Als Gott Kanadas Westen schuf, war er wohl gerade

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Als Gott Kanadas Westen schuf, war er wohl gerade
natur / reise
Selbst die Hochhäuser wirken
friedlich: Hafen
von Vancouver.
Eins mit der Natur. Ob beim Sport,
Spazieren oder
Rumhängen wie an
der English Bay.
Leider macht das
Wetter selten mit.
Alles, was Herz
und Magen begehrt: Markt auf
Granville Island.
FOTOS: LAIF (4), 123RF
Als Gott Kanadas Westen
schuf, war er wohl gerade
am Chillen. Willkommen
in Vancouver, einer unaufgeregt anregenden Stadt.
Text: Gion Stecher
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J ede Grossstadt hat ihren inoffiziellen
Slogan. Der von Vancouver lautet so:
«Hier lebt man nicht, um zu arbeiten,
hier arbeitet man, um zu leben.» Carrie heisst die Frau, die den Satz
zitiert. Sie arbeitet im schick designten
Opus-Hotel im hübsch renovierten Yaletown-Viertel im Südwesten von Downtown-Vancouver. Ihr Job: PR für das
«Opus» zu machen.
Während der europäische Tourist
nach Croissants und schwarzem Kaffee
fragt, bestellt sie Fruchtsalat. «Vancouver
ist eine Stadt, die die Natur als grössten
Luxus preist», erzählt Carrie. «Wenn sie
hier jemanden fragen, was er beruflich so
macht, dann sind die Antworten: skateboarden, Velo fahren, joggen, spazieren.»
Sport ist ein Teil des Wohfühlpro-
gramms der Einwohner. Fast mitleidig
wird der Besucher in den Strassen von
Bikern und Joggern betrachtet, wenn er
sich eine Zigarette anzündet. Immerhin
nicht angeschnauzt, das widerspricht
dem versöhnlichen Naturell des Homo
Vancouverensis, seinem Glauben ans
Gute und die Veränderung zum Besse-
ren. Kein Wunder, wurde hier Greenpeace gegründet. Anno 1971 war das.
Vancouver tickt anders. Langsamer,
relaxter. Und die Metropole glitzert nicht.
Das modische Statement ist geprägt von
Rucksäcken. Der typische Look: Wollmütze, Jeans, festes Schuhwerk und
natürlich die obligate Regenjacke. Denn
Petrus öffnet liebend gern über dieser
Stadt die Schleusen, vom Niesel- bis zum
Platzregen. Für Sonne im Gemüt sorgt
dafür die traumhafte Lage. So liegt das
Zentrum Downtown auf einer Halbinsel.
Egal, ob man nach Norden, Osten oder
Westen läuft: Irgendwann landet man
am Wasser, am Meer, am Strand.
Und dort, mit Blick auf den Pazifik,
beginnt sie, die Entschleunigung des
«Der grösste Luxus
Vancouvers ist die Natur.»
Carrie, PR-Frau
Besuchers. Nichts, was die innere Balance
stören könnte. Wie zahlreiche Einwohner auch, sitzt man auf den grossen Steinen, die Ruhe einatmend.
Vancouver gilt jedoch nicht nur als per-
fekter Ort für Naturliebhaber, sondern
beherbergt auch tausende Junkies und
Clochards. Hauptgrund dafür ist die
geographische Nähe der Hafenstadt zu
Asien. In Nordamerika wird nur gerade
in New York City mehr Heroin umgesetzt als in Vancouver. So gehören kränkelnde Obdachlose genauso zum Stras-
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Das Elend bleibt jedoch bis heute sicht-
bar, speziell an der East Hastings Street
Downtown Ost – ein paar Abzweigungen
entfernt vom beliebten Touristenviertel
Gastown. Die Junkiemeile East Hastings
ist die offene Wunde einer Stadt, die
nichts überdecken will, keine Scheinwelt
propagiert und so auch Randständige
kaum als Aussätzige betrachtet. Und: Die
Kriminalitätsrate Vancouvers ist niedrig
– verglichen mit Städten in den USA.
Im friedfertigen Vancouver wirken
sogar die im Westend stehenden Wolken-
kratzer sanft. Es dominiert ein angenehm
helltürkiser Farbton. Und die Türme stehen durchaus im Einklang mit dem ökologischen Selbstverständnis der Stadt.
Schliesslich sind Hochhäuser die platzsparendste Art des Wohnens. Sprich: resourcenschonend. Damit die unverbaute
Natur in der Stadt und um sie herum
auch weiterhin unverbaut bleibt.
Abends bevorzugen die Einwohner das
gesellige Leben in Bars und Pubs. Und
man ist sofort mit ihnen im Gespräch.
Wie mit Pete, IT-Mitarbeiter, der ein Shirt
des NHL-Clubs Vancouver Canucks trägt.
Er erzählt dem Schweizer Besucher
sichtlich stolz von seinen Vorfahren,
die ursprünglich aus der Innerschweiz
stammen. Irgendein Name wie «Rothlisburger» oder so.
Pete redet sich bei einem typisch wässerigen Kanada-Bier in Stimmung. «Die
politische Revolution wird kommen. Von
der Mittelklasse, die darbt.» Griechenland, Portugal, Spanien, das hat er hier
im Fernsehen gesehen. Er nimmt einen
grossen Schluck. «Bei uns ist es nicht viel
anders als bei euch in Europa. Die Zeit
des Umsturzes naht ...» Immerhin: Einen
Sieg kann Pete schon diesen Abend feiern. Seine Canucks haben am Ende
knapp gewonnen. Pete grunzt zufrieden.
Auf dem Heimweg Richtung Hotel
darf natürlich auch Vancouvers zuverlässigster Begleiter nicht fehlen – der
Regen. Doch selbst der fühlt sich irgendwie ungemein entspannend an. Entspannend wie Vancouver eben.
n
Stolz auf ihren
NHL-Club: Fans
der Vancouver Canucks. In Yaletown
locken viele Bars
und Restaurants.
WISSENSWERTES
Informationen
Beliebt bei Promis und
Designfans: Hotel Opus.
Anreise: Edelweiss fliegt von Ende Mai
bis Ende Sept. 2-mal wöchentlich von
Zürich nach Vancouver. Hin und zurück
ab 1200 Franken. edelweissair.ch.
Tägliche Flüge (nicht direkt) ab Zürich
mit Air Canada. aircanada.com
Unterkunft: Wer es gerne chic und
trendy mag, dem sei das Opus-Hotel
in Yaletown wärmstens empfohlen.
Zimmer ab 200 Franken pro Nacht.
Infos: vancouver.opushotel.com
Essen & Trinken: Vancouver ist ein Paradies für Seafood-Liebhaber. Eine der
Topadressen ist das «Blue Water Cafe».
Infos: bluewatercafe.net. Wer deftiges
Frühstück liebt, darf den «Elbow Room»
an der Daviestreet nicht auslassen. Und
die Preise? Supergünstig. Edler lässt
sich im «Medina» (556 Beatty Street)
frühstücken. Unbedingt die herrlichen
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FOTOS: GETTY, PD (2)
senbild wie keuchende Jogger. Die Stadt
führte zwar schon früh Methadon-Programme ein und eröffnete die ersten
legalen Fixerstuben Nordamerikas.
Vancouver
Vancouver
Island
Seattle
Waffeln probieren. Am Wochenende proppenvoll.
Lieber unter der Woche vorbeischauen.
Auslüge: Mit dem Schiff nach Vancouver Island.
Infos: vancouverisland.travel
Internet: timeout.com/vancouver. Essen,
rinken, Nightlife, Ausflüge. Hier gibt’s alles.
Alles über Kanada am TV
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SA | 12. Januar | 11.30 | ZDFinfo
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SO | 13. Januar | 13.30 | ZDFinfo
Traumland Kanada Indianerküste
SO | 13. Januar | 20.15 | Phoenix