Arbeitsvertragsrichtlinien (AVR) - Bund

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Arbeitsvertragsrichtlinien (AVR) - Bund
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Arbeitsvertragsrichtlinien (AVR)
1. Was sind die Grundlagen?
Die Arbeitsvertragsrichtlinien (AVR) sind das Tarifwerk (nicht Tarifvertrag!)
der Caritas, das die Arbeitsverhältnisse in den Einrichtungen und Diensten
regelt, die dem Deutschen Caritasverband (DCV) angeschlossen sind. Ausgehandelt werden die Inhalte der AVR in der auf allen Ebenen paritätisch
besetzten f Arbeitsrechtlichen Kommission (AK). Das entspricht den Vorgaben in Art. 7 f Grundordnung.
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Die AVR regeln den Abschluss der Arbeitsverträge, auch den der Ausbildungsverträge. Sie legen den Inhalt des jeweiligen Arbeitsvertrags fest,
also vor allem die beiderseitigen Rechte und Pflichten. Sie enthalten nicht
zuletzt auch Bedingungen zur Beendigung eines Arbeitsverhältnisses.
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Die AVR enthalten u. a. Bestimmungen über die Wochenarbeitszeit eines
Vollbeschäftigten und über die Entgelthöhe, über den Umfang des Erholungsurlaubs und über die Absicherung im Krankheitsfall.
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Die AVR werden nicht automatisch zum verbindlichen Inhalt eines jeden
Arbeitsverhältnisses. Das unterscheidet sie von einem Tarifvertrag, der
gemäß Tarifvertragsgesetz für tarifgebundene Vertragspartner »unmittelbar und zwingend« gilt. Die AVR gelten dagegen dadurch, dass jeder einzelne f Arbeitsvertrag eine entsprechende Verweisungsklausel (auch
»Bezugnahmeklausel«) enthält. Sie besagt, dass die jeweils aktuelle Fassung der AVR Vertragsbestandteil ist.
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Die MA müssen Gelegenheit haben, die AVR einzusehen. Auch das wird
ihnen im Arbeitsvertrag zugesichert. So jedenfalls formulieren es die
Musterarbeitsverträge des DCV in § 2.
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Gibt es bei der Auslegung und Anwendung der umfangreichen und teilweise recht kompliziert formulierten AVR-Regelungen Meinungsverschiedenheiten zwischen dem DG und dem MA, haben beide Seiten die Möglichkeit, die zuständige AVR-Schlichtungsstelle anzurufen. Geregelt ist
das Verfahren in § 22 AVR AT (f Schlichtung). Die Schlichtungsstellen
sind bei den Diözesan-Caritasverbänden eingerichtet. Vor einer eventuellen Klage beim staatlichen Arbeitsgericht ist die Anrufung der Schlichtungsstelle für beide Seiten verpflichtend.
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Inhalt
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Die erste Gliederung der umfangreichen AVR-Inhalte besteht in der Unterscheidung zwischen dem Allgemeinen Teil (AT) mit den §§ 1–23 und
den Anl. 1–33.
In einer zweiten Gliederung unterscheiden die AVR zwischen einerseits
MA im ärztlichen Dienst, in der Pflege, im Sozial- und Erziehungsdienst
und andererseits allen übrigen MA.
– Für die zuerst Genannten gibt es seit 2011, nach Berufsgruppen unterteilt, die damals neu hinzugefügten Anl. 30–33. In diesen Anlagen sind
annähernd wortgleich die entsprechenden Regelungen aus dem TVöD
bzw. für die Ärzte aus dem Tarifvertrag des Marburger Bundes übernommen und in die AVR eingefügt worden. Fast alle Facetten der f Arbeitszeit-, f Eingruppierungs- und f Entgeltregelungen finden sich in
der jeweiligen Anlage.
– Für die übrigen MA, die anhand der möglichen Tätigkeiten in den Anl.
2 und 2b aufgelistet sind, gelten bis auf Weiteres die alten AVR-Regelungen. Die Sache gestaltet sich bei diesen Gruppen AVR-technisch
insofern etwas schwieriger, als in den beiden genannten Anlagen nur
die Tätigkeiten und die dazugehörenden Vergütungsgruppen genannt
sind. Die Arbeitszeitfragen sind für diese Berufsgruppen in den Anl.
5–6a geregelt, die Eingruppierungsfragen in der Anl. 1, die Vergütungstabellen finden sich in den Anl. 3ff.
– Verschiedene Einzelregelungen aus Anl. 1 (Eingruppierung) und Anl. 5
(Arbeitszeit) gelten allerdings auch für die MA, die unter die Anl. 30–33
fallen. Dadurch werden Regelungslücken in den Anl. 30–33 aufgefüllt.
Jeweils in § 1 Abs. 2 dieser Anlagen ist nachzulesen, welche Passagen
der »alten« Anlage weiter gelten und welche nicht.
In einer dritten Gliederung lässt sich die AVR in Paragrafen und Anlagen
unterteilen, mit denen die MAV immer wieder zu tun haben, und in solche, die normalerweise keine oder nur eine geringe Rolle für die MAV-Arbeit spielen.
– Im AT sind es vor allem die §§ 6 (f Personalakten), 10 (f Arbeitsbefreiung), 10a (f Fort- und Weiterbildung), 14–19 (f Beendigung),
22 (f Schlichtungsverfahren) und 23 (f Ausschlussfristen), die die
MAV im Blick haben sollte.
– Bei den Anlagen ist die f Eingruppierungs- und Vergütungsordnung
(Anl. 1) besonders wichtig. Sie muss i. V. m. der Zuordnung der Tätigkeitsmerkmale zu den Vergütungs- bzw. Entgeltgruppen in den Anl. 2ff.
gelesen werden. Für die Berufsgruppen der Anl. 30–33 finden sich die
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Regeln zur Eingruppierung jeweils in den §§ 11–16 und die Entgelttabellen in zusätzlichen Anhängen zu den Anl. 30–33.
– Dann sollte die MAV mit der Arbeitszeitordnung nach AVR vertraut
sein. Die grundlegenden Inhalte finden sich in Anl. 5 sowie jeweils
in den §§ 2–10 bzw. 3–10 der Anl. 30–33. Dazu gehören auch
die Sonderformen der Arbeit, u. a. die Themen »Überstunden« und
»Zeitzuschläge«, zu denen es (für die MA der »alten« Anlagen) die
gesonderten Anl. 6 und 6a gibt. Mit der Frage einer DV zur Mobilzeit
(Anl. 5b) bzw. zu einer Arbeitszeitkontenregelung (jeweils § 9 der
Anl. 31–33) müssen sich die meisten MAV ebenfalls gelegentlich befassen.
– Kenntnisse der Anl. 14 (f Urlaub) sind für die MAV unverzichtbar. In
den Bereichen der Anl. 30–33 gelten § 4 sowie §§ 6–9 der Anl. 14
nicht, weil sie eigene Regelungen zu Sonderurlaub und Zusatzurlaub
enthalten und kein Urlaubsgeld kennen.
– Die Anl. 17 und 17a sind zwar nicht so häufig ein Thema; Vereinbarungen zur f Altersteilzeit unterliegen auch nicht der Mitbestimmung.
Trotzdem besteht hier immer wieder ein grundsätzlicher Informationsbedarf.
– Die bereits so häufig genannten Anl. 30–33 sind insofern nochmals
herausgehoben, als sie für die jeweilige Berufsgruppe umfassende Regelungen u. a. zu den Themen Arbeitszeit, Eingruppierung und Entgelt
enthalten. Gibt es MA der betreffenden Berufsgruppen in der Einrichtung, muss die MAV die jeweilige Anlage kennen, um ihre Mitwirkungsrechte korrekt wahrnehmen zu können.
Alle weiteren Anlagen (z. B. zur f Zusatzversorgung) sind als Bestandteil
der Arbeitsverträge ebenfalls von Bedeutung für die einzelnen MA. Daher
tauchen sie gelegentlich auch als Thema in der MAV-Arbeit auf.
Die AVR sind kein Tarifvertrag
Einige Informationen zur Rechtsqualität der AVR als »Allgemeine Geschäftsbedingungen« (AGB) finden sich unter dem Stichwort f Arbeitsrechtliche
Kommission. Damit verbunden sind auch Hinweise, inwieweit die staatlichen Arbeitsgerichte im Streitfall eine Inhaltskontrolle der AVR-Regelungen vornehmen, obwohl sie immerhin in einer paritätisch besetzten Kommission ausgehandelt wurden.
Hier sollen einige Ergänzungen zu der Frage angefügt werden, in welchem Verhältnis die AVR zu tarifdispositiven Bestimmungen in einzelnen
staatlichen Gesetzen steht:
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»Tarifdispositiv« ist eine gesetzliche Festlegung, wenn das Gesetz zusammen mit der Regelung die Möglichkeit zulässt, durch Tarifvertrag von
dieser Bestimmung abzuweichen. Der Gesetzgeber hat dabei in der Vergangenheit manchmal die AVR (und andere kirchliche Tarifwerke) ausdrücklich Tarifverträgen gleichgestellt, in anderen Fällen jedoch nicht.
Beispiele:
– Beispiele für den ersten Fall: In § 7 ArbZG wird zuglassen, u. a. in Fragen der Höchstarbeitszeiten, der Ruhezeiten und der Ruhepausen unter bestimmten Bedingungen
von der eigentlichen gesetzlichen Festlegung abzuweichen. Allerdings muss die Abweichung (gem. § 7 Abs. 1 Satz 1 ArbZG) in einem Tarifvertrag oder in einer Dienstoder Betriebsvereinbarung, die auf einem Tarifvertrag beruht, zugelassen werden.
Dadurch wird garantiert, dass die Arbeitnehmerseite nicht einseitig zu solchen Abweichungen gezwungen oder gedrängt werden kann. In § 7 Abs. 4 ArbZG heißt es
zusätzlich, dass auch »die Kirchen und die öffentlich-rechtlichen Religionsgemeinschaften« solche Abweichungen vorsehen können. Die AVR nutzen diese Möglichkeit in ihren Arbeitszeitregelungen.
Auch in § 3 Abs. 1 Satz 1 ATG sind die Kirchen in einer vergleichbaren Formulierung
einbezogen. Das ist Grundlage für die Anl. 17 und 17a AVR (Regelungen zur Altersteilzeit).
– Beispiel für den zweiten Fall: Nach § 14 Abs. 2 Satz 3 TzBfG kann die mögliche Anzahl und die höchstmögliche Gesamtdauer von f Befristungen durch Tarifvertrag
abweichend vom Gesetz geregelt werden. Die Kirchen und ihre Tarifwerke sind hier
nicht genannt. Das BAG hat in einem Urt. v. 25. 3. 2009 (7 AZR 710/07) klargestellt,
dass die Kirchen daher auch keine Möglichkeit zur Abweichung haben. Sie sind nicht
automatisch einbezogen, wenn die Abweichung von einer gesetzlichen Bestimmung
den Tarifpartnern zur Disposition gestellt wird.
Durch die Differenzierung bei den Gesetzestexten und aufgrund der Beurteilung durch das BAG wird unmissverständlich festgehalten: Die AVR sind
keine Tarifverträge. Inhaltlich erfüllen sie zwar für den Arbeitsvertrag der
einzelnen MA die gleiche Funktion, die Rechtsqualität ist jedoch eine andere, was nicht ohne Auswirkungen bleibt.
2. Was sollte die MAV beachten?
Ohne grundlegende Kenntnisse der AVR ist eine genügende Interessenvertretung in den Einrichtungen mit AVR-Anwendung kaum vorstellbar. Dazu gehört
auch die Bereitschaft, sich für den Einzelfall immer wieder durch Nachlesen
im aktuellen AVR-Text und in einem einschlägigen Kommentar zu informieren.
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Nach § 26 Abs. 1 Satz 2 MAVO hat die MAV darauf zu achten, dass alle
KollegInnen rechtmäßig behandelt werden. Dazu gehört an erster Stelle
das Einhalten der AVR-Bestimmungen. Die MAV muss sie kennen, um auf
die Einhaltung pochen zu können.
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Auch die MA-Beschwerden, mit denen die MAV nach den Regeln aus § 26
Abs. 3 Nr. 2 MAVO umzugehen hat (f Beschwerden von MA), beziehen
sich besonders häufig auf die Nichtübereinstimmung von AVR-Vorgaben
und betrieblicher Praxis. Für die Überprüfung kommt die MAV i. d. R. nicht
umhin, in den entsprechenden AVR-Passagen nachzulesen.
Die Entscheidungen zu etlichen persönlichen Angelegenheiten (vor allem
zur Eingruppierung) sind sowohl der Mitbestimmungspflicht als auch
einer vorgegebenen AVR-Bestimmung unterworfen. Die Mitwirkungsaufgabe der MAV besteht in diesen Fällen vor allem darin, das akkurate Einhalten der AVR zu überwachen.
Bei den wichtigsten kollektiven Angelegenheiten, bei denen der MAV ein
volles Mitbestimmungsrecht zukommt, ist darauf zu achten, dass eine
mit dem DG getroffene Vereinbarung nicht zu den AVR-Regelungen in Widerspruch gerät. Das betrifft z. B. alle Fragen der Arbeitszeit oder der Urlaubsrichtlinien.
AVR-Ausgaben
Für die AVR gilt wie für jeden umfangreichen und komplizierten Regelungstext: Man muss nicht alles wissen. Man sollte aber wissen, wo etwas nachzulesen ist und man sollte einen schnellen Zugang zu dieser Quelle haben.
Die AVR – genauer Titel: Richtlinien für Arbeitsverträge in den Einrichtungen
des Deutschen Caritasverbandes – werden in gedruckter und elektronischer
Form vom Lambertus-Verlag in Freiburg herausgegeben:
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Die Loseblatt-Ausgabe zeichnet sich durch regelmäßige Ergänzungslieferungen aus, die eine relativ hohe Aktualität garantieren. Sie sollte im
MAV-Büro einer jeden Einrichtung mit AVR-Anwendung zur Verfügung stehen. Das Einsortieren der Nachlieferungen sollte nicht der absolute Neuling übernehmen, sondern ein MAV-Mitglied, das sich auch inhaltlich mit
AVR-Fragen befasst.
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Die gebundene Fassung der AVR erscheint meist einmal jährlich. Sie ist
also zu bestimmten Zeiten nicht ganz so aktuell. Ergänzend muss dann
auf die Veröffentlichung neuerer Beschlüsse im Internet (z. B. unter www.
akmas.de) oder im diözesanen Amtsblatt zurückgegriffen werden. Der Vorteil: Sie ist handlicher als die Loseblatt-Ausgabe; viele Nutzer haben sie
immer dabei, wenn sie in ihrer Funktion als MAV-Mitglied unterwegs sind.
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Die stets aktuelle Online-Version der gesamten AVR stellt der LambertusVerlag den Beziehern der Loseblatt-Ausgabe zusätzlich zur Verfügung.
Neben der Aktualität bietet sie weitere Vorteile: Während die gedruckten
Ausgaben alle in den RK beschlossenen regionalen Varianten (f Arbeits-
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rechtliche Kommission (AK)) wiedergegeben, ist es bei der elektronischen Fassung möglich, sich auf die durchgeschriebene Fassung für die
eigene Region zu beschränken. Außerdem können einzelne Formulierungen leicht als Zitate in ein eigenes Schreiben hineinkopiert werden, ohne
den Text abschreiben zu müssen.
Wer als MAV-Mitglied zum ersten Mal den »gelben Ordner« zur Hand nimmt,
sollte beachten, dass er/sie dabei etwas mehr als nur den Normtext zur Verfügung hat:
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Nicht normativer Teil: Vorwort; Inhaltsübersicht; Stichwortverzeichnis
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Normativer Teil: Allgemeiner Teil (AT); Anl. 1–33 (teils mit Anhängen und
Anmerkungen)
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Hilfsmittel: allgemeine Anhänge
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Andere Ordnungen: Grundordnung, AK-Ordnung, Wahlordnungen, Richtlinien zur Inkraftsetzung, KZVK-Satzung, Rahmen-MAVO, KAGO, Ordnung
zentrale Schlichtungsstelle, KDO
In der gebunden Fassung, dem »gelben Buch«, sind nicht alle Anhänge und
auch nicht alle hier genannten Ordnungen abgedruckt. Der normative Teil
ist aber selbstverständlich vollständig vorhanden. Das für die Nutzung so
wichtige Stichwortverzeichnis findet sich ganz am Schluss.
Für MAV-Mitglieder, die in Sachen AVR als Neulinge einsteigen, ist unbedingt die Teilnahme an einer MAV-Schulung anzuraten, bei der eine Einführung und ausführliche Praxisübungen zu Aufbau und Handhabung der AVR
im Mittelpunkt stehen.
3. Arbeitshilfen
Die AVR müssen für jedes MAV-Mitglied als ständiges Arbeitsmittel zur Verfügung stehen. Häufig empfiehlt es sich, die gebundene Fassung in entsprechender Anzahl zu abonnieren. Bei MAV-Mitgliedern mit PC-Arbeitsplatz
und Zugang zur Online-Ausgabe kann selbstverständlich darauf verzichtet
werden. Ebenfalls unverzichtbar ist ein AVR-Kommentar:
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Beyer/Papenheim (Hrsg.): Arbeitsrecht der Caritas. Ein Praxiskommentar.
Loseblatt-Ausgabe in drei Ordnern, Freiburg: Lambertus-Verlag
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Zetl/Zwosta u. a.: Die AVR von A bis Z. Erläuterungen zu den Arbeitsvertragsrichtlinien des Deutschen Caritasverbandes, Loseblatt-Ausgabe in
drei Ordnern, 4. Aufl. Köln, Ketteler-Verlag 2005ff.
Da sich vor allem die Anl. 31–33 weitgehend am Wortlaut des TVöD orientieren, kann für deren Auslegung auch ein TVöD-Kommentar hilfreich sein, z. B.
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Bepler/Böhle u. a.: TVöD. Kommentar zum Tarifrecht der Beschäftigten im
Öffentlichen Dienst im Bereich des Bundes und der VKA, Loseblatt, München, C. H. Beck 2011ff.