Das siebte Kreuz -6
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Das siebte Kreuz -6
Der Roman als historische Quelle Anna Seghers Das siebte Kreuz Illusionäre Hoffnungen einer antifaschistischen Autorin ? Facharbeit am Gymnasium Haren Fachlehrer: Herr Otte vorgelegt von: Verena Hocke Klasse 12/1 Haren (Ems), den 12.04.08 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung ........................................................................................................................ 3 2. Die Biographie der Autorin.............................................................................................. 4 3. Inhaltsangabe des Romans ............................................................................................... 5 4. Die Intention der Autorin................................................................................................. 6 5. Darstellung des NS-Staates – kritische Überprüfung ........................................................ 7 5.1. Das Volk im Nationalsozialismus............................................................................. 7 5.1.1. Der Alltag des Volkes im Nationalsozialismus.................................................. 7 5.1.2. Die Struktur des Widerstandes in Deutschland .................................................10 5.2. Das Regime - Die Repräsentanten des Nationalsozialismus ...................................12 5.3. Die Opfer des Nationalsozialismus - Die sieben Flüchtlinge....................................15 6. Quellen und historische Bezüge ......................................................................................16 7. Zusammenfassung ..........................................................................................................18 8. Literaturverzeichnis ........................................................................................................20 9.Anhang............................................................................................................................21 Schriftliche Versicherung der selbstständigen Anfertigung .................................................23 2 1.Einleitung Häufig, wenn man historische Romane liest und sich in die Lektüre vertieft, scheinen die Beschreibungen, die der Autor eines Romans liefert, zunächst so real, dass man nicht daran zweifeln mag, dass es zur dargestellten Zeit tatsächlich so war. Doch man sollte sich als Leser nicht dazu verleiten lassen, alles, was in historischen Romanen geschrieben steht, als „das Wahre“ anzunehmen, vielmehr sollte man sich die Frage stellen, inwieweit der Roman eine Fiktion des Autors ist und inwieweit er tatsächlich die historische Wirklichkeit darstellt. Um dies zu überprüfen, haben wir uns das Thema „Der Roman als historische Quelle“ als Rahmenthema für unsere Facharbeiten genommen. Ich habe mir hierzu den Roman „Das siebte Kreuz“ von Anna Seghers ausgewählt, der zur Zeit des Nationalsozialismus spielt. Anhand der Fluchtgeschichte von sieben Häftlingen aus einem KZ stellt die Autorin Deutschland um 1937 dar. Da Anna Seghers, wie ich erfahren habe, Deutschland nach der Machtergreifung Hitlers verlassen musste und diesen Roman im Exil geschrieben hat, stellt sich für mich die Frage, inwieweit das Bild, das sie in ihrem Roman von Deutschland zeichnet, realistisch ist. Das Ziel meiner Facharbeit ist es hier, gemäß der Fragestellung zu überprüfen, ob es nicht vielmehr „illusionäre Hoffnungen“ der Autorin waren, die sie aus der Ferne des Exils das Bild eines „besseren“ Deutschlands zeichnen ließen. Hierzu werde ich zunächst auf die Autorin und den Inhalt ihres Romans eingehen, um eine Basis für die Auseinandersetzung mit der Thematik zu legen. Im Folgenden werde ich die Intention der Autorin darlegen und schließlich ihre Darstellung des NSStaates kritisch überprüfen. Besonders wichtig halte ich es hierbei auf ihre Darstellung des Volkes, des Regimes und der Opfer des Nationalsozialismus einzugehen. Die Darstellungen der Autorin werde ich mit der historischen Wirklichkeit abgleichen und schließlich auch unter Einbezug ihrer Quellen und verwendeter historischer Bezüge ein Fazit ziehen, inwieweit Anna Seghers ein reales Bild von Deutschland um 1937 zeichnet und der Roman als historische Quelle geeignet ist. 3 2. Die Biographie der Autorin1 Anna Seghers, die mit bürgerlichen Namen Netty Reiling hieß, wurde am 19.11.1900 in Mainz als einzige Tochter einer angesehenen und wohlhabenden jüdischen Familie geboren. Nach ihrem Studium der Kunst- und Kulturgeschichte (1920-1924) an den Universitäten in Heidelberg und Köln heiratete sie 1925 den ungarischen Schriftsteller und Soziologen Laszlo Radvanyi. Sie schloss sich der Arbeiterbewegung an und trat 1928 der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) bei. Im selben Jahr veröffentlichte sie ihr erstes Buch „Aufstand der Fischer von St. Barbara“, welches mit dem Kleist-Preis ausgezeichnet wurde. Ab 1929 engagierte Anna Seghers sich auch im Bund proletarisch revolutionärer Schriftsteller (BPRS). Nach der Machtübernahme Hitlers 1933 floh sie mit ihrer Familie über die Schweiz nach Frankreich. In Paris arbeitete sie dann als Redaktionsmitglied der antifaschistischen Zeitschrift „Neue Deutsche Blätter“, die sie zusammen mit anderen im Exil lebenden Schriftstellern in Prag herausgab. Des Weiteren nahm sie aktiv an Versammlungen und Kongressen teil, bei denen sie immer wieder zum Widerstand gegen Hitler aufrief. Nach dem Einmarsch deutscher Truppen in Frankreich (1940) gelang es der Familie über Marseille nach Mexiko City zu fliehen. Während der Zeit im Exil schrieb Anna Seghers eine Vielzahl an Erzählungen und Romanen. Zu den zentralen Themen gehörten der Kampf der Unterdrückten und Ausgebeuteten, Faschismus, Leben im Exil und später auch die Entwicklung in der Nachkriegszeit. Eines ihrer berühmtesten Werke ist der Roman „Das siebte Kreuz“, an dem sie von 1937-1939 im Pariser Exil arbeitete. 1947 kehrte die Familie Seghers schließlich aus dem Exil nach Deutschland zurück, wo sie sich in Ostberlin niederließ. 1 Vgl. Gisela Brinker-Gabler, Karola Ludwig und Angela Wöffen (Hg.), Lexikon deutschsprachiger Schriftstellerinnen 1800-1945. München: Deutscher Taschenbuch Verlag, 1986, S.280f. sowie Michael Zimmer, Anna Seghers: Das siebte Kreuz: Erläuterungen -Interpretationen- Materialien- Hinweise zum Unterricht. Hollfeld: Beyer-Verlag, 3 2001 (1995), S.84-92 4 Bereits im selben Jahr erhielt Anna Seghers den Georg-Büchner-Preis für ihren Roman „Das siebte Kreuz“, 1952 wurde ihr dann der Nationalpreis der DDR verliehen. Von 1952-1978 war sie als Vorsitzende des Schriftstellerverbandes der DDR aktiv. Anna Seghers starb 1983 in Berlin. 3. Inhaltsangabe des Romans Der Roman „Das siebte Kreuz“ von Anna Seghers spielt in Deutschland zur Zeit des Nationalsozialismus. Im Herbst 1937 fliehen sieben Häftlinge aus dem Konzentrationslager in Westhofen in der Nähe von Worms. Bei den Flüchtlingen handelt es sich um Beutler, Pelzer, Belloni, Wallau, Füllgrabe und Aldinger sowie um Georg Heisler, den Protagonisten des Romans. Der erste der sieben Flüchtlinge, Beutler, wird direkt nach dem Ausbruch in unmittelbarer Nähe des KZs gefasst und auch Pelzer wird noch am selben Tag festgenommen. Am darauf folgenden Tag stürzt sich Belloni, von der SS in die Enge getrieben, vom Dach eines Hotels und auch Wallau gelingt es nicht, seinen Verfolgern zu entkommen. Die Lage im KZ in Westhofen wird unterdessen immer unruhiger und in seiner Wut lässt der Lagerkommandant Fahrenberg anordnen, sieben Platanen zu kappen und diese mit Querbalken zu versehen. An den so entstandenen Kreuzen will er die Flüchtlinge innerhalb von sieben Tagen hängen sehen. Der Kommunist Georg Heisler, dessen Flucht im Mittelpunkt des Romans steht, hat einen Vorort Frankfurts als Ziel, wo er Leni, eine alte Schulfreundin, aufsuchen und um Hilfe bitten will. Er entgeht mehrere Male knapp der Festnahme durch die Gestapo, die bereits eifrig nach den Entflohenen fahndet. Unter anderem durch Menschen wie den Pfarrer Seitz, die mal mehr, mal weniger bewusst seine Spuren verwischen und insbesondere durch die Hilfe des jüdischen Arztes Dr. Löwenstein, der Georgs Hand, die er sich bei der Flucht verletzt hat, behandelt, gelingt es ihm schließlich, sich nach zwei harten Tagen der Flucht bis zu Leni durchzuschlagen. Leni jedoch weist ihn aus Angst zurück und so 5 entschließt Georg zu Frau Marelli, einer Kostümschneiderin und Bekannten Bellonis, zu gehen, die ihm Kleidung und Geld gibt. Unterdessen werden alle, die Georg bei der Flucht helfen könnten, von der Gestapo beschattet. Zufällig trifft Georg auf Füllgrabe, der sich der Gestapo stellen will. Georg hingegen lässt sich nicht überreden, sich auch zu melden, sondern er fasst nach reiflicher Überlegung den Entschluss, sich an seinen Jugendfreund Paul Röder zu wenden. Dieser hilft ihm, obwohl er genau weiß, dass er dadurch auch sich und seine Familie in Gefahr bringt. Paul Röder weiß zunächst nicht, an wen er sich wenden soll. Schließlich bittet er jedoch seinen Arbeitskollegen Fiedler um Hilfe, der Georg gefälschte Papiere besorgt. Unterdessen stirbt Aldinger, auf dem Weg in sein Heimatdorf, an Erschöpfung. Georg ist nun der einzige der ehemals sieben Entflohen, der sich noch auf der Flucht befindet. Letztendlich gelingt es ihm, sich nach sieben Tagen der Flucht auf einen holländischen Frachtkahn zu retten und Deutschland so zu verlassen. Das siebte Kreuz bleibt leer. 4. Die Intention der Autorin Anna Seghers hatte die Absicht in ihrem Roman „Das siebte Kreuz“ Deutschland zur Zeit des Nationalsozialismus darzustellen. Sie wollte „in das Innere dieser faschistischen Gesellschaft eindringen, es bloßlegen (…)“2. In ihrem Roman konfrontiert sie die Leser mit den Grausamkeiten des Regimes, um ihnen klar zu machen, dass sich so etwas wie zur Zeit des Nationalsozialismus nicht wiederholen darf. Zugleich zeigt sie, dass nicht alle Deutschen Nationalsozialisten waren, sondern, dass es auch „moralisch lautere Menschen gegeben hat“3. 2 Alexander Stephan, Anna Seghers: Das siebte Kreuz: Welt und Wirkung eines Romans. Berlin: Taschenbuchverlag, 1997. Zit. n.: Rüdiger Bernhardt, Anna Seghers: Das siebte Kreuz: Königs Erläuterungen. Hollfeld: Bange Verlag, 4 2006 (2001), S.17 3 Rüdiger Bernhardt, a.a.O., S.5 6 5. Darstellung des NS- Staates – kritische Überprüfung Im Folgenden werde ich überprüfen, inwieweit Anna Seghers mit ihrem Roman ihrer Absicht, ein realistisches Bild von Deutschland um 1937 zu zeichnen, nachkommt. Da der Roman hier jedoch eine solche Vielzahl an Details liefert, ist es notwendig sich auf die wesentlichen Aspekte des Romans zu beschränken. 5.1. Das Volk im Nationalsozialismus 5.1.1. Der Alltag des Volkes im Nationalsozialismus Anna Seghers verschafft dem Leser durch „ein vielfältiges Mosaik von Szenen aus dem Alltag“4 ein Bild davon, wie sich der Nationalsozialismus auf das Leben des einfachen Volkes auswirkte und es prägte. Als das KZ in Westhofen errichtet wurde, waren die Bewohner des Dorfes zunächst „beklommen“5 und hatten Mitleid mit den „armen Teufeln“6, doch mit der Zeit gewöhnten sie sich an das KZ. Für die Jugendlichen, die das Lager von klein auf kennen, gehört es zum Alltag und auch die älteren Dorfbewohner finden sich mit den Gegebenheiten ab. 7 Obwohl hinter dem Mauern des KZs den Menschen Schreckliches widerfährt, scheint auf den ersten Blick außerhalb des KZs der normale Alltag der Bevölkerung weiterzugehen. Dies wird im Roman besonders an dem Geschehen rund um den Hof der Familie Marnet aufgezeigt. Franz Marnet geht wie immer seiner Arbeit in den Höchster Farbwerken nach, man beginnt mit der Apfelernte und auch der Schäfer Ernst lässt seine Schafe auf den Feldern weiden und scheint ganz unbetroffen von den Veränderungen, die der Nationalsozialismus mit sich gebracht hat.8 4 Bernhard Spies, Anna Seghers: Das siebte Kreuz: Grundlagen und Gedanken. Frankfurt am Main: Diesterweg,21997, S.38 5 Anna Seghers, Das siebte Kreuz. Berlin: Aufbau Verlag, 272007 (1946), S.84 6 Ebenda 7 Vgl. Ursula Elsner, Anna Seghers: Das siebte Kreuz: Oldenbourg Interpretationen. München: Oldenbourg Verlag, 1999, S.36 8 Vgl. Anna Seghers, a.a.O., S.11ff. 7 Doch dieser Schein trügt, denn „das siebte Kreuz konfrontiert den Leser mit einer eindringlichen Schilderung, wie die totalitäre Herrschaft jenseits der KZ Mauern funktioniert.“9 Auf den Straßen begrüßt man sich längst nicht mehr mit einem einfachen „Hallo“, sondern die Menschen werden regelrecht zum Hitlergruß genötigt und das überall ertönende „Heil Hitler!“ wird zur Normalität. Das Volk soll für den Führer und seinen Staat begeistert werden, so wird am Beispiel der Familie Röder aufgezeigt, welche Vergünstigungen die Familien vom Staat erhalten. Paul und seine Frau Liesel „ genießen die Unterstützung für kinderreiche Familien, die staatlichen Glückwünsche für Liesel zur Geburt der Kinder, freie Windeln, NS -Volkswohlfahrt und Kraft durch Freude10.“11 Obwohl Alexander Stephan der Auffassung ist, dass Anna Seghers in ihrem Roman allzu diskret mit dem Thema Antisemitismus umgehe12, lassen sich im Buch zahlreiche Situationen finden, die den alltäglichen Antisemitismus aufzeigen.13 Ein Beispiel hierfür ist eine Szene, in der der Tapeziermeister Alfons Mettenheimer ein Haus renoviert, was zuvor von Juden bewohnt war. Der neue Mieter „ hatte alles ausräuchern lassen, was ihn an Juden erinnerte, ein Wunsch, dem die Firma Heilbach gern entgegenkam.“14 An der Person Mettenheimers wird hier auch gezeigt, dass viele Menschen, wie er, zwar den Antisemitismus verachten, aber genötigt sind ihn hinzunehmen. Ihm ist der politische Anlass für die Renovierung der Wohnung bewusst, er nimmt es aber so hin, da ihm ein Einwand seinen Arbeitsplatz und somit seine Lebensgrundlage kosten kann. Indem er jedoch seiner Arbeit nachgeht und das antisemitische Verhalten der 9 Bernhard Spies, a.a.O., S.38 „Die NS-Gemeinschaft „Kraft durch Freude“, eine Unterorganisation der Deutschen Arbeitsfront, war die massenwirksamste und wohl auch populärste Organisation des NS-Regimes. Im Rahmen ihrer Aktivitäten bot sie ein umfangreiches kulturelles und touristisches Freizeitprogramm (…).Neben dem Ziel des Abbaus „bürgerlicher“ Privilegien und der Schaffung einer Volksgemeinschaft sollten die KdF-Veranstaltungen aber ebenso der Entspannung, der Regeneration und der Erhöhung der Arbeits- und Produktionsleistungen dienen.“ ( Wolfgang Benz, Hermann Graml und Hermann Weiß (Hgg.), Enzyklopädie des Nationalsozialismus. München: Deutscher Taschenbuch Verlag, 31998 (1997) , S.550) 11 Ursula Elsner, a.a.O., S.74 12 Vgl. Alexander Stephan, Anna Seghers: Das siebte Kreuz: Welt und Wirkung eines Romans. Berlin: Taschenbuchverlag, 1997. Zit. n.: Ursula Elsner, a.a.O., S.34f. 13 Vgl. Ursula Elsner, a.a.O., S.35 14 Anna Seghers, a.a.O.,S.87 10 8 Anhänger des Nationalsozialismus duldet, dient er indirekt der nationalsozialistischen Herrschaft und wird so zum Mitläufer.15 So wie das Leben von Alfons Mettenheimer ist der Alltag vieler Menschen im Roman von der Furcht vor dem Regime geprägt, viele schließen sich nicht aus Überzeugung der Partei Hitlers an, sondern vielmehr um „ in Ruhe arbeiten, heiraten und erben (zu können), was (…) sonst ohne Zweifel unmöglich (wäre)“16. Auch hier wird nochmals deutlich, wie auch schon Ursula Elsner hervorgehoben hat, dass man sich mit den Gegebenheiten abfindet, weil man scheinbar nichts dagegen tun kann, ohne sich oder seine Angehörigen in Gefahr zu bringen. 17 Schon im ersten Kapitel wird an der Person Holzklötzchen gezeigt, wie schnell man sich durch ein falsches Wort, das von einem Spitzel aufgeschnappt wird, in Lebensgefahr bringen kann. Holzklötzchen wird verhaftet und aufs Übelste zugerichtet. Laut Ursula Elsner waren solche Denunziationen an der Tagesordnung.18 In jedem Ort, jeder Arbeitsbrigade, jedem Mietshaus und fast jeder Familie habe es Leute gegeben, vor denen man sich in Acht nehmen musste.19 Bernhard Spies macht des Weiteren darauf aufmerksam, dass dieses Spitzelwesen für die Machthaber sehr erfreulich gewesen sei, da solche privaten Denunzianten nicht nur an öffentlichen Orten, sondern besonders auch im Arbeitsleben und der Privatsphäre präsent waren, wo die offizielle Überwachung durch die Gestapo unangebracht oder nicht möglich war.20 Neben der vorherrschenden Furcht wird jedoch auch die Euphorie für den Nationalsozialismus, die Teile der Bevölkerung erfasst, beschrieben. Besonders die Begeisterung der jungen Generation, die im Nationalsozialismus aufwächst, wird von Anna Seghers dargestellt. In dem Roman werde deutlich, so Ursula Elsner, dass die nationalsozialistische Erziehung flächendeckend zu funktionieren scheint, sie habe dazu geführt, „dass die jungen Leute, die immer alles besser 15 Vgl. Bernhard Spies, a.a.O. S.38 Anna Seghers, a.a.O., S.283 17 Vgl. Ursula Elsner, a.a.O., S.36 18 Vgl. a.a.O., S. 83f. 19 Vgl. a.a.O., S.94 20 Vgl. Bernhard Spies, a.a.O., S.39 16 9 wissen wollen“, jetzt nicht mehr „das Gute besser wissen wollten“, sondern „das Böse“ besser wussten.21 Dies beschreibt die Situation im Dritten Reich sehr gut, denn schon die Kinder und Jugendlichen wurden regelrecht mit der Weltanschauung der Nationalsozialisten „indoktriniert“22. Nicht nur in den Schulen und nationalsozialistischen Erziehungsanstalten, sondern in allen Bildungseinrichtungen, die von der Gleichschaltung betroffen waren, wurden Fahnenappelle und Rassenkunde durchgeführt.23 Alexander Stephan ist hier zwar der Auffassung, dass der Roman die Brutalität und Radikalität der Gleichschaltung in den Dörfern zwischen Mainz und Worms nicht in ihrer vollen Schärfe wiedergebe24, doch trotzdem, so Ursula Elsner, komme Anna Seghers in ihrem Roman der politischen Situation und dem Alltag des Jahres 1937 sehr nahe. 25 Auch Bernhard Spies kommt zu dem Schluss, dass nach allem was man aus der historischen Forschung der letzten Jahrzehnte wisse, das Bild, was Anna Seghers in ihrem Roman „Das siebte Kreuz“ vom Elend des Dritten zeichne, nicht nur treffend, sondern erstaunlich komplett sei.26 5.1.2. Die Struktur des Widerstands in Deutschland Eine einheitliche Widerstandsbewegung gegen die NS-Diktatur hat es in Deutschland nicht gegeben. Es gab zwar sowohl organisierte Widerstandsgruppierungen als auch Einzelpersonen, die gegen das Regime vorgegangen sind, diese bildeten aber eine geringe Minderheit. Kurze Zeit nach der Machtergreifung Hitlers waren es besonders sozialdemokratische, kommunistische und andere links orientierte Gruppen, die aktiv wurden. Durch das Eingreifen der Gestapo und der SS wurden diese, insbesondere die kommunistischen Widerstandsgruppen, größtenteils innerhalb der ersten zwei Jahre nach der Machtergreifung vernichtet.27 21 Vgl. Ursula Elsner, a.a.O., S.95 sowie bei Anna Seghers, a.a.O., S. 85 Ursula Elsner, a.a.O., S.31 23 Vgl. ebenda 24 Vgl. Alexander Stephan, a.a.O. Zit. n.: Ursula Elsner, a.a.O., S.33 25 Ursula Elsner, a.a.O., S.37 26 Vgl. Bernhard Spies, a.a.O., S.40 27 Vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Widerstand_gegen_den_ Nationalsozialismus; 24.02.2008 22 10 Viele Widerstandsromane von kommunistischen Exilautoren, die etwa zur gleichen Zeit entstanden wie „Das siebte Kreuz“ (1937), bieten hier vielmehr eine illusorische Beschreibung der kommunistischen Widerstandsbewegung, insbesondere ihrer Organisation, so Hans Albert Walter.28 „In den (…) geschriebenen Widerstandsromanen (…) gibt es durchweg weit verzweigte, illegale Organisationen, geheime Zellensitzungen, Verbindungen von Stadt zu Stadt, man liest von Flugblättern und Betriebszeitungen, von roten Fahnen, die über Nacht auf Kirchtürmen oder Fabrikschornsteinen angebracht wurden und es wird von Zeichen des Widerstandes in Arbeitslagern und Fabriken, bei der SA und der Wehrmacht berichtet.“29 Solche Ausprägungen des Widerstands hat es um 1937 jedoch kaum noch gegeben, denn schon „ während sich das NS - Regime festigte, lichteten sich die Reihen der Kommunisten immer schneller“30. Dies macht auch Anna Seghers in ihren Roman deutlich, als ein kommunistischer Häftling berichtet: „Gleich im ersten Monat der Hitlerherrschaft hatte man Hunderte unserer Führer ermordet, in allen Teilen des Landes, jeden Monat wurden welche ermordet.“31 Hans Albert Walter ist der Auffassung, dass sich auch an der Situation im Roman, die Paul Röder erlebt, als er versucht, Georg Heisler zu helfen, sehr gut erkennen lasse, dass Anna Seghers sich von illusorischen Beschreibungen des kommunistischen Widerstands entferne. Es gestalte sich für ihn als sehr schwer, Kontakte zu einem im illegal organisierten Widerstand arbeitenden Kommunisten aufzunehmen. Hieraus folgert Walter, dass nicht etwa gezeigt werden solle, wie gut getarnt diejenigen vorgingen, die im illegalen Widerstand aktiv waren, sondern vielmehr, dass kaum noch Verbindungen bestanden. Die Kontakte seien aufs Nötigste beschränkt gewesen, um jeglicher Gefahr aus dem Weg zu gehen.32 Anna Seghers ist sich dieser Tatsache bewusst und macht im Roman, wie schon Albert Walter betont hat, sehr deutlich, dass es sich für Paul Röder als schwierig erweist, Kontakte aufzunehmen. 28 Vgl. Hans Albert Walter, Eine deutsche Chronik: Das Romanwerk von Anna Seghers aus den Jahren des Exils. In: Anna Seghers aus Mainz. Mainz:Krach-Verlag, 1973. Zit. n.: Bernhard Spies, a.a.O., S.89 29 Ebenda 30 Wolfgang Benz, Geschichte des Dritten Reiches. München: C. H. Beck, 2000, S.118 31 Anna Seghers, a.a.O., S.164 32 Vgl. Hans Albert Walter, a.a.O., S.89 11 Paul ist verzweifelt und spricht zu sich selbst: „Wie aber kann ich denn überhaupt einen finden? Die Schlechten verraten mich, die Guten verstecken sich. Sie verstecken sich viel zu gut.“33 Letztendlich gelingt es Röder jedoch, durch die Hilfe seines Arbeitskollegen Fiedler, zu den wenigen kommunistischen Parteigenossen, die noch im Untergrund aktiv sind, Kontakt aufzunehmen, die schließlich Papiere für Georg besorgen. In dieser Szene wird die Hoffnung der kommunistischen Autorin widergespiegelt: „Man war also nicht mehr in der Schwebe. Die alten Fäden waren wieder geknüpft oder nie gerissen.“34 Hier ist es zugleich bewundernswert, dass sie in ihrem Roman trotz dieser Hoffnung, die sie hatte, im Gegensatz zu vielen anderen kommunistischen Autoren, keine unrealen Beschreibungen des kommunistischen Widerstands liefert. Vielmehr macht sie deutlich, dass es nicht nur dem Einsatz der Kommunisten zu verdanken ist, dass Georg Heisler gerettet wird, sondern dem Einsatz von einfachen Leuten, wie Dr. Löwenstein und Frau Marelli, die nicht aus politischer Überzeugung heraus, sondern vielmehr aus Menschlichkeit handeln. 35 Auch sie, die nur eine kleine Minderheit darstellen, leisten auf diese Art und Weise Widerstand gegen das Regime. 5.2. Das Regime - Die Repräsentanten des Nationalsozialismus Anna Seghers räumt laut Ursula Elsner den Anhängern des Nationalsozialismus einen Platz ein, der einer realitätsnahen Darstellung entspreche.36 Die Brutalität und Skrupellosigkeit Hitlers Regimes wird beispielhaft anhand des Verhaltens des Lagerkommandanten Fahrenberg dargestellt. Nach der Flucht der sieben Häftlinge setzt dieser alles daran, die Entflohenen zu ergreifen. Die Suche entwickelt sich zu einer regelrechten 33 Anna Seghers, a.a.O., S.323 a.a.O., S.355 35 Vgl. Ursula Elsner, a.a.O., S.74 36 Vgl. a.a.O., S.89 34 12 „Jagd“37. Die Flüchtlinge werden von den Nationalsozialisten nicht als Menschen, sondern als Beute betrachtet. Dies wird besonders daran deutlich, wie der Flüchtling Belloni von ihnen in die Enge getrieben wird.38 An den einzelnen Verhören, die Fahrenberg ansetzt, insbesondere an dem Verhör von Wallau39, der am dritten Tag nach der Flucht aus dem KZ gefasst wird, zeigt Anna Seghers dem Leser auf, dass die Nationalsozialisten nicht nur physische Gewalt anwenden. Schon an ihrer Befragungstechnik wird deutlich, dass sie regelrechten Psychoterror betreiben und so versuchen, denjenigen den sie verhören zu manipulieren40 und ihm mit „berechnender List und intelligenter Skrupellosigkeit“41 Informationen zu entlocken. Schließlich lässt Fahrenberg in seinem Zorn über die gelungene Flucht sieben Platanen kappen und zu Kreuzen errichten.42 An diese will er die wieder eingefangen Flüchtlinge binden, um sie zu erniedrigen und die anderen KZ Insassen abzuschrecken. Fahrenberg stellt laut Michael Zimmer einen gesellschaftlichen Menschentypus dar, der durch Kriegserfahrung und –gewöhnung nicht den Weg ins bürgerliche Leben gefunden hat. Er orientiere sich an autoritären Idealen und suche in der NS-Bewegung Halt und Sinn für sein gescheitertes Leben.43 Auf dieses Motiv weist auch Ursula Elsner hin: „Unzufriedenheit, Lebensangst und innere Leere trieben viele (wie auch Fahrenberg, Anm. d. Verf.) schon vor 1933 in nationalsozialistische Kampforganisationen wie den „Stahlhelm“, wo sie das Sozialprestige erlangen konnten, was ihnen als Angehörigen der Mittelschicht oft versagt blieb.“44 Fahrenbergs Allmachtphantasie, seine Lust, Macht und Herrschaft über andere auszuüben werde angesichts der Flucht fragwürdig. 45 37 Anna Seghers, a.a.O., S.86 Vgl. a.a.O., S.104 ff. 39 Vgl. a.a.O., S.181 ff. 40 Vgl. Bernhard Spies, a.a.O., S.37 41 Michael Zimmer, a.a.O., S.42 42 Vgl. Anna Seghers, a.a.O., S.146 43 Vgl. Michael Zimmer, a.a.O., S.38f. 44 Ursula Elsner, a.a.O., S.91 45 Vgl. Michael Zimmer, a.a.O., S.38 38 13 Schließlich gelingt es Fahrenberg nicht, Georg Heisler wieder einzufangen und seine gelungene Flucht wird so zu Fahrenbergs Niederlage. Häufig wird daher die gelungene Flucht als Zeichen der Schwäche des Faschismus gedeutet46, sie scheint somit auch die Schwäche des Regimes darzustellen. Dass dies jedoch nicht der Fall ist, wird im Roman daran deutlich, dass Fahrenberg, der Schwäche gezeigt hat, mitsamt der kompletten Lagerleitung abgesetzt wird47, da das Regime keine Schwäche duldet. Die Autorin macht durch die gelungene Flucht und Niederlage des Lagerkommandanten Fahrenbergs zwar deutlich, dass sie die Hoffnung hatte das der Nationalsozialismus überwindbar ist48, dass sie jedoch zu dem Zeitpunkt, als sie den Roman schrieb (1937-39), an ein Ende des Nationalsozialismus glaubte, ist unwahrscheinlich, da zu dieser Zeit kein baldiges Ende der Hitlerherrschaft absehbar war. Dies hat auch schon Inge Diersen betont: „Die geglückte Flucht des einen zeigt an, dass die Macht der Herrschenden nicht so total ist wie ihr scheinbar bestätigter Anspruch. Sie signalisiert nicht sich bereits vollziehende Veränderung, sondern Veränderbarkeit.“49 Zudem wird im Roman ein neuer Lagerkommandant eingesetzt, Sommerfeld. Dieser ist im Gegensatz zu Fahrenberg kein unberechenbarer Schläger, sondern ein Stratege.50 Dieser Vorgang verweist laut Bernhard Spies vielmehr auf eine generelle Entwicklung des Nationalsozialismus nach der Machtergreifung: „Die „Kämpfer“51 werden zu „kalten“ Funktionären des zunehmend institutionalisierten Gewaltapparats oder sie werden abgelöst. Der nationalsozialistischen Gleichschaltung aller staatlichen und gesellschaftlichen Institutionen entspricht eine institutionelle Verfestigung der faschistischen Bewegung. Damit ist die Stunde der kalkulierenden Opportunisten gekommen, welche die verschiedenen Funktionen des faschistischen Staates vom Folterknecht bis zum Schreibtischtäter als 46 Vgl. Rüdiger Bernhardt, a.a.O., S.87 Vgl. Anna Seghers, a.a.O., S.407 48 Vgl. Rüdiger Bernhardt, a.a.O.,S.87 49 Inge Diersen, Anna Seghers: Das siebte Kreuz. In: Weimarer Beiträge 18, 1972,H.12, S.110. Zit. n.: Bernhard Spies, a.a.O., S.67 50 Vgl. Ursula Elsner, a.a.O., S.90 51 Alte Kämpfer nannte man die Angehörigen der NSDAP, der SS, SA und anderer Verbände, die bereits vor der Machtergreifung 1933 für den Nationalsozialismus gekämpft hatten. (vgl. Wolfgang Benz, Hermann Graml und Hermann Weiß (Hgg.), a.a.O., S.539) 47 14 ebenso viele Karrierechancen betrachten und in dieser Karriere einen guten Grund für ihre Mittäterschaft sehen.“52 Im Gegensatz zu vielen anderen Autoren, wie unter anderem Ödon von Horváth, der in seinem Roman „Jugend ohne Gott“ ( 1937) die Nationalsozialisten aus eigener Ablehnung gegen das NS – Regime heraus charakterisiert und hierbei als einzigen vorstellbaren Grund für das „Mitmachen“ und die Anpassung an die NS – Herrschaft die Identifikation mit dem Faschismus sieht, nennt Anna Seghers, wie besonders an der Person Fahrenberg deutlich wird, Motive für die Hinwendung zum Nationalsozialismus. Sie versucht das Verhalten der Nationalsozialisten nachzuvollziehen, ohne dieses jedoch zu billigen. 53 Hier wird nochmals deutlich, dass Anna Seghers eine differenzierte und wirklichkeitsgetreue Darstellung der Nationalsozialisten anstrebt. 5.3. Die Opfer des Nationalsozialismus - Die sieben Flüchtlinge Die sieben Flüchtlinge kommen aus verschiedenen sozialen Schichten. Sie stehen repräsentativ für die Opfer des Nationalsozialismus. Georg Heisler wurde verhaftet, weil er im kommunistischen Widerstand aktiv war, ebenso Wallau, der kommunistischer Funktionär und Reichstagsabgeordneter der KPD war. Beutler, der Lebensmittelverkäufer, wurde aufgrund seiner jüdischen Herkunft festgenommen und Belloni, der Zirkusartist, weil er Kontakte zur französischen Künstler-Loge unterhielt. Aldinger, der ehemalige Bürgermeister von Unterbuchenbach, gelangte durch Intrigen des jetzigen Bürgermeister Wurz ins KZ und Füllgrabe aufgrund eines Devisenvergehens. 54 Die im Roman angedeutete Häftlingsklientel entspreche der zweiten Phase der Entwicklung der Konzentrationslager, die in drei Etappen verlief, so Ursula Elsner.55 52 Bernhard Spies, a.a.O., S.36 Vgl. a.a.O., S.59f. 54 Vgl. Ursula Elsner , a.a.O., S.83 sowie Michael Zimmer, a.a.O., S.23 ,S.32ff. 55 Vgl. Ursula Elsner, a.a.O., S.83 53 15 „Ging es bei der Errichtung der Lager ab 1933 in erster Linie um die Ausschaltung der politischen Opposition (Kommunisten, Sozialdemokraten, Gewerkschafter), so kamen ab 1937 weitere missliebige Personengruppen hinzu ( Juden, Sinti und Roma, Homosexuelle, oppositionelle Geistliche, so genannte Asoziale)(…).“56 Die sieben Flüchtlinge lassen aufgrund ihrer unterschiedlichen Herkünfte und der unterschiedlichen Gründe für ihre Inhaftierung darauf schließen, dass die nationalsozialistische Diktatur ihre Gleichschaltungspolitik radikal durchsetzte.57 An den Flüchtlingen soll beispielhaft gezeigt werden, dass potentiell jeder vom Regime bedroht wurde. Das eigene Leben war in Gefahr, sobald man aus irgendwelchen Gründen, seien dies politische, rassische, religiöse oder andere, der NS-Macht als verdächtig erschien. 58 Weiterhin entspreche das Scheitern von sechs Fluchtversuchen der politischen Situation von 1937. Anna Seghers liefere somit eine ungeschönte Wirklichkeitsdarstellung.59 6. Quellen und historische Bezüge Anna Seghers, die ihren Roman „Das siebte Kreuz“ im Pariser Exil schrieb, ließ sich von Flüchtlingen die Zustände in ihrem Heimatland schildern und hielt Briefkontakt zu Bekannten, um so genaue Informationen über die Situation in „ Nazideutschland“ zu erhalten. Ihre lokalen und territorialen Kenntnisse, die sich im Buch wieder finden lassen, erhielt sie aus Gesprächen, insbesondere mit Lore Wolf60, die Anna Seghers Auskünfte über ihre Heimatstadt Frankfurt gab. Anna Seghers stützte sich bei ihren Schilderungen auch auf den Bericht „Four weeks in the hands of Hitler´s hell hounds. The Nazi murder camp of Dachau.“ des KPD–Zentralkomitee-Mitglieds Hans Beimler sowie auf den des Sozialdemokraten und Reichstagsabgeordneten Gerhard Seghers mit dem 56 Hans Berkessel, Begleitheft zur Ausstellung „Ehemaliges KZ Osthofen“. Landeszentrale für politische Bildung Rheinland-Pfalz, Mainz, 1996 . Zit. n.: Ursula Elsner, a.a.O., S.83 57 Vgl. Ursula Elsner, a.a.O., S.83 58 Vgl. Michael Zimmer, a.a.O., S.36 59 Vgl. Ursula Elsner, a.a.O., S.141 60 Lore Wolf war Mitglied der illegalen Bezirksleitung der Roten Hilfe in Hessen (1933/34) und arbeitete später für die Flüchtlingshilfe in Frankreich sowie in der Schweiz. ( vgl. a.a.O., S. 165) 16 Titel „Oranienburg. Erster authentischer Bericht eines aus dem Konzentrationslager Geflüchteten“. Weiterhin gab es, als die Autorin mit dem Schreiben ihres Romans begann, schon zeitgenössische Romane wie „Die Moorsoldaten“ (1935) von Wolfgang Langhoff und „Die Straße“ (1936) von Jan Petersen, an denen sie sich orientieren konnte.61 Die Idee mit den Kreuzen beruht auf einer wahren Begebenheit. Ein Flüchtling hatte Anna Seghers davon berichtet, wie ein KZ – Häftling an ein solches gebunden wurde.62 Des Weiteren bezog Anna Seghers ihre Informationen aus einer umfangreichen Sammlung von Zeitungsausschnitten, Fotografien, Büchern und Schriften aus dem Internationalen Antifaschistischen Archiv des Schutzverbandes Deutscher Schriftsteller in Paris. Die Tatsache, dass es für viele der im Roman geschilderten Begebenheiten Entsprechungen in Pressemeldungen gibt, zeigen laut Ursula Elsner Anna Seghers´ Anspruch auf Authentizität.63 Zudem bestehen viele Parallelen zwischen den Biografien der im Roman vorkommenden Figuren und realen Personen. Es lassen sich für fast alle Romanfiguren Entsprechungen in der Wirklichkeit finden. Die Flucht des Protagonisten ähnle der Flucht des bekannten Mainzer Rechtsanwalts Max Tschornicki, die wie die Flucht Georg Heislers von solidarischen Aktionen begleitet wurde. Im Gegensatz zu Georg gelang ihm die Flucht jedoch nicht, sondern er wurde 1942 in Frankreich von der Gestapo gefasst und später im Konzentrationslager in Dachau ermordet. Es sei nicht unwahrscheinlich, dass sein spektakulärer Ausbruch Anna Seghers als Modell diente, da sie über Zeitungsartikel und Emigrantenberichte davon Kenntnis gehabt haben müsste. Dem Westhofener Lagerkommandanten Fahrenberg entspreche der in Osthofen geborene Karl d´Angelo. Nach seinem Einsatz als Vizefeldwebel im 1.Weltkrieg machte er Karriere in der NSDAP. Er war zunächst Lagerleiter und wurde später Führer der Schutzhaftabteilung im KZ Dachau. Auch er wurde später wie Fahrenberg als Lagerleiter abgesetzt.64 61 Vgl. a.a.O., S.28 Vgl. Christa Wolf (Hg.), Anna Seghers: Glaube an Irdisches. Essays aus vier Jahrzehnten. Leipzig: Reclam Verlag, 1974, S.367. Zit. n.: Ursula Elsner, a.a.O., S.28 63 Vgl. Ursula Elsner, a.a.O., S.34. 64 Vgl. a.a.O., S.39 62 17 Eine weitere historische Parallele findet sich auch zu der Flucht des Flüchtlings Wallau. Dieser sollte nach der Flucht Unterschlupf in der Gartenlaube der Familie Bachmann finden, doch Otto Bachmann, der ein Gestapo–Spitzel war, verrät Wallau, der schließlich verhaftet wird. Ähnlich waren die Umstände der Verhaftung des KPD-Vorsitzenden Ernst Thälmann 1933. 65 Ernst Thälmann sollte sich ins Ausland absetzen um von dort aus die Arbeit für die KPD fortzusetzen. Bis zu seiner Abreise hatte ihm die Partei eine illegale Unterkunft in Berlin-Charlottenburg beschafft. Thälmann hielt, obwohl er wusste, dass es für ihn gefährlich war, den Kontakt zu seinen Zentralkomitee-Genossen und schließlich führte dies und der Verrat des Kassiers der Gartenkolonie „Havelblick“, Hermann Hilliges, zu seiner Verhaftung am 3.März 1933.66 7. Zusammenfassung Insgesamt lässt sich feststellen, dass Anna Seghers in ihrem Roman „ Das siebte Kreuz“ dem Leser ein sehr realitätsnahes Bild von Deutschland um 1937 präsentiert. Sie wollte keinesfalls die Verhältnisse in Deutschland beschönigen, sie wusste um die Lage und gab sich nicht der Illusion eines „besseren“ Deutschlands hin. Vielmehr versuchte sie aus dem Exil, soweit es ihr möglich war, die Situation in Deutschland realitätsgetreu aufzuzeichnen. Anhand der sieben Flüchtlinge, von denen schließlich nur einem einzigen die Flucht gelingt, zeigt sie ganz deutlich, wie schwer es war, aus „Nazideutschland“ zu entkommen. Die gelungene Flucht Georg Heislers ist nur ein winziger Hoffnungsschimmer in Anbetracht der Tatsache, dass die anderen sechs Flüchtlinge sich nicht ins Ausland retten können. Zudem macht die Autorin in ihrem Roman ganz deutlich, dass die Flucht des einen schon das Äußerste war, was zu diesem Zeitpunkt unter den Umständen in Deutschland möglich war und sie liefert somit eine unbeschönigte Wirklichkeitsdarstellung. Des Weiteren kommen auch ihre Beschreibungen des Alltags im Nationalsozialismus und der Struktur des Widerstands, 65 66 Vgl. Michael Zimmer, a.a.O., S.49f. Vgl. Hannes Heer, Thälmann. Hamburg: rororo Monographien, 1975. Zit. n.: Michael Zimmer, a.a.O., S.50 18 sowie die Darstellung des Regimes und der Opfer der historischen Wirklichkeit sehr nahe. Hier ist es sehr beeindruckend, dass es der Autorin anhand der Flucht, die auf einem sehr knappen Handlungszeitraum von sieben Tagen beschränkt ist, gelingt dem Leser so tiefe Einblicke in die nationalsozialistischen Verhältnisse zu geben. Auch die Tatsache, dass Anna Seghers, die selbst aktive Kommunistin war, in ihrem Roman den kommunistischen Widerstand nicht verherrlicht, sondern trotz ihrer eigenen Hoffnungen die Schwierigkeiten erkennt, zeigt, dass sie sich keinen Illusionen hingibt. Besonders bewundernswert finde ich, dass die Autorin eine wirklichkeitsgetreue und differenzierte Darstellung der Nationalsozialisten anstrebt, obwohl ihre Biographie zeigt, dass sie als kommunistische Jüdin selbst eine von vielen war, die vom Regime bedroht wurde und daher flüchten musste. Zudem lassen sich auch durch etliche belegbare historische Bezüge und die Verwendung zuverlässiger Quellen sagen, dass die Autorin in ihrem Roman der historischen Wirklichkeit sehr nahe kommt und dieser somit einen hohen historischen Quellenwert hat. Es handelt sich bei ihren Beschreibungen somit nicht um illusionäre Hoffnungen. 19 8. Literaturverzeichnis Primärliteratur Seghers, Anna, Das siebte Kreuz. Berlin: Aufbau Verlag, 29 2007 (1946) Sekundärliteratur Benz, Wolfgang/Graml, Hermann/Weiß, Hermann (Hgg.), Enzyklopädie des Nationalsozialismus. München: Deutscher Taschenbuch Verlag, 31998 (1997) Benz, Wolfgang, Geschichte des Dritten Reiches. München: Beck Verlag, 2000 Bernhardt, Rüdiger, Anna Seghers: Das Siebte Kreuz: Königs Erläuterungen und Materialien. Hollfeld: Bange Verlag, 3 2006 (2001) Brinker-Gabler, Gisela/Ludwig, Karola/Wöffen, Angela (Hgg.), Lexikon deutschsprachiger Schriftstellerinnen 1800-1945. München: Deutscher Taschenbuch Verlag, 1986 Elsner, Ursula, Anna Seghers: Das siebte Kreuz: Oldenbourg Interpretationen. München: Oldenbourg Verlag, 1999 Spies, Bernhard, Anna Seghers: Das siebte Kreuz: Grundlagen und Gedanken. Frankfurt am Main: Diesterweg, 21997 Zimmer, Michael, Anna Seghers: Das siebte Kreuz: Erläuterungen Interpretationen- Materialien- Hinweise zum Unterricht. Hollfeld: BeyerVerlag, 3 2001 (1995) Internetadressen http://de.wikipedia.org/wiki/Widerstand_gegen_den_Nationalsozialismus; 24.02.08 20 9.Anhang Politische Situation und Alltag im Nationalsozialismus Quelle: Ursula Elsner, Anna Seghers: Das siebte Kreuz: Oldenbourg Interpretationen. München: Oldenbourg Verlag, 1999 21 Quelle: Bernhard Spies, Anna Seghers: Das siebte Kreuz: Grundlagen und Gedanken. Frankfurt am Main: Diesterweg,1997, S. Der Titelholzschnitt von Leopard Méndez für die erste deutschsprachige Buchausgabe von „ Das siebte Kreuz“, die in dem mexikanischen Exilverlag El libro erschien. 22 Versicherung der selbstständigen Anfertigung Ich versichere, dass ich die vorgelegte Facharbeit ohne fremde Hilfe verfasst und keine anderen als die angegebenen Hilfsmittel benutzt habe. Ich bestätige ausdrücklich, Zitate und Quellenangaben mit größter Sorgfalt und Redlichkeit in der vorgeschriebenen Art und Weise kenntlich gemacht zu haben. (Ort, Datum) (Unterschrift) 23