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„Wir können uns gar
nicht vorstellen, was
wirklich passiert!“
Ein Gespräch mit dem Hauptdarsteller Franz
Dinda
zur Verfilmung von DIE WOLKE
Wie kam es dazu, dass du die männliche Hauptrolle in DIE WOLKE
spielst?
Es gibt hierzu eine lustige Vorgeschichte.
Ich hatte mal
einen Spot für
Rosenstolz
gedreht, ein Musikvideo, und ich
war dann auf
dem Konzert. Auf
diesem Konzert
saßen zwei junge
Leute. Der eine
war ein bekannter Schauspieler,
den
anderen
kannte ich nicht.
Ich sagte zu ihm:
„Bist du auch
Schauspieler?“
Und er entgegnete, dass er Regisseur sei. Es
war
Marco
Kreuzpaintner,
der das Drehbuch für DIE WOLKE geschrieben hat. So haben wir uns auf dem
Rosenstolz Konzert kennen gelernt und
auf Anhieb gut verstanden. Irgendwann
hat er mir ein Buch in die Hand gedrückt
und gesagt „Lies mal! Und sage mir, was
du davon hältst!“ Das war die erste
Drehbuchfassung und ich war total begeistert. Ich wusste sofort, Elmar würde
vom Alter her passen. Es wäre eine Rolle,
die ich vom Typ spielen könnte. Zum
damaligen Zeitpunkt dachte ich aber
nicht, dass ich die Rolle bekommen
würde. Ich dachte, die suchen eher jemand, der viel bekannter ist. Aber ich
durfte auf das Casting gehen. Und
glücklicherweise hat es dann geklappt.
Ich war sehr glücklich darüber.
Was hat dich an der Rolle von Elmar
so fasziniert? War es der Inhalt des
Buches?
Auf die Frage „Was würdest Du gerne
mal für einen Film machen?“ habe ich
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früher einmal geantwortet, dass ich
gerne in einem Liebesfilm mitspielen
würde, in dem es wirklich um eine große
Liebe geht. Weil ich einfach das Gefühl
habe, auf dem Gebiet kann ich was sagen, kann ich was darstellen. Vielleicht
ein Film, der auch auf einem Buch basiert. Da habe ich die meisten Farben,
mit denen ich mein Bild gestalten kann.
Bei DIE WOLKE ist das einerseits so gegeben, andererseits ist es eine großartige
Geschichte, deren Thema nächstes Jahr
aktuell sein wird. Dieses Thema sollte
wieder in den Mittelpunkt des Interesses
rücken, weil es da einfach um etwas
geht. Und weil unsere Generation mit
diesen Atomkraftwerken gar nichts mehr
zu tun hat. Tschernobyl haben die meisten gar nicht mehr bewusst wahrgenommen. Deswegen ist das genau der
richtige Zeitpunkt und eine Herausforderung für mich, in dem Film
mitzuspielen.
Ich finde gar nicht, dass die Geschichte
des GAU in den Hintergrund geschoben
wird, denn letztendlich begleiten uns die
ganze Zeit die Konsequenzen. Die Liebe
zwischen Elmar und Hannah ist lediglich
der Aufhänger, um zu zeigen, was man
zu verlieren hat. Bei einer Liebesgeschichte wird sich da also jeder angesprochen fühlen, jeder war schon mal
verliebt. Und das rückt das Gefahrenpotenzial einer solchen Energiegewinnung viel besser ins richtige Licht, als ein
anderes Thema. Ich hoffe, dass der Zuschauer durch den Film zum Nachdenken angeregt wird und vielleicht beschließt bewusster zu leben oder auch
politisch aktiver zu denken. Wir sind doch
heute in unserer Generation sehr bequem geworden, einfach weil es sich
anbietet. Ich schließe mich da gar nicht
aus. Wenn man nie wusste, wie Tschernobyl war, warum soll man sich dann
darum kümmern?
Worum geht es in dem Film?
Du spielst im Film den Elmar. Was ist
Elmar für ein Mensch?
Es ist eine Liebesgeschichte vor dem
Hintergrund einer großen Katastrophe,
einem Super-Gau in der Gegenwart. Ein
Atomkraftwerk explodiert. Dieses junge
Liebespaar wird getrennt und muss sich
in dem entstehenden Chaos wiederfinden und eine Basis für die Zukunft
schaffen.
Er wird als „junger Einstein“ eingeführt,
der sich gerne in Schularbeit stürzt, intelligent ist und mit seiner wohlhabenden
Familie sehr oft herumreisen muss und in
dem kleinen Ort „gelandet“ ist. Er hat
schon viel gesehen von der Welt. Seine
DIE WOLKE beruht auf einem Bestseller von Gudrun Pausewang. Hast
du das Buch vorher gekannt?
Ja, ich hatte es tatsächlich gelesen. Ist
schon eine Weile her, ungefähr vor sechs
Jahren in der Schule. Ich weiß noch ganz
genau, dass ich dieses Buch gelesen
habe und mir dachte „Starker Tobak“. So
ein Buch liest du durch und dann ist der
Tag erst einmal gelaufen.
Und dennoch gibt es im Film eine
Achsenverschiebung. Im Buch steht
der Kraftwerkunfall im Vordergrund,
im Film verschiebt es sich hin zur
Liebesgeschichte zwischen Elmar und
Hannah.
Familie ist zerrissen, seine Mutter hatte
einen Schlaganfall, das hat die Familie
zerstört. Deswegen ist Elmar auf der Suche nach Liebe. Zu Hause kann er sie
nicht mehr bekommen, niemand nimmt
ihn in den Arm. Er bekommt immer nur
Geld geschenkt und kann den Reichtum
gar nicht schätzen, den er von zuhause
hat, weil ihn das nicht glücklich macht.
Jetzt sucht er sein Glück woanders. Er
findet dies bei Hannah. Aber kaum meint
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er, da angekommen zu sein, wo er sich
hingewünscht hat, passiert dieser SuperGAU und zerreißt diese junge Liebe wieder. Natürlich entscheidet sich Elmar
dafür, Hannah zu suchen. Warum soll er
mit seiner Familie nach Amerika flüchten? Was bringt ihm ein Leben, wenn er
gesund ist, dabei aber trotzdem die
ganze Zeit unglücklich ist? Deswegen
bleibt er da. Elmar hat nicht einmal heldenhafte Züge, sondern einfach menschliche, weil jeder Mensch glücklich werden
möchte. Das ist sein persönlicher
Wunsch.
Es gibt im Film die Szene, in der
während des Schulunterrichts der
Alarm ausgelöst wird.
Du gehst wie jeden Tag in die Schule und
du machst dein Ding. Es ist 08/15, mal
wieder. Für Elmar ist es das große Ding,
Hannah näher zu kommen. Er möchte
zeigen, was er für sie empfindet. Er kann
es nicht so, weil er sehr in sich gekehrt
und nachdenklich ist. Er kann nicht den
ersten Schritt machen, weil er sich nicht
traut.
An diesem Tag entschließt er sich, ihr
einen Zettel zu geben und sie in den
Theaterraum zu locken. Er will ihr dort
seine Liebe gestehen. In diesem Moment
des Mutes, den er aufbringt, passiert auf
einmal dieser Alarm. Man weiß in diesem Moment gar nicht, was das ist! Ist
das ein Feueralarm oder doch nur eine
Probe? Erst einmal kümmert er sich auch nicht
darum, weil da diese Intimität ist, der erste
Kuss. Aber dann merkt
er trotzdem, dass das
kein normaler Alarm ist,
denn Elmar „Jung-Einstein“ kennt alle Alarmtypen auswendig. Deswegen weiß er, dass
dies ein ABC-Alarm ist.
Jetzt stell dir mal vor, du
sitzt bei schönem Wetter
im Garten und auf einmal tönen die Alarmsirenen. Du weißt zwar,
dass es ein ABC-Alarm
ist, aber du kannst dir
trotzdem nicht vorstellen, dass ein Atomkraft explodiert sein soll, ein Super-GAU
passiert ist. Diese kurze Erkenntnis, bzw.
diesen kurzen Moment des Nachdenkens
braucht er - aber dann schaltet er ganz
schnell, zieht die Konsequenzen und
sagt: „Lass uns mal schnell gehen, egal
ob es wahr ist oder nicht. Es ist einfach
kein Spaß und man muss jetzt abhauen.
Egal, auch wenn es nicht stimmt; wir
wären
im
Zweifelsfall
vorbereitet
gewesen.“
Würdest du als Franz Dinda genauso
reagieren, wenn so ein Alarm losgehen würde?
Ich hätte wahrscheinlich erst mal keine
Ahnung und dächte: „Ja, ja, Probealarm!“ Man rechnet ja nicht mit so was.
Wahrscheinlich hätte ich reagiert wie
jeder andere auch. Ich hätte mir zunächst einen Spaß daraus gemacht, bis
mich jemand informiert hätte. Ich denke,
da treffe ich die breite Masse. Wer reagiert schon richtig?
Der Alarm geht los, Elmar ist noch
mit Hannah zusammen und dann
trennen sich plötzlich ihre Wege.
Sie vereinbaren, dass sie zunächst nach
Hause gehen und er sein Auto holen
wird. Als er nach Hause kommt, bemerkt
Elmar, dass sein Vater aber den Autoschlüssel versteckt hat; so verliert er
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wertvolle Zeit. Deswegen muss er einen
Notfallplan entwerfen; und der sieht so
aus, dass Elmar versucht, das Auto zu
knacken und kurzzuschließen. Das bekommt er nach Stunden hin. Als er dann
schließlich zu Hannahs Haus kommt, ist
sie nicht mehr da. Und er überlegt sich:
Was soll ich jetzt machen? Jetzt ist sie
weg und ich habe sie verloren. Ich habe
keine Ahnung, wohin sie flieht und sehe
mich gerade, als ich meine Liebe gefunden habe, schon wieder am Abgrund.
Ich bin völlig verzweifelt und hilflos. In
dem Moment habe ich gar keine Ahnung, was ich eigentlich machen soll.
Aber natürlich entschließe ich mich, sie
zu suchen, koste es was es wolle. Und
ich werde sie finden, egal wo sie ist. Aber
es wird eine Zeitlang dauern.
muss schauen, was passiert. Was machen die anderen? Ich bereite mich auf
die Situation und auf das Gefühl vor, das
ich vermitteln möchte. Wie das dann genau aussieht, entsteht erst während der
Szene. Der Regisseur inszeniert das.
Regie hat Gregor Schnitzler geführt.
An dieser Stelle kann ich mich als Fan
von Gregor Schnitzler outen. Für mich ist
er genau der richtige Regisseur. Es gibt
immer bestimmte Typen von Schauspielern und Regisseuren. Er ist jemand, der
versteht Emotionalität, er versteht Ge-
Wie bereitet man sich auf so eine
Rolle vor?
Ich finde es überbewertet, wenn Schauspieler von irgendwelchen Tricks erzählen, mit denen sie vorgeben, sich in die
Rolle hineinversetzen zu können. Ich
glaube, es ist einfach nur der Versuch zu
verstehen, was da gerade passiert. Und
oft versteht man sehr viel weniger als
später der Zuschauer vielleicht sehen
möchte. Man steht einer Situation gegenüber und weiß nicht, wie man in einem solchen Moment reagieren soll. Ich
kann als Beispiel anführen, als ich einen
Autounfall hatte. In dem Moment hatte
ich auch keine große Panik: Du wirst
ganz ruhig, ganz klar und reagierst irgendwie. Und ich glaube, so muss man
auch an einen Film herangehen. Man
fühle, er versteht die Intentionen der
agierenden Figuren, warum sie so handeln, wie sie das tun. Dabei bleiben sie
aber trotzdem Menschen und werden
nicht zu Marionetten, die er ganz gewagt inszeniert, die aber letztendlich
unrealistisch werden. Gregor hat es geschafft, mir immer wieder persönlich zu
erklären, inwieweit man in so einem
Moment ganz klein und trotzdem ganz
intensiv sein kann. Ich hoffe, dass sich
das im Film zeigen wird, und dass ich das
umsetzen konnte, wie es der Regisseur
wollte. Wenn die Rolle „Elmar“ nicht
funktionieren sollte, dann
liegt das sicherlich nicht an
Gregor (lacht).
Das Buch DIE WOLKE
wurde erst 18 Jahre nach
seiner Entstehung verfilmt. Ist das Thema heute
noch aktuell?
Es ist ein wichtiges Thema
für unsere Generation, für
meine Generation. Es ist ein
Thema, das aus dem Blickfeld gerückt ist, weil wir uns
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gar nicht mehr vorstellen können, was
wirklich passiert. Endlich gibt es wieder
einen Film zu diesem Thema, der uns
bewusst macht, wie furchtbar die Konse-
quenzen sein können. Vielleicht lenkt uns
DIE WOLKE auch ein bisschen in die
Richtung, was kann ich persönlich tun,
um so einer Katastrophe entgegenzuwirken. Da kann man mehr tun, als man
denkt, auch als Einzelperson. Man kann
die richtige Partei wählen, man kann die
richtige Lebenseinstellung haben und die
richtigen Ideale unterstützen, in welcher
Form auch immer. Und ich erhoffe mir,
dass der Film bei meiner Generation
wirkt und bei der älteren Generation, die
das live miterlebt hat.
Was erwartet den Zuschauer, wenn
er sich DIE WOLKE, die ab dem 16.
März 2006 im Kino zu sehen sein
wird, anschaut?
Eine Geschichte, die
jedem an das Herz
geht, weil jeder
schon mal verliebt
war und vor einem
Abgrund stand. Es
ist ein Film, der
Liebe zeigt und
echte Liebe kann
man sich nicht oft
genug antun. Jeder
wird sich in der
Geschichte wiederentdecken können.
Man sollte sich den
Film anschauen, um
sein Leben wieder
bewusster wahrnehmen zu können. Auch
seine Liebe, sein Handeln und seine politischen Ideale. Deswegen kann man
eigentlich jedem den Film empfehlen.
Das sind Bilder, die sind spektakulär, die
gibt es auch im deutschen Kino nicht so
oft zu sehen. Es lohnt sich also in jedem
Fall.
Lieber Franz, vielen Dank für das
Gespräch.
Quelle: Die S&L Medienproduktion führte im im
September 2005 Interviews mit Franz Dinda. Es ist
zur Veröffentlichung freigegeben.
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