Newsletter Arbeitsrecht
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osborneclarke.de Newsletter Arbeitsrecht März 2012 osborneclarke.de Newsletter Arbeitsrecht März 2012 Sehr geehrte Damen und Herren, mit dieser aktuellen Ausgabe unseres monatlich erscheinenden Newsletters erhalten Sie einen Überblick über die neuesten Entwicklungen im Arbeitsrecht. Diesen Monat möchten wir aufgrund zahlreicher aktueller Entscheidungen einmal die Themen in den Mittelpunkt rücken, die die tägliche Personalarbeit bestimmen – Befristungen, Vorgehen bei Täuschung im Bewerbungsgespräch, Ansprüche auf Sonderzahlungen und Sozialversicherungspflicht sind hier typische Fragestellungen, mit denen Arbeitgeber sich auseinander setzen müssen. Wir wünschen eine ebenso unterhaltsame wie informative Lektüre. Zur Beantwortung von Rückfragen – selbstverständlich nicht nur zu den angesprochenen Themen – stehen wir Ihnen jederzeit gerne zur Verfügung. Ihr Team Arbeitsrecht von Osborne Clarke In dieser Ausgabe finden Sie Beiträge zu folgenden Themen: Top Thema: Personalarbeit aktuell Dreizehn Verträge, elf Jahre, ein Arbeitgeber: Kettenbefristungen können zulässig sein, bleiben aber riskant ...................................................................................................................3 Täuschung über die gesundheitliche Eignung für einen Arbeitsplatz .......................................5 Anspruch auf Weihnachtsgratifikation bei gekündigtem Arbeitsverhältnis................................6 Gefahr für Inhouse-Juristen: Befreiung von der gesetzlichen Rentenversicherungspflicht ......7 Kündigungsschutzrecht Fristlose Kündigung wegen Inanspruchnahme unberechtigter Vorteile....................................9 Anforderung an die Hinweispflicht des Arbeitsgerichts gemäß § 6 Satz 2 KSchG .................10 Zeitarbeit Klage auf Feststellung der Wirksamkeit der CGZP-Tarifverträge erfolglos ............................11 Betriebsverfassungs- und Tarifrecht Informationspflicht der Arbeitgeber über BEM-relevante Arbeitnehmer..................................12 Außerordentliche Kündigung wegen Kritik an der Unternehmensführung ..............................13 2 von 16 © Osborne Clarke März 2012 osborneclarke.de Newsletter Arbeitsrecht März 2012 Top Thema: Personalarbeit aktuell Dreizehn Verträge, elf Jahre, ein Arbeitgeber: Kettenbefristungen können zulässig sein, bleiben aber riskant Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hatte sich nach einer Vorlage des Bundesarbeitsgerichtes (BAG) mit der Vereinbarkeit von so genannten Kettenbefristungen mit dem Europarecht zu beschäftigen. Der europäische Richterspruch vom 26. Januar 2012 (C-586/10) wird Auswirkungen insbesondere für kleine und mittelständische Unternehmen auf die Befristungspraxis haben. Dort wird man sich in Zukunft zweimal überlegen müssen, ob wiederholt auftretender Vertretungsbedarf mittels ständig verlängerter befristeter Verträge gedeckt wird. Der Sachverhalt Eine Arbeitnehmerin war über elf Jahre hinweg mit insgesamt dreizehn befristeten Verträgen beim Land NRW beschäftigt. Sachgrund für die Befristungen war jeweils Vertretungsbedarf auf Grund von Erziehungs- oder Sonderurlaub ihrer Kollegen - der unbefristet angestellten Justizangestellten. Die Arbeitnehmerin klagte gegen die letzte befristete Verlängerung ihres Vertrages. Sie vertrat die Auffassung, dass die letzte Befristung unwirksam sei und nicht auf das Teilzeit- und Befristungsgesetz (TzBfG) gestützt werden könne. Der Vertretungsbedarf ihres Arbeitgebers sei nicht nur „vorübergehend“ wie Nr. 3 des § 14 Abs. 1 TzBfG verlange, sondern bestehe ständig. Ferner seien „Kettenbefristungen“ dieser Art unvereinbar mit der europäischen Rahmenvereinbarung über befristete Verträge (RV). Das Land NRW vertrat die Auffassung, dass Befristungen beliebig oft hintereinander mit § 14 Abs. 1 Nr. 3 TzBfG begründet werden könnten, ohne gegen die RV zu verstoßen, solange nur jeder der Verträge auf einen vorübergehenden Vertretungsbedarf gestützt werden könne. Auch die Rechtsprechung sah bislang keine Begrenzungen der Anzahl der auf diesen Befristungsgrund gestützten aufeinander folgenden Befristungen vor (BAG Urt. v. 25. März 2009 - VII AZR 59/08, ZTR 2009, 441). Dementsprechend war die Klägerin in den Vorinstanzen mit ihrem Klagebegehren unterlegen. Das BAG legte dem EuGH die Frage vor, wann ein Vertretungsbedarf als sachlicher Grund im Sinne von Paragraf 5 Nr. 1 Buchst. a RV zu qualifizieren sei und ob es diesem Sachgrund entgegenstehe, wenn der Vertretungsbedarf ständiger Natur sei und er auch durch den Abschluss unbefristeter Verträge gedeckt werden könne. Die Entscheidung Der EuGH urteilte, dass Kettenbefristungen dieser Art nicht in jedem Fall gegen die RV verstoßen. Regelungen, die eine Kettenbefristung auf Grund von vorübergehendem 3 von 16 Vertretungsbedarf ermöglichen, gehen mit der RV konform. Insbesondere dann, wenn sie, so wie auch § 14 Abs. 1 Nr. 3 TzBfG, legitime sozialpolitische Ziele verfolgen. Zu diesen legitimen sozialpolitischen Zielen gehöre, Mitarbeitern, die vorübergehend (zum Beispiel durch Krankheit, Urlaub, Sonder- oder Erziehungsurlaub) an der Arbeit gehindert waren, den Rechtsanspruch auf Rückkehr an ihren alten Arbeitsplatz zu ermöglichen. Selbst wenn ein sachlicher Grund, also vorübergehender Vertretungsbedarf im Sinne der RV gegeben sei, müssen die nationalen Gerichte im Einzelfall überprüfen, ob nicht doch ein Missbrauchsfall durch sog. „Kettenbefristungen“ vorliegt. Der EuGH hat den nationalen Gerichten für diese Missbrauchskontrolle im Einzelfall Leitlinien an die Hand gegeben, die bei der Beurteilung berücksichtigt werden müssen. Vertretungsbedarf wie in § 14 Abs. 1 Nr. 3 TzBfG könne nur dann ein sachlicher Grund für die Befristung von Arbeitsverträgen sein, wenn er vorübergehender Art ist. Auch hierauf beziehe sich die Einzelfallüberprüfung der nationalen Gerichte laut EuGH. Vorübergehend sei der Vertretungsbedarf auch dann, wenn jeder einzelne Vertrag zur Deckung eines vorübergehenden Bedarfs geschlossen werde. Dies gilt selbst dann, wenn insgesamt eine Situation vorläge, in der konstant Bedarf an vorübergehender Vertretung, also einer dauerhaften Personalreserve bestehe. Liege jedoch ein dauerhafter Bedarf an Arbeitskraft vor, bestehen also echte „freie Stellen“, sei ein Rückgriff auf (ketten-)befristete Arbeitsverträge schon wegen fehlendem sachlichen Befristungsgrund nach wie vor nicht möglich (vgl. Urteil „Angelidaki“, Slg. 2009, I-3071). Dass im Falle eines vorübergehenden, aber wiederkehrenden Vertretungsbedarfs auch ein unbefristeter Vertrag zur Deckung des Bedarfs in Betracht gekommen wäre, mache den Rückgriff auf (ketten-)befristete Arbeitsverträge nicht automatisch missbräuchlich. Um Missbrauch zu begründen, müssten weitere Umstände hinzutreten. Bei der von den nationalen Gerichten vorzunehmenden Einzelfallkontrolle sind dabei folgende Umstände zu berücksichtigen: • die Gesamtdauer des Vertragsverhältnisses • die Anzahl der zuvor bereits mit demselben Arbeitgeber abgeschlossenen befristeten Verträge, beziehungsweise deren Verlängerung • ob die Befristungen den Eigenheiten der betreffenden Branche Rechnung tragen sollen oder ob die Eigenart der Tätigkeit Befristungen erfordert und • unter welchen Bedingungen die Tätigkeit insgesamt ausgeübt wird. © Osborne Clarke März 2012 osborneclarke.de Newsletter Arbeitsrecht März 2012 Es müssen also die Gesamtumstände des Arbeitsverhältnisses bei der einzelfallbezogenen Missbrauchskontrolle gewürdigt werden. Hinweise für die Praxis Unternehmen, die befristete Verträge ihrer Mitarbeiter wiederholt verlängern und sich dabei auf vorübergehenden Vertretungsbedarf nach Nr. 3 des § 14 Abs. 1 TzBfG berufen, müssen zukünftig damit rechnen, die vorübergehende Natur ihres Arbeitskräftebedarfs genauer darzulegen zu müssen. Es besteht dabei das stetig ansteigende Risiko, dass mit steigender Anzahl der Sachgrundbefristungen, beziehungsweise Verlängerungen von befristeten Verträgen und mit zunehmender Dauer des Arbeitsverhältnisses ein Gericht die letzte Befristung auf Grundlage der neuen Rechtsprechung des EuGH für unzulässig erklären wird. Sofern Sie weitere Informationen wünschen oder Fragen zu diesem Thema haben, kontaktieren Sie bitte: Sonja Riedemann LL.M (LSE) Rechtsanwältin/ Fachanwältin für Arbeitsrecht Innere Kanalstr. 15 50823 Köln T +49 (0) 221 5108 4118 E [email protected] Darüber hinaus wird ohnehin schon die korrekte Darlegung des lediglich vorübergehenden Vertretungsbedarfs in der Praxis oftmals Probleme bereiten: • In großen Unternehmen, in denen der Bedarf an Elternzeit-, Mutterschutz-, Urlaubs- oder Krankheitsvertretungen naturgemäß kontinuierlicher und gehäufter auftritt und nicht nur die Ausnahme ist, wird dies leichter zu leisten sein. • In kleinen oder mittelständischen Unternehmen dürfte gerade der „nahtlos“ kontinuierliche Vertretungsbedarf für verschiedene ausgefallene Mitarbeiter die große Ausnahme sein. Für diese Unternehmen bergen Kettenbefristungen auch nach diesem Urteil ein hohes Risiko, sich in einem Rechtsstreit Missbrauchsvorwürfen ausgesetzt zu sehen. Diese können nach den Regelungen des deutschen Arbeitsrechts zur Unwirksamkeit der letzten Befristung führen. Folge: ein eigentlich als befristet geplantes Arbeitsverhältnis ist doch unbefristet. Aber auch für Personalchefs größerer Unternehmen, die einen dauerhaften Bedarf an der Vertretung verschiedener Mitarbeiter haben, muss nach diesem Urteil klar sein, dass das Modell der „ständigen Vertretung“, die mit immer wiederkehrenden Befristungen an immer demselben Arbeitsplatz eingesetzt wird, von den deutschen Arbeitsgerichten nach dem EuGH-Urteil als unzulässig angesehen werden kann. Ratschlag: Wer nicht einfach ein, zwei oder drei „ständige Vertreter“ als Personalreserve unbefristet anstellen möchte, muss penibel darauf achten, dass die befristeten Arbeitsverträge immer genau zu dem befristeten Einsatz „passen“. Es muss also für jeden „Einsatz“ ein einzelner, auf die Zeit des konkreten Vertretungsbedarfes befristeter Arbeitsvertrag abgeschlossen werden und der Mitarbeiter darf auch nur mit der vereinbarten Vertretung beschäftigt werden. 4 von 16 © Osborne Clarke März 2012 osborneclarke.de Newsletter Arbeitsrecht März 2012 Top Thema: Personalarbeit aktuell Täuschung über die gesundheitliche Eignung für einen Arbeitsplatz Wenn ein Arbeitnehmer den Arbeitgeber bei Abschluss eines Arbeitsvertrages bewusst über persönliche Eigenschaften täuscht, die für das Arbeitsverhältnis von Bedeutung sind, kann der Arbeitgeber den Arbeitsvertrag anfechten und damit das Arbeitsverhältnis sofort beenden. Mit Urteil vom 21. September 2011 (8 Sa 109/11) hat das Hessische Landesarbeitsgericht entschieden, dass der Arbeitgeber einen Arbeitsvertrag anfechten kann, wenn ausdrücklich Beschäftigte für die Nacht- und Wechselschicht gesucht werden und der Arbeitnehmer im Bewerbungsverfahren nicht darauf hinweist, dass er aus gesundheitlichen Gründen keine Nachtarbeit verrichten darf. Der Sachverhalt Der Kläger schloss Ende 2009 mit dem beklagten Arbeitgeber, einem Frachtabfertigungsunternehmen am Frankfurter Flughafen, einen Arbeitsvertrag ab. Darin verpflichtete sich der Arbeitnehmer ausdrücklich, als Frachtabfertiger Nacht- und Wechselschicht zu leisten. Der Kläger verschwieg jedoch, dass er aufgrund ärztlicher Bescheinigungen aus gesundheitlichen Gründen keine Nachtarbeit verrichten soll. Unmittelbar nach Aufnahme der Tätigkeit legte der Kläger dem Beklagten die entsprechenden Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vor. Weitere ärztliche Atteste bestätigten, dass der Kläger aus gesundheitlichen Gründen keine Nachtarbeit verrichten soll. Daraufhin erklärte der Arbeitgeber die Anfechtung des Arbeitsvertrages wegen arglistiger Täuschung des Klägers über seine Einsatzfähigkeit. Die hiergegen erhobene Klage war vor dem Arbeitsgericht Frankfurt am Main (Urteil vom 18. November 2010 - 11 Ca 3716/10) erfolglos. Die Berufung des Klägers vor dem Hessischen Landesarbeitsgericht blieb ebenfalls ohne Erfolg. Da der Kläger den Beklagten arglistig getäuscht hat, durfte der Beklagte den Arbeitsvertrag anfechten. Hinweise für die Praxis Wenn ein Arbeitnehmer den Arbeitgeber bei Abschluss des Arbeitsvertrages über persönliche Eigenschaften täuscht, die für das Arbeitsverhältnis von Bedeutung sind, kann der Arbeitgeber den Arbeitsvertrag anfechten. Eine arglistige Täuschung kann nicht nur durch aktives Tun, sondern auch durch pflichtwidriges Unterlassen erfolgen. In dem Fall, der dem Urteil des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 21. September 2011 zugrunde lag, hat der Kläger sich in dem Arbeitsvertrag ausdrücklich verpflichtet, in Nacht- und Wechselschicht zu arbeiten. Da ihm aber bekannt war, dass er hierzu aus gesundheitlichen Gründen nicht in der Lage war, hätte den Arbeitgeber hierüber informieren müssen. Arbeitnehmer sollten sich daher gut überlegen, was sie dem potentiellen Arbeitgeber in dem Bewerbungsverfahren mitteilen bzw. verschweigen. Anderenfalls droht eine Anfechtung des Arbeitsvertrages und die sofortige Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Sofern Sie weitere Informationen wünschen oder Fragen zu diesem Thema haben, kontaktieren Sie bitte: Dr. Thomas Leister, MBA Rechtsanwalt/Fachanwalt für Arbeitsrecht, Partner Nymphenburger Str. 1 80335 München T +49 (0) 89 5434 8060 E [email protected] Die Entscheidung Das Arbeitsverhältnis endete aufgrund Anfechtung wegen arglistiger Täuschung des Klägers über seine Einsatzfähigkeit. Der Kläger wusste bereits bei Unterzeichnung des Arbeitsvertrages, dass er aus gesundheitlichen Gründen nicht in der Nachtarbeit eingesetzt werden kann. Durch diese Täuschung über die nach dem Vertrag vorausgesetzte Schicht- und Nachtschichttauglichkeit ist der Beklagte arglistig zum Abschluss des Arbeitsvertrages bestimmt worden. Der Beklagte ist im Hinblick auf die Planbarkeit sämtlicher Arbeitnehmer und aus Gründen der Gleichbehandlung darauf angewiesen, dass die bei ihm Beschäftigten in allen Schichten eingesetzten werden können. 5 von 16 © Osborne Clarke März 2012 osborneclarke.de Newsletter Arbeitsrecht März 2012 Top Thema: Personalarbeit aktuell Anspruch auf Weihnachtsgratifikation bei gekündigtem Arbeitsverhältnis Das Bundesarbeitsgericht hat mit Urteil vom 18. Januar 2012 (10 AZR 667/10) entschieden, dass der Anspruch auf eine Weihnachtsgratifikation von dem ungekündigten Bestehen des Arbeitsverhältnisses zum Auszahlungszeitpunkt abhängig gemacht werden kann. Eine entsprechende Bestimmung in einem vorformulierten Arbeitsvertrag ist zulässig. Voraussetzung dafür ist aber, dass mit der Gratifikation nicht die Vergütung von Arbeitsleistung bezweckt sei. Es kommt dabei nicht darauf an, ob der Arbeitgeber oder der Arbeitnehmer das Arbeitsverhältnis gekündigt hat. Der Sachverhalt Die klagende Arbeitnehmerin macht gegenüber ihrem ehemaligen Arbeitgeber die Zahlung einer Weihnachtsgratifikation geltend. Der Arbeitsvertrag sieht vor, dass neben der monatlich nachträglich zu zahlenden Vergütung ein Anspruch der Klägerin auf eine Weihnachtsgratifikation besteht. Diese Gratifikation soll die Klägerin mit der Vergütung für den Monat November erhalten. Außerdem sieht der Vertrag vor, dass der Anspruch auf die Weihnachtsgratifikation ausgeschlossen ist, wenn sich das Anstellungsverhältnis im Zeitpunkt der Auszahlung in gekündigtem Zustand befindet. Der beklagte Arbeitgeber hat das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 23. November 2009 zum 31. Dezember 2009 gekündigt. Daher befand sich das Arbeitsverhältnis zum Zeitpunkt der Auszahlung der Vergütung für den Monat November 2009 - und damit zum Zeitpunkt der möglichen Auszahlung der Weihnachtsgratifikation für das Jahr 2009 - in gekündigtem Zustand. Die Klägerin machte die Weihnachtsgratifikation für das Jahr 2009 geltend. Abs. 1 Satz 1 BGB stand. Dies ist jedoch dann nicht der Fall, wenn die Gratifikation die Vergütung von Arbeitsleistung bezweckt. Das BAG hat das Urteil des LAG Hamm vom 16. September 2010 aufgehoben und die Sache an das LAG zurückverwiesen. Das LAG muss aufgrund der Entscheidung des BAG noch weiteren, bislang nach Ansicht des LAG nicht entscheidungsrelevanten Sachverhalt aufklären. Hinweise für die Praxis Nach dem Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 18. Januar 2012 kann ein Anspruch auf eine Weihnachtsgratifikation von dem ungekündigten Bestehen eines Arbeitsverhältnisses zum Auszahlungszeitpunkt abhängig gemacht werden. Voraussetzung dafür ist, dass der mit der Zuwendung verfolgte Zweck gerade nicht die Vergütung der Arbeitsleistung ist. Aus Arbeitgebersicht ist es zudem empfehlenswert, eine entsprechende klarstellende Regelung in den Arbeitsvertrag aufzunehmen. Sofern Sie Fragen zu diesem Thema haben oder weitere Informationen wünschen, kontaktieren Sie bitte: Vincent Moser Rechtsanwalt Nymphenburger Str. 1 80335 München T +49 (0) 89 5434 8060 E [email protected] Die Klägerin war in den Vorinstanzen (zuletzt LAG Hamm, Urteil vom 16. September 2010 - 15 Sa 812/10) erfolgreich. Die Entscheidung Auf die Revision des Beklagten hin hat der Zehnte Senat des BAG in seinem Urteil vom 18. Januar 2012 entschieden, dass es abhängig von dem mit der Zuwendung verfolgten Zweck ist, ob die Zahlung einer Sonderzuwendung unter die Bedingung des ungekündigten Bestehens des Arbeitsverhältnisses zum Auszahlungszeitpunkt gestellt werden kann. Falls eine entsprechende Klausel - wie im vorliegend entschiedenen Fall - nur an den Bestand des Arbeitsverhältnisses anknüpft, ist dies zulässig. Eine solche Klausel ist mit der gesetzlichen Grundkonzeption des § 611 BGB zu vereinbaren und hält einer Inhaltskontrolle nach § 307 6 von 16 © Osborne Clarke März 2012 osborneclarke.de Newsletter Arbeitsrecht März 2012 Top Thema: Personalarbeit aktuell Gefahr für Inhouse-Juristen: Befreiung von der gesetzlichen Rentenversicherungspflicht Unternehmensjuristen, die als Rechtsanwälte zugelassen sind und daher aufgrund gesetzlicher Verpflichtung Mitglied eines Rechtsanwaltsversorgungswerkes sowie Mitglied einer Rechtsanwaltskammer sind, können sich bei Ausübung einer anwaltlichen Tätigkeit für ihr Unternehmen gem. § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI von der Versicherungspflicht in die gesetzliche Rentenversicherung befreien lassen. Aufgrund der restriktiven und - nach Auffassung des Sozialgerichts München (Urteil vom 23. August 2011 S 12 R 1574/10 und vom 30. September 2011 - S 12 R 370/11) - wenig nachvollziehbaren Praxis der Rentenversicherung droht jedoch die Belastung mit einer doppelten Beitragszahlung. Befreiungsvoraussetzungen Die Deutsche Rentenversicherung Bund prüft im Falle eines solchen Antrages tätigkeitsbezogen, ob die für das Unternehmen ausgeübte Tätigkeit der berufspezifischen Tätigkeit eines Rechtsanwaltes entspricht. Zunehmend ist die Deutsche Rentenversicherung Bund dazu übergegangen, den geltend gemachten Anspruch zurückzuweisen und die Befreiung zu versagen. Unter anderem vom Sozialgericht München wird daher zu Recht angemerkt, dass generell in keiner Weise nachvollziehbar ist, welche Kriterien nach Ansicht der Deutschen Rentenversicherung Bund erfüllt sein müssen, damit eine Befreiung von Unternehmensjuristen bejaht wird. Von der Rentenversicherung werden keine belastbaren Orientierungskriterien oder Prüfschemata vorgelegt, aus denen erkennbar ist, wann eine Befreiung gewehrt werden kann (vgl. SG München, Urteil vom 23. August 2011 - S 12 R 1574/10). Ausgehend vom Wortlaut des § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI lässt das Sozialgericht Düsseldorf in seiner Entscheidung vom 28. Juni 2010, S 52 R 230/09, bereits die Pflichtmitgliedschaft in einer Rechtsanwaltskammer und in einem Versorgungswerk genügen, um die Befreiung von der Rentenversicherungspflicht auch für die für das Unternehmen ausgeübte Tätigkeit zu erteilen. In jeder weiteren, von der Rentenversicherung aufgestellten Voraussetzung für die Befreiung sieht das SG Düsseldorf einen Verstoß gegen den grundgesetzlich vorgesehen Gesetzesvorbehalt und damit eine unzulässige Erschwernis für die Befreiung von der gesetzlichen Rentenversicherungspflicht. Sinn und Zweck der berufsständischen Versorgung sei es gerade, dass die Angehörigen von Berufungsgruppen, die traditionell in einem berufsständigen Versorgungswerk versichert sind, nicht mit einer doppelten Beitragszahlung belastet werden. 7 von 16 Ungeschriebene Tatbestandsmerkmale Die darüber hinaus von der Deutschen Rentenversicherung Bund angewandten ungeschriebenen Tatbestandsmerkmale werden von den Instanzgerichten jedoch üblicherweise anerkannt. Danach muss der Unternehmensjurist, um mit einem Anwalt einer Rechtsanwaltskanzlei vergleichbar zu sein, bei seiner Tätigkeit kumulativ folgende Merkmale erfüllen: • Rechtsberatung • Rechtsentscheidung • Rechtsgestaltung • Rechtsvermittlung Insbesondere am ungeschriebenen Tatbestandsmerkmal „Rechtsentscheidung“ will die Rentenversicherung zahlreiche Anträge scheitern lassen. Sie verlangt, dass der Antragsteller bei seiner Arbeit auch nach außen als rechtskundiger Entscheidungsträger mit eigener Entscheidungskompetenz auftritt. Dabei wird zwar nach der Rechtsprechung nur eine wesentliche Teilhabe an innerbetrieblichen Abstimmungs- und Entscheidungsprozessen als insoweit ausreichende verlangt. Jedoch lässt die Rentenversicherung zum Nachweis die Verhandlung und (Mit-) Unterzeichnung von Verträgen nicht ohne weiteres genügen. Restriktive Praxis der Rentenversicherung Darüber hinaus stellt die Rentenversicherung Bund auch die Kontrollfrage, ob die ausgeschriebene und vom Volljuristen besetzte Stelle auch von Personen besetzt werden könnte, die nicht die Befähigung zum Richteramt haben. Insbesondere in Abteilungen, in denen Unternehmensjuristen mit Kollegen mit nicht juristischem, sondern z. B. betriebswirtschaftlichem Hintergrund zusammenarbeiten, entsteht somit faktisch eine Hürde, an der die Rentenversicherung Bund die Antragstellung häufig scheitern lässt. Ausgehend vom Berufsbild des Rechtsanwaltes in einer Anwaltskanzlei verlangt die Deutsche Rentenversicherung Bund in ihren Bescheiden auch, dass die Abwicklung von Prozessverfahren einschließlich der Prozessführung zwingende Voraussetzung für die die Befreiung des Unternehmensjuristen von der Rentenversicherungspflicht sein solle. Dabei übersieht die Rentenversicherung jedoch die gesetzliche Vorgabe des § 46 BRAO, die dem Unternehmensjuristen die Vertretung seines Arbeitgebers als Rechtsanwalt vor den Gerichten und Schiedsgerichten untersagt. © Osborne Clarke März 2012 osborneclarke.de Newsletter Arbeitsrecht März 2012 Hinweis für die Praxis Für den Erfolg eines Befreiungsantrages im Verwaltungsverfahren ist letztendlich entscheidend, dass die vom Arbeitgeber auszufüllende Stellenund Funktionsbeschreibung hinreichend die ungeschriebenen Tatbestandsmerkmale und deren Erfüllung hinterlegt und die Notwendigkeit zur Besetzung der Stelle mit einem Volljuristen deutlich wird. Dabei spielt selbst die vom Arbeitgeber bezeichnete Stellenbezeichnung eine Rolle. Sofern nicht bereits die Beratung im Vorfeld zum gewünschten Erfolg geführt hat, ist im Falle eines ablehnenden Bescheides bis zu einer höchstrichterlichen Klärung durchaus anzuraten, auch weiterhin gerichtlich gegen ergangene Bescheide der Deutschen Rentenversicherung Bund vorzugehen. Zahlreiche gegen die Entscheidung der Deutschen Rentenversicherung Bund erhobene Klagen vor den Sozialgerichten bringen den gewünschten Erfolg und führen zur Befreiung von der Rentenversicherungspflicht. Sofern Sie weitere Informationen oder Fragen zu diesem Thema haben, kontaktieren Sie bitte: Dr. Timo Karsten Rechtsanwalt/Fachanwalt für Arbeitsrecht, Partner Innere Kanalstr. 15 50823 Köln T +49 (0) 221 5108 4192 E [email protected] 8 von 16 © Osborne Clarke März 2012 osborneclarke.de Newsletter Arbeitsrecht März 2012 Kündigungsschutzrecht Fristlose Kündigung wegen Inanspruchnahme unberechtigter Vorteile Die Inanspruchnahme unberechtigter Vorteile in Form der Bezahlung privater Baukosten durch einen Geschäftspartner rechtfertigt in aller Regel eine fristlose Kündigung des Arbeitnehmers. Der Sachverhalt Der Kläger war bei der beklagten Bank als Direktor und Vertriebsleiter beschäftigt. Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger mehrfach fristlos, unter anderem am 2. Dezember 2010. Grund hierfür war der Vorwurf, der Kläger habe sich private Bauleistungen - die Erstellung einer Terrasse nebst Beleuchtung - durch einen Geschäftspartner der Beklagten bezahlen lassen. Der Kläger hat die Vorwürfe bestritten und behauptet, er habe die ihm erteilten Rechnungen für die Bauleistungen selbst bezahlt. Im Übrigen stritten die Parteien über Ansprüche des Klägers auf Vergütung und Tantiemenzahlung. Die Entscheidung Das LAG Düsseldorf hat die Kündigung des Bankangestellten für rechtmäßig erachtet (LAG Düsseldorf, Urteil vom 3. Februar 2012 - 6 Sa 1081/11). Dabei ist das Gericht nach Durchführung einer Beweisaufnahme zu der Überzeugung gelangt, dass sich der Kläger die privaten Bauleistungen wissentlich von dem Geschäftspartner der Bank hat bezahlen lassen. So lagen unter anderem Rechnungen vor, wonach die Teile der Baukosten von dem Geschäftspartner über ein anderes Projekt abgerechnet worden waren. Zwar hatte der befragte Handwerker, der die Bauleistungen ausgeführt hatte, nicht bestätigt, dass der Kläger Kenntnis von der Kostenübernahme hatte. Die Kammer ist jedoch davon ausgegangen, dass der Handwerker bewusst die Unwahrheit gesagt hat. Im Ergebnis hat die Schmiergeldzahlung die Beklagte zur außerordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses berechtigt. Folglich konnte der Arbeitnehmer keine Vergütungsansprüche für die Zeit nach dem 2. Dezember 2010 geltend machen. zum Kündigungstermin erbrachten Leistungen entstanden waren. Hinweise für die Praxis Arbeitnehmer, welche unberechtigte Vorteile annehmen, riskieren die außerordentliche Kündigung ihres Arbeitsverhältnisses. Hinzu kommt, dass der Arbeitgeber nach der Rechtsprechung von BAG und BGH grundsätzlich auch die Herausgabe des unberechtigt erlangten Vorteils verlangen kann. Besteht der Verdacht der Inanspruchnahme von Schmiergeldern durch einen Arbeitnehmer, so ist der Sachverhalt schnellstmöglich aufzuklären und Beweise zu sichern. Zu beachten ist, dass die fristlose Kündigung innerhalb von zwei Wochen nach Kenntniserlangung zu erfolgen hat. Andernfalls bleibt dem Arbeitgeber nur die ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses. Für den Arbeitgeber birgt das korrupte Verhalten seiner Arbeitnehmer gleich mehrere Gefahren. Neben den Nachteilen, die im Rahmen des Vertragsverhältnisses mit dem Geschäftspartner entstehen, kann das Unternehmen bei öffentlichen Vergabeverfahren ausgeschlossen werden. Ist das Unternehmen in Großbritannien wirtschaftlich tätig oder wird dieses in der Rechtsform der Limited geführt, können nach dem UK Bribery Act darüber hinaus empfindliche Bußgelder drohen. Unternehmen ist daher dringend anzuraten, ausreichende Vorkehrungen zu treffen. Hierzu kann auch die Erstellung von Compliance-Richtlinien gehören, mit denen verbindliche Vorgaben zum Umgang mit Zuwendungen festgeschrieben werden. Sofern Sie Fragen zu diesem Thema haben oder weitere Informationen wünschen, kontaktieren Sie bitte: Nicolas A. Knille Rechtsanwalt/Bankkaufmann Innere Kanalstr. 15 50823 Köln T +49 (0) 221 5108 4192 E [email protected] Das Gericht hatte in diesem Zusammenhang auch über die bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses erlangten Tantiemeansprüche zu entscheiden. Eine Vertragsklausel, wonach ein durch Arbeitsleistung erlangter Tantiemeanspruch vollständig entfällt, wenn der Arbeitnehmer unterjährig ausscheidet, hat das LAG für unwirksam erklärt. Von der Kündigung unberührt blieben damit diejenigen Tantiemeansprüche des Arbeitnehmers, die aufgrund der bis 9 von 16 © Osborne Clarke März 2012 osborneclarke.de Newsletter Arbeitsrecht März 2012 Kündigungsschutzrecht Anforderung an die Hinweispflicht des Arbeitsgerichts gemäß § 6 Satz 2 KSchG Weist das Arbeitsgericht den klagenden Arbeitnehmer gemäß dem Wortlauf des § 6 Satz 1 KSchG darauf hin, dass er sich im Verfahren über eine rechtzeitig erhobene Kündigungsschutzklage bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz zur Begründung der Unwirksamkeit der Kündigung auch auf innerhalb der Klagefrist nicht geltend gemachte Gründe berufen kann, so hat er seiner Pflicht aus § 6 Satz 2 KSchG genügt. Der Sachverhalt Nachdem über das Vermögen der Arbeitgeberin der Klägerin das Insolvenzverfahren eröffnet worden war, einigte sich der beklagte Insolvenzverwalter mit dem Betriebsrat auf einen Interessenausgleich mit Namensliste und erstattete der Agentur für Arbeit eine Massenentlassungsanzeige. In der Folge kündigte der Insolvenzverwalter das Arbeitsverhältnis der Klägerin. Die Klägerin begehrt mit Ihrer Klage die Feststellung der Unwirksamkeit der Kündigung. Das Arbeitsgericht hat die Klägerin in der Ladung zur Güteverhandlung darauf hingewiesen, dass „nur bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung in der ersten Instanz auch weitere Unwirksamkeitsgründe geltend gemacht werden können“. Die Rügen eines Verstoßes gegen die Pflicht zur Massenentlassungsanzeige und gegen die Pflicht zur Anhörung des Betriebsrats hat die Klägerin erstmals in zweiter Instanz erhoben. Die Entscheidung Das BAG hat entschieden, dass das Arbeitsgericht durch Wiedergabe des Gesetzeswortlautes des § 6 Satz 1 KSchG seiner Hinweispflicht auf die verlängerte Anrufungsfrist genügt hat. § 6 Satz 1 KSchG sieht vor, dass ein Arbeitnehmer sich im Verfahren erster Instanz bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung zur Begründung der Unwirksamkeit der Kündigung auch auf innerhalb der Klagefrist nicht geltend gemachte Gründe berufen kann, wenn der Arbeitnehmer innerhalb von drei Wochen nach Zugang der schriftlichen Kündigung im Klagewege geltend gemacht hat, dass eine rechtswirksame Kündigung nicht vorliege. Beruft sich der Arbeitnehmer trotz eines solchen Hinweises erst später auf weitere Unwirksamkeitsgründe, können diese im Rechtsmittelverfahren grundsätzlich nicht mehr berücksichtigt werden. Ausnahmsweise kann der Arbeitnehmer sich aber dann doch zweitinstanzlich auf § 6 Satz 1 KSchG berufen, wenn er zuvor keine Möglichkeit bzw. keine Veranlassung hatte, bestimmte Unwirksamkeitsgründe vorzutragen. Dies ist vor allem für den Fall anerkannt, dass eine außerordentliche Kündigung erst in der Berufungsinstanz in eine ordentliche Kündigung umgedeutet wird. Angesichts des eindeutigen Gesetzeswortlauts ist das Urteil des BAG zu begrüßen. Das Urteil zeigt Arbeitnehmern deutlich auf, dass ein Nachschieben von Kündigungsgründen in der Rechtsmittelinstanz bei entsprechender Belehrung seitens des Arbeitsgerichts nur in ganz eng begrenzten Fällen zulässig ist. Für Arbeitgeber bedeutet diese Entscheidung, dass sie in Zukunft in zweiter Instanz bei entsprechender Belehrung durch das Arbeitsgericht insoweit Rechtssicherheit gewinnen, als dass sie sich in der ganz überwiegenden Mehrzahl der Fälle nicht mit neu von Arbeitnehmerseite vorgebrachten Gründen für eine Unwirksamkeit der Kündigung konfrontiert sehen müssen. Sofern Sie Fragen zu diesem Thema haben oder weitere Informationen wünschen, kontaktieren Sie bitte: Dominik Gallini Rechtsanwalt Innere Kanalstr. 15 50823 Köln T +49 (0) 221 5108 4042 E [email protected] Hinweise für die Praxis Nach § 6 Satz 2 KSchG soll das Arbeitsgericht den Arbeitnehmer auf die Rechtsfolge des § 6 Satz 1 KSchG hinweisen. Entgegen des Wortlauts des Gesetzes, beinhaltet die Vorschrift eine Pflicht des Gerichts. Voraussetzung für die Hinweispflicht ist, dass das Gericht nach dem ihm unterbreiteten Sachverhalt die Möglichkeit einer Unwirksamkeit der Kündigung aus bisher nicht geltend gemachten Gründen für denkbar hält. 10 von 16 © Osborne Clarke März 2012 osborneclarke.de Newsletter Arbeitsrecht März 2012 Zeitarbeit Klage auf Feststellung der Wirksamkeit der CGZP-Tarifverträge erfolglos Der Versuch des AMP, die Wirksamkeit sämtlicher CGZPTarifverträge seit dem 24. Februar 2003 feststellen zu lassen, ist am 10. Januar 2012 vor dem Arbeitsgericht Berlin gescheitert (Az.: 55 Ca 5022/11). Der Sachverhalt Zur Erinnerung: Der Arbeitgeberverband Mittelständischer Personaldienstleister e.V. (AMP) hatte mit der Tarifgemeinschaft Christlicher Gewerkschaften für Zeitarbeit und Personalserviceagenturen (CGZP) Tarifverträge abgeschlossen. Mit dem mittlerweile „berühmten“ CGZPBeschluss vom 14. Dezember 2010 hatte das BAG die CGZP für tarifunfähig erklärt. Mit ihr geschlossene Tarifverträge sind daher unwirksam. Mittlerweile hat das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg die CGZP auch bei Abschluss der früheren Tarifverträge (am 29. November 2004, 19. Juni 2006 und 9. Juli 2008) für tarifunfähig gehalten. Gegenwärtig klagen Leiharbeitnehmer in verschiedenen Equal-Pay-Verfahren Differenzlohnansprüche gegen die Verleiher ein. Der Rechtsnachfolger des AMP begehrte nun in einem gegen die CGZP vor dem Arbeitsgericht Berlin geführten Rechtsstreit die Feststellung, dass sämtliche seit dem 24. Februar 2003 abgeschlossenen Tarifverträge der CGZP rechtswirksam seien. Die Entscheidung Das Arbeitsgericht Berlin hat die Klage als unzulässig abgewiesen. Nach § 256 Abs. 1 ZPO bedarf es für die Zulässigkeit einer Feststellungsklage eines sog. Feststellungsinteresses. Ein Feststellungsinteresse besteht, wenn der Kläger ein eigenes Interesse an alsbaldiger Feststellung des streitigen Rechtsverhältnisses hat. Es darf nicht ein ausschließlich wirtschaftliches oder persönliches Interesse sein, das Rechtsverhältnis muss durch eine tatsächliche Unsicherheit gefährdet sein und das Feststellungsurteil muss geeignet sein die Gefährdung zu beseitigen. Dieses Feststellungsinteresse fehlte nach Auffassung des Arbeitsgerichts Berlin im vorliegenden Fall. Allein die Tatsache, dass die Wirksamkeit der Tarifverträge in der Arbeitsgerichtsbarkeit und seitens der Sozialversicherungsträger in Abrede gestellt würde, begründe noch kein Feststellungsinteresse des Klägers. Ein Feststellungsinteresse des Klägers hätte beispielsweise bestanden, wenn die CGZP die Rechtsunwirksamkeit der von ihr abgeschlossenen Tarifverträge behauptete. 11 von 16 Hinweise für die Praxis Bei dem Verfahren hat es sich wohl um den Versuch gehandelt, die Tarifverträge der CGZP zumindest für die Vergangenheit doch noch zu retten. Die gerichtliche Feststellung, dass die infrage stehenden Tarifverträge rechtswirksam sind, hätte sich gemäß § 9 TVG auf die Rechtsverhältnisse der tarifgebundenen Verleiher und ihrer Leiharbeitnehmer erstreckt. In diesem Fall hätten die Leiharbeitnehmer in den Equal-Pay-Verfahren nicht mehr geltend machen können, die CGZPTarifverträge seien nicht wirksam. Dieser Versuch ist gescheitert. Arbeitgeber werden daher wohl auch weiterhin versuchen müssen, die Aussetzung der laufenden Equal-Pay-Verfahren mit Blick auf eine möglicherweise (im Falle des Erfolgs der Nichtzulassungsbeschwerde vorm BAG) anstehende Entscheidung des BAG über die Tariffähigkeit der CGZP bei Abschluss der Tarifverträge am 29. November 2004, 19. Juni 2006 und 9. Juli 2008 zu erreichen. Darüber hinaus verbleibt betroffenen Arbeitgebern in den Equal-Pay-Verfahren wohl einzig zu argumentieren, dass sie auf die Wirksamkeit der Tarifverträge vertraut haben. Denn das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg hatte nicht entschieden, ob Arbeitgeber, die mit ihren Leiharbeitnehmern die Anwendung der CGZP-Tarifverträge vereinbart hatten, auf die Wirksamkeit der Tarifverträge in der Vergangenheit vertrauen durften. In diesem Zusammenhang möchten wir Sie auch noch auf frühere Beiträge zu diesem Thema aufmerksam machen: • "Leiharbeitsbranche in Not - Was tun bei Equal Pay Ansprüchen der Leiharbeitnehmer?" (Newsletter Januar 2012) • "Tariffähigkeit der Tarifgemeinschaft CGZP auch für die Vergangenheit verneint" (Newsletter Februar 2012) • "Tarifunfähigkeit der CGZP - doch Vertrauensschutz für Arbeitgeber?" (Newsletter Februar 2012). Sofern Sie Fragen zu diesem Thema haben oder weitere Informationen wünschen, kontaktieren Sie bitte: Katharina Müller, LL.M. oec. Rechtsanwältin Innere Kanalstr. 15 50823 Köln T +49 (0) 221 5108 4480 E [email protected] © Osborne Clarke März 2012 osborneclarke.de Newsletter Arbeitsrecht März 2012 Betriebsverfassungs- und Tarifrecht Informationspflicht der Arbeitgeber über BEM-relevante Arbeitnehmer Wenn eine Betriebsvereinbarung entsprechende Informationspflichten über Arbeitnehmer, die für ein betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM) in Betracht kommen, vorsieht, ist der Arbeitgeber zur namentlichen Benennung dieser Mitarbeiter gegenüber dem Betriebsrat verpflichtet. Datenschutzrechtliche Gründe oder das Unionsrecht stehen nicht entgegen. Der Sachverhalt Arbeitgeber und Betriebsrat haben in diesem Verfahren darüber gestritten, ob der Arbeitgeber dazu verpflichtet war, den Betriebsrat durch quartalsweise Vorlage von Verzeichnissen über solche Mitarbeiter, die im Jahreszeitraum mehr als sechs Wochen arbeitsunfähig waren und daher für ein BEM in Betracht kommen, verpflichtet ist. Hierüber existierte eine entsprechende Betriebsvereinbarung. Als der Arbeitgeber sich dennoch insbesondere aus datenschutzrechtlichen Gründen verweigert, dem Betriebsrat ein entsprechendes Verzeichnis vorzulegen, verpflichtete das Arbeitsgericht den Arbeitgeber zu dieser Informationsherausgabe. Der Betriebsrat hatte in allen Instanzen Erfolg. Diese sollte der Arbeitgeber zum Zwecke des Erhalts der vertrauensvollen Zusammenarbeit hinreichend berücksichtigen. Sofern Sie weitere Informationen wünschen oder Fragen zu diesem Thema haben, kontaktieren Sie bitte: Annabel Lehnen Rechtsanwältin/Fachanwältin für Arbeitsrecht, Partner Innere Kanalstr. 15 50823 Köln T +49 (0) 221 5108 4050 E [email protected] Die Entscheidung Das BAG hat sich in diesem Zusammenhang auf § 84 Abs. 2 Satz 1 SGB IX berufen, wonach der Arbeitgeber dazu verpflichtet ist, für Arbeitnehmer, die innerhalb eines Jahres länger als sechs Wochen arbeitsunfähig waren, die Durchführung eines so genannten BEM zu prüfen. Schließlich soll in einem solchen Verfahren geklärt werden, wie die Arbeitsunfähigkeit möglichst überwunden und der Arbeitsplatz erhalten werden kann. Das BAG leitet die entsprechende Informationspflicht des Arbeitgebers gegenüber dem Betriebsrat zudem aus § 84 Abs. 2 Satz 7 SGB IX her, wonach der Betriebsrat überwachen muss, ob der Arbeitgeber seiner Pflicht zur Einleitung des BEM auch tatsächlich nachkommt. Hieraus leitet das BAG zudem ab, dass der Betriebsrat für die Ausübung seines gesetzlichen Überwachungsrechts schließlich die betroffenen Arbeitnehmer kennen muss. Auch verstoße die namentliche Benennung der Arbeitnehmer nicht gegen datenschutzrechtliche Bestimmungen oder gegen das Unionsrecht. Hinweise für die Praxis Der Grundsatz der vertrauensvollen Zusammenarbeit zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat, der auch ausdrücklich gesetzlich in § 1 BetrVG konstituiert ist, sollte von beiden Betriebsparteien auch gerade im Hinblick auf die Beschaffung von Informationen hinreichend wahrgenommen werden. Im Zweifel räumen das BetrVG, aber auch die Sozialgesetzbücher dem Betriebsrat entsprechende Rechte ein. 12 von 16 © Osborne Clarke März 2012 osborneclarke.de Newsletter Arbeitsrecht März 2012 Betriebsverfassungs- und Tarifrecht Außerordentliche Kündigung wegen Kritik an der Unternehmensführung Der Betriebsrat kann Arbeitgeber öffentlich kritisieren, ohne damit Anlass für eine fristlose Kündigung zu geben. Dies hat das LAG - 6 Sa 713/10 - entschieden. Die Entscheidung Die Parteien streiten u.a. über die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung. Die Klägerin war Betriebsratsvorsitzende. Im Herbst 2008 gab die Klägerin dem Journalisten W. ein Fernsehinterview, in dem sie unter anderem angab, dass bei der Beklagten die Arbeitspausen nicht eingehalten würden, diese Pausen jedoch gleichwohl abgezogen, d.h. nicht bezahlt würden. Dieses Interview wurde in der Fernsehsendung „MLGW“ am 17. März 2010 ausgestrahlt. Die Beklagte kündigte daraufhin das Arbeitsverhältnis außerordentlich, hilfsweise ordentlich. Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht kamen zum Ergebnis, dass das Arbeitsverhältnis nicht durch die außerordentliche Kündigung beendet worden ist. Auch ein Betriebsrat kann entscheiden, wann und in welchem Umfang eine öffentliche Stellungnahme angebracht ist. Insoweit kann er sich auch auf das Recht der freien Meinungsäußerung gem. Art. 5 GG unter Beachtung der allgemeinen Berücksichtigung des § 2 Abs. 1 BetrVG berufen. Der Arbeitgeber muss durchaus eine Kritik an seiner Betriebsführung hinnehmen. Die Grenze ist erst erreicht, wenn konkrete Gefahren für Betriebsabläufe oder für die Außenwirkung des Unternehmens drohen. Selbst dann müssen die Reaktionen oder Sanktionen des Arbeitgebers der Verhältnismäßigkeit entsprechen. Vorliegend stützte die von der Klägerin vorgebrachte Kritik zu nicht gemachten bzw. nicht bezahlten Pausen sich auf einen wahren nicht bestrittenen - Sachverhalt. Die Kritik der Klägerin in ihrer Funktion als Betriebsrat, die angesichts zahlreicher ebenfalls nicht bestrittener - Auseinandersetzungen mit der Beklagten belastet gewesen ist, erfolgte laut LAG in einem realen Interesse am Abstellen von gesetzeswidrigen Missständen, so dass der gewählte Weg beschritten werden konnte. Aus dem Vorbringen der Beklagten selbst ergibt sich zudem, dass sich die Klägerin bei ihrem Chef beschwert hätte. Schutz der Meinungsfreiheit der Belegschaft haben jedoch Arbeitgeber und Betriebsrat Grenzen zu beachten. Sie dürfen nichts tun, was den Betriebsfrieden stört und haben darüber hinaus jede parteipolitische Betätigung im Betrieb zu unterlassen (so § 74 Abs. 2 Satz 3 BetrVG), soweit es nicht um Angelegenheiten tarifpolitischer, sozialpolitischer und wirtschaftlicher Art geht, die den Betrieb oder seine Arbeitnehmer unmittelbar betreffen. Der Grundrechtsschutz bezieht sich sowohl auf den Inhalt als auch die Form der Äußerung. Auch eine polemische oder verletzende Formulierung entzieht einer Äußerung noch nicht den Schutz der allgemeinen Meinungsfreiheit. Jedoch tritt das Grundrecht der Meinungsfreiheit zurück, wenn sich die Äußerung als Angriff auf die Menschenwürde oder als eine Formalbeleidigung oder eine Schmähung darstellt. Eine besondere Fallgruppe bilden „parteipolitische Betätigungen“. Danach hat der Betriebsrat jede „parteipolitische Betätigung“ zu unterlassen (so § 78 Abs. 2 Satz 2 BetrVG). Verboten ist dem Betriebsrat und dem Arbeitgeber jede Betätigung für und gegen eine Partei. Damit ist aber nicht gemeint, dass jede politische Betätigung sondern vielmehr nur jede parteipolitische Betätigung untersagt ist. Nicht untersagt ist jede persönliche Meinungsäußerung zu allgemeinpolitischen Themen oder berechtigte öffentliche Kritik des Arbeitgebers aufgrund der klaren Faktenlage. Äußerungen allgemeinpolitischer Art, die eine politische Partei, Gruppierung oder Richtung weder unterstützen noch sich gegen sie wenden, sind ebenfalls zulässig. Dies ergibt sich aus dem Wortlaut der Vorschrift unter Berücksichtigung des Wertegehalts von Art. 5 Abs. 1 GG sowie aus Sinn und Zweck des Neutralitätsprinzips. Auch hier gilt: Im Zweifel für die Meinungsfreiheit - auch und gerade des Andersdenkenden. Sofern Sie weitere Informationen wünschen oder Fragen zu diesem Thema haben, kontaktieren Sie bitte: Dr. Anke Freckmann Rechtsanwältin/Fachanwältin für Arbeitsrecht, Partner Innere Kanalstr. 15 50823 Köln T +49 (0) 221 5108 4042 E [email protected] Hinweise für die Praxis Der Betriebsrat kann sich bei seiner Öffentlichkeitsarbeit auf das Recht der freien Meinungsäußerung berufen. Er ist dabei nicht auf bestimmte Räumlichkeiten oder Medien beschränkt. Im Rahmen seiner Zuständigkeit und der allgemeinen Rücksichtspflichten des § 2 Abs. 1 BetrVG kann er selbst darüber entscheiden, wann und in welchem Umfang er eine öffentliche Stellungnahme für angebracht hält. Im Interesse vertrauensvoller Zusammenarbeit und zum 13 von 16 © Osborne Clarke März 2012 osborneclarke.de Beratungsspektrum Wir beraten Ihr Unternehmen in allen Bereichen des Arbeitsrechts, sowohl bei der täglichen Personalarbeit als auch bei Unternehmenskäufen und Restrukturierungen. 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Dr. Anke Freckmann Rechtsanwältin/Fachanwältin für Arbeitsrecht T +49 (0) 221 5108 4042 F +49 (0) 221 5108 4043 E [email protected] Annabel Lehnen Rechtsanwältin/Fachanwältin für Arbeitsrecht T +49 (0) 221 5108 4050 F +49 (0) 221 5108 4051 E [email protected] Dr. Timo Karsten Rechtsanwalt/Fachanwalt für Arbeitsrecht T +49 (0) 221 5108 4192 F +49 (0) 221 5108 4193 E [email protected] Sonja Riedemann, LL.M. Rechtsanwältin/Fachanwältin für Arbeitsrecht T +49 (0) 221 5108 4118 F +49 (0) 221 5108 4119 E [email protected] Dr. Thomas Leister, MBA Rechtsanwalt/Fachanwalt für Arbeitsrecht T +49 (0) 89 5434 8060 F +49 (0) 89 5434 8061 E [email protected] Sabine Wahl, LL.M. Rechtsanwältin/Maître en droit T +49 (0) 221 5108 4480 F +49 (0) 221 5108 4481 E [email protected] Mathias Kaufmann Rechtsanwalt T +49 (0) 221 5108 4050 F +49 (0) 221 5108 4051 E [email protected] Katharina Müller, LL.M. oec. Rechtsanwältin T +49 (0) 221 5108 4480 F +49 (0) 221 5108 4481 E [email protected] Vincent Moser Rechtsanwalt T +49 (0) 89 5434 8060 F +49 (0) 89 5434 8061 E [email protected] Osborne Clarke Köln T +49 (0) 221 5108 4000 Nicolas A. Knille Rechtsanwalt/Bankkaufmann T +49 (0) 221 5108 4192 F +49 (0) 221 5108 4193 E [email protected] 15 von 16 Dominik Gallini Rechtsanwalt T +49 (0) 221 5108 4042 F +49 (0) 221 5108 4043 E [email protected] München T +49 (0) 89 5434 8000 www.osborneclarke.de © Osborne Clarke März 2012 osborneclarke.de Newsletter Arbeitsrecht Bezugshinweis Diese Publikation wird monatlich erstellt und kostenfrei per E-Mail versandt. Sind Sie noch nicht für den Newsletter angemeldet, können Sie ihn bei Frau Sandra Happ unter [email protected] bestellen oder Ihre Einwilligung jederzeit mit Wirkung für die Zukunft widerrufen. 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