmöglichkeit, Quasikausalität: S müsste zunächst
den Tod von Z herbeigeführt haben. Sie hat es unterlassen, ihm weiter zu
helfen. Dieses Verhalten war kausal für den Tod von Z. Es wäre S ohne
weiteres möglich gewesen, Z am Respirator angeschlossen zu lassen und ihm
somit weiter zu helfen. Somit ist also auch die Quasikausalität gegeben.
b) Garantenstellung, § 13 I: Schließlich müsste sich S gemäß § 13 I in einer zur
Erfolgsabwendung verpflichtenden Garantenstellung befunden haben. In
Betracht kommt hier eine Garantenstellung aus tatsächlicher Übernahme einer
Schutzpflicht. In die Übernahme der Schutzpflicht kann erst dann vertraut
werden, wenn der Übernehmende die Aufgabe auch tatsächlich übernommen
hat.36 Bei der S kann hier durch die Übernahme der Behandlung und Pflege des
Patienten Z im Rahmen eines Behandlungsauftrages37 ein solches Vertrauen
begründet werden. (Beschützergarant mit Obhutspflichten38)
c) Entsprechungsklausel, § 13 I aE: Weiterhin ist es erforderlich, dass die
Unterlassungstat der Verwirklichung des gesetzlichen Tatbestandes durch Tun
entspricht. Es handelt sich hier jedoch um ein reines Erfolgsdelikt, folglich
spielt die Entsprechungsklausel des § 13 I aE hier keine Rolle.
33
BGHSt 6, S. 59; BGH NStZ 1999, S.607; Sch/Sch/Stree Vor§13ff.Rn.158; Wessels/Beulke
Rn.700.
34
Engisch FS Gallas S.177f; Geilen, JZ 1968, S. (151); Haft AT S.175; Krey AT Rn.320f u. BT
Rn.11; Wessels/Beulke Rn.703; Ebert AT S.174.
35
Küper, JuS 1971, S. 474 (476).
36
Kühl AT §18 Rn. 70; Wessels/Beulke Rn. 720.
37
Wessels/Beulke Rn.720.
38
Kühl AT, §18 Rn. 46a ff.
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2. subjektiver Tatbestand: S wusste was sie tat und musste insbesondere auch
damit rechnen, dass Z sterben würde. Demnach ist dolus eventualis zu bejahen.
III. Rechtswidrigkeit: Fraglich ist, ob S auch rechtswidrig handelte.
1. Rechtfertigender Notstand, § 34:
a) Notstandslage: Für das Leben des P bestand eine gegenwärtige Gefahr.
b) Notstandshandlung:
Das Anschalten an den Respirator war ein geeignetes und erforderliches Mittel.
Andere Möglichkeiten der Gefahrabwendung sind nicht ersichtlich.
c) Güter- und Interessenabwägung: Das geschützte Interesse (Leben des P)
müsste hier das geopferte (Leben des Z) wesentlich überwiegen. Grundsätzlich
ist das Leben weder qualitativ noch quantitativ abwägbar, dies wäre mit Art. 1 I
GG unvereinbar.39 Folglich kann der Respirator hier nicht einfach bei dem Z
abgestellt werden, weil dieser möglicherweise geringere Überlebenschancen als
P hatte.40 Eine Rechtfertigung aus § 34 scheidet daher aus.
2. Rechtfertigende Pflichtenkollision: Möglicherweise ist S aber durch eine
rechtfertigende Pflichtenkollision gerechtfertigt. Diese ist gegeben, wenn
mindestens zwei Pflichten in der konkreten Situation in einem solchen
Verhältnis zueinander stehen, dass die Erfüllung einer der Pflichten zugleich
die Verletzung der anderen bedeutet.41
a) Geringerwertige / höherwertige Pflicht: Einer Ansicht zu Folge kann eine
Pflichtenkollision nur dann vorliegen, wenn der Täter eine höherwertige Pflicht
zu Lasten einer geringerwertigen Pflicht erfüllt.42 Der Erhalt des Lebens des Z
war nicht geringer- oder höherwertiger als die Pflicht den P zu retten. Folglich
ist S hieraus nicht gerechtfertigt.
b) Gleichwertige Pflichten: Eine andere Meinung nimmt eine Rechtfertigung
bei der Kollision gleichwertiger Pflichten an.43 Z war bereits an den Respirator
angeschlossen, als P in die Klinik eingeliefert wurde. S stand demnach nicht
vor der Wahl, welchen von zwei Patienten sie an den Respirator anschließen
und somit retten sollte. Es standen sich somit keine gleichwertigen Pflichten
gegenüber. Eine Rechtfertigung der S scheidet demnach ebenso aus.
39
Kühl AT, § 8 Rn.113 ff.; Küper, JuS 1981, S. 785 ff.; Laber S. 151 ff; NK/Neumann § 34
Rn.74; BGH NJW 1953, S. 513; Schmidhäuser S. 258 f.
40
Vgl. Roxin AT §16 Rn.29.
41
Kühl AT § 18 Rn.134f; Hruschka, FS Larenz, S.(257, 259).
42
Jescheck/Weigend S.243; Maurach/Zipf S.282.
43
Sch/Sch/Lenckner Vor §32 Rn.73; Hruschka FS Larenz S.257; Gropp FS Hirsch S.208(209);
Tröndle/Fischer Vor § 32 Rn.11b; Kühl AT §18 Rn.137.
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c) Ergebnis: S ist nach beiden Ansichten nicht gerechtfertigt.
Es gibt aber noch weitere
Ansichten!
3. Mutmaßliche Einwilligung: Fraglich ist, ob eine mutmaßliche Einwilligung
i.E. vertretbar
von Z in das Abschalten des Respirators anzunehmen ist. Eine ausdrückliche
Einwilligung konnte die S aufgrund des Zustandes von Z nicht mehr einholen
Weiterhin müsste es sich bei der mutmaßlichen Interessenpreisgabe um ein
disponibles Rechtsgut handeln. Das Leben ist normalerweise kein verfügbares
Rechtsgut, jedoch kann ausnahmsweise auf lebenserhaltende Maßnahmen
verzichtet werden, wenn dies dem ohne Zweifel ermittelten Patientenwillen
entspricht.45 Dieser muss unter Abwägung aller Umstände46 genau ermittelt
werden. Laut Sachverhalt hatte Z kein Patiententestament ausgefüllt, das gegen
die Weiterbehandlung sprechen würde. Aus seiner religiösen Überzeugung
heraus und mangels weiterer Hinweise lässt sich noch keine mutmaßliche
Einwilligung begründen. S ist demzufolge nicht gerechtfertigt.
IV. Schuld:
1. Irrtum: S könnte sich eine Situation vorgestellt haben, die sie bei ihrem
objektiven Vorliegen gerechtfertigt hätte (Erlaubnistatbestandsirrtum). In Frage
kommt
hier
ein
Irrtum
über
das
Vorliegen
einer
rechtfertigenden
Pflichtenkollision. S könnte aber die Situation auch nur falsch bewertet haben.
(Erlaubnisirrtum)
2. Abgrenzung Erlaubnistatbestandsirrtum / Erlaubnisirrtum: Zu untersuchen
ist, ob sich die Irrtümer nicht mit Hilfe einer Schwerpunktformel47 abgrenzen
lassen. Irrt der Täter allein auf der Sachverhaltsebene, so wird ein
Erlaubnistatbestandsirrtum angenommen.48 Wenn der Irrtum des Täters jedoch
das Werturteil als solches betrifft, liegt ein Erlaubnisirrtum nach § 17 vor.49
Hierbei hat der Täter eine richtige Kenntnis der Sachlage. Er gelangt nur
aufgrund einer fehlerhaften Gesamtbewertung zu der irrigen Vorstellung, er
benütze ein angemessenes Mittel zur Gefahrenabwehr.50 S kennt hier die
Abwehrmöglichkeiten, die ihr zur Verfügung stehen. Sie hält allerdings das
objektiv schärfere Abwehrmittel (Z vom Respirator abschalten) für das
44
vgl. hierzu: Grundfälle JuS 1971 S.248ff;Gegenmeinung: Küper, JuS 1971; S.474 ff.
Schöch NStZ 1995, S. 153.
46
z.B.: religiöse Orientierung, frühere Äußerungen, Gewohnheiten, Wünsche etc.
47
Britz, JuS 2002, S. 469.
48
Kühl AT § 13 Rn.78; Haft AT S.257.
49
Wessels/Beulke § 11 IV 3.
50
Hardtung, JuS 1996, S.1088 (1093).
45
9
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mildere. Sie kennt also die relevanten Fakten, vollzieht nur nicht die rechtliche
Bewertung. Demzufolge unterliegt sie einem Erlaubnisirrtum gemäß § 17.
3. Erlaubnissubsumtionsirrtum: Innerhalb eines Erlaubnisirrtums kann man
zwei Konstellationen unterscheiden. Zum einen kann der Täter irrig einen
Rechtfertigungsgrund für sein Verhalten annehmen, den die Rechtsordnung
überhaupt
nicht
kennt.51
Zum
anderen
kann
der
Täter
einen
Rechtfertigungsgrund zu seinen Gunsten im Anwendungsbereich ausdehnen.52
Dies ist hier der Fall. S subsumiert ihr Verhalten bei voller Kenntnis der
Sachlage unter den Rechtfertigungsgrund der Pflichtenkollision. Folglich liegt
hier ein Erlaubnissubsumtionsirrtum vor.
4.
Vermeidbarkeit:
Der Erlaubnisgrenzirrtum
wird
wie ein
direkter
Verbotsirrtum nach § 17 behandelt. Demnach ist entscheidend, ob der Irrtum
der S vermeidbar war. Dies soll sich danach richten, ob S bei Berücksichtigung
ihrer persönlichen Fähigkeiten unter Einsatz aller Erkenntniskräfte und
Wertvorstellungen sowie gehöriger Anspannung des Gewissens53 ihre
Fehlvorstellung hätte erkennen müssen. Realistischer erscheint zu untersuchen,
ob S bei eigenem Nachdenken oder durch eine Erkundigung bei rechtlich
kompetenten Dritten das Verbotensein ihres „Tuns“ hätte erkennen müssen. S
stand unter extremen Entscheidungsdruck. Es war ihr also objektiv nicht
möglich zu diesem Zeitpunkt eine andere Entscheidung zu treffen oder gar
rechtlichen Rat einzuholen. Es bestand für sie auch kein Grund zur
eher ( - )
S hätte sich bereits im
Vorfeld informieren müssen!
Erkundigung. Sie vertraute dem A, vermutlich weil dieser Arzt und ihr
Vorgesetzter war. Ihr ist daraus jedoch kein Vorwurf zu machen. Der Irrtum
war folglich vorliegend unvermeidbar. Sie musste auch nicht damit rechnen, in
eine solche Situation zu kommen. Daher kann man ihr kein schuldhaftes
doch!
Vorverhalten unterstellen.
5. Rechtsfolgen des Erlaubnisirrtums (indirekter Verbotsirrtum):
Der Irrtum der S war unvermeidbar. S handelte also schuldlos, demnach
entfällt die Strafbarkeit der Tat (§ 17 S.1).
V. Ergebnis: S hat sich gem. §§ 212, 13 I nicht strafbar gemacht.
B. Strafbarkeit des A:
1. Strafbarkeit des A gem. §§ 212, 13I, 25 I Alt.2:
51
Erlaubnisnormirrtum: Kühl AT § 13 Rn. 54; Ebert AT S.144 c).
Erlaubnissubsumtionsirrtum: Roxin AT § 14 Rn. 78; Ebert AT S.144 d).
53
vgl. BGHSt 2, 201; 3, 366; 4, 242.
52
10
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A könnte sich einer mittelbarer Täterschaft gemäß §§ 212, 25 I Alt.2 strafbar
gemacht haben, indem er die Tat durch S beging.
Tatbestandsmäßigkeit:
1. objektiver Tatbestand: Zu prüfen ist, ob A den objektiven Tatbestand der
mittelbaren Täterschaft erfüllt hat.
a)Verwirklichung
des
objektiven
Tatbestandes:
S
müsste
hier
als
„Vordermann“ den objektiven Tatbestand der Tötung durch Unterlassen
verwirklicht haben. Dies ist geschehen.54
b) Tätereigenschaften des A: A konnte als Hintermann gerade keinen
steuernden Einfluss auf S nehmen. Die Möglichkeit der mittelbaren Täterschaft
besteht folglich bei einem Unterlassungsdelikt schon rein konstruktiv nicht.55
Mittelbare Täterschaft wäre nur möglich, hätte A durch ein Tun S zum
Könnte dies nicht die
Unterlassen bewegt.56 Hierzu müsste A die S getäuscht oder bedroht haben.57
Anweisung sein??
Dies ist jedoch auszuschließen. Eine mittelbare Begehungstäterschaft ist
demnach zu verneinen.
2. Strafbarkeit des A gem. §§ 212, 13 I, 25 II: Mittäterschaftliches Unterlassen
ist gegeben, wenn eine gemeinsame Verletzung einer gemeinsamen Pflicht
vorliegt.58 A und S standen jedoch nicht vor einer Pflicht, die sie nur
gemeinsam hätten erfüllen können. Eine Mittäterschaft scheidet demnach aus.
3. Strafbarkeit des A gem. §§ 212, 13 I, 26:
I. Tatbestandsmäßigkeit: A könnte sich als Anstifter zur Tötung durch
Unterlassen §§ 212, 13 I, 26 strafbar gemacht haben.
1. objektiver Tatbestand: Zu untersuchen ist, ob A den objektiven Tatbestand
der Anstiftung verwirklicht hat.
a) Vorsätzliche rechtswidrige Haupttat: Eine vorsätzliche rechtswidrige
Haupttat ist mit der von S an Z begangenen Tötung durch Unterlassen gegeben.
b) Teilnahmehandlung: A müsste S als Anstifter zu einer Tat bestimmt haben,
d.h. er müsste den Tatentschluss in ihr erweckt haben.59 Fraglich ist, ob der
Begriff „Bestimmen“ weit oder eng auszulegen ist. Dies ist streitig.
54
Vgl. oben: B.) A. I. 3. sowie B.) A. II. 1. a) - c).
Kühl AT § 20 Rn.267; Otto, § 21 Rn.109. ?
56
Kühl AT § 20 Rn.267; LK/ Roxin § 25 Rn. 216.
57
Kühl AT §20Rn.267; Jescheck/Weigend S. 640; Jakobs AT Abschn.29 Rn.110.
58
Roxin TuT S.469, 357; Dencker S.168f.
59
Wessels/Beulke Rn.540.
55
11
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aa) Reine Verursachungstheorie60: Nach dieser Ansicht setze § 26 mehr als die
Verursachung des Tatentschlusses nicht voraus. Nur diese weite Auslegung des
Begriffs „Bestimmen“ könne alle Methoden der Tatveranlassug bestrafen.61
Demzufolge könnte sich A der Anstiftung strafbar gemacht haben. Er hat durch
das Informieren der S eine tatanreizende Situation geschaffen.
bb) Theorie vom geistigen Kontakt62: Eine andere Meinung vertritt den
Standpunkt, dass für den objektiven Tatbestand einer Anstiftung mehr als das
Arrangieren einer tatanreizenden Situation notwendig sei.63 Es wird eine
kommunikative Beeinflussung, also eine zielgerichtete Aufforderung des
Anstifters gefordert.64 Dies war vorliegend der Fall. A hatte geistigen Kontakt
zur S, folglich könnte er Anstifter sein.
cc) Theorie vom Unrechtspakt65: Nach einer weiteren Ansicht könne eine
Anstiftung nur dann vorliegen, wenn der Täter seinen Entschluss zur
Tatbegehung
abhängig
vom
Willen
des
Beeinflussenden
fasse
und
durchhalte.66 Der Anstifter schließe sogar eine Art Pakt mit dem Täter, indem
er ihm ein Versprechen zur Begehung der Tat abnehme.67 So könne in dem
psychischen Einfluss mehr als ein Anreiz, Hilfe oder Rat zu sehen sein.68 Es
gibt hier keinen derartigen Pakt zwischen A und S, demzufolge hätte sich A
nicht einer Anstiftung strafbar gemacht.
dd) Stellungnahme: Das Gesetz stellt den Strafrahmen der Anstiftung mit dem
der Täterschaft gleich. Demnach wird ein gleichwertiger Unrechtsgehalt der
Verhaltensweisen verlangt.69 Aus diesem Grund kann nicht jede vorsätzliche
Verursachung einer Tat als Anstiftung gewertet werden, ansonsten würden
auch
Fälle
minder
schweren
Unrechts
bestraft.70
Der
reinen
Verursachungstheorie kann demzufolge nicht gefolgt werden. Ebenso ist die
letztere Ansicht abzulehnen. Danach würden nur diejenigen wegen Anstiftung
bestraft, die jemanden zur Ausführung einer Tat drängen. Eine solche
Beschränkung der Anstiftung wäre mit dem Wortlaut des § 26 jedoch nicht
60
Lackner/Kühl § 26 Rn. 2.
Hilgendorf Jura 1996, S.9.
62
Sch/Sch/Cramer §26Rn.7;Maurach/Zipf §51Rn.13; LK/Roxin, §26Rn.12.
63
LK/Roxin, §26Rn.3.
64
Roxin FS Stree/ Wessels, S. 377.
65
Jakobs AT Abschn. 22 Rn.22; Puppe GA 1984, S. 112.
66
Jakobs AT Abschn. 22 Rn.22.
67
Puppe GA 1984, S. 112.
68
Jakobs AT Abschn.22 Rn.22.
69
LK/Roxin § 26 Rn.2; Wessels/Beulke Rn. 568
70
Hilgendorf Jura 1996, S.10.
61
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vereinbar. Jemanden „bestimmen“ ist schließlich etwas anderes wie jemanden
„verpflichten“.71 Somit wird der Theorie vom geistigen Kontakt gefolgt. Eine
Strafbarkeit des A wegen Anstiftung ist daher möglich.
2. subjektiver Tatbestand: Es müsste ein doppelter Vorsatz vorliegen, der sich
auf die Vollendung der Haupttat und auf das Hervorrufen des Tatentschlusses
bezieht.72 Hierbei muss sich der Vorsatz jedoch nicht notwendig auf alle
Einzelheiten der Haupttat richten.73 A wollte, dass S den Z vom Respirator
abschließt. A war sich auch bewusst, dass er in S den Tatentschluss geweckt
hat. Somit handelte A mit Vorsatz.
II. Rechtswidrigkeit:
Rechtfertigungsgründe sind nicht ersichtlich.74 A handelte rechtswidrig.
III. Schuld
1. Erlaubnisirrtum: A befand sich in einem Erlaubnisirrtum.75
2. Vermeidbarkeit des Erlaubnisirrtums:
Es stellt sich hier die Frage, ob dieser Irrtum vermeidbar war.76 A befand sich
ähnlich wie S in einer extremen Entscheidungssituation. A hätte sich jedoch
zumindest mit anderen Kollegen besprechen können. Er hätte bei genauerem
Nachdenken erkennen müssen, dass man nicht einfach einen bereits an den
Respirator angeschlossenen Patienten wieder abschließen kann. Hierfür spricht,
dass er als Arzt auch eine gewisse rechtliche Ausbildung durchlaufen hat. A hat
auch nicht wie S auf eine zuverlässige Person vertraut. Somit war der Irrtum
vermeidbar. A handelte also schuldhaft.
IV. Ergebnis: A ist gemäß §§ 212, 13 I, 26 strafbar.
C.) 3.Tatkomplex: Tödliche Spritze
A. Strafbarkeit der S gem. § 212 I:
S könnte sich durch die Verabreichung der Spritze des Totschlages gemäß
§ 212 I strafbar gemacht haben.
I. Tatbestandsmäßigkeit:
71
LK/Roxin § 26 Rn.11.
Tröndle/Fischer § 26 Rn. 5-7.
73
Wessels/ Beulke Rn. 572.
74
Vgl. oben: B.) A. III. 1. - 3.
75
Vgl. oben: B.) A. IV. 1. - 3. (Gründe für Erlaubnisirrtum)
76
Die Vermeidbarkeit richtet sich nach den oben (B.)A.IV.4.) genannten Kriterien. (B.)A.IV.4.)
72
13
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1. objektiver Tatbestand: Mit der Verabreichung der Lösung und dem
daraufhin eintretenden Tod des B hat S den objektiven Tatbestand des
Totschlages erfüllt.
2. subjektiver Tatbestand:
a) Vorsatz: S handelte mit bedingtem Vorsatz.77 Dieser ist ausreichend.
b) Vorsatzausschluss gemäß § 16 I 1: Der Vorsatz könnte aufgrund eines
Tatbestandsirrtums gemäß § 16 I 1 entfallen. Hierfür müsste S bei Begehung
der Tat einen Umstand nicht gekannt haben, der zum gesetzlichen Tatbestand
gehört. Dieser könnte darin zu sehen sein, dass S irrig annimmt, dem K und
nicht dem B die Spritze zu verabreichen. Sie irrt demnach über die Identität des
Opfers.78 S möchte aber den im Bett liegenden Menschen die Spritze geben.
Somit handelte sie mit individualisiertem Tötungsvorsatz. Die Kenntnis der
Identität ist hierbei kein erforderlicher Tatumstand.79 Der error in persona stellt
somit einen rechtlich unbeachtlichen Motivirrtum dar.
c) Irrtum nach § 16 II: Stellt sich der Täter Umstände vor, die den Tatbestand
eines milderen Gesetzes erfüllen würden, wird er nach dem milderen Gesetz
gut!
bestraft.80 S hat sich vorgestellt, dass sie K aufgrund dessen ernstlichen
Verlangens töten soll. S muss also bei rechtswidrig und schuldhaft begangener
Tat nicht wegen § 212, sondern wegen § 216 bestraft werden.
II. Rechtswidrigkeit:
1. Erklärte und Mutmaßliche Einwilligung:
Weder B noch K haben sich gegenüber S über den eigenen Todeswunsch
geäußert. Eine Rechtfertigung aufgrund erklärter Einwilligung ist daher nicht
möglich. Fraglich ist jedoch, ob eine mutmaßliche Einwilligung des B
anzunehmen ist. Allerdings handelt es sich bei der Inkaufnahme des eigenen
Todes weder um ein disponibles Rechtsgut noch bestehen irgendwelche
Anzeichen dafür, dass B den eigenen Tod gewollt hat. Eine Rechtfertigung der
S aufgrund von mutmaßlicher Einwilligung ist deshalb ebenso zu verneinen.
2. Zwischenergebnis:
Es liegt kein Rechtfertigungsgrund vor.
III. Entschuldigungsgründe:
77
BGHSt 14,193;Lackner/ Kühl §212Rn.3;Sch/Sch/Eser §212Rn.5.
error in persona vel objecto: Kühl AT, § 13 Rn.23; Roxin AT §12 Rn.173ff.
79
Roxin TuT S.214; Jescheck/Weigend §29; Sch/Sch/Cramer §15 Rn.59.
80
Lackner/Kühl, § 16 Rn.6.
78
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Verbotsirrtum, § 17:
1. Direkter Verbotsirrtum: Die Schuld der S könnte nach § 17 S.1
ausgeschlossen sein. S ging zu Unrecht davon aus, dass ihr Tun erlaubt war.
Sie irrte über das Verbotensein von aktiver Sterbehilfe. Dies stellt einen den
Vorsatz nicht ausschließenden, direkten Verbotsirrtum dar, der nach § 17 zu
behandeln ist.
2. Vermeidbarkeit: Es ist weiterhin entscheidend, ob der Irrtum der S
vermeidbar war. S hatte genügend zeitlichen Entscheidungsspielraum, folglich
hätte sie sich eine Rechtsauskunft entweder bei einem anderen Arzt oder einem
Vormundschaftsgericht
einholen
müssen.81
Sie
hätte
durch
eigenes
Nachdenken, schon aufgrund ihrer beruflichen Ausbildung, darauf kommen
müssen, dass aktive Sterbehilfe nicht erlaubt sein kann. Der Irrtum war
demnach vermeidbar. S handelte somit schuldhaft.
IV. Ergebnis: Der Schuldausschließungsgrund des § 17 S.1 greift nicht ein.
Eine Strafmilderung gemäß § 49 I ist möglich. S ist strafbar nach § 216.82
B. Strafbarkeit des A
1. Strafbarkeit des A gemäß §§ 212, 25 I Alt.2:
A könnte sich wegen Totschlags in mittelbarer Täterschaft gemäß §§ 212, 25 I
Alt.2 strafbar gemacht haben, indem er die Tat durch S beging.
I. Tatbestandsmäßigkeit:
1. objektiver Tatbestand: Zu prüfen ist, ob A den objektiven Tatbestand der
mittelbaren Täterschaft verwirklicht hat.
a) Verwirklichung des objektiven Tatbestandes durch S:
Dazu müsste der „Vordermann“ (S) den objektiven Tatbestand des Totschlages
begangen haben. Selbiges ist, wie bereits gezeigt, geschehen.83
b) Tätereigenschaften des A:
Weiterhin müsste A Täter sein. Es stellt sich die Frage nach welchen Kriterien
die Abgrenzung zwischen mittelbarer Täterschaft und Teilnahme erfolgt.
aa) Gemäßigte subjektive Theorie:
Die gemäßigt subjektive Theorie84 stellt auf die innere Einstellung der
Beteiligten ab.85 Täter sei demnach derjenige, der den Täterwillen (animus
81
Schöch NStZ 1995, S. (153, 156).
Vgl. oben: C.) A. 1. I. 2. c).
83
Vgl. oben: C.) A. I. 1.
84
Baumann JuS 1963, S.88 ff; RGSt 2, 160; BGHSt 2, 150. ?
85
Vgl. BGHSt 6, 226, 228.
82
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auctoris) habe und die Tat als eigene wolle. Teilnehmer sei wer nur
Teilnehmerwille (animus socii) habe.86 Der geistige Beitrag der Hintermänner
würde nur so ausreichend beachtet.87 A hatte den eigenständigen Willen K zu
töten, demnach wäre A hier mittelbarer Täter.
bb) Täterschafts- (materiell- objektive) Theorie:
Eine andere Meinung88 stellt darauf ab, dass Täter derjenige sei, der die
Tatausführung beherrscht.89 Maßgeblich seien hierbei Steuerungswille und
sachliches Gewicht des Tatanteils.90 Der Täter müsse die Zentralfigur sein und
über das Ob und das Wie der Tat entscheiden können.91 Danach genügt es also
nicht jede beliebige Mitverursachung der tatbestandsmäßigen Handlung als
täterschaftsbegründend anzusehen.92 Nur die Vornahme begründe eine
Täterschaft. A wusste, dass aktive Sterbehilfe verboten ist. Er hatte also einen
Wissensvorsprung zur S. Ebenso hielt er es in den Händen, dass die Tat
überhaupt stattfand und wie sie stattfinden sollte. A besaß also die
Tatherrschaft und wäre somit hiernach mittelbarer Täter.
cc) Stellungnahme: Ein Täterwille als psychisch greifbare Realität existiert
nicht, demnach ist die rein subjektive Theorie nicht vertretbar. Sie führt dazu,
Aufbau
Sie müssen beides integriert
prüfen!
dass eine Abgrenzung zwischen Täterschaft und Teilnahme im Ermessen des
Richters liegt.93 Zu folgen ist der Tatherrschaftslehre, welche zutreffend
objektive und subjektive Elemente mit einbezieht. Also ist A mittelbarer Täter.
2.Auswirkungen des Verbotsirrtums auf die mittelbare Täterschaft:
S handelte innerhalb eines durch A herbeigeführten vermeidbaren Verbotsirrtums. Fraglich ist, ob eine defekte aber in Verantwortung geführte
Täterschaft des Vordermanns, mittelbare Täterschaft des Hintermanns
überhaupt zulässt.
a) Strenge Verantwortungstheorie94:
Dieser Ansicht zur Folge liege eine mittelbare Täterschaft nur dann vor, wenn
sich das Werkzeug innerhalb eines unvermeidbaren Verbotsirrtums befände.95
86
Vgl. BGHSt 4, 20, 21; Baumann/Weber/Mitsch § 29 Rn. 59f.
Baumann/Weber/Mitsch § 29 Rn.59 f.
88
Haft AT S.191;Kühl AT § 20 Rn 25 ff; LK/Roxin § 25 Rn.7.
89
LK/Roxin, § 25 Rn.28 ff; Jescheck/Weigend § 61 IV; Kühl AT § 20 Rn. 41.
90
Jescheck/ Weigend § 61 IV.
91
Roxin TuT, § 25 Rn.28; Sch/Sch/Cramer Vor §§ 25 ff. Rn. 70.
92
Jescheck/Weigend § 61 IV.
93
Jescheck/Weigend S. 61 IV. 3.).
94
Rotsch, ZStW 112 (2000), S. 525 ff; Gallas, S.134; Jescheck/Weigend § 62 II5.
95
Bottke JuS 1992 S. 765 (768f.).
87
16
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Einen Täter hinter dem im vermeidbaren Verbotsirrtum handelnden Täter gäbe
es demnach nicht.96 Für A käme folglich nur eine Anstifterrolle in Betracht.
b) Eingeschränkte Verantwortungstheorie:97
Nach
dieser
Meinung
würde
ein
vermeidbarer
Verbotsirrtum
die
Werkzeugeigenschaft des Vordermanns, der verantwortlicher Täter sei, nicht
ausschließen.98
Folglich
müsste
man
nach
den
allgemeinen
Abgrenzungskriterien zwischen mittelbarer Täterschaft und Teilnahme
entscheiden.
c) Stellungnahme:
Das Verantwortungsprinzip würde den Bereich der mittelbaren Täterschaft
ohne zwingenden Grund zu sehr beschneiden. Bei Mit- oder Nebentäterschaft
Vergleich mit § 16 I fehlt!
ist es durchaus möglich, dass Tatherrschaft und Verantwortung geteilt werden.
Deshalb scheint es wenig sinnvoll, im Verhältnis Hinter- und Vordermann nur
vertretbar
einem die Verantwortlichkeit zu zustehen. Demzufolge ist die strenge
Verantwortungstheorie abzulehnen und der eingeschränkten zu folgen.
3. subjektiver Tatbestand: A müsste Vorsatz bezüglich der Begehung des
Totschlages an K in mittelbarer Täterschaft gehabt haben. Problematisch ist,
dass S nicht K, sondern B getötet hat. Fraglich ist also, welche Auswirkungen
dieser error in persona99 auf den Totschlagsvorsatz von A hat.
a) Unbeachtlichkeit des error in persona: Einer Ansicht zufolge sei der error in
persona des Vordermanns für den Vorsatz des Hintermanns unbeachtlich, wenn
sich der Tatmittler an das vom mittelbaren Täter vorgeschriebene Programm
gehalten hat.100 Zum Teil wird auch die Meinung vertreten, dass ein error in
persona für den Hintermann immer unbeachtlich sei.101 Aufgrund der Angaben
des Hintermanns sei dem Täter ja gerade ein solcher Fehler unterlaufen. Dies
ist hier aber gerade nicht der Fall. S hat sich nicht an den Plan von A gehalten.
Der error in persona ist somit beachtlich und der Vorsatz zu verneinen.
b) „Aberratio ictus“: Ein Großteil behandelt dies dagegen immer als „aberratio
ictus“.102 Dies ist der Fall, wenn der Täter mit seiner Handlung nicht das
96
Jakobs NStZ 1995, S. 26f.
Lackner/Kühl § 25 Rn.4; LK/Roxin § 25 Rn.87ff; Haft AT S.197.
98
Herzberg Jura 1990, S. 16 (22ff.); Schumann NStZ 1990, S.32 ff.
99
Vgl. Oben: C.) A. I. 2. b).
100
Jakobs AT Abschn. 21 Rn.106.
101
Tröndle/ Fischer § 26 Rn. 15.
102
Jescheck/Weigend § 64 II 4; LK/Roxin § 26 Rn. 90 ff.
97
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anvisierte, sondern ein anderes Opfer trifft.103 So sei es auch beim error in
persona des Vordermanns. Für den Hintermann agiere dieser wie ein
mechanisches Werkzeug, welches danebentrifft.104 Dies führe dazu, dass der
Tötungsvorsatz
bezüglich
der
fälschlich
getroffenen
Person
entfiele.
Demzufolge hätte der A nicht vorsätzlich gehandelt.
c) Stellungnahme: Letzterer Ansicht ist zu folgen. Die Unterscheidung des
Handelns des Tatmittlers nach Plan überzeugt nicht. Es liegt hier vielmehr ein
typischer Fall des aberratio ictus vor, folglich müssen die gleichen Regeln
angewandt werden. Somit handelte A ohne Tötungsvorsatz.
II. Ergebnis: Eine Strafbarkeit des A wegen Totschlags an B ist gemäß §§ 212,
25 I Alt.2 nicht begründbar.
§ 216, 22 23 wäre richtig
gewesen!
Diskutieren ob versuchte
Anst./Anst. zum Versuch!!
f 2. Strafbarkeit des A gemäß §§ 212, 25 I Alt.2, 22, 23 I an K:
A könnte sich durch das Einwirken auf S eines versuchten Totschlages an K
gemäß §§ 212, 25 I, 22, 23 I strafbar gemacht haben.
I. Vorprüfung: Voraussetzung ist zunächst das Nichtvorliegen des vollendeten
Delikts und die Strafbarkeit des Versuchs. K wurde nicht getötet. Somit ist die
Tat nicht vollendet. Totschlag ist ein Verbrechen i.S.d. § 12 I und damit ist der
Versuch gemäß § 23 I Hs.1 strafbar.
II. Tatbestandsmäßigkeit:
A hatte Vorsatz zu § 216
1. Tatentschluss: A müsste gemäß § 15 Vorsatz bezüglich der Tötung des K
gehabt haben. A handelte mit bedingtem Vorsatz. Dieser ist ausreichend.105
2. Unmittelbares Ansetzen: A müsste gemäß § 22 zur Tatbestandsverwirklichung unmittelbar angesetzt haben. Zu prüfen ist, wann bei mittelbarer
Täterschaft das Versuchsstadium anfängt.
a) Gesamtlösung: Einer Ansicht zufolge beginne der Versuch mit dem
unmittelbaren Ansetzen106 des Werkzeuges zur Tatbestandsverwirklichung. Die
Verlagerung auf einen früheren Zeitpunkt verkenne, dass der mittelbare Täter
das Geschehen bis zur Begehung gerade nicht aus der Hand geben dürfe.107 S
setzt jedoch nicht unmittelbar zur Tötung des K an, sondern verabreicht B die
Spritze. Somit liegt nach dieser Ansicht kein Versuch vor.
103
Kühl AT § 13 Rn. 29; Roxin AT § 12 Rn. 149ff.
Baumann/ Weber/ Mitsch § 21 Rn.15; Roxin TuT, S. 215.
105
BGHSt 14, S. 193; Lackner/Kühl § 212 Rn.3; Sch/Sch/Eser § 212 Rn.5.
106
LK/Vogel § 22 Rn.101; Gössel JR 1976, S.250; Küper JZ 1983; S. 361 (369).
107
Kadel GA 1983, S. 299 (307); Küper JZ 1983, S. 361 (369).
104
18
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b)Einzellösung: Die Gegenansicht meint, dass ein Versuch bereits dann
vorliege, wenn der Hintermann auf den Tatmittler einzuwirken beginne oder
dies versuche.108 Dies mache schließlich den Tatbeitrag des Hintermannes
aus.109 Diese Festsetzung der Versuchsgrenze müsse also unabhängig vom
Verhalten des Werkzeuges betrachtet werden.110 A hat auf S eingewirkt und sie
losgeschickt, um K die tödliche Spritze zu setzen. Er hat demnach seinen
Tatbeitrag erfüllt. Es liegt unmittelbares Ansetzen vor.
c) Vermittelnde Ansicht:
Vermittelnde Ansichten berücksichtigen die Gut- oder Bösgläubigkeit des
Tatmittlers.111 Dabei wird darauf abgestellt, ob der mittelbare Täter das
Geschehen aus der Hand gegeben hat oder das Opfer unmittelbar gefährdet.112
A hat durch sein Einwirken auf S seinen Tatbeitrag erfüllt. Er geht davon aus,
dass S den K tötet. Er glaubt also, dass dieser einer unmittelbaren Gefahr
ausgesetzt ist. Demnach liegt ein Versuch vor.
d) Stellungnahme: Der Strafgrund des Versuches ist der Handlungsunwert und
nicht die unmittelbare Rechtsgutsgefährdung.113 Folglich kann dafür das
Verhalten des Tatmittlers nicht entscheidend sein. Die Gesamtlösung ist daher
abzulehnen. Nach den anderen Ansichten liegt ein Versuch vor.
III. Rechtswidrigkeit: A handelte mangels Rechtfertigungsgründe rechtswidrig.
IV. Schuld: A handelte auch schuldhaft.
V. Ergebnis: A hat sich eines versuchten Totschlages in mittelbarer Täterschaft
an K gemäß §§ 212 I, 25 I Alt.2, 22, 23 I strafbar gemacht. Eine Milderung
nach §§ 23 II und 49 I ist möglich.
3. Strafbarkeit des A gemäß § 222, 25 I Alt.2, 15:
Weiterhin kommt durch das Einwirken auf die S eine fahrlässige Tötung des B
gemäß §§ 222, 25 I Alt. 2 in Betracht.
I. Vorprüfung: Voraussetzung ist zunächst das Nichtvorliegen eines
vorsätzlichen. Begehungsdeliktes. Aufgrund des aberratio ictus114 ist dies der
Fall. Die geforderte Strafbarkeit folgt aus §§ 222, 25 I Alt.2, 15.
II. Tatbestandsmäßigkeit:
108
Jakobs AT Abschn. 21 Rn.105; Schilling, S.32.
Baumann/Weber/Mitsch § 29 Rn. 155.
110
Schilling, S.112.
111
Jakobs AT Abschn.21 Rn.105.
112
Sch/Sch/Eser § 22 Rn. 54a; LK/Roxin § 25 Rn.106.
113
Dies zeigt auch § 23 III. Hier muss die Strafe nämlich nicht gemildert werden.
114
Vgl. oben: C.) B. 1. II. 2. b), c).
109
19
ULF- Unabhängige Liste Fachschaft Jura
- 65 -
JURA NOT ALONE!
1. Tatbestandsverwirklichung durch A: Mit dem Einwirken auf S und dem
daraus resultierenden Tod des B hat A den Tatbestand der Tötung erfüllt.
2. Fahrlässigkeit: A müsste fahrlässig, also objektiv pflichtwidrig gehandelt
haben.115 Für A war es aber nicht vorhersehbar, dass S das Opfer verwechseln
würde. Ihm kann kein Vorwurf gemacht werden. Er handelte nicht fahrlässig.
III. Ergebnis: Eine Strafbarkeit gemäß §§ 222, 25 I Alt. 2, 15 scheidet aus.
4.Strafbarkeit des A gemäß § 216 II, 25 I Alt.2, 22, 23 I Hs. 1:
A könnte sich durch das Einwirken auf S einer versuchten Tötung auf
Verlangen strafbar gemacht haben, §§ 216, 25 I Alt.2, 22, 23 I.
I. Vorprüfung: Strafbarkeit des Versuchs (§ 216 II) und Nichtvollendung des
Delikts liegen vor.
II. Tatbestandsmäßigkeit:
1. Tatentschluss: A handelte mit Vorsatz116 bezüglich des Tötungserfolges und
jetzt verdoppeln Sie den
Vorsatz des A zu Unrecht!
Er wollte nur 1 Person töten
(vgl. oben)
des ausdrücklichen und ernsthaften Verlangens des K.
2. objektiver Tatbestand:
a) Unmittelbares Ansetzen: A müsste zur Tötung des K bereits unmittelbar
angesetzt haben. Hierzu ist das Einwirken des A auf S ausreichend.
b) Ernstliches Verlangen:
Fraglich ist, ob A durch das ausdrückliche und ernstliche Verlangen117 des K
zur Tötung bestimmt worden ist. § 216 erfordert also mehr als eine
Einwilligung.118 K hat in nicht misszuverstehender und ausdrücklicher Weise
i.S.d. § 216 von A verlangt getötet zu werden. Dies tat er bei klarem
Bewusstsein. Dieses Verlangen war für A auch motivierend.
III. Rechtswidrigkeit:
Rechtfertigender Notstand § 34:
Einer Ansicht zufolge kann eine Rechtfertigung aus § 34 in extremen
Ausnahmefällen legitimiert werden.119 Hierzu müsste das Weiterleben für den
Sterbewilligen unerträglich sein.120 Auch nach außen darf diesbezüglich kein
Zweifel bestehen.121 Dies ist hier der Fall. Fraglich ist, ob sich der Sterbewille
115
Kühl AT § 17 Rn. 22 ff.; Haft AT S. 163.
Tröndle/Fischer § 216 Rn.3; Sch/Sch/Eser § 216 Rn.3.
117
Tröndle/Fischer § 216 Rn. 7; Sch/Sch/Eser §216Rn.3 ff.; Chatzikostas S. 50f.
118
RGSt 68, S. 306 (307).
119
Merkel S. 413, (419-425); Chatzikostas S. 320-327.
120
MünchKomm § 216 Rn. 54.
121
Objektivierbarkeit d. Unerträglichen: Merkel,S.422f;MünchKomm§216Rn.54.
116
20
- 66 -
ULF- Unabhängige Liste Fachschaft Jura
JURA NOT ALONE!
des K auch hätte anders realisieren lassen.122 Laut Sachverhalt lässt sich nicht
ausschließen, dass es K möglich gewesen wäre, sich selbst zu töten. Bei einer
solchen Möglichkeit hätte A den K auf die Selbsttötung verweisen müssen. A
handelte demnach rechtswidrig
IV. Schuld: A handelte auch schuldhaft.
V. Ergebnis: A hat sich der versuchten Tötung auf Verlangen gemäß §§ 216,
25 I Alt.2, 22, 23 I strafbar gemacht. Eine Strafmilderung nach §§ 23 II, 49 I ist
möglich.
§ 212 ist gar nicht
gegeben (s.o.)
Folgefehler!
VI. Konkurrenzen: Eine Strafbarkeit nach §§ 212 I, 25 I Alt.2, 22, 23 I wird
hier durch den spezielleren Tatbestand des §§ 216 II, 25 I Alt.2, 22, 23 I
verdrängt.
VII. Gesamtergebnis: A ist gemäß §§ 216 II, 25 I Alt.2, 22, 23 I zu bestrafen.
Hiermit versichere ich, diese Hausarbeit selbständig und ohne fremde Hilfe
erstellt zu haben.
Tübingen, den 17.10.04
XXX (Unterschrift)
Sehr geehrter Herr Mustermann,
ihre Arbeit ist Ihnen gut gelungen, aufgrund von kleinen „Schnitzern“ kann sie jedoch „nur“ mit „gut“ bewertet werden.
Im 1. TK bieten Sie eine umfassende Lösung an, lediglich § 224 I Nr. 5 erscheint etwas konstruiert.
Im 2. TK bejahen Sie bei S § 17 vorschnell.
Bei A hätten sie § 25 I 2. Var nicht so, wie sie es getan haben, ablehnen dürfen.
Im 3. TK verdoppeln sie unzutreffend den Vorsatz des Arztes und nehmen § 212 … an.
Dennoch ist ihre Arbeit überaus erfreulich gut!
13 Punkte
- gut 122
MünchKomm § 216 Rn. 56; Merkel S.426; Chatzikostas S.324.
21
ULF- Unabhängige Liste Fachschaft Jura
- 67 -
Martin Mustermann
Wilhelmstr. 7
72074 Tübingen
Mat.Nr.: 1234567
3. Fachsemester
JURA NOT ALONE!
Tübingen, den 3. Oktober 2003
Übung im öffentlichen Recht
für Anfänger
1. Hausarbeit
bei Prof. Dr. Wolfgang Graf Vitzthum
im WS 2003/2004
ULF- Unabhängige Liste Fachschaft Jura
- 68-
Prof. Dr. Dr. h.c. Wolfgang Graf Vitzthum
JURA NOT ALONE!
Wintersemester 2003/2004
Priv. – Doz. Dr. Felix Hammer
Übung im Öffentlichen Recht für Anfänger
1. Hausarbeit
Angenommen, in Durchführung eines Beschlusses des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen (VN)
sollen VN- Waffeninspektoren Anlagen des fernöstlichen Staates S auf die ihm verbotene Herstellung,
Lagerung und Weitergabe von Massenvernichtungswaffen hin überprüfen. Da S, obwohl Mitglied der
VN, den Inspektoren die Einreise verweigert, fasst der VN- Sicherheitsrat einen zweiten Beschluss,
wonach die Einreise der Inspektoren und der Zutritt zu allen Anlagen des Staates S durch ein Handelsund Waffenembargo erzwungen werden soll. In der Folge kommt es- nach Aufforderung durch die VNzur Überwachung des Embargos durch Seestreitkräfte der NATO. Auf Beschluss der zuständigen
deutschen Organen beteiligen sich auch drei- unter deutschem Kommando verbleibende- Kriegsschiffe
der Bundesmarine an dieser Embargoüberwachung. Da insbesondere im Hinblick auf den
Verfassungsvorbehalt des Art. 87 a Abs. 2 GG in der Öffentlichkeit Zweifel daran geäußert werden, dass
sich im Grundgesetz eine Ermächtigung für einen solchen Auslandseinsatz der Bundeswehr findet, soll
ein Rechtsgutachten diese Frage klären.
Aufgabe 1
Erstellen Sie das Rechtsgutachten! Dabei ist weder auf den Problemkreis einzugehen, ob bei dem
Auslandseinsatz der Bundeswehr danach zu differenzieren ist, ob er inner- oder außerhalb des NATOGebiets stattfand, noch sind Rechtsfragen der Weiterentwicklung des NATO- Vertrags (inklusive
etwaiger Beteiligungsrechte des Bundestags) zu behandeln. Ebenso wenig sind Aspekte des Abschnittes
X a des Grundgesetzes zu untersuchen. Alle übrigen aufgeworfenen Rechtsfragen sind zu erörtern, ggf.
hilfsgutachtlich.
Weiter angenommen, es kommt bei dem Einsatz des deutschen Kontingents zu schweren Verlusten und
der deutsche Bundestag fasst mit einfacher Mehrheit den Beschluss, die deutschen Kriegsschiffe
zurückzurufen. Daraufhin weigert sich die Bundesregierung, diesem parlamentarischen „RückholBeschluss“ Folge zu leisten. Der Bundestag sieht in der Weigerung der Bundesregierung eine Verletzung
seiner verfassungsrechtlich gewährleisteten Rechte und will gerichtlich vorgehen.
Aufgabe 2
Prüfen Sie rechtsgutachtlich, ob und ggf. wie und mit welchen Erfolgsaussichten der Bundestag vor dem
Bundesverfassungsgericht gegen die Weigerung der Bundesregierung, dem parlamentarischen „RückholBeschluss“ Folge zu leisten, vorgehen kann. Aspekte des Abschnittes X a des Grundgesetzes sind dabei
nicht zu behandeln. Alle übrigen aufgeworfenen Rechtsfragen sind zu erörtern, ggf. hilfsgutachtlich.
Weiter angenommen, während jenes Embargoeinsatzes der Bundesmarine verstärken sich die Proteste in
Teilen der Bevölkerung gegen die „Militarisierung der deutschen Außenpolitik“. Auf Demonstrationen
wird immer lautstärker gefordert, Deutschland solle sich auch im VN- oder NATO- Rahmen nicht
militärisch engagieren. Daher bringen die Regierungsfraktionen beim Bundestag eine Gesetzesvorlage
ein, die vorsieht, dass vor der Entscheidung der zuständigen deutschen Organe über einen
Auslandseinsatz der Bundeswehr jeweils eine konsultative Volksbefragung durchzuführen ist. Wegen des
bereits erreichten europäischen Integrationsstandes sollen neben den wahlberechtigten Deutschen auch
die Angehörigen der anderen EU- Mitgliedstaaten („Unionsbürger“) teilnahmeberechtigt sein, sofern sie
nach der Art. 19 Abs. 2 des Vertrages zu Gründung der Europäischen Gemeinschaft (EG- Vertrag) i.V.m.
I
ULF- Unabhängige Liste Fachschaft Jura
- 69-
JURA NOT ALONE!
§ 6 Abs.3 des Gesetzes über die Wahl der Abgeordneten des Europäischen Parlaments aus der
Bundesrepublik Deutschland (Europawahlgesetz) bei den Wahlen zum Europäischen Parlament
wahlberechtigt sind.
Nach Inkrafttreten dieses Volksbefragungsgesetzes erwägt die Regierung des Landes BadenWürrtemberg rechtliche Schritte gegen das Gesetz. Sie zweifelt bereits daran, dass eine lediglich
konsultative Volksbefragung mit Art. 20 Abs. 2 GG vereinbar sei. Jedenfalls sei eine derartige
Volksbefragung vom Grundgesetz bisher nicht vorgesehen; sie könne daher zumindest nicht, wie hier
erfolgt, durch einfaches Gesetz eingeführt werden. Da es sich bei der staatlicherseits festgesetzten und
organisierten Volksbefragung nicht um eine Meinungsumfrage handele, dürfe sie zudem nicht unter
Beteiligung von Angehörigen anderer EU- Mitgliedstaaten durchgeführt werden.
Aufgabe 3
In einem Rechtsgutachten ist zu untersuchen, wie und mit welchen Erfolgsaussichten die Landesregierung
ihre Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des Volksbefragungsgesetzes vor dem
Bundesverfassungsgericht geltend machen kann. Alle aufgeworfenen Rechtsfragen sind zu erörtern, ggf.
hilfsgutachtlich.
Hinweis für die Bearbeiter
Die Arbeit ist am 15.10.2003 zu Beginn der Übungsstunde oder bis 10.00 Uhr am Lehrstuhl abzugeben (=
Ausschlussfrist). Sie soll nicht mehr als 25 Seiten bei Schriftgröße 12 und 1, 5 fachem Zeilenabstand
umfassen, wobei ein Korrekturrand von 7 cm freizuhalten ist. Bei Nichtbeachtung der Formatvorgaben ist
mit Punktabzug zu rechnen. Dem Gutachten, das zu unterzeichnen ist, soll ein Fallbesprechungsschein
beigelegt werden.
II
ULF- Unabhängige Liste Fachschaft Jura
Abelein, Manfred
- 70Literaturverzeichnis
JURA NOT ALONE!
„Die Rechtsstellung des Bundestagabgeordneten“
in: „Festschrift für Friedrich August Freiherr von der Heydte,
zur Vollendung des 70. Lebensjahres“, Berlin 1977
zitiert: Abelein, in: FS für A. von der Heydte, Fundstelle
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„Die Verfassung des Deutschen Reichs“
Neudruck der 14. Auflage, Aalen 1987
zitiert: Anschütz, Fundstelle
Arndt, Claus
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Die öffentliche Verwaltung (DöV), 1992
zitiert: Arndt, DöV 1992, Fundstelle
Bachmann
„Die Verfassungsmäßigkeit von Bundeswehreinsätzen im Ausland“
Monatschrift für Deutsches Recht (MDR), 1993
zitiert: Bachmann, MDR 1993, Fundstelle
Bähr, Biner Kurt
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Vereinten Nationen“
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Klein, Eckart
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Bleckmann, Albert
„Die Zulässigkeit des Volksentscheides nach dem Grundgesetz“
Juristenzeitung (JZ), 1978
zitiert: Bleckmann, JZ 1978, Fundstelle
III
- 71„Einsatz der Bundeswehr im Ausland?“
ULF- Unabhängige Liste Fachschaft Jura
Boldt, Hans
JURA NOT ALONE!
Zeitschrift für Rechtspolitik (ZRP), 1992
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Kommentar zum Bonner Grundgesetz (Loseblatt)
Band 4, 50. Lieferung, Stand: September 2002
zitiert: Bearbeiter, in: BK, Fundstelle
Bothe, Michael
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Degenhart, Christoph Staatsrecht I
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zitiert: Degenhart, Staatsrecht I, Fundstelle
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Ebsen, Ingwer
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IV
- 72JURA NOT ALONE!
„Der neue Unterausschuss „Vereinte Nationen/ Weltweite Organisationen“
ULF- Unabhängige Liste Fachschaft Jura
Ehrhardt, Wolfgang
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Vereinte Nationen (VN) 1993
zitiert: Ehrhardt, VN 1993, Fundstelle
Erichsen, Hans- Uwe
Staatsrecht und Verfassungsgerichtsbarkeit II
2. Auflage, München 1979
zitiert: Erichsen, Staatsrecht II, Fundstelle
Emde, Raimond
„Voraussetzungen für die Zulässigkeit eines Bundeswehreinsatzes innerhalb
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Neue Zeitschrift für Wehrrecht (NZWehrR), 1992
zitiert: Emde, NZWehR 1992, Fundstelle
Fibich, Holger
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zitiert: Fibich, ZRP 1993, Fundstelle
Gornig, Gilbert
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Bundeswehrsoldaten zu „Blauhelm“- Einsätzen“
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zitiert: Gornig, JZ 1993, Fundstelle
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schicksalbestimmende Fragen in der BRD“
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Heun, Werner
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zitiert: Heun, JZ 1994, Fundstelle
Hufschlag, Hans- Peter
„Einfügung plebiszitärer Komponenten in das Grundgesetz“
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zitiert: Hufschlag, plebiszitäre Komponente, Fundstelle
V
ULF- Unabhängige Liste Fachschaft Jura
Ipsen, Jörn
- 73-
JURA NOT ALONE!
Staatsrecht I
14. Auflage, Osnabrück 2002
zitiert: Ipsen, Staatsrecht I, Fundstelle
Ipsen, Knut
„Bündnisfall und Verteidigungsfall“
Die öffentliche Verwaltung (DöV) 1971
zitiert: Ipsen, DöV 1971, Fundstelle
Isensee, Josef
Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland
Kirchhof, Paul
Band I, Heidelberg 1987
zitiert: Bearbeiter, in: Kirchhof/ Isensee, Fundstelle
Band III, Heidelberg 1988
zitiert: Bearbeiter, in: Kirchhof/ Isensee, Fundstelle
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zitiert: Bearbeiter, in: Kirchhof/ Isensee, Fundstelle
Jarass, Hans Dieter &
Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland
Pieroth, Bodo
6. Auflage, München 2002
zitiert: Jarass/Pieroth, Fundstelle
Kisker, Gunter
„Neue Aspekt im Streit um den Vorbehalt des Gesetzes“
Neue juristische Wochenschrift (NJW) 1977
zitiert: Kisker, NJW 1977, Fundstelle
Limpert, Martin
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In: „Der Staat als Teil und als Ganzes“
Baden- Baden1998, S. 41- 55
zitiert: Limpert, Fundstelle
VI
Maunz, Theodor &
- 74 Grundgesetz Kommentar (Loseblatt)
Dürig, Günter &
Band II, Lieferung 1- 42; Stand: Februar 2003
Herzog, Roman
zitiert: Bearbeiter, in: Maunz/ Dürig/ Herzog, Fundstelle
ULF- Unabhängige Liste Fachschaft Jura
JURA NOT ALONE!
Band III, Lieferung 1- 42; Stand: Februar 2003
zitiert: Maunz/Dürig/Herzog, Fundstelle
Mössner, Jörg Manfred
„Bundeswehr in blauen Helmen“
in: „Festschrift für Hans Jürgen Schlochauer“
Berlin 1981
zitiert: Mössner, in: FS für Schlochauer, Fundstelle
Nolte, Georg
„Bundeswehreinsätze in kollektiven Sicherheitssystemen“
Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht (ZaöRV)
Band 54, 1994
zitiert: Nolte, ZaöRV 1994, Fundstelle
Pechstein, Matthias
„Der Golfkrieg“
Jura 1991
zitiert: Pechstein, Jura 1991, Fundstelle
Riedel, Norbert
„Der Einsatz deutscher Streitkräfte im Ausland- verfassungs- und
völkerrechtliche Schranken“
Frankfurt am Main 1989
zitiert: Riedel, Der Einsatz deutscher Streitkräfte, Fundstelle
Riedel, Norbert
„Die Entscheidung über eine Beteiligung der Bundeswehr an militärischen
Operationen der UNO“
Die öffentliche Verwaltung (DöV), 1993
zitiert: Riedel, DöV 1993, Fundstelle
Risse, Horst
„Das Verhältnis der UN- Truppen zu den Vereinten Nationen, zu den
Entsende- und Aufnahmestaaten“
in: Ernst Koch, „Die Blauhelme“
Frankfurt am Main 1991
zitiert: Risse, Vereinte Nationen, Fundstelle
VII
- 75JURA NOT ALONE!
„Bewaffnete Auslandseinsätze- Krieg, Außenpolitik oder Innenpolitik?“,
ULF- Unabhängige Liste Fachschaft Jura
Roellecke, Gerd
Der Staat, 1995
zitiert: Roellecke, Der Staat 1995, Fundstelle
Rudolf, Walter
„Völkerrecht und deutsches Recht“
Tübingen 1967
zitiert: Rudolf, Völkerrecht, Fundstelle
Sachs, Michael
Kommentar zum Grundgesetz,
3. Auflage, München 2003
zitiert: Bearbeiter, in: Sachs, Fundstelle
Sachs, Michael
„Verfassungsmäßigkeit des Auslandseinsatzes der Bundeswehr“
Juristische Schulung (JuS), 1995
zitiert: Sachs, JuS 1995, Fundstelle
Seifert, Karl- Heinz
Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland
& Hömig, Dieter
Baden- Baden 2003
zitiert: Seifert/ Hömig, Fundstelle
Schmidt- Bleibtreu, Bruno
Kommentar zum Grundgesetz
& Klein, Franz
8. Auflage, Berlin 1995
zitiert: Schmidt- Bleibtreu/ Klein, Fundstelle
Schopohl, Ulrich
„Der Außeneinsatz der Streitkräfte im Frieden“
Hamburg 1991
zitiert: Schopohl, Außeneinsatz, Fundstelle
Schroeder, Werner
„Verfassungs- und völkerrechtliche Aspekte friedenssichernder
Bundeswehreinsätze- BVerfG, NJW 1974, 2207“
Juristische Schulung (JuS), 1995
zitiert: Schroeder, JuS 1995, Fundstelle
VIII
- 76JURA NOT ALONE!
„Rechtliche und politische Probleme des Einsatzes der Bundeswehr out of
ULF- Unabhängige Liste Fachschaft Jura
Schwarz, Jürgen
area“
1. Auflage, Baden- Baden 1993
zitiert: Schwarz, „Rechtl. und polit. Probleme“, Fundstelle
Stein, Torsten
„Die verfassungsrechtliche Zulässigkeit einer Beteiligung der
Bundesrepublik Deutschland an den Friedenstruppen der Vereinten
Nationen“
in: Jochen Frowein / Torsten Stein
„Rechtliche Aspekte einer Beteiligung der Bundesrepublik Deutschland an
Friedenstruppen der VN“
1. Auflage, Berlin 1990
zitiert: Stein, Zulässigkeit, Fundstelle
Stein, Torsten &
„Bundeswehreinsatz im Rahmen von Militäraktionen“
Kröninger, Holger
Jura 1995
zitiert: Stein, Jura 1995, Fundstelle
Stern, Klaus
Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland
Band I, 2. Auflage, München 1984
zitiert: Stern, Staatsrecht I, Fundstelle
Umbach, Dieter &
Kommentar zum Bundesverfassungsgerichtsgesetz
Clemens, Thomas
Heidelberg 1992
zitiert: Bearbeiter, in: Umbach/ Clemens, Fundstelle
UNTS
Treaties and international agreements registered or filed with the secretariat
of the United Nations
New York 1968
zitiert: UNTS, Fundstelle
Von Bülow, Christoph
„Der Einsatz der Streitkräfte zur Verteidigung- Eine Untersuchung zu Art.
87a II GG“
Frankfurt 1984
zitiert: V. Bülow, Der Einsatz der Streitkräfte, Fundstelle
IX
ULF- Unabhängige Liste Fachschaft Jura
- 77-
v. Mangold, Hermann
Das Bonner Grundgesetz
& Klein, Friedrich
4. Auflage, Band III, München 2001
& Starck, Christian
zitiert: Bearbeiter, in: Mangold/ Klein/ Starck, Fundstelle
Wassermann, Rudolf
Kommentar zum Grundgesetz (Loseblatt)
JURA NOT ALONE!
Stand: Oktober 2001
zitiert: Bearbeiter, in: Wassermann, Fundstelle
Wieland, Joachim
„Verfassungsrechtliche Grundlagen und Grenzen für einen Einsatz der
Bundeswehr“
Deutsches Verwaltungsblatt (DVBl), 1991
zitiert: Wieland, DVBl 1991, Fundstelle
Wild, Michael
„Verfassungsrechtliche Möglichkeiten und Grenzen für Auslandseinsätze
der Bundeswehr“
Die öffentliche Verwaltung (DöV), 2000
zitiert: Wild, DöV 2000, Fundstelle
Zimmer, Mark
„Einsätze der Bundeswehr im Rahmen der kollektiven Sicherheit“,
Frankfurt am Main1995
zitiert: Zimmer, Fundstelle
X
ULF- Unabhängige Liste Fachschaft Jura
- 78 -
JURA NOT ALONE!
Inhaltsverzeichnis
Aufgabe 1
1
Rechtsgutachten über den Außeneinsatz der Bundeswehr ..................1
A. Vereinbarkeit mit Art. 87 a II GG .................................................1
I. Geltungsbereich des Art. 87 a II .....................................................1
1. Einsätze im Inneren ....................................................................1
2. Einsätze im In- und Ausland ......................................................1
a) Wortlaut..................................................................................1
b) Systematik ..............................................................................2
c) Genese ....................................................................................3
d) Sinn und Zweck der Regelung ..............................................3
4. Ergebnis......................................................................................4
II. Der Begriff der Streitkräfte im Sinne des Art. 87 a II ...................4
III. „Einsetzen“ der Streitkräfte im Sinne des Art. 87 a II .................4
a) Stellungnahme ........................................................................5
IV. „Verteidigung“ im Sinne von Art. 87 a GG .................................5
1. Auslegung des Wortlautes..........................................................5
2. Systematische Auslegung...........................................................6
a) Extensive Auslegung des Verteidigungsbegriffs ...................6
b) Friedenstheorie.......................................................................6
c) Systemtheorie .........................................................................7
d) Bündnistheorie .......................................................................8
3. Zwischenergebnis .......................................................................8
V. Erfordernis der Ausdrücklichkeit gemäß Art. 87 a II....................9
B. Vereinbarkeit mit Art. 24 II..........................................................10
I. Einordnung in ein System gegenseitiger politischer Sicherheit....10
1. System gegenseitiger kollektiver Sicherheit ............................10
2. Art. 24 II als Grundlage für Streitkräfteeinsätze ? ...................10
3. Art. 24 II als „ausdrückliche“ Zulassung i.S.v. Art. 87 a II ?...12
a) Wortlaut- Interpretation........................................................12
b) Genetische Interpretation .....................................................12
c) Systematisch- teleologische Interpretation...........................13
C. Gesamtergebnis zu Aufgabe 1 ......................................................13
Aufgabe 2
13
Hat der Antrag des Bundestages Aussicht auf Erfolg?.......................13
A. Zulässigkeit des Antrages .............................................................14
XII
ULF- Unabhängige Liste Fachschaft Jura
- 79 I. Parteifähigkeit ...............................................................................14
JURA NOT ALONE!
II. Antragsbefugnis ...........................................................................14
III. Form und Frist ............................................................................14
IV. Zwischenergebnis.......................................................................15
B. Begründetheit .................................................................................15
I. Parlamentsvorbehalt nach Art. 59 II 1?.........................................15
II. Wehrverfassungsrechtlicher Parlamentsvorbehalt.......................15
III. Parlamentarische Rückholbefugnis ............................................17
1. Stellungnahme ..........................................................................19
2. Ergebnis....................................................................................20
C. Gesamtergebnis zu Aufgabe 2 ......................................................20
Aufgabe 3
20
Abstrakte Normenkontrolle ..................................................................20
A. Zulässigkeit.....................................................................................20
I. Zuständigkeit des Bundesverfassungsgerichts ..............................20
II. Prüfungsgegenstand .....................................................................20
III. Antragberechtigung, Art. 93 I Nr. 2, § 76 BVerfGG .................21
IV. Antragsbefugnis .........................................................................21
V. Zwischenergebnis ........................................................................21
B. Begründetheit des Normenkontrollantrags.................................22
I. Formelle Verfassungsmäßigkeit....................................................22
1. Gesetzgebungskompetenz ........................................................22
a) Ergebnis................................................................................22
Wenn Sie a) schreiben muss
auch ein b) folgen
II. Materielle Verfassungsmäßigkeit ................................................22
1. Zulässigkeit der Einführung konsultativer Volksbefragungen.22
a) Das Prinzip der Volkssouveränität gemäß Art. 20 II 1 ........22
b) Der Begriff der „Abstimmungen“ (Art. 20 II 2) ..................23
c) Verfassungsvorbehalt ...........................................................24
d) Außerparlamentarischer Druck ............................................25
e) Ergebnis................................................................................26
2. Zulässigkeit der Wahlbeteiligung von EU- Bürgern ................26
a) Ergebnis................................................................................27
C. Gesamtergebnis zu Aufgabe 3 ......................................................27
XIII
Siehe oben
- 80 -
ULF- Unabhängige Liste Fachschaft Jura
JURA NOT ALONE!
Aufgabe 1
Rechtsgutachten über den Außeneinsatz der Bundeswehr
A. Vereinbarkeit mit Art. 87 a II GG1
Fraglich ist zunächst, ob eine Beteiligung der Bundesmarine mit
Kriegsschiffen an den VN- und NATO- Aktionen im Staate S, dem
Regelungsbereich des Art. 87 a II unterfällt.
I. Geltungsbereich des Art. 87 a II
1. Einsätze im Inneren
Eine Ansicht beschränkt den Regelungsbereich des Art. 87 a II auf Einsätze
der
Bundeswehr
im
Inneren
der
Bundesrepublik
Deutschland2.
Auslandseinsätze wären folglich nicht von Art. 87 a II erfasst. Vielmehr
unterlägen diese neben den völkerrechtlichen Bedingungen nur dem
allgemeinen Verfassungsverbot eines Angriffskrieges aus Art. 26 I. Eine
Verwendung der Bundesmarine im Rahmen der Embargoüberwachung wäre
demnach zulässig, da eine Vorbereitung oder gar eine Führung eines
Angriffskrieges im Sinne des Art. 26 I nicht vorläge. Erlaubt wäre daher im
Einzelfall sogar eine militärische Nothilfemaßnahme zugunsten eines
angegriffenen Staates.
2. Einsätze im In- und Ausland
Eine zweite Ansicht präferriert indes eine weite Auslegung von Art. 87 a II.
Sie sieht in Art. 87 a II eine Regelung, die neben Inlandseinsätzen auch
Auslandeinsätze deutscher Streitkräfte enthält3. Als Begründung wird
angeführt, dass die Verwendung der Bundeswehr „zur Verteidigung“, nicht
unter den Begriff der inneren Angelegenheiten subsumiert werden könnte4.
3. Stellungnahme
Für den
Verlauf der
unterschiedlichen
Prüfung von
Konsequenzen,
mit
großer Bedeutung sind
die
denen
den
beide
Ansichten
Auslandseinsatz deutscher Soldaten insgesamt für von der Verfassung
geregelt bzw. ungeregelt halten. Eine Lösung der unterschiedlichen
Gedankenansätze soll daher eine Normanalyse bringen.
a) Wortlaut
1
Artikel ohne Gesetzesangaben sind solche des Grundgesetzes (GG).
Pechstein, Jura 1991, 461; Stein, Zulässigkeit, S. 17.
3
Wild, DÖV 2000, 622 (623).
4
Wild, DÖV 2000, 622 (624).
2
1
ULF- Unabhängige Liste Fachschaft Jura
- 81 Ein geringer Teil des Schrifttums billigt Art. 87 a II lediglich eine
beschränkte Tragweite sachlicher Art zu5. Grund hiefür sei die
Formulierung „Außer zur Verteidigung“. Demnach hätte der Gesetzgeber
einen genaueren Wortlaut, wie: „ Die Bundeswehr darf nur zu
Verteidigungszwecken eingesetzt werden“, benutzt, wenn er beabsichtigt
hätte auch Auslandseinsätze deutscher Streitkräfte zu begrenzen. Die
tatsächliche Bezeichnung „ Außer zur Verteidigung“ sei demnach vielmehr
dahingehend zu verstehen, dass die Norm eine Regelung des Einsatzes
deutscher Streitkräfte nicht beinhalte6.
Eine solche Auslegung würde jedoch den eindeutigen Wortlaut der
Vorschrift ignorieren. Sowohl in Absatz 1 als auch in Absatz 2 ist der
Begriff der Verteidigung ohne Einschränkung und Qualifizierung in den
Vordergrund gestellt7. Art. 87 a II enthält sich vielmehr gerade eines
Vorbehaltes wie „im Inneren“ oder „im Bundesgebiet“. Der militärische
Außeneinsatz deutscher Streitkräfte stellt nicht nur eine Frage des
Völkerrechts dar, sondern hat ebenfalls erhebliche nationalrechtliche
Aspekte8. Daher sei die Einführung eines Vorbehalts notwendig. Selbst im
Falle der Erfordernis eines engen Bezugs der Verteidigungsanstrengungen
zur Bundesrepublik könnte nicht davon ausgegangen werden, dass sich die
Verteidigung Deutschlands in einer Krisensituation, nur auf das eigene
Territorium beschränkt9. Die Anerkennung des Weltfriedens sowie der
internationalen
Sicherheit
als
mögliches
Schutzgut
eigener
Verteidigungshandlungen vorausgesetzt, ergibt sich dies bereits aus der
militärischen Notwendigkeit. Ein sprachlich objektives Verständnis des Art.
87 a II spricht insofern deutlich für eine abschließende Normierung des
Auftrages der Bundeswehr im In – und Ausland.
b) Systematik
Das Grundgesetz ordnet Art. 87 a II in das VIII. Kapitel ein, in welchem vor
allem Kompetenzen von Bund und Ländern im Verwaltungsbereich
abgegrenzt werden. Sie wird durch Art. 87 und 87 b von Vorschriften über
die bundeseigene Verwaltung eingerahmt. Art. 87 a II könnte daher
systematisch im Zusammenhang mit den Absätzen 3 und 4 zu lesen sein, die
lediglich den Einsatz der Streitkräfte im Inneren der Bundesrepublik regeln.
5
Stein, Zulässigkeit, S. 25.
Stein, Zulässigkeit, S. 25.
7
Bleckmann, Grundgesetz, S. 167.
8
Burmester, NZWehrR 1993, 133 (134).
9
Gornig, JZ 1993, 123 (124).
6
2
JURA NOT ALONE!
ULF- Unabhängige Liste Fachschaft Jura
- 82 Für eine einschränkende Auslegung des Art. 87 a II könnte daher die
systematische Stellung der Norm im Grundgesetz sprechen10.
Auf Grund seiner vielen Affinitäten und des damit einhergehenden
fehlenden systematischen Gedankenansatzes, kann Art. 87 a jedoch nicht als
Interpretationsmaßstab im System der Verfassung dienen11.
c) Genese
Art. 87 a II wurde als Nachfolgerregelung des 1956 auf Grund der
„Wehrnovelle“ in die Verfassung aufgenommenen und 1968 gestrichenen
Art. 143, der die Verwendung der Streitkräfte im Falle eines inneren
Notstandes regeln sollte, in das Grundgesetz aufgenommen12. Auch in der
Entwurfsvorlage zur 76. Sitzung des Rechtsausschusses vom 15. März 1968
war eine Verwendung der Streitkräfte im Innern ausdrücklich festgelegt13.
Jedoch wurde im endgültigen schriftlichen Bericht des Ausschusses vom 9.
Mai 1968 unmissverständlich festgelegt, alle Bestimmungen über den
Einsatz der Streitkräfte, also auch die über einen Einsatz der Streitkräfte im
Innern, in Art. 87 a zusammenzufassen14. Dies verdeutlicht die Intention des
Gesetzgebers,Art. 87 a II auf den Einsatz im In- und Ausland zu beziehen15.
d) Sinn und Zweck der Regelung
In Anbetracht des Vorgehens deutscher Streitkräfte während des zweiten
Weltkrieges in Drittstaaten, erschiene es als nur schwer verständlich, wenn
das Grundgesetz in Art. 87 a III selbst den Einsatz von deutschen
Streitkräften zur innerstaatlichen Verkehrsregelung einer detaillierten
verfassungsrechtlichen Regelung für wert hielt, den für Deutschland
politisch heiklen und hochsensiblen Auslandseinsatz jedoch vollständig dem
völkerrechtlichem Regime überließe16. Die Bundesrepublik hat sich 1949
vielmehr bewusst zu einem völkerrechtlich offenen Staat bekannt. Sie hat
dadurch die Fesseln eines zu sehr nach innen gerichteten, national erhöhten
Souveränitätsverständnisses, abgelegt. Sowohl die Präambel, als auch Art.
24 bis 26 und Art. 9 II bezeugen, dass Deutschland ein friedsames Land ist,
welches sich von den Schandtaten des Nationalsozialismus distanzieren
will17. Selbst im Falle, dass Außeneinsätze bei der Einfügung des Art. 87 a
II nicht bedacht worden sein sollten, würde dies die Schlussfolgerung einer
10
Stein, Zulässigkeit, S. 24.
Bähr, ZRP 1994, 97 (98).
12
Randelzhofer, in: Maunz/ Dürig/ Herzog, Art. 24 Abs. 2 Rn. 68.
13
Anlage 3 des Kurzprotokolls der Sitzung.
14
Schriftlicher Bericht des Rechtsausschusses vom 9.5.1968, BT- Dr. V/ 2873, S. 12.
15
Arndt, DÖV 1992, 618 (619); BVerfGE 90, 286, 315.
16
Tomuschat, in: BK, Art. 24 Rn. 185; BVerfGE 90, 286 (316).
17
BVerfGE 47, 377 (382).
11
3
JURA NOT ALONE!
ULF- Unabhängige Liste Fachschaft Jura
- 83 Freigabe der Auslandseinsätze, nicht rechtfertigen. Von der Verteidigung
abweichende Einsätze, hat der Gesetzgeber nicht erwogen und damit auch
nicht freigegeben18. Die Streitkräfte brauchen demnach eine konstitutive
verfassungsrechtliche Zuständigkeits- und Befugniseröffnung.
4. Ergebnis
Der weit verbreiteten Ansicht des Schrifttums, die Art. 87a II als die
Darstellung der verfassungsjuristisch abschließenden und umfassenden
Aufgabenbestimmung für deutsche Streitkräfteeinsätze im In- und Ausland
betrachtet, ist zuzustimmen.
II. Der Begriff der Streitkräfte im Sinne des Art. 87 a II
Weiterhin müsste es sich für eine Anwendung des Art. 87 a II bei dem
Einsatz zur Embargoüberwachung, um einen Einsatz deutscher Streitkräfte
handeln. Der in Art. 87 a I und II aufgeführte Begriff der „Streitkräfte“
umfasst alle Teile und Kräfte der Bundeswehr. „Streitkräfte“ sind demnach
also alle nach dem Befehlsprinzip organisierten militärische Verbände der
Bundesrepublik Deutschland19. Laut Sachverhalt bleiben die Streitkräfte
auch im Rahmen der Überwachung, des von den VN verhängten Embargos,
unter deutschem Kommando. Somit handelt es sich weiterhin um deutsche
Streitkräfte. Dies wäre nach weit verbreiteter Ansicht auch im Falle eines
UN- Kommandos gegeben20. Als Begründung wird die Fortführung des
persönlichen Status’ angeführt: Sowohl die Beförderung als auch die
Besoldung würden sich für sie weiterhin nach nationalem Recht richten21.
Lediglich ein Ausgliederungsresultat geriete unter internationales Recht22.
Eine solche Ausgliederung unterläge jedoch allein dem innerstaatlichen
Recht und damit letzten Endes auch Art. 87 a II23.
III. „Einsetzen“ der Streitkräfte im Sinne des Art. 87 a II
Art. 87 a II geht nur vom „Einsatz“ der Streitkräfte aus, so dass prinzipiell
klarzustellen ist, welche Verwendung der Streitkräfte Einsatzqualität hat.
Ein geringer Teil des Schrifttums lässt einen Einsatz nur dann vorliegen,
wenn es um „Gefechts- und Kampfeinsätze“ geht. Der unbewaffnete Einsatz
unterfiele somit nicht der Regelung des Art. 87 a II
24
. Die überwiegende
Meinung betrachtet jedoch „Einsatz“ nicht nur als Teilnahme an Gefechts-
18
BVerfGE 90, 286 (316).
Baldus, in: von Mangoldt/ Klein/ Starck, Art. 87a Anmerkung III Rd. 33f.
20
UNTS 271, 135.
21
Risse, Vereinte Nationen, S. 54.
22
Bothe, Streitkräfte, S. 37 ff.
23
Emde, NZWehrR 1992, 133 (141).
24
Riedel, Der Einsatz deutscher Streitkräfte, S. 233.
19
4
JURA NOT ALONE!
ULF- Unabhängige Liste Fachschaft Jura
- 84 und militärischen Kampfhandlungen. Ihr zu Folge stelle jede Verwendung
von
militärischen
Einheiten
der
Bundeswehr
nach
JURA NOT ALONE!
militärischen
Führungsgrundsätzen und im Rahmen der militärischen Befehlsgewalt ein
„Einsetzen“ im Sinne des Art. 87 a II dar25.
a) Stellungnahme
Die Verwendung von Kriegsschiffen der Bundesmarine im Rahmen der
VN- und NATO- Aktionen erfolgen unter Inanspruchnahme ihres
militärischen know- hows, als Teil einer militärischen Organisation im
Rahmen einer militärischen Befehlshierarchie und nach militärischen
Führungsgrundsätzen. Durch die Demonstration militärischer Präsenz und
die Durchführung militärischer Beobachtung und Aufklärung sollen auch
mögliche Embargobrecher abgeschreckt werden. Im vorliegenden Fall
werden daher deutsche Streitkräfte ziel- und zweckgerichtet zur Abwehr
konkreter und gegenwärtiger Gefahren für die öffentlich Sicherheit und
Ordnung im In- und Ausland in Anspruch genommen. Dabei handelt es sich
um die Verwendung von Kriegsschiffen. Von einer Bewaffnung deutscher
Streitkräfte kann daher ausgegangen werden.
Aus den oben genannten Gründen betrachten beide Ansichten vorliegend
einen „Einsatz“ der Streitkräfte im Sinne des Art. 87 a II als gegeben. Einer
Entscheidung des Meinungsstreits bedarf es daher nicht.
IV. „Verteidigung“ im Sinne von Art. 87 a GG
Danach könnte sich der Einsatz der Bundesmarine als verfassungsrechtlich
legitim erweisen, wenn die Verwendung der Streitkräfte „zur Verteidigung“
erfolgt. Was „Verteidigung“ im Sinne von Art. 87 a ist, wird im
Grundgesetz nicht ausdrücklich definiert. Wie viele andere Begriffe der
Verfassung, kann daher auch der Verteidigungsbegriff, als offener
Verfassungsbegriff qualifiziert werden26. Angesichts dieser im Schrifttum
vorherrschenden Uneinigkeit, ist der Verteidigungsbegriff auszulegen.
1. Auslegung des Wortlautes
Art. 87 a II unterscheidet grundsätzlich zwei Fälle eines zulässigen
Bundeswehreinsatzes.
Aus
den
einleitenden
Worten
„außer
zur
Verteidigung“ lässt sich im Umkehrschluss die Rechtmäßigkeit der „zur
Verteidigung“ erfolgten Einsätze entnehmen. Demnach stellt Art. 87 a II
1.Alt. den „Primärauftrag“ und die „Grundfunktion“ der Streitkräfte dar.
Dem gegenüber gestellt, bedürfen Einsätze „außer zur Verteidigung“ nach
25
26
Riedel, Der Einsatz deutscher Streitkräfte, S. 210 f.
Depenheuer, DVBI 1997, 685 (686); Kirchhof, in: Kirchhof/Isensee, § 78 Rn. 25.
5
Was ist Verteidigung i.S.d. Art.
87 II GG?
ULF- Unabhängige Liste Fachschaft Jura
- 85 Art. 87 a II 2.Alt. hingegen einer „ausdrücklichen“ verfassungsrechtlichen
Zulassung.
2. Systematische Auslegung
Die Frage, ob ein „Angriff auf Deutschland“ erforderlich und ausreichend
ist, um von einer erlaubten „Verteidigung“ im Sinne des Art. 87 a II 1. Alt.
sprechen zu können, wird im Schrifttum höchst unterschiedlich beurteilt.
Die hierzu vertretenen Meinungen lassen sich zunächst in zwei Richtungen
einteilen: einer eher nationalen, an die Bundesrepublik Deutschland
anknüpfenden Tendenz steht die globale auf Weltzusammenhänge und
herkömmlich Systemideen abstellende Tendenz gegenüber. Eine nähere
Beleuchtung dieses Meinungsstreits zeigt hingegen, dass mittlerweile
insgesamt vier Auffassungen unterschieden werden müssen27.
a) Extensive Auslegung des Verteidigungsbegriffs
Ein äußerst weitgehender Interpretationsversuch betrachtet alle nicht durch
Art. 26 I verbotenen Aktionen als Verteidigungshandlung im Sinne von
Art. 87 a II28. Folgt man dieser Auffassung, so bestünden gegen die
Beteiligung der Bundesmarine keine verfassungsrechtlichen Bedenken.
Eine solche Betrachtungsweise läuft der Sache nach darauf hinaus, dem
grundgesetzlichen Verteidigungsauftrag durch eine dynamische Verweisung
auf das Kriegsvölkerrecht zu bestimmen. Eben dies würde aber jegliche
Konturen des Verteidigungsbegriffes verlieren, wenn ihm die Aufgabe
zugewiesen wird, den weltweiten Frieden in jeder Form zu unterstützen.
Somit würde die Grenze des Wortlauts von Art. 87 a II überschritten.
b) Friedenstheorie
Die
Friedenstheorie
versteht
die
völkerrechtlichen
Grenzen
einer
„Verteidigung“ zugleich auch als verfassungsrechtliche Grenze. Begründet
wird dieses Verständnis durch die in Art. 51 UN- Charta völkerrechtlich
zugelassene
individuelle
und
kollektive
Selbstverteidigung
als
„Verteidigungs“- Aufgabe. Auf Grund eines hieraus resultierenden
möglichen Einsatzes deutscher Soldaten zum Schutze rechtswidrig
angegriffener Drittstaaten, gilt ein solcher Einsatz im Ergebnis zur
„Verteidigung“ des Weltfriedens und der nationalen Sicherheit29. Ein großer
Teil der völkerrechtlichen Literatur verweist in diesem Zusammenhang auf
die
Bedeutung
von
Art.
25.
Art.
25
stelle
demnach
eine
„Transformationsnorm“ dar, durch die das gewohnheitsrechtlich begründete
27
Burmester, NZWehrR 1993, 133.
Mössner, in: FS für Schlochauer, 97 (105).
29
Schopohl, Außeneinsatz, S. 134; Ipsen, DÖV 1971, 583 (586 ff.).
28
6
JURA NOT ALONE!
ULF- Unabhängige Liste Fachschaft Jura
- 86 und in Art. 51 UN- Charta kodifizierte Recht auf eine individuelle und
kollektive
Selbstverteidigung
auch
in
die
Rechtsordnung
der
Bundesrepublik Deutschland Eingang gefunden habe30.
Beschränken sich die Betrachtungen lediglich auf diese Schlussfolgerung,
so kann ihnen zweifellos zugestimmt werden. Art. 51 UN- Charta stellt als
Ausnahme vom völkerrechtlichen Gewaltanwendungsverbot des Art. 2
Nr. 4 UN- Charta jedoch ein universell geltendes Völkergewohnheitsrecht31
gemäß Art. 25 dar. Auch im innerstaatlichen Bereich erlangt sie daher
Geltung32. Einen Rückschluss für eine verfassungsrechtliche Bestimmung
des Verteidigungsobjektes in Art. 87 a II 1.Alt. zu ziehen, wäre jedoch
falsch33. Auslandseinsätze deutscher Streitkräfte unterlägen demnach
lediglich dem Gewaltverbot sowie den völkerrechtlich anerkannten Grenzen
des individuellen bzw. kollektiven Selbstverteidigungsrechts. Gemäß des
Grundsatzes der Einheit der Rechtsordnung könnte der in Art. 87 a II 1.Alt.
aufgeführte verfassungsrechtliche Begriff der „Verteidigung“ daher mit dem
in Art. 51 UN- Satzung geregelten Begriff der „Verteidigung“
übereinstimmen. Solch eine Übereinstimmung kann jedoch nicht Art. 25
entnommen werden, da die Transformation lediglich die Übernahme der
Rechtsnorm, nicht aber weitere Auslegungen von Rechtsnormen der
Verfassung bezweckt34.
c) Systemtheorie
Die Systemtheorie unterscheidet sich von der Friedenstheorie nur
dahingehend, dass sie eine Integration der Defensivaufgaben in den
organisatorischen Rahmen eines Systems kollektiver Sicherheit fordert. Das
grundgesetzliche Verteidigungsobjekt
werde
nach
der Einheit
der
Verfassung durch Art. 24 II konkretisiert35.
Auch diese Theorie ist nicht vorzugswürdig. Zwar ist die Verfassung von
einer völkerrechtsfreundlichen Tendenz geprägt. Dies kommt vor allem in
der Präambel, Art. 1 II, Art. 24 und 25 zum Ausdruck. All diese Normen
verdeutlichen die Anerkennung anderer Staaten als gleichberechtigte
Mitglieder der Völkerrechtsgemeinschaft sowie den Respekt gegenüber
deren Rechtsordnungen. Jedoch hält dies nicht von der Suche nach dem
richtigen Verteidigungsobjekt des Art. 87 a II 1. Alt. mittels einer präzisen
30
Rudolf, Völkerrecht, S. 262 ff.
BVerfGE 66, 39/64 f.
32
Stern, Staatsrecht I, § 14 II 8.
33
Will, Neue Zürcher Zeitung vom 25.1.1991, S. 7.
34
Fibich, ZRP 1993, 7.
35
Schmidt- Bleibtreu/ Klein, Art. 87a Rd. 3.; Seifert/ Hömig, Art. 87a Rd. 5.
31
7
JURA NOT ALONE!
ULF- Unabhängige Liste Fachschaft Jura
- 87 Arbeit an und mit dem Grundgesetz ab, da das Völkerrecht dem deutschen
Verfassungsrecht weder gleich, noch höher gestellt ist36.
d) Bündnistheorie
Der überwiegende Teil der Literatur versteht „Verteidigung“ im Sinne der
klassischen Bündnispolitik37. Dies zeigt Art. 24. Diese Regelung gestatte es
dem Bund, Bündnissen beizutreten, deren Aufgabe es sei, sich gegenseitig
bei Angriffen Beistand zu leisten. Solch ein Bündnisvertrag diene dem
unmittelbarem
Bundesrepublik
Schutz
seiner
Deutschland.
Mitglieder
Aus
und
diesem
folglich
Grunde
auch
seien
der
auch
Beistandspflichten im Rahmen kollektiver Selbstverteidigung im Bündnis
vom Verteidigungsbegriff des Grundgesetzes erfasst38. Darüber hinaus sei
die Bundesrepublik zum Zeitpunkt der Änderung des Art. 87 a II bereits an
Art. 5 des NATO- Vertrages gebunden gewesen. Zu dieser Zeit hätte
niemand daran gedacht, die sich aus dieser Regelung ergebenden
Verpflichtungen einzuschränken39.
3. Zwischenergebnis
Der Bündnistheorie ist zuzustimmen. Art. 87 a II reflektiert ein bestimmtes
militärisches Verständnis, das die Aufgabe der Bundeswehr allein in einer
bestimmten strategischen Situation sah. Dies war der Ost- West- Konflikt
und die Stellung der Bundesrepublik im westlichen Bündnis. Von daher sind
unter Verteidigung alle Angriffe zu verstehen, die eine Abwehrreaktion auf
Angriffe und Bedrohungen gegen die Bundesrepublik Deutschland oder
einen ihrer Bündnispartner darstellen. Verteidigung im Sinne des Art. 87 a
ist also die Verteidigung des eigenen Territoriums (Gebietstheorie)40 und die
Verteidigung im Bündnis (Bündnistheorie)41. Bei der Embargoüberwachung
liegt nun weder ein Angriff noch eine Bedrohung für die Sicherheit der
Bundesrepublik Deutschland oder eines ihrer Bündnispartner vor. Zwar
könnte die Existenz von Massenvernichtungswaffen im Lande S eine
Bedrohung darstellen, eine solches Vorhandensein kann jedoch nur
vermutet werden. Die Schwelle zur Bedrohung ist folglich zum Zeitpunkt
des Einsatzes noch nicht überschritten. Somit stellt der Einsatz der
Bundesmarine
zur
Überwachung
des
Embargos
keine
Verteidigungshandlung im Sinne des Art. 87 a I und II dar. Vereinzelt greift
36
Stern, Staatsrecht I, S. 475.
Boldt, ZRP 1992, 218 (220); Kokott, in: Sachs, Art. 87a Rn. 18.
38
Fibich, ZRP 1993, 5 (7).
39
Wieland, DVBI 1991, 1174 (1179).
40
Bachmann, MDR 1993, 397f..
41
V.Bülow, Der Einsatz der Streitkräfte, S. 205.
37
8
JURA NOT ALONE!
ULF- Unabhängige Liste Fachschaft Jura
- 88 die Literatur auch auf den Verteidigungsbegriff des Art. 79 I 2 zurück42.
JURA NOT ALONE!
Dazu müsste eine unmittelbar drohender Angriff auf das Staatsgebiet bzw.
das Staatsvolk vorliegen. Eine solcher Angriff geht aus dem Sachverhalt
jedoch nicht hervor. Die Embargoüberwachung im Staate S wird auch von
dieser Interpretation des Verteidigungsbegriffs nicht erfasst. Art. 87 a I und
II stehen folglich einer Verwendung der Bundesmarine entgegen, sofern
nicht gemäß dem letzten Halbsatz des Art. 87 a II eine andere Bestimmung
der Verfassung eine solche Beteiligung „ausdrücklich zulässt“.
V. Erfordernis der Ausdrücklichkeit gemäß Art. 87 a II
Die überwiegende Ansicht des Schrifttums misst dem Begriff der
„Ausdrücklichkeit“ regelmäßig die Bedeutung von „expressis verbis“ bei.
Dem gemäß wäre ein Einsatz der Bundeswehr außer zur Verteidigung nur
dann zulässig, wenn er nicht nur implizit, sondern explizit, d.h. nach dem
Wortlaut des Grundgesetzes vorgesehen und erlaubt wäre43. Eine
Einsatzermächtigung aus der stillschweigenden Zulassung wäre insoweit
ausgeschlossen. Ein geringer Teil des Schrifttums betrachtet, es hingegen
als ausreichend, dass sich von einer anderen Verfassungsbestimmung die
Zulässigkeit ableiten lässt44. Auch in Art. 79 I S.1 ist von „ausdrücklich“ die
Rede. Demnach kann das Grundgesetz nur durch ein Gesetz geändert
werden, das „den Wortlaut des Grundgesetzes ausdrücklich ändert oder
ergänzt“. Wenn der Begriff „ausdrücklich“ in der gleichen Verfassung
unterschiedlich zu interpretieren wäre, müssten hierfür besondere Gründe
erkennbar sein. Solche sind aber nicht ersichtlich. Der analoge
Sprachgebrauch spricht also dafür, dass der Einsatz der Bundesmarine,
außer zur Verteidigung, nur dann zulässig ist, wenn dies in der Verfassung
expressis verbis vorgesehen ist.
42
Riedel, Der Einsatz deutscher Streitkräfte, S. 99 ff..
Arndt, DÖV 1992, 618 f.; Stein, Zulässigkeit, S. 19.
44
Gornig, JZ 1993, 123 (126).
43
9
Ihre Stellungnahme ? Ergebnis also,
ist Art. 24 II GG eine den
Voraussetzungen des Art. 87a II
GG entsprechende „ausdrückliche“
Zulassung ?
- 89 -
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JURA NOT ALONE!
B. Vereinbarkeit mit Art. 24 II
Eine Ermächtigung für den Einsatz der Bundesmarine im Rahmen der VNund NATO- Aktionen könnte in Art. 24 II enthalten sein. Danach kann sich
der Bund zur Wahrung des Friedens in ein System der kollektiven
Sicherheit einordnen und dabei in die Beschränkung seiner Hoheitsrechte
einwilligen, die eine friedliche und dauerhafte Ordnung in Europa und
zwischen den Völkern der Welt herbeiführen und sichern.
I. Einordnung in ein System gegenseitiger politischer Sicherheit
1. System gegenseitiger kollektiver Sicherheit
Die überwiegende Ansicht definiert ein System kollektiver Sicherheit
zunächst als ein universelles und regionales institutionalisiertes System.
Jegliche Anwendung von Gewalt zu individuellen Zwecken, abgesehen von
der Selbstverteidigung, sei dabei untersagt. Wesentliches Merkmal eines
solchen Systems sei die Verpflichtung der Mitgliedstaaten, gemeinsam
gegen dasjenige Mitglied vorzugehen, das gegen ein anderes einen Akt der
Aggression begeht45. Das Ziel sei dabei die Wahrung des Friedens und des
Art. 26
46
. Notfalls könne dies auch durch den Einsatz von Streitkräften
geschehen. Fraglich ist jedoch, ob der Einsatz deutscher Streitkräfte, im
Rahmen eines solchen Systems gegenseitiger kollektiver Sicherheit erfolgt.
Einigkeit besteht darüber, dass die Vereinten Nationen ein solches System
darstellen47. Hinsichtlich der NATO ist dies jedoch umstritten. Die NATO
stellt ein System gegenseitiger Selbstverteidigung dar48. Besonders
problematisch ist hierbei die Zulässigkeit der erforderlichen Einebnung der
Begriffsunterschiede zwischen einem System gegenseitiger kollektiver
Sicherheit und einem System kollektiver Selbstverteidigung.
Die Embargoüberwachung im Staate S erfolgt hingegen im Vollzug einer
Resolution des UN- Sicherheitsrates. Der Einsatz der Bundesmarine ist
demnach letztlich durch die UN- Charta, insbesondere durch Art. 41, Art. 42
sowie Art. 48 II gedeckt49. Eine Klärung des Meinungsstreits hinsichtlich
der NATO, kann daher offen bleiben.
2. Art. 24 II als Grundlage für die Beteiligung an Streitkräfteeinsätzen?
Zunächst ist jedoch fraglich, ob die in Art. 24 II enthaltene Ermächtigung
zum
Eintritt
in
ein
System
kollektiver
Sicherheit
auch
die
45
Doehring, in: Kirchhof/ Isensee, § 177 Rd. 2; Frank, in: Wassermann, Art. 24 II Rd. 5ff.
Streinz, in: Sachs, Art. 24 II Rd. 61.
47
Schwarz, rechtl. und polit. Probleme, S. 67; BVerfGE 90, 286 (327).
48
Stein/Kröninger, Jura 1995, 254 (257).
49
BVerfGE 90, 286 (353ff.).
46
10
Abgrenzung beider Systeme ?
Wann erfüllt ein System
gegenseitiger kollektiver
Selbstverteidigung die
Voraussetzungen des Art. 24. II
GG?
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- 90 verfassungsrechtliche Grundlage für eine Verwendung der Bundeswehr- wie
der Einsatz zur Überwachung des Embargos in S- bietet.
Teilweise wird vertreten, dass Art. 24 II den Streitkräfteeinsatz nicht
ausdrücklich zulasse, mit der Folge, dass die notwendige „ausdrückliche“
Ermächtigung
derzeit
nicht
vorhanden
und
deshalb
eine
50
Grundgesetzänderung erforderlich sei . Diese Ansicht verkennt indes, dass
mit dem Begriff „ausdrücklich“ nicht gemeint ist, dass die Beteiligung
deutscher Soldaten an UN (und NATO-) Aktionen verfassungsrechtlich
wörtlich zugelassen sein muss, da die Verfassung allgemeine Gültigkeit
besitzt und nicht jeden konkreten Einzelfall regelt. Ausreichend ist, wenn
das Zusammenspiel von Art. 24 II und Art. 87 a II 2.Alt. die Zulässigkeit
des Streitkräfteeinsatzes ergibt. Vereinzelt wird des weiteren die Ansicht
geäußert, Maßnahmen die im Rahmen der VN erfolgten, fehle das
kollektive Element. Sie beruhten nicht auf Gegenseitigkeit. Eine Teilnahme
an
solchen
Einsätzen
bedürfe
weder
eines
wechselseitigen
Beteiligungsversprechens noch brächte es einen Sicherheitszugewinn für
den Entsenderstaat51. Diese Betrachtung verkennt, dass nach Art. 24 II
einzig das System als solches kollektiv sein muss. Die Maßnahmen des
Sicherheitssystems unterliegen diesem Erfordernis hingegen nicht. Eine
weitere Ansicht weist darauf hin, dass eine unmittelbare Verpflichtung zur
Beteiligung an einem konkreten Einsatz aus Art. 24 II nicht zu entnehmen
sei52. Der Beitritt der Bundesrepublik Deutschland sollte zum Zweck der
Friedenswahrung erfolgen53. Art. 24 steht dabei im Dienste einer aktiven
Friedenssicherung54. Dies aber setzt voraus, dass die Mitgliedstaaten
grundsätzlich bereit sind, dem System kollektiver Sicherheit auch
militärische Mittel zur Verfügung zu stellen55. Schon die Betrachtung des
Wortlauts des Art. 24 II zeigt die Forderung der Norm nach einer aktiven
Friedenssicherung. Dies wird im Gebrauch des Verbs „sichern“ deutlich.
Dieses Verb erfordert stets ein aktives Tätigwerden. Auch eine
systematische Auslegung des Art. 24 II im Zusammenspiel mit Art. 26 I und
der Präambel der Verfassung, die besagt, dass das deutsche Volk dazu bereit
ist, „dem Frieden der Welt zu dienen“, unterstreicht die Ansicht, dass Art.
50
Stein/Kröninger, Jura 1995, 254 (256); Stein, Zulässigkeit, S. 19.
Riedel, Der Einsatz deutscher Streitkräfte, S. 215.
52
Riedel, Der Einsatz deutscher Streitkräfte, S. 155 ff..
53
Jarass/Pieroth, Art. 24 Rn. 17f..
54
Mössner, in: FS für Schlochauer, S. 100.
55
Schroeder, JuS 1995, 398 (402); Wild, DÖV 2000, 622 (623).
51
11
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- 91 24 II einen Auftrag zur aktiven Friedenssicherung beinhaltet und keine
bloßer Programmsatz ist56.
Auch die entstehungsgeschichtliche Auslegung kommt zu diesem Ergebnis.
Die Verfassungsgeber kannten 1948/49 kein anderes System der kollektiven
Sicherheit als das der VN. Daher erschiene es eher grotesk, wenn die
Verfassungsväter unter „einordnen“ im Sinne des Art. 24 II nur die
Mitgliedschaft in einem System kollektiver Sicherheit gemeint hätten, ohne
im gleichen Zuge die zur Verwirklichung der Ziele, die diese Einordnung
verfolgt, erforderlichen Handlungsmöglichkeiten zu erlauben. Ein solches
Verbot würde Art. 24 II zu einer bloßen Programmklausel degradieren.
3. Art. 24 II als „ausdrückliche“ Zulassung im Sinne von Art. 87 a II ?
Wie oben bereits festgestellt, bezieht sich die Formulierung der
„Ausdrücklichkeit“ auf das Erfordernis einer im Grundgesetz explizit
aufgeführten Zulassung57. Auf dieser Grundlage ist zu untersuchen,
inwiefern Art. 24 II im Sinne des Art. 87 a II einen Einsatz der Bundeswehr
zur Überwachung des Handels- und Waffenembargos im Staate S
„ausdrücklich zulässt“.
a) Wortlaut- Interpretation
Der Wortlaut des Art. 24 II enthält weder den Begriff „Bundeswehr“ noch
den Terminus „Streitkräfte“. Eine explizite, also eine im Normtext expressis
verbis ausgedrückte Ermächtigung zum Einsatz der Streitkräfte lässt sich
Art. 24 II nicht entnehmen. Nach seinem Wortlaut stellt Art. 24 II folglich
keine „ausdrückliche“ Zulassung im Sinne des Art. 87 II dar.
b) Genetische Interpretation
Art. 24 II gehört zu denjenigen Vorschriften, die von Beginn an Bestandteil
der Verfassung waren. Durch die Schaffung der Bundeswehr hat Art. 24 II
eine militärische Bedeutungserweiterung erfahren. Motiv für die Einführung
der Notstandsverfassung und damit auch für die Einfügung des neuen
Art. 87 a war vor allem, die Möglichkeit für einen Einsatz der Bundeswehr
im Innern zu beschränken. Es sind aber keinerlei Anhaltspunkte dafür
ersichtlich, dass im Rahmen der im Jahre 1968 vorgenommenen
Verfassungsänderung auch Eingriffe in den Regelungsgehalt des Art. 24
hätten vorgenommen werden sollen58. Zudem wäre dies durch Art. 79 I 1
nicht ohne eine ausdrückliche Änderung des Wortlauts möglich gewesen59.
56
V. Bülow, der Einsatz der Streitkräfte, S. 199.
siehe oben A IV.
58
Wieland, DVBI 1991, 1174 (1180).
59
BVerfGE 90, 286 (356), Nolte, ZaöRV 1994, 652 (655).
57
12
JURA NOT ALONE!
- 92 -
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JURA NOT ALONE!
c) Systematisch- teleologische Interpretation
Folgt man einer engen Auslegung so scheidet Art. 24 II als
Legitimationsnorm für den Bundeswehreinsatz aus. Die Entscheidung des
Verfassungsgebers, auf der Ebene der Verfassung alle erforderlichen
Vorbereitungen zu treffen, um der Bundesrepublik Deutschland die
Beteiligung an friedensichernden Maßnahmen möglich zu machen, würde
hinsichtlich der Bedeutung auch militärischer Operationen in diesem
Zusammenhang unterlaufen60. Da Art. 24 II die Grundlagen für den Beitritt
zu einem System der gegenseitigen kollektiven Sicherheit enthält und
gewaltsame Vollstreckungen nur als ultima ratio Bestandteil dieses Systems
ist, wäre es nahezu grotesk, den Ausdrücklichkeitsvorbehalt das Art. 87 a II
im Sinne eines strikten Verbots eines solchen Bundeswehreinsatzes
auszulegen. Der Ausdrücklichkeitsbegriff in Art. 87 a II soll verhindern,
dass „ungeschriebene Zuständigkeiten aus der Natur der Sache“ abgeleitet
werden. Hingegen sollen nicht Befugnisse ausgeschlossen werden, „die sich
aus
einem
Wortzusammenhang
mit
der
Verteidigungskompetenz
ergeben“61.
Genetische wie systematisch-teleologische Argumente sprechen dagegen,
den Ausdrücklichkeitsvorbehalt des Art. 87 a II in Bezug auf Art. 24 II
insofern auszulegen, dass er den Einsatz der Bundeswehr im Rahmen der
VN und der NATO mangels expliziter Erwähnung im Verfassungstext
verbietet.
Art. 24 II beinhaltet damit die von Art. 87 a II geforderte ausdrückliche
Verhältnis von Art. 87a II GG
und Art. 24 II GG ?
Zulassung zu Auslandseinsätzen deutscher Streitkräfte.
C. Gesamtergebnis zu Aufgabe 1
Eine Ermächtigung für den Auslandseinsatz der Bundesmarine im Rahmen
der Embargoüberwachung im Staate S, ist durch Art. 24 II in Verbindung
mit Art. 87 a II gegeben.
Aufgabe 2
Hat der Antrag des Bundestages Aussicht auf Erfolg?
Der Antrag des Bundestages hat Aussicht auf Erfolg, wenn er zulässig und
begründet ist.
60
61
Tomuschat, in: Isensee/Kirchhof, § 172 Rn. 30.
BTDruck, V/ 2873, S. 13; BVerfGE 90, 286 (356, 357).
13
- 93 -
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A. Zulässigkeit des Antrages
Die Zulässigkeit richtet sich nach der in § 13 BVerfGG enumerativ
aufgeführten Verfahrensarten. Als Verfahrensart kommt vorliegend ein
Organstreit in Betracht. Gemäß Art. 93 I Nr.1, § 13 Nr.5 BVerfGG besitzt
hierfür das Bundesverfassungsgericht die Entscheidungszuständigkeit.
I. Parteifähigkeit
Nach Art. 93 I S.1 und § 63 BVerfGG ist der Bundestag berechtigt, sich als
Antragsteller an einem Organstreitverfahren zu beteiligen. In Bezug auf die
Parteifähigkeit der Bundesregierung, die als möglicher Antragsgegner in
Art. 93 I, § 63 BVerfGG aufgeführt ist, bestehen ebenfalls keine Bedenken.
II. Antragsbefugnis
Der Bundestag muss nach § 64 I BVerfGG antragsbefugt sein. Dazu muss er
geltend machen können, dass er durch eine „Maßnahme oder Unterlassung“
des Antraggegners in seiner verfassungsrechtlichen Rechtsstellung verletzt
wurde oder unmittelbar gefährdet ist. Dies setzt voraus, dass der
Antragssteller Rechte anführt, die aus dem Grundgesetz ableitbar sind oder
die offenkundig dem Organ zustehen, dem er angehört62. Die Weigerung der
Bundesregierung, die deutschen Streitkräfte zurückzuholen, ist die
„Unterlassung“ des Antragsgegners im Sinne von § 64 I BVerfGG, welche
die vom deutschen Bundestag geltend gemachte Entscheidungsbefugnis des
Parlaments
verletzt
haben
könnte.
Eine
mögliche
Bindung
der
Bundesregierung im Bereich der auswärtigen Angelegenheiten an eine
Entscheidung des Bundestages, ist wie Art. 59 II und Art. 24 I zeigen, nicht
ausgeschlossen63.
Parlamentsvorbehalt
III. Form und Frist
Nach § 64 II BVerfGG muss im Antrag die Bestimmung des Grundgesetzes
enthalten sein, gegen die durch die beanstandete Maßnahme oder
Unterlassung des Antragsgegners ein Verstoß begangen wird. Kommt es für
die
Entscheidung
letztenendes
auf
eine
ungeschriebene
verfassungsrechtliche Pflicht an, so ist diese zu benennen64. Eine solche
Benennung ist mit der Rüge des Bundestages, die Bundesregierung verletze
durch ihre Weigerung die konstitutive Entscheidungsbefugnis des
Parlaments bezüglich der Einsätze der Bundeswehr, gegeben. Die
Einhaltung der Anforderungen gemäß § 23 I BVerfGG kann ebenso wie die
62
BVerfGE 70, 324 (350).
BVerfGE 90, 286 (337).
64
Clemens, in: Umbach/Clemens, §§ 63, 64 Rn. 149.
63
14
ULF- Unabhängige Liste Fachschaft Jura
Wahrung der Sechsmonats- Frist des
- 94 § 64 III BVerfGG als gegeben
JURA NOT ALONE!
angesehen werden.
IV. Zwischenergebnis
Der Antrag des Bundestages ist zulässig.
B. Begründetheit
Der Antrag des Bundestages ist begründet, wenn die Weigerung der
Bundesregierung, trotz eines Rückholbeschlusses des Bundestages, die
verfassungsrechtliche Rechtsstellung des Antragsstellers verletzt (§ 67
BVerfGG).
I. Parlamentsvorbehalt nach Art. 59 II 1?
Verleiht die Verfassung dem Parlament die Befugnis, konstitutiv und mit
Bindungswirkung für die Bundesregierung über die Beendigung eines
bewaffneten Einsatzes deutscher Truppen im Rahmen einer VN- Aktion zu
entscheiden, so steht das Verhalten der Bundesregierung im Widerspruch
zum Grundgesetz. Die Bundesregierung ist in ihrer Ausgangsentscheidung,
Woraus ergibt sich dieser?
ob sie überhaupt deutsche Streitkräfte für eine VN- Aktion zur Verfügung
stellt,
dem
konstitutiven
Parlamentsbeschluss
unterworfen65.
Möglicherweise ergibt sich daraus eine Pflicht der Bundesregierung, dem
Verlangen des Bundestages zu folgen. Dies wäre dann der Fall, wenn die
korrespondierende Befugnis des Bundestages gleichsam das Recht,
konstitutiv über die Beendigung des Auslandseinsatzes zu bestimmen,
erfassen würde. In Betracht käme hier Art. 59 II 1. Zweck dieser Vorschrift
ist der Schutz vor der Begründung irreversibler völkerrechtlicher
Verpflichtungen66. Zwar hat der Bundestag in Form des nach Art. 59 II
Die Entsendung der
Streitkräfte ist auch kein
Vertragsabschluss, sondern die
Erfüllung eines bereits
bestehenden, wofür Art. 59 II
GG gilt.
erforderlichen Gesetzes zugestimmt. Doch ist darin nur eine grundsätzliche
Billigung zu sehen, dass deutsche Streitkräfte bei Eintritt des Bündnisfalles
zum Einsatz kommen. Die konkrete Einsatzentscheidung ist dadurch jedoch
nicht
abgedeckt67.
Der
Vorschrift
kann
daher
keine
konstitutive
„Rückholbefugnis“ des Parlaments entnommen werden, wie sie der
Bundestag geltend macht.
II. Wehrverfassungsrechtlicher Parlamentsvorbehalt
Zu prüfen ist, ob die grundgesetzlichen Bestimmungen über die
Wehrverfassung einen entsprechenden Parlamentsvorbehalt rechtfertigen
65
BVerfGE 90, 286 (387); Limpert, S. 45.
BVerfGE 68, 1 (88); 90, 286 (357).
67
BVerfGE 90, 286 (358ff.).
66
15
Welche sind das?
ULF- Unabhängige Liste Fachschaft Jura
- 95 können. Nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts soll dem
JURA NOT ALONE!
Bundestag ein rechtserheblicher Einfluss auf die Verwendung der
Streitkräfte garantiert sein. Dies erfolge durch die auf die Streitkräfte
bezogenen Regelungen der Verfassung, die darauf angelegt sein, die
Bundeswehr
als
„Parlamentsheer“
in
die
rechtsstaatliche
68
Verfassungsordnung zu integrieren . Das Bundesverfassungsgericht leitet
die
Notwendigkeit
eines
konstitutiven
Parlamentsbeschlusses
beim
Auslandseinsatz der Bundeswehr aus der deutschen Verfassungstradition
seit 1918 und einem der Wehrverfassung zugrundeliegenden Prinzip ab,
nach dem der Einsatz bewaffneter Streitkräfte der konstitutiven,
grundsätzlich vorherigen Zustimmung des Parlaments unterliege69. Der
verfassungsrechtlichen
Herleitung
des
Bundesverfassungsgerichts
ist
insoweit zuzustimmen. Zweifellos erfolgten Kriegserklärungen und
Friedensschlüsse gemäß Art. 45 III WRV in Vollzug eines vom Reichstag
gefassten Beschlusses70. Jedoch könnten die auf einzelne Probleme
herangezogenen Einzelbestimmungen, auch e contrario ausgelegt werden71.
Eine lediglich punktuelle Regelung der parlamentarischen Mitwirkung
könnte
ebenso
eine
konkludente
Kompetenzzuweisung
an
die
Bundesregierung sein. Dieser Meinungsstreit bedarf jedoch keiner
Schlichtung, wenn sich der auf den bewaffneten Streitkräfte bezogene
Parlamentsvorbehalt anderweitig begründen lässt. Eine solche Begründung
könnte in der Wesentlichkeitstheorie liegen72. Für das Gemeinwesen
wesentlich normative Fragen, bedürfen danach der parlamentarischen
Entscheidung. Kriterien der „Wesentlichkeit“ eines Problems können
hierbei sowohl die Grundrechtsintensität einer staatlichen Maßnahme, als
auch die Frage, ob es sich um ein in der Öffentlichkeit kontrovers
diskutiertes Thema handelt, sein73. Beide Kriterien nehmen eine bedeutende
Rolle ein. Es sind besonders die existenziellen Grundrechtspositionen, die
durch die Beteiligung von Soldaten an Auslandseinsätzen, betroffen sind.
Der Schutz von Leben und körperlicher Unversehrtheit nach
Art. 2 II
spielt hier eine große Rolle. Trotz des dem Grundgesetz fehlenden
Totalvorbehaltes für alle objektiv wesentlichen Entscheidungen, obliegt
dem
Parlament
die
zentrale
Aufgabe,
wesentliche
68
BVerfGE 90, 286 (381f.).
BVerfGE 90, 286 (383 ff., 387).
70
Anschütz, Art. 45 Anm.5 (260).
71
Sachs, JuS 1995, 163 (165f.).
72
Riedel, DÖV 1993, 994 (998); Heun, JZ 1994, 1073 (1074); BVerfGE 33, 1 (10).
73
Kisker, NJW 1977, 1313 (1318).
69
16
I. E. richtig
ULF- Unabhängige Liste Fachschaft Jura
- 96 Grundrechtsbeschränkungen selbst festzulegen. In Anbetracht der Gefahren
für Leib und Leben der Soldaten und in Anknüpfung an das Argument des
fehlenden
Totalvorbehalts,
Bundesverfassungsgerichts
erscheint
vorzugswürdig.
die
Demnach
Ansicht
wäre
des
eine
parlamentarische Zustimmung für den bewaffneten Auslandseinsatz
deutscher Streitkräfte erforderlich.
Dies schließt auch den Einsatz der deutschen Bundesmarine zur
Überwachung des von der VN verhängten Waffen und Handelsembargos
mit ein. Die Bundeswehr hat laut Sachverhalt im Rahmen ihres Einsatzes
schwere Verluste hinnehmen müssen. Auch in der Öffentlichkeit ist der
Einsatz zum politisch und gesellschaftlich heftig umstrittenen Thema
avanciert. Unter Berücksichtigung der auf die Wesentlichkeitstheorie
zurückgreifenden Argumente, verdient die These daher Zustimmung, dass
der bewaffnete Einsatz der deutschen Streitkräfte an der VN- Aktion,
unmittelbar kraft Grundgesetzes der konstitutiven Zustimmung des
Parlaments unterliegt.
III. Parlamentarische Rückholbefugnis
Es bleibt jedoch noch die Frage zu beantworten, ob dem Parlament auch
eine Entscheidungsbefugnis hinsichtlich der Beendigung eines solchen
Einsatzes zukommt. Nur dann wäre die Organklage des Bundestages
begründet.
In
diesem
Zusammenhang
ist
zu
bedenken,
dass
dem
Zustimmungsvorbehalt für den Einsatz bewaffneter Streitkräfte nicht die
Bedeutung eine Initiativbefugnis des Bundestages zukommt74. Weder
hinsichtlich des „Ob“ noch hinsichtlich einzelner Fragen des „Wie“ des
Einsatzes. Das Recht das Parlaments beschränkt sich auf die Billigung oder
Ablehnung des gesamten von der Regierung vorgelegten Pakets. Nur bei
Gefahr in Verzug ist die Bundesregierung berechtigt, vorläufig den Einsatz
der Streitkräfte zu beschließen. In einem solchen Falle sind die Streitkräfte
zurückzurufen, sobald es der Bundestag verlangt75. Die Regierung aber zu
einem Einsatz der Streitkräfte zu verpflichten, steht dem Bundestag nicht
zu. Die Regierung besitzt also insbesondere hinsichtlich der Entscheidung
über die Modalitäten, die Dauer und den Umfang der Einsätze, einen
Eigenbereich exekutiver Handlungsbefugnis76. Eine Teil der Literatur legt
die Entscheidungsbefugnis der Bundesregierung über die Dauer der
74
BVerfGE 68, 1 (86); Limpert, S. 49.
BVerfGE 90, 286 (388).
76
BVerfGE 90, 286 (389).
75
17
JURA NOT ALONE!
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- 97 Einsätze dahingehend aus, dass eine Rücknahme der parlamentarischen
JURA NOT ALONE!
Zustimmung mit Bindungswirkung für die Bundesregierung, nicht in
Betracht komme77. Begründet wird dies mit der einmaligen Zustimmung
zum „Außeneinsatz“. Die Änderung einer politischen Bewertung der Lage
erlaube es dem Bundestag nicht, die getroffene Entscheidung rückgängig zu
machen und die Bundesregierung zu einer Abänderung oder gar einen
Abbruch des Einsatzes zu zwingen. Demnach hätte der Bundestag lediglich
in Eilfällen ein Rückholrecht. Dies wäre bei Gefahr in Verzug gegeben. Ein
solcher Fall sei bisher jedoch erst einmal eingetreten: 1997 in Albanien.
Damals sei die gesamte albanische Staatsordnung zusammengebrochen.
Neben den Streitkräften befanden sich auch deutsche und ausländische
Staatsbürger akut in Lebensgefahr78. Aus dem Sachverhalt sind weder
anarchische Zustände, noch akute Gefährdungen der Staatsbürger zu
entnehmen.
Trotz
der
schweren
Verluste,
die die Bundesmarine
hinzunehmen hat, könnte dieser Auffassung zur Folge vergleichsweise nicht
von einer Gefahr in Verzug gesprochen werden. Des weiteren wird
argumentiert, dass ein Rückholrecht außenpolitisch lästig wirken könnte.
Indem es die Bundesregierung unter einen Argumentationsdruck und
Veröffentlichungszwang setze, käme es zu einer Gefährdung der
außenpolitischen Verlässlichkeit der Bundesrepublik79. Folgt man dieser
Meinung, so wäre dem Bundestag also lediglich der Versuch gestattet, über
den Weg des schlichten Parlamentsbeschlusses, die Regierung zu einer
Modifikation ihres Verhaltens zu bewegen80.
Die Gegenmeinung bezieht hingegen die „Dauer der Einsätze“ lediglich auf
den Zeitrahmen, den das Parlament bei der Erteilung seiner Zustimmung
verantworten
konnte81.
Eine
Rücknahme
der
parlamentarischen
Zustimmung mit Bindungswirkung für die Bundesregierung entspräche
demnach dem verfassungsrechtlichen Regelungsbereich.
Zum selben Ergebnis gelangt eine Ansicht, die ein solches Rückrufrecht aus
einer analogen Anwendung des Art. 87 a IV 2 herleitet82. Demnach besäße
der Bundestag die Eigenschaft eines Verfassungsorgans, „dem die
Bundesregierung
für
ihre
Entscheidungen
auch
im
außen-
und
77
Limpert, S. 49.
Limpert, S. 50.
79
Roellecke, Der Staat 1995, 415 (426).
80
Limpert, S. 49.
81
Nolte, ZaöRV 1994, 652 (680f.).
82
Zimmer, S. 145.
78
18
Außerdem liegt die Zustimmung
des Bundestages ja vor (anders
als bei der Entsendung auf
Grund von Gefahr in Verzug).
ULF- Unabhängige Liste Fachschaft Jura
sicherheitspolitischen
Bereich
parlamentarisch
- 98 verantwortlich“
sei83.
Risikoabwägung, Planung und Einsatzführung blieben somit auch bei einem
vom Bundestag veranlassten Rückholbeschluss in der Sphäre der Regierung.
Gemäß Art. 87 a IV 2 könne daher der Bundestag ein für die
Bundesregierung verbindliches Einstellungsverfahren verlangen.
1. Stellungnahme
Durch die Einräumung eines Rückholbeschlusses wird der eigene
Verantwortungsbereich der Exekutive nicht übermäßig eingeschränkt. Der
Regierung steht es frei, wann eine Beendigung des Einsatzes statt finden
soll. Insofern entscheidet sie in jedem Fall über „die Dauer“ der Aktion.
Auch die operative Kontrolle der eingesetzten Truppen durch die Regierung
wird durch das Rückholrecht nicht beeinträchtigt. Das Parlament ist daher
nicht in der Lage eine eigene Außenpolitik gegen den Willen der Regierung
zu betreiben. Die Verlagerung der Entscheidung über das „Ob“ des
Kriegszustandes berührt die Grundlagen der Gewaltenteilung nicht, solange
die Regierung eigenverantwortlich das „Wie“ der Ausführung bestimmt.
Das gilt gleichermaßen für ein anfängliches Veto des Bundestags, wie für
eines während des laufenden Einsatzes. Wenn der Parlamentsvorbehalt das
Ziel erreichen soll, „Kabinettskriegen“ vorzubeugen und den Einsatz der
Bundeswehr nur dann und insoweit zuzulassen, wenn er von der
Zustimmung einer Parlamentsmehrheit getragen wird, dann liegt es nahe
dem Bundestag ein entsprechendes Widerrufsrecht zuzubilligen. Ansonsten
muss er womöglich Entscheidungen treffen, deren Tragweite und
Auswirkungen für die Zukunft er noch gar nicht absehen kann, ohne selbst
Korrekturmöglichkeiten zu haben. Dem Bundestag kann nicht prinzipiell ein
geringeres außenpolitisches Verantwortungsbewusstsein vor internationalen
Verpflichtungen unterstellt werden, als der Bundesregierung. Eine vom
Rückholrecht ausgehende Gefährdung der außenpolitische Verlässlichkeit
der Bundesrepublik, ist daher ebenfalls nicht ersichtlich.
Die konstitutive Zustimmungsbefugnis des Bundestages für einen
Streitkräfteeinsatz im Ausland, ist aus den vorherig genannten Gründen so
zu bestimmen, dass das Parlament auch mit Bindungswirkung für die
Regierung über die Beendigung des Einsatzes entscheiden kann. Eine solche
Entscheidung bedarf gemäß Art. 42 II der einfachen Mehrheit84. Diese ist
laut Sachverhalt gegeben. Das Parlament bleibt seiner Entscheidung jedoch
83
84
Ehrhardt, VN 1993, 132 (133).
BVerfGE 90, 286 (388).
19
JURA NOT ALONE!
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- 99 auch an die mit seiner Zustimmung geschlossenen völkerrechtlichen
Verträge gebunden85. Die Beendigung des Streitkräfteeinsatzes erfolgt
indes nicht mittels eines Verstoßes gegen die rechtlichen Festlegungen. Die
Vereinten Nationen haben lediglich um die Entsendung von Streitkräften im
Rahmen einer Sicherheitsresolution gebeten. Eine Rechtspflicht zur
Befolgung dieser Bitte, bestand für Deutschland nicht.
2. Ergebnis
Die Bundesregierung hat mit ihrer Weigerung, die Truppen aus S
zurückzurufen,
gegen
die
verfassungsrechtlich
gewährleistete
Entscheidungskompetenz des Parlaments verstoßen. Der Antrag des
Bundestages an das Bundesverfassungsgericht ist daher auch begründet.
C. Gesamtergebnis zu Aufgabe 2
Ein Antrag des Bundestages hätte Aussicht auf Erfolg.
Aufgabe 3
Abstrakte Normenkontrolle
Vorliegend bezweifelt die Regierung von Baden- Würrtemberg (BW) die
Verfassungsmäßigkeit des Volksbefragungsgesetzes. Auf Grund des für die
Verfahrensart bedeutsamen Begehrens des Klägers bzw. des Antragsstellers,
ist vorliegend an ein Organstreitverfahren nach Art. 93 I Nr. 1, §§ 13 Nr. 5,
23, 63 ff. BVerfGG mit Baden- Würrtemberg als Prozessstandschafter nicht
zu denken. Dies käme lediglich bei einer Verletzung von Rechten des
Bundesrates in Frage. In Betracht kommt daher ein Antrag auf abstrakte
Normenkontrolle gemäß Art. 93 I Nr. 2, §§ 13 Nr. 6, 23, 76 ff. BVerfGG.
Dieser hat Aussicht auf Erfolg, wenn er zulässig (A) und begründet (B) ist.
A. Zulässigkeit
I. Zuständigkeit des Bundesverfassungsgerichts
Eine Zuständigkeit des Bundesverfassungsgerichts ist nach Art. 93 I Nr. 2,
§§ 13 Nr. 6, 23, 76 ff. BVerfGG gegeben.
II. Prüfungsgegenstand
Der weit auszulegende Begriff „Recht“ setzt voraus, dass die betreffende
Rechtsnorm bereits in Kraft getreten ist86. Zum Prüfungsgegenstand der
abstrakten Normenkontrolle kann jede generelle Rechtsnorm jeder Stufe
85
86
BVerfGE 90, 286 (388).
Ipsen, Staatsrecht I, Rn. 902.
20
JURA NOT ALONE!
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- 100 gemacht werden, d.h. vor- und nachkonstitutionelle Bundes- und
Landesgesetze
im
formellen
und
materiellen
Sinn.
JURA NOT ALONE!
Beim
Volksbefragungsgesetz handelt es sich um ein bereits verkündetes
nachkonstitutionelles Bundesgesetz. Es stellt somit einen tauglichen
Prüfungsgegenstand dar.
III. Antragberechtigung, Art. 93 I Nr. 2, § 76 BVerfGG
Gemäß Art. 93 I Nr. 2, § 76 BVerfGG sind auch Landesregierungen
antragsberechtigt. In Bezug auf die Regierung des Landes BadenWürttemberg, ist die Antragsberechtigung also gegeben.
IV. Antragsbefugnis
Gemäß Art. 93 I Nr.2 müssen „Meinungsverschiedenheiten oder Zweifel“
Schief, eine Antragsbefugnis gibt
des es bei der abstrakten
Volksabstimmungsgesetzes mit dem Grundgesetz bestehen. Hier stellt die Normenkontrolle nicht
„Antragsgrund“
Landesregierung die Vereinbarkeit des Volksabstimmungsgesetzes mit Art.
über
die
förmliche
und
sachliche
Vereinbarkeit
20 II in Frage, sie hat also Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des
Volksabstimmungsgesetzes. Fraglich ist, ob solche Zweifel ausreichen, da §
76 I Nr. 1 BVerfGG darüber hinausgehend verlangt, dass der Antragssteller
die Norm für nichtig hält. Zunächst ist daher fraglich, ob § 76 I Nr. 1
BVerfGG eine zulässige Konkretisierung des Art. 93 I Nr. 2 darstellt. Eine
Ansicht hält § 76 I Nr. 1 BVerfGG für (teil-) nichtig, soweit er restriktiver
gefasst ist als Art. 93 I Nr. 2. Stützend soll hierbei die Tatsache wirken, dass
Verfassungsnormen nicht durch einfaches Bundesrecht einschränkend
ausgelegt werden können87. Der überwiegende Teil des Schrifttums
interpretiert § 76 I Nr. 1 BVerfGG indes verfassungskonform88 oder hält in
beziehungsweise für nicht abschließend89. Gemeinsam ist allen Ansichten
die Erkenntnis, dass einfaches Gesetzesrecht ein nach der Verfassung
bestehendes
Antragsrecht
nicht
einschränken
kann.
Wegen
des
Geltungsvorrangs des Art. 93 I Nr. 2 reichen daher die Zweifel der
Landesregierung für ihre Antragsbefugnis aus.
V. Zwischenergebnis
Der an keine Frist gebundene Antrag, der schriftlich eingereicht und
begründet werden muss (§ 23 I BVerfGG) wäre zulässig.
87
Voßkuhle, in: Mangoldt/ Klein/ Starck, Art. 93 Rn. 123.
Erichsen, Staatsrecht II, S. 176
89
Benda/ Klein, Verfassungsprozessrecht, Rn. 715f..
88
21
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- 101 -
JURA NOT ALONE!
B. Begründetheit des Normenkontrollantrags
Der Antrag der Landesregierung BW wäre begründet, wenn das
Volksbefragungsgesetz mit den Normen des Grundgesetzes nicht vereinbar
wäre.
I. Formelle Verfassungsmäßigkeit
1. Gesetzgebungskompetenz
Zunächst müsste der Bund die Kompetenz für den Erlass des
Volksbefragungsgesetzes haben. Art. 70 I gestaltet das Grundschema des
Art. 30 mit Blick auf die Gesetzgebung aus. Die Gesetzgebungskompetenz
liegt demnach grundsätzlich bei den Ländern. Bundeszuständigkeiten
bedürfen der, nur ausnahmsweise konkludenten, Zuordnung durch die
Verfassung90. In Anlehnung an das Bundesverfassungsgericht, vertritt die
überwiegende Verfassungslehre die Meinung, dass der Bund eine AnnexKompetenz zum Erlass des Volksbefragungsgesetzes besitzt91. Dazu müsste
der Gegenstand der Befragung in die Gesetzgebungskompetenz des Bundes
fallen. Gemäß Art. 73 Nr. 1 fallen Entscheidungen hinsichtlich der
Verteidigung in das Ressort des Bundes. Für die Gesamtaufgabe
„Verteidigungswesen“ ist also uneingeschränkt und allein der Bund
zuständig. Auch das Volksbefragungsgesetz befasst sich mit der
Verteidigung, genauer, dem Auslandseinsatz deutscher Streitkräfte. Somit
verfügt der Bund mittels einer Annex- Kompetenz über die Zuständigkeit
zur Gesetzgebung.
a) Ergebnis
An der Verfassungsmäßigkeit des Gesetzgebungsverfahrens bestehen also
keine Zweifel.
II. Materielle Verfassungsmäßigkeit
Um materiell verfassungsgemäß zu sein, müsste das Volksbefragungsgesetz
die Vorgaben des Art. 20 II wahren.
1. Zulässigkeit der Einführung von konsultativen Volksbefragungen
Zunächst ist fraglich, ob konsultative Volksbefragungen in Form von
gesetzlich geregelten „Abstimmungen“ im Sinne des Art. 20 II stattfinden
können, oder ob andernfalls hierfür eine Verfassungsänderung gemäß
Art. 79 I erforderlich ist.
a) Das Prinzip der Volkssouveränität gemäß Art. 20 II 1
90
91
Degenhart, in: Sachs, Art. 70 Rn. 22.
BVerfGE 8, 104 (118f.); Ebsen, AöR 1985, 2 (26).
22
Kraft Sachzusammenhangs
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- 102 Ein geringer Teil des Schrifttums betrachtet konsultative Volksbefragungen,
JURA NOT ALONE!
sofern sie das vereinigte Volk in seiner Gesamtheit betreffen, als mit dem
Prinzip der Volkssouveränität und des Rechtsstaats unvereinbar92. Eine
lediglich konsultative Volksbefragung öffne dem Staatsvolk zwar eine
Mitwirkung an der Staatswillensbildung, schließe jedoch anderseits auch
das Recht der Repräsentativorgane ein, sich gegen den artikulierten Willen
der Repräsentierten aufzulehnen. Im Lichte der aufkeimenden Erkenntnis
könne es daher in einem demokratischem Staat keine konsultative
Volksbefragung geben93. Diesem Ansatz ist im Ergebnis jedoch nicht zu
folgen.
Das Prinzip der Volkssouveränität erfordert, dass jede staatliche Handlung
auf das Volk zurückgeführt werden kann94. Dies ist jedoch auch dann
gegeben, wenn die Organwalter, wie im vorliegenden Falle einer
konsultativen Volksbefragung, vom Votum des Volkes sich unterscheiden
können bzw. dürfen. Gemäß Art. 38 I 2 sind sie als „Vertreter des ganzen
Volkes“ rechtlich frei. Einer inhaltlichen demokratischen Legitimation
bedürfen die volksgewählten Abgeordneten daher also nicht.
b) Der Begriff der „Abstimmungen“ (Art. 20 II 2)
Im Unterschied zu den in Art. 38 näher geregelten Wahlen, handelt es sich
bei den in Art. 20 II erwähnten Abstimmungen um Sachentscheidungen95.
Derartige Sachentscheidungen bilden den Kern der direkten Demokratie.
Nach weit verbreiteter Auffassung stellt der Begriff „Abstimmungen“ eine
abschließende Regelung der staatlichen Willensbildung durch das
Grundgesetz dar. Demnach umfasse Art. 20 II 2 lediglich die im
Verfassungstext enthaltenen Art. 29 II, IV, VIII, Art. 118 Satz 2 und Art.
118 a96. Als Begründung wird angeführt, Intention des Parlamentarischen
Rats sei es gewesen, eine abschließende Regelung über die Teilnahme des
Volkes an der staatlichen Willensbildung zu treffen97. Art. 20 II 2 spricht
von „Abstimmungen“. Eine Verwendung dieses Begriffes würde keinen
Sinn machen, wenn damit maßgeblich nur der Fall der Territorialplebiszite,
hätte
Berücksichtigung
finden
sollen.
Mittlerweile
kennen
alle
Verfassungen der deutschen Bundesländer neben repräsentativen auch
92
Krause, in: Isensee/Kirchhof, § 39 Rn. 17ff..
Krause, in: Isensee/Kirchhof, § 39 Rn. 18.
94
Böckenförde, in: Isensee/Kirchhof, § 22 Rn. 11.
95
Degenhart, Staatsrecht I, Rn. 14; Ipsen, Staatsrecht I, Rn. 122 ff.
96
Degenhart, in: Sachs, Art. 20 Rn. 32; Herzog, in: Maunz/ Dürig/ Herzog, Art. 20 Rn. 43
97
Klaus Stern, Staatsrecht I, S. 11.
93
23
Sie müssen hier zwei Fragen
unterscheiden : 1)
Verfassungsmäßigkeit der
konstruktiven Volksbefragung ?
2) Durch einfaches Gesetz
möglich ?
ULF- Unabhängige Liste Fachschaft Jura
- 103 Formen der direkten Demokratie98. Auf Grund des Homogenitätsgebotes
des Art. 28 I müsste nun die Behauptung, einer Anreicherung der
Verfassung um Elemente der direkten Demokratie stünde Art. 79 III
entgegen, mit allen Konsequenzen zur Annahme der Verfassungswidrigkeit
diverser Länderbestimmungen führen. Diese Konsequenz wird jedoch nicht
gezogen99. Wenn Art. 28 I die grundgesetzliche Ordnung in den Ländern auf
die Grundsätze des demokratischen Rechtsstaates verpflichtet, die Länder
folglich zulässigerweise direktdemokratische Elemente in ihre Verfassungen
einfließen haben lassen, dann kann auch das Demokratieprinzip der
Verfassung nicht auf repräsentative Formen beschränkt sein. Daher ist
davon auszugehen, dass Art. 20 II 2
„Abstimmungen“ eo ipso nicht ausschließt
100
die Einführung weiterer
.
Die Einführung des Volksbefragungsgesetzes durch einfaches Gesetz wäre
aber ausgeschlossen, wenn sich der Verfassung ein Verfassungsvorbehalt
entnehmen ließe, nach dem bestimmte Verfassungsstrukturen, insbesondere
die Einführung einer konsultativen Volksbefragung nur durch die
Verfassung, das heißt durch Verfassungsänderung nach Art. 79 I erfolgen
könnte.
c) Verfassungsvorbehalt
(1) Ein Teil der Literatur folgt aus der Auslegung des Grundgesetzes oder
aus allgemeinen Prinzipien, dass die Regelung bestimmter Fragen,
ausschließlich
durch den Verfassungsgeber erfolgen kann und darf101.
„Wesentliche“ Regelungen staatsorganisationsrechtlicher und allgemeinstaatlicher Art könnten demnach analog dem Gesetzesvorbehalt in seiner
Ausprägung des „Parlamentsvorbehalts“ nicht durch den Gesetzgeber
sondern lediglich durch den Verfassungsgeber getroffen werden.
(2)
Nach
der
„Wesentlichkeitsrechtsprechung“
des
Bundesverfassungsgerichts, bleiben hingegen wesentliche Entscheidungen
dem Gesetzgeber vorbehalten102. Wegen seines lediglich konsultativen und
damit „unwesentlichen“ Charakters, fiele das Volksbefragungsgesetz
demnach nicht in den Kompetenzbereich des Verfassungsgebers. Eine
Einführung des Volksbefragungsgesetze durch einfaches Gesetz, wäre also
grundsätzlich möglich.
98
Ipsen, Staatsrecht I, Rn. 133.
BVerfGE 60,175 (208).
100
Hufschlag, plebiszitäre Komponente, S. 116 ff..
101
Götz, NJW 1958, 1020.
102
BVerfGE 33, 1(10).
99
24
JURA NOT ALONE!
- 104 -
ULF- Unabhängige Liste Fachschaft Jura
JURA NOT ALONE!
(3) Stellungnahme
Das
Gebilde
des
Verfassungsvorbehalts
hat
keine
eigenständige
verfassungsrechtliche Bedeutung. Selbst in Passagen, an denen der
Verfassungsvorbehalt ausdrücklich verankert wurde, wie durch Art. 30
durch das Verhältnis zwischen Bund und Ländern, bestand die
Notwendigkeit auf ungeschriebene Bundeskompetenzen zurückzugreifen.
Dies zeigt, dass ein Verfassungsvorbehalt zu verfassungspolitisch
unerwünschten Reglementierungen der Staatsgewalt führen würde. Nach
weit verbreiteter Meinung kann sich der Vorbehalt der Verfassung nur auf
bestimmte Rechtsinstitute beziehen, aus denen bestimmte Regeln des
Grundgesetzes
hervorgehen103.
Eine
lediglich
materiell
gesehene
Zugehörigkeit zum Verfassungsrecht im eigentlichen Sinne, berechtigt also
noch nicht zur Normierung einer Materie auf Verfassungsebene. Eine dahin
gehende Rechtspflicht ist im Grundgesetz nicht enthalten. Die Figur des
Verfassungsvorbehalts ist somit abzulehnen. Der Verfassungsvorbehalt steht
einer Einführung des Volksbefragungsgesetzes durch einfaches Gesetz also
nicht entgegen. Fraglich ist jedoch, ob bei der Durchführung der geforderten
Volksbefragung eine hinreichende Funktionsfähigkeit des parlamentarischrepräsentativen Regierungssystems des Grundgesetzes gewahrt bleibt. Dies
könnte vor allem bei einem überhöhten Druck auf die Abgeordneten
gefährdet sein.
d) Außerparlamentarischer Druck
Aus Ablauf und Ergebnis der Volksbefragung werden Fakten geschaffen,
die auf die Parlamentarier einen starken Druck ausüben. Dieser Druck wird
sowohl ihre Entscheidungsgrundlagen und als auch Entscheidungsmaßstäbe
nicht unerheblich beeinflussen. Die Ausrichtung der Entscheidung nur am
Gewissen des Parlamentariers ist dadurch in Frage gestellt104. Der durch
konsultative Volksbefragungen aufkommende öffentliche Druck ist jedoch
kaum anders als die Beeinflussungsversuche, denen die Parlamentarier bei
anderer Gelegenheit ausgesetzt sind. Art. 38 I 2 schließt eine rechtliche
Bindung des Abgeordneten aus. Dessen ungeachtet ist der Parlamentarier
durch den vorherrschenden Fraktionszwang an die Fraktion gebunden. Auch
die Interessenverbände üben eine starken Druck auf die Abgeordneten aus.
Stellt man den Druck der von einer konsultativen Volksbefragung ausgeht
nun also in Frage, so müsste man dies ebenso für den Fraktionszwang als
103
104
Bleckmann, JZ 1978, 217 (223).
Abelein, in: FS für A. von der Heydte, 777 (790f.).
25
Ungenau, man stellt nicht den
Druck in Frage, sondern seine
Zulässigkeit
ULF- Unabhängige Liste Fachschaft Jura
- 105 auch für die Interessenverbände tun. Ein solcher Gedanke wirkt jedoch
geradezu grotesk105. Von einer Nötigung im juristischen Sinne kann daher
schon auf Grund der rechtlichen Unverbindlichkeit der Befragung keine
Rede sein. Der Ausgang der Volksbefragung berührt die Freiheit des
Abgeordneten kaum mehr, als die Veröffentlichung eines demoskopischen
Untersuchungsergebnisses. Als einzig zwingende Pflicht der Abstimmung
ergibt sich nach den Grundsätzen einer repräsentativ- responsiven
Demokratie die Pflicht der Abgeordneten, ihre möglicherweise abweichende
Auffassung mit Blick auf der durch das Befragungsergebnis geäußerte
Bedenken der Aktivbürgerschaft erneut zu prüfen und deren etwaige
Umsetzung und Beibehaltung um so sorgfältiger zu begründen.
e) Ergebnis
Gegen eine erweiternde über die Fälle der Art. 29, 118, 118a hinausgehende
Auslegung der „Abstimmungen“ des Art. 20 II 2 bestehen keine
verfassungsrechtliche Bedenken.
2. Zulässigkeit der Wahlbeteiligung von EU- Bürgern
Problematisch erscheint jedoch die durch das Volksbefragungsgesetz
vorgesehene Teilnahmeberechtigung von Unionsbürgern. Gegen eine solche
Beteiligung von Angehörigen anderer EU- Mitgliedstaaten könnte Art. 20 II
2 sprechen. Gemäß Art. 20 II soll dem „Volke“ als Verfassungsorgan des
demokratischen Staates, eine Teilhabe an der Bildung des Staatswillens
zukommen.
Eine
Unverbindlichkeit
eher
der
unbedeutende
lediglich
Rolle
konsultativen
nimmt
dabei
die
Volksbefragung
ein.
Verfassungsorgane üben Staatsgewalt aus. Dies gilt selbst dann, wenn sie
von Befugnissen Gebrauch machen, die nicht unmittelbar verbindliche
Wirkungen hervorrufen. Im Unterschied zur demoskopischen Umfrage stellt
die konsultative Volksbefragung folglich essentiell eine Teilhabe der Bürger
an der Staatsgewalt im „status activus“ dar106. Zum Volke im Sinne dieser
Bestimmung
gehören
aber
nach
der
Rechtssprechung
des
Bundesverfassungsgerichts lediglich die deutschen Staatsangehörigen und
die ihnen nach Art. 116 I gleichgestellten Personen107. Demnach wäre ein
Beteiligung der EU- Bürger mit der Verfassung nicht zu vereinen. Eine
andere
Ansicht
sieht
das
„Volk“
als
unverfassten
Träger
der
verfassungsgebenden Gewalt. Demnach wäre das „Volk“ von der
105
Bleckmann, JZ 1978, 217 (219).
BVerfGE 8, 104 (114f.).
107
BVerfGE 83, 38 (50f.).
106
26
JURA NOT ALONE!
ULF- Unabhängige Liste Fachschaft Jura
- 106 Staatsangehörigkeit losgelöst108. Die Beteiligung der EU- Bürger wäre
folglich nicht ausgeschlossen. Eine solche Ansicht widerspricht jedoch dem
verfassungsrechtlichen Verständnis der Volkssouveränität und ist als solche
nicht vorzugswürdig. Eine Beteiligung der EU- Bürger auf Bundesebene ist
daher nur durch Verfassungsänderung gemäß Art. 79 möglich. Hinsichtlich
des Kommunalwahlrechts der EU- Bürger ist dies bereits 1994 durch
Einfügung des Art. 28 I 3 geschehen.
a) Ergebnis
Die im Volksbefragungsgesetz vorgesehene Beteiligung der EU- Bürger
wäre somit nicht mit Art.20 II 2 vereinbar. Hieran ändert auch das durch den
deutschen
Bundestag
Gemeinschaftsrecht
zur
nichts.
Begründung
Denn
herangezogene
dies
verfügt
europäische
über
keine
Verfassungsqualität109.
C. Gesamtergebnis zu Aufgabe 3
Das Volksbefragungsgesetz wäre insoweit materiell verfassungswidrig, als
es nach Art. 20 II 2 gegen das Volkssouveränitätsprinzip verstoße. Die
zulässige abstrakte Normenkontrolle wäre jedoch nur bezüglich dieses
Verstoßes begründet. Da das Gesetz an sich im übrigen noch sinnvoll wäre,
könnte jedoch gemäß § 78 Satz 1 BVerfGG das Volksbefragungsgesetz für
teilnichtig erklärt werden110.
Aufgabe 1: Sie diskutieren die wesentlichen Problemkreise recht ausführlich und
kommen zu gut vertretbaren Ergebnissen. Zusätzlich sollten Sie noch auf das
Verhältnis von Art. 87a II GG und Art. 24 II GG eingehen.
Aufgabe 2: Es fehlt die dogmatische Herleitung des konstitutiven
Parlamentsvorbehalts, materiell- rechtliche Prüfung hat einige Schwächen in der
Argumentation, insgesamt aber brauchbar.
Aufgabe 3: Hier fehlt eine saubere Trennung der beiden Fragen, ob die konsultative
Volksbefragung gegen das GG verstößt und ob sie mittels einfachen Gesetzes
ausgeführt werden darf. Beteiligung von EU- Ausländern insgesamt zu knapp erörtert,
jedoch mit Klärung der Frage, ob insoweit „Staatsgewalt“ ausgeübt wird.
10 Punkte (vollbefriedigend)
108
Bryde, JZ 1989, 257 (259).
Randelzhofer, in: Maunz/Dürig/Herzog, Art. 23 Rn. 34 ff..
110
Degenhart, Staatsrecht I, § 9 II 4 Rn. 617.
109
27
JURA NOT ALONE!
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- 107 -
Martin Mustermann
Wilhelmstr. 7
72074 Tübingen
Mat.Nr.: 1234567
2. Fachsemester
JURA NOT ALONE!
Tübingen, den 4. November 2004
Übung im bürgerlichen Recht
für Anfänger
1. Klausur
bei Prof. Dr. Hermann Reichold
im WS 2004/2005
ULF- Unabhängige Liste Fachschaft Jura
- 108 -
JURA NOT ALONE!
Lehrstuhl für Bürgerliches Recht,
Handels-, Wirtschafts- und Arbeitsrecht
Prof. Dr. Hermann Reichold
Übung im Bürgerlichen Recht für Anfänger
Wintersemester 2004/2005
1. Klausur
Reifenärger
Karin sucht günstige Winterreifen. Am Sonntag Abend spricht sie hierüber mit ihrer Freundin Verena.
Verena erklärt, dass sie für das Auto der Karin passende Winterreifen übrig habe. Karin könnte die
schon etwas abgefahrenen Reifen für € 100,- haben. Karin erklärt, sie sei an den Reifen interessiert.
Bevor sie kaufe, wolle sie sich aber noch bei einem Händler über die Preise für neue Winterreifen
informieren. Verena erklärt Karin daraufhin, sie sei in den nächsten drei Tagen verreist. Karin solle
sich bis zu ihrer Rückkehr am Mittwoch Abend - 18 Uhr - entscheiden, ob sie die Reifen haben wolle.
Wenn sich Karin bis zu diesem Zeitpunkt nicht gemeldet habe, werde sie einen anderen Käufer
suchen. Da sie telefonisch schlecht zu erreichen sei, könne Karin ihr ihre Entscheidung auch per EMail mitteilen. Sie, Verena, rufe ihre E-Mails jeden Abend auch von unterwegs um 18 Uhr ab.
Karin kommt an den folgenden Tagen nicht dazu, einen Reifenhändler aufzusuchen. Daher beschließt
sie am folgenden Mittwoch-Nachmittag, da Angebot der Verena anzunehmen, ohne sich vorher nach
den Preisen für neue Winterreifen erkundigt zu haben. Gegen 14 Uhr sendet Karin eine an Verena
adressierte E-Mail mit folgendem Inhalt ab: „Hallo Verena, ich nehme die Reifen für die vereinbarten
€ 100,-. Liebe Grüße – Karin“. Wenige Sekunden später liegt diese Mail für Verena auf deren
Mailserver zur Abholung bereit.
Kurz nach dem Versand der E-Mail muss Karin überraschend zu einem Kunden in die Stadt. Auf dem
Weg dorthin kommt sie am Laden des Reifenhändlers Richard vorbei. Karin hält an und erfährt von
Richard, dass dieser für ihr Auto passende neue Winterreifen gerade zum Aktionspreis von € 160,- im
Angebot habe. Karin erklärt, dass sie die Reifen zu diesem Preis nehme, bezahlt sie gleich mit ihrer
Kreditkarte und erklärt, sie werden die Reifen am nächsten Tag abholen.
Als Karin anschließend gegen 16 Uhr nach Hause kommt, ruft sie sofort Verena auf deren
Mobiltelefon an und erklärt, dass sie die Reifen – anders als per E-Mail bereits mitgeteilt – doch nicht
benötige und daher keinen Kaufvertrag mit Verena wolle. Verena, die die E-Mail der Karin noch nicht
gelesen hatte, erklärt daraufhin, Karin könne nicht „ mal dies und mal jenes“ erklären. Sie müsse sich
auf Erklärungen, die in ihrem „Briefkasten“ lägen, verlassen können. Schließlich sei denkbar, dass sie
ihre E-Mails einmal früher als gewöhnlich abrufe. Dann hätte es passieren können, dass sie – sich auf
die Erklärung der Karin verlassend – ein anderes Kaufangebot für die Reifen abgelehnt hätte. Karin
solle die Reifen daher bezahlen und abholen.
Frage 1: Kann Verena von Karin Zahlung von € 100,- verlangen?
Da Verena auf Bezhalung der Reifen besteht und Karin keinen Ärger mit Verena haben möchte, ruft
Karin bei Richard an und erklärt, dass sie beim Kauf der neuen Reifen nicht gewusst habe, dass sie
schon auf andere Weise zu gebrauchten Winterreifen gekommen sei. Sie wolle die neuen Reifen nun
doch nicht mehr. Richard solle das Geld für die Reifen auf ihr Konto zurück überweisen. Richard
erklärt, dass er damit nicht einverstanden sei. Karin solle die Reifen abholen.
Frage 2: Kann Karin von Richard Zahlung von € 160,- verlangen?
Bearbeitungszeit: 2h (8 – 10 Uhr)
Voraussetzung der Annahme der Arbeit zur Korrektur: Anfertigung der Lösung auf einseitig beschriebenem, einen Korrekturrand von 1/3 der Seitenbreit
auf der rechten Seite aufweisenden Lösungsblättern (DIN A 4). Die Lösung ist mit einem Deckblatt zu versehen auf dem oben links der Name des
Bearbeiters steht. Jedes Lösungsblatt ist oben rechts mit dem amen des Bearbeiters zu versehen. Die Klausur ist zu unterschreiben. Der Klausur ist ein
Fallbesprechungsschein anzufügen, wenn dieser nicht schon mit der 1. Hausarbeit abgegeben wurde.
ULF- Unabhängige Liste Fachschaft Jura
- 109 -
JURA NOT ALONE!
Übung für Anfänger im Zivilrecht
Frage 1:
Verena (V) könnte einen Anspruch aus Kaufvertrag aus § 433 II
BGB auf Zahlung der 100 Euro von Karin (K) haben.
Dazu müssten die beiden einen wirksamen Kaufvertrag
geschlossen haben. Ein solcher kommt zustande, wenn zwei
übereinstimmende,
in
Bezug
aufeinander
abgegebene
nicht solche
Willenserklärungen,
Angebot
und
Annahme,
erklärt
werden
Allgemeinheiten
V könnte hier der K ein Angebot unterbreitet haben. Ein Angebot
ist gegeben, wenn alle wichtigen Vertragsbestandteile, die
essentialia negotii, darin enthalten sind, so dass der Annehmende
mit „ja“ oder „nein“ antworten könnte. V nennt hier Produkt und
richtig
Preis. Somit liegt gem. § 145 BGB ein bindendes Angebot vor,
welches der anwesenden K auch zugegangen ist.
Fraglich ist, ob K das Angebot auch angenommen hat.
Grundsätzlich kann ein Angebot unter Anwesenden nach § 147 I 1
richtig
BGB nur sofort angenommen werden. Wird jedoch eine Frist
bestimmt, so gilt gem. § 148 BGB Einhaltung der Frist.
nach h.L. liegt der Zugang einer unter
V hat der K die Frist bis zum Mittwoch Abend – 18h – gesetzt.
Abwesenden abgegebenen
Sollte sie bis dahin nicht angenommen haben, erlischt der Antrag
Willenserklärung dann vor, wenn die
nach § 146. K hat der V am Mittwoch um 14h eine e-mail gesandt,
Erklärung so in den Machtbereich des
in der sie das Angebot annahm. Die Frist ist somit gewahrt. Die eEmpfängers gelangt, dass dieser sich
mail ist rechtzeitig in den Machtbereich der V gelangt, so dass für
unter gewöhnlichen Verhältnissen
sie die Möglichkeit der Kenntnisnahme bestand. Damit war laut
Kenntnis vom Inhalt der Erklärung
Aussage der V, auch noch bis Fristablauf zu rechnen.
nehmen konnte und eine Kenntnisnahme Zu klären bleibt, wie der 2 Stunden später per Telefon erklärte
nach der Verkehrsanschauung zu
Widerruf zu behandeln ist. Es ist unklar, ob dieser rechtzeitig
erwarten ist
zugegangen ist. Damit ein Widerruf greift, muss dieser nach § 130
I 2 BGB vorher oder gleichzeitig mit der Willenserklärung
zugehen. Hier ist er zwei Stunden später zugegangen. Ein Telefonat
wird gem. § 147 I 2 BGB wie ein unter Anwesenden geführtes
richtig
Gespräch behandelt. V hat jedoch den Widerruf vor der e-mail mit
der Annahme zur Kenntnis genommen. Legt man die Norm des §
130 I 2 BGB nach dem Wortlaut aus, lässt dieser eher darauf
schön
schließen, dass strikt der Zugang als solcher, also das Gelangen in
den Machtbereich als Maßstab für die „Rechtzeitigkeit“ genommen
wird. Teleologisch betrachtet muss man hingegen eher zu dem
Schluss kommen, dass es zweckgerichteter ist, vom tatsächlichen
Zur-Kenntnis-Nehmen auszugehen. Hört oder liest der Antragende
den Widerruf zuerst, kommt dies einer Ablehnung des Angebots
richtig
gleich, sodass er nie von der Annahme ausgegangen ist. Demnach
ging der Widerruf der V noch rechtzeitig zu. Folglich ist kein
wirksamer Kaufvertrag zustande gekommen. Somit hat V keinen
Anspruch gegen K aus Kaufvertrag gem. § 433 II BGB auf
richtig
Zahlung der 100 Euro.
richtig
ULF- Unabhängige Liste Fachschaft Jura
- 110 -
JURA NOT ALONE!
Frage 2:
richtig
richtig
Der Vertragsabschluss ist
unproblematisch und muss
jedenfalls nicht begründet
werden
richtig
dies ist
unproblematisch
richtig
Dies ist die eigentliche
Thematik
richtig
K könnte gegen Richard (R) einen Anspruch auf Rückzahlung und
damit auf Herausgabe der 160 Euro aus § 812 I S. 1 BGB haben.
Dies wäre der Fall, wenn R durch die Leistung eines anderen
(durch K) ohne rechtlichen Grund etwas erlangt hätte. Unter
Leistung versteht man die zweckgerichtete Mehrung fremden
Vermögens. Indem R die 160 Euro auf sein Konto übertragen
bekommen hat, hat er also durch Leistung der K etwas erlangt.
Fraglich ist, ob dies ohne rechtlichen Grund erfolgt ist.
Ein rechtlicher Grund wäre durch Abschluss eines wirksamen
Kaufvertrags gegeben. K und R könnten einen Kaufvertrag gem. §
433 BGB geschlossen haben. Dieser setzt zwei wirksame
Willenserklärungen, Angebot und Annahme, voraus. R hat der K
ein Angebot über neue Reifen zum Preis von 160 Euro unterbreitet,
welches sie nach § 147 BGB auch sofort angenommen hat. Somit
ist zwischen K und R ein wirksamer Kaufvertrag gem. § 433 BGB
zustande gekommen. Der Anspruch könnte allerdings vernichtet
worden und damit erloschen sein. Dies wäre der Fall, wenn K nach
§ 142 I BGB wirksam angefochten hätte. Kommt eine Anfechtung
durch, so wird der Anspruch ex tunc vernichtet, das Rechtsgeschäft
ist also von Anfang an nichtig. Eine Anfechtung setzt eine
begründete
Anfechtungserklärung
an
den
richtigen
Anfechtungsgegner mit Einhaltung der Frist voraus. Fraglich ist,
ob K überhaupt gem. § 143 I BGB eine Anfechtung erklärt hat.
Ausdrücklich gesagt hat sie davon nichts. Für eine Anfechtung
genügt es allerdings, wenn man aus der Aussage auf eine solche
schließen kann. Das Wort „Anfechtung“ muss nicht ausdrücklich
fallen. Legt man die Willenserklärung von K gem. §§ 133 und 157
BGB nach dem objektiven Empfängerhorizont aus, so kann man
aus den Worten „sie wolle die Reifen nicht mehr“ darauf schließen,
dass sie an das Rechtsgeschäft nicht mehr gebunden sein will. Eine
Anfechtungserklärung ist gem. § 143 I BGB erfolgt. R ist als
Vertragspartner auch der richtige Anfechtungsgegner. Ein Problem
könnte in der Wahrung der Frist liegen. Eine Anfechtung muss
unverzüglich, also ohne schuldhaftes Zögern, erfolgen. K hat dem
R noch am selben Tag, an welchem der Kaufvertrag abgeschlossen
wurde, (sie hat die Reifen noch nicht abgeholt, was sie am
darauffolgenden Tag machen wollte) angefochten. Die Frist ist
damit gem. § 121 I 1 BGB eingehalten.
Zu klären bleibt, ob K überhaupt einen Anfechtungsgrund hatte.
Anfechtung gem. § 119 I Alt. 1 BGB
K könnte wegen Inhaltsirrtum angefochten haben. Dann müsste sie
von einem falschen Inhalt ihrer Aussage ausgegangen sein. K war
aber bewusst, was sie erklärt, nämlich, dass sie Winterreifen für
160 Euro kaufen wollte. Folglich kommt ein Inhaltsirrtum nicht in
Betracht.
Anfechtung gem. § 119 I Alt. 2 BGB
dies liegt offensichtlich auch K könnte aufgrund eines Erklärungsirrtums anfechten Dies setzt
nicht vor
voraus, dass sie sich versprochen, verschrieben o.ä. hat.
Dergleichen ist nicht geschehen. Ihre mündliche Erklärung war
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- 111 -
JURA NOT ALONE!
entsprechend ihres Willens. Sie befand sich mithin nicht im
Erklärungsirrtum. Eine Anfechtung aus diesem Grund ist nicht
möglich.
Anfechtung nach § 119 II
richtig
richtig
Dies muss der Käufer
selber tragen
liegt offensichtlich
nicht vor
K könnte gem. § 119 II wegen Irrtums über eine
verkehrswesentliche Eigenschaft anfechten, Eigenschaftsirrtum. K
könnte die Reigen wegen des Preises nicht mehr wollen. Fraglich
ist, ob es sich bei dem Preis einer Sache um eine Eigenschaft
handelt. Eine solche bestimmt sich durch dauerhafte Merkmale. Ein
Preis ist allerdings ökonomischen Schwankungen unterworfen und
damit nicht fix. Als Folge ergibt sich, dass es sich dabei auch nicht
um eine Eigenschaft handelt. Somit ist für K eine Anfechtung
aufgrund eines Eigenschaftsirrtums unmöglich.
Motivirrtum
K könnte sich im Motivirrtum befunden haben. Dies ist dann
gegeben, wenn sich die Umstände, die sie zur Abgabe ihrer
Willenserklärung bewegt haben, geändert haben. Solche
Änderungen der Motive oder der äußeren Gegebenheiten können
aber nicht zu Lasten desjenigen gehen, der sich auf die
Wirksamkeit der Willenserklärung verlassen hat. Sonst könnte man
von jedem Vertrag, der sich im Nachhinein als ungünstig für einen
herausstellt, sozusagen „zurücktreten“, indem man das Recht ex
tunc vernichtet. Hier muss die Verkehrssicherheit gewahrt werden,
weshalb ein Motivirrtum – mit Ausnahme des oben verneinten
Eigenschaftsirrtums als Spezialfall des Motivirrtum – grds.
unbeachtlich ist und damit nicht zur Anfechtung berechtigt. K´s
Motive haben sich durch den Kaufvertrag mit V geändert. K hat
also nicht wirksam anfechten können. Der Anspruch ist demgemäß
nicht erloschen. Folglich haben K und R einen wirksamen
Kaufvertrag gem. § 433 BGB miteinander abgeschlossen. Dieser
bildet den rechtlichen Grund des R für die erbrachte Leistung der
K. R hat die 160 Euro also nicht ohne rechtlichen Grund erlangt,
weshalb K keinen Herausgabeanspruch des Geldes gem. § 812 I 1
BGB hat.
Herausgabeanspruch aus §985
K könnte einen Anspruch auf Herausgabe des Geldes aus § 985
BGB haben. Dieser läge vor, wenn K Eigentümerin und R lediglich
der Besitzer der 160 Euro wäre. K könnte allerdings ihr Eigentum
am Geld verloren haben. Dann nämlich, wenn das Geld gem. § 929
bargeldloser Zahlungsverkehr ≠
S. 1 BGB dem R übergeben worden ist. K hat im Laden des R mit
Sache
ihrer Kreditkarte bezahlt. Ein Kreditkartengeschäft kommt einer
Barzahlung gleich. Das Geld fließt auf das Konto des R und das
Eigentum daran geht demnach auf ihn über. Beide waren sich zum
Zeitpunkt der Übereignung darüber einig, dass R neuer Eigentümer
sein soll. R ist damit rechtmäßiger Eigentümer und nicht nur
Besitzer. Somit hat K keinen Anspruch auf Herausgabe des Geldes
aus § 985 BGB.
Probleme werden in Teilen gesehen
1. Frage: Verfasser hat seine Begründungen der h. L. zugrunde gelegt, erkennt hierbei die in der Literatur
bekannte inhaltlich anderslautende Mindermeinung nicht an. Demnach erfolgt keine ausreichende
.
argumentative Auseinandersetzung.
2. Frage: Der Vertragsabschluss ist hier völlig unproblematisch. Zu § 119 II wird nicht der spezifische
Gesichtspunkt des vom Käufer zu tragenden Gebrauchsrisiko gesehen.
10 Punkte (vollbefriedigend)
- 112 -
ULF- Unabhängige Liste Fachschaft Jura
Martin Mustermann
Wilhelmstr. 7
72074 Tübingen
Mat.Nr.: 1234567
2. Fachsemester
JURA NOT ALONE!
Tübingen, den 10. November 2004
Übung im Strafrecht
für Anfänger
1. Klausur
bei Prof. Dr. Hans-Ludwig Günther
&
Prof. Dr. Fritjof Haft
im WS 2004/2005
ULF- Unabhängige Liste Fachschaft Jura
Professor Dr. Fritjof Haft
Professor Dr. Hans-Ludwig Günther
- 113 -
JURA NOT ALONE!
Tübingen, 10.11.2004
Übung im Strafrecht für Anfänger, Wintersemester 2004/05
1. Klausur (für alle Übungsteilnehmer A-K und L-Z)
Fußball-Europameisterschaft 2004: Es herrscht schlechte Stimmung. Ausscheiden in
der Vorrunde, Rudi tritt ab, Mayer-Vorfelder in der Kritik. Genau dies ist das Thema
auf dem Feuerwehrfest in Kleindingenskirchen.
Alfred (A), ein kräftiger Bursche, meint: „2006 werden wir Weltmeister. Was die
Griechen können, können wir schon lange“. Tischnachbar Benjamin (B) antwortet
darauf: „So ein Quatsch“! Alfred, der erst einen Schluck aus seinem Bierkrug
getrunken hat, plazuz der Kragen. Er holt mit seiner großen Faust mit der Bemerkung
„dafür gibt’s heiße Ohren“ aus. Der ziemlich schmächtige Benjamin sieht zwar, dass
hinter ihm gerade ein kleines Kind steht. Er rechnet damit und billigt es auch, dass er
das Kind möglicherweise bei einem plötzlichen Aufspringen umreißen und so
verletzen wird, sieht aber auch, dass er anders nicht ausweichen kann und Alfred
nicht zu bremsen ist. Um dem drohenden Schlag des Alfred zu entgehen, springt er
auf und bringt dabei das Kind zu Fall, das sich hierbei den Arm bricht. Benjamin eilt
nunmehr in Richtung Ausgang des Bierzelts.
Alfred will Benjamin nachsetzen. Als Alfred aber merkt, dass Benjamin zu schnell ist
und ihm im Bierzelt entkommen wird, greift sich Alfred einen Bierkrug, um den
Benjamin mit einem gezielten Wurf zur Strecke zu bringen. Alfred zielt jedoch
unglücklicherweise über eine Entfernung von 10 Metern auf den unbeteiligten Claus
(C), der ebenfalls zum Ausgang eilt und den er aufgrund des ähnlichen Aussehens
für Benjamin hält.
Alfred wirft, verschätzt sich dabei aber und trifft mit voller Wucht den unbeteiligten
Dennis (D) am Kopf, der gerade an Claus vorbei ins Bierzelt kommt. Der Bierkrug
zerspringt in Scherben. Dennis bricht mit einer schwer blutenden Platzwunde
zusammen und reißt dabei die Bierkellnerin Resi (R) mit zu Boden, die sich an den
auf dem Boden liegenden Scherben erhebliche Schürfwunden zuzieht. Mit einem
sofort herbeigerufenen Notarzt wird Dennis in ein Krankenhaus transportiert, wo es
gelingt, die Blutungen zu stoppen.
Strafbarkeit von Alfred, Benjamin und Dennis? Eventuell erforderliche Strafanträge
sind gestellt.
- 114 -
ULF- Unabhängige Liste Fachschaft Jura
JURA NOT ALONE!
Übung für Anfänger im Strafrecht
1. Tatkomplex
I.Strafbarkeit des B gem. § 223 I StGB
B könnte sich, indem er beim Aufspringen das Kind umriss,
welches sich dabei den Arm bricht, einer Körperverletzung gem. §
223 I an dem Kind strafbar gemacht haben.
a) Objektiver Tatbestand
Voraussetzung dafür ist, dass A das Kind körperlich misshandelt
oder an der Gesundheit geschädigt hat. Eine körperliche
Misshandlung ist eine üble, unangemessene Behandlung, durch die
das körperliche Wohlbefinden oder die körperliche Unversehrtheit
in
mehr
als
nur
unerheblich
beeinträchtigt
wird.
Eine
Gesundheitsschädigung ist in jedem Hervorrufen oder Steigern
eines krankhaften Zustands zu sehen. K hat sich den Arm
gebrochen. Das stellt einen Eingriff in dessen körperliche
Unversehrtheit und eine Gesundheitsschädigung dar. Somit ist der
Erfolg des § 223 I eingetreten. Die Handlung des B war dafür auch
kausal. Der objektive Tatbestand ist somit erfüllt.
b) Subjektiver Tatbestand
Weiter müsste B vorsätzlich gehandelt haben. Vorsatz ist Wissen
und Wollen der Tatbestandsverwirklichung. In Betracht kommt
vorliegend ein Eventualvorsatz des B. Fraglich ist aber, ob B mit
Eventualvorsatz oder lediglich bewusst fahrlässig handelte.
vgl. die
Sachverhaltsgestaltung
Erforderlich ist also eine Abgrenzung zwischen dolus eventualis
und bewusster Fahrlässigkeit.
1. Möglichkeitstheorie
Mit Eventualvorsatz handelt, wer den Erfolgseintritt für möglich
hält. Derjenige, der den Erfolg für möglich hält, akzeptiert diesen
auch. Allerdings nähert sich diese Theorie zu sehr der bewussten
Fahrlässigkeit. Auch derjenige, der nur bewusst fahrlässig handelt,
hält den Erfolgseintritt für möglich.
2. Wahrscheinlichkeitstheorie
- 115 -
ULF- Unabhängige Liste Fachschaft Jura
Mit
Eventualvorsatz
handelt,
JURA NOT ALONE!
wer
den
Erfolgseintritt
für
wahrscheinlich hält. Wahrscheinlich ist nämlich mehr als nur
möglich.
Allerdings
ist
eine
klare
Abgrenzung
zwischen
Möglichkeit und Wahrscheinlichkeit nicht möglich, so dass auch
dass auch diese Theorie zu ungenau ist.
3. Gleichgültigkeitstheorie
Mit Eventualvorsatz handelt, wer dem Erfolgseintritt gleichgültig
gegenüber steht. Vorsatz ist gegenüber der Fahrlässigkeit die
schwerere Schuldform und bedarf also eines zusätzlichen
Gesinnungsunwerts. Dieser ist darin zu sehen, dass der Handelnde
einer möglichen Rechtsgutverletzung gleichgültig gegenübersteht.
Diese Theorie ist aber zu einseitig, sie beschränkt sich zu sehr auf
das neben dem kognitiven, voluntative Element.
4. Ernstnahmetheorie
Danach
handelt
mit
Eventualvorsatz,
Rechtsgutverletzung erkennt, diese ernst
wer
die
mögliche
nimmt
und sich
schließlich damit abfindet. Hier liegt der Unterschied zur
kürzen!
bewussten Fahrlässigkeit. Der fahrlässig Handelnde vertraut
lediglich darauf, dass der Erfolg nicht eintreten werde. Eine
Unterform der Ernstnahmetheorie ist die Billigkeitstheorie, nach
welcher derjenige mit Eventualvorsatz handelt, wer den Erfolg
billigend in Kauf nimmt. Dabei können auch unerwünschte Erfolge
billigend in Kauf genommen werden. Dieser Theorie ist zu folgen,
sie berücksichtigt nämlich sowohl das Wissens- als auch das
Wollenselement
und
wird
somit
der
Komplexität
des
Tatgeschehens gerecht.
5. Schlussfolgerung
Alle Theorie würden vorliegend zum selben Ergebnis kommen,
nämlich dass B damals mit dolus eventualis, also vorsätzlich
handelte. Er hat das Kind hinter sich stehen sehn, er wusste also
und er hielt es für möglich und wahrscheinlich, dass er es beim
Aufspringen umreißen würde und er hat sich schließlich damit
abgefunden und es billigend in Kauf genommen.
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C) Rechtswidrigkeit
Des weiteren müsste B rechtswidrig gehandelt haben.
1) Notwehr gem. § 32
In Betracht kommt zunächst eine Rechtfertigung durch Notwehr
gem. § 32 I. Vorraussetzung dafür ist zunächst das Vorliegen einer
Notwehrlage.
Notwehrlage
Die Notwehrlage wird durch einen gegenwärtigen, rechtswidrigen
Angriff begründet. Ein Angriff ist jede durch einen Menschen
drohende und bevorstehende Verletzung rechtlich anerkannter
Güter
und
Interessen.
Vorliegend
ist
ein
gegenwärtiger,
rechtswidriger Angriff des A gegen den B gegeben. Eine
Notwehrlage liegt also vor.
Notwehrhandlung
Die Notwehrhandlung müsste sich gegen den Angreifer richten und
erforderlich sein. Hier richtet sich die Handlung des B gegen K und
nicht
gegen
A.
Eine
Notwehrhandlung
und
somit
eine
Rechtfertigung gem. § 32 scheidet aus.
1) Notstand gem. § 34
B könnte aber durch den Notstand gem. § 34 gerechtfertigt sein.
Vorraussetzung dafür ist das Vorliegen einer Notstandslage. Diese
besteht in einer gegenwärtigen, nicht anders abwendbaren Gefahr
für ein notstandsfähiges Rechtsgut gem. § 34 S. 1. Vorliegend
müsste B damit rechnen von der Faust des A getroffen zu werden.
Es lag also eine Gefahr für seine körperliche Unversehrtheit vor.
Diese war auch gegenwärtig. A hatte schon mit der Faust
ausgeholt. Eine Notstandslage ist gegeben. Die Notstandshandlung
des B müsste weiter erforderlich sein. Erforderlich ist alles, was
geeignet ist, die Gefahr von sich abzuwenden und sie müsste dabei
das mildeste von den zur Verfügung stehenden Mitteln sein. Das
Aufspringen des B war zur Gefahrenabwehr geeignet, er ist ihr
somit ausgewichen. Und in Anbetracht dessen, dass der B laut
Sachverhalt schmächtig ist und auf andere Weise gegen den A
keine Chance hätte, war es auch das relativ mildeste Mittel. Die
- 117 -
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Notstandshandlung war demnach erforderlich. Weiter müsste im
Rahmen der Interessenabwägung der betroffenen Rechtsgüter und
des Grades der ihnen drohenden Gefahren, das geschützte Interesse
das beeinträchtigte weitgehend überwiegen. Betroffen ist einerseits
die körperliche Unversehrtheit des B, andererseits vorliegend die
körperliche Unversehrtheit des Kindes. Es kann also nicht von
einem wesentlichen Überwiegen eines Interesses gesprochen
werden. Beide bedrohten Rechtsgüter sind nämlich gleichwertig.
Folglich scheidet eine Rechtfertigung gem. § 34 aus. Weitere
Rechtfertigungsgründe sind nicht ersichtlich.
D) Schuld
B müsste schuldhaft gehandelt haben. In Betracht kommt eine
Entschuldigung des B gem. § 35 I. Eine Notstandslage liegt vor. B
befindet sich in einer gegenwärtigen, nicht anders abwendbaren
Gefahr
für
seine
körperliche
Unversehrtheit
(s.o.)
Die
Notstandshandlung war erforderlich (s.o.) Zu beachten ist hier
ferner die Zumutbarkeitsklausel des § 35 I S. 2. Danach ist eine
verkürzte
Problembehandlung
Entschuldigung ausgeschlossen, wenn es dem Täter zugemutet
werden konnte, die Gefahr hinzunehmen. Vorliegend sind keine
Umstände gegeben, die dem B eine Zumutbarkeit zusprechen
könnte. Er hat die Gefahr nicht selbst verursacht und es lag auch
kein besonderes Rechtsverhältnis vor. Man konnte dem B nicht
zumuten, dass er die gegenwärtige Gefahr für seinen Leib
hinnimmt. B ist also gem. § 35 I entschuldigt.
E) Ergebnis
B hat sich nicht wegen Körperverletzung gem. § 223 I an K
strafbar gemacht.
II.Strafbarkeit des A gem. §§ 223 I, 22, 23 I
A könnte sich, indem er mit der Faust ausholte, des Versuchs einer
Körperverletzung an B gem. §§ 223 I, 22, 23 I strafbar gemacht
haben.
A) Vorprüfung
Vorraussetzung dafür ist, dass eine nichtvollendete Tat vorliegt und
dass der Versuch strafbar ist. Beides ist hier der Fall. B hat keine
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Körperverletzung erlitten und der Versuch ist gem. §§ 23 I, 223 II
strafbar.
B) Tatentschluss
A hat den Tatentschluss hinsichtlich der Körperverletzung an B
gefasst. Er wollte den B verletzen, hatte also diesbezüglich Vorsatz.
C) Unmittelbares Ansetzen
A hat, indem er mit der Faust ausholte und durch seine Bemerkung
„dafür gib´s heiße Ohren“ auch unmittelbar zur Tat angesetzt.
D) Rechtswidrigkeit
Rechtswidrigkeitsgründe sind nicht
ersichtlich. A handelte
rechtswidrig.
E) Schuld
Entschuldigungsgründe sind nicht ersichtlich. Vor allem kommen
eine Schuldunfähigkeit gem. § 20 nicht in Betracht. A hatte
lediglich einen Schluck aus seinem Bierkrug getrunken. A handelte
schuldhaft.
F) Ergebnis
A hat sich des Versuchs einer Körperverletzung an B gem. §§ 223
I, 22, 23 I strafbar gemacht.
2. Tatkomplex
I. Strafbarkeit des A gem. §§ 223, 224 I Nr. 2, 22, 23 I zu lasten des
C
A könnte sich, indem er mit dem Bierkrug auf C zielt des Versuchs
der gefährlichen Körperverletzung gem. §§ 223, 224 I Nr. 2 Alt.2,
22, 23 I strafbar gemacht haben. Dafür müsste der Bierkrug ein
gefährliches Werkzeug gem. § 224 I Nr. 2 Alt. 2 darstellen. Ein
gefährliches Werkzeug ist jeder bewegliche Gegenstand, der wegen
seiner Beschaffenheit und der Art seiner Anwendung als
Verteidigungs- oder Angriffsmittel in der Lage ist, erhebliche
Verletzungen herbeizuführen. Bei einem schweren Bierkrug aus
Glas ist davon auszugehen. Er kann aufgrund seiner Massivität und
wenn er zerbricht durch Scherben erhebliche Verletzungen
verursachen.
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A) Vorprüfung
Es müsste ein unvollendetes Delikt vorliegen und der Versuch
müsste strafbar sein. Beides ist hier der Fall. C ist nicht verletzt und
der Versuch einer gefährlichen Körperverletzung ist gem. §§ 23 I,
224 II strafbar.
B) Tatentschluss
Weiter müsste A den Tatentschluss zur Verwirklichung des
Straftatbestandes des § 224 I Nr. 2 Alt. 2 gefasst haben, also er
müsste vorsätzlich gehandelt haben. Problematisch ist hier aber,
dass A lediglich Vorsatz bzgl. B und nicht bzgl. C hatte. Er hat B
und C miteinander verwechselt. Er hat sich über die Identität der
Person geirrt, die er verletzen wollte. Er befand sich also im error
in
persona
(Identitätsirrtum),
der
einen
Unterfall
des
Tatbestandsirrtums gem. § 16 darstellt. Fraglich ist nun, wie sich
der error in persona auf den Vorsatz des A auswirkt. Bei
Gleichwertigkeit der Objekte wird angenommen, dass ein error in
persona für den Täter unbeachtlich ist. Vorliegend sind die Objekte
gleichwertig, es sind beides Menschen. Und zum Tatzeitpunkt hatte
A seinen Vorsatz auf C konkretisiert, das heißt, er hatte Vorsatz,
der auf den Menschen gerichtet ist, der sich in der konkreten
Situation vor ihm befindet und auf den er zielt. Also ist der error in
persona für den A hier unbeachtlich. Er handelte vorsätzlich.
C) Unmittelbares Ansetzen
Indem A zielte hat er unmittelbar zur Tat angesetzt.
D) Rechtswidrigkeit
Es sind keine Rechtfertigungsgründe ersichtlich. Er handelte
vorsätzlich.
F) Schuld
Es sind keine Entschuldigungsgründe ersichtlich. A handelte
schuldhaft.
F) Ergebnis
A hat sich gem. §§ 223, 224 I Nr. 2 Alt. 2, 22, 23 I zu Lasten des C
strafbar gemacht.
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II) Strafbarkeit des A gem. §§ 223, 224 I Nr. 2 Alt. 2 zu Lasten des
D
Objektiver Tatbestand
Der
Bierkrug
ist
ein
gefährliches
Werkzeug
(s.o.)
Der
tatbestandliche Erfolg des § 224 I ist eingetreten. D hat eine
Platzwunde. Die Handlung des A war dafür kausal.
Subjektiver Tatbestand
A müsste vorsätzlich handeln. Vorsatz ist das Wissen und Wollen
der Tatbestandsverwirklichung. Problematisch ist aber dass A hier
den D gar nicht treffen wollte, sondern den C. Er wirft den
Bierkrug und trifft an C vorbei den D. Dabei handelt es sich um
eine aberratio ictus, d.h. ein Fehlgehen der Tat. Folglich ist nun wie
sich eine aberratio ictus auf die Strafbarkeit des A auswirkt. Eine
Ansicht will hier aus vollendeter vorsätzlicher Tat bestrafen. Denn
der Täter wollte jemanden verletzen und das hat er auch, wenn
auch den falschen. Diese Ansicht setzt sich aber über den
individualisierenden Verletzungsvorsatz des A hinweg und
verkennt, dass A den D gar nicht treffen wollte. Eine andere
Ansicht will wegen Versuchs an dem zu verletzen gewollten und
Fahrlässigkeit an dem tatsächlich verletzten Objekt bestrafen.
Dieser Auffassung ist zu folgen.
Rechtswidrigkeit und Schuld
A handelte rechtswidrig und schuldhaft.
Ergebnis
A hat sich zu Lasten des D lediglich einer fahrlässigen schweren
genauer
Körperverletzung gem. §§ 229, 223, 224 I Nr. 2 Alt. 2 strafbar
gemacht.
III) Strafbarkeit des D gem. § 223 I zu Lasten der R
Objektiver Tatbestand
Zunächst müsste D überhaupt gehandelt haben. Handlung ist jedes
vom menschlichen Willen gewollte und beherrschbare Verhalten.
Vorliegend bricht D zusammen und reißt dabei R mit. D kann seine
Handlung nicht beherrschen. Es fehlt also an einer Handlung des D.
Ergebnis
D ist nicht gem. § 223 strafbar.
Eine ordentliche Arbeit.
10 Punkte (vollbefriedigend)
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Martin Mustermann
Wilhelmstr. 7
72074 Tübingen
Mat.Nr.: 1234567
1. Fachsemester
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Tübingen, den 22. Juli 2004
Übung im öffentlichen Recht
für Anfänger
Abschluss-Klausur
bei Prof. Dr. Barbara Remmert
im SS 2004
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Abschlussklausur im Grundkurs Öffentliches Recht I
Im Sommersemester 2004
Zugleich 1.Klausur der Übung im Öffentlichen Recht für Anfänger
Im Wintersemester 2004/2005
Die Bundesregierung beschließt einen Gesetzentwurf, der in einer mit den Grundrechten
zu vereinbarenden Weise eine Senkung der Einkommenssteuer vorsieht. Um Zeit zu
sparen, bringt sie den Gesetzentwurf nicht selbst im Bundestag ein, sondern überlässt
dies 40 Abgeordneten der Regierungsfraktion. Bei der maßgeblichen Abstimmung im
Bundestag erhält das Gesetz 200 Ja-Stimmen, 199 Nein-Stimmen und eine
Stimmenthaltung. Das Gesetz wird anschließend unverzüglich dem Bundesrat zugeleitet.
In der Abstimmung des Bundesrates erhält das Gesetz 35 von 69 Stimmen. Allerdings
stimmen die drei von der Bremer Landesregierung in den Bundesrat bestellten
Regierungsmitglieder entgegen einer von der gesamten Bremer Landesregierung
beschlossenen Weisung für das Gesetz.
Die Ausfertigung und Verkündung des Gesetzes durch den Bundespräsidenten erfolgt
nach ordnungsgemäßer Gegenzeichnung wenig später.
Die Landesregierung von Baden-Württemberg hegt Zweifel an der Vereinbarkeit des
Gesetzes mit dem Grundgesetz. Darüber, ob das Gesetz nichtig ist, ist man sich allerdings
in der Landesregierung von Baden-Württemberg nicht ganz einig. Die Landesregierung
von Baden-Württemberg beantragt aber schriftlich und mit ordnungsgemäßer Begründung
beim Bundesverfassungsgericht, das Gesetz über die Senkung der Einkommenssteuer im
Verfahren nach Art. 93 I Nr.2 GG für nichtig zu erklären.
Frage: Wie wird das Bundesverfassungsgericht entscheiden?
Auszüge aus der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages:
§ 75 Vorlagen. (1) Folgende Vorlagen können als Verhandlungsgegenstand auf die
Tagesordnung das Bundestages gesetzt werden (selbständige Vorlagen): a)
Gesetzesentwürfe...
§ 76 Vorlagen von Mitgliedern des Bundestages. (1) Vorlagen von Mitgliedern des
Bundestages (§ 75) müssen von einer Fraktion oder von 5 vom Hundert der Mitglieder des
Bundestages unterzeichnet sein, es sei denn, dass die Geschäftsordnung etwas anderes
vorschreibt oder zulässt. (2)...
Bearbeitungshinweise:
1. Es ist davon auszugehen, dass der Deutsche Bundestag zurzeit 602 gesetzliche
Mitglieder hat. Der Bundesrat hat 69 Mitglieder.
2. Im Rahmen der Begründetheitsprüfung ist nur die sog. „formelle Rechtmäßigkeit“ zu
begutachten. Insoweit ist der Sachverhalt aber unter allen rechtlichen Gesichtspunkten
zu begutachten. Das bedeutet: Wenn Sie einen Rechtsfehler finden, muss weiter
gefragt werden, ob das Gesetz noch an anderen Rechtsfehlern leidet.
3. Bitte schreiben Sie deutlich lesbar auf die erste Seite Ihrer Arbeit Ihren Namen sowie
Ihre Matrikelnummer. Bitte geben Sie auch an, ob Sie sich im 1., 2. Oder 3. Semester
befinden.
4. Bitte schreiben Sie einseitig und lassen Sie auf der linken Seite einen Korrekturrand
von mind. 1/3 der Seite
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- 123 -
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Das BVerfG wird dem Antrag stattgeben, wenn er zulässig und
begründet ist.
In Betracht käme ein Antrag im abstrakten Normenkontrollverfahren
gem. Art. 93 I Nr.2 GG, §13 Nr.6, §§ 76ff. BVerfGG.
A. Zulässigkeit
Der Antrag ist zulässig, wenn alle Verfahrensvoraussetzungen erfüllt
sind.
1. Antragsfähigkeit
Nach Art.93 I Nr.2 GG, §76 I BVerfGG sind u.a. die
Landesregierungen antragsfähig, also auch die des Landes BadenWürttemberg.
2. Antragsgegenstand
Antragsgegenstand kann gem. §76 I BVerfGG u.a. bundesrecht, also
jedes formelle, verkündete Bundesgesetz, sein. Das Gesetz zur
Senkung der Einkommenssteuer ist vom Bundestag und Bundesrat
beschlossen und verkündet worden. Folglich liegt ein zulässiger
Antragsgegenstand vor.
3. Antragsgrund
Gem. § 76 I Nr.1 BverfGG muss der Antragssteller das Gesetz
wegen Unvereinbarkeit mit dem GG für nichtig halten. Die
Landesregierung
hegt
jedoch
nur
Zweifel
an
der
Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes und ist sich nicht sicher, ob es
nichtig ist. Jedoch folgt aus Art. 93 I Nr.2 GG das u.a. schon Zweifel
an der Verfassungsmäßigkeit ausreichen. Dies wäre hier gegeben.
Fraglich ist jedoch, ob einzulässiger Antragsgrund vorliegt, wenn
gegen § 76 I Nr.1 BVerfGG verstoßen wurde. Aus der
Normenhierarchie ergibt sich, dass ein Bundesgesetz, wie das
BVerfGG, wenn es dem GG widerspricht nichtig ist. Jedoch könnte
man davon ausgehen, dass § 76 I Nr.1 BVerfGG nicht
abschließende Regelungen bezüglich des Antragsgrundes treffen will
und daher verfassungskonform auszulegen ist. Folglich liegt ein
zulässiger Antragsgrund vor.
4. Form und Frist
Der Antrag müsste gem. §23 I 1,2 BVerfGG schriftlich und begründet
sei. Das ist laut Sachverhalt gegeben. Eine Frist besteht nicht.
5. Zwischenergebnis
Der Antrag beim BVerfG ist daher zulässig.
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B. Begründetheit
Nach § 78 S.1 BVerfGG ist der Antrag begründet wenn u.a. das
Bundesrecht mit dem GG unvereinbar ist.
I.
Verstoß gegen Art.70 I GG
In Betracht käme ein Verstoß gegen Art. 70 I GG. Danach haben
grundsätzlich die Länder die Befugnis zur Gesetzgebung, es sei
denn, das GG hat den Bund ausdrücklich zur Gesetzgebung
ermächtigt.
1. Ausschließliche Gesetzgebungskompetenz des Bundes
In
Betracht
käme
zunächst
eine
ausschließliche
Gesetzgebungskompetenz des Bundes gem. Art.71 GG. Dazu
müsste das Einkommenssteuergesetz unter eine der Sachmaterien
der Art. 73, 105 I GG fallen oder der Bund anderweitig im GG zur
Gesetzgebung ermächtigt worden sein. Dies ist jedoch nicht der Fall,
folglich liegt keine ausschließliche Gesetzgebungskompetenz des
Bundes vor.
2. Konkurrierende Gesetzgebungskompetenz des Bundes
Der
Bund
könnte
jedoch
eine
konkurrierende
Gesetzgebungskompetenz gem. Art 72 GG haben. Dazu müsste das
Gesetz zunächst unter eine der Sachmaterien der Art. 74, 74a, 105 II
GG fallen.
In Betracht kommt hier Art. 105 II GG. Nach Art. 105 II GG müssten
dazu u.a. dem Bund die Steuern wenigstens teilweise zustehen.
Nach Art. 106 III 1 GG stehen dem Bund und den Ländern u.a. das
Aufkommen der Einkommenssteuer gemeinsam zu. Folglich liegt
eine der Voraussetzungen des Art. 105 II GG vor. Der Bund hat gem.
Art 72 I i.V.m. Art. 105 II GG, 106 III 1 GG die konkurrierende
Gesetzgebungskompetenz.
3. Zwischenergebnis
Folglich liegt kein Verstoß gegen Art. 70 I GG vor.
II. Verstoß gegen Art. 76 I GG
Nach Art. 76 I GG können Gesetzesentwürfe u.a. aus der Mitte des
Bundestages eingebracht werden. § 76 I GOBT konkretisiert dies
und setzt bei Gesetzesentwürfen aus der Mitte des Bundestages
dazu die Abgeordneten einer Fraktion oder mindestens 5% der
Abgeordneten des Bundestages voraus. Das Gesetz wurde von der
Regierungsfraktion eingebracht. Jedoch nicht von dieser als ganzes,
sondern nur von 40 Abgeordneten. 40 Abgeordnete sind mehr als
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5% von 602, folglich liegt kein Verstoß gegen § 76 I GOBT und somit
auch kein Verstoß gegen Art. 76 I GG vor.
III. Verstoß gegen Art. 76 II GG
Ein Verstoß gegen Art. 76 II GG läge vor, wenn der Gesetzentwurf
gem. Art. 76 II 1 GG dem Bundesrat hätte zugeleitet werden müssen.
Das läge vor, wenn es sich um eine Gesetzesvorlage der
Bundesregierung handeln würde. Fraglich ist demnach, ob es sich
um eine Gesetzesvorlage der Bundesregierung handelt.
Fraglich ist also, ob das GG in Art. 76 GG auf die materielle
Urheberschaft abstellt oder darauf wer es formell vorgelegt hat. Für
eine materielle Urheberschaft würde sprechen, dass dann auch der
Urheber für das Gesetz die Verantwortung übernehmen könnte.
Jedoch ist im Einzelnen wahrscheinlich jeweils kaum nachweisbar
wer persönlich einen Entwurf erarbeitet hat.
Der Wortlaut würde eher für eine formelle Betrachtungsweise
sprechen, da das Wort Gesetzesvorlagen eher mit dem Vorlegen
eines Entwurfs assoziieren ist. Außerdem kann man davon
ausgehen, dass sich die Abgeordneten den Entwurf zu Eigen
gemacht haben. Folglich liegt kein Verstoß gegen den Wortlaut von
Art. 76 II 1 GG vor.
Fraglich ist jedoch, ob ein Verstoß gegen die Verfassungsorgantreue
vorliegt.
Die
Verfassungsorgantreue
besagt,
dass
Verfassungsorgane zur gegenseitigen Rücksichtnahme verpflichtet
sind. Das wäre nicht gegeben wenn die Bundesregierung den
Bundesrat absichtlich umgangen hätte um dessen Mitwirkung zu
verhindern. Dies ist jedoch ein subjektives Kriterium und daher wohl
kaum nachweisbar. Folglich liegt kein Verstoß gegen die
verfassungsorgantreue vor und daher auch kein Verstoß gegen Art.
76 II 1 GG.
IV. Verstoß gegen Art. 77 I 1 GG
Ein Verstoß gegen Art. 77 I 1 GG liegt vor, wenn kein
ordnungsgemäßer Beschluss des Bundestages erfolgt ist.
Gem. Art. 42 II GG ist für einen Beschluss die Mehrheit der Stimmen
erforderlich. Daher stellt sich die Frage, wie die Stimmenthaltung zu
werten ist, ob sie als abgegebene Stimme oder gar keine Stimme
anzusehen ist.
Je nachdem wie sie angesehen wird, liegt eine erforderliche Mehrheit
vor oder nicht. Nach dem Wortlaut des Art. 42 II GG („abgegebene
Stimmen“) spricht viel dafür alle abgegebenen Stimmen für die
erforderliche Abstimmungsmehrheit hinzuzuzählen. Eine Enthaltung
wurde ja auch abgegeben. Außerdem ist eine Enthaltung auch eine
politische Entscheidung, die dem Abgeordneten zusteht und darf
folglich nicht übergangen werden. Jedoch würde das Hinzuzählen
der Enthaltung die erforderliche Stimmzahl für eine Mehrheit
einholen und folglich wie eine Gegenstimme gewertet.
Jedoch ist einer Enthaltung eben keine Gegenstimme, ebenso wenig
wie eine Stimme für das Gesetz. Folglich sollte sie auch nicht als
abgegebene Stimme gewertet werden.
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Also wurden 399 Stimmen abgegeben und somit ist die erforderliche
Mehrheit mit 200 Stimmen erreicht. Es liegt kein Verstoß gegen Art.
42 II GG vor und daher auch kein Verstoß gegen Art. 77 I 1 GG.
V. Verstoß gegen Art. 77 I 2 GG
Gem. Art. 77 I 2 GG müsste das Gesetz unverzüglich dem Bundesrat
zugeleitet worden sein, was laut Sachverhalt der Fall ist. Folglich
liegt kein Verstoß gegen Art. 77 I 2 GG vor.
VI. Verstoß gegen Art. 78 GG
Ein Verstoß gegen Art. 78
GG liegt dann vor, wenn die
Mitwirkungsrechte des Bundestages nicht gewahrt wurden.
a)
Zustimmungs- oder Einspruchsgesetz
Daher stellt sich zunächst die Frage, ob es sich um ein
Zustimmungsgesetz
oder
Einspruchsgesetz
handelt.
Die
Erforderlichkeit der Zustimmung muss sich aus dem GG ergeben.
Gem. Art. 105 III GG bedürfen u.a. Bundesgesetze über Steuern,
deren Aufkommen den Ländern zum Teil zufließt der Zustimmung
des
Bundesrates.
Das
Einkommenssteuergesetz
ist
ein
Bundesgesetz über Steuern und gem. Art. 106 III 1 GG steht auch
den Ländern ein Teil dieser Steuern zu. Folglich handelt es sich um
ein Zustimmungsgesetz.
b)
Art. 78 1.Alt GG
Daher kommt für das Zustandekommen nur Art. 78 1.Alt GG in
Betracht, der Bundesrat muss ausdrücklich zustimmen. Der
Bundesrat bedarf gem. Art. 52 III GG für eine gültige Zustimmung die
Mehrheit seiner Stimmen, also mindestens 35 aus 69.
Folglich wurde die erforderliche Mehrheit der Mitglieder formal
erreicht. Es stellt sich jedoch die Frage, ob durch die
weisungswidrige Stimmabgabe der Abgeordneten von Bremen die
erforderliche Mehrheit doch nicht erreicht wäre. Das wäre dann der
Fall, wenn die Stimmen nicht gültig wären.
Es stellt sich daher die Frage, wie weisungswidrige Stimmen zu
behandeln sind.
Daher ist zuerst zu prüfen, ob eine Weisung durch die
Landesregierung überhaupt erlaubt ist. Gem. Art. 77 II 3 GG sind
Bundesratsmitglieder im Vermittlungsausschuss ausdrücklich nicht
an Weisungen gebunden. Im Umkehrschluss lässt sich daher davon
ausgehen, dass Bundesratsmitglieder im Übrigen den Weisungen
gebunden sind. Außerdem heißt es in Art. 51 III 2 GG, dass die
Stimmen nur einheitlich abgegeben werden können. Dies ist nur
durch eine vorherige Weisung zu erreichen. Folglich ist davon
auszugehen, dass eine Weisung durch die Landesregierung erlaubt
ist.
Jedoch ist zwischen interner Willensbildung und externer
Vertretungsmacht zu unterscheiden. Außerdem kann der
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JURA NOT ALONE!
Bundesratspräsident bei der Abstimmung nicht wissen, ob eine
Weisung bestand. Des Weiteren könnten, wenn weisungswidrige
Stimmen ungültig wären jede Abstimmung im Nachhinein
angezweifelt werden, mit dem Argument die eine oder andere
Stimmabgabe wäre weisungswidrig erfolgt. Daher spricht aus
Gründen der Rechtsklarheit und der Funktionsfähigkeit des
Bundesrates alles dafür, dass die Nichteinhaltung der Weisung für
die Stimmabgabe unerheblich ist. Folglich sind die Stimmen der
Mitglieder des Landes Bremen gültig. Die erforderliche Mehrheit des
Art. 52 III ist gegeben. Die Zustimmung des Bundesrates ist erfolgt.
Daher liegt kein Verstoß gegen Art. 78 GG vor.
VII. Verstoß gegen Art. 82 I 1 GG
Das Gesetz müsste gem. Art. 82 I 1 GG nach Gegenzeichnung
durch den Bundespräsidenten ausgefertigt und verkündet worden
sein, was laut Sachverhalt ordnungsgemäß erfolgt ist. Daher liegt
kein Verstoß gegen Art. 82 I 1 GG vor.
VIII.
Zwischenergebnis
Es liegt also kein Verstoß gegen die Normen des GG vor. Das
Einkommenssteuergesetz ist folglich mit dem GG vereinbar. Der
Antrag der Landesregierung von Baden-Württemberg beim BVerfG
ist daher gem. §78 S.1 BVerfGG nicht begründet.
C. Entscheidung des BVerfG (§78 BverfGG)
Der Antrag der Landesregierung von Baden-Württemberg ist zwar
zulässig, jedoch nicht begründet. Folglich wird das BVerfG dem
Antrag nicht stattgeben.
„Eine äußerst gelungene Klausur!“ 16 Punkte
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Big Points für die Hausarbeit
I) Der „formelle Teil“
1) Aufbau
a) Deckblatt: enthält oben links Namen, Anschrift, Matrikelnummer, Semesterzahl in der Mitte zentriert den
Namen der Übung, Namen des Dozenten, Semester (SS 2005), Art der Übung (1. Hausarbeit).
b) Sachverhalt
c) Inhaltsverzeichnis: es empfehlen sich für Inhaltsverzeichnis und Literaturverzeichnis römische Ziffern.
Inhalts- und Literaturverzeichnis sind der Kopf einer Arbeit und daher mit besonderer Sorgfalt anzufertigen.
d) Literaturverzeichnis: Autoren alphabetisch auflisten, dem Nachnamen nach. Zu nennen sind: Name des
Autors, Name des Buches/Aufsatzes, Erscheinungsort und –jahr, Auflage, fakultativ auch eine Zitierweise. Es
gehört nur die Literatur ins Literaturverzeichnis, die im Text auch tatsächlich als Belegstelle verwendet wird.
Nicht in das Literaturverzeichnis gehören: Rechtsprechung und alle nicht- wissenschaftlichen Bücher, wie z.B.
Fallsammlungen, Skripten (Alpmann Schmidt; Bücher von Rolf Schmidt etc) und dubiose Werke wie
Braunschneider u.ä.
e) Bescheinigung über die Teilnahme an einer Fallbesprechung
f) Gutachten
g) Unterschrift am Ende des Gutachtens
2) Zitierweise
a) Am Ende einer Fußnote muss ein Punkt stehen. Niemals darf in einer Subsumtion eine Fußnote stehen.
b) Rechtsprechung: z.B. BGHZ 112, 158, 179. = BGH in Zivilsachen, Band 112, Entscheidung beginnt auf Seite
158, Fundstelle auf S. 179.
c) Aufsätze: z.B. Mustermann, JuS 1998, 512, 514. = Mustermann in Juristische Schulung, Jahrgang 1998,
Aufsatz beginnt auf Seite 512, Fundstelle S. 179.
d) Bücher: z.B.: Brox, AT BGB, Rn 333“. = Brox, Allgemeiner Teil BGB, Fundstelle: Randnummer 333.
e) Kommentare: Palandt/Heinrichs, § 280 Rn. 13 oder Heinrichs in: Palandt, § 280 Rn. 13.
Wichtig: Konkrete Autor/Bearbeiter ist stets kursiv anzugeben (z.B. Palandt/Heinrichs, § 280 Rn. 13.)
3) Zählweise
Vertretbar ist z.B. folgende Zählweise: Teil 1; A); I); 1); a); aa); (1) (nur wenn unbedingt nötig).
Wo kein „zweitens“ kommt, ist auch ein „erstens“ fehl am Platz!
4) Schlüsselwörter
Um dem Korrektor das Lesen der Arbeit etwas zu erleichtern, können einzelne Schlüsselwörter im Text durch
Fettdruck hervorgehoben werden. Dies sollte jedoch spärlich geschehen (nie mehr als zwei bis drei Wörter pro
Seite), sonst ist der Effekt weg. Doch auch fettgedruckte Überschriften dienen der Übersichtlichkeit.
5) Sprachstil
Schreibt ein lesbares Deutsch. Einfacher Satzbau ist empfehlenswert. Achtet auf einen sachlichen Stil, Füllwörter
wie „zweifellos“ etc. sind kein Ersatz für Argumente! Die Wiederholung von Gesetzestext und Sachverhalt ist
grundsätzlich. überflüssig, der Korrektor kennt beide. Auf korrekte Terminologie ist großer Wert zu legen.
Selbstverständlich sind korrekte Rechtschreibung, Zeichensetzung und Grammatik. Abkürzungen vermeiden.
II) Der „materielle“ Teil
- Es empfiehlt sich eine Arbeit in einer Gruppe von 3 bis 5 (max.) Personen. Natürlich lässt sich eine Arbeit auch
alleine erstellen, jedoch fehlt dann das Argumentieren mit den Kommilitonen, auch müssen Kopierarbeiten, die
i.d.R. sehr zeitaufwendig sind, allein gemacht werden. Häufig werden „Alleinschreiber“ Opfer der sog.
Seminarmeinung, die übrigens i.d.R. falsch ist. Um Missverständnissen vorzubeugen: Die Hausarbeit muss in
jedem Fall selbständig ausformuliert werden. Auch nur teilweise identische Arbeiten führen zu deren Nichtigkeit
(0 Punkte), selbst wenn das eigene Verschulden dabei nur im Fahrlässigkeitsbereich liegt. Schlimmstenfalls erfolgt
der Ausschluss aus der Übung.
- Für Gruppen gibt es einige Arbeitsräume: Alte Physik Übungsräume und oben im Seminar, UB (Ammerbau),
„Theo“.
- Es empfiehlt sich, benötigte Literatur zu kopieren. Einmal werden dadurch Zeitschriften für andere wieder
frei, andererseits geht man nicht das Risiko ein, nachher ohne das benötigte Material dazustehen, weil ein
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JURA NOT ALONE!
anderer das Buch gerade benutzt. Ein weiterer Vorteil ist, dass man nun auch unterstreichen und markieren
kann, was wichtig ist. Vor einer regelrechten Kopierwut sei jedoch gewarnt. Nur kopieren, was wirklich
benötigt wird! Werden Bücher kopiert, immer auch die erste Seite mitkopieren, auf der Erscheinungsjahr, Ort
und Auflage sowie der Autor mit vollem Namen genannt sind. Sonst tut man sich später schwer, die Kopien
zuzuordnen. Es empfiehlt sich, die Kopien zusammenzutackern.
- Zunächst sollte als erster Schritt mit Hilfe eines Kommentars eine Lösungsskizze erstellt werden, mit der die
Hauptschwerpunkte herausgearbeitet werden. Diese wird nicht vollständig sein, weitere Probleme werden oft
erst in einer später erfolgenden vertiefenden Bearbeitung entdeckt. Ist diese Lösungsskizze erstellt, beginnt die
wirkliche Arbeit. Wir empfehlen folgendes Vorgehen: mit einem Lehrbuch erhält man am besten einen
Überblick über ein Sachgebiet, z.B. das erste Problem. Etwas spezieller sind die Kommentare, die als nächstes
heranzuziehen sind. Darin finden sich in der Regel alle wichtigen Verweise auf Monographien oder Aufsätze.
Letztere behandeln die einzelnen Probleme am detailliertesten, denn sie setzen ganz speziell einen Schwerpunkt,
beleuchten also nur eine kleine Ecke Eurer Hausarbeit.
- Abgesehen von den Querverweisen in den Kommentaren besteht auch noch die Möglichkeit, über juris eine
Recherche zu machen. Allerdings muss vorher ein Juriskurs im Computerzentrum bei Herrn Gerblinger
absolviert werden.
- Verfasst werden soll ein Gutachten. Folglich muss der Gutachtensstil eingehalten werden, d.h. ausgehend
von einer Frage ist das Ergebnis zu suchen. Von besonderer Bedeutung ist ein geeigneter Obersatz, der dem
Korrektor deutlich macht, was man nun eigentlich prüft. Ist aufgrund des Sachverhalts eine Sache eindeutig,
genügt auch eine entsprechende Feststellung, sog. Urteilsstil. Doch Vorsicht: Wird er an den falschen Stellen
eingesetzt, wird sich dies in der Benotung der Arbeit besonders hart niederschlagen! Daher: Nur einsetzen,
wenn etwas eindeutig ist. Die richtige Gewichtung der Problemfelder ist entscheidend!
- Grundsätzlich gilt: Probleme schaffen, dann wegschaffen. Ungeschickt ist es, sich für einen Weg zu
entscheiden, der möglichst wenig Problem in sich birgt. Probleme geben Punkte!
- Streit und Streitentscheidung: Zwei Juristen, drei Meinungen. Probleme definieren sich dadurch, dass es in
der Literatur verschieden Ansichten gibt, oder Rechtsprechung und Literatur verschiedener Meinung sind. Dann
gibt es einen Streit, der dargestellt werden muss: Zuerst ist die eine Meinung aufzuführen und festzustellen, zu
welchem Ergebnis dies im vorliegenden Sachverhalt führt. Dann ist die zweite Ansicht darzustellen und
wiederum muss subsumiert werden, zu welchem Ergebnis dies führen würde. Gelangen beide Ansichten zum
gleichen Ergebnis, so ist der Streit nicht zu entscheiden! Es genügt dann die Feststellung, dass beide Ansichten
hier zum gleichen Ergebnis gelangen. Ist dies jedoch nicht der Fall, muss der Streit entschieden werden, sprich
es müssen Argumente für und wider eine Ansicht gefunden werden, und man muss sich letztlich für eine
Ansicht entscheiden. In manchen Fällen kann es geschehen, dass sich zwei völlig unterschiedliche Lösungswege
ergeben, je nachdem, welcher Ansicht man folgt. Für diese Fälle ist es dringend zu empfehlen, der h.M. zu
folgen, dies tut die Lösungsskizze im Zweifel auch! Sonst besteht die Gefahr, völlig an den Problemen
vorbeizuschreiben, dies tut der Benotung nicht gut. Ist der Streit nur für einen kleinen Teil der Arbeit
maßgeblich, empfiehlt es sich aus taktischen Gründen, für die Ansicht zu entscheiden, die mehr Folgeprobleme
mit sich bringt. Verkauft aber nie Euren inneren Schweinhund. Jura hat etwas mit Recht und Rechtsempfinden
zu tun. Wenn Ihr eine Ansicht für schlechterdings unvertretbar haltet, lehnt sie ab, auch wenn sie taktisch
günstiger wäre! Im Zweifel finden sich dafür dann auch die besseren Argumente. Beachtet aber bitte, dass
Meinungsstreits kein Selbstzeck der Hausarbeit darstellen. „Ausgelutschte“ Streits sind knapp zu halten.
Schwerpunkte setzen! Also nur „Streits“, die in der aktuellen Literatur und Rspr. kontrovers diskutiert werden,
sind ausführlich zu erörtern.
- Subsumtion: besteht aus Obersatz, in dem das Tatbestandsmerkmal X genannt wird, das geprüft wird;
Definition, was man unter einem X versteht, welche Voraussetzungen erfüllt sein müssen, damit X gegeben ist;
Subsumtion des Sachverhalts unter diese abstrakten Voraussetzungen; Schlusssatz/Ergebnis:
Tatbestandsmerkmal X ist erfüllt/nicht erfüllt.
- Grundsätzlich lässt sich sagen, dass alle bereits bestehenden Ansichten sich vertreten lassen, sofern sie nicht
völlig abstrus sind und man gut argumentiert.
- Niemand arbeitet bei einer solchen Arbeit gegen einen anderen. Wer Bücher versteckt mit der Vorstellung,
dadurch einen Vorteil oder einen Vorsprung zu erhalten, schadet sich damit selbst, denn er kann seine Ideen
nicht mit anderen besprechen und landet womöglich im juristischen Sumpf. Gegenseitige Hilfe sollte
selbstverständlich sein.
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JURA NOT ALONE!
Big Points für die Klausur
Vorbemerkung
Bei nachstehenden Hinweisen und Tipps handelt es sich um keine Patentrezepte, sondern lediglich um
eine – nicht abschließende – Sammlung von Erfahrungswerten, die jeder selbst ergänzen sollte.
I. Formales
-
-
-
Es ist – am Besten vorab – ein Deckblatt zu entwerfen. Es muss links oben Namen und
Matrikelnummer enthalten. Mittig sollte der Name der Übung, der Dozent und die
Bezeichnung der Klausur (1. oder 2. oder Abschlussklausur) stehen. Rechts oben kann man
noch Ort und Datum einfügen.
Bitte 1/3 Korrekturrand lassen, vorzugsweise rechts. Hierfür bietet es sich an, ausreichend
schon mit Rand vorbereitete Blätter mitzubringen (Block).
Es ist dringend anzuraten, die Seiten nur einseitig zu beschriften, da sie sich für den Fall von
eigenen Korrekturen schneller austauschen lassen.
Man achte auf eine übersichtliche Darstellung (Überschriften und Absätze), sowie eine
leserliche Schrift (Tintenfüller hilft!). Besser „killern“ als großflächig durchstreichen.
Im Gegensatz zu einer Examensklausur ist die Scheinklausur am Ende zu unterschreiben.
Zu vermeiden sind Bemerkungen oder Hinweise an den Korrektor.
Die Lösungsskizze kann mit abgegeben werden, sollte aber als solche kenntlich gemacht
werden.
Die Seiten sind am Ende zu nummerieren, bevor die Klausur bei der Abgabe
zusammengetackert wird. Nochmals kontrollieren, dass alle (!) Blätter in der richtigen
Reihenfolge (!) abgegeben werden.
Schummeln ist unfair und kann streng geahndet werden. Zulässig sind aber
Gesetzeskommentierungen durch unsystematische, in der Anzahl aber unbegrenzte
Paragraphen am Rand. Dies gilt selbstverständlich nur vorbehaltlich anderer Anweisungen des
Übungsleiters. Man sollte sich hierzu bei ihm/ihr informieren. Im Übrigen sollte man auf der
Homepage des Dozenten vor der Klausur darauf achten, in welchem Raum die Klausur
geschrieben wird und wie die Einlasskontrolle ausgestaltet ist (Ausweis!).
II. Herangehensweise
-
-
Zunächst Bearbeitervermerk/Fallfrage durchlesen.
Dann erstes gründliches Durchlesen der Klausur.
Zweites Durchlesen der Klausur und Zuhilfenahme von ggf. farbigen Unterstreichungen
Knappe Lösungsskizze erstellen; um Klarheit über den Sachverhalt zu erhalten kann eine
Personenskizze, Zeittafel oder chronologische Tabelle hilfreich sein.
Unbedingt auf eine sinnvolle Zeiteinteilung achten. Dies ist durch das Schreiben von
Übungsklausuren erlernbar. Für die Niederschrift sind faustformelhaft mindestens 2/3 der Zeit
notwendig, im Strafrecht sogar mehr.
Grundsätzlich ist keine Angabe im Sachverhalt überflüssig! Sie müssen im Gutachten in der
Subsumtion auftauchen. Indes darf es auf der anderen Seite nicht zu einer
„Sachverhaltsquetsche“ (= Unterstellen eines unzutreffenden Sachverhaltes kommen). Daher
sei vor dem „ähnlichen Fall“ aus der Klausurvorbereitung gewarnt. Bisweilen können aber
auch Angaben im Sachverhalt unklar oder mehrdeutig sein. Dann müssen sie lebensnah
ausgelegt werden (gesunder Menschenverstand!). Nicht angebracht ist es aber die
Aufgabenstellung in Frage zu stellen oder Kritik an ihr zu üben. Der Sachverhalt „stimmt“ in
universitären Klausuren.
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-
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JURA NOT ALONE!
Man achte bereits bei der Lösungsskizze auf die Schwerpunkte und konzentriere sich hierauf.
Nur für die zentralen Probleme gibt es viele Punkte. Man halte „ausgelutschte“
Meinungsstreitigkeiten tendenziell knapp.
Bei unbekannten Problemen hilft oftmals die „juristische Methode“, d.h. Auslegung nach
Wortlaut, Systematik, (Historie) und Sinn & Zweck.
Schließlich sollte man noch anhand des eigenen, vom gesunden Menschenverstand geleiteten
Rechtsempfindens im Geiste eine Ergebnis- und Billigkeitskontrolle durchführen. Ist mein
Ergebnis fair und angemessen?
III. Stil
-
-
-
-
1
Der Gutachtenstil (Obersatz, Nennung der Voraussetzungen des Tatbestandsmerkmals,
Subsumtion, Ergebnis; vgl. ULF-Merkblatt zum Gutachtenstil) ist sauber zu beherrschen!
Übung macht dabei den Meister; insbesondere sollte man die Hausarbeiten als nützliche Übung
hierfür verstehen. Der Urteilsstil ist nur bei unproblematischen Stellen zulässig und entbindet
nicht von wenigstens feststellender Subsumtion!
Auf richtige Grammatik und Rechtschreibung ist zu achten! Man hüte sich insbesondere vor
dem Fehlgebrauch des Konjunktivs1 (nicht: „möglicherweise könnte A…“, sondern:
„möglicherweise kann A…“)
Der Sprachstil sollte sachlich sein. Kein Ich-Stil; keine Ironie oder Polemik und keine
Emotionen. Auch keine Bekräftigungen wie „zweifellos“, „sicherlich“, „ganz offensichtlich“
etc.
Kurze Sätze und keine Verschachtelungen über mehrere Zeilen. Als Faustregel gilt: „Pro Satz
eine Idee“.
Keine inhaltsleeren Floskeln wie „laut Sachverhalt“, „also“, „ziemlich“ etc.
Man achte auf korrekte Terminologie. Vorsicht auch mit Fremdwörtern; denn ihr der falscher
Gebrauch ist peinlich.
Vgl. Wolf, JuS 1996, 31 ff.
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JURA NOT ALONE!
Übersicht zum Gutachtenstil
Eine juristische Arbeit, sei es Klausur oder Hausarbeit, wird während des Studiums (bis einschließlich 1.
Staatsexamen) üblicherweise im sogenannten Gutachtenstil verfasst.
Der Gutachtenstil bezeichnet die Methode, die eingesetzt wird, um ein Ergebnis zu finden. Äußerlich ist der
Gutachtenstil daran zu erkennen, daß am Anfang das zu behandelnde (Rechts-)Problem genannt wird (z.B.:
"Dadurch, daß A die Uhr zu Boden geworfen hat, kann er sich strafbar gemacht haben nach § 303.") und daß am
Ende – nach Durchführung der Problemerörterung – das Ergebnis mitgeteilt wird (z.B.: "A hat sich daher durch
das Hinwerfen der Uhr strafbar gemacht nach § 303."). Aus dieser Abfolge ergibt sich eine bestimmte
Darstellungsweise: Da die Argumentation vor dem Ergebnis dargestellt wird, erfolgt die sprachliche Verknüpfung
zwischen Argument und Ergebnis durch Wörter wie "also", "daher" und "somit" usw. Diese Eigenheit gilt nicht
nur für das Gesamtergebnis, sondern auch für alle Zwischenergebnisse (z.B. in der Prüfung des § 242: Obersatz:
"Die Uhr müsste eine für A fremde Sache sein." – Definition/Voraussetzungen: "Fremd ist eine Sache dann, wenn
sie nicht im Alleineigentum des Täters steht." - Durchführung der Problemerörterung/Subsumtion: "Die Uhr stand
im Eigentum des B." - Ergebnis: "Somit ist die Uhr für A eine fremde Sache"). Daher kommt es in der Falllösung
zu Verschachtelungen innerhalb des Gutachtenstils, da mehrere Subsumtionsschritte bis zum Endergebnis
vorgenommen werden müssen. Als Faustregel gilt: Immer dort wo eine Klammer aufgemacht wird, muss sie am
Ende auch wieder geschlossen werden.
Den Gegensatz zum Gutachtenstil bildet der Urteilsstil. Dieser bezeichnet die Methode der Begründung eines
bereits gefundenen Ergebnisses. Äußerlich ist der Urteilsstil daran zu erkennen, daß das Ergebnis (= die
Entscheidung) am Anfang steht und anschließend begründet wird. Die sprachliche Verknüpfung zwischen
Ergebnis und Argumentation erfolgt durch Wörter wie "denn", "weil" usw.
Wie bereits erwähnt ist im Rahmen von Universitätsarbeiten der Gutachtenstil anzuwenden. Nur bei evident
unproblematischen Punkten darf und sollte auch im Zuge einer Problemgewichtung der Urteilsstil angewandt
werden.
Beispiel für Zivilrecht:
Schritt
Formulierungsvorschlag
•
•
1.
Obersatz
bilden/
These
aufstellen
•
•
•
•
2.
Definition
der TBMerkmale
•
•
3.
Subsumtion
•
•
Zu prüfen ist, ob G gegen S ...
G (=Gläubiger) könnte gegen S (=Schuldner)
einen Anspruch aus Kaufvertrag gemäß 433
II BGB auf Zahlung von xy DM haben ...
Fraglich ist, ob G einen Anspruch auf
Zahlung von xy DM
gegen S aus
Kaufvertrag gemäß 433 II BGB hat
Möglicherweise hat G gegen S einen
Anspruch aus...
unter einem Kaufvertrag
(TB-Merkmal)
versteht man ...
ein Kaufvertrag i.S.d. § 433 BGB besteht
aus
zwei
übereinstimmenden,
korrespondierenden
Willens-erklärungen,
Angebot und Annahme, sowie die Einigung
über zumindest die essentialia negotii ...
Gemäß § 433 BGB ist ein Kaufvertrag
gegeben, wenn ...
Voraussetzung dafür ist ...
im vorliegenden Fall ...
hier ...
ACHTUNG!
•
•
•
keine direkte Frage, also
nicht: "Kann G von S ...
verlangen?"
nicht die Fallfrage wörtlich
abschreiben!
Denk an: WER will WAS von
WEM WORAUS !
•
•
abstrakte Formulierung,
nicht die Subsumtion
vorwegnehmen!
•
keine Zitate aus der Rspr. mit
dem konkreten Sachverhalt
mischen, den das betreffende
Gericht nie beurteilt hat , also
nicht:: "Laut BGH kann G von
S ... verlangen."
ULF- Unabhängige Liste Fachschaft Jura
4.
Ergebnis
•
•
•
- 133 -
also ..
folglich ...
somit ...
JURA NOT ALONE!
•
keine Tür offen halten, also
nicht: "Folglich hat A den
Anspruch, vielleicht aber auch
nicht."
Beispiel für Strafrecht:
A verprügelt den B. Strafbarkeit des A? (Der Formulierungsvorschlag bezieht sich auf den
Tatbestand!)
Schritt
Formulierungsvorschlag
•
•
1.
Obersatz
bilden/
These
aufstellen
•
•
•
•
2.
Definition
der TBMerkmale
•
•
•
•
3.
4.
Subsumtion
Ergebnis
A könnte sich dadurch, daß er den B
verprügelte gem. § 223 I strafbar gemacht
haben ...
Möglicherweise hat sich A nach § 223 I
StGB strafbar gemacht, indem er den B
verprügelt hat.
Zu prüfen ist, ob sich A durch das
Verprügeln des B einer
Körperverletzung gem. § 223 I strafbar
gemacht hat...
Fraglich ist, ob A ...
ZUNÄCHST: A müsste zunächst den
Tatbestand erfüllt haben.
Dazu müsste A den B gemäß § 223 I
körperlich misshandelt oder dessen
Gesundheit beschädigt haben. Eine
körperliche Misshandlung ist jede üble,
unangemessene Behandlung, durch die das
körperliche Wohlbefinden nicht nur
unerheblich beeinträchtigt wird. [ Es folgen
Schritte 3+4] Eine Gesundheitsbeschädigung
ist jedes Hervorrufen oder Steigern eines
pathologischen Zustandes...
Eine Körperverletzung liegt vor, wenn...
unter einer Körperverletzung versteht man
...
Gemäß § 223 I ist eine Körperverletzung
gegeben, wenn ...
Voraussetzung dafür ist ...
•
•
im vorliegenden Fall ...
hier ...
•
•
•
also ..
folglich ...
somit ...
ACHTUNG!
•
•
keine direkte Frage, also nicht:
"Ist A strafbar nach § ...?"
nicht die Fallfrage wörtlich
abschreiben!
•
•
abstrakte Formulierung,
nicht die Subsumtion
vorwegnehmen!
•
keine Zitate aus der Rspr. mit
dem konkreten Sachverhalt
mischen, den das betreffende
Gericht nie beurteilt hat , also
nicht:: "Laut BGH hat sich A
nach §... strafbar gemacht."
•
keine Tür offenhalten, also
nicht: "Folglich hat A den
Anspruch, vielleicht aber auch
nicht."
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JURA NOT ALONE!
Leitfaden zur Remonstration
1. Vorüberlegung
Unzufriedenheit mit der Note ist allein kein Beschwerdegrund.
Es kommt darauf an, berechtigter Weise mit der Korrektur – also mit der Grundlage für die
Notengebung – unzufrieden zu sein. Eine Korrektur kann aus verschiedenen Gründen
mangelbehaftet sein. Die wichtigsten sind:
•
•
•
rechtliche Fehleinschätzungen des Korrektors,
inhaltliche Fehleinschätzungen/fehlende Berücksichtigung der Ausführungen,
Diskrepanz zwischen vergebener Note und deren Rechtfertigung.
2. Formalien
1. Die Remonstration ist schriftlich abzufassen. Sie sollte einen Umfang von 3 Seiten nur in
Ausnahmefällen überschreiten.
2. Man sollte Sie an den verantwortlichen Professor und den Korrektor adressieren. Der
angeschlagene Ton sollte im Grundsatz freundlich, aber bestimmt sein. Je nach dem, was der
Korrektor falsch gemacht hatte und welche Grundhaltung er zum Ausdruck gebracht hat, kann
man selbst auch deutlich sein.
3. Ausschlussfrist beachten! Meistens hat man nur eine Woche Zeit.
3. Inhaltliches
1. Die Remonstration beginnt mit der Feststellung, dass die Korrektur sachlich unrichtig und
deshalb die vergebene Notenstufe zu niedrig ist.
Beispiel:
Sehr geehrte Frau Prof. Mustermann, sehr geehrter Korrektor,
ich darf das korrigierte Exemplar meiner Hausarbeit an Sie zurückreichen. Ich halte die
Bewertung für sachlich nicht gerechtfertigt und daher in der Notenstufe zu niedrig.
2. Daran schließt sich der Hauptteil der Beschwerde an, die Darlegung der Remonstrationsgründe.
Man kann diesen Teil einfach einleiten, indem man "Gründe:" oder "Im einzelnen:" schreibt.
Es folgt eine gegliederte und kommentierte Analyse der unzutreffenden Bemerkungen des
Korrektors. Je mehr Widersprüche man direkt an Aussagen des Korrektors festmachen kann,
desto größer sind Erfolgschancen.
Man stellt also in einem Satz unter Angabe der Fundstelle in der Hausarbeit kurz das vom
Korrektor monierte Problem dar. Tm nächsten Satz sollte der Einwand des Korrektors kurz
und präzise entkräftet werden.
Dabei kann man auf Literatur verweisen. Besonders effektiv und in allen denkbaren
Problemlagen verwendbar ist auch ein Hinweis auf eine entgegenstehende Auffassung des
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verantwortlichen Professors, die er idealer Weise während der Hausarbeiten- oder
Klausurbesprechung geäußert hatte.
Freilich ist nicht nur richtig, was in der Lösungsskizze steht. Der Korrektor muss den in der
Arbeit dargestellten Lösungsweg mitdenken und honorieren, es sei denn, er ist nicht
vertretbar .
•
Rügen kann man somit grundsätzlich:
o als "nicht vertretbar" monierte diskutable Ergebnisse
o unzutreffende Einwände gegen die Argumentation
o unzutreffende Einwände gegen Inhalte, insbesondere angeblich fehlende
Darstellungen
o unzutreffende Einwände gegen Ansätze
o unzutreffende Einwände gegen den Aufbau
•
Rügen kann man auch formelle Korrekturfehler. Schlängellinien oder
Bemerkungen a la "nur i.E. vertretbar" können eine Bewertung freilich nicht
tragen. Mängel müssen grundsätzlich als solche gekennzeichnet werden.
Schwieriger ist es, fehlende Übereinstimmung von Wort- und Punkturteil zu kritisieren --,
oder falschen Gebrauch von Beurteilungsspielräumen zu rügen, da es insoweit zumeist
",--1 an unzutreffenden Randbemerkungen fehlt (" ,.. eine erfreuliche Bearbeitung: 5
Punkte"). Jedenfalls kann der Korrektor aber nicht deshalb niedriger punkten, weil er die
vertretene Mindeffi1einung nicht teilt und deshalb auch die Argumentation für wenig
überzeugend hält (" ,., iE leider nicht überzeugend. Aufgrund guter Argumentation aber
trotzdem 5 Punkte"). Die alte Rechtsprechung, dass die Bewertung von Prüfungsleistungen
inhaltlich durch die Verwaltungsgerichte nichtüberprüft werden kann, ist übrigens schon
seit fast 10 Jahren aufgegeben. Eine vertretbare und folgerichtig begründete Lösung darf
nicht als falsch gewertet werden (BVerfGE 84, 34 (55); Maurer, Allgemeines
Verwaltungsrecht, II. Auflage, 1997, § 7 Rn. 43, S. 137).
Sollte ein Korrektor auf folgenden oder ähnliche, nämlich die Form betreffende,
Gedanken gekommen sein: "Verfasser bedient sich jedoch offensichtlich einer
platzsparenden Schriftart, deshalb nur 12 Punkte", weil Arial Narrow benutzt wurde, aber
Times New Roman nicht ausdrücklich gefordert war, ist eine Neubewertung selbstredend
fällig.
Zwar ist es grundsätzlich nicht ausreichend, vergleichend zu remonstrieren. Dennoch ist
im Prüfungsrecht die Geltung von Art. 3 I GG anerkannt. Deshalb kann man jedenfalls
ergänzend auf andere Arbeiten hinweisen, in denen zum Beispiel die Prüfung eines
Aspektes mit "schön gesehen" kommentiert wurde; während man selbst nur ein
"überflüssig" erntete. Vom Beifügen von den anders korrigierten Arbeiten der
Kommilitonen ist allerdings abzuraten!
3. Endlich sollte man darum bitten, die Note zu verändern. Das kann zum Beispiel so aussehen:
Nach alledem darf ich Sie daher freundlichst bitten, die festgesetzte Notenstufe nochmals einer
kritischen und wohlwollenden Prüfung zu unterziehen.
Dem Professor oder dem Korrektor eine Benotung explizit vorzuschlagen, kann nicht
empfohlen werden. Jedoch sollte man anklingen lassen, wo man hin möchte.
-ULFUnabhängige Liste Fachschaft Jura
Deine Studentenvertretung
Das
ULF-Team
wüscht Dir
viel Erfolg
bei Deinen
Klausuren
und
Hausarbeiten!
JURA not alone!
Sprechstunde: Montag + Mittwoch 13 – 14 Uhr, Raum 9‚ Alte Physik
UL F – Sitzung: Mittwoch 19.00 Uhr, Raum 9