Kennen Sie Pizza?

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Kennen Sie Pizza?
Datum: 06.07.2015
Neue Zürcher Zeitung
8021 Zürich
044/ 258 11 11
www.nzz.ch
Medienart: Print
Medientyp: Tages- und Wochenpresse
Auflage: 114'209
Erscheinungsweise: 6x wöchentlich
Themen-Nr.: 721.024
Abo-Nr.: 1094406
Seite: 9
Fläche: 56'892 mm²
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«Kennen
Sie Pizza?»
Die italienische Küche ist in der Schweiz lange auf wenig Gegenliebe
gestossen - genauso wie die «Söhne des Südens» selber
Extrazug nach Italien am Zürcher Hauptbahnhof 1958.
Simon Hehli
Vor über 60 Jahren buk erstmals Schweiz ist. Es ist das Jahr 1954, Salva- einzige Pizzaiolo weit und breit. Doch
tore geht seinem Handwerk in der Piz- auf die Gesellschaft von Landsleuten
ein Pizzaiolo in Zürich echte
zeria Napoli an der Zürcher Sandstrasse muss er nicht verzichten. Ab Mitte der
neapolitanische Pizza im Holzofen. Bis das «Pendant zur einheimischen Wähe» allgegenwärtig wurde, verstrich aber
noch einige Zeit.
nach. Am offenen Feuerherd steht er 1950er Jahre strömen vor allem Südund dreht mit «südländischer Freude an italiener in die Schweiz, angelockt vom
der Gestik» die Knetmasse, wie die Nachkriegsboom, der mehr Arbeit
NZZ berichtet. Den Teig schmückt er schafft, als die Einheimischen schultern
dann nach eigenen Rezepten mit Käse, können. Die Saisonniers aus dem MezFischen, Oliven und anderen Zutaten, zogiorno, die nach neun Monaten wie-
Viel wissen wir nicht von Salvatore. Nur, «während das frische Pinienholz die der ausreisen müssen und weder Frau
noch Kinder mitnehmen dürfen, bleidass er aus Neapel stammt - und wahr- Steine des Backofens erwärmt».
Pionier Salvatore ist zwar noch der ben in vielem fremd. Auch in der Küche.
scheinlich der erste Pizzabäcker der
Medienbeobachtung
Medienanalyse
Informationsmanagement
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ARGUS der Presse AG
Rüdigerstrasse 15, Postfach, 8027 Zürich
Tel. 044 388 82 00, Fax 044 388 82 01
www.argus.ch
Argus Ref.: 58417144
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Das beruht vorerst auf Gegenseitigkeit. sieben verschiedenen Pizza-Sorten (bei- leichterung in der italienischen ExilDie Liebe zu Rösti und Raclette hält spielsweise mit oder ohne Sardellen, gemeinde hält aber nicht lange an. Die
sich bei den Italienern in Grenzen. Und Peperoni, Knoblauch, Kapern, Schin- Ölpreiskrise von 1973 stürzt die Weltdie Pizzeria Napoli fragt in einem Inse- ken oder Salami) seine Wahl treffen.» wirtschaft in eine Rezession, und auch
rat die potenzielle Kundschaft vorsichin der Schweiz macht sich ein Schreckbreit, das man nur noch vom
tig: «Kennen Sie Pizza?»
Geschniegelte Konkurrenten gespenst
Hörensagen kennt: die Arbeitslosigkeit.
Schachtelkäse auf Blätterteig Die NZZ ist erfreut, dass das Interieur Diese lagert die Wirtschaft grösstenteils
des «Santa Lucia» schlicht gehalten ist, nach Süden aus. Zehntausende Italiener
In der «Schweizer Illustrierten» er- auf «naheliegende folkloristische Spie- verlieren ihre Jobs und kehren heim.
scheint 1956 ein Inserat mit einem lereien» hätten die Architekten verRezept für «Pizza»: Blätterteig, Gruyre zichtet. Ein Glück also, dass keine kitoder Schachtelkäse, Tomatenpüree - schigen Darstellungen des Sonnenun-
Mehr als 2000 Pizzerien
nicht gerade das, was Salvatore unter tergangs vor Capri die helvetischen
dem berühmtesten Gericht seiner Hei- Gäste befremden. Trotz der erwachenmatstadt versteht. Ende der 1950er den Liebe zur Pizza und zu Italien als
Jahre finden sich auf dem Land auch im Feriendestination steht Mitte der
Kochtopf der innovativsten Schweizer 1960er Jahre nicht alles zum Besten im
Hausfrau noch kaum frische Tomaten, Verhältnis zwischen Alteingesessenen
wie sich Jahrzehnte später ein italieni- und Zuzügern. Die italienische Diasposcher Einwanderer erinnert.
ra ist auf eine halbe Million Menschen
Der kulinarische Siegeszug der Ita- angewachsen, fremdenfeindliche Töne
lianitä ist ein schleichender, kein stürmischer. Italienische Feinkostläden entste-
hen, aber sie richten sich vor allem an
heimwehkranke Auswanderer. Im Februar 1965 eröffnet in Zürich die Pizzeria Santa Lucia, die sich seither rühmt,
Rund 400 000 aber bleiben. Spätestens
in der zweiten und dritten Generation
gelingt vielen Italienern der soziale Aufstieg, neue Immigrantengruppen erben
ihre Rolle als Projektionsfläche der
Fremdenfeindlichkeit. Auch der Ruf der
mediterranen Küche bessert sich rasant.
Der Pasta-Konsum steigt und steigt in
den folgenden Jahrzehnten. Pizzerien
breiten sich aus. Sogar Schilder mit der beginnen auch auf dem Land das StrasAufschrift «Hunde und Italiener verbo- senbild zu prägen, als die Hürden für
ten» soll es geben, wie ein Gastarbeiter das Wirtepatent tiefer werden und sich
später der «WOZ» berichtet. Viele zahlreiche Kellner den Traum vom eigeSchweizer nehmen die «Tschinggen» nen Betrieb verwirklichen. Heute finnicht nur als Konkurrenten auf dem den sich im Telefonbuch weit über 2000
Wohnungs- und Arbeitsmarkt wahr, Einträge zum Stichwort «Pizzeria».
Einen Salvatore trifft man jedoch nur
sondern auch bei der Balz: Schrecklich,
die erste der Stadt mit Holzofen gewesen zu sein. Unter den «rührenden
Klängen zweier Drehorgeln» stattet diese geschniegelten Machos, die auf noch selten an einem Pizzaofen an.
auch die NZZ dem Lokal einen Besuch der Strasse hemmungslos den Schwei- Sechs Jahrzehnte nach den Pionieren
ab. Und lobt: «Es ist positiv zu werten, zer Frauen nachpfeifen und sie mit aus Neapel haben andere das Geschäft
dass es in unserer Stadt immer mehr Komplimenten eindecken, heisst es. übernommen - vor allem Albaner.
Restaurants gibt, welche - anstatt eine
Allerwelts-Speisekarte aufzulegen - einige wenige, für sie typische Spezialitäten führen und besonders pflegen.» Zuvorderst natürlich die Pizza, das «südländische Pendant unserer einheimi-
Und wie die gestikulieren und immer so
laut reden!
Der Nationalkonservative James
Schwarzenbach richtet seine Überfremdungsinitiative explizit gegen die «brau-
nen Söhne des Südens», deren Kultur
schen Wähen» - die Erklärung ist offen- nicht mit der einheimischen zu vereinen
bar immer noch nötig. «Je nach Ge- sei. Der Abstimmungskampf im Som-
schmack - und eventuell auch finanziel- mer 1970 ist hitzig, am Schluss lehnen
len Überlegungen - kann der Gast unter nur 54 Prozent die Initiative ab. Die Er-
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Jeweils zu Wochenbeginn beleuchtet
die NZZ ein vergangenes Schweizer
Ereignis. Dokumente und ein Video
aus dem NZZ-Archiv zu den ersten
hiesigen Pizzerien finden Sie auf:
nzz.c h/schweiz/schweizer-gesc hic hte
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