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1 MONAT REPORT
„Wo sind die Seejungfrauen?“
W
Das neue Leben
des Uni-Jesus
Als Uni-Jesus war Josef Broman weit über die Grenzen hinaus bekannt.
Doch vor einem Jahr bekam er vom Rektor Hausverbot. Nun missioniert er
am Millstätter See. Ein Besuch beim schrägsten Schamanen Kärntens.
TEXT WOLFGANG RÖSSLER FOTOS WOLFGANG WAGNER
Was ist normal?
ien, 14. September 1986. Der altehrwürdige Ste- ner, der nicht stehen bleibt und ein paar Worte mit Broman wechselt.
phansdom ist brechend voll bis auf die letzte Sitz- Der genießt die Aufmerksamkeit. Er redet viel und gerne. Und ist nabank, draußen stehen die Gläubigen dicht an dicht türlich mit jedem per du.
Sag, Josef, wie war das, als du beschlossen hast, auszusteigen?
bis hin zur Kärntner Straße. Vorne am Altar wird
Es ist nicht immer ganz einfach, seinem Redeschwall zu folgen.
der umstrittene Kirchenvater Hans-Hermann
Groër zum neuen Erzbischof von Wien geweiht. Dass der hagere
Mann mit der Großinquisitoren-Miene ein Knabenschänder ist, will „1982 kam meine Berufung zur Rettung der
noch keiner wissen. Auf einmal geht ein Raunen durch die Kathedra- Welt. Saturn, der zweitgrößte Planet, hat mich
le, alles dreht sich um, in Richtung Haupttor. Da steht ein junger
mitgenommen. Weil ich ein Revoluzzer war,
Mann, Anfang dreißig, mit Rauschebart und zotteligen Haaren. „Jesus!“, ruft einer begeistert aus. Die seltsame Erscheinung geht rück- so wie Jesus oder Buddha.“
wärts wieder hinaus, auf den Stephansplatz, und klettert auf ein Baugerüst. „Ich habe der jubelnden Menge zugewunken. Kein Mensch
Langsam, Josef. Was ist 1982 passiert?
hat sich mehr für Groër interessiert“, sagt Josef Broman.
Bis dahin führte der damals 29-jährige Broman ein recht geWenn sich diese Geschichte aus dem Leben Bromans auch viel- wöhnliches Leben. Der Sohn eines wohlhabenden Bleiburger Großleicht nicht ganz genau so zugetragen hat, dann ist sie zumindest gut bauern arbeitete als Versicherungsmakler in Unterkärnten. „Eines
erfunden. Denn einen besseren Schmähtandler als den inzwischen Tages saß ich in meinem Büro in Bleiburg, blickte aus dem Fenster
60-jährigen Wörthersee-Schamanen muss man in Kärnten lange su- und habe eine graue, düstere Energie gesehen. Da wusste ich: Irgendchen. „Jesus“ wird er landauf, landab gerufen und zwar in der eng- was stimmt nicht, ich muss etwas tun.“
lischen Aussprache: „Dschiesäs“. Fast zwei Jahrzehnte lang gehörte
Und dann?
der skurrile Lebenskünstler praktisch zum Inventar der Universität
„Dann habe ich die Stimme Gottes gehört”.
Klagenfurt. Generationen von Studenten – zumindest die nicht ganz
Häh?
so braven – haben sich in der Aula um den spindeldürren Freak mit
„Schizophrenie. Aber da bin ich erst später draufgekommen.“
dem losen und mitunter nicht ganz jugendfreien Mundwerk geschart.
Broman weiß, dass es für die Stimmen in seinem Kopf eine mediDer Uni-Jesus, der sich zwar selber nie ganz ernst nimmt, wohl aber zinische Erklärung gibt. Aber neben der objektiven Wahrheit gibt es
seine Mission, die Welt zu retten: Dieses Original war weit über die eben immer auch eine subjektive. Und die lautet: Er ist auserwählt,
Grenzen Kärntens hinaus bekannt. Vor zwei Jahren hatte er sogar ei- die Welt zu retten, oder zumindest die Menschen in seiner Umgenen großen Auftritt im bayerischen Fernsehen, als schrägster Vogel bung zum Nachdenken zu bringen. Seit 30 Jahren lebt er von einer
Kärntens. Doch im Vorjahr machte der damalige Rektor HC Mayr schmalen Berufsunfähigkeitspension. Geldprobleme hat er trotzdem
Schluss mit der Weltrettung: Weil Broman lautstark in eine Prestige- keine. Broman ist sich nicht zu schade, angebissene Wurstsemmeln
Veranstaltung der kleinen Alpen-Adria-Universität platze, wies ihn aufzuessen. Gerade hat er sich den Magen mit Kirschen vollgeschlaMayr vor die Türe. Jesus bekam Hausverbot. Ein paar Monate später gen – vor ihm ist noch keiner auf die Idee gekommen, den Baum mitwurde Mayr vom Uni-Aufsichtsrat abgewählt. „Das war die Strafe“, ten in Millstatt abzuernten. Wir leben in einer Überfluss-Gesellschaft
sagt Broman heute. Nun, behauptet er, würden ihn Professoren be- – das ist eine der Hauptbotschaften des Anarcho-Schamanen
knien, zurück zu kommen, auf die Alma Mater. „Aber das interessiert
Lachen als Ausweg. Als Broman noch ein kleiner Bub war, in
mich nicht mehr“. Soll sich die Uni doch selber retten.
den Fünfzigerjahren, betrieben seine Eltern ein kleines Gasthaus in
Beruf: Weltretter. Der Uni-Jesus hat sich nun nach Millstatt zu- Bleiburg, im zweisprachigen Gebiet, wo im zweiten Weltkrieg Nachrückgezogen, seine „Sommerresidenz seit 25 Jahren“. Er schläft unter barn aufeinander geschossen hatten. Kaum mehr als zehn Jahre
einer uralten Linde nahe dem Pfarrhaus, untertags findet man ihn später trafen sich dort slowenische Partisanen und Deutschkärntner
unten am Seeufer, im Schillerpark. Im Herbst wird er wieder nach SS-Soldaten am Stammtisch. Sie betranken sich mit selbst gebrannKlagenfurt ziehen, wo er gleich neben der Uni eine kleine Bleibe hat.
tem Schnaps, lärmten und machten üble Scherze: Nur im Suff konn„Der Prophet wartet schon“, sagt eine junge Bootsvermieterin mit ten sie die gemeinsame Vergangenheit verdrängen. Klein-Josef Brokohlrabenschwarzen Haaren wissend. Wir treffen Broman auf einer man fürchtete sich nicht zu Unrecht vor den Erwachsenen und verParkpark, neben ihm zwei junge Männer, die an seinen Lippen hän- steckte sich in einer Holzkiste. Aber mit kindlichen Instinkt hat er
gen. Hier, in Millstatt, ist der Uni-Jesus willkommen. Die Einheimi- wohl damals schon erkannt, dass lautes Lachen oft der einzige Ausschen grüßen ihn lachend, man kennt sich: „Servas, Jesus!“ Kaum ei- weg im Leben ist.
REPORT MONAT 4
Später erzählte ihm seine Mutter, dass sie während des Krieges
ein Hitlerbild in der Küche hängen hatte – für den Fall, dass sich ein
Wehrmachtssoldat in das Haus verirren sollte. Jeden Abend drehte
sie den Rahmen um. Auf der Hinterseite prangte ein Porträt von Sowjet-Führer Josef Stalin. Denn nachts kamen die Partisanen. Auch
die Schizophenie kommt nicht von irgendwoher.
Er erzählt diese Geschichten aus seiner Jugend ruhig, ohne Faxen.
Broman kann durchaus ernst sein – wenn auch nie besonders lange.
Zeit zum Baden. Er rennt zum Ufer, wirft das T-Shirt ab, lässt seine viel zu weite Hose fallen. Splitternackt steht er nun auf der gemauerten Brüstung. „Zum Baden braucht man Wasser, ka Hos‘n“, ruft
Broman. Im Hintergrund kichern ein paar blutjunge Mädchen. „Wo
sind die Seejungfrauen?“, fragt er und springt kopfüber ins Wasser.
„Später wird er uns weismachen wollen, die Mädchen seien hoffnungslos verschossen in ihn. Doch die Angesprochenen wissen
nichts davon. Ein gemeinsames Foto mit Broman? „Sicher nicht.“
Der gibt nicht auf: „Wollt ihr mich heiraten?“ – „Sonst noch was? Sicher nicht!“
Kein Platz für Schamanen? Markus Brandstätter kennt Broman seit über 20 Jahren. Schon als er noch ein Jugendlicher war,
freundete er sich mit dem schrägen Vogel in einem Millstätter InLokal an, beim Studieren in Klagenfurt traf er ihn wieder. Brandstätter ist jetzt 38 Jahre alt, er hat einen Doktor in Philosophie und
dreht Experimentalfilme. Was ist normal? Wer bestimmt, was normal ist? Und wie normal sind die angeblich Normalen? Solche Fragen treiben Brandstätter an, darum drehen sich seine Filme. „Unsere Welt“, sagt Brandstätter, „wird immer antiseptischer und kitschiger. Es gibt immer weniger Platz für Menschen an den Rändern
der Gesellschaft.“ Dabei, glaubt der Filmemacher, könne man gerade von Leuten wie Broman viel lernen. Weil er eben nicht vorgebe,
ein anderer zu sein, als er ist.
Er habe, sagt Josef Broman, immer wieder versucht, normal zu
sein. „Aber, keine Chance. Das ist eben mein Schicksal.“A
„Zum Baden braucht man Wasser, keine Hose“