neues bgh-urteil zur insolvenz des absatzmittlers
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neues bgh-urteil zur insolvenz des absatzmittlers
Distribution NEWS NEUES BGH-URTEIL ZUR INSOLVENZ DES ABSATZMITTLERS BGH, Urteil vom 7. Mai 2013 – IX ZR 191/12 Liebe Leserin, lieber Leser, der BGH kommt (entgegen seiner früheren Entscheidung vom 25. September 2008) zu dem Ergebnis, dass die Aufrechnung des Prinzipals gegen den Ausgleichsanspruch in der Insolvenz des Händlers / Handelsvertreters mit Insolvenzforderungen des Prinzipals nach § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO unzulässig ist. Das Urteil ist wegen seiner vorstehenden Aussage bemerkenswert und zugleich deshalb von großer Praxisrelevanz, weil es Antworten zu weiteren bedeutsamen Fragestellungen auf der Schnittstelle Vertriebs- und Insolvenzrecht gibt. Leitsatz Kündigt der Unternehmer den Vertragshändlervertrag, weil der Vertragshändler die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über sein Vermögen beantragt hat, ist die nach der Eröffnung erklärte Aufrechnung mit Insolvenzforderungen gegen den Ausgleichsanspruch bei Vorliegen der Anfechtungsvoraussetzungen insolvenzrechtlich unwirksam. Hintergrund Viele Unternehmer kündigen ihren Handelsvertreter- bzw. Vertragshändlervertrag außerordentlich und fristlos, sobald sie von einem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Handelsvertreters bzw. Vertragshändlers Kenntnis erlangen. Dies hat regelmäßig zur Folge, dass der für den Handelsvertreter bestellte InsolDistribution Juni 2013 venzverwalter gegen den Prinzipal einen Ausgleichsanspruch nach § 89b HGB geltend machen kann; entsprechendes gilt im Hinblick auf den Ausgleichsanspruch des Vertragshändlers, wenn die sog. Analogievoraussetzungen vorliegen (d.h. eine einem Handelsvertreter vergleichbare Einbindung in die Absatzorganisation, Verpflichtung zur Übertragung des Kundenstamms). Nun stellt sich in vielen Fällen die naheliegende Frage, ob der Prinzipal gegen den vom Insolvenzverwalter geltend gemachten Ausgleichsanspruch mit Insolvenzforderungen, etwa mit noch ausstehenden Zahlungsansprüchen aus dem Vertragsverhältnis, gem. §§ 94 ff. InsO aufrechnen kann. Das ist seit langem umstritten. Ich wünsche Ihnen eine interessante Lektüre. Für Anregungen und Fragen stehe ich Ihnen gerne zur Verfügung. Ihr Dr. Albin Ströbl Der IX. Zivilsenat des BGH hat nun in seinem Urteil vom 7. Mai 2013, IX ZR 191/12, entschieden, dass eine solche Aufrechnung nach § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO unzulässig ist. Damit sorgt er nunmehr 1 für Rechtsklarheit in einer sehr praxisrelevanten Frage. Dabei gibt der Senat ausdrücklich seinen früheren gegenteiligen Standpunkt auf, wie er ihn noch im Beschluss vom 25. September 2008, IX ZR 223/05, vertreten hat. Das Urteil ist indes nicht nur wegen seiner vorstehenden Kernaussage bemerkenswert, sondern auch, weil es Antworten zu weiteren bedeutsamen Fragestellungen auf der Schnittstelle Vertriebs- und Insolvenzrecht gibt. Insgesamt sind die folgenden vier Aussagen von Bedeutung: – Weder die Gegenseite noch der BGH hatten Zweifel daran, dass dem Prinzipal bei Insolvenz des Vertragshändlers ein Recht zur außerordentlichen Kündigung nach § 89a HGB (analog) zusteht. Konsequenterweise findet das erst jüngst erschienene Urteil des BGH zur Wirksamkeit insolvenzabhängiger Lösungsklauseln (BGH, Urteil vom 15. November 2012 – IX ZR 169/11, NZG 2013, 434), über dessen Reichweite bzw. Übertragbarkeit auf andere Fallkonstellationen momentan spekuliert wird, keine Anwendung auf den Handelsvertreter- bzw. Vertragshändlervertrag (bei der Insolvenz des Prinzipals erlischt der Handelsvertreter- bzw. Vertragshändlervertrag ohnehin automatisch, §§ 115, 116 InsO). – Kündigt der Unternehmer den Vertragshändlervertrag, weil der Vertragshändler die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über sein Vermögen beantragt hat, ist die vom Prinzipal erklärte Aufrechnung mit Insolvenzforderungen gegen den Ausgleichsanspruch bei Vorliegen der Anfechtungsvoraussetzungen insolvenzrechtlich unwirksam. – Die vom Prinzipal erklärte Aufrechnung gegen den Ausgleichsanspruch mit Insolvenzforderungen ist auch dann unwirksam, wenn der Unternehmer den Vertragshändlervertrag erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens außerordentlich kündigt. – Dem Insolvenzverwalter steht bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögens des Vertragshändlers nicht das Wahlrecht nach § 103 InsO zu (sollte das Vertrags- verhältnis zu diesem Zeitpunkt noch ungekündigt fortbestehen). Vielmehr gilt § 108 InsO mit der Folge, dass das Vertragsverhältnis mit Wirkung für die Masse fortbesteht. Sachverhalt und Verfahrensgang Dem Rechtsstreit lag ein Vertragshändlervertrag zugrunde, der von Seiten des Unternehmers außerordentlich und fristlos gekündigt wurde, nachdem der Vertragshändler die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über sein Vermögen beantragt hatte, aber noch bevor das Insolvenzverfahren eröffnet worden war. Der Insolvenzverwalter machte infolge der Kündigung den Ausgleichsanspruch gem. § 89b HGB analog geltend. Daraufhin erklärte der Unternehmer die Aufrechnung mit vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstandenen Gegenansprüchen aus dem Vertragsverhältnis, insbesondere mit Zahlungsansprüchen aus Warenlieferungen. Weder der Ausgleichs- noch der Gegenanspruch waren dem Grunde oder der Höhe nach streitig. Gegenstand der gerichtlichen Überprüfung war vielmehr allein die insolvenzrechtliche Wirksamkeit der Aufrechung gem. §§ 96 Abs. 1 Nr. 3, 130 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 InsO. Das Landgericht hatte die Klage des Insolvenzverwalters unter Berufung auf den Beschluss des BGH vom 25.09.2008 und die bisherige gefestigte Rechtsprechung des OLG Braunschweig abgewiesen; das OLG Braunschweig selbst hielt jedoch nicht mehr an seiner früheren Rechtsprechung fest und hat mit Urteil vom 20. Juli 2012, 2 U 132/11, der Berufung des Insolvenzverwalters stattgegeben und die Aufrechnung wegen § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO als insolvenzrechtlich unwirksam angesehen. Dem hat sich nun der BGH angeschlossen. Wesentliche Entscheidungsgründe des Urteils Der BGH begründet die Anwendbarkeit des § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO damit, dass die Aufrechnung durch die Kündigung ermöglicht worden sei, die eine anfechtbare Rechtshandlung im Sinne des § 129 Abs. 1 InsO darstelle. Als anfechtbare Rechtshandlung gelte jedes vom Willen getragene Handeln, das eine rechtliche Wirkung auslöst und das Vermögen des Schuldners zum Nachteil der Insolvenzgläubiger verändern kann. Dabei sei es unerheblich, ob die rechtliche Wirkung auf dem Willen des Handelnden beruhe oder wie hier kraft Gesetzes (§ 89b HGB) eintrete. Auch sei – so der BGH nunmehr entgegen seinem früheren Beschluss vom 25. September 2008 weiter – eine Gläubigerbenachteiligung gegeben, da es unerheblich sei, dass die Kündigung durch die Schaffung des Ausgleichsanspruchs (zunächst) die Masse gemehrt habe. Entscheidend sei, dass die Kündigung eine Benachteiligung der Insolvenzgläubiger zur Folge habe, weil sie gerade zur Möglichkeit der Aufrechnung geführt habe. Der Unternehmer habe auch Kenntnis von der Insolvenz des Händlers gehabt, wie die außerordentliche Kündigung zeige, die mit dem Insolvenzantrag begründet worden sei. Die insolvenzrechtliche Unwirksamkeit ergreife nur die gläubigerbenachteiligende Wirkung der Herstellung der Aufrechnungslage, nicht jedoch das Grundgeschäft (die Kündigung) als solches. Der BGH führt weiter aus, dass nichts anderes gelten würde, wenn der Vertraghändlervertrag erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens gekündigt worden wäre. Damit weist er den Vorwurf des Wertungswiderspruches zu § 95 InsO von sich. Voraussetzung für die Anwendbarkeit des § 95 Abs. 1 InsO sei nämlich, dass die Forderung in ihrem rechtlichen Kern auf Grund gesetzlicher Bestimmungen oder vertraglicher Vereinbarungen bereits gesichert sei und fällig werde, ohne dass es einer weiteren Rechtshandlung bedürfe. Da aber der Handelsvertreter- oder Vertragshändlervertrag gemäß § 108 InsO auch nach Insolvenzeröffnung fortbestehe, hätte auch hier der Vertrag erst gekündigt werden müssen, damit der Ausgleichsanspruch entsteht. Die Voraussetzungen des § 95 InsO seien vor daher in diesem Fall gar nicht erfüllt, so dass auch kein Wertungswiderspruch bestünde. [Die Literatur hatte diese Thematik unter § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO verortet.] Bewertung und Folgen für die Praxis Die Entscheidung ist nicht nur wegen der ausdrücklichen Feststellungen des BGH, die wir oben skizziert haben, für die Praxis der Unternehmer in der Insolvenz ihres Absatzmittlers brisant. Sie gilt nach unserem Dafürhalten gleichermaßen für den Handelsvertretervertrag; jedenfalls die erste und vierte Aussage dürften auch für den Franchisevertrag Geltung finden (sofern insoweit nicht ausnahmsweise die Kündigungssperre des § 112 InsO greift, was in der Literatur diskutiert wird). Positiv ist zu vermerken, dass der BGH mit dieser Entscheidung viele auf der Schnittstelle des Vertriebs- und Insolvenzrechts streitige Fragen geklärt hat. Neben den wichtigen Antworten zur Aufrechnung ist bemerkenswert, dass sich der BGH in dem Urteil erstmals festgelegt hat, welches rechtliche Schicksal der Vertragshändler- bzw. Handelsvertretervertrag bei Insolvenz des Vertragshändlers bzw. Handelsvertreters nimmt. So findet § 103 InsO keine Anwendung mit der Folge, dass dem Insolvenzverwalter ein Wahlrecht nicht zusteht, ob der Vertrag noch erfüllt oder nicht mehr erfüllt werden soll. Es gilt stattdessen § 108 InsO: Der Vertragshändler- bzw. Handelsvertretervertrag besteht auch nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens mit Wirkung für die Masse fort. Der BGH bestätigt damit die vom OLG Düsseldorf (Urteil vom 18. Dezember 2009, I-16 U 160/09) und auch in weiten Teilen der Literatur vertretene Auffassung. Dagegen wurde in der Praxis meist von einem solchen Wahlrecht ausgegangen und der Geschäftsbetrieb des Handelsvertreters im Falle seiner Insolvenz mit Verweis auf § 103 InsO eingestellt, gelegentlich auch nach entsprechender Wahl fortgeführt. Interessant ist in diesem Zusammenhang auch, dass sich der BGH nicht mit seiner Entscheidung vom 20. Oktober 2011, IX ZR 10/11, auseinandergesetzt hat, wonach die grundsätzlich gegebene Anwendbarkeit des § 108 InsO ausscheidet, wenn die geschuldete Dienstleistung nur durch Begründung erheblicher Masseschulden erbracht werden kann. Diese Frage hätte im vorliegenden Fall durchaus diskutiert werden können. Infolge des Urteils des BGH zur Anwendbarkeit des § 108 InsO dürfte jetzt der strategische Ansatz zur Vermeidung des Ausgleichsanspruchs nach § 89b HGB an Bedeutung gewinnen, wonach der Prinzipal den Handelsvertreter- bzw. Vertragshändlervertrag nicht mehr selbst und sofort außerordentlich und fristlos kündigt und so den Ausgleichsanspruch zur Entstehung bringt, sondern stattdessen zunächst den Insolvenzverwalter auf § 108 InsO hinweist und ihn so zu einer Eigenkündigung des Händlervertrages bzw. Handelsvertretervertrages veranlasst, die i.d.R. den Ausgleichsanspruch nach § 89b Abs. 3 Nr. 1 HGB ausschließt. Denn oft wird der Insolvenzverwalter die Fortführung des Handelsvertreter- bzw. Vertraghändlervertrages mit Wirkung für die Masse nicht wollen. Sollte der Insolvenzverwalter hingegen das Vertragsverhältnis nicht kündigen und den Händlervertrag bzw. Handelsvertretervertrag gleichwohl nicht oder nur unzureichend erfüllen, kommt eine Kündigung des Prinzipals deswegen in Betracht, die i.d.R. den Ausgleichsanspruch nach § 89b Abs. 3 Nr. 2 HGB ausschließen wird. Diesen Ansatz hatten wir bereits in Folge des Urteils des OLG Düsseldorf vom 18. Dezember 2009 ins Auge gefasst (Ströbl, EWiR 2010, S. 159 f.). Er ist nun aktueller denn je. Für weitere Informationen kontaktieren Sie bitte: Noerr LLP Börsenstraße 1 60313 Frankfurt am Main Dr. Albin Ströbl Rechtsanwalt T +49 69 971477131 [email protected] www.noerr.com Die Informationen in diesem Newsletter ersetzen nicht die Beratung im Einzelfall. © Noerr LLP 2013