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26 REPORTAGE
STUTTGARTER ZEITUNG
Nr. 30 | Freitag, 6. Februar 2015
Helmut Bergthal mit Tänzerinnen: der Vier­Zentner­Mann ist gelernter Heizungsmonteur, wurde dann Nachtclubchef. Diesen Posten macht ihm keiner streitig.
Foto: Uli Reinhardt
Schatzele hinten, Schatzele vorn
Ein Paradiesvogel im Schwarzwald: Helmut Bergthal, „der Knaller“, betreibt seit 35 Jahren sein „Klein Paris“ im 7000­Seelen­Ort Sulgen.
Und jeder findet es gut: die Frauen, die Männer, die Polizei, die Vereine, die Stadt. Sogar der katholische Pfarrer kann damit leben. Von Isabel Stettin
Sinnenfreude
E
velyn stöckelt hinter die The­
ke. In ihrem sehr knappen Mi­
nirock und halb geöffneten
Blazer, der ihre üppigen Brüs­
te kaum verhüllt, verteilt sie
Brötchen und Berliner. Punkt 14 Uhr tischt
sie auf zum Kaffeeklatsch für die Rentner
und jene, die sonst nichts zu tun haben. Ein
grauhaariger Herr kaut an einer Bratwurst,
nippt am ersten Bier. Auf schweren Leder­
sofas sitzen zwei junge Frauen und unter­
halten sich leise auf Spanisch. Maria la­
ckiert sich die Nägel blutrot, die Wolldecke
bis zum tiefen Dekolleté hochgezogen. Auf
einer Leinwand läuft das RTL­Nachmit­
tagsprogramm, im Hintergrund singt
Johnny Cash. Der Chef kommt. Die Mäd­
chen schalten um auf den Pornokanal.
Helmut Bergthal ist erst aufgestanden
und schreitet jetzt die Treppe herunter, ein
Zwei­Meter­Koloss, vier Zentner schwer.
Das dauergewellte Haar ist sorgsam ge­
kämmt. Seine nackten Füße stecken in Ge­
sundheitssandalen. Selbst im Winter geht
er meist barfuß, ein Markenzeichen wie
seine Hawaiihemden, grüne Palmen auf
gelbem Grund. Im 7000­Seelen­Ort Sulgen
ist er für jeden nur „der Knaller“. Die weni­
gen Gäste begrüßt der Inhaber persönlich.
„Gib dem Mann noch ein Bier von mir“,
weist er Evelyn an. Er setzt sich an die The­
ke, trinkt seinen Frühstückskaffee und ge­
nehmigt sich fünf Butterbrezeln.
Keiner weit und breit ist so lange im
Rotlichtgeschäft wie der 62­Jährige. „Schö­
nen Gruß vom Opa“, sagen die jüngsten Be­
sucher, gerade volljährig, wenn sie am Wo­
chenende nach der Disco ihren Absacker in
seinem Nachtclub trinken. „Berg und Tal
trifft sich bei Bergthal“, steht in Schnörkel­
schrift neben der Bürotür. Fasnachtsmas­
ken, schmunzelnde Hexen, Fratzen hängen
an der Wand. In die Bühne ist eine Poledan­
ce­Stange geschraubt.
Vor einem nackten Frauen­Torso lehnt
eine Holztafel mit den Sulgener Narrenfi­
guren. Anderswo feiern Karnevalsgruppen
ihren Zunftmeisterempfang im katholi­
schen Gemeindehaus, hier im „Klein Pa­
ris“. Literweise setzt der „Knaller“ dann
süffige Frucht­Bowle an. Seine Animierda­
men bedienen in Cowgirl­Kostümen.
„Wenn alle zufrieden sind, freut sich Hel­
mut und lacht wie ein großes Baby“, sagt
Hans­Peter Marte, Präsident der örtlichen
Narrenzunft. „Er ist sehr sozial, ein leiden­
schaftlicher Gastgeber, aber auch ein ech­
tes Schlitzohr.“ Anstoß an dem Etablisse­
ment nehme in der Gemeinde kaum einer.
Schon während seiner Lehre zum Instal­
lateur und Heizungsmonteur träumte
Bergthal am Wochenende hinter DJ­Pults und dafür ist die Kreisstadt Schramberg
vom eigenen Lokal. Mit 24 Jahren erfüllte mit ihren 21 000 Einwohnern zu klein. So
er sich sein Wunsch. 1976 übernahm er „Die besagt es die Verordnung der Landesregie­
Festung“. Aus der verstaubten Bauerngast­ rung von 1976. Bewirbt sich eine Frau mit
stätte machte er einen der ersten Pubs im einem Zuhälter im Hintergrund, stellt
englischen Stil mit fünf verschiedenen Sor­ Bergthal sie nicht ein. „Ich würde nie arbei­
ten Bier. „Im Gastronomiesektor ist nur er­ ten wie die im Bordell. Da werden Frauen
folgreich, wer etwas macht, was andere vermarktet wie ein Stück Vieh.“ Hin und
nicht machen“, sagt er. Frittiertes Geflügel wieder torkeln Besoffene in das „Klein­Pa­
war sein Garant für ein volles Haus. Für das ris“, lallen: „Wo sind die Nutten?“ – „Man
geheime Brathähnchenrezept vom Vorgän­ sagt Grüß Gott, wenn man in einen Laden
ger habe er 30 000 Mark in die Hand ge­ kommt“, entgegnet Bergthal dann.
nommen. Sein Stolz ist unverhohlen.
An der Theke steht ein dickes Spar­
Bergthal sehnte sich bald nach jungen schwein. Sammeln für den Weißen Ring.
Gästen statt Rentnern, rauschenden Fe­ Gerd Schneckenburger leitet die Außen­
sten, schönen Frauen, Tanz. 1981 ergriff der dienststelle Rottweil und war vor der ers­
Festungswirt seine zweite Chance. Ein ge­ ten Scheckübergabe unsicher. Eine Spende
scheiterter Clubbetreiber bat ihn verzwei­ für Kriminalitäts­ und Gewaltopfer von
felt um Hilfe. Er hatte sich mit den Fal­ einem „Etablissement“? Er informierte
schen angelegt, mit Rockern aus Singen sich bei der Schramberger Polizei, besuchte
einen Nachtclub aufgezogen, wo einst fri­ die Bar am „Rentnernachmittag“ und ist
sche Brötchen über die Theke gegangen seitdem überzeugt, „dass hier keine Geset­
waren. Der Bäcker schuftete, die Kriminel­ zesverstöße oder strafbare Handlungen
len sackten das Geld ein. Bergthal hat „das stattfinden“. Helmut Bergthal wolle sich
Lumpenpack dann rauskomplimentiert“. für andere engagieren, sagt er. „Ohne Hin­
Damals wog er 100 Kilogramm weniger, tergedanken“, schiebt er nach.
trug den schwarzen Gürtel in Taekwondo,
Um 22 Uhr beginnt Cindys Schicht. Seit
eine Maschine. Er übernahm die Kontrolle 1998 lebt die Tschechin in Deutschland.
und die Table­Dance­Bar. Seitdem brennt Ein Polizist hat sie aus dem Stuttgarter Mi­
in Sulgen jede Nacht das rote Lämpchen bis lieu in das Schwarzwaldstädtchen vermit­
in die Morgendämmerung.
telt. Einen Monat wollte sie bleiben. Das
Ein Nachtclub in der Provinz, hieß es da­ war vor fast 16 Jahren. „Hier arbeitet man
mals, das kann nicht gut gehen. Viele warte­ nicht nur, hier ist wie Familie“, sagt die 36­
ten auf einen Fehler. Sie warten noch im­ Jährige und zieht an ihrer Zigarette. „In der
mer. „Wir werden rund um die Uhr beob­ Großstadt kommt Mensch, geht, interes­
achtet. Du musst dich bewähren, Tag für siert niemanden.“ Helmut lege Wert auf je­
Tag“, sagt Bergthal. Er sei nicht
den. Er führt die Frauen aus
korrupt, nicht organisiert, be­ „Er ist sozial, ein
– zum Andrea­Berg­Kon­
teuert er immer wieder. Ein leidenschaftlicher
zert, zum Margarethenfest
paar Mal hätten sie es probiert, Gastgeber, aber
in Rottweil, zum Schlacht­
die organisierten Banden.
platten­Essen.
Clubbetreiber aus dem Umland auch ein echtes
Die Fußball­Herren ha­
hätten Schutzgeld gefordert. Schlitzohr.“
ben ihren Aufstieg im Club
„Wenn man mit Kriminellen Der Präsident der örtlichen
begossen, und Wochen spä­
arbeitet, ist das ein kurzlebiges Narrenzunft über Bergthal
ter hat der Wirt auch die Da­
Geschäft. Da bin ich der falsche
men­Mannschaft eingela­
Ansprechpartner.“ Und viel­
den. 1000 Euro spendete
leicht, gesteht er sich ein, sei sein „Klein Pa­ Bergthal der Stadtmusik. „Der Knaller ist
ris“ im Industriegebiet, umgeben von ein sehr gewichtiger Mosaikstein in unse­
einem Möbelhaus, einem Fitnessstudio rem Gemeindeleben“, sagt der Narrenprä­
und Jehovas Zeugen, schlicht eine „zu klei­ sident Hans­Peter Marte. „Was der Eiffel­
ne Klitsche“ und darum uninteressant für turm für Paris, das ist Helmut für Sulgen.“
die Rockerbanden, die das Rotlichtmilieu Zum 60. Geburtstag verlieh die Zunft ihrem
ansonsten fest in ihrer Hand haben.
Fördermitglied den Titel des Obernarren.
Vier der wechselnden Tänzerinnen le­
Seit zwölf Stunden brennt das rote
ben in einer Wohnung im Haus, darüber Lämpchen über der Bar. Vor der Tür leuch­
der Chef selbst mit seiner Lebensgefährtin tet der Eiffelturm. Es ist zwei Uhr nachts
und dem Rottweiler Rambo. Zimmer, in und kein Gast weit und breit. Unter der Wo­
denen sich Gäste mit den Frauen zurück­ che ist nicht viel los. Die Mädchen sitzen
ziehen könnten, gibt es im „Klein Paris“ wartend auf dem Sofa, plaudern, lachen,
nicht. Das wäre dann offiziell Prostitution, starren auf die Leinwand. 70 Prozent des
Umsatzes macht das „Klein Paris“ in den feixt er und lacht. Fünf Zettel, fünf Namen,
letzten Stunden vor Ladenschluss, wenn fünf Frauen: Das Los entscheidet, wer Tors­
die Dunkelheit in die Morgenröte über­ ten heute hinter den schweren Samtvor­
geht. Die meisten Gäste kommen spät, nach hang ins Séparée begleitet. Was die Mäd­
der Disco oder der Nachtschicht. Die In­ chen dort mit ihm machen, wie weit sie mit
dustrie in der Region mit der Schramberger den Gästen gehen, das ist ihre Sache. „Von
Uhrenfabrik Junghans oder dem Waffen­ mir aus können sie auch würfeln oder Kar­
produzent Heckler & Koch in Oberndorf ten spielen“, sagt Helmut Bergthal.
blüht. Die Hotels sind voll mit Geschäfts­
Bald will er den Ruhestand genießen.
reisenden. Wenige solvente Kunden seien Einen Nachfolger hat Helmut Bergthal
oft besser als Gruppen von Biertrinkern, noch nicht. „Wenn der nicht in meinem Na­
sagt Bergthal. „Wichtig ist, dass
men und so seriös schafft wie
es immer noch genügend Leute „Sie sind die
ich, haben wir ein richtiges
gibt, die in dem Geschäft gut Nummer eins,
Problem.“ Schon vor Jahren
Geld ausgeben.“
wollte er sich zurückziehen.
die Könige. Wir
„Rein – Raus“ steht auf dem
Er ließ sich zum Versiche­
Fußabtreter. Ein Mann stol­ haben für jeden die rungs­ und Immobilienmak­
pert über die Schwelle. Alle richtige Medizin.“
ler ausbilden. „Ich musste
fünf Frauen bestürmen ihn, be­ Bergthal über
was anderes machen, damit
grüßen den Stammgast mit seine Gäste
ich nicht verblöde, mal Ab­
Küsschen. „Er ist die Nummer
stand nehmen.“ Knapp zehn
eins, der King, der König von
Jahre verpachtete er. Im
uns allen. Schatzele hinten, Schatzele vor­ Nachhinein sein größter Fehler. Die Miete
ne. Das hört er daheim nie“, sagt Bergthal kam in den ersten Monaten noch, dann
und spendiert ihm ein Bier. „Deswegen gibt nicht mehr. Rocker seien ein­ und ausge­
er Geld aus. Wir haben für jeden die richti­ gangen und mit ihnen Drogen.
ge Medizin. Aber das kostet.“ Der Preis für
„Alle vier Pächter waren hochgradig kri­
Champagner beginnt bei 160 Euro. 1000 minell, Verbrecher. Keine Tür war am Ende
sind es für die teuerste Flasche. „Im Bordell mehr ganz, alles durchschossen. Ich hab
in Villingen kriegt man eine Frau für 30 einen Haufen Geld verloren“, schimpft
Euro“, sagt Bergthal. „Bei uns koscht halt Bergthal. Er hatte die Wahl: schließen oder
eine Flasche Champagner im Séparée 250. selbst übernehmen. Immer wieder kam
Da diskutiert der Gast nicht lang. Das zahlt „zwielichtiges Lumpenpack“ wegen Schul­
der für die Stunde und fertig.“
den des Vorgängers. „Das ging vier Wochen,
Doch erst mal zahlt der einzige Kunde dann war Ruhe. Wie abgeschnitten.“ Seit
nicht, sondern zockt am Spielautomat, 18 Jahren ist er wieder der Boss.
wechselt dann an den Tresen. „Auf dem
Bergthal sieht sich als den heimlichen
Hotelzimmer war tote Hose.“ Torsten ist Schützer Schrambergs. Er ballt die Faust.
verheiratet, „einen Tag älter als gestern“ „Der Landkreis muss sauber bleiben.“ Und
und „ein stiller Genießer“. Er erzählt vom die Polizei kann nicht klagen. „Seit Herr
Thailand­Urlaub, von seiner Arbeit im Bergthal da oben ist, gab es dort keinerlei
Außendienst. Ein Werbebanner in Schram­ Vorkommnisse“, sagt der Schramberger
berg – 30 Jahre Klein­Paris – hat ihn vor Revierleiter Erich Moosmann. „Keinerlei
drei Jahren das erste Mal in den Nachtclub Beanstandungen“, sagt auch der Leiter des
geführt. Der Slogan: Wer uns findet, findet Fachbereichs Recht und Sicherheit. Auf­
uns super! Acht Pils kippt er runter, und grund guter Führung gilt für Bergthal nicht
sechs Piccolo, Gesamtwert 360 Euro, mal die offizielle Sperrstunde.
schwatzen ihm die Frauen mit Augenauf­
Solange keine offizielle Prostitution
schlag ab. Torsten ist großzügig – und be­ stattfinde, kann selbst der katholische
kommt im Gegenzug warme Worte und un­ Pfarrer, Eberhard Eisele, mit der Nachtbar
geteilte Aufmerksamkeit.
leben. „Aber mir sind die Damen zu leicht
„Alles familiär, nette Mädchen hier. Kei­ bekleidet, deswegen bin ich selbst nie dort.“
ner geht mir auf den Sack.“ Torsten gönnt
Bergthal öffnet noch ein Bier. Im Sépa­
sich einen Tanz. Chantal gleitet an der rée wird der Notknopf gedrückt. Es schrillt,
Stange entlang, räkelt sich auf dem Boden, die Lampe hinter der Theke leuchtet auf.
reibt ihren Po an ihm. „Wenn hier mehrere „Alles okay!“, rufen Evelyn und Maria ki­
Kerle sitzen, dann geht’s ab. Aber ohne chernd. Nach einer Stunde kommt Torsten
Moos nichts los“, raunt er und schiebt zwei zurück an den Tresen, ein letztes Bier. „En­
Strip­Dollar zwischen die vor seinen Augen de Gelände. Aus die Maus. Wer fährt mich
wippenden Brüste. Bergthal nimmt einen jetzt ins Hotel?“ Von seiner Kreditkarte
Sektkühler. Er habe eine Überraschung, werden 860 Euro abgebucht.