Examensklausurenkurs – Klausur am 5. Mai 2012 Sachverhalt I
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Examensklausurenkurs – Klausur am 5. Mai 2012 Sachverhalt I
Institut für Staatswissenschaft und Rechtsphilosophie, Abt. 2 Dr. Eike Michael Frenzel Sommersemester 2012 Examensklausurenkurs – Klausur am 5. Mai 2012 Sachverhalt I. Ulrich Urban (U), Victor Vogel (V) und Winfried Winter (W) bilden den Vorstand des im baden-württembergischen Stadtkreis S ansässigen Landesverbands Baden-Württemberg der „Partei der Freiheit“ (PdF), die regelmäßig an Wahlen zum Europaparlament, zum Bundestag und zu verschiedenen Landtagen teilnimmt und dabei bis zu 0,3 Prozent der Stimmen erhält. Die PdF beschreibt sich als „unkonventionelle, radikaldemokratische und antiklerikale“ Partei. Am 9. März 2012 meldet der Landesverband, vertreten durch den Vorstand, für Karfreitag, den 6. April 2012, bei der Stadt S eine Versammlung mit dem Titel „Schweigetanz für die Freiheit“ an, mit der gegen eine Beschränkung der Freiheit durch das Feiertagsgesetz und die Privilegierung der christlichen Kirchen protestiert werden soll. Die weitestgehende Abschaffung des Feiertagsgesetzes und die Beseitigung von Privilegien sind über Jahre Bestandteile des Parteiprogramms der PdF, weil sie unnötig und unzeitgemäß seien und die Kirchen so staatlich protegiert würden. Es sei nicht Aufgabe des Staates, „allen Andächtigkeit vorzuschreiben“. Im Rahmen der Versammlung sind „tanzfigürliche Darstellungen der Teilnehmer/innen zu Kopfhörermusik“ geplant; eine darüber hinausgehende, für Dritte hörbare Beschallung ist nicht vorgesehen. Auch auf eine Abschlusskundgebung soll verzichtet werden, nicht jedoch auf Transparente und Plakate, die auf dem Demonstrationsweg mitgeführt werden sollen. Dieser Weg soll durch die Innenstadt von S führen, jedoch nicht näher als 200 Meter an mehrere Kirchen heran. In diesen verschiedenen Kirchen findet am Karfreitag jeweils ein maximal eineinhalbstündiger Gottesdienst statt, mit einem Beginn um 9 Uhr, um 10 Uhr und um 15 Uhr. Die Versammlung soll laut Anmeldung um 12 Uhr beginnen und um 13 Uhr beendet sein, nachdem der Demonstrationsweg mit einer Länge von zwei Kilometern absolviert ist. Die Stadtverwaltung sieht das Vorhaben kritisch: Wegen des tänzerischen Elements und des weitgehenden Unterbleibens mündlicher Kommunikation sei doch sehr fraglich, ob es sich um eine Versammlung handele. Selbst wenn es sich um eine Versammlung handele, dürfe sie nicht gegen das Feiertagsgesetz verstoßen. Dieses schütze den Karfreitag in besonderem Maße, und dies nicht willkürlich, sondern wegen des bundes- und des landesverfassungsrechtlichen Hintergrunds. Die Behörde fordert den Vorstand des Landesverbands zur Stellungnahme auf. Dieser erwidert, man wolle nicht provozieren und habe versucht, dies durch die Wahl des Versammlungswegs, den Zeitpunkt und die Gestaltung der Demonstration zum Ausdruck zu bringen. Von dieser verantwortungsbewusst gewählten Ausgestaltung wolle man ungern abweichen, schließlich sei man „Herr der Versammlung“; der Vorstand signalisiert die Bereitschaft, weitergehende Kompromissvorschläge zu prüfen. Letztlich komme es darauf an, dass die Versammlung durchgeführt werden könne. Gleichwohl verbietet die Stadt, vertreten durch ihren Oberbürgermeister, am 2. April 2012 die Versammlung unter Berufung auf § 15 Abs. 1 VersammlG, § 8 Abs. 1 FTG. Es gebe keine andere Lösung, jede Versammlung müsse an einem solchen Tag als unzulässig betrachtet werden. Die sofortige Vollziehung wird mit der Begründung angeordnet, dass der Feiertagsschutz im öffentlichen Interesse sei, weil die Auseinandersetzung über die Legitimität des Feiertagsschutzes nicht kurzfristig zu Lasten derjenigen gehen dürfte, die sich auf die bevorstehenden Feiertage bereits vorbereiteten. Die Verfügung wird dem Landesverband mit auch im Übrigen formell ordnungsgemäßer Begründung und Rechtsbehelfsbelehrung am 2. April 2012 zugestellt. Institut für Staatswissenschaft und Rechtsphilosophie, Abt. 2 Dr. Eike Michael Frenzel Sommersemester 2012 Der Vorstand erhebt namens des Landesverbands der PdF am 3. April 2012 Widerspruch und stellt beim örtlich zuständigen Verwaltungsgericht den Antrag, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs anzuordnen. Prüfen Sie gutachtlich, wie das Verwaltungsgericht entscheiden wird (Stand: 4. April 2012). II. Unabhängig von dem Vorhaben der PdF gibt es am Karfreitag, den 6. April 2012, im Stadtkreis S Ärger: Zwei Mitarbeiter der Ortspolizeibehörde, Schultze und Schulze, besuchen im Laufe des Abends mehrere Tanzlokale in der Innenstadt von S, um die Einhaltung des Tanzverbots zu kontrollieren. Nach Vorlage ihrer Dienstausweise wird ihnen auch die Tür zur „Militanzbar“, einem für 200 Gäste zugelassenen Kellerclub in unmittelbarer Nähe der Stadtkirche, bereitwillig geöffnet. Der Geschäftsführer ist allerdings nicht anwesend. Schultze und Schulze stellen fest, dass in dem Club ruhige Musik läuft und auf der kleinen, hell erleuchteten Tanzfläche mehrere Barhocker stehen. Gleichwohl tanzen einige Personen. Schultze und Schulze fordern den DJ, Bernd Bärenroth (B), nach Rücksprache mit diesem auf, über Mikrofon auf das Tanzverbot hinzuweisen. Dieser Aufforderung kommt B nach; sein Hinweis (auch auf die Anwesenheit der Polizeibehörde) zeigt aber keine Wirkung. B sagt, dass „da (…) wohl nichts zu machen“ sei. B wird die Beschlagnahme des Mischpults in Aussicht gestellt, das ihm selbst gehört; er erwidert, dass dies völlig überzogen sei und es sich immerhin um sein Eigentum handele. Gleichwohl beschlagnahmen Schultze und Schulze das Mischpult, ohne das B seine Arbeit nicht fortsetzen kann. In der Folge wird überhaupt keine Musik mehr gespielt. Die Tänzer reklamieren bei B und verlassen die Tanzfläche. B wird mitgeteilt, dass der Verstoß gegen das Feiertagsgesetz anders nicht zu beseitigen sei – letztlich diene die Beschlagnahme sogar dem Schutz des B, weil dieser im Falle eines schlichten Abdrehens der Musik wohl genötigt worden wäre, alsbald wieder Musik abzuspielen. B wird ein Beleg ausgestellt und mitgeteilt, dass er das Gerät am nächsten Tag bei der nächstgelegenen Polizeidienststelle abholen könne. B ist empört, weil man ihm die Arbeitsgrundlage entziehe und er vor den Augen der Clubgäste lächerlich gemacht werde. Am nächsten Vormittag holt B das Mischpult bei dem Polizeirevier ab und sucht am folgenden Dienstag den befreundeten Rechtsanwalt Robert Ringier (R) auf. Dieser soll gutachtlich prüfen, ob B gerichtlich mit Erfolg gegen die Verfügung der Mikrophonansage und die Beschlagnahme vorgehen kann. Zudem will B wissen, ob er – die Rechtswidrigkeit der Beschlagnahme vorausgesetzt – einen Anspruch auf Ersatz des Schadens hat, der durch die Wegnahme des Mischpults entstanden sei, weil der Betreiber der „Militanzbar“ ihm deshalb nur eine um 150 Euro verringerte Gage gezahlt habe – für ihn, B, sei dies viel Geld. Erstellen Sie das Gutachten des R. Bearbeitungshinweis: Alle durch die Sachverhalte aufgeworfenen Fragen sind zu bearbeiten, ggf. hilfsgutachtlich. Auf das Feiertagsgesetz Baden-Württemberg (Dürig Nr. 165) wird hingewiesen. Die Verfassungsmäßigkeit dieses Gesetzes ist zu unterstellen. Bearbeitungszeit: 300 Minuten. Viel Erfolg!