222 David Byrne.ir.cg.sb

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222 David Byrne.ir.cg.sb
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In seinem
jüngsten Projekt „E.E.E.I.
(Envisioning
Emotional
Epistemological Information)“ nutzt
David Byrne
die Präsentationssoftware
PowerPoint,
um die gewohnte Businessästhetik
zu unterminieren und ins
Poetische
umzukehren
„Ich mag es,
mich innerhalb der Grenzen einer
von anderen
vorgegebenen
gestalterischen Sensibilität zu bewegen“, so der
Musiker über
seinen ungewöhnlichen
Umgang mit
den von Microsoft mitgelieferten Icons
und Texturen
GESTALTUNG
David Byrne
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VerwandlungsKünstler
Berühmt wurde er in den achtziger Jahren als Frontmann
der New-Wave-Band Talking Heads. David Byrne hat
aber auch ein vielseitiges visuelles Werk vorzuweisen
■ Die Marketingfuzzis würden wohl
ihren Augen kaum trauen, angesichts
dessen, was der New Yorker Popstar
mit ihrer geliebten Präsentationssoftware anstellt: David Byrne erstellt poetisch-philosophische Filme in PowerPoint, die er dann in Galerien als Kunst
vorführt. Und dazu gibt es auch noch
ein Buch mit dem kryptischen Titel
„Envisioning Emotional Epistemological Information“. Was soll das heißen?
Ts, ts, ts … Man sieht förmlich vor sich,
wie die braven Büro-PowerPoint-User
über Spinnereien dieser Art entsetzt
die Nase rümpfen.
Keine Frage, David Byrne nimmt
unsere angeblich ach so bedeutungsschwere Corporate Culture ordentlich
auf die Schippe, indem er leere Diagramme tanzen lässt, Pfeile sinnlos
ineinander verschlingt und Icons zu
surrealen Kombinationen paart. Doch
es geht ihm beileibe nicht nur darum,
ironische Witze zu reißen. „Es ist sehr
leicht, satirisch mit PowerPoint umzugehen“, erklärte uns David Byrne. „Ich
will aber dabei nicht stehen bleiben.
Ich lasse mich von diesen Bildern verführen und dringe so in Welten vor, die
für mich fremd sind, die mich gleichzeitig abstoßen und anziehen.“ Über
seine gemischten Gefühle sagt er daher: „I’m laughing at it and loving it at
the same time.“
Dem subversiven Reiz seiner PowerPoint-Filme, die er im Frühjahr dieses Jahres in der New Yorker Galerie
Pace/MacGill vorstellte, kann man nun
auch vorm heimischen Fernseher erliegen. Denn das Buch mit dem merkwürdigen Titel sei, so Byrne, eigentlich
nur die „Deluxe-Verpackung“ für eine
DVD, die die Movies enthält. Ein ganz
klarer Fall von Understatement, denn
der aufwendige Band, der zum Teil mit
durchsichtigen Folien die Bildabfolgen
von PowerPoint nachahmt, ist ein ei-
genständiges kleines Kunstwerk und
bereichert das Projekt um eine vieldeutige Textebene.
Die Poesie des Banalen faszinierte
David Byrne schon immer – das zweite Album der Talking Heads, für die in
der Regel er die Songtexte schrieb,
hieß „More Songs About Buildings and
Food“. Und dass dieser Musiker auch
visuell kreativ ist, ist ebenfalls nicht
neu. Drei der späteren Talking Heads
lernten sich während des Studiums an
der Rhode Island School of Design kennen. Byrne blieb allerdings nur ein Jahr,
ebenso wie schon am Maryland Institute College of Art. „Ich merkte, dass
ein Abschluss mich nirgendwo hinbringen würde“, erzählt Byrne. „Meine Arbeiten waren ziemlich konzeptuell. An
den Schulen sagte man mir, das würde nicht in ihren Unterricht passen.“
Tatsächlich sollen seine extravaganten Performances an der Rhode Island
School of Design zur gegenseitigen
Entfremdung geführt haben.
Auf jeden Fall gestaltete er die ersten beiden Talking-Heads-Cover selbst,
ebenso wie das 1983 erschienene Album „Speaking in Tongues“. Von diesem gab es auch eine limitierte Sonderedition, die Robert Rauschenberg
entwarf. Die transparente Platte in einer transparenten Hülle, auf der durchscheinende farbige Kunststoffscheiben rotieren, ist heute ein gesuchtes
Sammlerstück. Neben Nam June Paik,
Keith Haring, Jean-Michel Basquiat
und anderen war Rauschenberg auch
einer der Avantgardekünstler, die in
dem Buch „What the Songs Look Like“
visuelle Interpretationen von TalkingHeads-Texten lieferten – von Byrne
selbst kam ebenfalls ein Beitrag.
Damit aber nicht genug: Die Talking
Heads gewannen Auszeichnungen für
Musikvideos, in denen David Byrne ➔
Die fiktive Software Digital Physiognomy, die
angeblich Beziehungen zwischen Gesichtszügen und psychischen Eigenheiten aufzeigt,
stellt Byrne ebenfalls in „E.E.E.I.“ vor
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Religiöses
Traktat:
Für die Biennale von
Valencia kreierte David
Byrne zusammen mit dem
Designer Dave
Eggers das
Buch „The New
Sins“, das wie
eine Taschenbibel daherkommt
GESTALTUNG
David Byrne
Unter www.fstopimages.com lassen sich diese und andere Fotos von
David Byrne erwerben – lizenzfrei zur beliebigen Weiterverwendung
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➔ oft auch Regie führte, für ihren Konzertfilm „Stop Making Sense“ gab es
gar den Oscar. Als Regisseur und Drehbuch-Koautor betätigte er sich 1986
bei der kultigen Pseudo-Dokumentation „True Stories“, einer Musical-Farce,
die ins tiefste Texas führt. Beide Filme
lassen sich übrigens auf VHS-Kassette
oder DVD kaufen.
Eine Leidenschaft, die der Musiker
seit Studententagen pflegt, ist die Fotografie. Hier macht sich seine Vorliebe für alltägliche, prosaische Motive,
denen er in seinen Aufnahmen existenzielle Tiefe verleiht, ebenfalls bemerkbar. „Strange Ritual“ hieß ein viel
beachteter Fotoband, den er 1995 herausbrachte und der vor allem Bilder
enthielt, die er auf Reisen geschossen
hatte – mit der üblichen Reisefotografie haben diese menschenleeren Aufnahmen jedoch wenig gemein.
Seit neuestem kann man sogar Fotos von David Byrne kaufen, und zwar
nicht, um sie an die Wand zu hängen,
sondern als digitale Dateien, die Gestalter für eigene Projekte verwenden
können. In der von FSI FontShop International herausgegebenen Fotokollektion fStop, die lizenzfreie Bilder bekannter Kreativer wie David Carson,
April Greiman oder Jake Tilson beinhaltet, veröffentlichte Byrne die CD
„Stock A-B: Automotive through Bulkheads“ (im Internet zu finden unter
www.fstopimages.com). Auch manche
Motive dieser Sammlung hätten die
Überschrift „Strange Ritual“ verdient.
Da gibt es etwa Fotos einer OldtimerSchau, bei der die Autos mit Puppen
dekoriert wurden, die wie traurige, leblose Kleinkinder aussehen. „Einige Aufnahmen zeigen befremdliche Aspekte
der amerikanischen Automobilkultur“,
lacht Byrne. An der Idee, lizenzfreie
Bilder zu verkaufen, fasziniere ihn,
„dass sie anonym werden, wenn jemand anders sie einsetzt, und es dann
keine Rolle mehr spielt, wer sie gemacht hat“.
Sich vorzustellen, dass jemand die Fotos für Businesszwecke nutzen könnte, findet er amüsant – das passt zu
seinem subversiven Umgang mit der
Ästhetik der Geschäftswelt. „Um den
Feind zu verstehen, muss ich eins mit
ihm werden, seine Denkweise übernehmen. Ich muss mich infizieren, um
immun zu werden“, schrieb er in seinem Buch „Your Action World. Winners
Are Losers with a New Attitude“ von
1998. Darin zeigte er Arbeiten, die im
Look von Geschäftsberichten, Werbe-
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kampagnen oder jenen typisch amerikanischen Wie-werde-ich-erfolgreichMotivationsliteratur daherkamen, jedoch ganz andere, verstörende Botschaften enthielten.
Sozusagen undercover ging Byrne
auch bei dem Buch „The New Sins“ vor.
Die Biennale von Valencia hatte im
Jahr 2001 Künstler aus aller Welt eingeladen, Beiträge zum Thema Sünde
zu liefern. David Byrne ließ eine kleine,
rote Taschenbibel gratis auf der Straße verteilen und in Hotelzimmern auslegen. Darin verkündete eine Vereinigung namens „The Better-Emancipated Strivers for Heaven“ zusammen
mit der „Second Congregation of Trusters of Tomorrow“ eine neue Morallehre, in der die Tugenden von gestern –
Ehrlichkeit, Sparsamkeit, Weisheit und
so fort – zu Sünden erklärt werden.
Das Design des mit vielen Fotos
ausgestatteten Bändchens übernahm
Dave Eggers, Herausgeber und Art-Direktor des amerikanischen Literaturmagazins „McSweeney’s“. Byrne kannte ihn nicht, war aber ein Fan der kultigen Zeitschrift und fragte deshalb an,
ob Eggers sein Buch gestalten wolle.
Wie groß war sein Erstaunen, als er erfuhr, dass jener nicht nur Bibeln aus
dem 19. Jahrhundert sammelte, sondern zudem seine Zeitschrift in Island
bei einem Drucker produzieren ließ,
der auch Bibeln herstellte. Kein Wunder, dass das ebenfalls in Reykjavik gedruckte „The New Sins“ zu einer Perle
der Erbauungsliteratur wurde.
Die Musik ist bei all dem keineswegs
in den Hintergrund getreten. Erst im
letzten Jahr landete der Fünfzigjährige
auf Platz zwei der britischen SingleHitparade, und zwar mit dem Stück
„Lazy“ des Dance-Acts X-Press 2, zu
dem er einen witzigen Text sowie Gesang beisteuerte. Bereits zu TalkingHeads-Zeiten waren seine musikalischen Aktivitäten vielfältig. So lieferte
er Kompositionen für zwei Stücke des
Theatermachers Robert Wilson und
gewann 1987 einen Oscar für die Filmmusik zu Bertoluccis „Der letzte Kaiser“, die er mitkomponiert hatte. Ende
der achtziger Jahre gründete er sein eigenes Label Luaka Bop, um seine Begeisterung für Weltmusik auszuleben.
In der Tat machten die Luaka-BopMusiker – wie Susana Baca aus Peru,
Los Amigos Invisibles aus Venezuela,
Tom Zé aus Brasilien oder Zap Mama
aus Zaire – rasch Furore. Inzwischen
hat Byrne das Weltmusikkonzept ausgeweitet. So erschien zuletzt die Compilation „The Only Blip Hop Record You
Byrnes Buch „Your Action World. Winners Are Losers with
a New Attitude“ versah Stefan Sagmeister mit einer Beschriftung, die erst in der Einkaufstüte komplett zu lesen ist
Will Ever Need“ – angeblich in Zusammenarbeit mit einem „International
Centre for Comparative Sound“ entstanden – und die die elektronische
Musik europäischer Eingeborener wie
Mouse on Mars, To Rocco Rot oder
Schneider TM enthält. Das Cover entwarf Dave Eggers und David Byrnes
Mitarbeiterin Danielle Spencer als ➔
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GESTALTUNG
David Byrne
Lebensecht nachgebaute Byrne-Püppchen mit verschiedenen Gesichtsausdrücken zeigt das von Sagmeister entworfene Cover der CD „Feelings“
➔ Parodie auf ethnografische Musikkollektionen. David Byrne lieferte dazu pseudo-völkerkundliche Analysen
über die Wurzeln dieser Tanzmusik:
„… die Nordeuropäer“ – also wir! –
„die sich wegen ihrer dicken warmen
Kleidung und ihrer mangelnden sozialen Interaktion nie wohl in ihren
Drei Luaka-BopPublikationen:
Auf dem Südstaaten-Trip-FolkAlbum von Jim
White mischte
Designer Stephen
Doyle kuriose
Zeitungsausschnitte, Songtexte und Infos
zur Platte. Unten
links eine gemeinsame Kreation von Andrew
Blanco, dem
Sänger von King
Changó, und
FDT Design.
Unten rechts
eine von Danielle
Spencer und
Dave Eggers als
ethnografische
Satire gestaltete
Compilation
elektronischer
Musik aus Europa
Körpern fühlen, haben raffinierte Rituale entwickelt, um den physischen
Kontakt zu erleichtern, nach dem sich
alle menschlichen Wesen sehnen“.
Mit richtiger Folklore hatte Luaka Bop
aber noch nie was zu tun. „Mach nichts
Folkloristisches“, habe David Byrnes
Briefing für das Cover für eine Kollektion afroportugiesischer Stücke mit
dem Titel „Adventures in Afropea“ gelautet, so erzählt der Designer Stefan
Sagmeister. „Mach was Schönes, denn
es geht um schöne Musik.“ Von Lou
Reed bis zu den Rolling Stones hat der
österreichische Gestalter, der seit langem in New York lebt, schon für jede
Menge Popgrößen gearbeitet, doch er
nennt Byrne ohne Umschweife seinen
Lieblingskunden: „Er ist visuell gebildet, er will wirklich etwas von einem,
man kann bei jedem Meeting etwas
lernen. Und seine Briefings sind kurz
und prägnant.“
Stefan Sagmeister übernahm das
Design des Buches „Your Action World“
und gestaltete 1997 Byrnes Solo-CD
„Feelings“. Das Bild stehe im Gegensatz zum Titel und zeige Popmusik als
Ware, sagt Sagmeister. „Byrne wollte
sich erst in 3 D am Computer bauen
lassen und ließ seinen Kopf in Kalifornien mit einem Lasergerät einscannen. Aber das Ergebnis sah zu sehr
nach Kraftwerk aus. Wir haben alle Files weggeschmissen und echte Modelle nach Fotos bauen lassen.“
Eine andere von David Byrnes bevorzugten Agenturen ist die Stephen
Doyles, ehemals Art-Direktor bei bei
Tibor Kalmans Agentur M&Co. sowie
bei den Zeitschriften „Rolling Stone“
und „Esquire“. Er gestaltete eine auffällige Verpackung für das Soloalbum
„Look Into The Eyeball“, indem er zwei
Fotos von David Byrne in ganz schmalen Streifen ineinander verzahnt auf
das Cover drucken ließ. Im Siebdruckverfahren auf die transparente Jewelbox applizierte schwarze Linien sorgten anschließend dafür, dass es aus
unterschiedlichen Blickrichtungen so
wirkt, als würde Byrne die Augen aufund zumachen.
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Er habe sich gebessert, was die Zusammenarbeit mit Designern angehe,
sagt Byrne. „Ich habe eine klare Vorstellung und kann sie auch vermitteln.
Derzeit arbeite ich an einer TalkingHeads-Collection mit Stefan Sagmeister. Ich sammle das Material und bringe die Autoren ein, aber das Design
überlasse ich Stefan. Viele meiner Beziehungen zu Gestaltern beruhen auf
Vertrauen. Das ist auch eine Frage der
Praktikabilität.“
So hat er für seine zahlreichen anderen Projekte Zeit, seien diese musikalischer oder visueller Natur. „Mein
ganzes Leben lang haben sich meine
Arbeiten in Grenzbereichen zwischen
Hohem und Niedrigem, Bekanntem
und Unbekanntem, Alltäglichem und
Außergewöhnlichem bewegt. Ich liebe
es, Kunst zu machen, die sich nicht als
Kunst ankündigt – und das schließt
natürlich auch Popmusik mit ein. Mir
scheint, dass eine Arbeit ohne jede
vermittelnde Instanz, außerhalb des
Kontexts der Kunst- oder Literaturwelt eine viel stärkere Wirkung entfaltet. Sie ist verwirrender, irritierender und schöner.“
In jüngster Zeit wurde David Byrne
übrigens auch direkt politisch aktiv,
was für ihn ungewöhnlich ist: Er ge-
Mit trickreicher Gestaltung erreichte Stephen Doyle, dass Byrne auf dem Cover der CD
„Look Into The Eyeball“ mal mit offenen, mal mit geschlossenen Augen zu sehen ist
hörte im Februar zu den Initiatoren
von „Musicians United to Win Without
War“, einer über 60-köpfigen Gruppe –
darunter auch Lou Reed, Russell Simmons, Missy Elliot, Natalie Imbruglia,
Massive Attack, Steve Earle, Lucinda
Williams, Autechre oder REM –, die zu
Protesten gegen den drohenden Irak-
Krieg aufrief. „George Bush und seine
Leute sind so außer Kontrolle geraten,
so gefährlich, so größenwahnsinnig,
was ihre Macht und ihre Überzeugung
angeht, dass Gott auf der Seite Amerikas ist, dass es mich entsetzt“, sagte
David Byrne damals in einem Interview mit „The Art Newspaper“.
cg
„Everything is Connected“ nannte David Byrne eine seiner jüngsten Arbeiten: ein rund 66 Meter langes Banner,
das auf der Fassade des New Yorker Kaufhauses Saks Fifth Avenue installiert war
David Byrne:
E.E.E.I. (Envisioning Emotional
Epistemological
Information).
Göttingen und
New York (Steidl
und Pace/MacGill
Gallery) 2003,
96 Seiten. 80 Euro
mit DVD. ISBN
3-88243-907-6.
Über die Faxnummer 05 51/
4 96 06 49 oder
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