Waffenexporte ja - Ausgaben 1 bis 73
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Waffenexporte ja - Ausgaben 1 bis 73
satirisch justizhörig experimentell wahrheitenliebend frei-volksherrschaftlich offen bissig kritisch unabhängig überparteilich Freitag, 31.1.1992 5. Kalenderwoche, 3. Jahrgang Nummer 26 Waffenexporte ja aber nur mit Erlaubnis vom Bund Überarbeitetes Außenwirtschaftsgesetz gültig: Schärfere Strafen Sie lesen 2 3 5 8 9 10 12 13 16 17 ZD gewinnt 2. Prozeß Das Jubiläum Berufsverbote heute? Sieger auf der Anklagebank „Die Biolüge“ Hilfe für Jugoslawien Gewaltfrei gegen Siemens Wer hat Kennedy ermordet? Die aufgebrauchten Wunder Parteien Standpunkte Nächste Ausgabe: Freitag, 28.2.92 Der illegale Export von Waffen ist unter schärfere Strafen gestellt worden. Um zu verhindern, daß von der Bundesregierung nicht gewollte Waffenlieferungen ins Ausland gehen, sieht die verabschiedete Änderung des Außenwirtschaftsgesetzes das Abhören von Telefonen und die Kontrolle der Post verdächtiger Einzelpersonen und Firmen vor. Z uständig für solche Anordnungen ist der Bundes-Finanzminister, da seine Behörde, das Zollkriminalinstitut, für Eingriffe in das Fernmelde- und Postgeheimnis ermächtigt wird, wenn beispielsweise der Bundesnachrichtendienst Verdächtigte gemeldet hat. Für diesen Eingriff in die Persönlichkeitsrechte sind gleichzeitig das Grundgesetz, Artikel 10 und das Strafgesetzbuch geändert worden. Letzteres war erforderlich, weil das neue Außenwirtschaftsgesetz androht, daß „der Wert des aus der Tat (Waffenlieferung) erlangten“, also alle Gelder, nicht mehr wie nach der alten Regelung nur der Gewinn, Sehet, das ist Darmstadt! E ine Sorte von Drehbuchautoren gibt es im Zeitalter der Kulturindustrie, vor der es der Sau des Teufels grausen müßte, suhlte sie sich vor der Mattscheibe in bundesdeutschen Wohnzimmern. Da flimmert in „schee buntischer Farb“ eine noch „scheenere, buntischere“ Darmstädter Scheinwelt zu bester Sendezeit – Geist vierter Klasse im ersten Rang (da sitzen Sie bei ARD und ZDF immer). Das ist nichts Neues nach der US SoapOpera über den Adel des 20. Jahrhunderts, die Ölmultis à la Dallas, nur ein verspäteter Abklatsch. Es ist dies das berufene Genre der hochgefeierten Literaten Hinz, Kunz, Berger, Schmidt, Müller, Strom, Weise oder so ähnlich, die sich durch VIP-BMW’s, Saunen und Swimmingpools eine Individualität bewahrt haben, die dem Zeitgeist Rechnung trägt: Sie alle sind samt und sonders Dichter, die sich ihre Ideale, ihren Humor, ihren gesunden Glauben an Scholle und Heimat, Justiz und Gerechtigkeit, gesunden Menschenverstand und Verbrecher-Gesindel, an Gut und Böse und ähnliche Klamotten wilhelminischer Oberlehrerhaftigkeit bewahrt haben. Was immer die Unterbemittelten unter ihnen davor bewahrt haben mag, den Konkurrenzdruck unter den Arbeitslosen zu erhöhen, überlassen wir unseren Kritikerpäpsten. Die Intelligenteren unter ihnen jedoch, des Blamablen ihres Tuns bewußt, scheinen sich selbst und ihre Schreibe nur deshalb nicht aufzugeben, weil: sie tun’s für’s liebe Geld. Was uns die Fernsehmacher da am abendlichen Bildschirm anbiedern, scheint eine beständig große Schar an Lieb- haberInnen zu finden – ist doch dem Herrn Honold von der honorigen Tagespresse das Ganze wegen irgendwelcher Mützenbebänderung eine ernste Glosse wert und dem Blatte selbst gar ein Aufmacher und ungezählte Artikel(chen): Sehet, das ist Darmstadt! (Welches?) Diesem Bedürfnis lokalpatriotischer Schmieren-Premieren folgt das Echo lauthals auf der Spur, und die Z(entrale) für die D(ummhaltung) des F(ernsehvolks) bereitet den Acker, auf dem die Literaten und ihre KritikerInnen schollen. Greifen wir dennoch kurz in die Klamotte Drombusch: Da gab es gar einen empörenden, aufwühlenden Streit mit evangelischen Kirchenmännern. Letztere legten öffentliche Beschwerde dagegen ein, daß in Strombergers heiler Welt die Kirche angemacht wird (dachte der Autor gar den Zeitgeist erspäht zu haben?): Ein Vikar weist einen Soldaten in Uniform aus der Kirche und begründet dieses mit „solch unglaublicher Unterstellung“, Soldaten seien „potentielle Mörder“. Die Kirchenmänner fühlen sich „auf die Seite der Chaoten gestellt“. Und ein frommer Leser skandiert: „Auch ein Mensch in Uniform kann Christ sein“ (die Kirche stand schon immer segnend den Waffenbrüdern hilfreich bei Seiten). Was aber meint Stromberger dazu? Unsere Film-Mitgestalter und Presse-Macher vom Darmstädter Echo konnten 10 Tage später erleichert melden, „Stromberger hat leider recht“: Das große Leid bestand darin, daß die Wirklichkeit dieser angeblichen Szene in der Stadtkirche stattgefunden haben soll; zum Hören-Sagen-Gewährsmann wurde der verstorbene Leiter des ersten Po- verloren sein sollen. Danach wird das in ein verbotenes Geschäft investierte Geld für den kriminellen Waffenhändler mitsamt Gewinn einziehbar. Diese Androhung wird wohl eher abschreckend sein, als die noch immer eher milden Haftbestimmungen, die Freiheitsstrafen von drei Monaten bis zu fünf Jahren vorsehen, ersatzweise wie zumeist Geldstrafen. Eine Ausnahme bildet der Verstoß gegen Sanktionen, die vom Sicherheitsrat der UN beschlossen worden sind: In diesem Fall können bis zu 15 Jahre verhängt werden. ☛ Fortsetzung Seite 2 Einzelpreis 2,20 DM Postfach 10 43 23, 6100 Darmstadt, Tel. 0 61 51/71 98 96 Antiamerikanische Mahnwachen? Es ist ein derzeit beliebtes Argument herrschender Politiker, in der Öffentlichkeit den moralisierenden Zeigefinger hochzurecken, daß für (gemeint wohl gegen) den Bürgerkrieg in Jugoslawien keine Demonstrationen und keine Mahnwachen der Friedensbewegung für lautstarken Protest sorgen. Deshalb, so argwöhnen die Herren, müsse es sich bei den Aktivitäten gegen den Golfkrieg um Antiamerikanismus und nicht um Friedensliebe gehandelt haben. Die Herren, die solches kritisieren, – das sei vorausgeschickt – haben selber nicht demonstriert und selber auch keine Mahnwachen bzw. kalte Nächte auf der Straße zugebracht und würden dies auch nicht tun. Was für ein Interesse verfolgen Politiker, die solche Kritik äußern? Es scheint großer Ärger darüber zu bestehen, daß sich die Friedensbewegung während des Golfkrieges gegen die „amerikanischen Freunde“ gewendet hat und so dem „Anti-Amerikanismus“ wieder einmal Vorschub geleistet wurde, also der Argwohn, daß die Friedensbewegung doch wieder nur die Linke sei, nur unter anderem Vorwand, unter anderem Namen. Dies paßte der Bundes-Politik schon zu Golfkriegszeiten nicht ins Geschäft, bloß vor einem Jahr war der öffentliche Protest wohl zu stark, als daß solche Töne ohne Stimmverluste hätten geäußert werden können. Wie, wenn gar eine neue politische Partei aus der Strömung erwachsen wäre, die WählerInnen abgezogen hätte? Heute, nachdem die massiven öffentlichen Proteste Vergangenheit sind, läßt sich im Nachhinein die Wirklichkeit wieder biegen und drehen, bis sie in das politische Konzept paßt. Wer will heute noch Kritik an den Waffenlieferanten üben, zu denen auch die Bundesregierung selbst zählte, hat sich doch die Justiz der Geschäftemacher ange- Drombuschiges von Michael Schreiber lizeireviers, Wolfgang Berst, posthum erwählt. (Unsere LeserInnen seien aufgefordert, diese Wirklichkeit zu bestätigen). Während das Echo noch sinnierend befand, gefilmte Wirklichkeit sei Wahrheit, keine Fiktion, nahm die evangelische Kirche alles sofort für bare Münze und drohte ihrem allzu christlichen Vikar späte Strafe an, und unser Drehbuchautor bemühte sich schleunigst, das Bild der kirchlichen Moral anzupassen. Wer sich vor der Glotze über diese Szene gewundert hatte (ist das ein Ausrutscher?) und schon gar sein StrombergerBild ins Wanken geraten sah, wurde eines Besseren belehrt: Dies sei „kein Einzelfall“, wollte er wissen, „sondern bezeichnend für die von ihm wenig geachteten Pfarrer im Umfeld der Startbahnbewegung“. Sollte also dieser soldateska-feindliche Vikar sozusagen neben aller sonstigen dichterischen Freiheit die einzige wirkliche Figur gewesen sein, ein kritisch chronistischer Zug? Stromberger also kein Fahnenschwenker im Wind öffentlicher Moral? War also dies das große Leid, welches unsere Zeitungschronisten beklagten? Aber die heile Welt haben wir wieder, kam der Streit doch zu einem zweiten happyend (nach dem des Films) und wurde zu einem Streit um des Kaisers Bart, denn Kirchenmänner und Drehbuchautor fanden zu gemeinsam verfochtener Moral zurück – nur schade für beide, daß dieser Konsens nicht auch den Chinesen zur Wirklichkeit wird (auch dort flimmert Drombusch), die jetzt ein falsches Darmstadt-Bild und ein solches von friedfertigen ChristInnen haben. Vor diesem Film- und Schreiber-Genre sei den LeserInnen der sichere Port des Ignorantentums empfohlen. Wir alle haben nicht die Fähigkeiten zu Drehbuchautoren, und so nützen wir denn auch die Gelegenheit, via „Power off“, dem Kasten den Saft abzudrehen – im Bewußtsein, viel versäumt zu haben. Wenn wir einmal das Zeitliche gesegnet haben, werden unendliche Meter Film zurückbleiben, die doch nicht bleiben werden. Unser Trost: Unser Fleisch überdauern sie nicht und niemand ist gezwungen, an ihrem Begräbnis teilzunehmen. Des Teufels sind wir laut Kirche ohnehin, wenn wir weder mit noch ohne Soldaten den Ort kirchlicher Kriegsfertigkeit meiden, allerdings würde ich nur meine Sau… Womit nichts über Stromberger als Regisseur und als Datterich im Datterich gesagt sein soll, da steht ein Schuster bei seinem Leisten. Sanne Borgia nommen und so scheints – alles geht seinen gerechten Gang. Dergestalt moralisch-öffentlicher Belastungen entledigt, können Politiker in der Öffentlichkeit wieder schärfere Töne anschlagen. Da kommt bei oberflächlicher Betrachtung das Argument, bei einem jugoslawischen Krieg, quasi vor der eigenen Tür, demonstriere niemand, gerade recht – um zu zeigen: Das mit dem Protest gegen den Golfkrieg war nur reiner Anti-Amerikanismus einer insgesamt linksgerichteten Friedensbewegung. Dabei handelt es sich auch hier wieder um eine zensierte Wirklichkeit der Presseagenturen, die beispielsweise eine Friedenskarawane nach Jugoslawien auf dem Papier und dem Fernseher nicht geschehen und ebenso andere Aktivitäten ausfallen ließen (siehe auch „Briefe an die Redaktion“). Die Argumente sind auch aus anderen Gründen oberflächlich, denn es gibt erhebliche Unterschiede: Im Golfkrieg machte die ungeheure Übermacht der amerikanischen Kriegsmaschinerie, noch dazu unterstützt durch Kapital vor allem aus der Bundesrepublik (13,5 Milliarden), das sinnlose Abschlachten zur direkten Angelegenheit für Bundesbürger, darunter auch die oben erwähnten Waffenlieferungen. Die direkte Beteiligung unserer gewissenlosen Geschäftemacher an diesem Krieg und die Haltung von Politik und Justiz, die solches zuließen, bildeten mit den Hintergrund für die massiven öffentlichen Proteste. Wissenslücken auch hier im jugoslawischen Bürgerkrieg: Noch wissen wir nicht, welche Firmen dieses Mal involviert sind. Ohne ständigen Nachschub an Waffen und Munition wäre dieser Krieg längst vorbei. Des weiteren bestehen eklatante Wissens-Lücken über die Geschichte des Vielvölkerstaates: Sollten die DemonstrantInnen für Serben oder für Kroaten auf die Straße gehen, für Nationalismus? Gar für Rassismus? Also bleibt doch nur das Demonstrieren gegen den Krieg als solchen. Dagegen ist nichts einzuwenden, im Gegenteil. Aber, wo soll da ein Anfang und wo ein Ende gesetzt werden? Demonstrieren das ganze Jahr über? (Die halten uns doch eh für BerufsdemonstrantInnen, die Setzerin) Kriege und Bürgerkriege gibt es unaufhörlich überall, außer derzeit in Jugoslawien auch in Somalia, in Aserbeidschan, in Armenien, in Georgien – um nur aktuelle Waffengänge zu nennen. Das einzige Argument, das für die Forderung nach Mahnwachen für Jugoslawien verbleibt, ist die Nähe, das Europa, in dem der Krieg derzeit stattfindet, und das Interesse der Politiker, ihren amerikanischen Freunden vorzeigen zu können, unsere BürgerInnen sind nur friedensbewegt und wir weiterhin treue Verbündete. Frankfurt Rhein-Main wird auch im nächsten Krieg, den die Vereinigten Staaten führen, Nachschubbasis sein, die EUCOM in Stuttgart auch wieder Computerschaltzentrale und die deutsche Industrie Mitverdiener am Waffenhandel. Apropos Golfkrieg: Gebracht hat das Abschlachten der Irakis nichts. Saddam betreibt weiter Völkermord an den Kurden und forciert seine Atom-Bewaffnung – noch immer mit Unterstützung der Geschäftemacher im Westen, sie sollen nur vorsichtiger geworden sein. Michael Grimm 5. Kalenderwoche - Seite 2 ☛ Fortsetzung von Seite 1 Waffenexporte ja… Strafbar macht sich der Geschäftsmann, der Waffen, Unterlagen zur Fertigung von Waffen oder technische Daten und Verfahren exportiert, soweit diese in den Ausfuhrlisten erfaßt sind. Nicht erwähnt werden die Vergabe von Lizenzen, das Veräußern von Patenten und der sogenannte Technologie-Transfer, die unter dem Begriff des Forschungs- und WissensExportes zusammengefaßt werden könnten. Dies soll heutzutage das Gebiet sein, auf dem das meiste Geld im Zusammenhang mit Waffenexporten verdient wird. Die Kommentare zu dem Gesetz erwähnen diesen Part des Außenwirtschaftsgesetzes nicht. duktion, wenn diese Regelung den Export nicht vereinfacht hätte. Waffenexport ist selbstverständlich, aber nur unter Zustimmung der Bundesregierung, genauer des Außenministeriums, dessen Votum Voraussetzung für die Genehmigung der Geschäfte mit dem Tod ist. Unter die neuen Strafvorschriften fallen chemische und biologische Anlagen, die für Waffenproduktion geeignet sind, aber auch fertige Kampfstoffe. Um das Problem des „dual use“, das heißt friedlicher und gleichzeitig waffentechnologischer Nutzung zu lösen, sollen extra Listen der Bezeichnung „C“ (chemisch-biologische Waffenliste) weitergeführt werden. Selbstverständlicher Waffenhandel Strohmänner und Banden Die Strafen werden verhängt, wenn „die äußere Sicherheit der Bundesrepublik, das friedliche Zusammenleben der Völker, die auswärtigen Beziehungen der BRD erheblich gefährdet werden“. Auch in diesen Definitionen wird klar, daß Waffenhandel weiterhin selbstverständlich ist und keinesfalls unterbunden werden soll. Da beispielsweise der Golf-Krieg dem „friedlichen Zusammenleben der Völker“ dienen sollte, laut offizieller Definition, die Sicherheit der BRD nicht gefährdet war und auch nur bedingt die auswärtigen Beziehungen (zum Giftgaseinsatz kam es nicht) auf dem Spiel standen, wären viele Waffenexporteure frei ausgegangen. Zuverlässige Händler des Todes Darüberhinaus kann die Bundesregierung die „Zuverlässigkeit von Exporteuren von Kriegswaffen und rüstungsrelevanten Gütern“ gemäß Bundesanzeiger Nr. 225 (5/12/90) prüfen und bekannt geben. Der Exporteur, der in dieser Liste aufgeführt ist, braucht keine gesonderte Genehmigung nach dem Außenwirtschaftsgesetz zu beantragen, er kann ungehindert liefern. Heute fielen beispielsweise in Jugoslawien längst keine Schüsse mehr aus deutscher Pro- Wie weitreichend die gesetzlichen Möglichkeiten der Verfolgung von Straftätern oder Firmen sind, spiegelt sich nicht nur im Aufheben des Telefon- und Postgeheimnisses, sondern auch darin, daß Exporte über Strohmänner genau so wie die selbst begangene Tat strafbar sind. Die Strafbehörden können sogar – ähnlich wie bei der Terroristen-Verfolgung – die Bildung von Banden annehmen und alle Beteiligten entsprechend aburteilen. Die Bundesregierung setzte diese Novelle am 23. Januar gegen die Stimmen der SPD in wiederholtem Anlauf durch. Die Sozialdemokraten lehnen das Gesetz aus Datenschutzgründen ab, ohne daß jedoch ein Alternativ-Entwurf vorgelegt worden wäre. Die weitreichenden Eingriffe durch Verletzung des Post- und Telefongeheimnisses stimmen in der Tat bedenklich, sind allerdings zeitlich auf drei Monate befristet und müssen einen aufwendigen KontrollApparat durchlaufen. Vor Abhören ist die Staatsanwaltschaft zu unterrichten, auch über laufende Vorgänge wie richterliche Entscheidungen und die Zustimmung des Bundesfinanzministers sowie über das Ergebnis der Lauschaktion nach deren Einstellung. Weitere Sicherheit sieht die Bundesregierung durch Unterrichtung von fünf Bundestagsabgeordneten. Und das ist eine Novität: Der oder die Betroffenen sind nach der Abhöraktion zu unterrichten und die Unterlagen zu vernichten. Eindämmung, mehr nicht Impressum Verleger und Herausgeber: Michael Grimm Unser Team : Uta Schmitt Sanne Borghia Ute Feisel Nicole Schneider Petra Weigand Michael Schreiber-Bimster Telefon 0 6151/71 98 96 Telefax 0 6151/71 98 97 Anzeigen Tel. 0 61 51/71 98 96 Peter Horn, Heiner Schäfer Gültige Anzeigenpreisliste: Nr. 3 Postanschrift: Zeitung für Darmstadt Postfach 10 43 23, 6100 Darmstadt Bankverbindungen: Volksbank Darmstadt BLZ 508 900 00, Konto 14 111 301 Spendenkonto: Postscheckamt Frankfurt BLZ 500 100 60, Konto 56 29 29-601 Druck: Caro Druck Kasseler-Straße, 6000 Frankfurt 1 Durchschnittliche Auflage: 9.500 Abonnement: jährlich DM 60,00 incl. 7% MWSt. Nachdruck und Vervielfältigungen sind nur mit Genehmigung des Verlages gestattet. Personenbezogene Daten werden elektronisch gespeichert, ausschließlich intern für die Verwaltung eingesetzt und nach Ende des Zeitungsbezugs umgehend gelöscht. Informanten bleiben gemäß gesetzlicher Grundlage auf Wunsch anonym. Text und Bild sind mit QuarkXPress auf Apple Macintosh gesetzt und unter Omnis 5 „Verlag“ verwaltet. Soweit dieses Gesetz in der Wirklichkeit eine konsequente Umsetzung erfahren würde, könnte es den Waffenhandel zumindest eindämmen, mehr soll es wohl auch nicht, denn sonst hätte der Text bezogen auf den Straftatbestand so lauten müssen: „Wer Waffen, Maschinen oder Teile, Lizenzen, technisches Wissen oder Pläne, Forschungsvorhaben oder Ergebnisse, die der Herstellung von Waffen dienen können, außer Landes bringt, macht sich strafbar.“ Da die Regierung selbst Waffen in andere Länder liefern läßt – die Ausfuhr von ehemaligem DDR-Rüstungsgut hat nicht zum Sturz des Verteidigungsministers geführt – wird sich an der heutigen Praxis kaum etwas ändern. Dennoch, wenn das Gesetz und die Gesetzeswirklichkeit einmal einander näher kommen, ist es ein kleines Stück auf dem richtigen Weg. Der Verleger ZD gewinnt zweiten Presseprozeß gegen die Stadt Verwaltungsgericht: Informationen sind zu erteilen Die Stadt Darmstadt muß die von der „Zeitung für Darmstadt“ begehrten Auskünfte beantworten. Am 8.11.91 hatte der Herausgeber der „Zeitung für Darmstadt“ Antrag auf einstweilige Anordnung beim Verwaltungsgericht Darmstadt eingereicht, um Auskünfte zu folgenden Themen zu bekommen. Das Energiespargutachten wollte die Zeitung für die Berichterstattung einsehen und Auskunft über sämtliche PCB- und Dioxin-Messungen im Jahr1991 haben sowie einen Auszug aus dem Altlasten-Kataster. Sämtliche Anfragen der Vorzeit, die o. a. Themenbereiche betreffend, hatte die Stadt teils offen verweigert oder einfach nicht beantwortet. Das Energiespargutachten kam prompt nach Antragstellung, ebenso wie ein Altlastenkataster (Aufstellung über sämtliche Altdeponien und Verdachtsflächen), allerdings rettungslos veraltet, aus dem Jahr 1987 stammend. Kontrollanfragen der „Zeitung für Darmstadt“ beim Regierungspräsidenten, der Hessischen Landesanstalt für Umwelt und beim Hessischen Umweltministerium ergaben, daß die Auskunft der Stadt unvollständig war und nicht dem neuesten Stand entsprach. Eine richtige Darstellung in der Öffentlichkeit war somit nicht möglich. Da der Rechtsvertreter der Stadt Darmstadt, neu befördert zum Leiter des Rechtsamtes, Salber, begründete, daß der Magistrat ein privates Institut am 15.1.92 mit dem Erstellen einer neuen Liste beauftragt habe, erklärte Verwaltungrichter Mogk, die Parteien sollten sich darauf einigen, daß der Informationsanspruch der Zeitung umgehend eingelöst werde, wenn diese Liste fertiggestellt sei. Falsche Auskünfte Die Auskunft des Umweltdezernenten Heino Swyter (FDP), es seien 1991 keine PCB-Messungen ausgeführt worden, bestritt der Herausgeber als Falschauskunft, da angeblich am 3.1.91 und am 14.2.91 ebensolche Messungen durchgeführt worden sein sollen. Der Vertreter der Stadt Darmstadt erklärte sich damit einverstanden, die Meßergebnisse der „Zeitung für Darmstadt“ umgehend zustellen zu lassen. Die Behauptung des Umweltderzernenten, 1991 seien keine Dioxinmessungen vorgenommen worden, war schon vom Presseamt der Stadt Darmstadt wiederum richtig gestellt worden, als es die Ergebnisse der Überprüfung von Sportplätzen wegen dioxinhaltigen Marsberger Kieselrots zugestellt hatte. Somit hat das Gericht dem Begehren der „Zeitung für Darmstadt“ vollständig stattgegeben, und der Herausgeber erklärte die Hauptsache damit für erledigt. Dies war das zweite Verwaltungsgerichtsverfahren in Presserechtsangelegenheiten, das die erwünschten Auskünfte auf dem Prozesswege erbracht hat. Schon nach der Entscheidung im ersten Verfahren zeigten sich erste positive Ansätze einer konti- Im Zweifel gegen… (An Stelle eines Gerichts-Berichts) Wäre das Recht-Sprechen doch immer so leicht, wie in dem Mord-Schau-Prozeß gegen den Metzger Weber: Einen Verbrecher zu verurteilen, ist leichter als einen Ehrenmann! Ein Urteil nach dem ersten Verhandlungstag hätte Juristenmoral nicht zugelassen, in der geplanten Verhandlungszeit jedoch allemal: Weihnachten stand vor der Tür und kein längeres Grübeln über die Frage, war er es nun oder war er es nicht, sollte die fette Weihnachtsgans verpfeffern. So war denn kurzer Prozeß angesagt und eingehalten – nicht von ungefähr versteckt sich die Juristerei auch heutigen Tags hinter dem Latein: „In dubio pro reo“, ist hohes Ideal, verstünde es der Angeklagte, er würde sein Recht laut einfordern: Im Zweifel für den Angeklagten. Nur, so blieb ihm nichts anderes zu sagen als: „Ich bin nicht schuldig“. Justiz-Mord? Zweihänder und Henkerbeil heißen heute Gitterwelt, welch Glück für hetzende Zeitgenossen, die Richterwürden tragen, bleibt ihnen doch purpurfarbene Gewissenspein erspart. Der Anklage folgend „sine dubio“ (ohne Zweifel): Heike Hennemann hat nicht etwa in des Angeklagten Automobil auf dem Beifahrersitz Platz genommen, sondern ist im Kofferraum eingestiegen, dort sexuell mißbraucht worden und dann mit einem Gummiseil erdrosselt und im Wald verscharrt worden – wäre der Fall nicht tragisch, läge der Gedanke an eine Justiz-Posse schwarzen Humors nahe. Den Beweis für diese Tat-Rekonstruktion wollen die Juristen durch Fasergutachten erbringen (von schwarzen Fasern eines weißen Pullovers), die allerdings nicht auf dem Beifahrer-Sitz des Wagens gefunden worden sind, nur im Kofferraum. Prozesse geführt von zeitbedrängten Juristen sind gefährliches Glatteis für Angeklagte. Gerade dann, wenn „mikrospurensicherndes”, gutachterliches Neuland betreten wird, noch dazu in einem Indizienpro- nuierlichen und nicht mehr so streng zensierten Erteilung von Auskünften. Es bleibt abzuwarten, ob dieses zweite Verfahren künftig durch eine weitere Lockerung der Zensur Erfolg tragen wird. Obwohl der Vertreter des Rechtsamtes mit einer Einstellung des Hauptsache-Verfahrens zunächst nicht einverstanden war, mußte er sich doch dem Wunsch des Richters fügen: Im Hintergrund steht die Frage der Kostenaufteilung des Verfahrens. Auch im ersten Verfahren mußte die „Zeitung für Darmstadt“ die Kosten anteilig übernehmen, obwohl sich das Anspruchsbegehren als richtig herausgestellt hatte und die Stadt die verweigerten Auskünfte zu erteilen hatte. Gleiches gilt auch für dieses Verfahren. Einen Rechtschutz, die Kosten des Verfahrens anbelangend, gibt es trotz aller Gesetzesverstöße der Stadt Darmstadt wohl nicht. Keine Gegendarstellung Während der Verhandlung beschuldigte der Vertreter des Rechtsamtes die „Zeitung für Darmstadt“ der Falschberichterstattung und begründete dies unter anderem damit, daß über das erste Verfahren berichtet worden war, die Zeitung habe es gewonnen. Das behaupten wir auch in diesem Fall wieder, denn ohne die Hilfe des Verwaltungsgerichtes wären die Informationen bis heute weiterhin vorenthalten worden. Zu einer Gegendarstellung sah sich der Rechtsvertreter entweder nicht in der Lage, oder an dem Vorwurf ist in der Tat nichts dran. Eine Korrektur haben wir jedoch selbst anzubringen, wir hatten angekündigt, die Stadt Darmstadt zwangsvollstrecken zu lassen. Dies beruhte entweder auf einem Mißverständnis oder einer Falschauskunft rechtlicher Art, denn eine Zwangsvollstreckung im juristischen Sinne ist nur möglich, wenn Geldforderungen – nicht aber das Einfordern von Informationen – hinter einem Verfahren stehen. Leider hat der Gesetzgeber diese Möglichkeit nicht vorgesehen, auch nicht, daß die Gerichte das Nicht-Einhalten der gesetzlichen Informationspflicht unter Strafandrohung stellen können. In der Praxis heißt das, wird die Stadt auch weiterhin gewünschte Informationen vorenthalten (und das ist bis auf den heutigen Tag der Fall), dann gibt es für die „Zeitung für Darmstadt“ nur die Möglichkeit, ein Verwaltungsgerichtsverfahren nach dem anderen in jedem Einzelfall anzustrengen. Dies wiederum ist abhängig davon, ob die Stadt künftig ihrer Informationspflicht und dem Grundsatz der Gleichbehandlung aller Publikationsorgane nachkommen wird. Lassen wir uns überraschen. Der Vertreter der Stadt Darmstadt, Presseamtssachbearbeiter Volker Rinnert, bemüht sich heutzutage nach besten Kräften, Anfragen schnell und präzise weiterzuleiten oder selbst zu beantworten – er ist heute noch die große Ausnahme. M. Grimm zeß. Die von den Verteidigern beantragte Genom-Analyse (vom Gericht verweigert) hätte die Weihnachts-Gans versalzen und Vor-Urteile zum Wanken, vielleicht gar zu Fall bringen können – eben nur hätte – dies Gutachten wurde tunlichst nicht zugelassen – „in dubio contra reum“ (im Zweifel gegen den Angeklagten). Und die öffentliche Meinung? Irgendwelcher Rücksicht darauf bedarf es in Darmstadt nicht: Die Vergangenheit des (Vor-) Verurteilten war propädeutischer Leitfaden, und die Richter sich ihrer Hofberichterstatter gewiß, so ließen sie den Angeklagten für Vergangenes ein zweites Mal öffentlich büßen (durch Auflisten vergangener und verbüßter Straftaten), ehe sie das dritte Mal ein Lebenslänglich zur Gerechtigkeit „im Namen des Volkes“ (?) erhoben: „Das ist keine Frage der Logik, sondern eine Frage der Überzeugung“, begründete der vorsitzende Richter das Urteil und meinte, „junge Mädchen seien künftig vor dem Angeklagten sicher“. In dubio pro reo? Was sollte öffentlich verhandelt werden? Gerechtigkeit? Überlassen wir große Worte großen Leuten: Der Schutz von Frauen Neue Seiten Ab Januar 92 erscheint die ZD aufgeräumter, das heißt, am Redaktionellen wird sich vorerst nichts ändern, aber die Seiten mit den „Briefen an die Redaktion“ versuchen wir übersichtlicher zu gestalten und durch Überschriften und Fotos aufzuwerten. Diese Seiten finden Sie künftig direkt hinter dem redaktionellen Teil. Wer Interesse an einer Aufwertung seiner Zuschrift hat, kann deshalb künftig auch Fotos beilegen. Apropos Foto: Gleiches gilt auch für Kleinanzeigen, wer etwas zu verkaufen hat, legt ein Schwarz-Weiß-Foto bei und wir drucken, Details zu den Foto-Anzeigen finden Sie auf den Anzeigenseiten. Ganz sicher keine Parteilichkeit Eine weitere wichtige Veränderung betrifft die Parteien und anderen Institutionen, die an einer Publikation interessiert sind: Für diese Verlautbarungen werden gesonderte Seiten unter der Überzeile „Parteien-Standpunkte“ gedruckt. Wir haben dies beschlossen, weil uns der Vorwurf gemacht worden ist, wir seien nicht objektiv, da stünde zuviel von den Grünen im Blatt. Durch die klare Übersicht können sich unsere LeserInnen in Zukunft selbst ein Bild von den Aktivitäten der Parteien machen und wir entziehen uns dem Vorwurf irgendeiner Parteilichkeit. Bislang gehen von den Parteien nur wenig Stellungnahmen bei uns ein, beispielsweise von FDP und SPD seit der Ausgabe 25 keine einzige, hingegen von den Grünen, ihren Aktivitäten entsprechend so viele, daß wir nicht alle drucken können. Die „Zeitung für Darmstadt“ erhält Unterstützung: am 25. Januar ist die „Darmstädter Initiative zur Förderung der Pressevielfalt“ gegründet worden. LeserInnen haben sich darin zusammengeschlossen, um durch ihr Geld mit zum Aufbau der ZD und künftig auch anderer Zeitungs-Neugründungen beizutragen. Der zunehmenden Monopolisierung auf dem Pressemarkt, so das Ziel der Initiative, soll durch das Engagement der LeserInnen unterbunden werden. Wer Mit-Herausgeber in der Initiative werden möchte, kann die Unterlagen auch bei der ZD anfordern. Der Herausgeber und Kindern vor gestörter oder fehlentwickelter Männlichkeit, vor allem der Schutz ihres Lebens steht als Ziel vorne dran – nicht die Eitelkeit persönlichen Erfolgs irgendwelcher Ermittler und Juristen. Wie peinlich, hätten die Strafverfolger eingestehen müssen, wir haben keinen „Täter“ mehr. Die Frage steht nach wie vor offen: Bleibt der Mörder Heike Hennemanns ständige Bedrohung? „In dubio pro reo“ – Ist nicht allein zum Schutze des Angeklagten erdacht – vielmehr zum Schutz künftiger Opfer. Wer Sicherheit sucht, glaube an das Urteil. Ist Weber jetzt schuldig oder nicht? Im Grunde ist diese Frage uninteressant, sie ist auch nicht Gegenstand unserer Überlegungen, sondern der Schutz der Allgemeinheit vor Gewalttätern. Wir jedenfalls haben weder geurteilt noch freigesprochen. Die Verteidiger haben Revision eingelegt. Sanne Borghia 5. Kalenderwoche - Seite 3 Das m u ä l i Jub Keine „gravierenden Fälle“ Ein Jahr folgenlose Zweckentfremdung in Darmstadt Seit dem 21. Januar 1991 ist die Zweckentfremdungsverordnung für Wohnraum in Kraft. Das Presseamt meldet, 100 Fälle liegen zur Bearbeitung vor, in 16 Fällen wurde keine Zweckentfremdung festgestellt und sechs Fälle wurden genehmigt. Von Fällen, in denen auf Grund einer städtischen Anordnung Wohnraum für ObdachSuchende wieder dem Markt zugeführt worden wären, schreibt das Presseamt nichts. Die Liste der Grünen mit 49 möglichen Fällen von Zweckentfremdung habe dazu geführt, daß 45 angeschrieben worden seien. Die von der ZD weitergeleiteten leerstehenden Wohnungen werden vorsichtshalber nicht erwähnt, denn da müßte man ja in einigen Fällen aktiv werden, und so erklärt der zuständige Dezernent Dr. Wolfgang Rösch (CDU): „Gravierende Fälle von leerstehenden Wohnungen konnten bislang nicht festgestellt werden“. Was der Politiker für gravierend hält, ist uns nicht einsichtig. Entweder eine Wohnung steht leer oder sie ist vermietet. Das Haus Ecke Alicen-/Frankfurterstraße beispielsweise steht bekanntermaßen seit Jahren leer und ist nicht nutzbar, perverser Weise läßt der Eigentümer das Haus nachts beleuchten. Ob Dr. Rösch das deshalb nicht für gravierend hält, weil der Eigentümer, Theodor Vieth, zufällig sein CDU-Parteifreund ist? Ebenfalls Parteifreund von Vieth ist Dr. Wessely (Liegenschaftsdezernent), der gegenüber der ZD im Mai 1990 erklärte „die Stadt ist an der Sache dran“. Wieviele Jahre noch? Übrigens in dem Haus Alicenstraße 2 wurden während der Räumung mehrfach Brandsätze gelegt, Ermittlungen verliefen im Sand. Als die ZD das erste Mal über den Eigentümer berichtete, ging prompt eine Morddrohung ein - Was wohl dieses Mal kommt? Auch leerstehend und langsam verfallend ist das Dachhaus in Trautheim. Das unter Denkmalschutz stehende Haus gehört dem Kneipen-Inhaber Dieter Tümmler („Chat Noir“ und „Octave“). Die Jugend- stil-Perle wird gelegentlich von Obdachlosen als Unterkunft genutzt. Tümmler will Haus und Grundstück zu unmöglich hohem Preis veräußern (von einer halben Million ist die Rede) und wartet darauf, daß ihm der Gewinn durch steigende Immobilienpreise von allein zufließt. Auch gegen stadteigene, leerstehende Wohnungen unternehmen die Dezernenten nichts – das ist keineswegs denjenigen dienlich, die nach einer Wohnung suchen. Dazu zählt unter anderem die Kaupstrasse 2. Um gleich einer falschen Interpretation vorzubeugen: Wir denken, daß es nicht an der Verwaltung, an den SachbearbeiterInnen liegt, daß gegen EigentümerInnen leerstehender Wohnungen nichts unternommen wird, es handelt sich wohl eher um eine Entscheidung auf politischer Ebene, denn immerhin könnten Eigentümer von Häusern und mit Ihnen die Lobby vergrault werden und ihre Stimmen bei der Wahl vorenthalten. So kann denn das Presseamt auch nicht melden, daß vor Jahresfrist vollmundig der Öffentlichkeit als Strafandrohung präsentierte bis zu 20.000DM Bußgelder verhängt worden sind. Solche Meldungen kommen aus Frankfurt. FAZ vom 8.1.92: „Eine Geldbuße in Höhe von 10.000 Mark muß ein Hauseigentümer zahlen, weil er fünf Wohnungen hat leerstehen lassen“. Gleiches gilt für Spekulanten: Sie erfreuen sich besten Ansehens und können ihre Geschäfte von der Politik unbehindert abwickeln. Wir hatten berichtet, daß der Volksbankdirektor Otto in der Kaupstraße 37 eine Abgeschlossenheitsbescheinigung erschwindelt hatte, dann das Haus in Wohnungen aufteilen ließ, um – damals hatte er es noch dementiert – verkaufen zu können. Pünktlich nach Ablauf der zweijährigen Spekulationssteuerfrist veräußerte der Banker im November eine Wohnung für 195.000 DM und am 1.12. eine weitere für 305.000DM – die nächsten werden folgen. Sogar in Bayerns Hauptstadt werden solche Machenschaften heutzutage gelegentlich gebremst, auch im benachbarten Frankfurt, aber bitte doch nicht in Darmstadt. mg „Bei den Schwerverletzten und Toten wurden aber noch nie eine so günstige Entwicklung erzielt“. Unser Polizeipräsident Peter C. Bernet „freut sich besonders, daß auch die Zahl der verunglückten Personen weniger wurden“. O-Ton zur Veröffentlichung der Unfallstatistik 1991. Fünf Todesopfer forderte der Verkehr in Darmstadt 1991, 11 weniger als im Vorjahr. Auch die Zahl der Schwerverletzen verringerte sich von 158 um 40 auf 117. red Studentenwohnheime Anläßlich des Richtfestes für das Studentenhaus in der Kasinostraße/Pallaswiesenstraße am 9. Januar in Darmstadt bekräftige die Hessische Wissenschaftsministerin Evelies Mayer die Verpflichtung des Landes zur weiteren Förderung des studentischen Wohnungsbaus. Im laufenden Haushaltsplan seien 17 Millionen Mark vorgesehen und für die kommenden beiden Jahre nochmals 30 Millionen Mark. Allein in Darmstadt werden von der Landesregierung in den kommenden Jahren 600 Wohnheimplätze bezuschußt. In das Studentenhaus im der Kasinostraße/Pallaswiesenstraße werden im Frühsommer 152 Studenten einziehen können. In diesen Tagen ist mit dem Bau weiterer Studentenwohnungen in Darmstadt begonnen worden. In der Neckarstraße baut der Bauverein für Arbeiterwohnungen für 146 Studenten ein neues Domizil. Ein viergeschossiger Bau für 15,6 Millionen DM soll es werden, beschreibt Bauvereinschef Heinz Reinhard. Die Miete steht auch schon fest: 300 DM plus Heizung. Enthalten sind 20 DM für die Möblierung. Ende diesen Jahres sollen die Wohnungen fertig sein. Zusammen mit dem Wohnheim in der Poststraße werden damit in diesem Jahr 400 neue Wohnungen für Darmstädter Studenten geschaffen. rw ADFC-Kreisverband Darmstadt Der Allgemeine Deutsche Fahrrad-Club (ADFC) hat auf einer Mitgliederversammlung am 7.1.92 den Kreisverband Darmstadt gegründet. Dieser ersetzt die Kreisgruppe Darmstadt-Dieburg und die Ortsgruppe Darmstadt und betreut nun alle ADFC-Mitglieder in Darmstadt und im Landkreis Darmstadt-Dieburg. Das Büro in der Rundeturmstr. 16 (Werkhof, 1. Stock) in Darmstadt ist dienstags von 17.30 bis 18.30 Uhr geöffnet. Während dieser Zeit ist auch das Telefon unter der Rufnummer (0 61 51) 2 66 64 besetzt. ADFC Neuer BDA-Vorstand Tierschutzbeauftragter gibt auf Vergebens hat der ehemalige Tierschutzbeauftragte Ilja Weiss darum gekämpft, seine Arbeit fortsetzen zu können. Im Gegensatz zu dem ehemaligen Datenschutzbeauftragten Spiro Simitis, der auch Opfer der rot-grünen Koalition in Wiesbaden geworden ist, hat Weiss keinen absichernden Job vorbereitet. Derzeit bewirbt sich der Tierschützer wieder als Journalist. Über die Hintergründe dürfen die beiden weit über Hessen und die Bundesrepublik hinaus bekannt gewordenen Fachleute nichts an die Öffentlichkeit tragen. Beide haben sich laut nicht benannter Quelle in ihren Auflösungsverträgen dazu verpflichtet. Weiss ist ein Überbrückungsgeld in Höhe von 90.000DM ausbezahlt worden, die Höhe der Summe für den ehemaligen Datenschutzbeauftragten ist nicht bekannt geworden. Da beide unter Wallmanns CDU-Regierung Vorzeige-Politiker waren, dürfte dies den Hintergrund bilden, obwohl zumindest Weiss parteilos war, aber das zählt offenbar nicht. Auch ohne Weiss will Iris Blaul, grüne Hessische Ministerium für Jugend, Familie und Gesundheit, für „spürbare Verbesserungen für Tiere durch eine entschlossene und kompetente Tierschutzarbeit“ sorgen, so die Pressemeldung nach Ablösung von Weiss. Ein neuer Hessischer Tierschutzbeirat in ehrenamtlich beratender Funktion, bestehend aus VertreterInnen verschiedener hessischer Tierschutzverbände und -initiativen, u.a. der Tierversuchsgegner, des Bundes für Umwelt und Naturschutz, der Tierärzteschaft, der Kirchen und der im Landtag vertretenen Parteien, soll dies leisten.Vorsitzender wurde Herr Dr. med. Werner Hartinger (Vereinigung der Ärzte gegen Tierversuche). Wie die Ministerin weiter mitteilte, bereitet die Landesregierung derzeit eine Bundesratsinitiative zur Novellierung des Tierschutzgesetzes vor. mg „Günstig“ Anzeige Die Depesche ist eine Kriegserklärung... Da Prof. Hans Wächter nach 6 Jahren den Landesvorsitz des BDA Hessen (Bund Deutscher Architekten) übernommen hat, waren Neuwahlen für den Vorstand der Gruppe Darmstadt/Starkenburg notwendig. Zum neuen Vorsitzenden wurde Hans-Henning Heinz gewählt, als Mitglieder des Vorstandes Knut Gitter, Brigitte Holz, Ernst-Friedrich Krieger, Udo Nieper, Jürgen Rittmannsperger und Ingolf Schulze. Als Kommunikationsebene sieht der BDA weiterhin seine Veranstaltungsreihe „Forum Stadtentwicklung“, die sich mit aktuellen planerischen Pressefreiheit und PresseProblemen und der Planungskultur in Darmstadt und vielfalt ist (Über-) Leben. Umgebung auseinandersetzt. BDA Keine hundert Jahre ist es her, daß unsere Vorfahren für die Preß-Freiheit ihr Leben gelassen haben. Die Besucherzahlen des Staatstheaters Darmstadt Keine fünfzig Jahre sind haben sich im Verhältnis zum Vergleichszeitraum vergangen, daß wir sie des Vorjahres zwischen 1. September und 15. nach vollkommenem VerDezember ’91 erfreulich entwickelt. Nach der neu- lust wieder erhalten haben sten Statistik weist die Oper (ohne Operette) eine – und wieder scheinen wir Platzausnutzung von 84,4% auf (Vergleichszahl sie zu verlieren, weil sie 1990 75,5%; ohne Gastspiele Wiesbaden). Das verkauft wird: An KrämerSchauspiel erzielte eine Verbesserung der Zahlen seelen, die um des Geldes von 83,7% auf 87,2%. willen ihre Meinung und Informationspflicht dem Meistbietenden anpassen. Zahlen-Freude Seit Jahren steht dasHaus Alicenstraße leer, ein typischer Fall von Zweckentfremdung. Nach Meldung der Verwaltung gibt es diesen Fall und viele andere nicht. (Foto Schäfer) Klassischer Fall von Zensur Aufnahme in Landespresse-Konferenz verweigert Ende November letzten Jahres beantragte unsere Korrespondentin Renate Wolter in Wiesbaden die Aufnahme in die Hessische Landespressekonferenz (LPK). Vorsitzender ist Rainer Dinges, der im Hörfunkstudio des Hessischen Rundfunks im Landtag sitzt und gleichzeitig Berichterstatter des „Darmstädter Echo“ ist. Da Dinges zu diesem Zeitpunkt aber krank und auch kein Stellvertreter ansprechbar war, verwies man sie auf eine formlose schriftliche Bewerbung, die bei der nächsten Sitzung der LPK Mitte Dezember behandelt werden würde. Ein schriftlicher Antrag vom Herausgeber der ZD blieb ohne Antwort. Mehrmalige telefonische Nachfragen blieben erfolglos, da Rainer Dinges nicht erreichbar war. Einen Tag vor der Sitzung der LPK am 10.12.1991 kam dann schließlich doch ein Gespräch zustande, in dem Dinges erklärte, daß er eigentlich eine ausführlichere Begründung des Antrages unserer Korrespondentin benötige, da er nicht wisse, wer sie sei und für welche Zeitung sie schreibe. Frau Wolter beschrieb ihre Tätigkeit als freie Journalistin für ZDF und ZD und die Zeitung für Darmstadt. Ohne einer Entscheidung der LPK vorweggreifen zu wollen, meinte Dinges der Antrag sei nicht erfolgversprechend. Nach der Sat- zung der LPK könnten nur hauptberufliche Journalisten, die bei einer politischen Tageszeitung arbeiteten, zugelassen werden. Grundsätzlich würde er ihr ohnehin abraten, den Berufsweg weiter zu verfolgen, da der Markt für freie Journalisten und für neue Zeitungen im Rhein-Main-Gebiet völlig überfüllt sei (gerade in Darmstadt!). Frau Wolter begründete ihren Antrag noch einmal ausführlich schriftlich und stand eine halbe Stunde später wieder im Sekretariat von Dinges und konnte ein Telefonat mit anhören, in dem er einem weiteren Antragsteller einen „Gasthörerstatus“ vorschlug, falls sein Antrag abschlägig beurteilt werden würde. Ein ähnlicher Vorschlag wurde Frau Wolter nicht unterbreitet. Am 12.12.1991 erkundigte sich Frau Wolter nach dem Ergebnis der LPKSitzung und erfuhr, daß sie nicht aufgenommen werde. Im einem Brief, der später folgte, wurden keine Gründe genannt. Freigestellt wurde allerdings, im Sommer eine erneute Bewerbung abzugeben. Schon einmal ist in der Bundesrepublik einer Zeitung die Zulassung zur Landespressekonferenz verweigert worden. Die Zeitung, die dagegen klagte hat gegen die Baden Württembergische Landesregierung gewonnen. rw/mg Weniger Industrie-Abfall Als erstes Bundesland macht Hessen Ernst mit der vom Bundesimmissionsschutzgesetz geforderten Vermeidung und Verwertung von Reststoffen in Industriebetrieben. Der hessische Minister für Umwelt, Joschka Fischer erklärte, daß zur Zeit von den Gewerbeaufsichtsämtern Anordnungen vorbereitet werden, mit denen Betrieben für ihre Altanlagen konkrete Maßnahmen zur Reststoffvermeidung und Reststoffverwertung vorgeschrieben werden: „Die Umsetzung dieser Maßnahmen wird dazu beitragen, in Hessen das Problem der Entsorgung von Sonderabfällen zu entschärfen, da Reststoffe in Industrieanlagen von vornherein vermieden bzw. stärker als bisher verwertet werden und somit nicht als Abfall entsorgt werden müssen“. Für eine unabhängige, unzensierte, freie und an Wahrheiten orientierte Presse haben wir die „Darmstädter Initiative für die Vielfalt der Presse“ Die in den untersuchten Betrieben derzeit jährlich als Abfall entsorgten Reststoffe von rund 350. 000 t könnten um etwa 220. 000 t und die Abwässer von jährlich 3, 8 Millionen Kubikmeter auf 2, 1 Milliogegründet – für eine Konnen Kubikmeter reduziert werden. red trolle über Parlamente – für ein öffentliches Forum der LeserInnen – für ein Mehr Für die Frage, warum die CSU auf keinen Fall ein an Demokratie. Tempolimit auf deutschen Autobahnen mittragen Verschlafen Sie nicht – wie will, hat die IG-Metall, Deutschlands größte Ein- viele MitbürgerInnen die zelgewerkschaft, eine einleuchtende Begründung: schleichende Inflation der zu den größten Spendern im Jahr 1990 gehörten Meinungs- und PressefreiDaimler-Benz (400.000 Mark), BMW (315.000 heit – beteiligen sie sich an Mark) und die Daimler-Tochter Dasa (142.000 unserer Initiative! Mark). Vielleicht bekunden die Parteien mit den V. i. S. d. P. Folkmar Rasch Weitere Zuwendungen an die Bayerische Volkspartei ja Informationen sind erhältlich bei, „Zeiauch nur ganz zweckfrei ihre Heimatliebe… tung für Darmstadt“ Postfach 104323, 61 Darmstadt, Chiffre 12 Tg Tempolimit zu teuer 5 . Kalenderwoche - Seite 4 MELDUNGEN Flughafen: Entgegengesetztes Der Aufsichtsrat der Flughafen Frankfurt/Main AG (FAG) hat beschlossen, zum „FAG-Investitionsprogramm 2000“ ein Gutachten erstellen zu lassen, teilt die hessische Finanzministerin Annette Fugmann-Heesing mit. Ein erster Zwischenbericht soll im März 1992 vorliegen. Ihr Kabinett-Kollege Landesentwicklungsminister Jörg Jordan erklärte: „Der Frankfurter Flughafen erhält in Wiesbaden-Erbenheim kein zweites Standbein“. Er verweist auf die regionalen Planungsvorgaben des Landes, die sich aus der Koalitionsvereinbarung zwischen SPD und Grünen ergeben. Darin ist die Begrenzung des Flughafens auf die derzeitige Fläche festgeschrieben. Die Landesregierung meldet, sie stehe den Expansionsbestrebungen auch angesichts der damit verbundenen wachsenden Umweltbelastungen kritisch gegenüber. Sie setze auf den Ausbau des öffentlichen Verkehrsnetzes. red Bauverein kauft 15 880 qm und 44 Wohnungen Nach rund sechsmonatigen Verhandlungen zwischen der Deutschen Bundesbahn und dem Darmstädter Bauverein für Arbeiterwohnungen ist am Jahresende ein wichtiger Deal zum Abschluß gelangt. Der Bauverein kauft das Gelände an der Michaelisstraße, auf dem in mehreren Gebäuden 44 Familien mit 160 Menschen wohnen, von der Bundesbahn. An der Kaufsumme von 7,94 Mio. DM beteiligt sich die Stadt mit 1,2 Mio. DM. Für eine noch im Besitz der Bahn verbliebene Fläche im Norden des Geländes bekommt das Gespann Stadt/Bauverein ein Vorkaufsrecht eingeräumt. Außerdem wurde man sich einig über den Anschluß der bestehenden Leitungen an das öffentliche Netz, über die Kosten für den Abbruch „nicht mehr verwendbarer Baulichkeiten“ und für genaue Vermessungsarbeiten sowie über die Durchführung von Probebohrungen zur Feststellung von möglichen Altlasten. Der Bauverein wird das Gelände einer maßvollen Bebauung zuführen, vor allem werden die Bewohner in der Michaelisstraße wohnen bleiben können. Darmstadts OB Metzger freut sich: „Die Stadt wird in Zusammenarbeit mit dem Bauverein einen Bebauungsplan-Entwurf aufstellen, der einerseits eine städtebauliche Aufwertung des Stadtteils und eine Verbesserung der Wohnsituation in Darmstadt sicherstellt, andererseits die Interessen der Bewohner in angemessener Weise berücksichtigt.“ Volker Rinnert, Presseamt Warnstreik in der Fernsprechauskunft Dienstag, 28. Januar 1992, morgens 7 Uhr. Streikposten zogen vor der Fernsprechauskunft in der Grafenstraße auf. Plakate und Transparente „Wir streiken“ zeigten, daß hier die Post abgeht. „In den Nachrichten habe ich gehört, daß gestreikt wird, aber daß es auch in Darmstadt losgeht, wußte ich nicht", meinte eine überraschte Kollegin. Interessiert nahm sie den Streikaufruf und ging mit weiteren Angestellten zum Streiklokal ins Gewerkschaftshaus. Mit dem Warnstreik in Darmstadt, den anderen 6 hessischen Städten sowie weiteren 69 Fernmeldeämtern im Bundesgebiet wollen die Angestellten Druck auf die Arbeitgeber ausüben, damit sie bei den Tarifverhandlungen endlich ein akzeptables Angebot vorlegen. Die Deutsche Postgewerkschaft (DPG) fordert strukturelle Einkommensverbesserungen. Es ist nicht länger vertretbar, daß die Angestellten für vergleichbare Tätigkeiten pro Monat 200 bis 300 DM weniger verdienen als die Beamten. Die Tarifverhandlungen für die Angestellten dauern nun fast zwei Jahre. Immer wieder wurden sie vom Arbeitgeber unterbrochen und verzögert. Die Arbeitgeber haben mit ihrer Verschleppungstaktik die Angestellten zum Warnstreik herausgefordert. In Darmstadt beteiligten sich etwa 70 Angestellte am Warnstreik. Mit den wenigen Beamten konnte der Auskunftsbetrieb nicht aufrechterhalten werden. Von 7 bis 21 Uhr ging nichts mehr. Ab dem frühen Vormittag erhielten die Anrufer die Auskunft: „Bei uns wird gestreikt, rufen Sie später wieder an.“ In der Streikversammlung waren sich alle einig: Der Warnstreik war fällig, und wenn die Arbeitgeber am 30. Januar kein vernünftiges Angebot vorlegen, sind die Angestellten wieder dabei. Paul Köhler (DPG) Eberstädter Friedhof geschändet Der Eberstädter Friedhof ist durch vermutlich jugendliche Rechtsradikale geschändet worden. Wie Gartenamtsmitarbeiter jetzt feststellen mußten, sind in einem neuen Reihengrabfeld im Erweiterungsbereich des Friedhofes Kreuze herausgerissen, Grablichter und Grabschalen zerstört worden. In den Kies und die Erde im Bereich der Gräber waren rechtsradikale Symbole eingezeichnet. Der oder die Täter waren vermutlich durch den Zaun, den sie beschädigten, eingedrungen. Die Stadt Darmstadt hat inzwischen Strafanzeige erstattet, der Zaun wird umgehend repariert. Da noch nicht alle Geschädigten zu ermitteln waren, bittet das Gartenamt, daß Bürger, die auf der Erweiterungsfläche Gräber betreuen, diese in den nächsten Tagen auf Unversehrtheit prüfen. Volker Rinnert, Presseamt Professor boykottiert TH-Arbeitsräume TH-Garagen: Parken ohne Genehmigung Hell erleuchtet waren die Parkebenen der scheinbar fertigen Garage nachts schon lange – nun verkündet der TH Pressedienst: „Grünes Licht für das Parkhaus in der Ruthsstraße“ – doch Professoren, wissenschaftliche MitarbeiterInnen und StudentInnen riechen giftige Abgase, die durch die Lüftungsanlage in die Arbeitsraume gelangen, wissen ihre Gesundheit bedroht und sehen rot. Gewöhnung Am 6. Januar war es so weit: Die Schranken gingen hoch, ganz still und heimlich, und die ersten zehn bis zwanzig Autos durften täglich über die neu angelegte Zufahrt von der Pankratiusstraße einfahren. Bald waren es 50 bis 60 Fahrzeuge, was einer Nutzung von etwa 15% entspricht. Unauffällig soll das Parkhaus in Betrieb genommen werden – die langsame Gewöhnung den Protest zum Verstummen bringen. Für 20 DM pro Monat hatten sich die FahrerInnen von der TH-Verwaltung die Parkerlaubnis erkauft. Eröffnung ohne Genehmigung Die Betriebs-Erlaubnis der Bauaufsichtsbehörde hat die TH-Verwaltung aber wegen fehlender Gutachten noch nicht. In der Ausgabe 26 berichteten wir über die fehlenden Schwingungs- und Immissionsgutachten für die Hochschule. Die Auflagen aus dem Gutachten für die BewohnerInnen des Martinsviertels, unter anderem die Verlegung der Zufahrt (s.. Briefe an die Redaktion), sind erfüllt worden. Die Hochschul-Verwaltung soll vorher versucht haben, das Haus an der Arheilger Straße Ecke Ruthsstraße gegenüber dem Parkhaus zu kaufen, mit welchem Ziel wohl? Wir fragten, ob der Präsident der THD die noch fehlenden Gutachten nun in Auftrag geben würde. Dies tat er nicht, da ein Gutachter, der auf Einladung des Kanzlers der TH das Parkhaus besichtigt hatte, erkennen ließ, daß nach einem schriftlichen Gutachten eine Inbetriebnahme nicht möglich sein würde. So gilt also bis heute: Ohne Gutachten keine Nutzungsgenehmigung! – Hätten Sie oder ich eine Wohnung oder auch nur eine Gartenlaube ohne Genehmigung gebaut und wollten sie bewohnen, so drohte jedem von uns ein Nutzungsverbot durch die Baubehörden. Auflagen zur Nachbesserung oder Abriß wären die Folgen. Allein gegen den Mief? Bei einer „Parkanlage“ (bitte vergessen Sie bei diesem Wort die Assoziationen mit großen Bäumen weiten Wiesen und Erholung) für 371 Fahrzeuge mit den Baukosten von 10,7 Mio DM, so die neuesten offiziellen Zahlen, ist das anders. Da bedarf es eines Professors, der vor und nach seinen Vorlesungen InfoZettel aushängt und an die ersten NutzerInnen des Gebäudes verteilt. Er klärt sie auf und einige wenige Parkplatz Suchende fahren Unter der Palette wird die Frischluft für das klimatisierte Gebäude der TH angesaugt. S eit die Autos in das Parkhaus rollen, gelangen die Abgase direkt in die Zimmer der dort arbeitenden Wissenschaftler. Professor Lauterborn streikt – zum Bericht–. (Foto: Haupt) auch gleich wieder raus. Doch es war auch zu hören: „ Wir haben ein Ticket – also ist es erlaubt“. Auf seinen Hinweis „Aber sie stören uns“ erhielt er die Antwort „mit Freuden!“. Bei solchen Tätigkeiten hatte Professor Lauterborn eine Woche lang einen Schatten, der stets hinter ihm her lief. Es war der Hausmeister, der von der Verwaltung zum Sonderspitzel degradiert wurde. Alle Aushänge, auch die an den Windschutzscheiben der Autos, entfernte er sofort wieder. Kein Abriß sondern Nachbesserung Werner Lauterborn möchte angesichts der bedrückenden Existenz des Parkhauses dieses nicht wieder abgerissen sehen, sondern die Gesundheitsgefährdungen ausschalten. Hier ahnen Sie schon, daß des Professors Tätigkeiten keine Tätlichkeiten sind, sondern eher die Peinlichkeiten der TH aufzeigen. Immer wieder verweist er auch auf seine Einwände von vor zwei Jahren, vor Baubeginn. Diese dementiert die TH auch gar nicht. – Ein offizielles Schreiben, solches zu unterlassen, gibt es nicht. Allerdings meinte der Kanzler der TH, Herr Seidler, anläßlich einer Ortsbesichtigung lapidar: „ Das ist jetzt halt so! “ und später einmal: „Man muß wissen wann man verloren hat.“ Ob hier der Wunsch der Vater des Gedankens ist? – Kann Professor Lauterborn wirklich nichts mehr tun? Inzwischen gab es die ersten Störfälle in dem Gebäude der Physiker. Dort wurden in Arbeitsräumen, die nur über die Klimaanla- ge belüftet werden können, Autoabgase gerochen. Darunter sind Kohlenmonoxid (tödlich giftig), Blei (schleichend giftig) und Benzol (krebserregend). In einem Brief an die MitarbeiterInnen und die betroffenen Angehörigen der Hochschule der Arbeitsgruppe „Nichtlineare Physik“, in dem der Weg der Gifte von den Autos zu den Arbeitsplätzen erläutert wird, kommt Lauterborn (in Wahrnehmung seiner Fürsorgepflicht gegenüber Schutzbefohlenen) zu dem Schluß: „Das Gebäude wird also mit Autoabgasen belüftet … Um Ihre Gesundheit nicht zu gefährden, untersage ich daher vom Tage der Nutzung des Parkhauses das Arbeiten in diesen Räumen. Diese Anordnung gilt solange, bis das gesetzlich vorgeschriebene Gutachten erstellt und darin die Unbedenklichkeit bescheinigt wird, oder durch Umbaumaßnahmen (z.B. Entlüftung des Parkhauses nach oben) und eine andere Zufahrt die Gefährdung beseitigt wird.“ Lauterborn selber hält sich auch an seine Anweisungen. „Er ist nicht mehr da“ sagen seine MitarbeiterInnen. Der Professor hat keine Residenzpflicht. Seine Vorlesungen im Hörsaal nimmt er wahr, die StudentInnen dürfen Ihn auch zu Hause anrufen, doch neue Diplomarbeiten vergibt er nicht mehr. Holger Haupt „Das Gebäude wurde bereits im letzten Jahr fertiggestellt. Die Inbetriebnahme verzögerte sich jedoch durch die Auflage, die Brandmeldeanlage direkt an die Zentrale der Feuerwehr aufzuschalten“, begründet die TH offiziell die Verzögerung. PCB: Jetzt werden Schuldige gesucht Und die Kinder werden weiter vergiftet… so lautete der Aufmacher der Ausgabe 25. Intern hat der Artikel wohl bei Behörden und Parteien für viel Wirbel gesorgt, denn dort hielt man das Problem für erledigt mit Ausnahme der kontaminierten Fugenmassen. Umweltdezernent Swyter (FDP) hatte noch auf der Ausschuß-Sitzung vom 12.12. erklärt, „Sie können Anträge stellen soviel Sie wollen“ und behielt damit insofern Recht, als auf der Stadtverordnetenversammlung vom 19.12. der Beschluß des Umweltausschusses, bis zu den Osterferien 92 alle Lampen in der Lichtenbergschule auszutauschen, zu Fall gebracht worden war – stattdessen sollten erst Raumluftmessungen durchgeführt werden. Zur Vorbereitung der Stadtverordnetenversammlung vom 30. Januar stand unter anderem vor dem Umweltausschuß wieder die Lichtenbergschule auf dem Programm. Die SPD hatte einen Antrag gestellt, den der SPDAbgeordnete Busch begründete: „Unsere Begründung war falsch (gemeint Stadtverordnetenbeschluß vom 19.12.), denn es gibt eine Trennung zwischen den Messungen, einmal um die Belastung durch PCB-haltige Fugenmittel zu erfassen und zum anderen die kontaminierten Lampen. Tatsache ist, daß die Lampen ausgetauscht werden müssen!“ Da die CDU gegen diesen Dringlichkeitsantrag protestierte, entschied der Vorsitzende des Ausschusses, Michael Siebert (Grüne), „Dies ist nichts Neues. Der Kollege Matthias Hohmann (Grüne) hat das schon auf der letzten Umweltausschuß-Sitzung vorgetragen. Die daraufhin getroffene Entscheidung des Umweltausschusses ist von den Stadtverordneten aufgehoben worden auf Initiative ihrer Partei und kann nur von den Stadtverordneten wieder umentschieden werden“. Im Wechselspiel der Kompetenzen hat den schwarzen Peter nach dem Willen der SPD vorerst Dr. Rösch, der jedoch in Sachen PCB fleißig war: Es liegt eine Vielzahl von Anfragen seines Dezernates vor in Wiesbaden und Bonn, in denen er wissen will, wie vorzugehen sei. Für den Austausch der Kondensatoren und Lampen war er zuständig, weil unter seiner Regie das Hochbauamt arbeitet. Die Messungen unterstehen dem Umweltdezernenten Swyter (FDP), dessen Ämter nach seiner Auskunft 1991 nichts haben messen lassen und der Schuldezernent, Peter Benz (SPD) erklärte uns auf Anfrage, für das Schließen von Klassenräumen sei er nicht zuständig. Statt dessen leitete er die Fragen der ZD weiter. Liegenschaftsdezernent Wessely (CDU) antwortet uns auf die Frage, ob es richtig sei, die Kinder weiterhin in den PCBbelasteten Räumen zu unterrichten: „Es ist schwierig, absolute, gesundheitsgefährdende Obergrenzen für PCB-Werte anzugeben, wobei jedoch Werte über 300 Nanogramm pro Kubikmeter nicht vorkommen sollten“. Im selben Schreiben zitiert er, „Raumluftmessungen insbesondere in zwei Räumen der Lichtenbergschule, die in beiden Fällen Werte von unter 1000 Nanogramm ergaben“ (Raum 610, 915 ng). Die dreifache rechnerische Belastung hat Wessely wohl nicht gesehen, denn er schreibt weiter:„Unklar ist, welche Höchstwerte an PCB-Belastung erreicht oder überschritten worden sein sollen“. In der Zwischenzeit waren die Eltern selbst tätig: Sie kratzten die Fugenmittel mit Messern heraus, und demontierten, ohne die Behörden in Kenntnis zu setzen, zwei Lampen-Schalen und gaben diese auf eigene Kosten zur Überprüfung an unabhängige Institute weiter, die dann tatsächlich auch wieder PCB nachweisen konnten. „Ich bin persönlich niemandem böse“, kommentiert ein Vater von zwei Kindern an der Lichtenbergschule, Dr. Rolf-Dieter Düppe, seinen Strafantrag bei der Darmstädter Staatsanwaltschaft wegen Verstoßes gegen das Emissionsgesetz. Schon einmal war eine Strafanzeige im Januar 91 ergebnislos verlaufen und der zuständige Staatsanwalt kommentierte die erneute Anzeige mit den Worten, „O Gott, da seid ihr ja schon wieder“. Diesmal will Dr. Düppe „daß etwas passiert. Unsere Geduld ist zu Ende“. Was ihn besonders empört, ist die schon im Dezember 90 aufgestellte Behauptung des Gesundheitsamtes: „Da ist kein PCB mehr drin“. Dies alles steht in krassem Widerspruch zu der Behauptung der Behörden, alle kontaminierten Lampen seien ausgetauscht worden. Das Problem liegt für die Behörden heute wohl darin begründet, daß zwar alle Kondensatoren ausgewechselt die defekten aber nicht festgehalten worden waren - auch wenn Dr. Rösch dies energisch dementiert: „In der Lichtenbergschule wurden im Rahmen des flächendeckenden Austauschs PCB-haltiger Kondensatoren keine Defekte gefunden, so daß bei dieser Maßnahme ein Austausch weder von Schalen noch Beleuchtungskörpern erforderlich war“, schreibt er auf Anfrage der ZD und kritisiert: „Dies wurde schon mehrmals berichtet, jedoch nicht zur Kenntnis genommen. Dies zeigt auch die Unterstellung, daß ‚geheim gehaltene Ergebnisse‘ nicht veröffentlicht werden, Ihre unverfrorene Behauptung der Geheimhaltung, zu der überhaupt kein Anlaß besteht und die absichtlich die Mitarbeiter in Mißkredit bringen soll, weise ich aufs Schärfst zurück“ – Meßergebnisse, die 4000 Nanogramm PCB in Lampenschalen nachgewiesen haben sollen nach dem Austausch der Kondensatoren, sind bis heute nicht zugänglich (sieh auch Seite 2 „ZD gewinnt zweiten Presseprozeß“). Sachstand heute ist, daß entweder jede Lampe untersucht oder alle ausgewechselt werden müssen, das dürfte dann eher eine Preisfrage sein, die sich jedoch allein deshalb aus Sicht der Eltern erübrigt, weil energiesparende Leuchten ihre Kosten nach fünf Jahren wieder eingespielt haben sollen. Berechnungen für den Komplett-Austausch hat Dr. Rösch angekündigt. M. Grimm 5 . Kalenderwoche - Seite 5 „In Darmstadt hat ein Baum beste Lebenschancen“ Von dem Problem der verschiedener Wirklichkeiten am Beispiel Baumsatzung In der achten Ausgabe hatten wir „Von der Unwohnlichkeit der Heimstätte und den Segnungen des Rechts“ über das Fällen von Bäumen auf dem Grundstück des RentnerEhepaares Leidig geschrieben. Dort hatte erst die Wohnungsbaugesellschaft „Nassauische Heimstätte“ 30 Bäume fällen lassen und der damals neue Eigentümer Erwin Pustlauk später weitere 14. Die Mieter des Hauses hatten protestiert und sogar via Einstweiliger Anordnung versucht, Rechtschutz zum Erhalt der Bäume zu bekommen. Unter Kiefern, Lärchen, Douglasien und Tannen waren auch mehrere Bäume, deren Umfang, ein Meter über dem Boden gemessen, die Stärke von 60 Zentimetern ausgewiesen haben soll. Mit Erstaunen durften wir dem „Echo“ vom 23.1.92 entnehmen, daß Stadtrat Dr. Rösch (CDU) die vor acht Jahren eingeführte Darmstädter Baumschutzsatzung als „ein sinnvolles Instrument“ lobte, das seit 1984 rund achthundert Bäumen das Leben gerettet habe. Des weiteren stand darin zu lesen, daß „alle legalen und natürlich auch die ertappten illegalen Baumfäller verpflichtet sind, Ersatzbäume anzupflanzen. Wer mutwillig gegen die Satzung verstößt, muß obendrein Bußgeld (bis zu 50.000 Mark) zahlen“. Das „Echo“ schließt, „darum hat ein gesunder Baum auf Darmstädter Privatgrundstücken die besten Lebenschancen“. Deshalb wollten wir von Dr. Rösch wissen, warum in dem o.a. Fall der Eigentümer nicht verpflichtet worden ist, Ersatzbäume zu pflanzen, und warum die „Nassauische Heimstätte“ und der Eigentümer keine Bußgelder entrichten mußten. Seine Auskunft: Die Genehmigung für das Fällen von zwei Kiefern und einer Lärche wurde erteilt, die übrigen Bäume fielen nicht unter die Satzung. Allerdings „mit der Auflage entsprechender Ersatzpflanzung“. Bis heute sind keine neuen Bäume gesetzt worden! Die Begründung für die Genehmigung ist interessant: „Eine durchgehende Wand an der Grundstücksgrenze aus Nadelbäumen in einer Höhe von rund 8 Metern widerspricht sowohl den öffentlich-rechtlichen wie den privatrechtlichen Belangen.“ Der Eigentümer hatte mit dem Nachbarn ausgehandelt, daß der sich an Stelle der Bäume eine Garage hinsetzen darf – diese Betonkisten sind demnach das richtige Pendant zu öffentlich-privatrechtlichen Belangen. Unsere Frage, ob überhaupt schon einmal seit Gültigkeit der Baumschutzsatzung ein Bußgeld und wenn in welcher Höhe verhängt worden ist, blieb unbeantwortet, ebenso wie unsere Bitte um Zusendung der Baumschutzsatzung. Im ersteren Falle müssen wir das Schweigen wohl so auslegen, daß dies nicht passiert ist und im zweiten Fall scheint man weitere Fragen zu fürchten. Das „Echo“ hat sich offensichtlich in der Stadt geirrt… mg Regenwald in Mercks Tiefkühltruhe Wenigstens eine Aufschiebung weiterer Patentierung von Produkten des GenEngineering haben die Grünen im EuropaParlament (EP) erreicht. Ein australisches Forschungsunternehmen wollte der Abgeordneten Hiltrud Breyer aus Mandelbachtal zufolge ein weibliches Gen für sich beim Europäischen Patentamt in München reservieren lassen. Das aus einem Eierstock isolierte Gen erzeugt das Hormon Relaxin. Die Grünen vertraten die Ansicht, der Anspruch von medizinischen Firmen auf gentechnisch hergestellte Organe und auf gentechnische Reproduktionstechniken untergrabe das Recht des Einzelnen, über seinen Körper selbst zu bestimmen. Sie warnten davor, daß die „Biotech-Industrie“ bereits Fakten schaffe, während die öffentliche Diskussion noch in den Kinderschuhen stecke bzw. bereits wieder ihr Interesse verloren habe. Dabei verwiesen sie auf den „jüngsten Fall“, wonach Merck, weltgrößter Pharmakonzern, die Exklusivrechte für den genetischen Vorrat des Regenwaldes der mittelamerikanischen Republik Costa Rica für eine Million Dollar erkauft habe. Auch die berüchtigte „Harvard Mouse“ ist inzwischen in München nach mehreren vergeblichen Anläufen patentiert worden. Die abzuschätzenden Gefahren seien im Verhältnis zu dem zu erwartenden Nutzen, den die „Krebsmaus“ der Forschung bringen werden, sehr gering. Sicherlich: die Maus wird nicht gigantisch groß und blutrünstig werden; doch auch die EG hat damit ihr erstes patentiertes, neu kreiertes Lebewesen eingebürgert. Timo Rieg ❖❖❖ Mehr Verkehrsopfer „Die Auswertung einer Statistik über das Unfallgeschehen des vergangenen Jahres auf dem ca. 640 km langen Autobahnnetz im Regierungsbezirk Darmstadt brachte ein äußerst unerfreuliches Ergebnis. Die Zahl der ums Leben gekommenen Personen hat sich erheblich erhöht. Waren es 1990 68 Unfalltote, so erhöhte sich die Zahl um 30 auf nunmehr 98 Tote (+ 44 %) im Jahr 1991“. Pressestelle Regierungspräsidium Alles in Ordnung! Das Document Center in Berlin ist zugänglich für jeden. Jetzt erfahren wir endlich umfassend, wer in der NSDAP welche Rolle gespielt hat. Die Firmen und Stadtarchive haben ihre Panzerschränke öffnen müssen. Jetzt endlich können auch die DarmstädterInnen sehen, wer sich bei den Nazis eine goldene Nase verdiente, wer Juden abtransportierte, wer politische Häftlinge zusammenschlug, und wer die ZwangsarbeiterInnen ruinierte. Manch dicker Fisch geht uns da noch ins Netz. Und alle, aber auch alle Nazi-Opfer bekommen endlich eine gute Entschädigung. Geheimdienste, Regierungsstellen, Verwaltungen und Gerichte müssen alle Akten der BRD-Zeit offenlegen. Unter der Losung „Wir sind das Volk!“ sichten Bürgerkomitees die Unrechtsmaßnahmen gegen Kommunisten und Pazifisten. Jetzt wissen auch die DarmstädterInnen, wer wem den Beruf verboten, wer gehetzt und wer geschnüffelt hat. Und alles steht in der Zeitung, schwarz auf weiß! Doch halt! Falsch! Irrtum! Ein böser Traum! Es ist doch alles in Ordnung. Das Document Center fault gut abgedichtet vor sich hin, und die Bundesregierung schiebt es weiterhin von sich weg wie eine schimmelige Kartoffel, obwohl der große Bruder in Übersee seit langem um Übernahme bittet. Was sollen wir denn mit den uralten Daten? Und schließlich gibt es ja noch den Persönlichkeitsschutz! Auch die Firmenbesitzer haben ihre wohlverdiente Ruhe. Und nix mit Akteneinsicht bei den geheimen Stellen! Das dient der öffentlichen Ordnung. Wo kommen wir denn hin, wenn jeder weiß, wer ihm was angetan hat! Doch halt! Das gilt nur für die Wessies! Die Ossies lassen wir mal auf den Stasi los, sind ja ganz schön sauer. Jeder darf mal in seinen Akten blättern, damit er merkt, daß er jetzt in einer Demokratie lebt. Und wenn er so richtig empört ist über die Oibes und IMs in seiner Nachbarschaft und all den unbekannten Namen nachspürt, dann fällt ihm vielleicht nicht so auf, daß wir zur Zeit leider keine Arbeit für ihn haben. Unseren Staat wollen wir gründlich reinigen von Stasi und SED. Wenn wir drüben kehren, dann mit eisernem Besen. Und welch großes Tier wir laufen lassen, das bestimmen wir! Kurt Westling Reaktionen auf die Ausgabe 25 Für Gebührenverweigerung Nicht alle wollen sich die neuen Gebührenbescheide der Südhessischen gefallen lassen. Michael Siebert hatte in der Ausgabe 25 seine Gründe dafür genannt. Über die Gebührenerhöhung ebenfalls entgeisterte LeserInnen riefen an. Eine Hauseigentümerin berichtete von eigenen Recherchen: „Ich wollte wissen, wie das ist, wenn ich für mein Haus und meinen Garten getrennte Zähler setzen lasse, ich dachte dann kann ich sparen. Was dabei raus kommt ist ungeheuerlich! Wußten Sie, daß man für seinen Garten jedes Jahr 20.000 Liter über die Kanalgebühren bezahlt, ehe man auch nur einen Liter zusätzlich verbraucht. Ich muß bezahlen, obwohl ich gar nicht so viel Wasser brauche. Außerdem haben mir die vom Steueramt am Telefon erklärt‚ da können Sie gar nichts machen und selbst wenn es jemandem gelingen sollte, die Tarife aussetzenzulassen, dann holen wir uns das Geld halt an anderer Stelle.“ Am Stammtisch verlautete wegen der SV-98-Methoden gegen den Gastronomen Facchin, „das ist schon richtig, was die geschrieben haben“. Gleichzeitig wurde laut darüber sinniert, wie der finanziell marode Sportverein seine „über hundert Millionen“ Schulden bei der Stadt- und Kreissparkasse wohl tilgen will: „Das soll von der Sparkass‘ als Spende abgesetzt worden sein“. Nur ein Gerücht? Wie wir schon berichtet hatten, spielen der Verein und die Henninger Brauerei auf Zeit, um zu warten bis der Gastronom zahlungsunfähig ist, denn dann verdienen beide. Andere Italiener aus dem Gewerbe meinten, der Bericht habe Facchin um die letzte Chance gebracht, vielleicht, weil sie glauben, es hätte sich vielleicht doch ein Dummer finden lassen, der von allem nichts gehört und gelesen hat und von Facchin die Gaststätte übernimmt – das ist nur eine Illusion, denn mit dem SV-98 muß jeder in Vertrag gehen. „Das ist Falschberichterstattung“, kommentierte verärgert das Verwaltungsratsmitglied des SV-98, Hermann Lotz, den Bericht, „denn das waren 319.602 DM, die Facchin investiert hat und nicht 600.000. Außerdem gab es mündliche Vereinbarungen mit Facchin, die ihm seine Investitionen abgegolten haben“. Richtig ist: Vor Steuern sind 319.602,42 DM ausgewiesen worden, die monatliche Pacht war zur Tilgung des Betrages um 2500 DM reduziert, sodaß heute ein Restbetrag von 207.102,42 DM nicht getilgt ist – wohl bemerkt nur die offiziellen Gelder betreffend. Der heutige Vereinsvorstand schweigt sich zu den Vorwürfen ansonsten aus, ebenso wie das „Darmstädter Echo“, dem der Vorgang ebenfalls bekannt ist. (siehe auch ‚Briefe an die Redaktion‘: „Ich stehe hinter dem Vertrag“) ❆❆❆ Späte Entschädigung für NS-Opfer Wer unter Nationalsozialisten Opfer war, kann eine späte Entschädigung beanspruchen: Das Land Hessen hat dafür einen Härtefonds eingerichtet. Dieser sieht einmalige Hilfen bis zu 7. 000 DM vor und laufende Zahlungen, bis zu 614 DM. Antragsberechtigt sind in Hessen wohnende NS-Opfer, die keine Entschädigungen erhalten haben. Dazu zählen insbesondere Sinti und Roma, Wehrdienstverweigerer und Deserteure, Homosexuelle, „Euthanasie“-Geschädigte, Zwangssterilisierte und ZwangsarbeiterInnen. Auch mitbetroffene LebenspartnerInnen, Kinder oder Eltern können einen Härteausgleich erhalten. Die Zahlungen werden auf Vorschlag eines Beirates aus VertreterInnen geschädigter Gruppen gewährt, sie werden nicht auf Sozialhilfe angerechnet. red Nullrunde Umweltpolitik Martin Lichtenthäler (CDU) kritisiert Untätigkeit „Stadtrat Heino Swyter (FDP) verabschiedet sich von einem Arbeitsgebiet nach dem anderen“, bemängelt der umweltpolitische Sprecher der CDU-Fraktion, Martin Lichtenthäler, erst die Kläranlage, dann das Umweltlabor, die Energie-Einsparung macht der Kollege Dr. Rösch (CDU). Nach den Haushaltsberatungen steht fest, daß auch im Umweltbereich eine Nullrunde angesagt ist. Bei der Untersuchung der Altlasten vernachlässigt Swyter sträflich seine Pflichten. Obwohl an 31 festgestellten Orten von zum Teil erheblichen Belastungen des Bodens ausgegangen werden müßte, ist Swyter nicht bereit, weitere Untersuchungen anzustellen. Die CDU hatte für diesen Zweck im Haushalt 60.000DM bereitstellen wollen. Swyter handele bei dem kritischen Thema Altlasten nach dem wenig verantwortungsbewußten Grundsatz: was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß. Damit wird ein zweiter Umweltskandal wie seinerzeit beim Schlachthof heraufbeschworen, wo ebenfalls ein FDP-Stadtrat die Augen fest zugedrückt hat. Im vergangenen Jahr ist auf Initiative der CDU eine Altlasten-Untersuchung am Böllenfalltor durchgeführt worden, die Ergebnisse von erheblicher Brisanz ans Licht gebracht hat. Natürlich ist die Untersuchung nur der erste Schritt, die Sanierung muß folgen. Was Stadtrat Swyter macht, erinnert an die bekannten drei Affen, nicht Böses hören, nicht Böses sehen, nur mit dem Mundhalten kann er sich nicht anfreunden. Auch die Verstärkung der Öffentlichkeitsarbeit, damit Umweltschutz auf breiter Basis angenommen und praktiziert wird, hat bei SPD und FDP keine Mehrheit gefunden. In Konsequenz dieser Nullrunde im Umweltschutz könnte man auch den Stadtrat einsparen.“ Methadon für Heroinabhängige Nach langem Ringen um einen „Hessischen Weg“ in der Methadon-Substitution Heroinabhängiger unterzeichneten die hessische Landesregierung und ihre Verhandlungspartner den „Rahmenvertrag über die Verordnung, Abgabe und Verabreichung von Methadon (L-Polamidon)“. Damit bestehe ab sofort die Möglichkeit angemessener Hilfen für viele Drogenabhängige, erklärte die hessische Ministerin für Jugend, Familie und Gesundheit,Iris Blaul (Grüne). ÄrztInnen, die für Ihre PatientInnen Anträge zur Substitution stellen wollen, müssen sich an eine dafür eingerichtete Geschäftsstelle bei der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen in Frankfurt wenden. Die Anträge werden dann von der „Substitutionskommission“ der Landesregierung beraten. Nach diesem ersten Schritt sollen in diesem Jahr erstmals Projekte zur psychosozialen Begleitung von Substitution und im Wohnund Arbeitsbereich durch das hessische Gesundheitsministerium gefördert werden. Frau Blaul kritisierte in diesem Zusammenhang, daß die schon für die letzte Legislaturperiode in Bonn versprochene Novellierung des Betäubungsmittelrechts immer noch nicht verwirklicht sei und damit der notwendigen ärztlichen Behandlung von Abhängigen weiterhin unvertretbare Hemmnisse im Weg stünden. red Die Arbeit von amnesty international besteht darin, solche oder ähnlich formulierte Briefe an Politiker zu verschicken und gegen die Verletzung von Menschenrechten zu protestieren. Derzeit organisiert amnesty eine Hilfsaktion für Journalisten und andere Peruaner. Im Fall der Journalisten ist über den Radiosender „Wari“ eine Morddrohung verbreitet worden, die Redakteure wurden gezwungen, einen vorgehaltenen Text zu verlesen. Polizei und Gerichte kümmern sich nicht um die Strafverfolgung, sodaß die Gewalttaten ständig zunehmen. Da laut amnesty sowohl die linke Guerilla terrorisiert, als auch staatliche Organisationen, ist Protest von außen derzeit die einzige Hilfe für die Bevölkerung. Presidente de la República del Perú Palacia de Gobierno Plaza de Armas Lima 1 PERU Menschenrechtsverletzungen Excelentísimo Sr. Presidente, seit 1983 werden in Peru die Menschrechte nach uns vorliegenden Informationen von der Guerilla-Organisation „Sendero Luminoso“, von „Movimento Revolucionario Tupac Amaru“ und von der Armee mißachtet. Bei dem Regierungsantritt 1990 hatte Staatspräsident Alberto Fujimori zugesagt, eine neue Ära der Wahrung von Menschenrechten in Peru einzuführen, dennoch sind laut Berichten von amnesty international weitere 250 Menschen verschwunden oder ermordet worden. Wir protestieren aufs Schärfste dagegen und fordern die Regierung auf, Rechtsstaatlichkeit wieder herzustellen und den Schutz des Einzelnen vor der Guerilla und den Sicherheitskräften zu garantieren. Deshalb protestieren wir gegen die Ermordung des Journalisten Luis Antonio Morales Ortega (13.6.91), der unter der Regierung des amtierenden Präsidenten straffrei gelyncht werden konnte. Daß die peruanische Regierung Probleme mit den Guerilla-Organisationen hat, mag ein Aspekt für den Hintergrund der Menschenrechtsverletzungen sein, aber außergesetzliche Gewalt rechtfertigt keineswegs, daß staatliche Gewalt ebenfalls außergesetzlich reagiert. Es ist oberste Pflicht jeder Staatsgewalt die bestehenden Gesetze selbst zu respektieren. Eine freie Pressemuß über derartige Verstöße ungehindert berichten und damit eine wirksame Kontrolle der Öffentlichkeit ausüben können, über eine mordende Guerilla aber auch über verbrecherische staatliche Sicherheitsorgane. Es ist ein Fehlglaube herrschender Macht, daß durch die Unterdrückung von Informationen Morde nicht bekannt würden. Zu einer Regierung, die demokratische Grundsätze für sich in Anspruch nimmt, ist die Wahrung der demokratischen Rechte des Einzelnen oberste Pflicht. Wir sind empört über die Behandlung der Journalisten Magno Sosa Rojas und Necias Taquiri, vor allem über die Drohungen, die in der Öffentlichkeit gegen Sie ausgesprochen werden dürfen. Ist die Regierung Perus zu schwach, um die Morddrohungen mit rechtlichen Mitteln zu verfolgen oder kommt ihr die Bedrohung der Journalisten gerade recht, um unliebsame Kritiker los zu werden? (Sendung von Radio „Wari“ in Huamangna 10.6.91) Wir informieren unsere LeserInnen künftig ausführlich über die Menschenrechtsverletzungen in Ihrem Land. Deshalb bitten wir Sie die folgenden Fragen zu beantworten. Was wird die peruanische Regierung gegen die ständigen Menschenrechtsverletzungen der Guerilla unternehmen und was gegen die der eigenen Sicherheitsorgane? 5 . Kalenderwoche - Seite 6 I n den siebziger Jahren konnte man an der Technischen Hochschule Darmstadt beobachten, wie die StudentInnen Referatsthemen vermieden, die irgendetwas mit Marx oder Marxismus zu tun hatten oder als „zu links“ verstanden wurden. Als Grund gaben sie ihre Befürchtung an, der bundesdeutsche Geheimdienst („Verfassungsschutz“) kontrolliere wohl nicht nur die Examensarbeiten, sondern auch die Referate der unteren Semester. Und ein PolitikStudent der Frankfurter Goethe-Universität erzählte, in einem Seminar über die DDR habe man einen Spitzel des Geheimdienstes enttarnt, der seine Tätigkeit gar nicht leugnete und auch nicht daran dachte, das Seminar zu verlassen. kommunismus nicht mitmachte und man ihm deshalb vorhielt, daß er die freiheitlichdemokratische Ordnung zwar nicht aktiv bekämpfe, ihr aber gleichgültig gegenüberstehe. Oder wenn man in der Gesinnung des Gerhard Bitterwolf eine „Verharmlosung des kommunistischen Systems“ erspähte. Hexenjagd im 20. Jahrhundert. Sippenhaft „Galilei im Gespräch mit der Lehrerin Inge Bierlein über die zeitliche Begrenztheit von Berufsverboten“ (Jost Maxim, 1976 aus: „Wir Verfassungsfeinde“, Pahl-Rugenstein 1977) Auch Fälle von „Sippenhaft“ gab es: eine Lehrerin war „verdächtig“, weil „ihr Vater in mehreren kommunistischen Tarnorganisationen Mitglied“ sei, und einem Lehrer wurde mitgeteilt, es würde seiner eigenen Beurteilung zugute kommen, wenn er eine Scheidungsklage gegen seine Ehefrau mit deren Mitgliedschaft in der DKP begründe (5). Schon 1973 hatte diese Hexenjagd nicht nur Lehrer an Schule und Hochschule getroffen,sondern auch Sozialpädagogen, Juristen, Ärzte, Theologen, und nicht nur Beamte, Arbeiter und Angestellte im öffentlichen Dienst verloren ihren Arbeitsplatz, sondern auch Journalisten, Arbeiterund Jugendvertreter in den privatwirt- Nach zwanzig Jahren: Windstille icht nur in Darmstadt oder Frankfurt – auch an anderen Universitäten Westdeutschlands zeigte man politische Vorsicht. So zum Beispiel wurde Sekundärliteratur aus der DDR gemieden oder ein historisch-materialistischer Interpretationsansatz. Oft warnten auch freundliche DozentInnen, die es gut meinten, ihre StudentInnen vor „gefährlichen“ Themen. Ähnliches geschah an den Oberstufen der Gymnasien. N Auch im Alltag wirkte die Angst. Man hielt sich zurück bei im Grunde völlig unverfänglichen Unterschriftensammlungen oder bei Demonstrationen, verzichtete auf unliebsame Auto-Aufkleber, verheimlichte am Arbeitsplatz die Mitgliedschaft in der Gewerkschaft, und manch einer kontrollierte gar, was er in den Papierkorb warf (1). Die zwischenmenschlichen Beziehungen wurden beschädigt durch Rückzug und Abgrenzung. Um Kommunisten herum entstanden unsichtbare Mauern, man ging ihnen aus dem Weg, als hätten sie die Pest, vermied auch den Telefonkontakt mit ihnen, weil es als sicher galt, daß der Geheimdienst mithörte. Die gleiche Kontaktscheu traf aber auch NIcht-Kommunisten, die kein Problem darin sahen, mit Kommunisten in der Sache zusammenzuarbeiten. Ein Klima der Unsicherheit und des Mißtrauens entstand bei vielen, das Gefühl, bedroht zu sein durch Berufsverbot, das war im engeren Sinne die Verweigerung der Beschäftigung aus politischen Gründen in einem Monopolberuf des öffentlichen Dienstes, oder, im weiteren Sinne, im öffentlichen Dienst generell. Ein Hauch von Stasi wehte durch die BRD. Wie war es dazu gekommen ? Am 23.11.1971 hatte der SPD-dominierte Hamburger Senat in einer Grundsatzentscheidung festgestellt, „…daß die Ernennung zum Beamten auf Lebenszeit bei politischen Aktivitäten des Bewerbers in rechts- oder linksradikalen Gruppen Ein Hauch von Stasi wehte durchs westdeutsche Land unzulässig ist“. Dies war das unmittelbare Vorspiel zum Beschluß der Ministerpräsidentenkonferenz über „Grundsätze zur Frage der verfassungsfeindlichen Kräfte im öffentlichen Dienst“ vom 28. Januar 1972. In das Beamtenverhältnis, so heißt es dort, darf „…nur berufen werden, wer die Gewähr dafür bietet, daß er jederzeit für die freiheitlich-demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes eintritt…“ Das stand bereits in den Beamtengesetzen. Neu und von großer Tragweite war aber folgendes: „Ein Bewerber, der verfassungsfeindliche Aktivitäten entwickelt, wird nicht in den öffentlichen Dienst eingestellt. Gehört ein Bewerber einer Organisation an, die verfassungsfeindliche Ziele verfolgt, so begründet diese Mitgliedschaft Zweifel daran, ob er jederzeit für die freiheitlichdemokratische Grundordnung eintreten wird. Diese Zweifel rechtfertigen in der Regel eine Ablehnung des Anstellungsvertrages.“ Bei bereits verbeamteten Personen sei entsprechend „…zu prüfen, ob die Entfernung des Beamten aus dem Dienst anzustreben ist.“ Für Arbeiter und Angestellte im öffentlichen Dienst gelte dasselbe. Die „Gemeinsame Erklärung des Bundeskanzlers (Willy Brandt) und der Ministerpräsidenten der Bundesländer“, ebenfalls vom 28.1.1972, klopft das Ganze noch einmal fest. Der „Radikalenerlaß“ Mit dem politisch-propagandistischen Begriff „verfassungsfeindlich“ wird durch den Ministerpräsidentenbeschluß, auch „Radikalenerlaß“ genannt, ein Terminus in die Rechtssprache eingeführt, den das Grundgesetz nicht kennt (dort heißt es: „verfassungswidrig“) und von dem es qua- si unterlaufen wird. Die vielfältigen Gefahren, die aus diesem Erlaß erwachsen mußten, wurden sofort gesehen, und es gab breite Proteste (2). Ihr Unbehagen zeigten im Februar 1972 unter anderen die „Humanistische Union“, die „Sozialistische Jugend Deutschlands – Die Falken“ und im März auch der „Ring Christlich-Demokratischer Studenten“ (RCDS). Die „Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Juristen“ (ASJ) warnte im Mai 1972 vor der „…Möglichkeit, verfassungsmäßig-progressive Kräfte als verfassungsfeindlich zu diffamieren und damit aus dem öffentlichen Dienst fernzuhalten.“ Der Bezirksparteitag der SPD Hessen-Süd befürchtete im selben Monat unter anderem eine „Ausforschung politischer Auffassungen“ und forderte in aller Schärfe, „daß die Ministerpräsidenten ihren Beschluß aufheben.“ „Verletzung des Grundgesetzes“ Lesenswert der Beschluß der Bundesdelegiertenkonferenz der Jungdemokraten vom Juni 1972. Treffsicher bringt er die Sache auf den Punkt. Die Kampagne gegen Radikale im öffentlichen Dienst richte sich nicht gegen rechts, sondern gegen links, es gehe nicht um den Schutz des Grundgesetzes und der Grundrechte, sondern vielmehr darum, „…Rechtsstaatlichkeit und Grundrechte auszuhöhlen, um durchaus verfassungsgemäße Progressivität an ihrer Entfaltung zu hindern und vor allem Angehörige der nachwachsenden Generation einer radikaldemokratischen sozialistischen Bewegung einzuschüchtern bzw. aus beruflichen oder politischen Funktionen herauszuhalten oder zu verdrängen. Der Begriff der freiheitlich-demokratischen Grundordnung wird von den Veranlassern dieser neuen Sozialistenverfolgung auf verfassungswidrige Weise in ein Bekenntnis zum kapitalistischen Wirtschaftssystem umgefälscht. ‚Verfassungstreue‘ wird uminterpretiert in ein Bekenntnis zu gegenwärtigen ökonomischen und politischen Realitäten, die vom Grundgesetz her keineswegs als unabänderlich geschützt sind.(…) Dieser Politik des Verfassungsbruchs muß jeder Demokrat entgegentreten.“ Genau so argumentierte manches Berufsverbotsopfer. Verfassungswidrig findet den Ministerpräsidentenerlaß im Januar 1973 auch der frühere CDU-Landtagsabgeordnete und Bundesverfassungsrichter Herbert Scholtissek (er hatte am KPD-Verbot mitgewirkt) und meint: „Solange jedenfalls das Bundesverfassungsgericht die DKP nicht verboten hat, ist die Nicht-Zulassung von Mitgliedern dieser Partei zu öffentlichen Ämtern eine Verletzung des Grundgesetzes.“ Betroffen auch Reformpolitik „Schon wieder einen erwischt“, Zeichnung von Guido Zingerl (aus: Zingerl „Politische Karikaturen“, Fischerhude) Als auch Herbert Wehner im Februar 1973 Unbehagen verspürt und den Ministerpräsidentenbeschluß „etwas unscharf“ formuliert findet,„…als gäbe es Organisationen, die im Widerspruch zum Grundgesetz sehr wohl vom Dienstherrn, nicht aber vom Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrig angesehen werden könnten…“, ist es bereits zu spät. Denn nun ist eingetroffen, was das Präsidium der DKP schon am 19. Januar 1972 in seinem Protest gegen den erwarteten Ministerpräsidentenbeschluß voraussagte: „Wo derartiges gegen die Kommunisten praktiziert wird, stehen die Grundrechte aller auf dem Spiel, die es nicht hinnehmen wollen, daß die bestehende Herrschaft des Großkapitals über Staat, Wirtschaft und Gesellschaft die einzig verfassungsmäßige Ordnung sein soll. Täusche sich niemand damit, daß es angeblich nur gegen kommunistische Lehrer und Hochschullehrer gehe. Was bei ihnen beginnt, ist eine Kette ohne Ende, die alle treffen soll, die dem Großkapital unbequem sind.“ „Denn Antikommunismus,“ so warnt auch der Bundesvorstand der Jungsozialisten am 24. Januar 1972, „zielt zugleich auch immer auf Antisozialismus und trifft schon die Ansätze von Reformpolitik.“ Gesinnung unter der Lupe Der unter SPD-Mitverantwortung geschaffene Ministerpräsidentenbeschluß war für die SPD, die ihn gegen Kommunisten praktizierte, selber zum Bumerang geworden. Die Führung von CDU und CSU, die laut dem Bundestagsfraktionsvorsitzenden Rainer Barzel bei ihrem Kampf gegen die Mini-Prozent-Partei DKP sogar zur Grundgesetzänderung bereit war (18.1.72), hatte die Bürokratie der von ihr regierten Bundesländer zur Jagd auf die „Verfassungsfeinde“ ermuntert, worunter sie neben Kommunisten auch Sozialdemokraten (z.B. die Juristin Charlotte Nieß, die später in Nordrhein-Westfalen eingestellt wurde), engagierte Gewerkschafter (z.B. den Lehrer und GEW-Funktionär Rüdiger Offergeld (3)) und kritische, unangepaßte Parteilose verstand. In sogenannten „Anhörungen“ – faktisch waren das Verhöre, in denen die Beweislast beim Verhörten lag – wurde die Gesinnung der Betroffenen unter die Lupe genommen. Demokratische Inquisition Die Gedächtnisprotokolle späterer Verhöre, beispielsweise des Christen und parteilosen Kriegsdienstgegners Hans Heinrich Häberlein in Mittelfranken, des parteilosen Kriegsdienstgegners Manfred Lehner in Augsburg, des SHB-Mitglieds Gerhard Bitterwolf in Mittelfranken und anderer LehrerInnen tragen, was das Verhalten der Verhörenden und ihre Verhörtechnik angeht, deutliche Züge mittelalterlicher Inquisition (4). Hier nützte es dem Bewerber nichts, wenn er in überzeugender Weise seine Treue zum Grundgesetz klarmachte – die Inquisitoren wollten sich einfach nicht überzeugen lassen. Hier ging es auch nicht mehr darum, ob er Kommunist, Prokommunist, „kommunistisch gesteuert“ oder „kommunistisch beeinflußt“ war – es genügte schon, wie im Fall Häberlein, wenn er den ihm verordneten platten Anti- schaftlichen Betrieben (6), die ihre demokratischen Rechte wahrnehmen wollten. Eine Reihe von Grundrechten und anderen Bestimmungen des Grundgesetzes war außer Kraft gesetzt. Der „Radikalenerlaß“ hatte zum Demokratieverbot geführt. Die Praxis Eine Lawine war losgetreten worden, die sich nicht mehr aufhalten ließ. Als 1975 gar das Bundesverfassungsgericht von seinen früheren Urteilen abrückte und dem rein politischen Begriff der „Verfassungsfeindlichkeit“ seinen juristischen Segen gab (7), hatte sich das Ausnahmeprinzip der „wehrhaften Demokratie“ in ein alltägliches Instrument zur Disziplinierung von Demokraten, die das Grundgesetz ernstnahmen, verwandelt. Jetzt konnte jeder Vorgesetzte, der wollte, Verfassungsgericht spielen und jemanden öffentlich als „Verfassungsfeind“ verurteilen. Und der Geheimdienst muß bei seiner „Amtshilfe“ sehr fleißig gewesen sein. Seine „Erkenntnisse“ zur „Verfassungsfeindlichkeit“ sind vielfältig und umfassen unter anderem Reisen in die DDR, Teilnahme an Demonstrationen gegen den Vietnamkrieg und den Springerkonzern, Unterzeichnung eines Flugblatts gegen die Diktatur in Chile, Artikel gegen die Notstandsgesetze, Aktivitäten in einer Bürgerinitiative gegen Berufsverbote, Unterstützung einer von Berufsverbot betroffenen Kollegin. Und manchmal soll ein Pechvogel nur zufällig vor dem falschen, nämlich auch von Kommunisten besuchten Lokal geparkt haben – auch er landete in den Akten. Wen wundert es, wenn Studenten, wie oben beschrieben, sich dem staatlichen Druck unterwarfen und eher schwiegen, als ihre Zukunft aufs Spiel zu setzen? Warum kein DKP-Verbot? Als Willy Brandt 1976 den von ihm mitzuverantwortenden Erlaß von1972 reumütig als „Irrtum“ bezeichnete, hatte der Protest im Ausland einen ersten Höhepunkt erreicht. Die europäischen Nachbarländer hatten den Begriff „Berufsverbot“ als Lehnwort in ihre Sprachen übernommen, befürchteten aber, daß diesem Wortexport auch noch die Praxis folgen könne. Unangenehme Erinnerungen an die deutsche Geschichte wurden wach, alte Ressentiments gegen Deutsche geweckt. Ohnehin stand die BRD in Westeuropa ziemlich einzigartig da mit der Politik von Bundesregierung und Bundesländern, eine kommunistische Partei zwar nicht zu verbieten, aber ihre Mitglieder, selbst wenn sie als demokratisch gewählte Volksvertreter in den kommunalen Parlamenten saßen, außerhalb der Verfassung zu stellen und die Vernichtung ihrer beruflichen Existenz zu betreiben. Und ein Verbot der DKP und anderer linker Parteien kam auf keinen Fall in Frage, damit hätte man sich auf Pinochet-Niveau begeben. ☛ Fortsetzung Seite 7 5 . Kalenderwoche - Seite 7 ☛ Fortsetzung von Seite 6 UNO mahnt Der Protest im Ausland war sicher ein wesentlicher Grund dafür, daß in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre die Zahl der Berufsverbote etwas und in den achtzigern dann noch mehr zurückging, bis schließlich, gegen Ende der achtziger Jahre, die Politik der Berufsverbote kaum noch eine Rolle spielte. Seit 1978 waren rund zwanzig gegen die Berufsverbote in der BRD gerichtete Resolutionen vom Europaparlament angenommen worden, ihre Verabschiedung durch das EG-Parlament konnte auf Druck der Bundesregierung jedoch verhindert werden. Auch verschiedene Menschenrechts-Ausschüsse der UNO hatten sich mit dem bundesdeutschen Übel beschäftigt. Im Februar 1987 war dann die „Internationale Arbeitsorganisation“ (ILO), eine Sonderorganisation der UNO, nach gründlicher Untersuchung zu dem Schluß gekommen, daß die Berufsverbotspraxis in der Bundesrepublik Deutschland gegen die Menschenrechte und entsprechende Völkerrechtsabkommen verstößt, und hatte die 79 Verringerung der Zahl der „Fälle“, 1979-83 „liberalisierte“ Verfahrensrichtlinien und in den SPD-regierten Bundesländern nur noch vereinzelte Berufsverbote, zum Teil wohl auch unter dem Deckmantel der Rotstift-Politik und des Notendurchschnitts, ab 1983 jedoch Wiederaufnahme alter Verfahren auf Bundesebene durch die konservativ-liberale Bundesregierung, massenhafte Überprüfungen bei der Bundespost, indessen keine neuen Berufsverbote in den SPD-regierten Ländern. (Der Hessische Landtag hat sich laut Bethge/Holländer bereits Mitte der achtziger Jahre mit Mehrheit gegen Berufsverbote ausgesprochen. Bayern macht weiter). Insgesamt zählen sie im öffentlichen Dienst 3,5 Millionen politische Überprüfungen, 35000 Mitteilungen des Geheimdienstes an die Einstellungsbehörden über „Erkenntnisse“, 1250 Ablehnungen von Bewerbern, 256 Entlassungen aus dem Dienst und 2100 Disziplinarverfahren, dazu noch einige tausend Anhörungen. „Die meisten der rd. 10000 Berufsverbote und Berufsverbotsmaßnahmen wurden nach Protesten wieder zurückgenommen; tatsächlich Bestand hatten ca. 1000.“ in den SPD-regierten Bundesländern im Verhältnis zur Einwohnerzahl mehr Berufsverbote verhängt wurden als in den CDU-regierten. Trotz dieser Tatsache und der Verantwortung der SPD-Führung für den Ministerpräsidentenbeschluß und seine Folgen überschätzt Histor jedoch die negative Rolle „der SPD“, weil er die widersprüchliche politische Funktion dieser in sich sehr heterogenen Partei nicht differenziert genug untersucht und die Rolle der CDU/CSU nicht ausreichend beleuchtet. Was wäre wenn? Eine genaue Einschätzung der Geschichte der Berufsverbote, ihrer Ursachen, ihres Ausmaßes und ihrer Folgen, wird erst möglich sein, wenn Staat und Geheimdienst ihre Archive öffnen – ähnlich wie heute die Archive der Stasi für die Öffentlichkeit freigegeben sind. Historiker sehen bereits jetzt einen innenpolitischen Zusammenhang von Hitlers „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ (April 1933), dem Adenauer-Erlaß von 1950, der Anstellung ehemaliger Nazis im bundesdeutschen Staatsapparat und der Verfolgung der west- te die Geschichte einen anderen Verlauf genommen, säße man heute über die Berufsverbieter und ihre Helfershelfer zu Gericht, und mancher wäre erschüttert, bekäme er seine Akte mit gesammelten „Erkenntnissen“ gegen ihn zu Gesicht. Und wer ermißt… … die Folgen der Berufsverbote für das politische, wissenschaftliche und kulturelle Leben unserer Demokratie? (12) „Denn das Schlimmste an der Praxis der Berufsverbote ist die Verunsicherung der Menschen, der ausgeübte Zwang zur Anpassung, die Erziehung zum Duckmäusertum, die Heranzüchtung von Denunzianten, die wachsende Polizeistaatlichkeit.“ So Bernt Engelmann, und meint weiter: „Mit alledem ist die Bundesrepublik Deutschland weit hinter das Wilhelminische Regime zurückgegangen, in manchem noch hinter das ‚System Metternich‘ und die ‚Karlsbader Beschlüsse‘!“ (13) Artur Rümmler in Sachen „Radikalenerlaß“ Verantwortlichen gemahnt, diese Praxis einzustellen (8). Die Bundesregierung jedoch zeigte sich uneinsichtig und reagierte mit windigen Ausreden, wollte aber auch nicht mit dem Streitfall vor den Internationalen Gerichtshof (IGH) in Den Haag, die nächsthöhere Instanz, gehen, wo sie mit ziemlicher Sicherheit eine Niederlage erlitten hätte. Immerhin aber stand sie in der Pflicht, der ILO einen entsprechenden Bericht über ihre Praxis abzuliefern. Zwanzig Jahre Berufsverbote Horst Bethge und Hannes Holländer (9) von der Initiative „Weg mit den Berufsverboten“ unterscheiden in ihrem Rückblick 1987 folgende vier Etappen der Berufsverbotspraxis: 1972-75 massenweise Überprüfungen und Berufsverbote, 1975- ✱ Neofaschisten wurden geschont Zu der Zahl von 2115 „Verfassungsbrüchen“ (Berufsverbote, Staatsdienstverbote und politische Verfolgung) gelangen Manfred Histor (Pseudonym) und die Freiburger Bürgerinitiative gegen Berufsverbote (10) bei der gründlichen Auswertung ihres umfangreichen Archivs. Ihre Statistiken weisen die DKP mit Abstand als die am stärksten betroffene Partei aus (41,4 %), es folgen die K-Gruppen mit 14,4 %. Daß der „Radikalenerlaß“ in alter deutscher Tradition fast nur gegen die Linke angewendet wurde, während die Neofaschisten und ihr Umfeld geschont bzw. in Einzelfällen gar noch befördert wurden, ist aus den Unterlagen schnell ersichtlich und wurde von offizieller Seite auch nie dementiert. Histor macht die überraschende Feststellung, daß deutschen Friedensbewegung in den fünfziger Jahren, dem KPD-Verbot 1956 und der anschließenden Kommunistenverfolgung (11) bis zu den Notstandsgesetzen und der außerparlamentarischen Opposition (APO). Vielleicht ist der Ministerpräsidentenbeschluß auch der Preis, den man uns im außerordentlich heißen Wahljahr 1972 zahlen ließ für die außenpolitisch bahnbrechenden, der Entspannung dienenden Verträge mit der UdSSR und Polen (1970) und der DDR (1971 und 1972). Doch läßt sich damit nicht die tausendfache Vernichtung beruflicher Existenz rechtfertigen, die Vielzahl menschlicher Tragödien, seelischer und körperlicher Zerrüttung. Wer entschädigt heute, nach dem Ende des kalten Krieges, die Berufsverbotsopfer für das, was sie erlitten ? Hät- Literatur zu den Berufsverboten 1) Deutsche Gesellschaft für Verhaltenstherapie (DGVT): Berufsverbote in der Bundesrepublik Deutschland. Bericht der Kommission „Berufsverbote“ über Betroffene, psychische Folgen und Auswirkungen auf die psychosoziale Versorgung. Tübingen 1978, S. 24. 2) Sämtliche Proteste zitiert nach: Knirsch/Nagel u.a. (Hrsg.): „Radikale“ im öffentlichen Dienst. Eine Dokumentation. Mit einem Vorwort von Dieter Schmidt (GEW). Frankfurt/M 1973 (Fischer-Taschenbuch Nr.1405). 3) Frank von Auer (Hrsg.): Der Fall Offergeld. Dokumentation des Konflikts zwischen Bayerns Kultusminister und einem gewerkschaftlich engagierten Lehrer. Frankfurt/M 1974 (Fischer-Taschenbuch Nr. 1583). 4) Vgl. Hans Peter de Lorent (Hrsg.): Bin ich ein Verfassungsfeind ? Zur Person: Berufsverbot - Betroffene haben das Wort. Frankfurt/M 1977. - Siehe auch die Kurzbiographien der Berufsverbotsopfer in: Dress/Jansen u.a. (Hrsg.): Wir Verfassungsfeinde. Köln 1977. 5) Bernt Engelmann: Trotz alledem. Deutsche Radikale 1777-1977. Reinbek bei Hamburg 1979, S. 299 f. (Rowohlt-Taschenbuch Nr. 7194) 6) Vgl. Horst Bethge/Erich Roßmann (Hrsg.): Der Kampf gegen das Berufsverbot. Dokumentation der Fälle und des Widerstands. Köln 1973. 7) Vgl. auch Gerhard Stuby: Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts - ein reaktionärer Kahlschlag; in: Horst Bethge/Richard Bünemann u.a. (Hrsg.): Die Zerstörung der Demokratie in der BRD durch Berufsverbote. Köln 2. Aufl. 1976, S. 231-250. 8) Vgl. Klaus Dammann/Erwin Siemantel (Hrsg.): Berufsverbote und Menschenrechte in der Bundesrepublik. Köln 1987. 9) Bethge/Holländer: Das bisherige Ausmaß der Berufsverbotspolitik und ihre neueren Tendenzen; in: Dammann/Siemantel, S. 24-30. 10) Manfred Histor: Willy Brandts vergessene Opfer. Geschichte und Statistik der politisch motivierten Berufsverbote in Westdeutschland 1971-1988.Freiburg 1989. 11) Alexander von Brünneck: Politische Justiz gegen Kommunisten in der BRD 1949-1968. Vorwort von Erhard Denninger. Frankfurt/M 1978 (edition suhrkamp 944). „Verfassungsrechtlich überprüft“ (Zeichnung von Renate Herter aus:„Wir Verfassungsfeinde“, Pahl-Rugenstein 1977) 12) Der Versuch einer ersten Bestandsaufnahme in Bethge/Bünemann (Hrsg), s. Anm. 7 13) Engelmann, Trotz alledem, S. 300. Der verwaltete Völkermord Am 20.1.1942, vor 50 Jahren, fand die Wannseekonferenz statt, auf der nur ein Thema behandelt wurde: mit welchen Mitteln und mit welcher Methode möglichst schnell möglichst viele Juden ermordet werden können. Eingeladen in die schloßähnliche Villa am Berliner Großen Wannsee, hatte der Chef des Reichssicherheitshauptamtes, SS-Obergruppenführer Reinhard Heydrich. Erschienen waren 14 Staatssekretäre und hohe SS-Führer, die nicht (wie fälschlicherweise heute noch behauptet wird) die Vernichtung der Juden Europas beschließen sollten, denn dazu wäre diese Runde trotz ihres Einflusses nicht befugt gewesen. Morde in Massengräbern Schon Wochen vor dem Überfall auf die Sowjetunion lag der Beschluß, die Juden Europas zu ermorden, vor und war Richtschnur für die grauenhaften Verbrechen, die auf dem eroberten Boden der Sowjetunion an den Juden begangen wurden. Hinter den Wehrmachtsverbänden hatten die Einsatzgruppen der SS und Sonderkommandos der Polizei sofort ihre blutige Arbeit begonnen. Dabei wurden sie auch unterstützt von Überläufern, die sich freiwillig der SS anboten. In eiligst ausgehobenen Massengräbern mußten sich die zum Tod bestimmten Menschen reihenweise nackt aufeinander legen und wurden ohne Unterschied des Alters und Geschlechts mit Schnellfeuergewehren vom Grubenrand aus erschossen. Zeugenaussagen bei den Nürnberger Kriegsverbrecherprozessen gegen die Hauptschuldigen und die SS im besonderen schilderten auf das Genaueste die Vorbereitungen und den Ablauf dieser Exekutionen. Weg in die Gaskammern Am Wannsee wurde über die erforderliche Koordination der an der Judenvernichtung beteiligten Instanzen, Organisationen und Personen beraten, mit dem Ziel, eine effektive Zusammenarbeit aller an der Ausrottung der europäischen Juden Beteiligten zu erreichen. Diese Schreibtischmörder erarbeiteten Pläne über die Reihenfolge des Vorgehens und die Einflußnahme auf Verbündete und Satellitenstaaten, damit diese zum geforderten Zeitpunkt ihre Juden ausliefer- Wannseekonferenz: Schreibtischmörder bereiteten Wege in die Gaskammern ten. Sollten sich dabei Widerstände oder Verweigerungen ergeben, so würden Druck und Gewalt nicht ausgeschlossen. Zu diesen Ländern gehörten beispielsweise Ungarn, Griechenland und Italien. Den Interventionen der Judenmörder in Verbindung mit der reichsdeutschen Diplomatie gelang es, jeden Widerstand zu brechen. In Ungarn konnten die Deportationen zwar bis 1944 verhindert werden, aber in der Endphase des Krieges mußten noch 200.000 ungarische Juden den Weg in die Gaskammern antreten. Mit bürokratischer Akribie erörterten sie die Frage, ob die bisher gültige Grenzlinie zwischen den am meisten verfolgten Juden und den in Abstufungen gleichfalls immer stärker schikanierten Halb- und Vierteljuden, wie sie nach der Globke- und Stuckart’schen Skala bezeichnet wurden, nicht aufgehoben werden sollte. Schutz des deutschen Blutes Die gesetzlichen Grundlagen der Judenvernichtung waren die am 15.9.1935 auf einem Parteitag der NSDAP in Nürnberg und dem gleichzeitig dort tagenden Reichstag beschlossenen Gesetze. Sie gliederten sich in einzelne Abschnitte, wie das Reichsbürgergesetz, das Gesetz zum Schutz des deutschen Blutes und das Gesetz zum Schutz des deutschen Erbgutes. Als wesentliche Mitgestalter dieser Verordnungen und eines erklärenden Kommentars waren verantwortlich: Der Staatssekretär Dr. Stuckart und der Oberregierungsrat Dr. Hans Globke. Sie waren auch federführend bei den Bestimmungen, wie z.B. die sichtbare Kennzeichnung „Jude“ oder den Eintrag der Vornamen im Personalausweis „Sara“ und „Israel“. – Dr. Hans Maria Globke war Staatssekretär im Bundeskanzleramt unter Konrad Adenauer bis zum Juli 1963. SS-Schergen und Ministeriale Die Vorschläge der Wannsee-Konferenz waren auf eine weitere Verschärfung der Verfolgungen gerichtet und wurden Hitler zur Genehmigung unterbreitet. Sobald dieser seine Zustimmung erteilt hatte, sollten die Juden, die bisher dem Tod und der Deportation entgangen waren, sterilisiert werden oder den Weg in die Gaskammer gehen, dies betraf nur die Halb- und Vier- teljuden. Da Hitler immer noch an den Endsieg glaubte, traf er keine definitive Entscheidung. Während dieser Konferenz rollten die Güterzüge aus den Ghettos der besetzten Länder weiter in die Vernichtungslager, denn die mit der Organisation beauftragten Entscheidungsträger, z.B. Reichsbahnbeamte, taten weiter ihre „Pflicht“. Es ist heute unvorstellbar, daß Menschen, die sich einer gehobenen Bildung rühmten, auf solch ein moralisches Niveau absinken konnten und mit geschäftsmäßiger Routine den Mord an Millionen Juden nicht nur billigten, sondern alles taten, um ihn zu ermöglichen. In Wannsee waren nicht nur SS-Schergen wie Eichmann und seine Helfershelfer anwesend, sondern auch Vertreter von Ministerien, die ganz andere Aufgaben wahrzunehmen hatten. Heute erscheint es unverständlich, daß der millionenfache Mord damals wie ein gewöhnlicher Verwaltungsakt behandelt wurde. Was dachten sich die vielen großen und kleinen Helfer, wenn 70 bis 80 Personen, Männer, Frauen und Kinder jeden Alters, in einem Güterwagen ohne Toilette, ✱ medizinische Betreuung und ausreichende Ernährung auf eine tagelange Reise geschickt wurden? Mit dem Schließen der Waggontüren waren sie als Menschen nicht mehr existent. Wußten es diese so gut funktionierenden Täter, daß ihr Frachtgut, wenn es den Transport überlebte, der Tod in den Gaskammern erwartete? Oder wollten sie es gar? Das Elend und der Tod vieler Menschen bereits auf dem Transport konnten ihnen nicht verborgen geblieben sein. Ungestrafte Richter Ein halbes Jahrhundert danach wird das Haus am Großen Wannsee Nr. 56 - 58 die Gedenkstätte für den Völkermord an Juden, sie soll an die Konferenz und ihre Folgen erinnern. 50 Jahre mußten vergehen, um das zu erreichen, dafür kann es keine Entschuldigung geben, denn die Vorgeschichte einschließlich der Diskussionen verantwortlicher Berliner und Bundespolitiker bestätigen, daß die Vergangenheit, die Konferenz und der Ort, in Vergessenheit geraten sollte – die Villa sollte abgerissen werden. Warum auch nicht, es wurde doch so viel Unrecht verdrängt und vergessen. Darüber können auch die Gedenkreden und Schuldbekenntnisse nicht hinwegtäuschen. Die Täter blieben größtenteils ungeschoren und konnten aus „rechtsstaatlichen“ Gründen nicht haftbar gemacht werden. Den besten Beweis lieferte die Justiz, die keinen einzigen Richter oder Staatsanwalt, der im Nazistaat „Recht“ sprach, zur Verantwortung zog. Wird diese Gedenkstätte dazu beitragen, daß Gewalt, Haß und Angriffe z.B. gegen Ausländer und Asylsuchende, wie das derzeit geschieht, unterbleiben, oder muß diese Villa am Wannsee von Polizeikräften geschützt werden wie so viele Mahnmale, die an die faschistische Gewaltherrschaft erinnern? Im Interesse aller Bürger dieses Landes hoffen wir, daß die Nachgeborenen, d. h. die Generationen, die ohne diese Schuld sind, an der Schwelle zu einem neuen Jahrtausend sich jener Verbrechen, die zwischen 1941 und 1945 an den europäischen Juden begangen wurden, bewußt bleiben. Philipp Benz 5. Kalenderwoche - Seite 8 Nachdruck in der letzten Ausgabe hatten wir den u.a. Artikel auf die Seiten 8 und 9 gesetzt. Ein uns bis dahin unbekannter Software-Fehler unterbrach die Textkette, sodaß der Artikel auf der zweiten Seite einfach wieder von vorn anfing. Wir bitten um Entschuldigung und drucken den vollstädigen Text noch einmal. Es ist der Tribut, den wir für unsere hochmoderne, noch wenig sichere Technik zahlen müssen, aber ohne die gäbe es keine „Zeitung für Darmstadt“. Die Redaktion Menschenrechte als Waffe Die Sieger auf der Anklagebank Die Stuttgarter Versammlung verabschiedete eine Resolution an die UNO, in der die Beibehaltung des Waffenboykotts, aber die Aufhebung des Lebensmittelboykotts gefordert wurde. Ursula Jungmann von „amnesty international“ erläuterte, wie die Menschenrechtsverletzungen in Kuweit benutzt wurden zur Herstellung eines Feindbildes und zur Rechtfertigung der Bombardierung Iraks; dadurch seien die Menschenrechte selber zur Waffe geworden. Daß nicht nur der Ökoterrorist Saddam, sondern auch die Alliierten ökologische Kriegsverbrechen begingen, skizzierte der Bonner Ökologe Olaf Achilles. Bundesweite Anhörung zum Golfkrieg – Aufklärung über Kriegsverbrechen UNO: Objekt der USA von 12 Milliarden Dollar in Aussicht. Nach der folgenschweren Abstimmung im UNOSicherheitsrat über die Resolution 678, die einem militärischen „Blankoscheck“ für die US-Administration gleichkam, zahlten die USA einen Teil ihrer Schulden, nämlich 187 Millionen Dollar, in die Kasse der finanzschwachen UNO. Der Jemen hingegen, der es gewagt hatte, im UNOSicherheitsrat mit Nein zu stimmen, bekam die harte Hand des nordamerikanischen Weltgendarmen zu spüren: er wurde mit dem Entzug der US-Wirtschaftshilfe von rund 180 Millionen Dollar bestraft. UNO: Werkzeug des Krieges Die Opfer klagen an. Szene aus dem Stück „Feuer“, das den Golfkrieg und seine Folgen als Verbrechen anklagt. Gespielt vom Bread &Puppet Theatre, es gehört seit den 60er Jahren zur Anti-Kriegs-Bewegung der USA. Auch bei der Aufführung im Stuttgarter Hospitalhof bestand die Mehrheit der Theatergruppe aus Freiwilligen vor Ort, die in einem Schnellkurs zu DarstellerInnen ausgebildet worden waren. (Foto: ar) G estern die Bomben, heute der Tod. Als der Golfkrieg vorbei war, begann das zweite große Sterben der irakischen Bevölkerung. Wem nützte dieser Krieg? Wem zu nützen gab er vor? Wie wurde er geführt? Von wem? Warum? Eine bundesweite Anhörung zu den Kriegsverbrechen während des Golfkriegs lieferte erregende Antworten auf diese Fragen. Da weder UNO, EG noch nationale Regie- Anklage wird erhoben gegen: George Bush, Dan Quayle, James Baker, Dick Cheney, William Webster, Colin Powell, Norman Schwarzkopf u.a. wegen Verbrechen gegen den Frieden, Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und andere kriminelle Vergehen, sowie wegen Verletzung der Charta der Vereinten Nationen, internationalen Rechts und der Verfassung der Vereinigten Staaten rungen oder sonst eine offizielle politische Instanz diesen „sauberen“ und „gerechten“ Krieg in Frage stellen, weil sie ihn unterstützten, müssen das die BürgerInnen selber tun. AugenzeugInnen, ExpertInnen und WissenschaftlerInnen hatte die Tübinger Gesellschaft „Kultur des Friedens“ nach Stuttgart eingeladen. In einer Stadt, die die Kommandozentrale der US-Streitkräfte in Europa (EUCOM) beherbergt und von deren Bahnhofsgebäude ein stolz aufragender Mercedes-Stern bläulich in die Nacht hinaus strahlt, wird man nicht gerade hofiert, will man mit dem Licht der kritischen Vernunft das von Staat und Medien verordnete Informationsdunkel erhellen, die Hintergründe des Golfkriegs ausleuchten. Zugesagte Konferenzräume waren plötzlich nicht mehr zu haben, weil manchen das Tagungsthema zu heiß erschien. Schließlich fand man als Tagungsort den evangelischen Hospitalhof, und rund 500 TeilnehmerInnen waren gekommen. Was sie hörten, ließ alle unter die Leute gestreuten glorreichen Legenden zerplatzen wie schillernde Seifenblasen. Die Verbrechen Saddam Husseins vor und während des Golfkriegs sind ja ausreichend bekannt geworden, doch über die Kriegsverbrechen der Alliierten, speziell der USA, hatte die internationale und nationale Zensur und Selbstzensur den Mantel des Schweigens gelegt, und nur gelegentlich und ansatzweise war in unseren Medien etwas durchgesickert. In Stuttgart wurde jetzt all das zusammengetragen, was innerhalb dieses Jahres an Vorwürfen gegenüber den Alliierten geäußert worden war. Hauptredner war Ramsey Clark, ehemaliger US-Justizminister unter Präsident Johnson in den sechziger Jahren. Bereits im Frühjahr hatte Clark eine Kommission zur Untersuchung der US-Kriegsverbrechen ins Leben gerufen. Seitdem gab es auf Initiative Clarks Dutzende von Anhörun- gen auf mehreren Kontinenten, Vorstufe zum abschließenden „International War Crimes Tribunal“ Ende Februar 1992 in New York oder Washington. Für Ramsey Clark gibt es genügende, bis ins Jahr 1988 zurückreichende Beweise dafür, daß der Golfkrieg von den USA schon lange vorher geplant war. So zum Beispiel habe man im Sommer 1990 die entsprechenden computergestützten Kriegssimulationen durchgeführt; Saddam sei von der US-Administration zur Besetzung Kuweits ermuntert worden. Der USÜberfall auf Panama 1989 habe viermal soviel Menschenleben gekostet wie Saddams Überfall auf Kuweit. US-Präsident Bush habe zwischen dem 2. August 1990 und dem 17. Januar 1991 jeden Dialog mit Saddam abgelehnt und alle Versuche unterbunden, seinen militärischen Angriffsplan gegen den Irak zu Fall zu bringen. Clark wirft der US-Regierung außerdem vor, die Stimmen im UNO-Sicherheitsrat für den Krieg gekauft zu haben. Mit dieser These steht Clark nicht allein. Bereits unmittelbar vor dem Beginn des Golfkriegs, am 16.1.91, stellte der Abgeordnete Henry B. Gonzalez im US-Kongreß einen Antrag auf Amtsenthebung des US-Präsidenten wegen Verletzung der US-Verfassung und der UNO-Charta durch Bestechung des Sicherheitsrates, Unterdrucksetzen und Einschüchterung seiner Mitglieder. In seiner Kongreß-Rede, teilabgedruckt im Reader zur Vorbereitung der Stuttgarter Anhörung, sagt Gonzalez, was die Stimmen der Sicherheitsratsmitglieder gekostet haben: Der Sowjetunion wurden für das Ja zum Krieg 7 Milliarden Dollar versprochen, China für die Enthaltung und den Verzicht auf das Veto ein Darlehen von 140 Millionen Dollar. Die Schulden Ägyptens wurden um 7 Milliarden Dollar reduziert, Kolumbien wurden Militärhilfe und ein teilweiser Schuldenerlaß versprochen, Saudi-Arabien stellte man eine Waffenhilfe gegen den Irak einzusetzen. Andere Redner, so etwa der Europaratsabgeordnete Paul Staes, sahen im Embargo den unmenschlichen und völkerrechtswidrigen Versuch,das leidende irakische Volk zu einem Aufstand gegen seinen Diktator zu benutzen. Und die Konsequenz für Clark? Da er die UNO, entgegen ihrer friedenssichernden Aufgabe, durch Bestechung und Zwang zum willfährigen „Werkzeug des Krieges und auch der Kriegsverbrechen“ gewandelt sieht, plädiert er für die Abschaffung des Sicherheitsrats, die Verstärkung der Rechte kleiner Staaten und die Einrichtung einer permanenten UNO-Kommission für Kriegsverbrechen. Während des Golfkriegs hielt sich Clark zeitweise im Irak auf und konnte die gezielten Bombardements der Infrastruktur und ziviler Gebäude, auch vieler Kirchen, beobachten. Der Golfkrieg sei eigentlich kein Krieg gewesen, sondern ein einseitiges „Abschlachten“, „der Einsatz von technologischem Material, um ein verteidigungsunfähiges Land zu zerstören“. Insgesamt 19 Punkte umfaßt die Anklageschrift Clarks. Sie wurden in Stuttgart von den RednerInnen unterstützt und belegt. Wenn Folter die totale Unterlegenheit des Gegners voraussetzt, so der norwegische Friedensforscher Johan Galtung, dann war der Golfkrieg kein Krieg, sondern die „Folter“ der wehrlosen irakischen Bevölkerung. Ein Arzt berichtete mit tiefer Betroffenheit von einem irakischen Jungen, der zur Zeit in einem Bochumer Krankenhaus liegt; eine von den US-Amerikanern abgeworfene Spielzeugbombe habe dem Jungen die Hand und einen Teil des Bauchs abgerissen. Beginn des in der 25. Ausgabe abgebrochenen Textes Ein erschütterndes Bild der Kriegsfolgen im zerstörten Irak zeichnete der Bitburger Arzt Detlef Enge-Bastien von den „Internationalen Ärzten für die Verhütung des Atomkriegs“ (IPPNW), der sich zwischen Januar und Juli 1991 vier Monate lang im Irak engagiert hatte. Nach der gezielten Bombardierung fehle es an Strom und unverseuchtem Wasser. Durch das auf Druck der USA von der UNO verhängte und immer noch bestehende Embargo gelangten weder Medizin noch Lebensmittel ins Land. „Tausende von Kindern sind unter unseren Händen gestorben“. Sie starben an Durchfall oder Typhus und sahen aus „wie kleine, vertrocknete Mumien“. Babymilch gebe es nur auf dem Schwarzmarkt und koste fast das Monatsgehalt eines Chirurgen, nur Reiche könnten sich das leisten. Die Kindersterblichkeit im Irak habe sich etwa vervierfacht. Ohne die Hilfe des Auslands sei der Tod Hunderttausender von Kindern und Erwachsenen vorprogrammiert. Enge-Bastien forderte die Bundesregierung „im Namen der Menschenrechte und auch der christlichen Nächstenliebe“ auf, sich für die „sofortige Aufhebung des faktischen Totalembargos“ Den Verstoß des UNO-Sicherheitsrats gegen die UNO-Satzung und die Völkerrechtswidrigkeit des Golfkriegs belegte eindrucksvoll der Hamburger Völkerrechtler Norman Paech, im Reader assistiert von Dieter Deisenroth (Richter am Bundesverfassungsgericht), von Bernd Hahnfeldt (Richter in Hamburg) und dem durch Krankheit verhinderten Darmstädter Schriftsteller Heinrich Schirmbeck. Der UNO-Sicherheitsrat, so Paech, habe „sich den USA widerstandslos unterworfen“, die USA seien mit dem Sicherheitsrat „Schlitten gefahren“, indem sie das Oberkommando während des Golfkriegs behielten und jedes Zusammentreffen des Sicherheitsrats blockierten. Nie würde die UNO gegen die USA wegen des Überfalls auf Grenada und Panama oder gegen Israel wegen Palästina militärisch vorgehen. Wilfried Telkämper, grüner Vizepräsident des Europaparlaments, beschrieb die Haltung der EG, die sich nach anfänglichem Zögern der Kriegspolitik der USA angeschlossen habe, weil sie ganz ähnliche Interessen verfolge. Übrigens wurde kurz nach dem Stuttgarter Hearing bekannt, daß die Kölner Generalstaatsanwaltschaft Telkämper mit einem Antrag auf Aufhebung seiner parlamentarischen Immunität und anschließender Strafverfolgung bedroht, weil er am 14. Januar 1991 im Bonner Bundestag von der Tribüne „störende“ Flugblätter geworfen habe, die gegen den unmittelbar bevorstehenden Golfkrieg protestierten und zur Unterstützung von Kriegsdienstverweigerern aufriefen. Hermann Scheer (MdB-SPD) nahm die Bonner Regierung unter die Lupe. Warum hat sie 18 Milliarden Mark für diesen Krieg bezahlt? Um ihre eigene Mitverantwortung an der Aufrüstung des Irak „zuzubomben“, um nach dem Zerfall des Warschauer Pakts eine Rechtfertigung für NATO und andere Militärbündnisse zu finden. Auch Scheer warnte, wie Clark, nachdrücklich vor einer neuen Militarisierung des Denkens. Als wichtigen Schritt zur Entmilitarisierung betrachtet der Friedensforscher Alfred Mechtersheimer (Friedenskomitee 2000) die „internationalistische“ Forderung: „Alle Truppen nach Hause, egal wo!“ Eine Frau aus der Saarbrücker Friedensbewegung berichtete, wie die Bundesregierung im Frühjahr 1991 sich weigerte, für zehn Tonnen Medizin nach dem Irak Transporthilfe zu leisten, wie sie im Gegenteil diesem Transport, als er privat organisiert wurde, bürokratische Hindernisse in den Weg stellte. Schaltstelle EUCOM Eine Aktivistin von der Mahnwache vor der EUCOM beschrieb die Funktion dieser Zentrale: 95 % der Lufttransporte, 85 % der Seetransporte und 90 % aller im Golfkrieg eingesetzten Kampfflugzeuge wurden von hier aus gesteuert. Und das von deutschem Boden aus! Wie sich das wohl mit Art. 26 Absatz 1 Grundgesetz (Verbot der Vorbereitung eines Angriffskriegs) verträgt? Überhaupt nicht, so die Göttinger GRÜNEN in ihrem Beitrag im Reader; sie sehen durch die finanzielle und logistische Kriegsunterstützung der Bundesregierung wie auch durch die Verlegung von Luftwaffeneinheiten der Bundeswehr in die Türkei den Tatbestand von § 80 StGB erfüllt. Gibt es keinen deutschen Ramsey Clark, der da die Initiative ergreifen könnte? – Alles in allem: brisantes Material für das Kriegsverbrecher-Tribunal am 29. Februar 1992. Artur Rümmler 5 . Kalenderwoche - Seite 9 Briefe an die Redaktion Betrogene VerbraucherInnen In Deutschland schärfste Kontrollen ZDF recherchiert über Produkte unter dem Qualitätssiegel: „Ökologisch kontrolliert“ Peter Förster bezieht Stellung zu ZDF-Sendung „Die Bio-Lüge“ Gelegentlich bemüht sich sogar das ZDF noch um gut recherchierte Sendungen: Eine davon lief am 22.1. über die Mattscheibe unter dem Titel „Die Biolüge“. Die Journalisten waren Gerüchten nachgegangen, die von sogenanntem „ökologisch kontrollierten Anbau“ mit Gütesiegel von „Demeter“ behauptet hatten, gegen die Bestimmungen für ökologisch kontrollierten Anbau werde immer wieder verstoßen. Was die Journalisten dabei ans Tageslicht förderten, ist spannend wie ein Kriminalroman. Es scheint üblich zu sein im Öko-Handel, daß in der Werbung anderes steht, als in der Ware selbst enthalten ist, resumierten die Filmer und brachten weitere Beispiele. Der Suppenwürze- und BrühwürfelFabrikant „Rapunzel“ warnt in einer Werbebroschüre vor sogenannten Würzen (entwickelt von Knorr und Maggi), weil sie angeblich krebserregend seien, die Chemiker fanden aber eben diese Würze auch in Rapunzel-Produkten. Kommentar des Herstellers, es sei ihm unerklärlich, wie die dort hineinkommen sind. Einer der ausländischen Hauptlieferanten für Obst und Gemüse aus kontrolliertem Anbau ist die spanische Farm „La Tenienta“, die weder – so das Ergebnis der Recherchen – selbst ökologischen Anbau betreibt, noch einer ihrer vielen Zulieferanten. Die Journalisten hatten zwei Kontrolleure begleitet, denen sogar der Zugang zu den Anbauflächen der kriminellen Geschäftsinhaberin verweigert wurde, die Journalisten waren hartnäckiger und konnten schließlich doch filmen. Zu sehen gibt es da wenig, aber die Hintergrundrecherchen förderten ans Tageslicht, daß dieser Öko-Großlieferant sogar in andalusischen Großmärkten einkaufen geht, umpacken und eigene Qualitätsetiketten aufkleben läßt. „Demeter“, unter deren Namen die Kontrolle angeblich ausgeübt wird, hatte einen Kontrolleur, Dr. Obermeier, dorthin entsandt, der sich jedoch von Tenienta bestechen ließ; Zahlungen und Verhandlungen über Beraterverträge wies das Fernsehteam nach. Das Fernsehteam zog den kommentierenden Schluß nach der Sendung: die Selbstkontrolle der Verbände funktioniere nicht. Nicht einmal Stichproben würden von Kontrolleuren, Großhändlern oder gar Einzelhändlern in Auftrag gegeben. Also kein Verlaß auf vollmundige, gesunde Werbetexte. M. Grimm Zu den Anschuldigungen , die in der Sendung des ZDF „Die Bio-Lüge“ gegenüber dem Demeterbund und ihrem Berater Dr. Obermeier erhoben werden, möchte ich dahingehend Stellung nehmen, daß, wenn diese Beschuldigungen stimmen, es eine ganz große Schweinerei ist, die das Vertrauen der Verbraucher in die Demeterprodukte erschüttert. Ich meine, daß der Demeterbund, falls diese Aussagen stimmen, hier mit aller Schärfe vorgehen muß. Als praktischer Landwirt erscheint es mir unmöglich, daß eine einzelne Person trotz allem guten Willen in der Lage ist, Betriebe im Ausland auf die Richtigkeit der Handhabung der Demeter-Richtlinien zu kontrollieren, diese Person ist überfordert. Als Mitglied des Demeterbundes und der Kommission, die im Jahre 91 die DemeterRichtlinien neu überarbeitet hat, kann ich nur sagen, daß die neuen Richtlinien mit die strengsten sind, die wir im ökologischen Landbau haben. Diese Richtlinien sind die Grundlage unserer Arbeit. Die biologisch-dynamische Wirtschaftsweise (Demeter) als die älteste ökologische Landbaurichtung (1924) in Deutschland war immer ein Vorreiter auch in Bezug auf die Kontrolle der Ihr angeschlossenen Betriebe. So wurden z.B. im Bereich der hessischen Arbeitsgemeinschaft für biologischdynamische Wirtschaftsweise alle Betriebe einmal im Jahr in der Vegetationszeit kontrolliert. Es finden Feldbegehungen statt, ausgeführt von einer neutralen Person und einem Landwirt, den der zu kontrollierende Landwirt als Person seines Vertrauens selbst vorschlagen kann. Bei der Kontrolle müssen vorliegen: Die Schlagkartei und alle Unterlagen, die den Anbau und Führung des Betriebes betreffen. Über diese Kontrolle wird ein Bericht erstellt, den der Demeterbund erhält. Weiterhin fin- Peter Förster, Eichwaldhof, Brandschneise 3, 6100 Darmstadt Etikettenschwindel auch hier? Nur geringer Teil der Ackerflächen ohne Chemie Kein Krieg am Golf – Kein Blut für Öl Presseerklärung vom Darmstädter Aktionsforum zum Jahrestag des Golfkrieges Der Krieg am Golf wurde von den öffentlich-rechtlichen Anstalten (ARD/ ZDF) und den privaten Sendern in dem Moment vom Programm abgesetzt, als die Kehrseite des Krieges, die Zerstörung und das Leid, das schleichende Sterben offensichtlich wurde. Mit den Siegesparaden der US-Militärs endete offiziell das Interesse am Golfkrieg. Der Blick auf die Opfer wurde ausgespart. Während LebensmittelExporte in den Irak immer noch boykottiert werden, werden heute schon wieder Waffen – heimlich und offiziell – in den arabischen Raum exportiert. Der moderne, „chirurgische“ Krieg der US-Luftwaffe hat die Golfregion auf Jahre hin zerstört. Zerstörung jeglicher Infrastruktur, Epidemien von Brechdurchfall, Typhus und Cholera haben die Menschen um ihre Lebensgrundlage gebracht. Die bestehenden Konflikte sind durch den Krieg nicht gelöst worden. Die politische Situation im Irak hat sich nicht verändert. In Kuwait hat sich die Herrscherfamilie der Al Sabahs wieder mit aller Macht etabliert. Die Opposition wurde mundtot gemacht. Die Verfolgung von Kurden und Palästinensern hat sich mit dem Krieg weiter verschärft. Die endlich in Gang kommende Nahost-Konferenz ist durch den Krieg nicht einfacher geworden. Und nicht zuletzt ist die UNO durch den Golfkrieg von einer Kriege verhindernden Organisation zur kriegführenden Partei geworden. Im Golfkrieg starben 200.000 Iraker (Soldaten wie Zivilisten) sowie 343 alliierte Soldaten. Heute, nach einem Jahr sterben täglich noch Menschen an den Folgen des Krieges, insbesondere Kinder. Eine Delegation der Harvard Universität berichtet Wir werden immer Menschen finden, die sich nicht an Vorgaben halten, sei es im ökologischen Landbau, sei es im normalen Leben, die Zeitungen sind voll davon. In der Situation, in der sich die europäische Landwirtschaft befindet, werden eine ganze Menge Landwirte und Gärtner glauben, daß ökologischer Landbau die Rettung sei. Wir müssen diesen Kollegen klar machen, daß ökologischer Landbau mehr ist, als nur zu versuchen, Geld zu verdienen, es gehört die Verantwortung zum Boden und zum Leben dazu. Hier gehört auch der Verbraucher dazu. Er soll kritisch und wachsam beobachten, er soll Fragen stellen und versuchen, sich in die Lage der Landwirte zu versetzen und den Bauern nicht nur als Produzenten von Nahrungsmitteln sehen. Wir Bauern müssen unsere Höfe öffnen, nur durch ein aufeinander Zugehen können wir Vertrauen schaffen. Wenn in einem solch sensiblen Bereich wie dem ökologischen Landbau gezielt betrogen wird, sollte mit allen Konsequenzen durchgegriffen werden, im Interesse der Abnehmer unserer Produkte und der Landwirte. Nicht genug damit. „Demeter“ kontrolliert angeblich auch Öl-Hersteller und nahm deshalb drei Ölsorten aus dem Handel und ließ diese von Schweizer Lebensmittelchemikern überprüfen. Das Ergebnis ist schockierend: In einem der Öle fanden sie 1Gramm Maschinenöl pro Liter, in einem anderen gar völlig artfremde Chemikalien und bei einem dritten auf dem zu lesen stand, „kalt gepreßt, 1. Pressung“ konnten sie eine Erhitzung auf über 100 Grad nachweisen. Olivenöl unter dem guten Namen von „Demeter“ vertrieben, erfährt auf wundersame Weise ungeahnte Vermehrung: Doppelt soviel Öl wird von einem Olivenhain gepreßt, als Mengen an Oliven angeliefert werden. Heute vor einem Jahr haben die westlichen Industrienationen unter der Führung der USA im Namen der UNO mit dem Bombardement des Iraks begonnen. den Feldbegehungen mit Verbrauchern statt, wo wir versuchen, den Kunden unsere Arbeit näher zu bringen. Es werden im Herbst Proben von allen Ernteprodukten gezogen und untersucht. Der Landwirt muß alle Richtlinien, die vorgegeben sind, genaustens einzuhalten, bei Verstößen dagegen kann der Demetervertrag sofort gekündigt werden. Dies ist in Deutschland immer so gehandhabt worden. von 170.000 gestorbenen Kindern bis zum Jahresende 1991. Der Golfkrieg, der eine Strafaktion durch die westliche „freie“ Welt sein sollte, wurde nur durch umfangreiche Waffenlieferungen aus ihr ermöglicht. Schon im ersten Golfkrieg zwischen Irak und Iran haben zahlreiche Regierungen mit unglaublicher Skrupellosigkeit beide Kriegsparteien durch ihre Waffenlieferungen „befriedet“. Auf dieser Moral läßt sich keine zivile Politik, keine Demokratisierung, keine Befreiung einklagen. Das Darmstädter Aktionsforum führt noch einmal eine Sammlung zugunsten der Opfer des Golfkriegs durch. Das durch diese Sammlung eingenommene und das restliche, bisher gesammelte Geld (2.600DM) wird zu gleichen Teilen an die „Kinderhilfe im Irak“ und „medico international“ weitergegeben. Wir fordern dazu auf, auch weiterhin diese Organisationen zu unterstützen. Spendenkonten: medico international, Kontonr. 1800, Frankfurter Sparkasse, BLZ 500 501 02 und IPPNW e.V. Sektion Deutschland, Kto Nr. 502 646 39, BLZ 66551290 Vermerk Kinderhilfe im Irak, Notruf A. Gehring. Stefan Köhler, Fuhrmannstr 4 1/2, 6100 Darmstadt Brot als Symbol für ein Leben in Frieden und Freiheit. - Eine Ausweitung der von der UNO kontrollierten Sicherheitszone im Nordirak bis über das ganze Gebiet Irakisch-Kurdistans fordern diese DemonstrantInnen. Gleichzeitig verlangen sie die Aufhebung der von der irakischen Regierung verhängten Wirtschaftsblockade gegen die Kurden, die noch heute unter den Folgen des Golfkriegs leiden: Hunger, Krankheit, Tod, Obdachlosigkeit. Friedliche Aktionen wie Hungerstreiks und Schweigemärsche breiteten sich, ausgehend von Sulaymania, im Dezember an 26 Orten im Gebiet Peschder aus. Eine Demonstration auch vor der UNO-Vertretung in Rania sollte die Weltöffentlichkeit daran erinnern, daß die Kurden das Recht auf ein menschenwürdiges Leben haben. (ar/Foto: Tuana Abdulla Wassiem) „Glauben Sie an Gott?“ fragt mich eine junge Frau in bestem AmiDeutsch. Uff! Ausgerechnet in der Wilhelminen-Straße. Schwierige Frage, man kann ja nie wissen. „Ich bin von der Kirche Jesu der letzten Tage!“. Au weia, die sind hart im Nehmen. Soll ich mit einem fröhlichen „Allah u akbar!“ einfach weitergehen? Neulich standen zwei Männer des gleichen Typs an der Haustür, und es dauerte fünfzehn Minuten, ihnen begreiflich zu machen, daß ich keine Hilfe brauche ... Angefangen hat’s ja mit den Zeugen Jehovas. Die stehen relativ unauffällig in der Stadt herum und halten „Wachturm“ oder „Erwachet“ vor sich hin, kommen aber zeitweise bis vor die Haustür. Diese Sorte hier ist aggressiver, weil selbstbewußter. Gemeinhin sind sie als „Mormonen“ bekannt und haben ihr geistiges Zentrum in Salt-Lake-City, USA. Sie verbreiten bei uns die frohe Botschaft, daß in den USA auch in Sachen Religion der Nabel der Welt ist, denn ihr Begründer hat seine göttlichen Erleuchtungen im Land der unbegrenzten Unmöglichkeiten bekommen und ist hernach von missionarischem Eifer überwältigt worden. However, das Prinzip, welches hinter diesen Sekten steht, ist gleich und trägt sich selbst. Die Mitglieder missionieren ständig herum, und je mehr Ablehnung ihnen entgegenschlägt, desto mehr sehen sie sich als Auserwählte Gottes, denen es vergönnt ist, den einzig wahren Glauben zu haben. Läßt sich trotzdem jemand bekehren, spricht das erst recht für ihre Überzeugung. Nach diesem Schema verwandelt sich bei jenen Christen auch noch Frust in Lust, was in der Tat einem kleinen Wunder gleich kommt. Ich entscheide mich jedenfalls für ein entschiedenes Jain: „Tut mir leid, ich bin Atheist. Ich kann nichts dafür, Gott hat mich so geschaffen“. Es funktioniert. Joachim Hecker Der Film berichtet hauptsächlich über den spanischen Betrieb „La Tenienta“ und hat daher wenig Aussagefähigkeit über den allgemeinen Bio-Anbau. Die Kontrolle der Höfe wird in Deutschland weit strenger durchgeführt, was aber nicht ausschließen kann, daß auch hier Etikettenschwindel betrieben wird. Die beste Aufsicht wird von der Dorfgemeinschaft und den Kunden auf dem Hof getätigt. Dem direktverkaufenden Bio-Bauern wird täglich auf die Finger geschaut. Viel schwieriger gestaltet sich die Kontrolle bei Importen oder generell bei der Vermarktung über verschiedene Zwischenhändler. Je weiter der Weg vom Landwirt zum Verbraucher, umso größer ist die Möglichkeit einer Zumischung von konventioneller Ware. Der Markt ist überfüllt mit Öko-Nahrungsmitteln, obwohl nur ein geringer Teil der Ackerflächen wirklich ohne Chemie bewirtschaftet wird. Eine umfassende Kontrolle ist nicht durchführbar, weder vom Staat, noch von den Verbänden, aber eine Hofbesichtigung, die so mancher Bio-Bauer anbietet, gibt mehr Informationen als ein Buch voll Richtlinien. Bernd Klinger, Mitglied bei „Bioland“ Anbauverband. Stromsparen lohnt sich Die Genehmigungsbehörde für Energiepreise, das Hessische Ministerium für Umwelt, Energie und Bundesangelegenheiten, hat der Hessischen Elektrizitäts-AG (HEAG) zum 1. Januar 1992 eine Erhöhung ihres Allgemeinen Tarifs zugestanden. Erhöht werden auch die Strompreise für elektrische Heizungen und für Sondervertragskunden. Die durchschnittliche Preiserhöhung beträgt knapp 4 Prozent. Wichtig für den Verbraucher ist eine ab 1. Januar ebenfalls geänderte Tarifstruktur: der sogenannte Sockelbetrag für Haushaltskunden wird mehr als halbiert und auch bei den anderen Bedarfsarten erheblich reduziert. Mit der Verringerung des „festen“ Anteils an der Stromrechnung entspricht die Höhe der Rechnung weitaus stärker dem tatsächlichen Verbrauch. Damit wird Stromsparen stärker belohnt. F.W. Methlow, HEAG 5 . Kalenderwoche - Seite 10 Briefe an die Redaktion „Ich stehe hinter dem Vertrag“ Der ehemalige Vorsitzende des SV-98 zu den Vorgängen um das Ristorante Stadion Sehr geehrter Herr Grimm, der Inhalt des o. g. Artikels erinnert mich daran, wie schwer es ist, richtig zu recherchieren. Sorgfaltspflicht ist oberstes Gebot für Journalisten. Dies wäre Ihnen sicherlich besser gelungen, wenn Sie auch die Betroffenen gehört hätten. An der Richtigkeit meines Namens gibt es wohl keinen Zweifel. Herr Fidenzio Facchin kam Mitte 1986 nicht zu mir, sondern bot sich unter zahlreichen Bewerbern „freiwillig“ an. Herrn Facchin war der Zustand der Gaststätte wohl bekannt und er wußte, welche Summe er investieren mußte, um daraus ein entsprechendes Speiselokal zu machen. Er hatte fünf Monate Zeit, den Vertrag zu unterschreiben. Keiner drängte ihn oder zwang ihn. Vielmehr wurde er von eigenen Landsleuten bedroht, die ihm das mißgönnten. Wenn sie in Ihrem Artikel behaupten, Herr Facchin habe rund 600 000 DM inve- stiert, so kann ich dies nicht akzeptieren. Mitte 1987 hat Herr Facchin dem Präsidium Originalrechnungen für Investitionen von DM 319 602,42 vorgelegt, die auch anstandslos akzeptiert wurden. Der Betrag floß in den Vertrag bzw. in die monatlichen Mietzahlungen ein. Herr Facchin wird Ihnen bestätigen, daß wir keinerlei Schwierigkeiten bei der Vertragsgestaltung hatten, zumal er in Volker Erhard, seinem Vertrauten, einen guten Sachwalter hatte und auch heute noch hat. Lassen Sie mich noch eine letzte Bemerkung machen. Die Sache mit dem Urlaub geht wohl auch etwas an der Wirklichkeit vorbei. Ich kann mich an Zeiten erinnern, wo ich sogar Wochen warten mußte, bis ich Herrn Facchin sprechen konnte – er war in Italien. Er wird sich sicherlich auch entsinnen können, daß ich ihn zweimal darauf hin- wies, es sei besser öfter im Lokal anwesend zu sein, da die Gäste ihn vermißten. Über die Angelegenheiten, die nach meiner Zeit geschehen sind, kann ich mir kein Urteil erlauben. Von Vertragsbeginn bis zu meinem Ausscheiden stehe ich hinter dem Vertrag. Ich bedauere, daß es zu gerichtlichen Auseinandersetzungen gekommen ist. Dies liegt aber sicherlich nicht an dem damals geschlossenen Vertrag. Verstehen Sie diese Zeilen nicht als Rechtfertigung meinerseits. Ich wollte Ihnen nur aufzeigen, wie die Wirklichkeit, bezogen auf die Seite 1 Ihrer Ausgabe, aussieht. Dieses Schreiben ist nicht als Leserbrief gedacht, sondern als Information, die Sie jederzeit nachprüfen können. Hans-Joachim Schmitt Dem Krieg mit einem Zeichen des Friedens begegnen Europäisches Projekt für die jugoslawische Insel Vis von Friedensinitiativen geplant Der Initiator des „Komitees für Grundrechte und Demokratie“, Klaus Vack, berichtet über sein jüngstes Signal, das er gegen den Krieg setzen möchte, die Entmilitarisierung der Insel Vis in der jugoslawischen Adria. Während der Europäischen Friedenskarawane durch Jugoslawien Ende September 1991 hatte ich ein längeres Gespräch mit Vlasta Jalusic, einer Journalistin aus Ljubljana, in dem sie mich mit den ersten Ideen einer Initiative zur Entmilitarisierung der Insel Vis konfrontierte; ihr Mann Tonci Kuzmanic, der in Ljubljana als Friedensforscher lebt, ist auf der Insel Vis geboren. In unseren Kreisen wird ja oft der subjektive Faktor, der unser politisches Handeln mitbestimmt, unterschätzt. Deshalb füge ich hier eine Reminiszenz ein, die gleichsam ganz persönliche Bedeutung hat, wenngleich hinreichend „objektive Faktoren“ für dieses symbolisch-sympathische, aber auch politisch nicht unrealistische Projekt sprechen. An jenem Abend im September 1991 in Ljubljana erinnerte mich das Gespräch mit Vlasta Jalusic an frühere Jugoslawienurlaube auf den beieinander liegenden – bis zum Beginn des Bürgerkriegs stark frequentierten – Ferieninseln Hvar und Korcula. Noch lebhaft vor Augen habe ich das Bild, wie uns (meine Frau und mich, sowie einige weitere Feriengäste, es war nach meinen Aufzeichnungen am Sonntag, 27. April 1975) ein offenes und stabiles Touristenmotorboot vom Hafen des Städtchens Hvar, vorbei an den vorgelagerten Inseln bis auf etwa zehn Kilometer Distanz an Vis heranbrachte; die Insel ragte wie viele andere in der Adria – dem Festland zugewandt – bis zu ihrem höchsten Punkt von etwa fünfhundert Metern karg und verkarstet aus dem tiefen blauen Mittelmeer und wirkte völlig verlassen. Der Schiffer informierte uns über einen – wie wir es empfanden imaginären – militärischen Sperrgürtel und erklärte, daß er nicht weiterfahren dürfe und jetzt wenden müsse. Über die Gründe schwieg er sich aus, und erstmals habe ich diese von Vlasta Jalusic erfahren. Im Baedeker über Jugoslawien wird die Insel Vis nicht erwähnt. Was hat es also mit Vis auf sich? Wie hat sich die Idee für eine Entmilitarisierung der Insel weiter entwickelt? Die Insel Vis liegt im adriatischen Meer ca. 50 km südlich von Split und ist wie schon erwähnt – den ebenfalls kroatischen Die Insel Vis in der Jugoslavischen Adria Inseln Hvar und Korcula westlich vorgelagert. Ist Vis von der dalmatinischen Küste aus erreicht, so hat man schon ein Viertel der Strecke bis zur italienischen Küste zurückgelegt. Die Insel Vis (381 v. Chr. erstmals als griechische Kolonie erwähnt) hat eine traditionsreiche, oft kriegerische Geschichte. Besonders zu Anfang des 19. Jahrhunderts entstanden große militärische Befestigungsanlagen. Und ebenfalls im 19. Jahrhundert wechselte die Insel Vis häufig ihre Besitzer: Mal gehörte sie Frankreich, mal Rußland, mal Italien, mal England, mal Österreich, und seit der Proklamation des neuen Staates nach dem Ersten Weltkrieg (um 1920) zum Königreich Jugoslawien. Während des Zweiten Weltkriegs war auf Vis wegen ihrer gesicherten militärischen Befestigung, wegen der Hügel- und Täler-reichen geographischen Struktur und wegen ihrer zu einem Großteil buschigen und bewaldeten Vegetation (die Insel hat eine Fläche von 90 Quadratkilometer) vorübergehend das Oberkommando der jugoslawischen Partisanenarmee stationiert, die gegen die deutschen und italienischen Faschisten kämpfte. Nach dem Zweiten Weltkrieg erfolgte durch die Jugoslawische Volksarmee (JVA) ein weiterer Ausbau der militärischen Infrastruktur auf Vis, um das jugoslawische Territorium gegen die (italienischen) Nato-Streitkräfte „zu verteidigen“. Vis wurde militärisches Sperrgebiet, ausländische Touristen und Bürger hatten bis 1989 keinen Zutritt zu der Insel. Im gegenwärtigen Konflikt sind die auf der Insel stationierten Waffen und Kräfte der JVA gegen die kroatische Adriaküste gerichtet und gefährden damit auch die noch verbliebene kleine kroatische Bevölkerungsgruppe (gegen 1970 etwa 10.000, heute gerade noch 2000 zivile Einwohner mit einem Durchschnittsalter knapp unter 60 Jahren). Inzwischen wurde von einer Forschungsgruppe des Friedensinstituts in Ljubljana und unter ständiger Betreuung von Vlasta Jalusic und Tonci Kuzmanic ein Aktionskonzept „Europäisches Friedensprojekt für die Insel Vis“ ausgearbeitet. Ziel des Projekts ist die völlige Entmilitarisierung der Insel Vis und ein Status wie der der Alandinseln zwischen Schweden und Finnland (übrigens ist das meines Wissens die einzige völlig entmilitarisierte Zone in ganz Europa; seit 1921 durch Entscheidung des Völkerbundes; die Alandinseln gehören zu Finnland, und der entmilitarisierte Status wurde auch während des Zweiten Weltkriegs, an dem Finnland beteiligt war, respektiert). Eines der Hauptprobleme des Projektes besteht darin, Wege für einen Abzug ohne Gesichtsverlust der JVA zu finden und die Stationierung neuer Streitkräfte auf der Insel zu verhindern. „Deshalb sind wir“, so schreibt die Projekt- und Forschungsgruppe, „auch sehr beunruhigt über die Möglichkeit, daß kroatische Streitkräfte versuchen, die Insel zu befreien, denn dies würde wahrscheinlich zu ihrer totalen Zerstörung führen. Daher darf das Ziel nicht nur die Entmilitarisierung der Insel durch den Abzug der JVA, sondern muß zugleich die Verhinderung jedweder erneuter Militarisierung sein.“ Spenden- und Hilfsaktion: Jugoslawien – Verständigung Bericht über die Schwerpunkte der Spenden- und Hilfsaktion des Komitees für Grundrechte und Demokratie (Stand 10. Januar 1992). 1. Das Komitee startete die Spendenund Hilfsaktion „Jugoslawien – Verständigung statt Krieg“ im August 1991. Der Spendenaufruf mußte anfangs durch bezahlte Anzeigen publiziert werden; erst später gab es Hinweise oder Informationen in nahestehenden bzw. friedenspolitisch orientierten Publikationen. 2. Ca. 103.000 DM wurden Friedensgruppen, vor allem in Serbien, BosnienHerzegowina, Kroatien, Slowenien, dabei überwiegend in den Zentren (Belgrad, Sarajewo, Zagreb, Ljubljana) zur Verfügung gestellt. 3. Anfänglich (während und in Folge der Friedenskarawane durch Jugoslawien) galt die Unterstützung dem Aufbau der notwendigen Infrastruktur der Antikriegsgruppen, d. h. Finanzierung von Büroeinrichtungen, Druck von Flugblättern und Publikationen, zum Diskussions- und Informationsaustausch untereinander, sowie Porto, Telefon, Telefax usw. 4. In den letzten beiden Monaten kam die finanzielle Hilfe u.a. der Unterstützung von Deserteuren und Kriegsdienstverweigerern über die Anti-Kriegs-Zentren (vor allem in Sarajewo und Belgrad) zugute. Am 12. November 1991 haben in der bosnischen Stadt Sarajewo etwa 80.000 Menschen unter dem Motto „Arbeit statt Krieg“ demonstriert. Die Demonstration wurde ebenso finanziell unterstützt wie eine Unterschriftenaktion in Serbien, mit der ein Volksentscheid gegen den Krieg im gesetzlichen Rahmen in Gang gesetzt werden soll. 5. Auch kleinere Projekte wurden gefördert, wie das Jugendkulturhaus in Belgrad, Initiativen in Rijeka und in der Vojvodina (Novi Sad), das Friedensprojekt für die Insel Vis. Die Projektgruppe strebt deshalb eine Internationalisierung – „Vis, eine europäische Insel!“ – an, und zwar durch eine selbständige, unabhängige Aktion der Bürger auf der Insel, und parallel dazu durch die Unterstützung sympathisierender Bürger und Institutionen sowie von Friedensgruppen in Kroatien, aus den übrigen Republiken des ehemaligen Jugoslawien und aus möglichst vielen Ländern Europas. 6. Zur Zeit prüfen Experten die Einrichtung eines E-Mail-lnformationsnetzes (Kosten ca. DM 11.000), das die Kommunikation zwischen den Friedenszentren in Belgrad, Sarajewo, Zagreb und Ljubljana (und damit auch zu uns in der BRD) wieder vereinfachen soll, nachdem die derzeitige serbische Regierung die Telefonund Telefaxverbindungen zwischen den einzelnen Republiken gekappt hat. Inzwischen hat sich auch auf Vis eine Bürgerinitiative gebildet. Das Konzept für eine Entmilitarisierung der Insel wird von einem überwiegenden Teil der Inselbevölkerung unterstützt; ebenso von vielen Menschen, die aus Vis stammen und heute verstreut über die Republiken des ehemaligen Jugoslawien leben. Es gibt erste positive Reaktionen aus Italien, Österreich und den USA. Ein Unterstützungskomitee in der BRD „Europäisches Friedensprojekt für die Insel Vis“ wird demnächst gegründet. Chancen dürfte das Projekt nur haben bei ausreichender Beteiligung von Bürgerinitiativen, Friedensgruppen und Friedensforschung, unter Einbeziehung der Menschen, die auf Vis leben, und mit der Perspektive einer gewaltfreien Regelung des Konfliktes. In diesem Sinne ist auch die Popularisierung des Projekts in der Bundesrepublik sehr wichtig, zumal wir hierzulande wenig über die zahlreichen und auch innen- und friedenspolitisch nicht völlig einflußlosen Aktivitäten der AntiKriegs-Opposition in den einzelnen Republiken und über deren Grenzen hinaus erfahren. 7. Auf Anfrage der Friedensliga Zagreb (zu der seit längerem Verbindungen bestanden) hat sich das Komitee mit Geldern aus der Spenden- und Hilfsaktion sehr wirkungsvoll der Medikamentenhilfe angenommen. Obwohl es hierzu bereits einige lokale Initiativen gab, konnten diese in der Als nächster Schritt ist ein internationales Treffen auf der Insel Vis (möglichst Frühsommer 1992) geplant; eventuell auch ein mit dem Treffen verbundenes oder daran anschließendes Friedenscamp. Dabei muß nicht zuletzt versucht werden, Einfluß auf Instanzen höchster politischer Ebene (u.a. die Vereinten Nationen) zu nehmen. Das Projekt ist mit großer Ernsthaftigkeit zu betreiben und darf nicht als friedenspolitische Spielwiese mißverstanden werden . Sicher ist vieles noch Wunsch und Plan, aber dem Militär und dem Krieg mit einem Zeichen des Friedens zu begegnen, lohnt die Anstrengungen der Hoffnungsbereiten und Mutigen. Klaus Vack, An der Gasse 1, 6121 Sensbachtal Regel hochwertige und dringend benötigte medizinische Versorgungsgüter (z. B. Narkosemittel, Antibiotika, Blutersatz- und Impfstoffe sowie Medikamente zur Dialyse) nicht beschaffen bzw. nicht bezahlen. Zumindest Ende Oktober/Anfang November mußte außerdem der Eindruck entstehen, daß sich die großen Hilfsaktionen zurückhalten, bzw. medizinische Hilfsmittel „versackt“ sind. Wir vom Komitee für Grundrechte und Demokratie haben alle medizinischen Hilfsgüter eigenhändig und direkt dorthin gebracht, wo sie gebraucht wurden, und ausschließlich für die Versorgung von Zivilisten. Zuletzt überbrachte das Vorstandsmitglied unseres Komitees, der Stuttgarter Internist Dr. Suso Lederle, Mitte Dezember 1991 im Wert von etwa 50.000 DM Impfstoffe gegen Masern, Kinderlähmung und Tbc in das Flüchtlingslager Sisak, um einer Seuchengefahr vorzubeugen, von der etwa 2000 Kinder unter 12 Jahren bedroht waren . 8. Insgesamt transferierte das Komitee für Grundrechte und Demokratie Medikamente und Verbandsstoffe im Wert von ca. 420.000 DM nach Kroatien . 9. Wir haben den Eindruck, mit der Medikamenten-Unterstützung im Rahmen unserer Spenden- und Hilfsaktion z. B. andere, größere Gruppen ebenfalls zu wirkungsvoller humanitärer Hilfe angeregt und gezeigt zu haben, daß solche Hilfsaktionen auch in einer Kriegssituation direkt und zuverlässig sowie zweckgebunden organisiert werden können. 10. Inzwischen konzentriert sich unsere Spenden- und Hilfsaktion wieder stärker auf finanzielle Unterstützung für die AntiKriegs-Arbeit im ehemaligen Jugoslawien, weil – aus aktueller Sicht – medizinische und Versorgungshilfe im „zivilen Sektor“ in zunehmendem Maße durch große humanitäre Organisationen, Regierungen und zahllose lokale Initiativen gewährleistet wird. Leider werden jedoch Bedeutung und Einfluß von Friedensengagement auf die „offizielle Politik“ in allen Republiken des ehemaligen Jugoslawien in der bundesdeutschen Öffentlichkeit noch immer ebenso unterschätzt wie die Schwierigkeiten und Repressalien, denen die Antikriegsgruppen ausgesetzt sind. In diesem Sinne wird die Spendenaktion fortgeführt: Jugoslawien – Verständigung statt Krieg, Volksbank Odenwald eG, Konto Nr. 8024618, BLZ 508 635 13 Komitee für Grundrechte und Demokratie e.V., 6121 Sensbachtal gez. Klaus Vack, Sekretär des Komitees In der „Frankfurter Rundschau“ veröffentlichte das „Komitee für Grundrechte und Demokratie e.V.“ am 21.1. ein Anzeige gleichen Inhaltes mit folgendem Zusatz: Obwohl nicht selten der schlimme und falsche Vorwurf zu hören ist, aus der Friedensbewegung würde zuwenig für eine friedliche Konfliktlösung im jugoslawischen Bürgerkrieg getan, sind wir – ebenso wie andere engagierte Initiativen – leider darauf angewiesen, die interessierte Öffentlichkeit durch bezahlte Anzeigen, die viel Geld kosten, zu informieren, wodurch unsere Hilfsmöglichkeiten zumindest geschmälert werden. Auf Anforderung – unter Beifügung von DM 10,- in Briefmarken – schicken wir weitere Informationen. Dies ist keine gegen Entgelt veröffentlichte Anzeige. (Der Herausgeber) 5 . Kalenderwoche - Seite 11 Briefe an die Redaktion Abbau der Gleise von Darmstadt nach Griesheim – ein Eigentor für die Stadt Griesheim Trotz heftiger Proteste von Umwelt- und Verkehrsverbänden begann die Deutsche Bundesbahn im Juni 1991 mit dem Abbau der Gleisanlagen. Die Verantwortlichen der Stadt Griesheim versuchten nicht etwa, den Gleisabbau zu stoppen und den Schienenanschluß zu erhalten. Im Gegenteil, Bürgermeister Leber zwang die DB durch eine ungerechtfertigte Regreßforderung über 150.000 DM zum überstürzten Abbau der Gleise, weil sie der Fertigstellung der „Entlastungsstraße Nord“ im Wege lagen. Am 22.11.1991 haben nun die Verantwortlichen der Stadt Griesheim vom Regierungspräsidium Darmstadt die Quittung für ihr kurzsichtiges Verhalten bekommen: Wie Regierungsdirektor Hartmann dem Fahrgastverband BFS Hessen e.V./Pro Bahn mitteilte, wurde der Antrag der Stadt Griesheim vom 13.9.1990 auf Zulassung einer Abweichung vom gültigen Regionalordnungsplan Südhessen für die geplante Erweiterung des Gewerbegebietes „Rübgrund“ nördlich des Bahngleises weitgehend abgelehnt. Von der beantragten Erweiterung um ca. 56 ha wurden lediglich 14 ha für den nachgewiesenen Eigenbedarf Griesheimer Betriebe zugelassen. Die Ablehnung erfolgte auch aus dem Grund, daß – entgegen regionalplanerischen Zielsetzungen – der Rückbau des Gütergleises betrieben wurde und somit die Erschließungsmöglichkeiten nachdrücklich verschlechtert wurden. Aus demselben Grund hat der Antrag der Stadt Griesheim auch wenig Chancen, in die derzeit laufende Fortschreibung des Regionalen Raumordnungsplanes Südhessen übernommen zu werden. Die Verantwortlichen der Stadt Griesheim haben nun Gelegenheit, darüber nachzudenken, ob ihre Haltung den wirtschaftlichen Interessen und längerfristigen Entwicklungsmöglichkeiten Griesheims förderlich war. Nach Ansicht des BFS Hessen e.V. bietet nur ein Wiederaufbau der Strecke einen Ausweg aus dieser mißlichen Lage. Dr. Gottlob Gienger, Pro Bahn e.V., Heinrichstr. 24, 6103 Griesheim Vorfahrt für die Bahn VCD, BFS/PRO BAHN und BUND Hessen stellen Schienenkonzept Rhein-Main vor „Attraktiver Schienenverkehr zwischen Koblenz, Eberbach, Fulda und Gießen“, das fordern der Fahrgastverband BFS/PRO BAHN, der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) Hessen und der Verkehrsclub Deutschland (VCD) Hessen. Die Verbände haben dazu ein 112-seitiges „Regionales Schienenkonzept RheinMain“ vorgelegt. Es soll, geht es nach den Verkehrsverbänden, ein Baustein für das längst überfällige „Integrierte Gesamtverkehrskonzept Hessen“ sein. An den Vorschlägen haben in Südhessen auch die Kreisverbände Darmstadt-Dieburg, Darmstadt, Groß-Gerau und Bergstraße des VCD, der BFS/PRO BAHN Regionalverband Starkenburg, der BUND Groß-Umstadt sowie die Initiative zur Förderung des ÖPNV mitgewirkt. Der Vorschlag: Ein engmaschiges Netz aus City-Bahnen, S-Bahnen, RegionalSchnell-Bahnen und Regional-Bahnen. Die Verkehrsexperten möchten zudem möglichst viele Verknüpfungen der Linien untereinander, mit den Stadtbahnnetzen und mit IC, ICE und Interregio. Außerdem solle die moderne Schiene als Rückgrat der Flächenerschließung mit Bus und Fahrrad optimal vernetzt werden. Ausgefeilte Strecken- und Fahrplanvorschläge bilden den Kern des bundesweit einmaligen Konzepts. Für 670 Bahnhöfe und 39 Strecken der Region listen die Verbände genau die geplanten Taktzeiten und Zuggattungen auf. Die Grundlage dafür: Zahlreiche Wiederinbetriebnahmen, Neuoder Ausbauten von Schienenstrecken. Beispiele sind die Reaktivierung der Strecke Pfungstadt – Darmstadt-Eberstadt und die neue Verbindung Groß-Umstadt – Lengfeld. Außerdem, so die Verbände, müßten auf vielen Linien zusätzliche Gleise gebaut werden, etwa auf der Odenwaldbahn von Darmstadt und Hanau nach Anders sein ist nicht ordentlich, nicht deutsch Eine Darmstädterin zu den Folgen der Wannsee-Konferenz Zu dem Tages-DENK-mal von Bernhard Meyer am 20.1.92 auf dem Karolinenplatz anläßlich des 50. Jahrestages der Wannseekonferenz erreichte uns diese Zuschrift einer Leserin. Der Künstler hatte alte Kleidungsstücke auf dem Pflaster ausgelegt und mit PassantInnen über die Folgen der Wannsee-Konferenz und den Mord an Millionen Juden gesprochen. Das Mahnmal hat mich tief betroffen gemacht, den im folgenden leicht überarbeiteten Text habe ich daraufhin spontan geschrieben und an Ort und Stelle als Flugblatt verteilt. FrauenLesben gegen Rassismus, Faschismus, Sexismus. Politik ist für mich Kampf für Gerechtigkeit. Dem ordentlichen Deutschen liegt es fern, sich für die Rechte Asylsuchender und ImmigrantInnen einzusetzen, er tut auch nichts für die Gleichberechtigung der Geschlechter und die gesellschaftliche Akzeptanz von Lesben, Schwulen und Transsexuellen. Denn wer sich wehrt oder sich mit denen solidarisiert, die anders sind, ist nicht ordentlich. Oder nicht Deutsch. Und läuft Gefahr, selbst diskriminiert zu werden. Das macht Angst.Dieselbe Angst, die schon im Dritten Reich ihr Unwesen trieb. Es liegt in der Natur des Menschen, sich zu schützen. Es könnte ja gefährlich sein, sich für die Gerechtigkeit einzusetzen.Deshalb wird die Eigenverantwortung auf andere Menschen projiziert. Es ist an der Zeit, gegen diese Art von Natur anzukämpfen,was soviel heißt, daß wir bei uns selbst schauen, warum wir Menschen, die andersartig sind, nicht achten. Auch ist es an der Zeit, daß wir miteinander leben und gegenseitiges Interesse entwickeln. Ohne eine beginnende Machtstrukturänderung im psychischen und sozialen Bereich jedes einzelnen Menschen wird unsere nicht bewältigte Vergangenheit uns einholen.Um dem entgegenzuwirken, sollte jede Frau und jeder Mann Eigenverantwortung tragen, besonders bei der Vergangenheitsbewältigung des Nationalsozialismus, aber auch der eigenen Kindheit, damit bestehende Neigungen zur Unterstützung von diktatorischen Machtstrukturen aufgehoben werden können. Angelika Kallis, Künstlerin Eine Glosse – Wer weiß? „Wer zu spät kommt, den bestraft die Geschichte“ Erbach. Elektrifizierungen – so auf der Strecke zwischen Hanau und Babenhausen – komplettieren die Vorstellungen. Hintergrund der Vorschläge ist der entstehende neue Rhein-Main-Verkehrsverbund. Die Verbände wollen bei der Diskussion von Anfang an mitmischen. Dazu dienen auch die teils vorhandenen, teils geplanten weiteren Abschnitte: Ein Stadtbahnkonzept für Darmstadt und eine Bike+Ride-Konzeption. Die Verbände setzen auf deutliche Reduzierung der Umweltbelastungen durch den Verkehr. Das verlange drastisch weniger Autoverkehr durch hohe Spritpreise und und wirksame Förderung des sogenannten Umweltverbundes von Fahrrad, Zu-FußGehen, Bus und Bahn. Autofördermaßnahmen wie insbesondere große P+RAnlagen seien als milliardenteure Fehlinvestitionen abzulehnen. Sprecher aller drei Verbände forderten in Wiesbaden zur raschen Umsetzung des vorliegenden Konzeptes auf. Wer wirklich für die Bahn sei, müsse jetzt Farbe für die Schiene bekennen. Ansprechpartner, stellvertretend für die Verbände im Raum Starkenburg und Odenwald: Uwe Schuchmann, Rostocker Str. 14, 6105 Ober-Ramstadt Tel.:0 61 54 27 13 Betr.: Ihren Artikel „Protest gegen das TH-Parkhaus“ vom 8.1.92 Der folgende Leserbrief war zeitgleich an das „Darmstädter Echo“ (8.1.92) gerichtet, das ihn jedoch nicht veröffentlichte. Sehr geehrte Redaktion! Ich freue mich, daß mein erstes Informationsblatt für die TH-Parkhausbenutzer zu einer so schnellen, sachlichen Diskussion der Problematik des Parkhauses in Ihrer Zeitung geführt hat. Einige Ergänzungen und Korrekturen zu den Ausführungen von Der Bildhauer Richard Heß hat seine Freiplastik „Große Schreitende im Abendkleid“ genannt. Sie ist auf dem im Stadtplan nicht auffindbaren Mollerplatz zwischen Barkhaus- und RobertSchneider-Straße aufgestellt. Was würden die DarmstädterInnen wohl dazu sagen, wenn die Premierenschönheiten so das Staatstheater besuchen würden? Oder ist es nur das klassizistische Ideal griechischen „Oben-Ohne-Looks“, an das sich der Künstler zurückerinnert? (red., Foto: H. Schäfer) Frau Irene Bauerfeind-Roßmann erscheinen mir aber angebracht, insbesondere wegen des doch fehlenden Immissionsgutachtens für die Angehörigen der Hochschule. Frau Bauerfeind-Roßmann lobt die spezielle Schallschutzverglasung für die Bewohner des Martinsviertels und die Verlegung der (Ein- und) Ausfahrt. Sie verschweigt leider, daß ein ebensolcher Schutz den Angehörigen der Hochschule trotz mehrfacher Bitten nicht gewährt wurde. Der Grund liegt in einem ganz einfachen Versäumnis (oder Absicht?): Das gesetzlich vorgeschriebene Immissionsgutachten wurde nur für die Seite zum Martinsviertel hin in Auftrag gegeben. Ergebnis: Für die andere Seite liegt kein Gutachten vor, und damit kann hier ohne Auflagen gehandelt werden. Insbesondere kann die Einfahrt hierher gelegt und so der Parkhausbau erst ermöglicht werden, ein Schallschutz braucht nicht eingebaut zu werden. Auch die Tatsache, daß die neue, recht abenteuerliche Zufahrt unmittelbar neben der „Frischluft“-Ansaugung für die fensterlosen Arbeitsräume entlang führt und damit eine direkte Belüftung dieser Räume mit Autoabgasen erfolgt, beeindruckte die Hochschulverwaltung nicht. Im Gegenteil, den vor der Ansaugung abgestellten Autos (um eine weiträumigere Umfahrung der Ansaugöffnung zu erzwingen) wird mit dem Abschleppen gedroht. Die zu- und abfahrenden Autos sollen offensichtlich ihre Abgase in die Belüftung des Gebäudes einleiten. Wer’s nicht glauben mag, kann sich jederzeit durch Augenschein überzeugen. Wir fordern nicht ein weiteres Immissionsgutachten (das unterstellt, daß ein solches Gutachten für die Hochschulangehörigen existiert), sondern überhaupt eins für uns. Dies wird uns seit zwei Jahren verwehrt. Warum? Sind Hochschulangehörige Menschen zweiter Klasse? Prof. Dr. W. Lauterborn, Institut für Angewandte Physik, Schloßgartenstr. 7, Darmstadt Wir lesen zur Zeit viel über das Problem, wie nach Auflösung der Sowjetunion die über mehrere Republiken verteilten Atomwaffen und anderen Massenvernichtungsmaschinen im Zaum gehalten werden können und vor allem nicht im Rüstungsschiebergeschäft an kleinere Staaten gelangen, die dann ihre Händel mit Atomwaffen austragen und gar einen atomaren Weltenbrand entfesseln könnten. Selbst die führenden Politiker machen sich „Sorgen“, von Kohl über Mitterrand, Major bis Bush etc.So etwas darf sich nicht wiederholen ! Stellen wir uns aber einmal vor, daß die Vereinigten Staaten von Nordamerika ebenso wie die Sowjetunion an ihren inneren Widersprüchen, an der enormen Armut und sozialen Ungleichheit, nicht zuletzt durch die Hochrüstung hervorgerufen, zerbrechen würden. Dann stünde die Weltbevölkerung plötzlich einem Atomraketenund Atombombenchaos in fünfzig autonomen US-Bundesstaaten gegenüber . Selbst der übermenschliche G-Man Jerry Cotton und ebenso sein mit dem 38er in der Faust für Freiheit und den „american way of life“ kämpfender Kollege Phil Decker (beide FBI New York) sind seit Wochen verzweifelt, wenn sie sich realistischerweise eine solche Perspektive ausmalen. Daß die G-Men dabei zum CIA überhaupt kein Vertrauen haben, – wie oft mußten sie für den Geheimdienst die Kartoffeln aus dem Feuer holen – ist allseits bekannt. Und gewiß trifft auch zu, daß der CIA, was die Beurteilung von Krisensituationen in der Welt betrifft, in der Tat überflüssig ist wie ein Kropf. Noch kann sich wohl kaum jemand ein solches Schreckensszenario vorstellen. Doch wir haben lernen müssen, wie schnell sich die Dinge ändern können. Wer garantiert, daß die Vereinigten Staaten von Nordamerika in ihrer derzeitigen Verfaßtheit, sagen wir mal in fünf Jahren nicht ebenfalls aufgehört haben zu existieren wie jetzt die Sowjetunion. Es gibt da nur eine Lösung: Jetzt, wo wenigstens noch einiges geregelt und abgesichert ist, sollten die USA sofort beginnen, alle Atomwaffen und auch die Trägerraketen, die Atom-U-Boote, Giftgasgranaten etc. zu vernichten, damit nicht später jemand mit diesem Zeug Schindluder treibt! Präsident Bush oder sein eventueller Nachfolger kämen dann nicht in die Situation von Gorbatschow, der anläßlich seines Rücktritts den Schlüssel zu den sowjetischen Atomwaffen vervielfältigen und an unerfahrene und damit erpreßbare Politiker abgeben mußte, worauf die neuen Gefahren beruhen. Und selbst wenn es nicht ganz zu schaffen ist, das gesamte Atompotential rechtzeitig zu verschrotten, hätte die Menschheit immerhin noch die Hoffnung, in einem atomaren Inferno nur einmal, aber nicht gleich Dutzende Male dahingemordet zu werden. Eines scheint jedenfalls festzustehen: Wenn es nicht gelingt, die Atomwaffen der ehemaligen Sowjetunion und der wahrscheinlich bald ehemaligen USA irgendwie „aus der Welt“ zu schaffen, ist auch das zukünftige Europa völlig überfordert, eines solchen Problems Herr zu werden. Gegen Massenvernichtungswaffen sind Worthülsen, wie sie die kränklichen europäischen Vereinigungsbestrebungen begleiten, nur blinde Munition. Klaus Vack „Soldaten sind potentielle Mörder“ P. E. N. protestiert bei Stoltenberg gegen Degradierung Erneut muß der P. E. N. feststellen, daß in der Bundesrepublik Deutschland das freie Wort und das freie Urteil in der Öffentlichkeit längst nicht mehr für alle Bürger gewährleistet ist. Schlimmer noch: Daß bei der Ausübung dieses Grundrechts mit schwerwiegenden Repressalien zu rechnen ist. wert eingestuft worden waren, hatte Verteidigungsminister Gerhard Stoltenberg dennoch per Weisung auf der Einleitung eines Disziplinarverfahrens bestanden. Die Verhandlung gegen Major Pries endete schließlich mit seiner Degradierung, die auch erhebliche wirtschaftliche Einbußen für den Soldaten zur Folge haben wird. Jüngstes Beispiel für diese besorgniserregende Entwicklung ist das Urteil eines Koblenzer Bundeswehrtruppengerichts, durch das der Major Helmut Pries zum Oberleutnant degradiert wurde. Pries hatte mit zwanzig anderen Kollegen das Urteil des Frankfurter Gerichts begrüßt, in dem der Satz „alle Soldaten sind potentielle Mörder“ als erlaubte Meinungsäußerung gekennzeichnet worden war. Pries und seine Soldatenkollegen hielten den Richterspruch auch inhaltlich für richtig, „weil die Strategie der atomaren Abschreckung zum massenhaften unterschiedslosen Töten – zum Völkermord – führen kann“. Der P. E. N. hält diese Disziplinierung für unerträglich und fordert Minister Stoltenberg auf, sofort Schritte einzuleiten, die geeignet sind, die Degradierung rückgängig zu machen und Major Pries zu rehabilitieren. Nachdem die Äußerungen von Pries und seinen Kollegen von zuständigen Bundeswehr-Journalisten als nicht beanstandens- Dem Rechtsstaat und dem Ansehen der Bundesrepublik Deutschland darf mit solchen Entscheidungen in obrigkeitsstaatlicher Manier nicht weiter Schaden zugefügt werden. Das Urteil des Bundeswehr-Truppengerichts ist gerade zu einer Zeit, in der die verheerenden Folgen der Unterdrückung von Meinungsfreiheit für große Teile Osteuropas aufgearbeitet werden müssen, für den P. E. N. eine unbegreifliche und verfassungswidrige Entscheidung. Manfred Bissinger, PEN 5 . Kalenderwoche - Seite 12 Briefe an die Redaktion „Nur Tatsachen veröffentlichen“ „Osthofen – Steine des Erinnerns“ P.E.N. fordert Fairness in der Diskussion: „Schriftsteller, Künstler und Stasi“ Symposium zur Geschichte des ersten Konzentrationslagers in Hessen Angesichts der Bedrohung des Schriftstellers Jürgen Fuchs, die allem Anschein nach von weiterhin existierenden GewaltKommandos im Dienst der ehemaligen Staatssicherheit der DDR ausgeht;– angesichts der in den letzten Monaten gewachsenen Neigung, die kritische Betrachtung der Literatur und der Künste in der Geschichte der DDR fast ausschließlich an ihrem Verhältnis zu Stasi und SED zu orientieren; – angesichts der Befürchtung, daß die notwendige, von Jürgen Fuchs und anderen Kollegen angestoßene Aufklärung und kritische Diskussion in einem Klima von Haß, Bedrohung, Feigheit und Profilierungssucht untergehen könnten; – angesichts der möglichen Gefahr, daß einmal veröffentlichte Nachrede für den Fall, daß sie sich als haltlos erweist, kaum wieder gut zu machen ist, richtet das P.E.N.-Zentrum der Bundesrepublik Deutschland (West) an alle Medien den dringenden Appell, im höchstmöglichen Maße auf Sorgfalt, Fairness und Sachlichkeit bedacht zu sein. Erneut sichern wir Jürgen Fuchs unsere uneingeschränkte Unterstützung bei den von ihm unternommenen Recherchen zu und fordern diejenigen, die ihn und seine Familie bedrohen, – trotz unserer Zweifel an der Fähigkeit der Gewalttäter zur Einsicht – dazu auf, von ihrem Weg abzugehen. Die dokumentierbare Wahrheit läßt sich durch Einschüchterung und Terror nicht unterdrücken. Wir bitten zugleich alle, die mit den Dokumenten umgehen, mögliche Manipulationen zu verhindern und jede Veröffentlichung auf die beweisbaren Tatsachen einzuschränken. Diese Bitte richtet sich auch und gerade an die Kollegen bei Zeitungen und Zeitschriften, in Funk und Fernsehen. Die Besichtigung der Kulturgeschichte der DDR, ihrer Verwicklungen in Bespitzelung und Unterdrückung, ihrer Hoffnungen, künstlerischen Erfolge und Niederlagen markiert einen Testfall für unsere Gesellschaft. Es geht dabei nicht allein um Stilfragen – es geht auch um die Frage, ob die gewachsene demokratische Tradition in der Bundesrepublik Deutschland ausreicht für die Chance, mit der eigenen Vergangenheit offener, ehrlicher, kritischer, schließlich auch barmherziger umzugehen als in den Jahren nach 1945. Wir bitten, dabei zu bedenken, daß es unmöglich ist, damals Versäumtes heute am ganz anderen Beispiel nachzuholen; daß es hingegen möglich und erforderlich ist, aus den Versäumnissen zu lernen und anstelle schnell gefällter Urteile die Geduld für mühsamere und schmerzhafte Erkenntnisprozesse aufzubringen. Manfred Bissinger, PEN Der Förderverein Projekt Osthofen e.V. veranstaltete Anfang November ein Symposium mit dem Titel „Osthofen – Steine des Erinnerns“. Erinnert wurde dabei an das erste Konzentrationslager in Hessen, und neue regionalgeschichtliche Forschungsergebnisse zu Verfolgung und Widerstand in Rheinhessen vorgestellt. Tagungsteilnehmer aus der näheren Umgebung, MitarbeiterInnen aus Gedenkstätten der alten und neuen Bundesländer, VertreterInnen von den Kommunen, Lehrer und LehrerInnen aus Hessen und Rheinland-Pfalz und Mitglieder des Fördervereins und der Lagergemeinschaft trugen zu den fachkundigen und für die künftige Arbeit fruchtbaren Diskussionen bei. Nach dem Empfang der Tagungsteilnehmer durch den Bürgermeister der Stadt Osthofen, Klaus Hagemann, begrüßte der Vorsitzende des Fördervereins und stellvertretende Landesvorsitzende des DGB Rheinland-Pfalz, Manfred Helmes, die Anwesenden. Pfarrer Dr. Konrad Elsässer, derzeit Geschäftsführer des Fördervereins, umriß im Anschluß daran die „Perspektiven des Lernortes“. Großen Anklang erntete Prof. Dr. WolfDieter Narr, FU Berlin, für seine ebenso fachkundigen wie kritischen und spannend vorgetragenen Überlegungen zu den persönlichen und politischen Konsequenzen aus dem Erinnern. Hauptthesen seines Vortrages waren, die Unteilbarkeit der persönlichen und der politischen Sphäre und der Konsequenzen sowie das Nicht-Delegieren-Dürfen von politischer und moralischer Verantwortung an die Obrigkeiten. Die Soziologin Angelika Arenz-Morch, wiss. Mitarbeiterin im Förderverein, trug neue Forschungsergebnisse zur Geschichte des Konzentrationslagers vor. Sie stellte die regionalen Besonderheiten Osthofens bei der Einrichtung der „wilden“ Lager im Reich heraus. Näher eingegangen wurde auf die soziale und politische Herkunft der Häftlinge, der die Gruppe der „Täter“ gegenübergestellt wurde, wobei hier differenziert wurde zwischen dem „kleinen“ Wachmann und den „Verantwortlichen“ im Volksstaat Hessen. Als weiteren Schwerpunkt behandelte Angelika Arenz-Morch die Juden im Lager Osthofen, die von Anbeginn an als „Untermenschen“ entwürdigt wurden. In vier Arbeitsgruppen wurden die Themen vertieft und mit neuen regionalen Akzenten versehen. Die erste Arbeitsgruppe befaßte sich mit der Vernichtung der Wormser jüdischen Gemeinde, sie wurde geleitet von Archivdirektor Fritz Reuter. Die zweite Arbeitsgruppe hatte die Sozialstruktur der SA zum Thema und wurde von Reinhard Starck betreut. Die Boxheimer Dokumente waren Thema der von Angelika Arenz-Morch geleiteten Arbeitsgruppe. Mit der Rolle der „Katholischen Kirche – Widerstand oder Anpassung?“ befaßte sich in kontroverser Diskussion die Arbeitsgruppe unter Pfarrer Dr. Ludwig Hellriegel. Einen Einblick in die Materialien und die Arbeiten der für den Volksstaat Hessen zuständigen Archive verschafften für das Hess. Staatsarchiv Darmstadt, Dr. Diether Degreif, der über die hessische Bereit- schaftspolizei referierte, und Dr. Volker Eichler, der das Projekt zu Verfolgung und Widerstand in Hessen, das sich im Hessischen Staatsarchiv in Wiesbaden befindet, vorstellte. „Wir sind auch Deutsche – Zur Situation der Landjuden in Rheinhessen“, unter diesem Titel referierte Dr. Dieter Hofmann aus Köln seine langjährigen Forschungsergebnisse. Hoffmann gliederte seinen Vortag in drei Abschnitte: Zu Beginn referierte er die Situation der Landjuden bis Ende des Ancien Regime, danach die Zeit der französischen Revolution bis zum Ende der Weimarer Republik und drittens den Beginn der Verfolgung 1933 bis zur Vernichtung. „Nord-Süd-West-Osthofen“ war die abschließende Podiumsdiskussion benannt, die Heiner Lichtenstein vom WDR Köln erstaunlich feinfühlig moderierte und in der nicht nur die auf dem Podium vertretenen Lagergemeinschaften der Lager Osthofen und Dachau, der Förderverein Projekt Osthofen, die Stadt Osthofen, die ev. Kirche sowie die Landeszentrale für politische Bildung zu Wort kamen, sondern auch die Teilnehmer mit ihren Vorstellungen und Forderungen für die Perspektiven des Lernortes Osthofen. Mit der Tagung wurde ein wichtiger Schritt in Richtung Dokumentations Werkstatt für Rheinland-Pfalz gegangen, der Förderverein Projekt Osthofen hatte seine Kompetenz für die künftige Arbeit am Ort Osthofen unter Beweis gestellt. Angelika Arenz-Morch „Wir gedenken der strahlengeschädigten Kinder“ Gewaltfreie Blockade des Siemens Brennelementewerkes in Hanau-Wolfgang Wir widmen unsere fünfte gewaltfreie Blockade am 9. März 1992 den Kindern in aller Welt, die bereits Opfer der Atomtechnologie wurden und deren Recht auf Leben und Gesundheit durch den Betrieb des Brennelementewerkes mißachtet und verletzt wird. Schadenersatzansprüche Mitten durch einen Nationalpark EG unterstützt Autobahn durch die Pyrenäen Mit finanzieller Unterstützung der EG soll durch die Pyrenäen zwischen Pau und Zaragoza eine dreispurige Autobahn gebaut werden, zur besseren wirtschaftlichen Anbindung Spaniens und Portugals, wie man sagt. Für uns in Deutschland mag das weit weg sein, doch trotzdem bei näherem Hinsehen sträuben sich dem kritischen Betrachter die Haare: Durch’s Aspe-Tal soll’s gehen! Mitten durch einen Nationalpark, der von der EG selbst als international bedeutsam deklariert wurde, in dem die größte Braunbärpopulation Europas lebt! (Groß ist die zwar wirklich nicht, aber deswegen umso schützenswerter, von all den anderen höchst seltenen Tier- und Pflanzenarten einmal ganz abgesehen.) Eine Naturlandschaft, die international ihresgleichen sucht, soll hier durchschnitten und touristisch erschlossen werden. Eine Überlebenschance für die Braunbären, und da sind sich die Wissenschaftler einig, besteht dabei langfristig nicht. Wie ist ein solcher Irrsinn überhaupt möglich? Doch nur gegen EG-Richtlinien und französische Naturschutzgesetze. Der von der EG verhängte Schutzstatus für das Gebiet wurde eigens hierfür aufgehoben, ein einfaches Prinzip: Man schützt, solange es eigentlich nicht nötig ist, und hat man eine wirtschaftliche Verwendung für das Gebiet, läßt man den Schutz wieder wegfallen und unterstützt das Bauprojekt gegebenenfalls noch finanziell. Die Ironie dabei ist, daß der Wiederausbau einer bestehenden, aber stillgelegten Bahnstrecke durch das Tal nur ca. 10 Prozent der Kosten für den Autobahnbau verschlingen würde, was wesentlich umweltfreundlicher und etwa genauso wirtschaftlich wäre. Irrsinnigerweise existiert auch eine EG-Richtlinie, nach der der Bau von Bahnstrecken Vorrang gegenüber dem Straßenbau haben sollte. Wie kann man eigentlich eine solche EG noch ernstnehmen? Einen letzten Funken Hoffnung gibt es noch für das Tal, seitdem sich eine wachsende Gruppe von entschlossenen Umweltschützern gegen den geplanten Autobahnbau auflehnt,und es sollen, wie ich gehört habe, demnächst auch internationale Protestaktionen laufen. Die Frage ist nur, warum muß es immer wieder soweit kommen? Können Politiker nicht gleich eine Umweltverträgliche Verkehrspolitik betreiben? Kann sich die EG nicht wenigstens an ihre eigenen Richtlinien halten? Vielleicht ist das illusorisch, aber nur wir, die Bürger, können durch unsere Unzufriedenheit, unseren Protest etwas an dieser mißlichen Lage ändern. Übrigens: wer nähere Informationen über das Bauprojekt und die Proteste im Aspe-Tal wünscht, sollte sich nicht scheuen, mich anzuschreiben. Volker Haass, Bahnstr. 128, 6106 Erzhausen Das Siemens Brennelementewerk (BEW) in Hanau ist Nachfolger der Hanauer Skandalfirmen Alkem und RBU. Circa 80% des Brennstoffbedarfs der bundesdeutschen Atomkraftwerke wird mit den hier hergestellten Brennelementen aus Uranoxid und (plutoniumhaltigem) Mischoxid (MOX) gedeckt. Darüberhinaus geht ein großer Teil der Produktion ins Ausland. Seit fast drei Jahren gibt es eine intensive Auseinandersetzung zwischen der „Kettenreaktion Hanau“ und der Leitung des Brennelementewerkes über die Frage, ob diese Produktion verantwortbar ist. Die anfängliche Bereitschaft zum Dialog ging aber von Seiten der Firmenleitung in den letzten Monaten zunehmend zurück, gleichzeitig drohte Siemens den Mitgliedern der Gruppe (und den übrigen Menschen, die sich an den gewaltfreien Blockaden beteiligen) mit der Durchsetzung von Schadenersatzansprüchen in „unbegrenzter“ Höhe, wenn wir weitere Aktionen dieser Art durchführen sollten. Erstaunliche Zusammenarbeit Zunächst war das Ziel unserer Arbeit, uns über die tatsächlichen Gefahren der Brennelemente-Produktion (bzw. der Atomenergie-Nutzung insgesamt) bessere Kenntnisse zu verschaffen. Hinter unserem Informationsbedürfnis stand aber von Anfang an die Frage, ob wir die atomare Stromerzeugung dulden dürfen oder womöglich eine Pflicht haben, uns ihr gewaltfrei zu widersetzen. Von Beginn an haben wir deswegen den verbindlichen Dialog mit der Betriebsleitung des Hanauer BEW gesucht. Die Leitung des BEW hat sich – anerkennenswerterweise – auf folgende Form der Sachauseinandersetzung mit uns eingelassen: Wir führten eine Reihe von öffentlichen Veranstaltungen (bisher 10) mit Fachreferenten zur Problematik der Atomenergie-Nutzung durch. Einen Auswertungstext von diesen Abenden haben wir jeweils – mit Bitte um Stellungnahme – an das BEW geschickt. Dabei haben wir uns verpflichtet, unseren Text zusammen mit der Siemens-Stellungnahme ohne weitere Änderungen zu veröffentlichen. Bedenken nicht zerstreut Inhaltlich konnten die Stellungnahmen unsere Bedenken gegen die Atomenergie aber nicht zerstreuen: Viele gewichtige Pro- bleme blieben offen, viele Antworten überzeugten uns nicht. Bei allen Themen dieser Veranstaltungsreihe sind uns die vergessenen und verdrängten Opfer der Atomtechnologie begegnet. Ihre Leiden fordern von uns Konsequenzen: Für den Fall, daß unsere Forderung nach Einstellung der Brennelementeproduktion und Produktionsumstellung nicht erfüllt würde, kündigten wir der Firma Siemens gewaltfreien Widerstand (in Form von Sitzblockaden) an. Die Forderungen wurden abgelehnt. Die ersten drei Sitzblockaden wurden von der Firmenleitung, soweit dies möglich war, ignoriert; unser Appell zur Umkehr blieb ohne Antwort. Bei der vierten BlockadeAktion (der ersten, bei der alle Zufahrten zum Werk blockiert waren) ließ Siemens die oben erwähnte Schadenersatzdrohung für den Fall weiterer Blockade-Aktionen laut werden. Unterbrochener Dialog Zum Zeitpunkt dieser Drohung war der Dialog mit der Firma bereits zurück gegangen. Seit über einem Jahr bekommt die „Kettenreaktion“ keine befriedigenden Antworten auf eine Reihe detaillierter Fragen in Bezug auf das vom Brennelementewerk ausgehende Gefährdungspotential. Da wir nur eine kleine Gruppe sind, bedeutet die Schadenersatzdrohung von Siemens für alle TeilnehmerInnen künftiger gewaltfreier Blockaden am BEW die In-Frage-Stellung ihrer wirtschaftlichen Existenz. Weil wir es Siemens nicht gestatten wollten, gleichsam einen Präzedenz-Fall dafür zu schaffen, daß gewaltfreier Widerstand und ziviler Ungehorsam mit einer solchen Drohung in die Knie zu zwingen, entschieden wir uns, trotzdem mit den Aktionen fortzufahren. Wir hoffen durch die Publikation unseres Streits mit Siemens so viel Unterstützung zu bekommen, daß die Firma – schon aus Gründen der Popularität – auf die angedrohten Schritte verzichtet. Wie könnte Ihre Unterstützung aussehen? Jeder und jede einzelne, die zu der gewaltfreien Sitzblockade nach Hanau kommen kann, ist uns sehr wichtig. Aber auch aus der Entfernung kann unser Anliegen wirksam unterstützt werden, im Folgenden nur einige Beispiele: Briefe schreiben an das Siemens BEW (mit Durchschlag an uns), damit die Firma merkt, daß Menschen im ganzen Land die Auseinandersetzung verfolgen. (Ist uns sehr wichtig! Adresse: Siemens Brennelementewerk, Werksleitung z. Hd. Herrn Krellmann, Rodenbacher Chaussee 6, 6450 Hanau-Wolfgang). Prüfen, ob Sie sich der „Hanauer Übereinkunft“ mit Ihrer Unterschrift anschließen können. (Die „Hanauer Übereinkunft“ bildet für uns die Grundlage für den gewaltfreien Widerstand gegen die Atomproduktion). Verbreiten unserer Informationen (Rundbrief abonnieren!). Teilnahme an der Aktion am 9. März 1992 als ZuschauerIn bzw. DemonstrantIn (ohne Blockade-Teilnahme, ohne Vorbereitung, ohne strafrechtliches Risiko). Teilnahme an der Aktion als UnterstützerIn oder BlockiererIn (Voraussetzung ist die Teilnahme am Vorbereitungswochenende 7./8. März. BlockierInnen müssen mit einer Anzeige wg. „Nötigung“ rechnen). Unterschrift unter den Blockade-Aufruf (kann als „Aufforderung zu einer Straftat“ angezeigt und gerichtlich verfolgt werden, ist also bereits eine Form des Zivilen Ungehorsams). Finanzielle Unterstützung (W. Kerntke, Sonderkto. Kettenreaktion 213942 bei Ökobank Frankfurt, BLZ 500 901 00). Ingo Laubenthal, Obermainanlage 27, 6000 Frankfurt/M. 1, Tel.: 0 69/49 84 37 5 . Kalenderwoche - Seite 13 Feuilleton I Wer hat Präsident Kennedy ermordet? Oliver Stones Polit-Thriller „JFK“ in Darmstädter Kino US-Präsident John F. Kennedy am 22. November 1963 in Dallas (Texas) ermordet wurde, war er gerade 1036 Tage im Amt. Nach anfänglicher Rücksichtnahme auf das US-Rüstungs-Establishment, vor dem Eisenhower gewarnt hatte, nach dem mißglückten Invasionsversuch in Cuba und der Verstärkung des US-Engagements in Vietnam mehrten sich die Zeichen der Entspannung in seiner Politik. In das Jahr seiner Ermordung fallen unter anderem Vereinbarungen über den „heißen Draht“ zwischen Moskau und Washington, ein amerikanisch-sowjetisches Getreidegeschäft, ein partieller Atomversuchsstopp und eine von den USA und der UdSSR unterstützte UNO-Resolution gegen die Stationierung von Kernwaffen im Weltraum. Außerdem gibt es Belege für die These, daß Kennedy plante, das militärische Engagement in Vietnam bis Ende1965 teilweise oder ganz zu beenden. Seine Innenpolitik setzte auf soziale Reformen und ein Ende der Rassendiskriminierung. Angeblich wollte er gar den texanischen Ölmilliardären steuerlich an den Kragen. Als Einzeltäter oder Verschwörung? Hatte sich Kennedy mit all dem unbeliebt gemacht? Wer hat ihn ermordet? Und warum? Zur Beantwortung dieser Fragen hatte die US-Regierung die Warren-Kommission eingesetzt, die der Weltöffentlichkeit1964 den angeblichen Einzeltäter Lee Harvey Oswald als den allein Schuldigen präsentierte. Diese Version ist früh angezweifelt worden, und in den Jahrzehnten nach dem Präsidentenmord mehrten sich die Beweise für eine Verschwörung. Jetzt hat sich Regisseur Oliver Stone dieses Themas angenommen. Und es war von vornherein nicht zu erwarten, daß er, der mit seinen so ganz ungemütlichen und unheldischen Beiträgen zur Bewältigung des Vietnamkrieg-Traumas („Platoon“ und „Geboren am 4. Juli“) manchem Hardliner als unamerikanischer Nestbeschmutzer erschien, falsche politische Rücksichten nehmen würde. Sein zusammen mit Zachary Sklar verfaßtes Drehbuch basiert auf den Vorlagen „Crossfire: The plot that killed Kennedy“ von Jim Marrs und „On the trail of the assassins“ von Jim Garrison (auch im Lübbe Verlag). Kämpferischer Staatsanwalt Und eben dieser Garrison ist als Staatsanwalt von New Orleans die Hauptfigur in Stones Film. Zäh und gründlich recherchiert Garrison, der dem Ergebnis der WarrenKommission mißtraut, mit seinem Team und findet nach und nach heraus, daß der angebliche Einzeltäter Oswald nicht der einzige war und eventuell gar nichts mit dem Mord zu tun hatte, daß der Mörder Oswalds, der Nachtclubbesitzer Jack Ruby, sein Opfer kannte und daß beide in exilkubanischen Kreisen verkehrten, die zwecks erneuter Invasion Cubas vom CIA finanziert und ausgebildet wurden. Demontiert wird von Garrison die Warren-Kommission als eine unseriöse, von höchsten Stellen gedeckte Clique, die eine Menge von störenden Fakten unter den Tisch kehrt, verdreht oder verfälscht. Immer deutlicher wird ihm der Ablauf des Attentats auf den Präsidenten: ein Kreuzfeuer von mehreren, an drei verschiedenen Stellen postierten Scharfschützen. Filz aus CIA, FBI und… Als Garrison in Washington von einem ranghohen Ex-CIA-Mann einen Hintergrundbericht über die kriminellen Aktivitäten des CIA, höchster Politiker und Generäle erhält, bei dem sogar der Kennedy-Nachfolger Lyndon B. Johnson, Texaner und Freund texanischer Ölmilliardäre, ins Zwielicht kommt, ist der kämpferische Staatsanwalt sicher: bei der Ermordung des Präsidenten handelt es sich Ausstellungen in Darmstädter Galerien Die Avantgarde lebt noch! um einen Staatsstreich, geplant und durchgeführt von einem Filz aus CIA, FBI, Exilkubanern, Mafia, Militärs, Politikern und den Rückzug William Copley (CPLY) „Model for ‚American Flag‘“, 1961. Öl aus Vietnam fürchten- auf Leinwand, 62x81 cm (aus:„Pop Art“, Deutsche Buchgemeinschaft 1968) den Rüstungsindustriellen. Doch für den entscheidenden juristischen Schlag ist es zu blenden versucht Stone, die im Film domispät, wichtige Zeugen und Schuldige sind nierende Dialog-Struktur aufzubrechen und plötzlich „gestorben“, und Garrisons Ankla- sein unpoetisches Sujet aufzumotzen. Denge gegen den ihm noch verbleibenden, noch hat man den Eindruck, daß die enthöchst verdächtigen Geschäftsmann Clay scheidenden Informationen über den SachShaw geht in die Hose. Im Nachspann erfah- verhalt stellenweise nicht auf der barocken ren wir, daß der inzwischen verstorbene Filmspur, sondern auf der ebenso dicht Shaw von CIA-Helms 1979 als schuldig besetzten Tonspur ablaufen, und manchmal, betrachtet wurde und daß Garrison weiteretwa beim Treffen Garrisons und des Exlebte und gar zum Revisionsrichter avanCIA-Manns „Mr. X“ in Washington (eine cierte. unscheinbare Nebenrolle für Donald Sutherland), macht es nichts, wenn man die Augen schließt und das Ganze als Hörspiel genießt. Eindimensionaler Costner Mit seiner politischen Aussage ist Stones Film nicht prinzipiell neu, Historiker (wie etwa Helmut Wolfgang Kahn: „Der Kalte Krieg“) teilen diese Ansicht. Stones Verdienst ist es jedoch, den Mord an Präsident Kennedy samt Staatsstreich-Hintergrund als Polit-Thriller in die Kinos gebracht zu haben. Ein schwieriger, unhandlicher Stoff, bei dem Stone, wie auch der historische Vorspann beweist, ausschließlich politische Absichten zu haben scheint, denn die Figur Garrisons, für die Schauspielkunst Kevin Costners zu eng, bleibt bei ihren durchaus sympathischen Eigenschaften etwas eindimensionaleintönig, und die Privatsphäre des Helden, das Problem mit der unpolitischen, verständnislosen und schließlich doch solidarischen Ehefrau, kontrapunktiert nur schwach die Haupthandlung. Beeindruckende Montage Doch die ästhetische Machart dieses Films ist hochartifiziell. Die Cutter müssen viel Arbeit am Schneidetisch gehabt haben. Denn montiert sind farbige und schwarzweiße, dokumentarische, pseudo-dokumentarisch nachgedrehte und neu gefimte Aufnahmen, die oft als Kaskaden von kurzen oder gar blitzartigen Kürzest-Einstellungen auf das Auge des Filmzuschauers niederprasseln. Auch mit Zeitlupen, Zooms, Reißschwenks und zahlreichen Mini-Rück- Stones Film hält sich eng an die historischen Tatsachen und Personen, der fiktionale Anteil ist gering. Dennoch handelt es sich hier um einen Spielfilm, der eine beeindruckende Bildmontage aufweist und dessen Tonspur (auch auf CD zu haben) in ihrer ästhetischen Eigenart etwa einem Stück des „dokumentarischen Theaters“ vergleichbar ist. Moralische Kraft Stone und Autor Garrison halten den Mord an Kennedy für einen Wendepunkt in der Nachkriegsgeschichte der USA, dem Vietnamkrieg, Watergate und Irangate zwingend folgten. Beide verkörpern den Glauben an den „amerikanischen Traum“ und seine Ideale. Darin liegt ihre politische Legitimation und die moralische Kraft, die „JFK“ die Wucht seiner Wirkung verleiht. Wenn ein Konzern wie Warner Brothers sich vom Vertrieb dieses 1991 produzierten Films Profit verspricht, dann kann man davon ausgehen, daß die US-Öffentlichkeit und der Rest der Welt auf die Staatsstreich-Version des Präsidentenmords längst vorbereitet sind und nach ihr verlangen. So richtig gefährlich fürs Establishment kann‘s ohnehin nicht werden: erst im Jahr 2029 muß die US-Regierung die geheimsten Akten herausrücken. (Im „Rex“, Darmstadt) Artur Rümmler Professionalität Was ist Professionalität? Auf den ersten Blick durchaus etwas Positives. Etwas, das sich absetzt vom amateurhaften, dilettantischen Agieren. Professionalität kommt nicht aus dem Bauch, sie scheint es eher mit dem Kopf zu haben. Kühle Sachlichkeit, überlegene Rationalität, gekonntes Handwerk – das alles gut gemischt, mit einem Schuß Erfolg garniert, und schon haben wir sie: die Professionalität, und: den Profi. Profis stehen im allgemeinen hoch im Kurs, sowohl bei den Fans wie auch bei der Bezahlung. Von Profis erwartet man, daß sie ihr Bestes geben für den, der sie angestellt hat. Sie brauchen sich nicht zu identifizieren mit ihrem Verein, ihrem Arbeitgeber, nein, sie sollen 90 Minuten – Profis in anderen Branchen länger – alles geben, danach zählt wieder der nächste Einsatz. Solche Professionalität ist in unserer Gesellschaft hoch anerkannt. Sie bezeichnet ein Verhalten, welches gesellschaftlich erwünscht und gefördert wird. Derjenige, der sich professionell verhält, sammelt die Lorbeeren, welche als Erfolg wiederum auf jede professionelle Einstellung zurückstrahlt. Professionalität ist die Tugend der Leistungsgesellschaft, ist das in den marktwirtschaftlichen (früher auch: kapitalistischen) Alltag beförderte Prinzip bürgerlicher Rationalität. Der Profi trägt die Ware Arbeitskraft so zu Markte, wie der es sich vorstellt. Professionalität hat einen guten Klang für eine Mentalität, die außer dem Tauschwert keinen anderen mehr kennt. Wer braucht Professionalität? Wer braucht eine Ein-Stellung, ein Verhalten, eine Mentalität, die nicht durch gemeinsame Sache vermittelt ist? Wir kennen zum Beispiel den Profi-Killer, der seine Sache versteht, von dem Hintergrund, um den es bei seinem Mord geht, jedoch nichts zu wissen braucht, ja, nichts wissen sollte. Professionalität, die bei ihm gesucht wird, ist abgekoppelt von ihrem Zweck. Sie ist ein gegen ihr Ziel blindes Mittel. Der Profi verübt sein Handwerk ohne innere Beteiligung, ohne Liebe, ohne Haß, nach Maßstäben einer bloß formalen Logik, einer instrumentellen Vernunft, sachlich, kühl, eben professionell. Das aber bringt die Tugend der Professionalität auch in die Kritik. Der Polit-Profi zum Beispiel ist derjenige, der ohne Bindung an den eingebildeten Souverän eine Legislaturperiode lang nur noch seiner Karriere verpflichtet ist. Das nehmen altmodisch denkende Menschen übel, obwohl er doch „nur“ Profi ist. Was also schlußfolgern wir: Professionalität berührt nicht eines der Ideale, welche sich die bürgerliche Gesellschaft (und auch die sozialistische) auf die Fahnen geschrieben hat. Schon gar nicht streift sie den Horizont von Humanität und Aufklärung. Eigentlich bezeichnet sie eine Killer-Mentalität, der nichts heilig, aber auch nichts profan ist. So besehen ist sie geradezu eine Errungenschaft der bürgerlichkapitalistischen Welt. Wahre Professionalität, welche immerhin vorstellbar wäre, hätte – wahlweise: wird haben – einen ganz anderen Namen. Baltasar Matzbach, Universaldilettant Wenn die noch ganz junge Darmstädter Galerie Edition C. Rau diese Tage Werke von Mariarno präsentiert, so verbirgt sich dahinter kein durch Tippfehler verunstalteter Name, sondern die beiden Künstler Marianne Müller und Arno Brandlhuber. Beide ursprünglich eher in der Profession des Architekten tätig, schufen nun gemeinsam auf den Lagerhallen-Charakter der Galerie reagierende Werke. Dieser Prozeß des Erprobens neuer Arbeitsbereiche und intensiver Selbsterfahrung wird im Gezeigten deutlich sichtbar und erscheint hier wichtiger als relative Qualitätsurteile. ben sich dabei interessante Nuancierungen und Variationen. Hervorzuheben die Serie „Souche d’arbre“ (Baumstumpf), neun Blätter zeigen das immer kleiner werdende Motiv der Jahresringe, abwechselnd in schwarz und in Farbkombinationen gedruckt, wobei in einem Blatt die Assoziation an Figürliches überwiegt, beim anderen denkt man eher an Fingerabdrücke, aber immer fasziniert der Gedanke eines rückwärts gerichteten, die einzelnen Wachstumsschichten des Baumstumpfes freilegenden Blicks des Künstlers. So zeigen die großen Bilder, entstanden aus stark vergrößerten Fotos, die umkopiert und mittels Frottage auf Leinwand übertragen wurden, nackte und schemenhafte Figuren, allein oder als Paar, stets voll emotionaler und psychischer Anspielungen. Quer durch den Raum hat man „Ausstellungsbesucher“ drapiert, teilweise behauene angekokelte, mit Nägeln gespickte alte Dachbalken, die Widerstände und Kräfte des vorgefundenen Materials sichtbar werden lassen. Zur Ausstellung erscheint auch eine zusammen mit zwei weiteren Künstlern, Thomas Hannibal und Vollrath Hopp, produzierte Mappe von neuen Radierungen. Warenwelten und semantische Strukturen Richtig professionell hingegen die Ausstellung der Frankfurter Künstlerin Karin Hoerler in der Eberstädter Galerie Axel Thieme, recht bekannt seit ihrer Förderkoje auf der Art de Cologne 1990 durch ihre spezifische Arbeitsweise. Ausgangsmaterial dieser Künstlerin sind bedruckte Folienpackungen aller Art, die sie ausschneidet und neu zusammenfügt zu klassischen Kollagen, Folienbildern oder plastikhaft raumgreifenden Leuchtkästen. Durch Wiederholung gleicher Motive, durch Kombinationen und andere Modifikationen findet sie regelrecht erzählerische Strukturen und einen neuen ästhetisierenden Blick auf sonst als belanglos mißachtetes Bildmaterial. Da freuen sich Mam, Dad und die Kids in „herrlich! herzhaft!“ über das leckere belegte Brot, da wird „Jäger Salat“ und „Hawaii Toast“ vor scheußlich buntem 70-er-Jahre-Blumenmuster mit anderen Symbolen kombiniert, und in „Solvar und Contractor“ gehen bei einer ganzen Prozession von bunten Doppelripp-Unterhosen und Damen-Unterhemdchen exzessive Häuslichkeit und verhaltene Erotik eine gewagte Liaison ein. Man schmunzelt gerne über diese vermeintlichen Erzählungen, aber das Lachen bleibt einem im Halse stecken angesichts der formalen Banalität der Warenwelt, die uns überall umgibt. Holzschnitte wie Fingerdrucke Faszination des technischen Mediums spricht aus den Holzschnitten von Peter Guth, die in der Galerie Netuschil zu sehen sind. Ungewöhnlich sind diese allein schon durch ihre Größe, die sie fast den Charakter von Gemälden annehmen läßt und den reinen Handabzug vom Holzstocks notwendig macht. So kann der Künstler auch auf die vorgefundenen Strukturen, die Maserungen und Risse der alten Holzstämme sensibel eingehen, sie mit figurativ angeregten Schnittmustern ergänzen und mehrere Platten übereinander drucken. Durch die Verwendung verschiedener Druckfarben erge- Und ein echter Heiner Die Kunsthalle schließlich besinnt sich auf Regionales in Reinkultur, wenn sie den Darmstädter Maler Heinrich Reinhard Kröh (1841-1941) präsentiert. Geboren als Sohn des großherzoglichen Galerie-Inspektors, erhielt er ersten Unterricht von dem Romantiker August Lucas, um später in München zu studieren. Daß er sich dort mit dem damals führenden Stil des Realismus auseinandersetzte, zeigen frühe Arbeiten wie eine „Schwälmer Stube“ von 1868, die auch die damals aktuelle Strömung der Hinwendung zu regionalen Inhalten verdeutlicht. Wieder in Darmstadt, wurde Kröh zum Nachfolger seines Vaters und führte auch die obligatorischen repräsentativen Porträts des Bürgertums aus. In weit stärkerem Maße wendete er sich jedoch der Landschaftsmalerei zu, wobei ihm die neueren Strömungen des Kunstgeschehens zunächst nicht fremd waren, wie etwa impressionistisch beeinflußte Lichtführung in „Stiftsgarten“ von 1902 beweist. Aber anstelle eines furioseren Spätwerkes finden sich dann immer gefälliger werdende Landschaften, Gegenden um Darmstadt und aus dem Odenwald, die bis ins rein Dekorative abfallen können. Der Maler hinterläßt so den Eindruck, sich auf ein geruhsames Altenteil zurückzuziehen, die Landschaften bleiben ohne jede Figurenstaffage und sparen die aktuelle (und ihm zu problembeladene?) Zeit aus, zu einem Zeitpunkt als die deutsche Kunst einen ungeahnten Entwicklungsschub erlebte. Konservativen Kräften dürfte ein solcher Zeitgenosse sehr angenehm gewesen sein und so lobte eine Zeitung zu seinem 100. Geburtstag die Standkraft des Künstlers, „den verführerischen Ausblühungen des Jugendstils“ nie verfallen gewesen zu sein, und befand, „das Echte, das Naturverbundene und das Gesunde war ihm immer nahe“ – bezeichnende Worte in einer Zeit der Diktatur! Zwar mag es angebracht sein, einen regional bekannten Maler gebührend aufzuarbeiten und zu präsentieren, doch die Ausstellung in der Kunsthalle erscheint erheblich überbewertend und beweist wenig Mut zu einem herausfordernden Ausstellungsprogramm. Gerne und etwas wehmütig denkt man da an vergangene Zeiten zurück, als am Steubenplatz etwa Emilio Wedova zu sehen war oder ein ehrgeiziges Projekt wie „Emotion und Methode“ gestartet wurde. Die Termine entnehmen Sie bitte dem Aus- 5 . Kalenderwoche - Seite 14 Feuilleton II JaJaJaJaJaJaJaJaJaJaJaJaJaJaJaJaJaJaJa JaJaJaJaJaJaJaJaJaJaJaJaJaJaJaJaJaJaJa JaJaJaJaJaJaJaJaJaJaJaJaJaJaJaJaJaJaJa JaJaJaJaJaJaJaJaJaJaJaJaJaJaJaJaJaJaJa JaJaJaJaJaJaJaJaJaJaJaJaJaJaJaJaJaJaJa JaJaJaJaJaJaJaJagarnichJaJaJaJaJaJaJa JaJaJaJaJaJaJaJaJaJaJaJaJaJaJaJaJaJaJa JaJaJaJaJaJaJaJaJaJaJaJaJaJaJaJaJaJaJa JaJaJaJaJaJaJaJaJaJaJaJaJaJaJaJaJaJaJa JaJaJaJaJaJaJaJaJaJaJaJaJaJaJaJaJaJaJa JaJaJaJaJaJaJaJaJaJaJaJaJaJaJaJaJaJaJa JaJaJaJaJaJaJaJaJaJaJaJaJaJaJaJaJaJaJa JaJaJaJaJaJaJJaJaJaJaJaJaJaJaJaJaJaJJa JaJaJaJaJaJaJaJaJaJaJaJaJaJaJaJaJaJa Ja Braver Konsens der Experten Nachlese des Gesprächs zur Mariani-Ausstellung auf der Mathildenhöhe Aber auf dieses Erstaunen folgte sogleich sein Modell, daß nur eine spannungsvolle und widersprüchliche Kulturszene wirklich lebe, ausschließende Bewertungen daher also unmöglich wären. Darmstadt hat mit der Mariani-Ausstellung einen guten Griff getan zumindest, was die breite Resonanz dieser Veranstaltung in der Öffentlichkeit angeht. Es ist lange her, daß eine Präsentation bildender Kunst ähnlich kontrovers in der Fachwelt beurteilt wurde. Es findet sich verhaltene Zustimmung oder ratloses Gestammel über den Neo-Neo-Klassizismus einerseits, offene Ablehnung oder die skeptische Charakterisierung als „Klimmzug einer Versöhnung von Klassik und Avantgarde“ (FAZ) andererseits. Doch das Publikum wird angezogen, man konnte selten ein schöneres, braves Bildungsbürgertum (oder das, was sich dafür hält) an einem Sonntagnachmittag beobachten als gerade in dieser Ausstellung. Auch unter Schwulen hat sich die Kunde von den klassisch posierenden Akten und den schönen Hermaphroditen längst herumgesprochen und daraus ein wahres Kult-Ereignis gemacht. Insgesamt genug Grund für die Mathildenhöhe, einmal eingehend über diesen ganzen Komplex zu kommunizieren und die beliebten Experten dazu einzuladen. Nicht ganz so einfach stellte sich das Problem Mariani für Matthias Bleil, Verfechter der radikalen (puristischen oder monochromen) Malerei, dar. In guter kunsthistorischer Manier bemängelte er den Ausstellungskatalog wegen einseitiger Darstellungen und falscher Definitionen, stellte (scheinbare?) Mißverständnisse klar und kam zu dem Schluß, Marianis Zitate von bekannten Motiven seien schließlich nicht besonders originell. Da Mariani den Klassizismus ausschließlich formal aufgreife, diese Stilrichtung aber primär von programmatischen Inhalten geprägt sei, seien falsche Deutungen seiner Malerei so leicht möglich. Also versammelte man sich am 16.1. vor reichlich neugierigen Gästen zu einer Gesprächsrunde unter Klaus Wolbert, dem Leiter des Instituts Mathildenhöhe programmatischem Titel „Abbruch der Moderne – Rekonstruktion des Kunstwerks“, welcher die Meinung zusammenfaßt, die Moderne sei als Epoche vorbei bzw. durch eine noch näher zu definierende neue Epoche ersetzt, und das durch die Moderne destruierte Kunstwerk ließe sich nun als elitäres und entsprechend erhabenes Artefakt wiederherstellen. Daß sich daran keine flammende Diskussion entzündete, sondern ein nettes Gerede der größtenteils sich hinter ihren akademisch abgesicherten Meinungen versteckenden Fachleute entwickelte, mag bezeichnend sein für den Stellenwert, den solch kulturelle Ereignisse heute bei uns innehaben. Oder es lag daran, daß Wolberts Einführung keinen echten Zündstoff lieferte, sondern nur Bekanntes zusammenfaßte. Oder die Schuldigen waren die nicht erschienenen Experten, wie der mitunter als neofaschistisch verschrieene Kölner Künstler Gerhard Merz oder die Star-Kritikerin Karin Thomas. Vom Problem, kein Problem mit Mariani zu haben, berichtete der an der Kasseler Uni lehrende Kunsthistoriker Georg Büssmann, noch ganz erstaunt über die netten und munteren Besucher, die er einmal in der Ausstellung beobachte hat. Allerdings fiel ihm die arge Ungewöhnlichkeit auf, daß Marianis Bilder sowohl ein richtiges Sujet erkennen ließen, als auch eine Schönheit im klassischen Sinn aufweisen – beides Qualitäten, die man bei der von ihm propagierten Kunst (während seiner Tätigkeit am Frankfurter Kunstverein) oft schmerzlich vermißte und ihn deshalb angriff. So viel akademische Selbstdarstellung mußte die gruppendynamische Manöverkritik von Annelie Pohlen, Leiterin des Bonner Kunstvereins, provozieren. Die SchwarzWeiß-Malerei der vorgetragenen Fragestellungen behagte ihr ebensowenig wie das Modell einer linear und geradlinig sich erstreckenden Geschichte der Moderne. Ob Mariani nun die Moderne beende oder sich an der Postmoderne bestätige, war daher für sie eine Frage ohne allzu große Bedeutung. Dschingis Khan zertrümmert den Fernseher Gombo, der Viehzüchter, wohnt mit seiner Frau Pagma, drei Kindern und Großmutter im Rundzelt mitten in der Steppe der chinesischen Mongolei. Sergeij, Mitarbeiter einer russischen Firma für Straßenbau, havariert mit seinem Lkw in der Nähe von Gombo und bekommt Hilfe von ihm. Der Lkw wird flottgemacht, und beide fahren in die Stadt – Sergeij zu Familie und Arbeitsplatz, Gombo, um Präservative zu kaufen, weil die Regierung den Mongolen nicht mehr als drei Kinder erlaubt. Für den Erwerb der Präservative erweist er sich als zu schüchtern, bringt aber einen Fernseher an sein Steppenplätzchen mit zurück. Eine unscheinbare Handlung, die dem Action-Horror-Video-Freak nur ein müdes Gähnen entlocken dürfte. Doch der russische Regisseur Nikita Michalkow hat mit Sensibilität und Humor viel daraus gemacht. Sein Film lebt von Gegensätzen. Da treffen zwei verschiedene Bewußtseinsformen, zwei Kulturen auf einander: der ruhige, leise, zurückhaltend beobachtende und introvertierte Mongole, der ständig bewegte, laute, impulsive und extravertierte Russe, der Mühe hat, die Mongolen zu verstehen, wie sie arbeiten, essen, leben. Ein guter Einfall: Gombo, der Einheimische, spricht synchronisiert, hier also Deutsch, während Sergeij, der Fremde, russisch (mit Untertiteln) und im übrigen nur gebrochen Deutsch spricht. Dadurch erhält die mongolische Seite ihre Überlegenheit. Steppenleben und Stadtleben stehen sich in Parallelmontage gegenüber oder mischen sich gar, wenn Gombo mit dem Pferd durch die Stadt reitet, zwischen Radfahrern und Autos, wenn er mit gekreuzten Beinen auf dem Asphalt sitzt wie auf Steppengras. Die sommerliche Steppe ist die heimliche Hauptdarstellerin dieses Films. Michalkow filmt sie wie eine Geliebte, ihren Körper, ihre Seele. In monumentalen Einstellungen mit „Urga“, der neue Film des russischen Regisseurs Nikita Michalkow herrlichen Farbnuancen zeigt sie ihr stimmungsvolles Eigenleben. Der mongolischen Familie ist sie die Gute, die Geborgenheit Gebende. Mensch und Steppe bilden eine harmonische, manchmal auch mystische Einheit. Immer wieder münden Groß- und Nahaufnahmen des Menschen in die abschließende Totale der Landschaft, um diese Einheit sichtbar zu machen. Doch nichts bleibt, wie es ist. Das Neue bedroht das Alte. Wenn Gombos Tochter auf dem Akkordeon ein westliches Stück spielt, dann ist das vielleicht noch, wie der kontrastive Schnitt signalisieren mag, so selbstverständlich wie der Mond am Tageshimmel. Wenn aber Gombo aus der Stadt mit einem Fernsehgerät zurückkommt, kündigen sich größere Veränderungen an. Jetzt geht es um seine Identität, und Michalkow läßt den ermüdet im Gras Sitzenden einen Tagtraum träumen, in dem sein berühmter Vorfahre Dschingis Khan den Fernseher zertrümmert und Gombo verhört: Bist du ein Mongole? Zwar scheinen Gombo und seine Frau noch nicht sehr beeindruckt von den verschiedenen Fernsehprogrammen, zumal sie auf der Mattscheibe, wie sie feststellen, doch nur sich selber begegnen. Doch als die komplette Mongolenfamilie vor der Flimmerkiste sitzt und Präsident Bush zu Präsident Gorbatschow sagt: „Ich gratuliere Ihnen für die Veränderungen in Ihrem Land!“, und die Kamera einen Schwenk auf das über dem Fernseher angebrachte Poster zum US-Film „City Cobra“ macht (ein Geschenk von Gombos ewig betrunkenem Nachbarn), läßt das für die Zukunft nichts Gutes erahnen. Der wie angehängt wirkende und im Prinzip überflüssige Schluß des Films plakatiert Michalkows Bedenken noch einmal mit massiver Symbolik, kommentiert von einer Stimme aus dem Off, die Gombos viertem Sohn gehört. Wo einst, als er gezeugt wurde, im Steppenboden die Urga des Viehzüchters steckte, der lange Stock mit der lassoartigen Schlinge, mit dem Gombo auch seine Frau einzufangen pflegte und der als allgemein respektiertes Zeichen den Liebenden die Ungestörtheit sicherte, dort ragt jetzt ein dunkel qualmender Schlot, und das Gras, der grüne Mantel der Steppe, trägt schwarze Spuren der Zerstörung. Die Steppe selber, scheinbar ewig und unbesiegbar, ist von einer übergroßen Urga eingefangen worden, und das Läuten des Telefons verfolgt den Filmzuschauer bis in den Nachspann. Nikita Michalkow (Jahrgang 1945), hat, wie er sagt, genug von dem vielen Blut, das die Kinoleinwand überschwemmt. In „Schwarze Augen“ (1987), der Geschichte von einem liebestollen Italiener, bewies er bereits sein Gespür für das Zarte, Gefühlvolle, seine poetische Wahrnehmung, seine Warmherzigkeit. „Urga“, für den er bei den Filmfestspielen in Venedig 1991 den „Goldenen Löwen“ erhielt, trägt, bei aller Verschiedenheit des Sujets, die gleiche Handschrift Michalkows und ist eine Liebeserklärung an die Steppe und ihre Menschen, die nichts als positiv sein will und doch dem Pessimismus nicht entkommen kann. Artur Rümmler In der „Harmonie“, Frankfurt, und vom 30.1. bis 5.2. im „Broadway“, Darmstadt. An einem ideologischen Überbau versuchte sich dann Gernot Böhme, Philosoph an der TH Darmstadt – zumindest biß der sich gerne an spitzfindigen Überlegungen zu Anachronismus und Postmodernismus bei Mariani fast. Die Sache mit der Schönheit sah er ganz mit Rilke, der beim Anblick eines archaischen Torsos sein Leben ändern wollte – bei Mariani fand Böhme jedenfalls keine derart ungebrochene und ergreifende Schönheit. Da die Ästhetik des Klassizismus einerseits das ganze Leben des ausgehenden 18. Jahrhunderts in aufklärerischer Weise umfaßte und gleichzeitig ein Bildungsbürgertum als Rezipienten voraussetzte, konnte er Marianis Kunst leicht als positions- und folgenlos für unser Zeitalter charakterisieren. Den Schluß der ersten Runde machte Veit Loers vom Kasseler Museum Fridericianum, der auf zwei Seiten Marianis hinwies – einmal dessen figürliche Malerei, welche wohl der Großteil der Ausstellungsbesucher wahrnimmt und sodann den intellektuell und konzeptuell arbeitenden Künstler, über den sich sicherlich nur die Experten streiten. Bleibende Qualität sah er nur in Marianis frühen, von Sehnsucht und Melancholie erzählenden Bildern, während er dessen neuere Beschäftigung mit der Moderne eher skeptisch beäugte. Die sich daran anschließende Diskussion flaute bald ab – Moderne und Postmoderne, Kunst und Kitsch gaben nicht mehr lange guten Gesprächsstoff ab. Sehr zurückhaltend schließlich die Wortmeldungen aus dem Publikum. Deutlich wurde, wie verunsichert einige von der klassischen Moderne geprägten Betrachter auf die eklektischen Zitate bei Mariani reagierten, oder wie man dem vermeintlichen Rezept mißtraute, in einer verunsichernden Geistessituation auf bewährte Stilmittel, wie hier den Klassizismus, zurückzugreifen. Schließlich wurde Kritik an der künstlerischen „Arroganz“ laut, in einer globalen Krisenepoche sich auf Probleme wie nostalgische Schönheit zurückzuziehen. Leider löste sich die Runde zu diesem Zeitpunkt schon langsam auf, so daß man kaum noch auf diese angesprochenen Punkte einging. Schade, denn so blieb gerade ’mal das Gefühl eines beliebigen und braven Konsenses der Experten anstelle einer vielleicht heftigeren Annäherung an die Thematik zurück. Gerhard Kölsch Der Mongole Gombo bringt einen Fernseher mit nach Hause in sein Zelt Dem Ebbes fehlt nix Biedermeierlich, jawohl, das ist es. Umgeben vom leicht angemufften Rund der schwungvollen Sofa-Gebirge und dem unwiderstehlichen Charme von Hausmitterche Hildegard Lieder (bei Ebbes die Adelheit Hampelmann), die im bürgerlichen Dottergelb ihres Wolken-Tüll-Gebirges pumpt, wie ein Maikäfer: „Ich sage dir‘s, Hampelmann, das Logis ist mir unausstehlich!“ Ihr Heiner Hampelmann, der Dieter Matthes, paßt so ganz in die Roll‘, wenn er den Zylinder net uff dem Kopf hätt‘, müßt man ihn grad‘ dazu denke. Tief enttäuscht sin se, das Echo hat ihne Salz in de Supp gestreut: „Ei, wisse se, die Kritik das war e Gemeinheit“, meint Frau Hampelmann, un recht hat se. Geprobt hawwe se, die Hilde, der Dieter (am Anfang wußt‘ der gar net, wie er sich halte soll), die Sophie (Ute Weiss) und der Carl (Eberhard Schick). Wie die andern sind sie alle LaienschauspielerInnen in festem Vertrag mit dem Staatstheater und wollen „mit Leideschaft uff der Bühne stehe“. „Das Stück, des gibt net soviel her, davor hatte mer Angst“, aber unter feinfühlender Regie von Harald Schäfer „vergesse mers“. Die verzwickten Liebesverwicklungen von Malß um Heiratswünsche, das ist so ganz Wiener Metier eines Nestroy, (zu dem Film „Urga“, Foto: Concorde-Filmverleih) halt uf hessisch. Das Lesen is Strafarbeit: immer dieselben vielgeleierten Pointen, vom vermeintlichen Liebhaber im Schrank, dem großen Opernstar, den heiratsfähigen Töchtern und den balzenden reichen Jungmännern – bis zum happy end, golden gar noch, mit viel Geld. Hier könnte die Kritik zu Ende sein – gäbs nicht Regie und Spiel: Scherenschnitthaft huschen schwarze Gestalten hin und her und bauen – potz blitz – die ganze gut Stubb: „Intendanz! Los geht‘s!“ Was macht es, daß mit der größten Selbstverständlichkeit auf hessisch gesagt werden kann, was auf hochdeutsch Beleidigung wäre? „Mer sieht‘s dene Herrschafte an, daß se zu ahner Familie geheere, viel egale Nase“, babbelt Hampelmann und kommt so vertrottelt fettnäpfig daher, daß mers ihm glaabt, der typische Bürgersmann und Hesse, feist, alleweil freundlich, patriarchalisch un laut. Grad dem Hartmut Pfeil aus seim Karikaturnheft gehüpt. Was dem aane sei Charakter-Roll is der annern, der Sophie, ihr Lieb’: So ganz sanftigtes Medche, mit dem rechte Augeuffschlag un em Kußmäulche … Des glaabt mer der so recht, des brave, bescheidne Ding, so richtig zum abeiße, un immer uff de junge Borsche zum Heiern aus. Aan echt hessisch Zuckersticksche – ums mit Hampelmann zu sagen. Und der Glückliche? Wie es sich für den kinftige Schwiggersohn aus besserm Haus geheert, die gute Partie Carl spricht hochdeutsch un flaniert als um die Opernsängerin (Marga Krauthahn) erum, ganz und gar Chauvi – als ob er ganz der Carl ist, mit der Fröhlichkeit hat ers faustdick, mit der Lieb ein bischen flatterhaft. Damit das end auch happy wird, verliebt er sich in die Richtige, in Sophiche. Was so en Bohem alles erlewe tut, awwer es is gar kähn iwwler junger Mann, mer glaawt ihm sei Roll. Da kimmt afach jed Frauenzimmer in ihr biedermeierlich Lewe un is e tichtige Hausfraa, un die Mannsleit bei dene is es um des Deiwels ze wern. Leidenschaft und Begeisterung fürs Spiel, das ist die Hessische Spielgemeinschaft, da wirkt nichts hölzern, nichts gestelzt und das Publikum freut sich, klatscht brav Beifall, lacht herzlich und ist gespannt. Die Dramaturgie packt, sie spielt, feilt an Details, erzeugt Leben: Wie in Schlachtordnung steht die Familie Ganz zum Verlobungsessen, mer wollenen feierlich empfange – bloß daraus werd nix, der Bräutigam bleibt aus. Die Szene kocht über vor Peinlichkeit und Wackelmann (Heinz Thomas) greint, „Was? die Supp is aagebrennt?!“ Es ist ganz vermaleideit brenzelicht - das Orchenal bleibt sehr weit hinter der Kopie zerick. Schee is gewese! Wunnerschee! Sanne Borghia 5 . Kalenderwoche - Seite 15 Feuilleton III Hören Sie zu Jahre 1774 in Paris war Christoph Willibald Glucks Oper „Iphigenie in Aulis“ ein unerhörtes Novum, vollzog Gluck darin doch vehement die Abkehr von der barocken Operntradition. Die Bühne dient hier nicht mehr der Verherrlichung des Herrschertums, repräsentiert durch Götter oder göttergleiche Heroen, sondern einem Musik-Theater, das „natürliche“ Menschen mit ihren Empfindungen zeigt. Der schärfste Gluck-Kritiker seinerzeit, de la Harpe, regte sich damals über den „böhmischen Jongleur“ auf, der es gewagt hatte, das Ohr des Opernbesuchers mit den Schreien des Schmerzes zu belästigen. „Ich will durchaus nicht Schreie eines leidenden Menschen hören. Ich erwarte vom Musiker eine Kunst mit Akzenten des Schmerzes, die aber nicht unangenehm sein dürfen.“ Im Die damalige Wirkung von Glucks Musik – „bisher hat noch niemand die Saiten so kreischen, die Stimmen so brüllen lassen“ (de la Harpe) – ist heute nicht mehr nachvollziehbar. Für unsere Ohren heute klingt die Verzweiflung Agamemnons, der zwischen Herrscherpflicht und Vaterliebe hin und her gerissen wird, der Zorn der Klytämnestra, die nicht einsehen kann, warum ihre Tochter Iphigenie geopfert werden soll, die Auflehnung des Achill zur Rettung seiner Braut und die Klagen Iphigeniens über ihr Schicksal angenehm. Für jede Inszenierung ist dies ein Problem. Wie kann man die Verstrickung des Atridengeschlechts, die mit Tantalos begann, den Fluch der Götter über seine Nachkommen und die Forderung der Artemis, Iphigenie zu opfern, bevor sie die Winde gen Troja blasen läßt, kurz: die ganze Tragödie erzählen, wenn Ohnmacht und Verzweiflung der Menschen auf der Bühne so anrührend schön klingen? Barbara Beyer am Staatstheater Darmstadt hat versucht, die „natürlichen“ Menschen in Glucks Oper in Archetypen zurückzuverwandeln, um – so deutet ein vorangestellter Text von Heiner Müller an – ein geschichtspessimistisches Gleichnis zu liefern. Ein Gleichnis über Schuld und Bestrafung all derer, die an der Macht teilhaben, und die endlose Wiederholung der von Macht und Ohnmacht bestimmten Geschichte. Das geht immer dann schief, wenn die Stilisierung der Figuren nicht zu Glucks bewegter musikalischer Charakterisierung paßt. Also beinahe durchgängig. So muß Francesch Chico-Bonet den Agamemnon ohne Anzeichen von innerer und äußerer Bewegung singen, wo die innere Zerrissenheit doch hörbar ist. Elisabeth Hornung als Klytämnestra steht wie eine Statue in der Mitte der Bühne, wenn sie, halb wahnsinnig vor Zorn über das Todes-Urteil Agamemnons, den Fluch über alle Griechen schleudert. Mary Jane Shearer singt die Iphigenie anfangs kindlich unbefangen und verspielt. Später versteinert auch sie, als wäre sie nicht mehr von dieser Welt. Nur Jeffrey Dowd als Achill darf die Rebellion gegen das Schicksal nicht nur singen, sondern auch zeigen. Die Bühnenbildnerin Uta Winkelsen hat die Bühne als kalten, tempelartigen Raum gestaltet, dessen Seiten mit unverständlichen Wörtern beschrieben sind. Beim näherem Hinsehen entpuppen sich die Geheimwörter jedoch als fortlaufender Text zum Inhalt der Oper. Eine schöne Idee, um die Kultstätte zu entzaubern, vorausgesetzt, das Publikum bemerkt dies. Die Phantasiekostüme (ebenfalls von Uta Winkelsen) sollen vermutlich die Behauptung von der Überzeitlichkeit der Thematik stützen, indem sie Anspielungen auf verschiedene Jahrhunderte machen. Achill z.B. gleicht einer Mischung aus antikem Götterboten und Musketier, Klytämnestras elegantes schwarzes Kleid könnte aus der Belle Epoque stammen und Iphigenie sieht aus wie ein pausbäckiges Gretchen aus dem Hochmittelalter. Zu allem Überfluß hat die Regisseurin eine Reihe von Requisiten und Symbolen aus der christlichen Tradition verwurstelt. Iphigeniens Porträt gibt’s als Madonnenbild mit Kerze davor. Vor der Hinrichtung wird sie mit einem Weihrauchkessel eingesegnet, von den Ministranten (!) des Priesters Kalchas, der eine mitra-ähnliche Kopfbedeckung trägt. Agamemnon ist an eine Art Totempfahl gebunden, über dem das Opfermesser schwebt, mit dem seine Tochter hingeschlachtet werden soll. Das stilisierte Kreuz kehrt später wieder, wenn Iphigenie ihr Schicksal hinnimmt, das Messer schultert und sich auf den Kreuzweg macht. Konsequenterweise ist das Ende der Darmstädter „Iphigenie“ nicht das happy-end der Vorlage. Es gibt keine Befreiung und auch keine Hochzeit. Iphigenie, das Opfer, bleibt an der Opferstätte liegen, wie tot, und wird dann allmählich in kreisenden Bewegungen von der Bühne gespült. Obwohl Artemis (Regine Herrmann im modischen Mini) im letzten Augenblick auf die Opferung verzichtet, ist Iphigenie längst schon Opfer geworden. Ein starker Schluß für eine Inszenierung voller Ungereimtheiten. Den Buh-Rufen für die Regisseurin standen – zu Recht wie ich meine – Bravos für die Sänger(innen), den Chor, den Dirigenten Stephan Tetzlaff und Josef Beischer, der den Chor einstudiert hatte, gegenüber. Wer Glucks Musik, die gerade in diesem Werk Warum die Leute ins Theater gehen? Elfriede Müller ist Schauspielerin, Tänzerin, Dramatikerin und – nicht zuletzt – Wahl-Darmstädterin. Zwei Stücke von ihr haben am Samstag, dem 1. Februar Premiere auf der Werkstattbühne des Staatstheaters Darmstadt. „Damenbrise“ wurde 1989 in Berlin zum ersten Mal gespielt. Für „Herrengedeck“ ist es die Uraufführung. In beiden Stücken beschäftigt sich das Theater mit sich selbst. In „Damenbrise“ – eine TheaterKomödie von heute – unterhält sich ein erfolgreicher, gleichwohl von Berufsekel geplagter Regisseur mit einer schönen Frau, die er für die Autorin Elfriede Müller hält. Ort: Ein Gartenrestaurant. Zeit: Ein lauer Sommerabend. Heute. Regisseur: „Der moderne Mensch ist krank. Und das moderne Theater ist auch krank … Natürlich, im Grunde ist nur die Krankheit produktiv … Große Köpfe, kranke Körper …Wer soll denn dieses verkokste, versmokete, versoffene Zeug spielen?“ Frau: „Soll ich Ihnen sagen, warum die Leute ins Theater gehen, egal wie schlecht es ist? Weil sie sehen wollen, wie man Verzweiflung in eine große, starke Rolle verwandelt.“ In „Herrengedeck“ bleiben ein alter Schauspieler und eine alte Schauspielerin auf der Bühne, nachdem sie im „Hamlet“ aufgetre- …und schau’n Sie weg ten sind. Sie probieren eine Art „Endspiel“, halb professionell, halb privat. Sie spielen – oder versuchen es zumindest – sich selbst. Ohne Vorlage, nicht ohne Schwierigkeiten nach 50 Jahren Theater, nach 50 Jahren Kantine… Er: „Draußen geht die Welt unter, aber wir machen Avantgarde.“ Die beiden hinzukommenden jungen Schauspieler – er hat gerade den Prinzen von Dänemark gespielt, sie Hamlets Mutter – haben ihre eigenen Probleme. Gertrud: „Unkonzentriert warst du. Abgedreht. Du verblödest auf offener Szene.“ Claudius: „Danke. Vielen Dank.“ Gertrud: „Besoffen warst Du.“ Claudius: „Das gehört zur Rolle. Der reuige Claudius flieht in den Alkohol, bevor er von Hamlet gestellt wird. Bevor das Schicksal ihn einholt.“ Gertrud: „Du hast gestunken wie ein Schwein, von Anfang an. Sieben Sätze hast du mir geschnitten.“ Claudius: „Nimm dich nicht so wichtig.“ Gertrud: „Mich? Mich? Das Stück hat zufällig einen Autor, und der heißt nicht Johnnie Walker.“ Die beiden Stücke von Elfriede Müller wird ihr Ehemann Rolf Mautz inszenieren, der in Darmstadt bisher nur als Schauspieler bekannt ist. Er brachte bereits die Uraufführung der „Damenbrise“ in Berlin auf die Bühne. Hanne Kreutzer Veroperte Iphigenie: Schuld und Bestrafung der Mächtigen viel von Verdis musikalischer Dramaturgie und einiges von Wagners romantischer Klangfülle vorwegnimmt, genießen will, dem sei der Opernbesuch empfohlen. Er sollte jedoch besser die Augen schließen und nur hören, was geschieht. Denn selten wohl passen Musik und Darstellung so wenig zusammen wie in dieser Operninszenierung. Hanne Kreutzer Die Iphigenie spielt Mary Jane Shearer (Bild rechts).Francesch Chico-Bonet in der Rolle des Agamemnon und Frank Schneiders als Priester Kalchas (Bild links) (Fotos: G. Amos) Zukunftsvision: Die aufgebrauchten Wunder Shephard:„Fluch der verhungernden Klasse“ im Staatstheater „Was ist das nur für eine Familie“, fragt sich die junge Ella, die aussieht wie ein fesches Pfadfindermädel. Emma, in geblümtem Morgenmantel, die Plüschpantöffelchen an den Füßen, weicht den Fragen der Tochter nach der kaputten Tür und dem Auftauchen der Polizei mitten in der Nacht aus. Stattdessen warnt sie Ella, die gerade ihre erste Periode hat, vor verseuchten Binden in den Automaten auf Highway-Toiletten. (Mutter Emma macht überhaupt die feindlichen Bazillen und Mikroben für all das Unglück verantwortlich). Wesley, ihr Sohn, schildert den nächtlichen Vorfall, bei dem Vater – wieder einmal sturzbetrunken – nach Hause kam und die verschlossene Tür auf seine Weise überwältigte, als romantisch-abenteuerliches Erlebnis im Morgengrauen, als „die Motorhaube feucht von Tau“ war. Emma und Ella – Mutter und Tochter. Weston und Wesley – Vater und Sohn. Die Ähnlichkeit der Namen dürfte in Sam Sephards Stück „Fluch der verhungernden Klasse“ kein Zufall sein. Auch, wenn Ella ganz anders als die Mutter sein will – nicht typisch weiblich, sondern ein „ganzer Kerl“, der in Mexiko Autos repariert, so ist sie doch gleich bereit, Vaters Wäsche zu waschen, als Mutter nicht daheim ist. Auch, wenn Wesley ganz anders als Vater nicht die AvocadoFarm vernachlässigt und säuft und Schulden macht, – kaum ist Weston im Zimmer, verstummt der Sohn beinahe, verliert seine breitbeinige Bodenständigkeit und lauscht fast andächtig den „alles in Griff“-Sprüchen seines betrunkenen Vaters. Am Ende wird Wesley nicht nur die verdreckten Kleidungsstücke seines Vaters übernehmen. Wie Shepard in diesem Stück ganz unpsychologisch und ganz nebenbei das Psy- chogramm dieser Familie zeichnet, ist ein Meisterwerk. Auch die anderen Ebenen seines Dramas, wirken seltsam unabsichtlich und scheinen einen nachvollziehbaren dramaturgischen Handlungsablauf gar nicht zu haben. Das trotzdem schlüssige Produkt (oder ist es die Kraft dieser Inszenierung?) ist ein Stück über die Auflösung einer Familie im Südwesten Amerikas, über das Scheitern aller Familienmitglieder an sich selbst und an einer Umwelt, die sie überfordert. Teils realistisch, teils symbolisch, teils grotesk-komisch zeigt es gestörte Menschen, innen und außen. Die Inszenierung der erst neunundzwanzig Jahre alten Sigrid Andersson, die übrigens zwei Jahre in Los Angeles Theater gemacht hat, und das Bühnenbild von Florian Parbs lassen die Grenzen zwischen dem Innen und dem Außen der Figuren unkenntlich werden. Der Zuschauer sieht das heruntergekommene, spärlich möblierte Zimmer mit den schiefhängenden Jalousien innen und außen gleichzeitig. Innen steht der riesige Kühlschrank als Symbol amerikanischen Wohlstands. Außen, neben der Treppe, kündet ein Pferd aus Pappmacheé von Freiheit und Abenteuer. Dem Zimmer fehlen zwei Wände und die Tür (die der Vater eingetreten hat), so daß der Makler und die Gläubiger ohne Vorwarnung gleich in der Küche stehen. Es gibt keinen Schutz mehr vor der rauhen Wirklichkeit. Wie verhalten sich Shepards Figuren angesichts der Katastrophe, bei der es um nicht weniger als den Verlust von Heimat und Existenz geht? Völlig unverständlich und unangemessen. Niemand ist bereit oder in der Lage, der Gefahr ins Auge zu schauen. Jeder spinnt weiter an seinen Träumen, jeder bastelt wortreich monologisierend an seinem Selbstbild. Die vier stringent geführten Hauptdarsteller, die allesamt hervorragend spielen, zeigen es auf beeindruckende Weise. Ella (Monika Dortschy) interpretiert ihr Treffen mit dem gerissenen Makler (Klaus Ziemann), der ihr die Farm abschwatzen will, zu einem vergnüglichen Rendezvous um, zu dem sie sich besonders herausputzt. Emma (Alexandra von Schwerin) macht sich erst auf nach Mexiko, verwüstet dann mit dem Pferd eine Bar und beschließt später, eine kriminelle Karriere zu starten. Weston (Wolfgang Jaroschka), dem der skrupellose Makler für viel Geld wertloses Land in der Wüste angedreht hat, sucht nach seinem Gewehr, um den großen Rächer zu mimen. Wesley (Sven Walser als Gast), halb stoisch, halb aufbrausend, zimmert an einer neuen Eingangstür und pflegt ein krankes Schaf – als wäre alles in Ordnung. Und immer wieder nimmt der eine oder andere Zuflucht beim Kühlschrank, dem fünften Familienmitglied sozusagen. Ella klopft ihm auf die Schulter, als er wieder einmal leer ist. „Kopf hoch, wir sind noch lange nicht am Ende“. Den größten Durchblick hat – wen wundert’s – noch der stets betrunkene Weston, wenn er sagt: „Die Wunder sind alle aufgebraucht. Es gibt nur noch mich“. Seine spätere Nüchternheit, sein sogenannter „Neuanfang“ beschert ihm statt mehr Klarheit zunehmende Verwirrung. Es ist zu spät. Der Countdown läuft. Am Schluß weiß der Zuschauer, was mit Menschen passieren kann, die an die Wunder der Wohlstandsgesellschaft glauben und die verordneten Träume zu ihren eigenen machen, ohne den Preis zahlen zu können. Shepards tragikomische Figuren sind einsame Egozentriker, die sich gerne reden hören, aber nicht zuhören können. Sie sind gleichermaßen Produkte wie Erzeuger ihrer Situation und ihrer Umwelt. Geht man einmal davon aus, daß Amerika uns immer um einiges voraus ist, so wäre Shepards Stück für uns in Ost und West eine schrecklich realistische Zukunftsvision. Leon Frey Szenenbild aus dem Stück von Sam Shepard „Der Fluch der verhungernden Klasse“, u.a. mit Monika Dortschy als Ella, Wolfgang Jaroschka als Weston, Sven Walser als Wesley, und Klaus Ziemann als Makler. (Foto: G. Amos) 5 . Kalenderwoche - Seite 16 Kirchturmpolitik des Landkreises beim ÖPNV schadet Darmstadt „Der Landkreis Darmstadt-Dieburg darf den Beitritt des Regionalen Nahverkehrsverbandes Darmstadt-Dieburg (RNV) zur Gründungsgesellschaft des Rhein-MainVerkehrsverbundes (RMV) nicht länger blockieren“. Mit diesen Worten forderte der Vorsitzende der Darmstädter F.D.P.-Fraktion, Dr. Hermann Kleinstück, den Kreisausschuß des Landkreises auf, seine bisher ablehnende Haltung zum RMV-Beitritt zu revidieren. Ein separater Beitritt der Stadt Darmstadt sei bisher aufgrund der Vereinbarungen im Regionalen Nahverkehrsverband Darmstadt-Dieburg nicht möglich. „Sicher hat die Stadt das größere Interesse an einem RMV-Beitritt. Eine ‚Solidarität der Vernünftigen‘ sollte den Kreisausschuß allerdings zu der Einsicht bringen, daß gerade im Bereich des ÖPNV Kirchturmpolitik vollkommen unangebracht ist“, unterstrich Kleinstück das Anliegen der Freien Demokraten. Ohne einen Beitritt zum Rhein-Main-Verkehrsverbund wird es nach Ansicht der F.D.P.-Fraktion keine Attraktivitätssteigerung des ÖPNV für die Fahrgäste geben, die über Stadtgrenzen hinausfahren. Gerade im RheinMain-Gebiet‚ den Landkreis Darmstadt-Dieburg eingeschlossen, seien die Pendleranteile extrem hoch. Die Attraktivitätssteigerung für die Fahrgäste in einem Rhein-Main-Verkehrsverbund sei evident, da sie mit einem Fahrschein und abgestimmten Fahrplänen fahren könnten. „Beim RMV geht es nicht um die linienförmige Anbindung einiger Orte an die Metro- pole Frankfurt wie es derzeit noch beim zu kleinen FVV der Fall ist. Der RMV bietet die Chance, alle wesentlichen Pendlerströme in ein Gesamtkonzept einzubinden. Dies muß auch für den Kreis interessant sein“. Kleinstück forderte den Kreisausschuß des Landkreises auf, zumindest mit einem Teilgebiet, beispielsweise entlang der Main-NeckarBahn, Mitglied in der RMV-Gründungsgesellschaft zu werden. Der Kreis Bergstraße habe gezeigt, daß dies möglich sei. Sollte der Landkreis seine Haltung in der Beitrittsfrage nicht ändern, will die F.D.P.-Fraktion Darmstadt den Magistrat auffordern, die Voraussetzungen für einen separaten Beitritt der Stadt zur Vorbereitungsgesellschaft des RMV zu schaffen. „Die Vorteile des Verkehrsverbundes Rhein-Main sind für Darmstadt mit seinen hohen Pendlerzahlen in das übrige Rhein-Main-Gebiet von enormer Wichtigkeit. So wäre schon jetzt erfreulich, wenn die HEAG zu einer Vereinbarung mit dem FVV kommen könnte, die ein direktes Umsteigen vom FVV zum HEAG-Netz ermöglicht, ohne neue Fahrscheine zu lösen und einem anderen Taktverkehr ausgesetzt zu sein“, erläuterte der Fraktionsvorsitzende abschließend die Meinung seiner Fraktion. Objektivität ist das Stichwort heutzutage. Was immer das heißen mag, meist wird es im Gegensatz benutzt: Also im Vorwurf der Parteilichkeit. Von der ZD macht die Behauptung die Runde, dies sei ein Grünen-Blatt. Deshalb haben wir beschlossen, extra Seiten für Parteien-Stellungnahmen einzurichten. Künftig werden wir darauf die Parteien-Standpunkte, je nachdem wie viele eingehen und ob die Themen interessant sind, entweder alle abdrucken oder eine Auswahl. Allerdings ohne eine Partei zu bevorzugen. Seit der letzten Ausgabe der ZD im Dezember 1991 sind von der CDU und FDP je eine Pressemeldung, von der SPD keine und von den Grünen fünf eingegangen Krisenstab für mehr Sicherheit Kriminalität: Darmstadt an zehnter Stelle „Eine Offensive für mehr Sicherheit“ fordert der CDU-Fraktionsvorsitzende Dr. Rüdiger Moog. Angesichts der jüngsten erschreckenden Bilanz, wonach Darmstadt auch bei der Kriminalitätsrate eine Spitzenstellung einnimmt, müßten alle Kräfte gebündelt werden, um Abhilfe zu schaffen. Bei einer kürzlich vom Bundeskriminalamt veröffentlichten Untersuchung habe sich herausgestellt, daß Darmstadt nach der Zahl der begangenen Verbrechen unter 200 deutschen Großstädten an 10. Stelle stehe. In der Spitzengruppe der zehn am meisten kriminell belasteten Städte finde sich neben Darmstadt keine einzige vergleichbare Kommune, stellt die CDU fest. Vielmehr seien erwartungsgemäß neben den großen Metropolen Frankfurt/Offenbach und Hannover ausschließlich Hafenstädte betroffen. „Darmstadt ist in diesem Umfeld ein negativer Einzelfall, der nicht nur zur Sorge Anlaß gibt, sondern auch zum raschen Handeln zwingt,“ betont der CDUFraktionsvorsitzende. Die Bürgerinnen und Bürger in Darmstadt könnten diese Statistik durch eigene negative Erfahrungen bestätigen: 23 Einbrüche im Monat in einer einzigen Straße, Verdoppelung der Raubdelikte. Beschaffungskriminalität lasse das Stadtzentrum abends zu einem heißen Pflaster werden. „Es darf nicht sein, daß die Bürger sich mehr und mehr zurückziehen müssen, weil der öffentliche Raum nicht mehr sicher ist“, stellt Dr. Moog fest. Die CDU fordert in einem Antrag, daß eine Art Krisenstab für mehr Sicherheit gebildet wird, in dem Magistrat, Polizei, Gewerkschaft der Polizei und Landtagsabgeordnete gemeinsam ein Handlungskonzept für mehr Sicherheit entwickeln. Die CDU begründet ihre Forderung mit der Notwendigkeit, sowohl auf der kommunalen Ebene als auch über den Landesgesetzgeber die Wirksamkeit des Polizeieinsatzes zu erhöhen. „Dreh- und Angelpunkt ist der Schutzmann auf der Straße,“ faßt Dr. Moog zusammen. Die Präsenz der Polizei in der Öffentlichkeit wirke vorbeugend und abschreckend. Da aber Polizei nicht beliebig vermehrbar sei, schon deshalb, weil sich der Nachwuchs nicht gerade in diesen schweren und zu wenig anerkannten Beruf dränge, müßten alle Möglichkeiten ausgeschöpft werden, Beamte von Verwaltungs- und Hilfsarbeiten zu entlasten. Dazu gehörten Flughafenüberwachung ebenso wie die Aufnahme von Bagatellunfällen oder die Hilfstransporte von Gefangenen für die Justiz. „Zwei Beamte hat das erste Revier im Außendienst für die ganze Innenstadt von Merck bis nach Bessungen, da ist es kein Wunder, wenn man selten einem Polizisten auf der Straße begegnet,“ stellt Dr. Rüdiger Moog fest. Bei den Verkehrsunfällen habe die verstärkte Präsenz der Polizei positiv gewirkt, der gleich Erfolg müsse auch bei der Verbrechensbekämpfung und -verhütung erreicht werden. Pressestelle STADTVERORDNETENFRAKTION „Stadt mißbraucht das Asylrecht“ Anwalt Roeder protestiert gegen Behandlung von Kroaten „Wie die Stadt mit Flüchtlingen aus Kroatien umgeht, ist ein Rechtsverstoß“, urteilt Ulrich Roeder, Stadtverordneter der Grünen. Als Flüchtlinge würden sie ausländerrechtlich geduldet und hätten somit auch Anspruch auf Sozialhilfe. „Obwohl ihr Status durch die Duldung abgesichert ist, drängt die Stadt die Flüchtlinge dazu, Asyl zu beantragen“. Nach seiner Ansicht steht hinter dem Verhalten der Stadt die Absicht, die finanzielle Verantwortung für die Menschen, die durch Krieg aus ihrer Heimat vertrieben wurden, auf das Land abzuwälzen, da für Asylbewerber das Land Mittel zur Verfügung stellt, die Sozialhilfe aber von der Stadt bezahlt werden muß. Wohnungsvergabe durch den Arbeiterbauverein „Obwohl der Arbeiterbauverein die Vergabe von Sozialwohnungen seit dem Sommer angeblich über das städtische Amt für Wohnungswesen abwickelt, sind die Kriterien des Bauvereins für die Wohnungsvergabe nach wie vor undurchsichtig“, kritisiert Christine Wiemken, Stadtverordnete der Grünen. Die Stadt wolle an diesem Zustand offensichtlich auch gar nichts ändern. „Das ist politisch nicht länger tragbar, da dadurch und durch die oft unklare Kompetenzverteilung zwischen Wohnungs- und Sozialamt im Endeffekt die Anspruchsberechtigten leiden“. Diese müßten deshalb oft unnötig lange auf die Hilfe der Stadt warten, die ihnen zustehe. Christine Wiemken weist in diesem Zusammenhang auf ein Ehepaar mit 5 Kindern hin, die in einer städtischen 4-Zimmerwohnung an einer Hauptverkehrstraße wohnen. In der Familie gebe es neben der stark sehbehinderten Mutter drei Kinder mit erheblichen gesundheitlichen Beeinträchtigungen. Die Wohnung, die viel zu eng und überhaupt nicht behindertengerecht sei, da sie im vierten Stock liege und nur über eine Kohleheizung verfüge, sei für die Familie unzumutbar. Außerdem könne dort der Hund der Familie, der zur Zeit zum Führhund ausgebildet werde und auf den die Frau angewiesen sei, nicht artgerecht gehalten werden. Die städtischen Ämter seien nicht in der Lage, dieser Familie zu helfen, obwohl der Fall wirklich dringend sei und die Familie einen Anspruch auf Hilfe habe. „Das liegt mit Sicherheit daran, daß die Verantwortung zwischen den städtischen Ämtern hin und hergeschoben wird und die Stadt zuwenig Einfluß auf die Wohnungsvergabe durch den arbeiterbauverein hat.“ Sonst hätte zumindest ein Wohnungstausch schon längst vollzogen werden können. Es sei auch bezeichnend, daß die Verwaltung anstatt Beistand zu leisten, das Hauptaugenmerk ihrer Tätigkeit auf Formalitäten und Papierkram lege. „Das ist für mich der Ausdruck völliger Hilflosigkeit.“ Die Grünen fordern deshalb, das Belegungsrecht für Wohnungen des Arbeiterbauvereins auf die Stadt zu übertragen. Zusammen mit einer Wohnungssicherungsstelle, in der die Kompetenzen aller zuständigen Ämter gebündelt werden sollten, könne dann die Effektivität der Verwaltung verbessert werden. Die Stadt habe dies zwar immer wieder angekündigt, bisher sei aber nichts geschehen. „Inzwischen sind auch Familien mit Säuglingen bekannt, die seit einem Jahr in einem Hotelzimmer leben“, so Christine Wiemken weiter. …? „Nach neuer, höchstrichterlichen Rechtsprechung ist es aber Grundrechtsmißbrauch, wenn eine Stadt Flüchtlinge dazu auffordert, Asyl zu beantragen“, für die Handlungsweise der Darmstädter Sozialverwaltung gebe es keinerlei Veranlassung, da den meisten Flüchtlingen, die nach Darmstadt gekommen seien, von Verwandten geholfen werde. Sozialhilfe könne auch von geduldeten Flüchtlingen nur in Anspruch genommen werden, wenn bestimmte Kriterien erfüllt seien. „Das heißt, daß Sozialhilfe nur an diejenigen gezahlt wird, die keinerlei Unterstützung haben“. „Die Stadt erreicht mit ihrem Vorgehen nur, daß die Zahl der Asylbewerber künstlich nach oben getrieben wird.“ Das sei gerade in der momentanen Situation höchst bedenklich, da die Stadt bestimmten Politikern dadurch auch noch Munition für ihre Hetze gegen Asylsuchende liefere. Die Fraktion der Grünen fordert deshalb den Magistrat auf, dafür zu sorgen, daß diese rechtswidrige Handlungsweise in Zukunft unterlassen wird. Pressestelle Warum sollen die Leute auf den ÖPNV umsteigen? Öffentliche Fraktionssitzung in Kranichstein Die Anbindung des Stadtteils Kranichstein an den öffentlichen Personennahverkehr war das Thema der Fraktionssitzung am 21. Januar, zu der die Grünen interessierte BürgerInnen eingeladen hatten. Gesprächspartner der Grünen waren auch Horst Blechschmidt, der Direktor der Heag, und Karl-Heinz Bohne, der Leiter des Heag-Verkehrsbetriebes. „Wer ist schuld, daß es noch keine Straßenbahn nach Kranichstein gibt?“, lautete die rhetorische Frage, mit der der Heag-Direktor Blechschmidt die Diskussion eröffnet. Er konnte die Frage selber beantworten. Wer auch immer, auf jeden Fall nicht die Heag, denn „wir bauen am liebsten Straßenbahnen“. Aber dazu seien politische Entscheidungen nötig. „Die Stadt muß es wollen und finanzieren“, nahm Blechschmidt die Kommune in die Pflicht, da dieses Vorhaben die Verluste im Verkehrsbereich in Höhe von 30 Mio DM vergrößern würde, die durch Gewinne aus dem Energiesektor schon jetzt nicht ausgeglichen werden können. Die Vorschläge, die die Vertreter der Heag zur Förderung des ÖPNV in den Stadtteil auf der Fraktionssitzung vorstellen, versprechen aber keine schnelle Lösung, da sie zur Voraussetzung haben, daß die Nord-Ost-Umgehung nicht entlang der Odenwaldbahn gebaut wird. Denn die Pläne der Heag sehen eine Unterführung in einem Bereich vor, der auch für die sogenannte Bahntrasse der Umgehungsstraße genötigt wird. Entscheidungen über den Bau der Nord-Ost-Umgehung stehen zur Zeit aber nicht an. Karl-Heinz Bohne konnte aber zumindest die Bedenken von Anwohnern der Frankfurter Straße und der Bartningstraße entkräften, die der Straßenbahn ablehnend gegenüberstanden, da sie befürchten, daß mit der Bahn auch der Lärmpegel steige. „Die neuen Straßen- bahnen sind durch moderne Technik sehr leise, außerdem gibt es einen Schienenunterbau, der schalldämmend wirkt.“ Aus den Reihen der zahlreichen BesucherInnen wurde auch Kritik an den zurückhaltenden Erwartungen der Heag über die Auslastung der Straßenbahn geäußert. Denn nach Ansicht der Heag müßten beim Bau der Bahn auch die Randbedingungen stimmen. „Die ÖPNV-Fahrgastzahlen in Kranichstein sind zu gering, um momentan eine Straßenbahn zu rechtfertigen“, faßte Karl-Heinz-Bohne die Bedenken der Heag zusammen. „Diese Denkweise ist doch wirklich kleinmütig“, urteilt Michael Siebert, Stadtverordneter der Grünen. Die Linie 6 habe nach dem Beschleunigungsprogramm zur „Schnellen Sechs“ einen 50% Zuwachs der Fahrgastzahlen verzeichnen können. Auf Nachfrage mußte der Leiter des Verkehrsbetriebs auch bestätigen, daß die Heag damals auch nur einen Anstieg um 20% erwartet habe. Auf Verwunderung stieß bei den Anwesenden, daß die Heag als Investor bei den Bauvorhaben Heag-Hallen und Fina-Block auftritt, wo zwei Tiefgaragen mit insgesamt 650 Stellplätzen entstehen sollten, oder daß die Heag im Zentrum Eberstadts Bauherr einer Tiefgarage wird. Durch die Ausweisung neuer Parkflächen falle sich die Heag, die eigentlich dem ÖPNV verpflichtet sein müßte, doch selbst in den Rücken. „Warum sollen die Leute auf den ÖPNV umsteigen, wenn es immer mehr Parkplätze gibt?“, fragte Günter Mayer, der Fraktionsvorsitzende der Grünen. Die Fraktion der Grünen spricht sich deshalb dafür aus, die Straßenbahn nach Kranichstein möglichst schnell zu bauen. „Dazu muß aber die Heag ihre Ängstlichkeit in dieser Frage überwinden und der Magistrat seine Enscheidungsschwäche ablegen“, faßt Siebert zusamPressestelle men. Neujahrsempfang der GRÜNEN „Unser Wahlziel ist, mindestens die 19% Stimmen der letzten Kommunalwahl wieder zu erreichen und das Bewußtsein der Darmstädter Bürgerschaft für ökologische, soziale, basisdemokratische und gewaltfreie Politik weiter zu stärken“, erklärte Günter Mayer (Grüne) beim Neujahrsempfang zu der Kommunalwahl im Frühjahr 1993. Er wiederholte den Vorschlag, daß die Grünen für die erste Direktwahl des Oberbürgermeisters in Darmstadt einen unabhängigen Kandidaten oder eine unabhängige Kandidatin aufstellen sollten, der oder die über die grüne Wählerschaft hinaus große Zustimmung finde. Dazu schlägt der Fraktionsvorsitzende ein Modell vor, das die Nominierung zu einer Angelegenheit aller interessierten Bürger und Bürgerinnen machen und ihre direktdemokratischen Einflußmöglichkeiten erweitern würde. Wenn sich mehrere Personen als Bewerber der Grünen für das Amt des Oberbürgermeisters zur Verfügung stellen würden, könnten der OB-Kanditat oder die Kandidatin durch Vorwahlen ermittelt werden, auch wenn das Parteiengesetz formell die Nominierung durch eine grüne Mitgliederversammlung vorschreibe. An der offenen Form der Vorwahl könnten alle Wahlberechtigten teilnehmen. „Dieses Vorgehen würde sicherstellen, daß die Bürgerinnen und Bürger möglichst früh in politische Entscheidungsprozesse einbezogen werde“. Das sei vielleicht auch ein Mittel gegen die zunehmende Parteienverdrossenheit, da die Wahlberechtigten bislang nur die Möglichkeit hätten, für Politiker zu stimmen, die von irgendwelchen Parteigremien im voraus ausgewählt worden seien. „Wir brauchen eine ökologische Revolution!“ Mit dieser Forderung schloß Günter Mayer seine Neujahrsansprache. Die Lebensbedingungen auf der Erde würden von den Menschen in einem Maß zugrunde gerichtet, daß nur eine ökologische Revolution eine Katastrophe verhindern könne. Dazu gehörten Veränderungen im Lebensstil und die Ausrichtung jeglicher Politik an den Belangen der Ökologie. „Das Bewußtsein und das Handeln aller Institutionen und der einzelnen muß sich ändern, damit kommende Generationen noch auf dieser Erde leben können.“ Mayer forderte, die Umstellung auf Sonnenenergie durchzusetzen, damit in Zukunft auf fossile Brennstoffe verzichtet werden könne. Außerdem müsse endlich die Abhängigkeit der Menschen vom Auto ein Ende haben. Auch die Umstrukturierung der Weltwirtschaft, der Schuldenerlaß für die ärmeren Länder und die radikale Kürzung der Rüstungsausgaben seien dringend notwendig. Pressestelle