Waffenexporte ja - Ausgaben 1 bis 73

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Waffenexporte ja - Ausgaben 1 bis 73
satirisch
justizhörig
experimentell
wahrheitenliebend
frei-volksherrschaftlich
offen
bissig
kritisch
unabhängig
überparteilich
Freitag, 31.1.1992
5. Kalenderwoche, 3. Jahrgang
Nummer 26
Waffenexporte ja
aber nur mit Erlaubnis vom Bund
Überarbeitetes Außenwirtschaftsgesetz gültig: Schärfere Strafen
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ZD gewinnt 2. Prozeß
Das Jubiläum
Berufsverbote heute?
Sieger auf der Anklagebank
„Die Biolüge“
Hilfe für Jugoslawien
Gewaltfrei gegen Siemens
Wer hat Kennedy ermordet?
Die aufgebrauchten Wunder
Parteien Standpunkte
Nächste Ausgabe:
Freitag, 28.2.92
Der illegale Export von Waffen ist unter schärfere Strafen gestellt worden.
Um zu verhindern, daß von der Bundesregierung nicht gewollte Waffenlieferungen ins Ausland gehen, sieht die verabschiedete Änderung des Außenwirtschaftsgesetzes das Abhören von Telefonen und die Kontrolle der Post
verdächtiger Einzelpersonen und Firmen vor.
Z
uständig für solche Anordnungen ist
der Bundes-Finanzminister, da seine Behörde, das Zollkriminalinstitut,
für Eingriffe in das Fernmelde- und Postgeheimnis ermächtigt wird, wenn beispielsweise der Bundesnachrichtendienst
Verdächtigte gemeldet hat. Für diesen Eingriff in die Persönlichkeitsrechte sind
gleichzeitig das Grundgesetz, Artikel 10
und das Strafgesetzbuch geändert worden.
Letzteres war erforderlich, weil das neue
Außenwirtschaftsgesetz androht, daß „der
Wert des aus der Tat (Waffenlieferung)
erlangten“, also alle Gelder, nicht mehr wie
nach der alten Regelung nur der Gewinn,
Sehet,
das ist Darmstadt!
E
ine Sorte von Drehbuchautoren gibt
es im Zeitalter der Kulturindustrie,
vor der es der Sau des Teufels grausen müßte, suhlte sie sich vor der Mattscheibe in bundesdeutschen Wohnzimmern. Da flimmert in „schee buntischer
Farb“ eine noch „scheenere, buntischere“
Darmstädter Scheinwelt zu bester Sendezeit – Geist vierter Klasse im ersten Rang
(da sitzen Sie bei ARD und ZDF immer).
Das ist nichts Neues nach der US SoapOpera über den Adel des 20. Jahrhunderts,
die Ölmultis à la Dallas, nur ein verspäteter Abklatsch.
Es ist dies das berufene Genre der hochgefeierten Literaten Hinz, Kunz, Berger,
Schmidt, Müller, Strom, Weise oder so
ähnlich, die sich durch VIP-BMW’s, Saunen und Swimmingpools eine Individualität bewahrt haben, die dem Zeitgeist Rechnung trägt: Sie alle sind samt und sonders
Dichter, die sich ihre Ideale, ihren Humor,
ihren gesunden Glauben an Scholle und
Heimat, Justiz und Gerechtigkeit, gesunden
Menschenverstand und Verbrecher-Gesindel, an Gut und Böse und ähnliche Klamotten wilhelminischer Oberlehrerhaftigkeit
bewahrt haben.
Was immer die Unterbemittelten unter
ihnen davor bewahrt haben mag, den Konkurrenzdruck unter den Arbeitslosen zu erhöhen, überlassen wir unseren Kritikerpäpsten. Die Intelligenteren unter ihnen jedoch,
des Blamablen ihres Tuns bewußt, scheinen sich selbst und ihre Schreibe nur deshalb nicht aufzugeben, weil: sie tun’s für’s
liebe Geld. Was uns die Fernsehmacher da
am abendlichen Bildschirm anbiedern,
scheint eine beständig große Schar an Lieb-
haberInnen zu finden – ist doch dem Herrn
Honold von der honorigen Tagespresse das
Ganze wegen irgendwelcher Mützenbebänderung eine ernste Glosse wert und dem
Blatte selbst gar ein Aufmacher und ungezählte Artikel(chen): Sehet, das ist Darmstadt! (Welches?)
Diesem Bedürfnis lokalpatriotischer
Schmieren-Premieren folgt das Echo lauthals auf der Spur, und die Z(entrale) für die
D(ummhaltung) des F(ernsehvolks) bereitet den Acker, auf dem die Literaten und
ihre KritikerInnen schollen.
Greifen wir dennoch kurz in die Klamotte Drombusch: Da gab es gar einen empörenden, aufwühlenden Streit mit evangelischen Kirchenmännern. Letztere legten öffentliche Beschwerde dagegen ein, daß in
Strombergers heiler Welt die Kirche angemacht wird (dachte der Autor gar den Zeitgeist erspäht zu haben?): Ein Vikar weist
einen Soldaten in Uniform aus der Kirche
und begründet dieses mit „solch unglaublicher Unterstellung“, Soldaten seien „potentielle Mörder“. Die Kirchenmänner fühlen sich „auf die Seite der Chaoten gestellt“.
Und ein frommer Leser skandiert: „Auch
ein Mensch in Uniform kann Christ sein“
(die Kirche stand schon immer segnend den
Waffenbrüdern hilfreich bei Seiten).
Was aber meint Stromberger dazu? Unsere Film-Mitgestalter und Presse-Macher
vom Darmstädter Echo konnten 10 Tage
später erleichert melden, „Stromberger hat
leider recht“: Das große Leid bestand darin, daß die Wirklichkeit dieser angeblichen
Szene in der Stadtkirche stattgefunden haben soll; zum Hören-Sagen-Gewährsmann
wurde der verstorbene Leiter des ersten Po-
verloren sein sollen. Danach wird das in ein
verbotenes Geschäft investierte Geld für
den kriminellen Waffenhändler mitsamt
Gewinn einziehbar. Diese Androhung wird
wohl eher abschreckend sein, als die noch
immer eher milden Haftbestimmungen, die
Freiheitsstrafen von drei Monaten bis zu
fünf Jahren vorsehen, ersatzweise wie
zumeist Geldstrafen. Eine Ausnahme bildet der Verstoß gegen Sanktionen, die vom
Sicherheitsrat der UN beschlossen worden
sind: In diesem Fall können bis zu 15 Jahre verhängt werden.
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Fortsetzung Seite 2
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Antiamerikanische Mahnwachen?
Es ist ein derzeit beliebtes Argument herrschender Politiker, in der
Öffentlichkeit den moralisierenden
Zeigefinger hochzurecken, daß für
(gemeint wohl gegen) den Bürgerkrieg in Jugoslawien keine Demonstrationen und keine Mahnwachen
der Friedensbewegung für lautstarken Protest sorgen. Deshalb, so
argwöhnen die Herren, müsse es
sich bei den Aktivitäten gegen den
Golfkrieg um Antiamerikanismus
und nicht um Friedensliebe gehandelt haben. Die Herren, die solches
kritisieren, – das sei vorausgeschickt – haben selber nicht demonstriert und selber auch keine
Mahnwachen bzw. kalte Nächte auf
der Straße zugebracht und würden
dies auch nicht tun.
Was für ein Interesse verfolgen
Politiker, die solche Kritik äußern?
Es scheint großer Ärger darüber zu
bestehen, daß sich die Friedensbewegung während des Golfkrieges
gegen die „amerikanischen Freunde“ gewendet hat und so dem „Anti-Amerikanismus“ wieder einmal
Vorschub geleistet wurde, also der
Argwohn, daß die Friedensbewegung doch wieder nur die Linke sei,
nur unter anderem Vorwand, unter
anderem Namen. Dies paßte der
Bundes-Politik schon zu Golfkriegszeiten nicht ins Geschäft, bloß vor
einem Jahr war der öffentliche Protest wohl zu stark, als daß solche
Töne ohne Stimmverluste hätten
geäußert werden können. Wie,
wenn gar eine neue politische Partei aus der Strömung erwachsen
wäre, die WählerInnen abgezogen
hätte?
Heute, nachdem die massiven öffentlichen Proteste Vergangenheit
sind, läßt sich im Nachhinein die
Wirklichkeit wieder biegen und drehen, bis sie in das politische Konzept paßt. Wer will heute noch Kritik an den Waffenlieferanten üben,
zu denen auch die Bundesregierung selbst zählte, hat sich doch die
Justiz der Geschäftemacher ange-
Drombuschiges von Michael Schreiber
lizeireviers, Wolfgang Berst, posthum erwählt. (Unsere LeserInnen seien aufgefordert, diese Wirklichkeit zu bestätigen).
Während das Echo noch sinnierend befand,
gefilmte Wirklichkeit sei Wahrheit, keine
Fiktion, nahm die evangelische Kirche alles sofort für bare Münze und drohte ihrem
allzu christlichen Vikar späte Strafe an, und
unser Drehbuchautor bemühte sich schleunigst, das Bild der kirchlichen Moral anzupassen.
Wer sich vor der Glotze über diese Szene gewundert hatte (ist das ein Ausrutscher?) und schon gar sein StrombergerBild ins Wanken geraten sah, wurde eines
Besseren belehrt: Dies sei „kein Einzelfall“,
wollte er wissen, „sondern bezeichnend für
die von ihm wenig geachteten Pfarrer im
Umfeld der Startbahnbewegung“. Sollte also dieser soldateska-feindliche Vikar sozusagen neben aller sonstigen dichterischen
Freiheit die einzige wirkliche Figur gewesen sein, ein kritisch chronistischer Zug?
Stromberger also kein Fahnenschwenker
im Wind öffentlicher Moral? War also dies
das große Leid, welches unsere Zeitungschronisten beklagten?
Aber die heile Welt haben
wir wieder, kam der Streit
doch zu einem zweiten happyend (nach dem des Films) und
wurde zu einem Streit um des
Kaisers Bart, denn Kirchenmänner und Drehbuchautor
fanden zu gemeinsam verfochtener Moral zurück – nur schade für beide, daß dieser Konsens nicht auch den Chinesen
zur Wirklichkeit wird (auch dort flimmert
Drombusch), die jetzt ein falsches Darmstadt-Bild und ein solches von friedfertigen
ChristInnen haben.
Vor diesem Film- und Schreiber-Genre
sei den LeserInnen der sichere Port des
Ignorantentums empfohlen. Wir alle haben
nicht die Fähigkeiten zu Drehbuchautoren,
und so nützen wir denn auch die Gelegenheit, via „Power off“, dem Kasten den Saft
abzudrehen – im Bewußtsein, viel versäumt
zu haben. Wenn wir einmal das Zeitliche
gesegnet haben, werden unendliche Meter
Film zurückbleiben, die doch nicht bleiben
werden. Unser Trost: Unser Fleisch überdauern sie nicht und niemand ist gezwungen, an ihrem Begräbnis teilzunehmen. Des
Teufels sind wir laut Kirche ohnehin, wenn
wir weder mit noch ohne Soldaten den Ort
kirchlicher Kriegsfertigkeit meiden, allerdings würde ich nur meine Sau…
Womit nichts über Stromberger als Regisseur und als Datterich im Datterich gesagt sein soll, da steht ein Schuster bei seinem Leisten.
Sanne Borgia
nommen und so scheints – alles
geht seinen gerechten Gang. Dergestalt moralisch-öffentlicher Belastungen entledigt, können Politiker
in der Öffentlichkeit wieder schärfere Töne anschlagen.
Da kommt bei oberflächlicher Betrachtung das Argument, bei einem
jugoslawischen Krieg, quasi vor der
eigenen Tür, demonstriere niemand, gerade recht – um zu zeigen:
Das mit dem Protest gegen den
Golfkrieg war nur reiner Anti-Amerikanismus einer insgesamt linksgerichteten Friedensbewegung. Dabei
handelt es sich auch hier wieder um
eine zensierte Wirklichkeit der Presseagenturen, die beispielsweise eine Friedenskarawane nach Jugoslawien auf dem Papier und dem
Fernseher nicht geschehen und
ebenso andere Aktivitäten ausfallen
ließen (siehe auch „Briefe an die
Redaktion“).
Die Argumente sind auch aus anderen Gründen oberflächlich, denn
es gibt erhebliche Unterschiede: Im
Golfkrieg machte die ungeheure
Übermacht der amerikanischen
Kriegsmaschinerie, noch dazu unterstützt durch Kapital vor allem aus
der Bundesrepublik (13,5 Milliarden), das sinnlose Abschlachten zur
direkten Angelegenheit für Bundesbürger, darunter auch die oben erwähnten Waffenlieferungen. Die direkte Beteiligung unserer gewissenlosen Geschäftemacher an diesem
Krieg und die Haltung von Politik
und Justiz, die solches zuließen, bildeten mit den Hintergrund für die
massiven öffentlichen Proteste.
Wissenslücken auch hier im jugoslawischen Bürgerkrieg: Noch
wissen wir nicht, welche Firmen
dieses Mal involviert sind. Ohne
ständigen Nachschub an Waffen
und Munition wäre dieser Krieg
längst vorbei.
Des weiteren bestehen eklatante
Wissens-Lücken über die Geschichte des Vielvölkerstaates: Sollten die
DemonstrantInnen für Serben oder
für Kroaten auf die Straße gehen,
für Nationalismus? Gar für Rassismus?
Also bleibt doch nur das Demonstrieren gegen den Krieg als solchen. Dagegen ist nichts einzuwenden, im Gegenteil. Aber, wo soll da
ein Anfang und wo ein Ende gesetzt
werden? Demonstrieren das ganze
Jahr über? (Die halten uns doch eh
für BerufsdemonstrantInnen, die
Setzerin) Kriege und Bürgerkriege
gibt es unaufhörlich überall, außer
derzeit in Jugoslawien auch in Somalia, in Aserbeidschan, in Armenien, in Georgien – um nur aktuelle Waffengänge zu nennen.
Das einzige Argument, das für die
Forderung nach Mahnwachen für
Jugoslawien verbleibt, ist die Nähe,
das Europa, in dem der Krieg derzeit stattfindet, und das Interesse
der Politiker, ihren amerikanischen
Freunden vorzeigen zu können, unsere BürgerInnen sind nur friedensbewegt und wir weiterhin treue Verbündete. Frankfurt Rhein-Main wird
auch im nächsten Krieg, den die
Vereinigten Staaten führen, Nachschubbasis sein, die EUCOM in
Stuttgart auch wieder Computerschaltzentrale und die deutsche Industrie Mitverdiener am Waffenhandel.
Apropos Golfkrieg: Gebracht hat
das Abschlachten der Irakis nichts.
Saddam betreibt weiter Völkermord
an den Kurden und forciert seine
Atom-Bewaffnung – noch immer
mit Unterstützung der Geschäftemacher im Westen, sie sollen nur
vorsichtiger geworden sein.
Michael Grimm
5. Kalenderwoche - Seite 2
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Fortsetzung von Seite 1
Waffenexporte ja…
Strafbar macht sich der Geschäftsmann,
der Waffen, Unterlagen zur Fertigung von
Waffen oder technische Daten und Verfahren exportiert, soweit diese in den Ausfuhrlisten erfaßt sind. Nicht erwähnt werden die Vergabe von Lizenzen, das Veräußern von Patenten und der sogenannte
Technologie-Transfer, die unter dem
Begriff des Forschungs- und WissensExportes zusammengefaßt werden könnten. Dies soll heutzutage das Gebiet sein,
auf dem das meiste Geld im Zusammenhang mit Waffenexporten verdient wird.
Die Kommentare zu dem Gesetz erwähnen
diesen Part des Außenwirtschaftsgesetzes
nicht.
duktion, wenn diese Regelung den Export
nicht vereinfacht hätte. Waffenexport ist
selbstverständlich, aber nur unter Zustimmung der Bundesregierung, genauer des
Außenministeriums, dessen Votum Voraussetzung für die Genehmigung der
Geschäfte mit dem Tod ist.
Unter die neuen Strafvorschriften fallen
chemische und biologische Anlagen, die
für Waffenproduktion geeignet sind, aber
auch fertige Kampfstoffe. Um das Problem
des „dual use“, das heißt friedlicher und
gleichzeitig waffentechnologischer Nutzung zu lösen, sollen extra Listen der
Bezeichnung „C“ (chemisch-biologische
Waffenliste) weitergeführt werden.
Selbstverständlicher
Waffenhandel
Strohmänner und Banden
Die Strafen werden verhängt, wenn „die
äußere Sicherheit der Bundesrepublik, das
friedliche Zusammenleben der Völker, die
auswärtigen Beziehungen der BRD erheblich gefährdet werden“. Auch in diesen
Definitionen wird klar, daß Waffenhandel
weiterhin selbstverständlich ist und keinesfalls unterbunden werden soll. Da beispielsweise der Golf-Krieg dem „friedlichen Zusammenleben der Völker“ dienen
sollte, laut offizieller Definition, die Sicherheit der BRD nicht gefährdet war und auch
nur bedingt die auswärtigen Beziehungen
(zum Giftgaseinsatz kam es nicht) auf dem
Spiel standen, wären viele Waffenexporteure frei ausgegangen.
Zuverlässige
Händler des Todes
Darüberhinaus kann die Bundesregierung die „Zuverlässigkeit von Exporteuren
von Kriegswaffen und rüstungsrelevanten
Gütern“ gemäß Bundesanzeiger Nr. 225
(5/12/90) prüfen und bekannt geben. Der
Exporteur, der in dieser Liste aufgeführt ist,
braucht keine gesonderte Genehmigung
nach dem Außenwirtschaftsgesetz zu beantragen, er kann ungehindert liefern. Heute
fielen beispielsweise in Jugoslawien längst
keine Schüsse mehr aus deutscher Pro-
Wie weitreichend die gesetzlichen Möglichkeiten der Verfolgung von Straftätern
oder Firmen sind, spiegelt sich nicht nur im
Aufheben des Telefon- und Postgeheimnisses, sondern auch darin, daß Exporte
über Strohmänner genau so wie die selbst
begangene Tat strafbar sind. Die Strafbehörden können sogar – ähnlich wie bei
der Terroristen-Verfolgung – die Bildung
von Banden annehmen und alle Beteiligten
entsprechend aburteilen.
Die Bundesregierung setzte diese Novelle am 23. Januar gegen die Stimmen der
SPD in wiederholtem Anlauf durch. Die
Sozialdemokraten lehnen das Gesetz aus
Datenschutzgründen ab, ohne daß jedoch
ein Alternativ-Entwurf vorgelegt worden
wäre. Die weitreichenden Eingriffe durch
Verletzung des Post- und Telefongeheimnisses stimmen in der Tat bedenklich, sind
allerdings zeitlich auf drei Monate befristet
und müssen einen aufwendigen KontrollApparat durchlaufen. Vor Abhören ist die
Staatsanwaltschaft zu unterrichten, auch
über laufende Vorgänge wie richterliche
Entscheidungen und die Zustimmung des
Bundesfinanzministers sowie über das
Ergebnis der Lauschaktion nach deren Einstellung. Weitere Sicherheit sieht die Bundesregierung durch Unterrichtung von fünf
Bundestagsabgeordneten. Und das ist eine
Novität: Der oder die Betroffenen sind nach
der Abhöraktion zu unterrichten und die
Unterlagen zu vernichten.
Eindämmung, mehr nicht
Impressum
Verleger und Herausgeber:
Michael Grimm
Unser Team :
Uta Schmitt
Sanne Borghia
Ute Feisel
Nicole Schneider
Petra Weigand
Michael Schreiber-Bimster
Telefon 0 6151/71 98 96
Telefax 0 6151/71 98 97
Anzeigen Tel. 0 61 51/71 98 96
Peter Horn, Heiner Schäfer
Gültige Anzeigenpreisliste: Nr. 3
Postanschrift:
Zeitung für Darmstadt
Postfach 10 43 23, 6100 Darmstadt
Bankverbindungen:
Volksbank Darmstadt
BLZ 508 900 00, Konto 14 111 301
Spendenkonto:
Postscheckamt Frankfurt
BLZ 500 100 60, Konto 56 29 29-601
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Caro Druck
Kasseler-Straße, 6000 Frankfurt 1
Durchschnittliche Auflage:
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Abonnement:
jährlich DM 60,00 incl. 7% MWSt.
Nachdruck und Vervielfältigungen sind
nur mit Genehmigung des Verlages
gestattet.
Personenbezogene Daten werden elektronisch gespeichert, ausschließlich
intern für die Verwaltung eingesetzt und
nach Ende des Zeitungsbezugs umgehend gelöscht.
Informanten bleiben gemäß gesetzlicher
Grundlage auf Wunsch anonym.
Text und Bild sind mit QuarkXPress
auf Apple Macintosh gesetzt und unter
Omnis 5 „Verlag“ verwaltet.
Soweit dieses Gesetz in der Wirklichkeit
eine konsequente Umsetzung erfahren würde, könnte es den Waffenhandel zumindest
eindämmen, mehr soll es wohl auch nicht,
denn sonst hätte der Text bezogen auf den
Straftatbestand so lauten müssen: „Wer
Waffen, Maschinen oder Teile, Lizenzen,
technisches Wissen oder Pläne, Forschungsvorhaben oder Ergebnisse, die der
Herstellung von Waffen dienen können,
außer Landes bringt, macht sich strafbar.“
Da die Regierung selbst Waffen in andere Länder liefern läßt – die Ausfuhr von
ehemaligem DDR-Rüstungsgut hat nicht
zum Sturz des Verteidigungsministers
geführt – wird sich an der heutigen Praxis
kaum etwas ändern. Dennoch, wenn das
Gesetz und die Gesetzeswirklichkeit einmal einander näher kommen, ist es ein kleines Stück auf dem richtigen Weg.
Der Verleger
ZD gewinnt
zweiten Presseprozeß
gegen die Stadt
Verwaltungsgericht: Informationen sind zu erteilen
Die Stadt Darmstadt muß die von der „Zeitung für Darmstadt“ begehrten Auskünfte
beantworten. Am 8.11.91 hatte der Herausgeber der „Zeitung für Darmstadt“ Antrag
auf einstweilige Anordnung beim Verwaltungsgericht Darmstadt eingereicht, um
Auskünfte zu folgenden Themen zu bekommen.
Das Energiespargutachten wollte die
Zeitung für die Berichterstattung einsehen
und Auskunft über sämtliche PCB- und
Dioxin-Messungen im Jahr1991 haben sowie einen Auszug aus dem Altlasten-Kataster. Sämtliche Anfragen der Vorzeit, die
o. a. Themenbereiche betreffend, hatte die
Stadt teils offen verweigert oder einfach
nicht beantwortet.
Das Energiespargutachten kam prompt
nach Antragstellung, ebenso wie ein Altlastenkataster (Aufstellung über sämtliche
Altdeponien und Verdachtsflächen), allerdings rettungslos veraltet, aus dem Jahr
1987 stammend. Kontrollanfragen der
„Zeitung für Darmstadt“ beim Regierungspräsidenten, der Hessischen Landesanstalt
für Umwelt und beim Hessischen Umweltministerium ergaben, daß die Auskunft der
Stadt unvollständig war und nicht dem neuesten Stand entsprach. Eine richtige Darstellung in der Öffentlichkeit war somit
nicht möglich. Da der Rechtsvertreter der
Stadt Darmstadt, neu befördert zum Leiter
des Rechtsamtes, Salber, begründete, daß
der Magistrat ein privates Institut am
15.1.92 mit dem Erstellen einer neuen Liste beauftragt habe, erklärte Verwaltungrichter Mogk, die Parteien sollten sich darauf einigen, daß der Informationsanspruch
der Zeitung umgehend eingelöst werde,
wenn diese Liste fertiggestellt sei.
Falsche Auskünfte
Die Auskunft des Umweltdezernenten
Heino Swyter (FDP), es seien 1991 keine
PCB-Messungen ausgeführt worden, bestritt der Herausgeber als Falschauskunft,
da angeblich am 3.1.91 und am 14.2.91
ebensolche Messungen durchgeführt worden sein sollen. Der Vertreter der Stadt
Darmstadt erklärte sich damit einverstanden, die Meßergebnisse der „Zeitung für
Darmstadt“ umgehend zustellen zu lassen.
Die Behauptung des Umweltderzernenten,
1991 seien keine Dioxinmessungen vorgenommen worden, war schon vom Presseamt der Stadt Darmstadt wiederum richtig
gestellt worden, als es die Ergebnisse der
Überprüfung von Sportplätzen wegen dioxinhaltigen Marsberger Kieselrots zugestellt hatte.
Somit hat das Gericht dem Begehren der
„Zeitung für Darmstadt“ vollständig stattgegeben, und der Herausgeber erklärte die
Hauptsache damit für erledigt.
Dies war das zweite Verwaltungsgerichtsverfahren in Presserechtsangelegenheiten, das die erwünschten Auskünfte auf
dem Prozesswege erbracht hat. Schon nach
der Entscheidung im ersten Verfahren zeigten sich erste positive Ansätze einer konti-
Im Zweifel gegen…
(An Stelle eines Gerichts-Berichts)
Wäre das Recht-Sprechen doch immer so
leicht, wie in dem Mord-Schau-Prozeß gegen den Metzger Weber: Einen Verbrecher
zu verurteilen, ist leichter als einen Ehrenmann! Ein Urteil nach dem ersten Verhandlungstag hätte Juristenmoral nicht zugelassen, in der geplanten Verhandlungszeit jedoch allemal: Weihnachten stand vor der
Tür und kein längeres Grübeln über die
Frage, war er es nun oder war er es nicht,
sollte die fette Weihnachtsgans verpfeffern.
So war denn kurzer Prozeß angesagt und
eingehalten – nicht von ungefähr versteckt
sich die Juristerei auch heutigen Tags hinter dem Latein: „In dubio pro reo“, ist hohes Ideal, verstünde es der Angeklagte, er
würde sein Recht laut einfordern: Im Zweifel für den Angeklagten. Nur, so blieb ihm
nichts anderes zu sagen als: „Ich bin nicht
schuldig“.
Justiz-Mord? Zweihänder und Henkerbeil
heißen heute Gitterwelt, welch Glück für
hetzende Zeitgenossen, die Richterwürden
tragen, bleibt ihnen doch purpurfarbene Gewissenspein erspart.
Der Anklage folgend „sine dubio“ (ohne
Zweifel): Heike Hennemann hat nicht etwa in des Angeklagten Automobil auf dem
Beifahrersitz Platz genommen, sondern ist
im Kofferraum eingestiegen, dort sexuell
mißbraucht worden und dann mit einem
Gummiseil erdrosselt und im Wald verscharrt worden – wäre der Fall nicht tragisch, läge der Gedanke an eine Justiz-Posse schwarzen Humors nahe. Den Beweis
für diese Tat-Rekonstruktion wollen die Juristen durch Fasergutachten erbringen (von
schwarzen Fasern eines weißen Pullovers),
die allerdings nicht auf dem Beifahrer-Sitz
des Wagens gefunden worden sind, nur im
Kofferraum.
Prozesse geführt von zeitbedrängten Juristen sind gefährliches Glatteis für Angeklagte. Gerade dann, wenn „mikrospurensicherndes”, gutachterliches Neuland betreten wird, noch dazu in einem Indizienpro-
nuierlichen und nicht mehr so streng zensierten Erteilung von Auskünften. Es bleibt
abzuwarten, ob dieses zweite Verfahren
künftig durch eine weitere Lockerung der
Zensur Erfolg tragen wird.
Obwohl der Vertreter des Rechtsamtes
mit einer Einstellung des Hauptsache-Verfahrens zunächst nicht einverstanden war,
mußte er sich doch dem Wunsch des Richters fügen: Im Hintergrund steht die Frage
der Kostenaufteilung des Verfahrens. Auch
im ersten Verfahren mußte die „Zeitung für
Darmstadt“ die Kosten anteilig übernehmen, obwohl sich das Anspruchsbegehren
als richtig herausgestellt hatte und die Stadt
die verweigerten Auskünfte zu erteilen hatte. Gleiches gilt auch für dieses Verfahren.
Einen Rechtschutz, die Kosten des Verfahrens anbelangend, gibt es trotz aller Gesetzesverstöße der Stadt Darmstadt wohl
nicht.
Keine Gegendarstellung
Während der Verhandlung beschuldigte der Vertreter des Rechtsamtes die „Zeitung für Darmstadt“ der Falschberichterstattung und begründete dies unter anderem damit, daß über das erste Verfahren berichtet worden war, die Zeitung habe es
gewonnen. Das behaupten wir auch in diesem Fall wieder, denn ohne die Hilfe des
Verwaltungsgerichtes wären die Informationen bis heute weiterhin vorenthalten
worden. Zu einer Gegendarstellung sah
sich der Rechtsvertreter entweder nicht in
der Lage, oder an dem Vorwurf ist in der
Tat nichts dran.
Eine Korrektur haben wir jedoch selbst
anzubringen, wir hatten angekündigt, die
Stadt Darmstadt zwangsvollstrecken zu lassen. Dies beruhte entweder auf einem Mißverständnis oder einer Falschauskunft
rechtlicher Art, denn eine Zwangsvollstreckung im juristischen Sinne ist nur
möglich, wenn Geldforderungen – nicht
aber das Einfordern von Informationen –
hinter einem Verfahren stehen. Leider hat
der Gesetzgeber diese Möglichkeit nicht
vorgesehen, auch nicht, daß die Gerichte
das Nicht-Einhalten der gesetzlichen Informationspflicht unter Strafandrohung stellen können. In der Praxis heißt das, wird die
Stadt auch weiterhin gewünschte Informationen vorenthalten (und das ist bis auf den
heutigen Tag der Fall), dann gibt es für die
„Zeitung für Darmstadt“ nur die Möglichkeit, ein Verwaltungsgerichtsverfahren
nach dem anderen in jedem Einzelfall anzustrengen. Dies wiederum ist abhängig davon, ob die Stadt künftig ihrer Informationspflicht und dem Grundsatz der Gleichbehandlung aller Publikationsorgane nachkommen wird. Lassen wir uns überraschen.
Der Vertreter der Stadt Darmstadt, Presseamtssachbearbeiter Volker Rinnert, bemüht sich heutzutage nach besten Kräften,
Anfragen schnell und präzise weiterzuleiten oder selbst zu beantworten – er ist heute noch die große Ausnahme. M. Grimm
zeß. Die von den Verteidigern beantragte
Genom-Analyse (vom Gericht verweigert)
hätte die Weihnachts-Gans versalzen und
Vor-Urteile zum Wanken, vielleicht gar zu
Fall bringen können – eben nur hätte – dies
Gutachten wurde tunlichst nicht zugelassen
– „in dubio contra reum“ (im Zweifel gegen den Angeklagten).
Und die öffentliche Meinung? Irgendwelcher Rücksicht darauf bedarf es in Darmstadt nicht: Die Vergangenheit des (Vor-)
Verurteilten war propädeutischer Leitfaden, und die Richter sich ihrer Hofberichterstatter gewiß, so ließen sie den Angeklagten für Vergangenes ein zweites Mal öffentlich büßen (durch Auflisten vergangener und verbüßter Straftaten), ehe sie das
dritte Mal ein Lebenslänglich zur Gerechtigkeit „im Namen des Volkes“ (?) erhoben: „Das ist keine Frage der Logik, sondern eine Frage der Überzeugung“, begründete der vorsitzende Richter das Urteil und
meinte, „junge Mädchen seien künftig vor
dem Angeklagten sicher“. In dubio pro reo?
Was sollte öffentlich verhandelt werden?
Gerechtigkeit? Überlassen wir große Worte großen Leuten: Der Schutz von Frauen
Neue Seiten
Ab Januar 92 erscheint die ZD aufgeräumter, das heißt, am Redaktionellen wird sich vorerst nichts ändern,
aber die Seiten mit den „Briefen an
die Redaktion“ versuchen wir übersichtlicher zu gestalten und durch
Überschriften und Fotos aufzuwerten.
Diese Seiten finden Sie künftig direkt
hinter dem redaktionellen Teil. Wer
Interesse an einer Aufwertung seiner
Zuschrift hat, kann deshalb künftig
auch Fotos beilegen. Apropos Foto:
Gleiches gilt auch für Kleinanzeigen,
wer etwas zu verkaufen hat, legt ein
Schwarz-Weiß-Foto bei und wir
drucken, Details zu den Foto-Anzeigen finden Sie auf den Anzeigenseiten.
Ganz sicher
keine Parteilichkeit
Eine weitere wichtige Veränderung
betrifft die Parteien und anderen Institutionen, die an einer Publikation
interessiert sind: Für diese Verlautbarungen werden gesonderte Seiten
unter der Überzeile „Parteien-Standpunkte“ gedruckt. Wir haben dies
beschlossen, weil uns der Vorwurf
gemacht worden ist, wir seien nicht
objektiv, da stünde zuviel von den
Grünen im Blatt. Durch die klare
Übersicht können sich unsere LeserInnen in Zukunft selbst ein Bild von
den Aktivitäten der Parteien machen
und wir entziehen uns dem Vorwurf
irgendeiner Parteilichkeit. Bislang
gehen von den Parteien nur wenig
Stellungnahmen bei uns ein, beispielsweise von FDP und SPD seit der
Ausgabe 25 keine einzige, hingegen
von den Grünen, ihren Aktivitäten
entsprechend so viele, daß wir nicht
alle drucken können.
Die „Zeitung für Darmstadt“ erhält
Unterstützung: am 25. Januar ist die
„Darmstädter Initiative zur Förderung
der Pressevielfalt“ gegründet worden.
LeserInnen haben sich darin zusammengeschlossen, um durch ihr Geld
mit zum Aufbau der ZD und künftig
auch anderer Zeitungs-Neugründungen beizutragen. Der zunehmenden Monopolisierung auf dem
Pressemarkt, so das Ziel der Initiative, soll durch das Engagement der
LeserInnen unterbunden werden. Wer
Mit-Herausgeber in der Initiative werden möchte, kann die Unterlagen
auch bei der ZD anfordern.
Der Herausgeber
und Kindern vor gestörter oder fehlentwickelter Männlichkeit, vor allem der
Schutz ihres Lebens steht als Ziel vorne
dran – nicht die Eitelkeit persönlichen Erfolgs irgendwelcher Ermittler und Juristen.
Wie peinlich, hätten die Strafverfolger eingestehen müssen, wir haben keinen „Täter“
mehr.
Die Frage steht nach wie vor offen: Bleibt
der Mörder Heike Hennemanns ständige
Bedrohung? „In dubio pro reo“ – Ist nicht
allein zum Schutze des Angeklagten erdacht – vielmehr zum Schutz künftiger Opfer. Wer Sicherheit sucht, glaube an das Urteil.
Ist Weber jetzt schuldig oder nicht? Im
Grunde ist diese Frage uninteressant, sie ist
auch nicht Gegenstand unserer Überlegungen, sondern der Schutz der Allgemeinheit
vor Gewalttätern. Wir jedenfalls haben weder geurteilt noch freigesprochen. Die Verteidiger haben Revision eingelegt.
Sanne Borghia
5. Kalenderwoche - Seite 3
Das
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Keine „gravierenden Fälle“
Ein Jahr folgenlose Zweckentfremdung in Darmstadt
Seit dem 21. Januar 1991 ist die Zweckentfremdungsverordnung für Wohnraum in
Kraft. Das Presseamt meldet, 100 Fälle liegen zur Bearbeitung vor, in 16 Fällen wurde keine Zweckentfremdung festgestellt
und sechs Fälle wurden genehmigt. Von
Fällen, in denen auf Grund einer städtischen Anordnung Wohnraum für ObdachSuchende wieder dem Markt zugeführt
worden wären, schreibt das Presseamt
nichts.
Die Liste der Grünen mit 49 möglichen
Fällen von Zweckentfremdung habe dazu
geführt, daß 45 angeschrieben worden seien. Die von der ZD weitergeleiteten leerstehenden Wohnungen werden vorsichtshalber nicht erwähnt, denn da müßte man
ja in einigen Fällen aktiv werden, und so erklärt der zuständige Dezernent Dr. Wolfgang Rösch (CDU): „Gravierende Fälle
von leerstehenden Wohnungen konnten
bislang nicht festgestellt werden“. Was der
Politiker für gravierend hält, ist uns nicht
einsichtig. Entweder eine Wohnung steht
leer oder sie ist vermietet. Das Haus Ecke
Alicen-/Frankfurterstraße beispielsweise
steht bekanntermaßen seit Jahren leer und
ist nicht nutzbar, perverser Weise läßt der
Eigentümer das Haus nachts beleuchten.
Ob Dr. Rösch das deshalb nicht für gravierend hält, weil der Eigentümer, Theodor
Vieth, zufällig sein CDU-Parteifreund ist?
Ebenfalls Parteifreund von Vieth ist Dr.
Wessely (Liegenschaftsdezernent), der gegenüber der ZD im Mai 1990 erklärte „die
Stadt ist an der Sache dran“. Wieviele Jahre noch? Übrigens in dem Haus Alicenstraße 2 wurden während der Räumung mehrfach Brandsätze gelegt, Ermittlungen verliefen im Sand. Als die ZD das erste Mal
über den Eigentümer berichtete, ging
prompt eine Morddrohung ein - Was wohl
dieses Mal kommt?
Auch leerstehend und langsam verfallend ist das Dachhaus in Trautheim. Das
unter Denkmalschutz stehende Haus gehört
dem Kneipen-Inhaber Dieter Tümmler
(„Chat Noir“ und „Octave“). Die Jugend-
stil-Perle wird gelegentlich von Obdachlosen als Unterkunft genutzt. Tümmler will
Haus und Grundstück zu unmöglich hohem
Preis veräußern (von einer halben Million
ist die Rede) und wartet darauf, daß ihm der
Gewinn durch steigende Immobilienpreise von allein zufließt.
Auch gegen stadteigene, leerstehende
Wohnungen unternehmen die Dezernenten
nichts – das ist keineswegs denjenigen
dienlich, die nach einer Wohnung suchen.
Dazu zählt unter anderem die Kaupstrasse
2.
Um gleich einer falschen Interpretation
vorzubeugen: Wir denken, daß es nicht an
der Verwaltung, an den SachbearbeiterInnen liegt, daß gegen EigentümerInnen leerstehender Wohnungen nichts unternommen
wird, es handelt sich wohl eher um eine
Entscheidung auf politischer Ebene, denn
immerhin könnten Eigentümer von Häusern und mit Ihnen die Lobby vergrault
werden und ihre Stimmen bei der Wahl
vorenthalten.
So kann denn das Presseamt auch nicht
melden, daß vor Jahresfrist vollmundig der
Öffentlichkeit als Strafandrohung präsentierte bis zu 20.000DM Bußgelder verhängt
worden sind. Solche Meldungen kommen
aus Frankfurt. FAZ vom 8.1.92: „Eine
Geldbuße in Höhe von 10.000 Mark muß
ein Hauseigentümer zahlen, weil er fünf
Wohnungen hat leerstehen lassen“.
Gleiches gilt für Spekulanten: Sie erfreuen sich besten Ansehens und können ihre
Geschäfte von der Politik unbehindert abwickeln. Wir hatten berichtet, daß der
Volksbankdirektor Otto in der Kaupstraße
37 eine Abgeschlossenheitsbescheinigung
erschwindelt hatte, dann das Haus in Wohnungen aufteilen ließ, um – damals hatte er
es noch dementiert – verkaufen zu können.
Pünktlich nach Ablauf der zweijährigen
Spekulationssteuerfrist veräußerte der Banker im November eine Wohnung für
195.000 DM und am 1.12. eine weitere für
305.000DM – die nächsten werden folgen.
Sogar in Bayerns Hauptstadt werden solche
Machenschaften heutzutage gelegentlich
gebremst, auch im benachbarten Frankfurt,
aber bitte doch nicht in Darmstadt. mg
„Bei den Schwerverletzten und Toten wurden aber noch nie eine
so günstige Entwicklung erzielt“. Unser Polizeipräsident Peter C.
Bernet „freut sich besonders, daß auch die Zahl der verunglückten Personen weniger wurden“. O-Ton zur Veröffentlichung der
Unfallstatistik 1991.
Fünf Todesopfer forderte der Verkehr in Darmstadt 1991, 11
weniger als im Vorjahr. Auch die Zahl der Schwerverletzen verringerte sich von 158 um 40 auf 117. red
Studentenwohnheime
Anläßlich des Richtfestes für das Studentenhaus in der Kasinostraße/Pallaswiesenstraße am 9. Januar in Darmstadt bekräftige
die Hessische Wissenschaftsministerin Evelies Mayer die Verpflichtung des Landes zur weiteren Förderung des studentischen
Wohnungsbaus. Im laufenden Haushaltsplan seien 17 Millionen
Mark vorgesehen und für die kommenden beiden Jahre nochmals
30 Millionen Mark. Allein in Darmstadt werden von der Landesregierung in den kommenden Jahren 600 Wohnheimplätze
bezuschußt. In das Studentenhaus im der Kasinostraße/Pallaswiesenstraße werden im Frühsommer 152 Studenten einziehen
können. In diesen Tagen ist mit dem Bau weiterer Studentenwohnungen in Darmstadt begonnen worden. In der Neckarstraße
baut der Bauverein für Arbeiterwohnungen für 146 Studenten ein
neues Domizil. Ein viergeschossiger Bau für 15,6 Millionen DM
soll es werden, beschreibt Bauvereinschef Heinz Reinhard. Die
Miete steht auch schon fest: 300 DM plus Heizung. Enthalten sind
20 DM für die Möblierung. Ende diesen Jahres sollen die Wohnungen fertig sein. Zusammen mit dem Wohnheim in der Poststraße werden damit in diesem Jahr 400 neue Wohnungen für
Darmstädter Studenten geschaffen. rw
ADFC-Kreisverband Darmstadt
Der Allgemeine Deutsche Fahrrad-Club (ADFC) hat auf einer
Mitgliederversammlung am 7.1.92 den Kreisverband Darmstadt
gegründet. Dieser ersetzt die Kreisgruppe Darmstadt-Dieburg und
die Ortsgruppe Darmstadt und betreut nun alle ADFC-Mitglieder in Darmstadt und im Landkreis Darmstadt-Dieburg.
Das Büro in der Rundeturmstr. 16 (Werkhof, 1.
Stock) in Darmstadt ist dienstags von 17.30 bis 18.30
Uhr geöffnet. Während dieser Zeit ist auch das Telefon unter der Rufnummer (0 61 51) 2 66 64 besetzt.
ADFC
Neuer BDA-Vorstand
Tierschutzbeauftragter
gibt auf
Vergebens hat der ehemalige Tierschutzbeauftragte Ilja Weiss darum
gekämpft, seine Arbeit fortsetzen zu können. Im Gegensatz zu dem ehemaligen
Datenschutzbeauftragten Spiro Simitis, der
auch Opfer der rot-grünen Koalition in
Wiesbaden geworden ist, hat Weiss keinen
absichernden Job vorbereitet. Derzeit
bewirbt sich der Tierschützer wieder als
Journalist.
Über die Hintergründe dürfen die beiden
weit über Hessen und die Bundesrepublik
hinaus bekannt gewordenen Fachleute
nichts an die Öffentlichkeit tragen. Beide
haben sich laut nicht benannter Quelle in
ihren Auflösungsverträgen dazu verpflichtet. Weiss ist ein Überbrückungsgeld
in Höhe von 90.000DM ausbezahlt worden, die Höhe der Summe für den ehemaligen Datenschutzbeauftragten ist nicht
bekannt geworden. Da beide unter Wallmanns CDU-Regierung Vorzeige-Politiker
waren, dürfte dies den Hintergrund bilden,
obwohl zumindest Weiss parteilos war,
aber das zählt offenbar nicht.
Auch ohne Weiss will Iris Blaul, grüne
Hessische Ministerium für Jugend, Familie und Gesundheit, für „spürbare Verbesserungen für Tiere durch eine entschlossene
und kompetente Tierschutzarbeit“ sorgen,
so die Pressemeldung nach Ablösung von
Weiss.
Ein neuer Hessischer Tierschutzbeirat in
ehrenamtlich beratender Funktion, bestehend aus VertreterInnen verschiedener
hessischer Tierschutzverbände und -initiativen, u.a. der Tierversuchsgegner, des
Bundes für Umwelt und Naturschutz, der
Tierärzteschaft, der Kirchen und der im
Landtag vertretenen Parteien, soll dies leisten.Vorsitzender wurde Herr Dr. med.
Werner Hartinger (Vereinigung der Ärzte
gegen Tierversuche).
Wie die Ministerin weiter mitteilte,
bereitet die Landesregierung derzeit eine
Bundesratsinitiative zur Novellierung des
Tierschutzgesetzes vor.
mg
„Günstig“
Anzeige
Die
Depesche
ist
eine
Kriegserklärung...
Da Prof. Hans Wächter nach 6 Jahren den Landesvorsitz des BDA Hessen (Bund Deutscher Architekten) übernommen hat, waren Neuwahlen für den
Vorstand der Gruppe Darmstadt/Starkenburg notwendig. Zum neuen Vorsitzenden wurde Hans-Henning Heinz gewählt, als Mitglieder des Vorstandes
Knut Gitter, Brigitte Holz, Ernst-Friedrich Krieger,
Udo Nieper, Jürgen Rittmannsperger und Ingolf
Schulze. Als Kommunikationsebene sieht der BDA
weiterhin seine Veranstaltungsreihe „Forum Stadtentwicklung“, die sich mit aktuellen planerischen Pressefreiheit und PresseProblemen und der Planungskultur in Darmstadt und vielfalt ist (Über-) Leben.
Umgebung auseinandersetzt. BDA
Keine hundert Jahre ist es
her, daß unsere Vorfahren
für die Preß-Freiheit ihr
Leben gelassen haben.
Die Besucherzahlen des Staatstheaters Darmstadt Keine fünfzig Jahre sind
haben sich im Verhältnis zum Vergleichszeitraum vergangen, daß wir sie
des Vorjahres zwischen 1. September und 15. nach vollkommenem VerDezember ’91 erfreulich entwickelt. Nach der neu- lust wieder erhalten haben
sten Statistik weist die Oper (ohne Operette) eine – und wieder scheinen wir
Platzausnutzung von 84,4% auf (Vergleichszahl sie zu verlieren, weil sie
1990 75,5%; ohne Gastspiele Wiesbaden). Das verkauft wird: An KrämerSchauspiel erzielte eine Verbesserung der Zahlen seelen, die um des Geldes
von 83,7% auf 87,2%.
willen ihre Meinung und
Informationspflicht dem
Meistbietenden anpassen.
Zahlen-Freude
Seit Jahren steht dasHaus Alicenstraße leer, ein typischer Fall von Zweckentfremdung.
Nach Meldung der Verwaltung gibt es diesen Fall und viele andere nicht. (Foto Schäfer)
Klassischer Fall von Zensur
Aufnahme in Landespresse-Konferenz verweigert
Ende November letzten Jahres beantragte unsere Korrespondentin Renate Wolter in Wiesbaden die Aufnahme in die Hessische Landespressekonferenz (LPK). Vorsitzender ist Rainer Dinges, der im Hörfunkstudio des Hessischen Rundfunks im
Landtag sitzt und gleichzeitig Berichterstatter des „Darmstädter Echo“ ist. Da Dinges zu diesem Zeitpunkt aber krank und
auch kein Stellvertreter ansprechbar war,
verwies man sie auf eine formlose schriftliche Bewerbung, die bei der nächsten Sitzung der LPK Mitte Dezember behandelt
werden würde. Ein schriftlicher Antrag
vom Herausgeber der ZD blieb ohne Antwort.
Mehrmalige telefonische Nachfragen
blieben erfolglos, da Rainer Dinges nicht
erreichbar war. Einen Tag vor der Sitzung
der LPK am 10.12.1991 kam dann schließlich doch ein Gespräch zustande, in dem
Dinges erklärte, daß er eigentlich eine ausführlichere Begründung des Antrages unserer Korrespondentin benötige, da er nicht
wisse, wer sie sei und für welche Zeitung
sie schreibe. Frau Wolter beschrieb ihre
Tätigkeit als freie Journalistin für ZDF und
ZD und die Zeitung für Darmstadt. Ohne
einer Entscheidung der LPK vorweggreifen zu wollen, meinte Dinges der Antrag sei
nicht erfolgversprechend. Nach der Sat-
zung der LPK könnten nur hauptberufliche
Journalisten, die bei einer politischen
Tageszeitung arbeiteten, zugelassen werden. Grundsätzlich würde er ihr ohnehin
abraten, den Berufsweg weiter zu verfolgen, da der Markt für freie Journalisten und
für neue Zeitungen im Rhein-Main-Gebiet
völlig überfüllt sei (gerade in Darmstadt!).
Frau Wolter begründete ihren Antrag
noch einmal ausführlich schriftlich und
stand eine halbe Stunde später wieder im
Sekretariat von Dinges und konnte ein
Telefonat mit anhören, in dem er einem
weiteren Antragsteller einen „Gasthörerstatus“ vorschlug, falls sein Antrag abschlägig beurteilt werden würde. Ein ähnlicher
Vorschlag wurde Frau Wolter nicht unterbreitet. Am 12.12.1991 erkundigte sich
Frau Wolter nach dem Ergebnis der LPKSitzung und erfuhr, daß sie nicht aufgenommen werde. Im einem Brief, der später folgte, wurden keine Gründe genannt.
Freigestellt wurde allerdings, im Sommer
eine erneute Bewerbung abzugeben.
Schon einmal ist in der Bundesrepublik
einer Zeitung die Zulassung zur Landespressekonferenz verweigert worden. Die
Zeitung, die dagegen klagte hat gegen die
Baden Württembergische Landesregierung
gewonnen.
rw/mg
Weniger Industrie-Abfall
Als erstes Bundesland macht Hessen Ernst mit der
vom Bundesimmissionsschutzgesetz geforderten
Vermeidung und Verwertung von Reststoffen in
Industriebetrieben. Der hessische Minister für
Umwelt, Joschka Fischer erklärte, daß zur Zeit von
den Gewerbeaufsichtsämtern Anordnungen vorbereitet werden, mit denen Betrieben für ihre Altanlagen konkrete Maßnahmen zur Reststoffvermeidung und Reststoffverwertung vorgeschrieben werden: „Die Umsetzung dieser Maßnahmen wird dazu
beitragen, in Hessen das Problem der Entsorgung
von Sonderabfällen zu entschärfen, da Reststoffe in
Industrieanlagen von vornherein vermieden bzw.
stärker als bisher verwertet werden und somit nicht
als Abfall entsorgt werden müssen“.
Für eine unabhängige,
unzensierte, freie und an
Wahrheiten orientierte
Presse haben wir die
„Darmstädter
Initiative
für die
Vielfalt
der
Presse“
Die in den untersuchten Betrieben derzeit jährlich als
Abfall entsorgten Reststoffe von rund 350. 000 t
könnten um etwa 220. 000 t und die Abwässer von
jährlich 3, 8 Millionen Kubikmeter auf 2, 1 Milliogegründet – für eine Konnen Kubikmeter reduziert werden. red
trolle über Parlamente – für
ein öffentliches Forum der
LeserInnen – für ein Mehr
Für die Frage, warum die CSU auf keinen Fall ein an Demokratie.
Tempolimit auf deutschen Autobahnen mittragen Verschlafen Sie nicht – wie
will, hat die IG-Metall, Deutschlands größte Ein- viele MitbürgerInnen die
zelgewerkschaft, eine einleuchtende Begründung: schleichende Inflation der
zu den größten Spendern im Jahr 1990 gehörten Meinungs- und PressefreiDaimler-Benz (400.000 Mark), BMW (315.000 heit – beteiligen sie sich an
Mark) und die Daimler-Tochter Dasa (142.000 unserer Initiative!
Mark). Vielleicht bekunden die Parteien mit den V. i. S. d. P. Folkmar Rasch Weitere
Zuwendungen an die Bayerische Volkspartei ja Informationen sind erhältlich bei, „Zeiauch nur ganz zweckfrei ihre Heimatliebe… tung für Darmstadt“ Postfach
104323, 61 Darmstadt, Chiffre 12
Tg
Tempolimit zu teuer
5 . Kalenderwoche - Seite 4
MELDUNGEN
Flughafen: Entgegengesetztes
Der Aufsichtsrat der Flughafen Frankfurt/Main AG
(FAG) hat beschlossen, zum „FAG-Investitionsprogramm 2000“ ein Gutachten erstellen zu lassen, teilt die
hessische Finanzministerin Annette Fugmann-Heesing
mit. Ein erster Zwischenbericht soll im März 1992 vorliegen. Ihr Kabinett-Kollege Landesentwicklungsminister Jörg Jordan erklärte: „Der Frankfurter Flughafen
erhält in Wiesbaden-Erbenheim kein zweites Standbein“.
Er verweist auf die regionalen Planungsvorgaben des
Landes, die sich aus der Koalitionsvereinbarung zwischen
SPD und Grünen ergeben. Darin ist die Begrenzung des
Flughafens auf die derzeitige Fläche festgeschrieben.
Die Landesregierung meldet, sie stehe den Expansionsbestrebungen auch angesichts der damit verbundenen wachsenden Umweltbelastungen kritisch gegenüber. Sie setze auf den Ausbau des öffentlichen Verkehrsnetzes. red
Bauverein kauft 15 880 qm
und 44 Wohnungen
Nach rund sechsmonatigen Verhandlungen zwischen der
Deutschen Bundesbahn und dem Darmstädter Bauverein für Arbeiterwohnungen ist am Jahresende ein wichtiger Deal zum Abschluß gelangt. Der Bauverein kauft
das Gelände an der Michaelisstraße, auf dem in mehreren Gebäuden 44 Familien mit 160 Menschen wohnen,
von der Bundesbahn. An der Kaufsumme von 7,94 Mio.
DM beteiligt sich die Stadt mit 1,2 Mio. DM.
Für eine noch im Besitz der Bahn verbliebene Fläche im
Norden des Geländes bekommt das Gespann Stadt/Bauverein ein Vorkaufsrecht eingeräumt.
Außerdem wurde man sich einig über den Anschluß der
bestehenden Leitungen an das öffentliche Netz, über die
Kosten für den Abbruch „nicht mehr verwendbarer Baulichkeiten“ und für genaue Vermessungsarbeiten sowie
über die Durchführung von Probebohrungen zur Feststellung von möglichen Altlasten.
Der Bauverein wird das Gelände einer maßvollen Bebauung zuführen, vor allem werden die Bewohner in der
Michaelisstraße wohnen bleiben können. Darmstadts OB
Metzger freut sich: „Die Stadt wird in Zusammenarbeit
mit dem Bauverein einen Bebauungsplan-Entwurf aufstellen, der einerseits eine städtebauliche Aufwertung des
Stadtteils und eine Verbesserung der Wohnsituation in
Darmstadt sicherstellt, andererseits die Interessen der
Bewohner in angemessener Weise berücksichtigt.“
Volker Rinnert, Presseamt
Warnstreik in der
Fernsprechauskunft
Dienstag, 28. Januar 1992, morgens 7 Uhr. Streikposten
zogen vor der Fernsprechauskunft in der Grafenstraße
auf. Plakate und Transparente „Wir streiken“ zeigten, daß
hier die Post abgeht. „In den Nachrichten habe ich gehört,
daß gestreikt wird, aber daß es auch in Darmstadt losgeht,
wußte ich nicht", meinte eine überraschte Kollegin. Interessiert nahm sie den Streikaufruf und ging mit weiteren
Angestellten zum Streiklokal ins Gewerkschaftshaus.
Mit dem Warnstreik in Darmstadt, den anderen 6 hessischen Städten sowie weiteren 69 Fernmeldeämtern im
Bundesgebiet wollen die Angestellten Druck auf die
Arbeitgeber ausüben, damit sie bei den Tarifverhandlungen endlich ein akzeptables Angebot vorlegen.
Die Deutsche Postgewerkschaft (DPG) fordert strukturelle Einkommensverbesserungen. Es ist nicht länger vertretbar, daß die Angestellten für vergleichbare Tätigkeiten
pro Monat 200 bis 300 DM weniger verdienen als die
Beamten.
Die Tarifverhandlungen für die Angestellten dauern nun
fast zwei Jahre. Immer wieder wurden sie vom Arbeitgeber unterbrochen und verzögert. Die Arbeitgeber haben
mit ihrer Verschleppungstaktik die Angestellten zum
Warnstreik herausgefordert.
In Darmstadt beteiligten sich etwa 70 Angestellte am
Warnstreik. Mit den wenigen Beamten konnte der Auskunftsbetrieb nicht aufrechterhalten werden. Von 7 bis
21 Uhr ging nichts mehr. Ab dem frühen Vormittag
erhielten die Anrufer die Auskunft: „Bei uns wird
gestreikt, rufen Sie später wieder an.“
In der Streikversammlung waren sich alle einig: Der
Warnstreik war fällig, und wenn die Arbeitgeber am 30.
Januar kein vernünftiges Angebot vorlegen, sind die
Angestellten wieder dabei.
Paul Köhler (DPG)
Eberstädter Friedhof
geschändet
Der Eberstädter Friedhof ist durch vermutlich jugendliche Rechtsradikale geschändet worden. Wie Gartenamtsmitarbeiter jetzt feststellen mußten, sind in einem
neuen Reihengrabfeld im Erweiterungsbereich des Friedhofes Kreuze herausgerissen, Grablichter und Grabschalen zerstört worden.
In den Kies und die Erde im Bereich der Gräber waren
rechtsradikale Symbole eingezeichnet.
Der oder die Täter waren vermutlich durch den Zaun, den
sie beschädigten, eingedrungen. Die Stadt Darmstadt hat
inzwischen Strafanzeige erstattet, der Zaun wird umgehend repariert.
Da noch nicht alle Geschädigten zu ermitteln waren, bittet das Gartenamt, daß Bürger, die auf der Erweiterungsfläche Gräber betreuen, diese in den nächsten Tagen
auf Unversehrtheit prüfen. Volker Rinnert, Presseamt
Professor boykottiert TH-Arbeitsräume
TH-Garagen: Parken ohne Genehmigung
Hell erleuchtet waren die Parkebenen der
scheinbar fertigen Garage nachts schon lange – nun verkündet der TH Pressedienst:
„Grünes Licht für das Parkhaus in der Ruthsstraße“ – doch Professoren, wissenschaftliche MitarbeiterInnen und StudentInnen riechen giftige Abgase, die durch die Lüftungsanlage in die Arbeitsraume gelangen,
wissen ihre Gesundheit bedroht und sehen rot.
Gewöhnung
Am 6. Januar war es so weit: Die Schranken gingen hoch, ganz still und heimlich, und
die ersten zehn bis zwanzig Autos durften täglich über die neu angelegte Zufahrt von der
Pankratiusstraße einfahren. Bald waren es 50
bis 60 Fahrzeuge, was einer Nutzung von
etwa 15% entspricht. Unauffällig soll das
Parkhaus in Betrieb genommen werden – die
langsame Gewöhnung den Protest zum Verstummen bringen. Für 20 DM pro Monat hatten sich die FahrerInnen von der TH-Verwaltung die Parkerlaubnis erkauft.
Eröffnung ohne Genehmigung
Die Betriebs-Erlaubnis der Bauaufsichtsbehörde hat die TH-Verwaltung aber wegen
fehlender Gutachten noch nicht. In der Ausgabe 26 berichteten wir über die fehlenden
Schwingungs- und Immissionsgutachten für
die Hochschule. Die Auflagen aus dem Gutachten für die BewohnerInnen des Martinsviertels, unter anderem die Verlegung der
Zufahrt (s.. Briefe an die Redaktion), sind
erfüllt worden. Die Hochschul-Verwaltung
soll vorher versucht haben, das Haus an der
Arheilger Straße Ecke Ruthsstraße gegenüber
dem Parkhaus zu kaufen, mit welchem Ziel
wohl?
Wir fragten, ob der Präsident der THD die
noch fehlenden Gutachten nun in Auftrag
geben würde. Dies tat er nicht, da ein Gutachter, der auf Einladung des Kanzlers der TH
das Parkhaus besichtigt hatte, erkennen ließ,
daß nach einem schriftlichen Gutachten eine
Inbetriebnahme nicht möglich sein würde. So
gilt also bis heute: Ohne Gutachten keine Nutzungsgenehmigung! – Hätten Sie oder ich
eine Wohnung oder auch nur eine Gartenlaube ohne Genehmigung gebaut und wollten
sie bewohnen, so drohte jedem von uns ein
Nutzungsverbot durch die Baubehörden. Auflagen zur Nachbesserung oder Abriß wären
die Folgen.
Allein gegen den Mief?
Bei einer „Parkanlage“ (bitte vergessen Sie
bei diesem Wort die Assoziationen mit großen
Bäumen weiten Wiesen und Erholung) für
371 Fahrzeuge mit den Baukosten von 10,7
Mio DM, so die neuesten offiziellen Zahlen,
ist das anders. Da bedarf es eines Professors,
der vor und nach seinen Vorlesungen InfoZettel aushängt und an die ersten NutzerInnen
des Gebäudes verteilt. Er klärt sie auf und
einige wenige Parkplatz Suchende fahren
Unter der Palette wird die Frischluft für das klimatisierte Gebäude der TH angesaugt.
S eit die Autos in das Parkhaus rollen, gelangen die Abgase direkt in die Zimmer der dort
arbeitenden Wissenschaftler. Professor Lauterborn streikt – zum Bericht–. (Foto: Haupt)
auch gleich wieder raus. Doch es war auch zu
hören: „ Wir haben ein Ticket – also ist es
erlaubt“. Auf seinen Hinweis „Aber sie stören
uns“ erhielt er die Antwort „mit Freuden!“.
Bei solchen Tätigkeiten hatte Professor Lauterborn eine Woche lang einen Schatten, der
stets hinter ihm her lief. Es war der Hausmeister, der von der Verwaltung zum Sonderspitzel degradiert wurde. Alle Aushänge,
auch die an den Windschutzscheiben der
Autos, entfernte er sofort wieder.
Kein Abriß sondern
Nachbesserung
Werner Lauterborn möchte angesichts der
bedrückenden Existenz des Parkhauses dieses nicht wieder abgerissen sehen, sondern die
Gesundheitsgefährdungen ausschalten.
Hier ahnen Sie schon, daß des Professors
Tätigkeiten keine Tätlichkeiten sind, sondern
eher die Peinlichkeiten der TH aufzeigen.
Immer wieder verweist er auch auf seine Einwände von vor zwei Jahren, vor Baubeginn.
Diese dementiert die TH auch gar nicht. – Ein
offizielles Schreiben, solches zu unterlassen,
gibt es nicht. Allerdings meinte der Kanzler
der TH, Herr Seidler, anläßlich einer Ortsbesichtigung lapidar: „ Das ist jetzt halt so! “
und später einmal: „Man muß wissen wann
man verloren hat.“ Ob hier der Wunsch der
Vater des Gedankens ist? – Kann Professor
Lauterborn wirklich nichts mehr tun?
Inzwischen gab es die ersten Störfälle in
dem Gebäude der Physiker. Dort wurden in
Arbeitsräumen, die nur über die Klimaanla-
ge belüftet werden können, Autoabgase gerochen. Darunter sind Kohlenmonoxid (tödlich
giftig), Blei (schleichend giftig) und Benzol
(krebserregend). In einem Brief an die MitarbeiterInnen und die betroffenen Angehörigen der Hochschule der Arbeitsgruppe
„Nichtlineare Physik“, in dem der Weg der
Gifte von den Autos zu den Arbeitsplätzen
erläutert wird, kommt Lauterborn (in Wahrnehmung seiner Fürsorgepflicht gegenüber
Schutzbefohlenen) zu dem Schluß: „Das
Gebäude wird also mit Autoabgasen belüftet
… Um Ihre Gesundheit nicht zu gefährden,
untersage ich daher vom Tage der Nutzung
des Parkhauses das Arbeiten in diesen Räumen. Diese Anordnung gilt solange, bis das
gesetzlich vorgeschriebene Gutachten erstellt
und darin die Unbedenklichkeit bescheinigt
wird, oder durch Umbaumaßnahmen (z.B.
Entlüftung des Parkhauses nach oben) und
eine andere Zufahrt die Gefährdung beseitigt
wird.“
Lauterborn selber hält sich auch an seine
Anweisungen. „Er ist nicht mehr da“ sagen
seine MitarbeiterInnen. Der Professor hat keine Residenzpflicht. Seine Vorlesungen im
Hörsaal nimmt er wahr, die StudentInnen dürfen Ihn auch zu Hause anrufen, doch neue
Diplomarbeiten vergibt er nicht mehr.
Holger Haupt
„Das Gebäude wurde bereits im letzten Jahr
fertiggestellt. Die Inbetriebnahme verzögerte sich jedoch durch die Auflage, die Brandmeldeanlage direkt an die Zentrale der Feuerwehr aufzuschalten“, begründet die TH offiziell die Verzögerung.
PCB: Jetzt werden Schuldige gesucht
Und die Kinder werden weiter vergiftet…
so lautete der Aufmacher der Ausgabe 25.
Intern hat der Artikel wohl bei Behörden und
Parteien für viel Wirbel gesorgt, denn dort
hielt man das Problem für erledigt mit Ausnahme der kontaminierten Fugenmassen.
Umweltdezernent Swyter (FDP) hatte
noch auf der Ausschuß-Sitzung vom 12.12.
erklärt, „Sie können Anträge stellen soviel Sie
wollen“ und behielt damit insofern Recht, als
auf der Stadtverordnetenversammlung vom
19.12. der Beschluß des Umweltausschusses,
bis zu den Osterferien 92 alle Lampen in der
Lichtenbergschule auszutauschen, zu Fall
gebracht worden war – stattdessen sollten erst
Raumluftmessungen durchgeführt werden.
Zur Vorbereitung der Stadtverordnetenversammlung vom 30. Januar stand unter anderem vor dem Umweltausschuß wieder die
Lichtenbergschule auf dem Programm. Die
SPD hatte einen Antrag gestellt, den der SPDAbgeordnete Busch begründete: „Unsere
Begründung war falsch (gemeint Stadtverordnetenbeschluß vom 19.12.), denn es gibt
eine Trennung zwischen den Messungen, einmal um die Belastung durch PCB-haltige
Fugenmittel zu erfassen und zum anderen die
kontaminierten Lampen. Tatsache ist, daß die
Lampen ausgetauscht werden müssen!“ Da
die CDU gegen diesen Dringlichkeitsantrag
protestierte, entschied der Vorsitzende des
Ausschusses, Michael Siebert (Grüne), „Dies
ist nichts Neues. Der Kollege Matthias Hohmann (Grüne) hat das schon auf der letzten
Umweltausschuß-Sitzung vorgetragen. Die
daraufhin getroffene Entscheidung des
Umweltausschusses ist von den Stadtverordneten aufgehoben worden auf Initiative
ihrer Partei und kann nur von den Stadtverordneten wieder umentschieden werden“.
Im Wechselspiel der Kompetenzen hat den
schwarzen Peter nach dem Willen der SPD
vorerst Dr. Rösch, der jedoch in Sachen PCB
fleißig war: Es liegt eine Vielzahl von Anfragen seines Dezernates vor in Wiesbaden und
Bonn, in denen er wissen will, wie vorzugehen sei. Für den Austausch der Kondensatoren und Lampen war er zuständig, weil unter
seiner Regie das Hochbauamt arbeitet. Die
Messungen unterstehen dem Umweltdezernenten Swyter (FDP), dessen Ämter nach seiner Auskunft 1991 nichts haben messen lassen und der Schuldezernent, Peter Benz
(SPD) erklärte uns auf Anfrage, für das
Schließen von Klassenräumen sei er nicht
zuständig. Statt dessen leitete er die Fragen
der ZD weiter. Liegenschaftsdezernent Wessely (CDU) antwortet uns auf die Frage, ob es
richtig sei, die Kinder weiterhin in den PCBbelasteten Räumen zu unterrichten: „Es ist
schwierig, absolute, gesundheitsgefährdende
Obergrenzen für PCB-Werte anzugeben,
wobei jedoch Werte über 300 Nanogramm
pro Kubikmeter nicht vorkommen sollten“.
Im selben Schreiben zitiert er, „Raumluftmessungen insbesondere in zwei Räumen der
Lichtenbergschule, die in beiden Fällen Werte von unter 1000 Nanogramm ergaben“
(Raum 610, 915 ng). Die dreifache rechnerische Belastung hat Wessely wohl nicht gesehen, denn er schreibt weiter:„Unklar ist, welche Höchstwerte an PCB-Belastung erreicht
oder überschritten worden sein sollen“.
In der Zwischenzeit waren die Eltern selbst
tätig: Sie kratzten die Fugenmittel mit Messern heraus, und demontierten, ohne die
Behörden in Kenntnis zu setzen, zwei Lampen-Schalen und gaben diese auf eigene
Kosten zur Überprüfung an unabhängige
Institute weiter, die dann tatsächlich auch wieder PCB nachweisen konnten. „Ich bin persönlich niemandem böse“, kommentiert ein
Vater von zwei Kindern an der Lichtenbergschule, Dr. Rolf-Dieter Düppe, seinen Strafantrag bei der Darmstädter Staatsanwaltschaft
wegen Verstoßes gegen das Emissionsgesetz.
Schon einmal war eine Strafanzeige im Januar 91 ergebnislos verlaufen und der zuständige Staatsanwalt kommentierte die erneute
Anzeige mit den Worten, „O Gott, da seid ihr
ja schon wieder“. Diesmal will Dr. Düppe
„daß etwas passiert. Unsere Geduld ist zu
Ende“. Was ihn besonders empört, ist die
schon im Dezember 90 aufgestellte Behauptung des Gesundheitsamtes: „Da ist kein PCB
mehr drin“.
Dies alles steht in krassem Widerspruch zu
der Behauptung der Behörden, alle kontaminierten Lampen seien ausgetauscht worden. Das Problem liegt für die Behörden heute wohl darin begründet, daß zwar alle Kondensatoren ausgewechselt die defekten aber
nicht festgehalten worden waren - auch wenn
Dr. Rösch dies energisch dementiert: „In der
Lichtenbergschule wurden im Rahmen des
flächendeckenden Austauschs PCB-haltiger
Kondensatoren keine Defekte gefunden, so
daß bei dieser Maßnahme ein Austausch
weder von Schalen noch Beleuchtungskörpern erforderlich war“, schreibt er auf Anfrage der ZD und kritisiert: „Dies wurde schon
mehrmals berichtet, jedoch nicht zur Kenntnis genommen. Dies zeigt auch die Unterstellung, daß ‚geheim gehaltene Ergebnisse‘
nicht veröffentlicht werden, Ihre unverfrorene
Behauptung der Geheimhaltung, zu der überhaupt kein Anlaß besteht und die absichtlich
die Mitarbeiter in Mißkredit bringen soll, weise ich aufs Schärfst zurück“ – Meßergebnisse, die 4000 Nanogramm PCB in Lampenschalen nachgewiesen haben sollen nach dem
Austausch der Kondensatoren, sind bis heute nicht zugänglich (sieh auch Seite 2 „ZD
gewinnt zweiten Presseprozeß“).
Sachstand heute ist, daß entweder jede
Lampe untersucht oder alle ausgewechselt
werden müssen, das dürfte dann eher eine
Preisfrage sein, die sich jedoch allein deshalb
aus Sicht der Eltern erübrigt, weil energiesparende Leuchten ihre Kosten nach fünf Jahren wieder eingespielt haben sollen. Berechnungen für den Komplett-Austausch hat Dr.
Rösch angekündigt.
M. Grimm
5 . Kalenderwoche - Seite 5
„In Darmstadt hat ein Baum
beste Lebenschancen“
Von dem Problem der verschiedener Wirklichkeiten
am Beispiel Baumsatzung
In der achten Ausgabe hatten wir „Von der
Unwohnlichkeit der Heimstätte und den
Segnungen des Rechts“ über das Fällen von
Bäumen auf dem Grundstück des RentnerEhepaares Leidig geschrieben. Dort hatte
erst die Wohnungsbaugesellschaft „Nassauische Heimstätte“ 30 Bäume fällen lassen und der damals neue Eigentümer Erwin
Pustlauk später weitere 14. Die Mieter des
Hauses hatten protestiert und sogar via
Einstweiliger Anordnung versucht, Rechtschutz zum Erhalt der Bäume zu bekommen. Unter Kiefern, Lärchen, Douglasien
und Tannen waren auch mehrere Bäume,
deren Umfang, ein Meter über dem Boden
gemessen, die Stärke von 60 Zentimetern
ausgewiesen haben soll.
Mit Erstaunen durften wir dem „Echo“
vom 23.1.92 entnehmen, daß Stadtrat Dr.
Rösch (CDU) die vor acht Jahren eingeführte Darmstädter Baumschutzsatzung als
„ein sinnvolles Instrument“ lobte, das seit
1984 rund achthundert Bäumen das Leben
gerettet habe. Des weiteren stand darin zu
lesen, daß „alle legalen und natürlich auch
die ertappten illegalen Baumfäller verpflichtet sind, Ersatzbäume anzupflanzen.
Wer mutwillig gegen die Satzung verstößt,
muß obendrein Bußgeld (bis zu 50.000
Mark) zahlen“. Das „Echo“ schließt, „darum hat ein gesunder Baum auf Darmstädter Privatgrundstücken die besten Lebenschancen“.
Deshalb wollten wir von Dr. Rösch wissen,
warum in dem o.a. Fall der Eigentümer
nicht verpflichtet worden ist, Ersatzbäume
zu pflanzen, und warum die „Nassauische
Heimstätte“ und der Eigentümer keine
Bußgelder entrichten mußten. Seine Auskunft: Die Genehmigung für das Fällen von
zwei Kiefern und einer Lärche wurde
erteilt, die übrigen Bäume fielen nicht unter
die Satzung. Allerdings „mit der Auflage
entsprechender Ersatzpflanzung“. Bis heute sind keine neuen Bäume gesetzt worden!
Die Begründung für die Genehmigung ist
interessant: „Eine durchgehende Wand an
der Grundstücksgrenze aus Nadelbäumen
in einer Höhe von rund 8 Metern widerspricht sowohl den öffentlich-rechtlichen
wie den privatrechtlichen Belangen.“ Der
Eigentümer hatte mit dem Nachbarn ausgehandelt, daß der sich an Stelle der Bäume eine Garage hinsetzen darf – diese
Betonkisten sind demnach das richtige Pendant zu öffentlich-privatrechtlichen Belangen.
Unsere Frage, ob überhaupt schon einmal
seit Gültigkeit der Baumschutzsatzung ein
Bußgeld und wenn in welcher Höhe verhängt worden ist, blieb unbeantwortet,
ebenso wie unsere Bitte um Zusendung der
Baumschutzsatzung. Im ersteren Falle
müssen wir das Schweigen wohl so auslegen, daß dies nicht passiert ist und im zweiten Fall scheint man weitere Fragen zu
fürchten.
Das „Echo“ hat sich offensichtlich in der
Stadt geirrt…
mg
Regenwald in Mercks Tiefkühltruhe
Wenigstens eine Aufschiebung weiterer
Patentierung von Produkten des GenEngineering haben die Grünen im EuropaParlament (EP) erreicht. Ein australisches
Forschungsunternehmen wollte der Abgeordneten Hiltrud Breyer aus Mandelbachtal
zufolge ein weibliches Gen für sich beim
Europäischen Patentamt in München reservieren lassen. Das aus einem Eierstock isolierte Gen erzeugt das Hormon Relaxin.
Die Grünen vertraten die Ansicht, der
Anspruch von medizinischen Firmen auf
gentechnisch hergestellte Organe und auf
gentechnische Reproduktionstechniken
untergrabe das Recht des Einzelnen, über
seinen Körper selbst zu bestimmen. Sie
warnten davor, daß die „Biotech-Industrie“
bereits Fakten schaffe, während die öffentliche Diskussion noch in den Kinderschuhen stecke bzw. bereits wieder ihr Interesse verloren habe.
Dabei verwiesen sie auf den „jüngsten
Fall“, wonach Merck, weltgrößter Pharmakonzern, die Exklusivrechte für den
genetischen Vorrat des Regenwaldes der
mittelamerikanischen Republik Costa Rica
für eine Million Dollar erkauft habe.
Auch die berüchtigte „Harvard Mouse“ ist
inzwischen in München nach mehreren
vergeblichen Anläufen patentiert worden.
Die abzuschätzenden Gefahren seien im
Verhältnis zu dem zu erwartenden Nutzen,
den die „Krebsmaus“ der Forschung bringen werden, sehr gering. Sicherlich: die
Maus wird nicht gigantisch groß und blutrünstig werden; doch auch die EG hat
damit ihr erstes patentiertes, neu kreiertes
Lebewesen eingebürgert.
Timo Rieg
❖❖❖
Mehr Verkehrsopfer
„Die Auswertung einer Statistik über das
Unfallgeschehen des vergangenen Jahres
auf dem ca. 640 km langen Autobahnnetz
im Regierungsbezirk Darmstadt brachte ein
äußerst unerfreuliches Ergebnis. Die Zahl
der ums Leben gekommenen Personen hat
sich erheblich erhöht. Waren es 1990 68
Unfalltote, so erhöhte sich die Zahl um 30
auf nunmehr 98 Tote (+ 44 %) im Jahr
1991“. Pressestelle Regierungspräsidium
Alles in Ordnung!
Das Document Center in Berlin ist zugänglich für jeden. Jetzt erfahren wir endlich umfassend, wer in der NSDAP welche Rolle gespielt hat. Die Firmen und Stadtarchive haben
ihre Panzerschränke öffnen müssen. Jetzt endlich können auch die DarmstädterInnen
sehen, wer sich bei den Nazis eine goldene Nase verdiente, wer Juden abtransportierte,
wer politische Häftlinge zusammenschlug, und wer die ZwangsarbeiterInnen ruinierte.
Manch dicker Fisch geht uns da noch ins Netz. Und alle, aber auch alle Nazi-Opfer
bekommen endlich eine gute Entschädigung. Geheimdienste, Regierungsstellen, Verwaltungen und Gerichte müssen alle Akten der BRD-Zeit offenlegen. Unter der Losung
„Wir sind das Volk!“ sichten Bürgerkomitees die Unrechtsmaßnahmen gegen Kommunisten und Pazifisten. Jetzt wissen auch die DarmstädterInnen, wer wem den Beruf
verboten, wer gehetzt und wer geschnüffelt hat. Und alles steht in der Zeitung, schwarz
auf weiß!
Doch halt! Falsch! Irrtum! Ein böser Traum! Es ist doch alles in Ordnung. Das Document Center fault gut abgedichtet vor sich hin, und die Bundesregierung schiebt es weiterhin von sich weg wie eine schimmelige Kartoffel, obwohl der große Bruder in Übersee seit langem um Übernahme bittet. Was sollen wir denn mit den uralten Daten? Und
schließlich gibt es ja noch den Persönlichkeitsschutz! Auch die Firmenbesitzer haben
ihre wohlverdiente Ruhe. Und nix mit Akteneinsicht bei den geheimen Stellen! Das dient
der öffentlichen Ordnung. Wo kommen wir denn hin, wenn jeder weiß, wer ihm was
angetan hat!
Doch halt! Das gilt nur für die Wessies! Die Ossies lassen wir mal auf den Stasi los,
sind ja ganz schön sauer. Jeder darf mal in seinen Akten blättern, damit er merkt, daß
er jetzt in einer Demokratie lebt. Und wenn er so richtig empört ist über die Oibes und
IMs in seiner Nachbarschaft und all den unbekannten Namen nachspürt, dann fällt
ihm vielleicht nicht so auf, daß wir zur Zeit leider keine Arbeit für ihn haben. Unseren
Staat wollen wir gründlich reinigen von Stasi und SED. Wenn wir drüben kehren, dann
mit eisernem Besen. Und welch großes Tier wir laufen lassen, das bestimmen wir!
Kurt Westling
Reaktionen
auf die
Ausgabe 25
Für Gebührenverweigerung
Nicht alle wollen sich die neuen Gebührenbescheide der Südhessischen gefallen lassen. Michael Siebert hatte in der Ausgabe
25 seine Gründe dafür genannt.
Über die Gebührenerhöhung ebenfalls entgeisterte LeserInnen riefen an. Eine Hauseigentümerin berichtete von eigenen Recherchen: „Ich wollte wissen, wie das ist,
wenn ich für mein Haus und meinen Garten getrennte Zähler setzen lasse, ich dachte dann kann ich sparen. Was dabei raus
kommt ist ungeheuerlich! Wußten Sie, daß
man für seinen Garten jedes Jahr 20.000 Liter über die Kanalgebühren bezahlt, ehe
man auch nur einen Liter zusätzlich verbraucht. Ich muß bezahlen, obwohl ich gar
nicht so viel Wasser brauche. Außerdem
haben mir die vom Steueramt am Telefon
erklärt‚ da können Sie gar nichts machen
und selbst wenn es jemandem gelingen sollte, die Tarife aussetzenzulassen, dann holen wir uns das Geld halt an anderer Stelle.“
Am Stammtisch
verlautete wegen der SV-98-Methoden
gegen den Gastronomen Facchin, „das ist
schon richtig, was die geschrieben haben“.
Gleichzeitig wurde laut darüber sinniert,
wie der finanziell marode Sportverein seine „über hundert Millionen“ Schulden bei
der Stadt- und Kreissparkasse wohl tilgen
will: „Das soll von der Sparkass‘ als Spende abgesetzt worden sein“. Nur ein
Gerücht?
Wie wir schon berichtet hatten, spielen der
Verein und die Henninger Brauerei auf
Zeit, um zu warten bis der Gastronom zahlungsunfähig ist, denn dann verdienen beide. Andere Italiener aus dem Gewerbe
meinten, der Bericht habe Facchin um die
letzte Chance gebracht, vielleicht, weil sie
glauben, es hätte sich vielleicht doch ein
Dummer finden lassen, der von allem
nichts gehört und gelesen hat und von
Facchin die Gaststätte übernimmt – das ist
nur eine Illusion, denn mit dem SV-98 muß
jeder in Vertrag gehen.
„Das ist Falschberichterstattung“, kommentierte verärgert das Verwaltungsratsmitglied des SV-98, Hermann Lotz, den
Bericht, „denn das waren 319.602 DM, die
Facchin investiert hat und nicht 600.000.
Außerdem gab es mündliche Vereinbarungen mit Facchin, die ihm seine Investitionen abgegolten haben“. Richtig ist: Vor
Steuern sind 319.602,42 DM ausgewiesen
worden, die monatliche Pacht war zur Tilgung des Betrages um 2500 DM reduziert,
sodaß heute ein Restbetrag von 207.102,42
DM nicht getilgt ist – wohl bemerkt nur die
offiziellen Gelder betreffend.
Der heutige Vereinsvorstand schweigt sich
zu den Vorwürfen ansonsten aus, ebenso
wie das „Darmstädter Echo“, dem der Vorgang ebenfalls bekannt ist. (siehe auch
‚Briefe an die Redaktion‘: „Ich stehe hinter dem Vertrag“)
❆❆❆
Späte Entschädigung
für NS-Opfer
Wer unter Nationalsozialisten Opfer war,
kann eine späte Entschädigung beanspruchen: Das Land Hessen hat dafür einen
Härtefonds eingerichtet. Dieser sieht einmalige Hilfen bis zu 7. 000 DM vor und
laufende Zahlungen, bis zu 614 DM.
Antragsberechtigt sind in Hessen wohnende NS-Opfer, die keine Entschädigungen erhalten haben. Dazu zählen insbesondere Sinti und Roma, Wehrdienstverweigerer und Deserteure, Homosexuelle,
„Euthanasie“-Geschädigte, Zwangssterilisierte und ZwangsarbeiterInnen. Auch
mitbetroffene LebenspartnerInnen, Kinder
oder Eltern können einen Härteausgleich
erhalten. Die Zahlungen werden auf Vorschlag eines Beirates aus VertreterInnen
geschädigter Gruppen gewährt, sie werden
nicht auf Sozialhilfe angerechnet. red
Nullrunde Umweltpolitik
Martin Lichtenthäler (CDU) kritisiert Untätigkeit
„Stadtrat Heino Swyter (FDP) verabschiedet sich von einem Arbeitsgebiet nach
dem anderen“, bemängelt der umweltpolitische Sprecher der CDU-Fraktion, Martin Lichtenthäler, erst die Kläranlage, dann
das Umweltlabor, die Energie-Einsparung
macht der Kollege Dr. Rösch (CDU). Nach
den Haushaltsberatungen steht fest, daß
auch im Umweltbereich eine Nullrunde
angesagt ist.
Bei der Untersuchung der Altlasten vernachlässigt Swyter sträflich seine Pflichten.
Obwohl an 31 festgestellten Orten von zum
Teil erheblichen Belastungen des Bodens
ausgegangen werden müßte, ist Swyter
nicht bereit, weitere Untersuchungen anzustellen. Die CDU hatte für diesen Zweck im
Haushalt 60.000DM bereitstellen wollen.
Swyter handele bei dem kritischen Thema
Altlasten nach dem wenig verantwortungsbewußten Grundsatz: was ich nicht
weiß, macht mich nicht heiß. Damit wird
ein zweiter Umweltskandal wie seinerzeit
beim Schlachthof heraufbeschworen, wo
ebenfalls ein FDP-Stadtrat die Augen fest
zugedrückt hat.
Im vergangenen Jahr ist auf Initiative der
CDU eine Altlasten-Untersuchung am Böllenfalltor durchgeführt worden, die Ergebnisse von erheblicher Brisanz ans Licht
gebracht hat. Natürlich ist die Untersuchung nur der erste Schritt, die Sanierung
muß folgen. Was Stadtrat Swyter macht,
erinnert an die bekannten drei Affen, nicht
Böses hören, nicht Böses sehen, nur mit
dem Mundhalten kann er sich nicht
anfreunden. Auch die Verstärkung der
Öffentlichkeitsarbeit, damit Umweltschutz
auf breiter Basis angenommen und praktiziert wird, hat bei SPD und FDP keine
Mehrheit gefunden. In Konsequenz dieser
Nullrunde im Umweltschutz könnte man
auch den Stadtrat einsparen.“
Methadon für Heroinabhängige
Nach langem Ringen um einen „Hessischen Weg“ in der Methadon-Substitution
Heroinabhängiger unterzeichneten die hessische Landesregierung und ihre Verhandlungspartner den „Rahmenvertrag
über die Verordnung, Abgabe und Verabreichung von Methadon (L-Polamidon)“.
Damit bestehe ab sofort die Möglichkeit
angemessener Hilfen für viele Drogenabhängige, erklärte die hessische Ministerin
für Jugend, Familie und Gesundheit,Iris
Blaul (Grüne).
ÄrztInnen, die für Ihre PatientInnen Anträge zur Substitution stellen wollen, müssen
sich an eine dafür eingerichtete Geschäftsstelle bei der Kassenärztlichen Vereinigung
Hessen in Frankfurt wenden. Die Anträge
werden dann von der „Substitutionskommission“ der Landesregierung beraten.
Nach diesem ersten Schritt sollen in diesem
Jahr erstmals Projekte zur psychosozialen
Begleitung von Substitution und im Wohnund Arbeitsbereich durch das hessische
Gesundheitsministerium gefördert werden.
Frau Blaul kritisierte in diesem Zusammenhang, daß die schon für die letzte
Legislaturperiode in Bonn versprochene
Novellierung des Betäubungsmittelrechts
immer noch nicht verwirklicht sei und
damit der notwendigen ärztlichen Behandlung von Abhängigen weiterhin unvertretbare Hemmnisse im Weg stünden. red
Die Arbeit von amnesty international besteht darin, solche oder ähnlich formulierte Briefe an Politiker zu verschicken und gegen die Verletzung von Menschenrechten zu protestieren. Derzeit organisiert amnesty eine Hilfsaktion für Journalisten und andere Peruaner. Im Fall der Journalisten ist über den Radiosender „Wari“ eine Morddrohung verbreitet worden, die Redakteure wurden gezwungen, einen vorgehaltenen Text zu verlesen.
Polizei und Gerichte kümmern sich nicht um die Strafverfolgung, sodaß die Gewalttaten ständig zunehmen. Da laut amnesty sowohl die linke Guerilla terrorisiert, als auch
staatliche Organisationen, ist Protest von außen derzeit die einzige Hilfe für die Bevölkerung.
Presidente de la República del Perú
Palacia de Gobierno
Plaza de Armas
Lima 1
PERU
Menschenrechtsverletzungen
Excelentísimo Sr. Presidente,
seit 1983 werden in Peru die Menschrechte nach uns vorliegenden Informationen von
der Guerilla-Organisation „Sendero Luminoso“, von „Movimento Revolucionario
Tupac Amaru“ und von der Armee mißachtet.
Bei dem Regierungsantritt 1990 hatte Staatspräsident Alberto Fujimori zugesagt, eine
neue Ära der Wahrung von Menschenrechten in Peru einzuführen, dennoch sind laut
Berichten von amnesty international weitere 250 Menschen verschwunden oder
ermordet worden. Wir protestieren aufs Schärfste dagegen und fordern die Regierung
auf, Rechtsstaatlichkeit wieder herzustellen und den Schutz des Einzelnen vor der
Guerilla und den Sicherheitskräften zu garantieren. Deshalb protestieren wir gegen
die Ermordung des Journalisten Luis Antonio Morales Ortega (13.6.91), der unter
der Regierung des amtierenden Präsidenten straffrei gelyncht werden konnte.
Daß die peruanische Regierung Probleme mit den Guerilla-Organisationen hat, mag
ein Aspekt für den Hintergrund der Menschenrechtsverletzungen sein, aber außergesetzliche Gewalt rechtfertigt keineswegs, daß staatliche Gewalt ebenfalls außergesetzlich reagiert. Es ist oberste Pflicht jeder Staatsgewalt die bestehenden Gesetze selbst zu respektieren.
Eine freie Pressemuß über derartige Verstöße ungehindert berichten und damit eine
wirksame Kontrolle der Öffentlichkeit ausüben können, über eine mordende Guerilla aber auch über verbrecherische staatliche Sicherheitsorgane. Es ist ein Fehlglaube
herrschender Macht, daß durch die Unterdrückung von Informationen Morde nicht
bekannt würden. Zu einer Regierung, die demokratische Grundsätze für sich in
Anspruch nimmt, ist die Wahrung der demokratischen Rechte des Einzelnen oberste Pflicht. Wir sind empört über die Behandlung der Journalisten Magno Sosa Rojas
und Necias Taquiri, vor allem über die Drohungen, die in der Öffentlichkeit gegen
Sie ausgesprochen werden dürfen. Ist die Regierung Perus zu schwach, um die Morddrohungen mit rechtlichen Mitteln zu verfolgen oder kommt ihr die Bedrohung der
Journalisten gerade recht, um unliebsame Kritiker los zu werden? (Sendung von Radio
„Wari“ in Huamangna 10.6.91)
Wir informieren unsere LeserInnen künftig ausführlich über die Menschenrechtsverletzungen in Ihrem Land. Deshalb bitten wir Sie die folgenden Fragen zu beantworten.
Was wird die peruanische Regierung gegen die ständigen Menschenrechtsverletzungen der Guerilla unternehmen und was gegen die der eigenen Sicherheitsorgane?
5 . Kalenderwoche - Seite 6
I
n den siebziger Jahren konnte man an der
Technischen Hochschule Darmstadt beobachten, wie die StudentInnen Referatsthemen vermieden, die irgendetwas mit Marx oder
Marxismus zu tun hatten oder als „zu links“ verstanden wurden. Als Grund gaben sie ihre
Befürchtung an, der bundesdeutsche Geheimdienst („Verfassungsschutz“) kontrolliere wohl
nicht nur die Examensarbeiten, sondern auch die
Referate der unteren Semester. Und ein PolitikStudent der Frankfurter Goethe-Universität
erzählte, in einem Seminar über die DDR habe
man einen Spitzel des Geheimdienstes enttarnt,
der seine Tätigkeit gar nicht leugnete und auch
nicht daran dachte, das Seminar zu verlassen.
kommunismus nicht mitmachte und man
ihm deshalb vorhielt, daß er die freiheitlichdemokratische Ordnung zwar nicht aktiv
bekämpfe, ihr aber gleichgültig gegenüberstehe. Oder wenn man in der Gesinnung
des Gerhard Bitterwolf eine „Verharmlosung des kommunistischen Systems“
erspähte. Hexenjagd im 20. Jahrhundert.
Sippenhaft
„Galilei im Gespräch mit der Lehrerin Inge Bierlein über die zeitliche Begrenztheit von Berufsverboten“ (Jost Maxim, 1976 aus: „Wir Verfassungsfeinde“, Pahl-Rugenstein 1977)
Auch Fälle von „Sippenhaft“ gab es: eine
Lehrerin war „verdächtig“, weil „ihr Vater
in mehreren kommunistischen Tarnorganisationen Mitglied“ sei, und einem Lehrer
wurde mitgeteilt, es würde seiner eigenen
Beurteilung zugute kommen, wenn er eine
Scheidungsklage gegen seine Ehefrau mit
deren Mitgliedschaft in der DKP begründe (5). Schon 1973 hatte diese Hexenjagd
nicht nur Lehrer an Schule und Hochschule
getroffen,sondern auch Sozialpädagogen,
Juristen, Ärzte, Theologen, und nicht nur
Beamte, Arbeiter und Angestellte im
öffentlichen Dienst verloren ihren Arbeitsplatz, sondern auch Journalisten, Arbeiterund Jugendvertreter in den privatwirt-
Nach zwanzig Jahren: Windstille
icht nur in Darmstadt oder Frankfurt
– auch an anderen Universitäten
Westdeutschlands zeigte man politische Vorsicht. So zum Beispiel
wurde Sekundärliteratur aus der DDR
gemieden oder ein historisch-materialistischer Interpretationsansatz. Oft warnten
auch freundliche DozentInnen, die es gut
meinten, ihre StudentInnen vor „gefährlichen“ Themen. Ähnliches geschah an den
Oberstufen der Gymnasien.
N
Auch im Alltag wirkte die Angst. Man
hielt sich zurück bei im Grunde völlig
unverfänglichen Unterschriftensammlungen oder bei Demonstrationen, verzichtete auf unliebsame Auto-Aufkleber, verheimlichte am Arbeitsplatz die Mitgliedschaft in der Gewerkschaft, und manch
einer kontrollierte gar, was er in den Papierkorb warf (1). Die zwischenmenschlichen
Beziehungen wurden beschädigt durch
Rückzug und Abgrenzung. Um Kommunisten herum entstanden unsichtbare Mauern, man ging ihnen aus dem Weg, als hätten sie die Pest, vermied auch den Telefonkontakt mit ihnen, weil es als sicher galt,
daß der Geheimdienst mithörte. Die gleiche
Kontaktscheu traf aber auch NIcht-Kommunisten, die kein Problem darin sahen,
mit Kommunisten in der Sache zusammenzuarbeiten. Ein Klima der Unsicherheit
und des Mißtrauens entstand bei vielen, das
Gefühl, bedroht zu sein durch Berufsverbot, das war im engeren Sinne die Verweigerung der Beschäftigung aus politischen Gründen in einem Monopolberuf des
öffentlichen Dienstes, oder, im weiteren
Sinne, im öffentlichen Dienst generell. Ein
Hauch von Stasi wehte durch die BRD.
Wie war es dazu gekommen ?
Am 23.11.1971 hatte der SPD-dominierte Hamburger Senat in einer Grundsatzentscheidung festgestellt, „…daß die
Ernennung zum Beamten auf Lebenszeit
bei politischen Aktivitäten des Bewerbers
in rechts- oder linksradikalen Gruppen
Ein Hauch von Stasi wehte durchs westdeutsche Land
unzulässig ist“. Dies war das unmittelbare
Vorspiel zum Beschluß der Ministerpräsidentenkonferenz über „Grundsätze zur Frage der verfassungsfeindlichen Kräfte im
öffentlichen Dienst“ vom 28. Januar 1972.
In das Beamtenverhältnis, so heißt es dort,
darf „…nur berufen werden, wer die
Gewähr dafür bietet, daß er jederzeit für die
freiheitlich-demokratische Grundordnung
im Sinne des Grundgesetzes eintritt…“ Das
stand bereits in den Beamtengesetzen. Neu
und von großer Tragweite war aber folgendes: „Ein Bewerber, der verfassungsfeindliche Aktivitäten entwickelt, wird
nicht in den öffentlichen Dienst eingestellt.
Gehört ein Bewerber einer Organisation an,
die verfassungsfeindliche Ziele verfolgt, so
begründet diese Mitgliedschaft Zweifel
daran, ob er jederzeit für die freiheitlichdemokratische Grundordnung eintreten
wird. Diese Zweifel rechtfertigen in der
Regel eine Ablehnung des Anstellungsvertrages.“ Bei bereits verbeamteten Personen sei entsprechend „…zu prüfen, ob
die Entfernung des Beamten aus dem
Dienst anzustreben ist.“ Für Arbeiter und
Angestellte im öffentlichen Dienst gelte
dasselbe. Die „Gemeinsame Erklärung des
Bundeskanzlers (Willy Brandt) und der
Ministerpräsidenten der Bundesländer“,
ebenfalls vom 28.1.1972, klopft das Ganze
noch einmal fest.
Der „Radikalenerlaß“
Mit dem politisch-propagandistischen
Begriff „verfassungsfeindlich“ wird durch
den Ministerpräsidentenbeschluß, auch
„Radikalenerlaß“ genannt, ein Terminus in
die Rechtssprache eingeführt, den das
Grundgesetz nicht kennt (dort heißt es:
„verfassungswidrig“) und von dem es qua-
si unterlaufen wird. Die vielfältigen Gefahren, die aus diesem Erlaß erwachsen mußten, wurden sofort gesehen, und es gab breite Proteste (2). Ihr Unbehagen zeigten im
Februar 1972 unter anderen die „Humanistische Union“, die „Sozialistische Jugend
Deutschlands – Die Falken“ und im März
auch der „Ring Christlich-Demokratischer
Studenten“ (RCDS). Die „Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Juristen“
(ASJ) warnte im Mai 1972 vor der
„…Möglichkeit, verfassungsmäßig-progressive Kräfte als verfassungsfeindlich zu
diffamieren und damit aus dem öffentlichen
Dienst fernzuhalten.“ Der Bezirksparteitag
der SPD Hessen-Süd befürchtete im selben
Monat unter anderem eine „Ausforschung
politischer Auffassungen“ und forderte in
aller Schärfe, „daß die Ministerpräsidenten
ihren Beschluß aufheben.“
„Verletzung des Grundgesetzes“
Lesenswert der Beschluß der Bundesdelegiertenkonferenz der Jungdemokraten
vom Juni 1972. Treffsicher bringt er die
Sache auf den Punkt. Die Kampagne gegen
Radikale im öffentlichen Dienst richte sich
nicht gegen rechts, sondern gegen links, es
gehe nicht um den Schutz des Grundgesetzes und der Grundrechte, sondern vielmehr darum, „…Rechtsstaatlichkeit und
Grundrechte auszuhöhlen, um durchaus
verfassungsgemäße Progressivität an ihrer
Entfaltung zu hindern und vor allem
Angehörige der nachwachsenden Generation einer radikaldemokratischen sozialistischen Bewegung einzuschüchtern bzw.
aus beruflichen oder politischen Funktionen herauszuhalten oder zu verdrängen.
Der Begriff der freiheitlich-demokratischen
Grundordnung wird von den Veranlassern
dieser neuen Sozialistenverfolgung auf verfassungswidrige Weise in ein Bekenntnis
zum kapitalistischen Wirtschaftssystem
umgefälscht. ‚Verfassungstreue‘ wird
uminterpretiert in ein Bekenntnis zu gegenwärtigen ökonomischen und politischen
Realitäten, die vom Grundgesetz her keineswegs als unabänderlich geschützt
sind.(…) Dieser Politik des Verfassungsbruchs muß jeder Demokrat entgegentreten.“ Genau so argumentierte manches
Berufsverbotsopfer. Verfassungswidrig findet den Ministerpräsidentenerlaß im Januar 1973 auch der frühere CDU-Landtagsabgeordnete und Bundesverfassungsrichter Herbert Scholtissek (er hatte am
KPD-Verbot mitgewirkt) und meint:
„Solange jedenfalls das Bundesverfassungsgericht die DKP nicht verboten hat,
ist die Nicht-Zulassung von Mitgliedern
dieser Partei zu öffentlichen Ämtern eine
Verletzung des Grundgesetzes.“
Betroffen auch Reformpolitik
„Schon wieder einen erwischt“, Zeichnung von Guido Zingerl (aus: Zingerl „Politische
Karikaturen“, Fischerhude)
Als auch Herbert Wehner im Februar
1973 Unbehagen verspürt und den Ministerpräsidentenbeschluß „etwas unscharf“
formuliert findet,„…als gäbe es Organisationen, die im Widerspruch zum Grundgesetz sehr wohl vom Dienstherrn, nicht
aber vom Bundesverfassungsgericht für
verfassungswidrig angesehen werden
könnten…“, ist es bereits zu spät. Denn nun
ist eingetroffen, was das Präsidium der
DKP schon am 19. Januar 1972 in seinem
Protest gegen den erwarteten Ministerpräsidentenbeschluß voraussagte: „Wo derartiges gegen die Kommunisten praktiziert
wird, stehen die Grundrechte aller auf dem
Spiel, die es nicht hinnehmen wollen, daß
die bestehende Herrschaft des Großkapitals
über Staat, Wirtschaft und Gesellschaft die
einzig verfassungsmäßige Ordnung sein
soll. Täusche sich niemand damit, daß es
angeblich nur gegen kommunistische Lehrer und Hochschullehrer gehe. Was bei
ihnen beginnt, ist eine Kette ohne Ende, die
alle treffen soll, die dem Großkapital unbequem sind.“ „Denn Antikommunismus,“ so
warnt auch der Bundesvorstand der Jungsozialisten am 24. Januar 1972, „zielt
zugleich auch immer auf Antisozialismus
und trifft schon die Ansätze von Reformpolitik.“
Gesinnung unter der Lupe
Der unter SPD-Mitverantwortung
geschaffene Ministerpräsidentenbeschluß
war für die SPD, die ihn gegen Kommunisten praktizierte, selber zum Bumerang
geworden. Die Führung von CDU und
CSU, die laut dem Bundestagsfraktionsvorsitzenden Rainer Barzel bei ihrem
Kampf gegen die Mini-Prozent-Partei DKP
sogar zur Grundgesetzänderung bereit war
(18.1.72), hatte die Bürokratie der von ihr
regierten Bundesländer zur Jagd auf die
„Verfassungsfeinde“ ermuntert, worunter
sie neben Kommunisten auch Sozialdemokraten (z.B. die Juristin Charlotte Nieß,
die später in Nordrhein-Westfalen eingestellt wurde), engagierte Gewerkschafter
(z.B. den Lehrer und GEW-Funktionär
Rüdiger Offergeld (3)) und kritische, unangepaßte Parteilose verstand. In sogenannten „Anhörungen“ – faktisch waren das
Verhöre, in denen die Beweislast beim Verhörten lag – wurde die Gesinnung der
Betroffenen unter die Lupe genommen.
Demokratische Inquisition
Die Gedächtnisprotokolle späterer Verhöre, beispielsweise des Christen und parteilosen Kriegsdienstgegners Hans Heinrich Häberlein in Mittelfranken, des parteilosen Kriegsdienstgegners Manfred
Lehner in Augsburg, des SHB-Mitglieds
Gerhard Bitterwolf in Mittelfranken und
anderer LehrerInnen tragen, was das Verhalten der Verhörenden und ihre Verhörtechnik angeht, deutliche Züge mittelalterlicher Inquisition (4). Hier nützte es dem
Bewerber nichts, wenn er in überzeugender
Weise seine Treue zum Grundgesetz klarmachte – die Inquisitoren wollten sich einfach nicht überzeugen lassen. Hier ging es
auch nicht mehr darum, ob er Kommunist,
Prokommunist, „kommunistisch gesteuert“
oder „kommunistisch beeinflußt“ war – es
genügte schon, wie im Fall Häberlein,
wenn er den ihm verordneten platten Anti-
schaftlichen Betrieben (6), die ihre demokratischen Rechte wahrnehmen wollten.
Eine Reihe von Grundrechten und anderen
Bestimmungen des Grundgesetzes war
außer Kraft gesetzt. Der „Radikalenerlaß“
hatte zum Demokratieverbot geführt.
Die Praxis
Eine Lawine war losgetreten worden, die
sich nicht mehr aufhalten ließ. Als 1975 gar
das Bundesverfassungsgericht von seinen
früheren Urteilen abrückte und dem rein
politischen Begriff der „Verfassungsfeindlichkeit“ seinen juristischen Segen gab
(7), hatte sich das Ausnahmeprinzip der
„wehrhaften Demokratie“ in ein alltägliches Instrument zur Disziplinierung von
Demokraten, die das Grundgesetz ernstnahmen, verwandelt. Jetzt konnte jeder
Vorgesetzte, der wollte, Verfassungsgericht
spielen und jemanden öffentlich als „Verfassungsfeind“ verurteilen. Und der
Geheimdienst muß bei seiner „Amtshilfe“
sehr fleißig gewesen sein. Seine „Erkenntnisse“ zur „Verfassungsfeindlichkeit“ sind
vielfältig und umfassen unter anderem Reisen in die DDR, Teilnahme an Demonstrationen gegen den Vietnamkrieg und den
Springerkonzern, Unterzeichnung eines
Flugblatts gegen die Diktatur in Chile, Artikel gegen die Notstandsgesetze, Aktivitäten in einer Bürgerinitiative gegen Berufsverbote, Unterstützung einer von Berufsverbot betroffenen Kollegin. Und
manchmal soll ein Pechvogel nur zufällig
vor dem falschen, nämlich auch von Kommunisten besuchten Lokal geparkt haben –
auch er landete in den Akten. Wen wundert
es, wenn Studenten, wie oben beschrieben,
sich dem staatlichen Druck unterwarfen
und eher schwiegen, als ihre Zukunft aufs
Spiel zu setzen?
Warum kein DKP-Verbot?
Als Willy Brandt 1976 den von ihm mitzuverantwortenden
Erlaß
von1972
reumütig als „Irrtum“ bezeichnete, hatte der
Protest im Ausland einen ersten Höhepunkt
erreicht. Die europäischen Nachbarländer
hatten den Begriff „Berufsverbot“ als
Lehnwort in ihre Sprachen übernommen,
befürchteten aber, daß diesem Wortexport
auch noch die Praxis folgen könne. Unangenehme Erinnerungen an die deutsche
Geschichte wurden wach, alte Ressentiments gegen Deutsche geweckt. Ohnehin
stand die BRD in Westeuropa ziemlich einzigartig da mit der Politik von Bundesregierung und Bundesländern, eine kommunistische Partei zwar nicht zu verbieten,
aber ihre Mitglieder, selbst wenn sie als
demokratisch gewählte Volksvertreter in
den kommunalen Parlamenten saßen,
außerhalb der Verfassung zu stellen und die
Vernichtung ihrer beruflichen Existenz zu
betreiben. Und ein Verbot der DKP und
anderer linker Parteien kam auf keinen Fall
in Frage, damit hätte man sich auf Pinochet-Niveau begeben.
☛
Fortsetzung Seite 7
5 . Kalenderwoche - Seite 7
☛
Fortsetzung von Seite 6
UNO mahnt
Der Protest im Ausland war sicher ein
wesentlicher Grund dafür, daß in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre die Zahl der
Berufsverbote etwas und in den achtzigern
dann noch mehr zurückging, bis schließlich, gegen Ende der achtziger Jahre, die
Politik der Berufsverbote kaum noch eine
Rolle spielte. Seit 1978 waren rund zwanzig gegen die Berufsverbote in der BRD
gerichtete Resolutionen vom Europaparlament angenommen worden, ihre Verabschiedung durch das EG-Parlament konnte auf Druck der Bundesregierung jedoch
verhindert werden. Auch verschiedene
Menschenrechts-Ausschüsse der UNO hatten sich mit dem bundesdeutschen Übel
beschäftigt. Im Februar 1987 war dann die
„Internationale Arbeitsorganisation“ (ILO),
eine Sonderorganisation der UNO, nach
gründlicher Untersuchung zu dem Schluß
gekommen, daß die Berufsverbotspraxis in
der Bundesrepublik Deutschland gegen die
Menschenrechte und entsprechende Völkerrechtsabkommen verstößt, und hatte die
79 Verringerung der Zahl der „Fälle“,
1979-83 „liberalisierte“ Verfahrensrichtlinien und in den SPD-regierten Bundesländern nur noch vereinzelte Berufsverbote,
zum Teil wohl auch unter dem Deckmantel der Rotstift-Politik und des Notendurchschnitts, ab 1983 jedoch Wiederaufnahme alter Verfahren auf Bundesebene
durch die konservativ-liberale Bundesregierung, massenhafte Überprüfungen bei
der Bundespost, indessen keine neuen
Berufsverbote in den SPD-regierten Ländern. (Der Hessische Landtag hat sich laut
Bethge/Holländer bereits Mitte der achtziger Jahre mit Mehrheit gegen Berufsverbote ausgesprochen. Bayern macht weiter). Insgesamt zählen sie im öffentlichen
Dienst 3,5 Millionen politische Überprüfungen, 35000 Mitteilungen des Geheimdienstes an die Einstellungsbehörden über
„Erkenntnisse“, 1250 Ablehnungen von
Bewerbern, 256 Entlassungen aus dem
Dienst und 2100 Disziplinarverfahren, dazu
noch einige tausend Anhörungen. „Die
meisten der rd. 10000 Berufsverbote und
Berufsverbotsmaßnahmen wurden nach
Protesten wieder zurückgenommen;
tatsächlich Bestand hatten ca. 1000.“
in den SPD-regierten Bundesländern im
Verhältnis zur Einwohnerzahl mehr Berufsverbote verhängt wurden als in den
CDU-regierten. Trotz dieser Tatsache und
der Verantwortung der SPD-Führung für
den Ministerpräsidentenbeschluß und seine Folgen überschätzt Histor jedoch die
negative Rolle „der SPD“, weil er die widersprüchliche politische Funktion dieser
in sich sehr heterogenen Partei nicht differenziert genug untersucht und die Rolle der
CDU/CSU nicht ausreichend beleuchtet.
Was wäre wenn?
Eine genaue Einschätzung der Geschichte der Berufsverbote, ihrer Ursachen, ihres
Ausmaßes und ihrer Folgen, wird erst möglich sein, wenn Staat und Geheimdienst ihre
Archive öffnen – ähnlich wie heute die
Archive der Stasi für die Öffentlichkeit freigegeben sind. Historiker sehen bereits jetzt
einen innenpolitischen Zusammenhang von
Hitlers „Gesetz zur Wiederherstellung des
Berufsbeamtentums“ (April 1933), dem
Adenauer-Erlaß von 1950, der Anstellung
ehemaliger Nazis im bundesdeutschen
Staatsapparat und der Verfolgung der west-
te die Geschichte einen anderen Verlauf
genommen, säße man heute über die
Berufsverbieter und ihre Helfershelfer zu
Gericht, und mancher wäre erschüttert,
bekäme er seine Akte mit gesammelten
„Erkenntnissen“ gegen ihn zu Gesicht.
Und wer ermißt…
… die Folgen der Berufsverbote für das
politische, wissenschaftliche und kulturelle
Leben unserer Demokratie? (12) „Denn das
Schlimmste an der Praxis der Berufsverbote ist die Verunsicherung der Menschen,
der ausgeübte Zwang zur Anpassung, die
Erziehung zum Duckmäusertum, die Heranzüchtung von Denunzianten, die wachsende Polizeistaatlichkeit.“ So Bernt Engelmann, und meint weiter: „Mit alledem ist
die Bundesrepublik Deutschland weit hinter das Wilhelminische Regime zurückgegangen, in manchem noch hinter das
‚System Metternich‘ und die ‚Karlsbader
Beschlüsse‘!“ (13)
Artur Rümmler
in Sachen „Radikalenerlaß“
Verantwortlichen gemahnt, diese Praxis
einzustellen (8). Die Bundesregierung
jedoch zeigte sich uneinsichtig und reagierte mit windigen Ausreden, wollte aber
auch nicht mit dem Streitfall vor den Internationalen Gerichtshof (IGH) in Den Haag,
die nächsthöhere Instanz, gehen, wo sie mit
ziemlicher Sicherheit eine Niederlage erlitten hätte. Immerhin aber stand sie in der
Pflicht, der ILO einen entsprechenden
Bericht über ihre Praxis abzuliefern.
Zwanzig Jahre Berufsverbote
Horst Bethge und Hannes Holländer (9)
von der Initiative „Weg mit den Berufsverboten“ unterscheiden in ihrem Rückblick 1987 folgende vier Etappen der
Berufsverbotspraxis: 1972-75 massenweise
Überprüfungen und Berufsverbote, 1975-
✱
Neofaschisten wurden geschont
Zu der Zahl von 2115 „Verfassungsbrüchen“ (Berufsverbote, Staatsdienstverbote und politische Verfolgung) gelangen Manfred Histor (Pseudonym) und die
Freiburger Bürgerinitiative gegen Berufsverbote (10) bei der gründlichen Auswertung ihres umfangreichen Archivs. Ihre Statistiken weisen die DKP mit Abstand als die
am stärksten betroffene Partei aus (41,4 %),
es folgen die K-Gruppen mit 14,4 %. Daß
der „Radikalenerlaß“ in alter deutscher Tradition fast nur gegen die Linke angewendet
wurde, während die Neofaschisten und ihr
Umfeld geschont bzw. in Einzelfällen gar
noch befördert wurden, ist aus den Unterlagen schnell ersichtlich und wurde von
offizieller Seite auch nie dementiert. Histor
macht die überraschende Feststellung, daß
deutschen Friedensbewegung in den fünfziger Jahren, dem KPD-Verbot 1956 und
der anschließenden Kommunistenverfolgung (11) bis zu den Notstandsgesetzen und
der außerparlamentarischen Opposition
(APO). Vielleicht ist der Ministerpräsidentenbeschluß auch der Preis, den man
uns im außerordentlich heißen Wahljahr
1972 zahlen ließ für die außenpolitisch
bahnbrechenden, der Entspannung dienenden Verträge mit der UdSSR und Polen
(1970) und der DDR (1971 und 1972).
Doch läßt sich damit nicht die tausendfache Vernichtung beruflicher Existenz
rechtfertigen, die Vielzahl menschlicher
Tragödien, seelischer und körperlicher
Zerrüttung. Wer entschädigt heute, nach
dem Ende des kalten Krieges, die Berufsverbotsopfer für das, was sie erlitten ? Hät-
Literatur zu den Berufsverboten
1) Deutsche Gesellschaft für Verhaltenstherapie (DGVT): Berufsverbote in der Bundesrepublik Deutschland. Bericht der Kommission
„Berufsverbote“ über Betroffene, psychische
Folgen und Auswirkungen auf die psychosoziale Versorgung. Tübingen 1978, S. 24.
2) Sämtliche Proteste zitiert nach:
Knirsch/Nagel u.a. (Hrsg.): „Radikale“ im
öffentlichen Dienst. Eine Dokumentation. Mit
einem Vorwort von Dieter Schmidt (GEW).
Frankfurt/M 1973
(Fischer-Taschenbuch Nr.1405).
3) Frank von Auer (Hrsg.): Der Fall Offergeld.
Dokumentation des Konflikts zwischen Bayerns Kultusminister und einem gewerkschaftlich engagierten Lehrer. Frankfurt/M 1974
(Fischer-Taschenbuch Nr. 1583).
4) Vgl. Hans Peter de Lorent (Hrsg.): Bin ich
ein Verfassungsfeind ? Zur Person: Berufsverbot - Betroffene haben das Wort. Frankfurt/M
1977. - Siehe auch die Kurzbiographien der
Berufsverbotsopfer in: Dress/Jansen u.a.
(Hrsg.): Wir Verfassungsfeinde. Köln 1977.
5) Bernt Engelmann: Trotz alledem. Deutsche
Radikale 1777-1977. Reinbek bei Hamburg
1979, S. 299 f.
(Rowohlt-Taschenbuch Nr. 7194)
6) Vgl. Horst Bethge/Erich Roßmann (Hrsg.):
Der Kampf gegen das Berufsverbot. Dokumentation der Fälle und des Widerstands.
Köln 1973.
7) Vgl. auch Gerhard Stuby: Das Urteil des
Bundesverfassungsgerichts - ein reaktionärer
Kahlschlag; in: Horst Bethge/Richard Bünemann u.a. (Hrsg.): Die Zerstörung der Demokratie in der BRD durch Berufsverbote. Köln 2.
Aufl. 1976, S. 231-250.
8) Vgl. Klaus Dammann/Erwin Siemantel
(Hrsg.): Berufsverbote und Menschenrechte in
der Bundesrepublik. Köln 1987.
9) Bethge/Holländer: Das bisherige Ausmaß
der Berufsverbotspolitik und ihre neueren Tendenzen; in: Dammann/Siemantel, S. 24-30.
10) Manfred Histor: Willy Brandts vergessene
Opfer. Geschichte und Statistik der politisch
motivierten Berufsverbote in Westdeutschland
1971-1988.Freiburg 1989.
11) Alexander von Brünneck: Politische Justiz
gegen Kommunisten in der BRD 1949-1968.
Vorwort von Erhard Denninger.
Frankfurt/M 1978 (edition suhrkamp 944).
„Verfassungsrechtlich überprüft“ (Zeichnung von Renate Herter aus:„Wir Verfassungsfeinde“, Pahl-Rugenstein 1977)
12) Der Versuch einer ersten Bestandsaufnahme in Bethge/Bünemann (Hrsg), s. Anm. 7
13) Engelmann, Trotz alledem, S. 300.
Der verwaltete Völkermord
Am 20.1.1942, vor 50 Jahren, fand die
Wannseekonferenz statt, auf der nur ein
Thema behandelt wurde: mit welchen Mitteln und mit welcher Methode möglichst
schnell möglichst viele Juden ermordet werden können. Eingeladen in die schloßähnliche Villa am Berliner Großen Wannsee,
hatte der Chef des Reichssicherheitshauptamtes, SS-Obergruppenführer Reinhard
Heydrich. Erschienen waren 14 Staatssekretäre und hohe SS-Führer, die nicht (wie
fälschlicherweise heute noch behauptet
wird) die Vernichtung der Juden Europas
beschließen sollten, denn dazu wäre diese
Runde trotz ihres Einflusses nicht befugt
gewesen.
Morde in Massengräbern
Schon Wochen vor dem Überfall auf die
Sowjetunion lag der Beschluß, die Juden
Europas zu ermorden, vor und war Richtschnur für die grauenhaften Verbrechen, die
auf dem eroberten Boden der Sowjetunion
an den Juden begangen wurden. Hinter den
Wehrmachtsverbänden hatten die Einsatzgruppen der SS und Sonderkommandos der
Polizei sofort ihre blutige Arbeit begonnen.
Dabei wurden sie auch unterstützt von Überläufern, die sich freiwillig der SS anboten.
In eiligst ausgehobenen Massengräbern
mußten sich die zum Tod bestimmten Menschen reihenweise nackt aufeinander legen
und wurden ohne Unterschied des Alters
und Geschlechts mit Schnellfeuergewehren
vom Grubenrand aus erschossen. Zeugenaussagen bei den Nürnberger Kriegsverbrecherprozessen gegen die Hauptschuldigen und die SS im besonderen schilderten
auf das Genaueste die Vorbereitungen und
den Ablauf dieser Exekutionen.
Weg in die Gaskammern
Am Wannsee wurde über die erforderliche Koordination der an der Judenvernichtung beteiligten Instanzen, Organisationen
und Personen beraten, mit dem Ziel, eine
effektive Zusammenarbeit aller an der Ausrottung der europäischen Juden Beteiligten
zu erreichen. Diese Schreibtischmörder erarbeiteten Pläne über die Reihenfolge des Vorgehens und die Einflußnahme auf Verbündete und Satellitenstaaten, damit diese zum
geforderten Zeitpunkt ihre Juden ausliefer-
Wannseekonferenz: Schreibtischmörder bereiteten Wege in die Gaskammern
ten. Sollten sich dabei Widerstände oder
Verweigerungen ergeben, so würden Druck
und Gewalt nicht ausgeschlossen. Zu diesen
Ländern gehörten beispielsweise Ungarn,
Griechenland und Italien. Den Interventionen der Judenmörder in Verbindung mit der
reichsdeutschen Diplomatie gelang es, jeden
Widerstand zu brechen. In Ungarn konnten
die Deportationen zwar bis 1944 verhindert
werden, aber in der Endphase des Krieges
mußten noch 200.000 ungarische Juden den
Weg in die Gaskammern antreten.
Mit bürokratischer Akribie erörterten sie
die Frage, ob die bisher gültige Grenzlinie
zwischen den am meisten verfolgten Juden
und den in Abstufungen gleichfalls immer
stärker schikanierten Halb- und Vierteljuden, wie sie nach der Globke- und Stuckart’schen Skala bezeichnet wurden, nicht
aufgehoben werden sollte.
Schutz des deutschen Blutes
Die gesetzlichen Grundlagen der Judenvernichtung waren die am 15.9.1935 auf
einem Parteitag der NSDAP in Nürnberg
und dem gleichzeitig dort tagenden Reichstag beschlossenen Gesetze. Sie gliederten
sich in einzelne Abschnitte, wie das Reichsbürgergesetz, das Gesetz zum Schutz des
deutschen Blutes und das Gesetz zum
Schutz des deutschen Erbgutes.
Als wesentliche Mitgestalter dieser Verordnungen und eines erklärenden Kommentars waren verantwortlich: Der Staatssekretär Dr. Stuckart und der Oberregierungsrat Dr. Hans Globke. Sie waren auch
federführend bei den Bestimmungen, wie
z.B. die sichtbare Kennzeichnung „Jude“
oder den Eintrag der Vornamen im Personalausweis „Sara“ und „Israel“. – Dr. Hans
Maria Globke war Staatssekretär im Bundeskanzleramt unter Konrad Adenauer bis
zum Juli 1963.
SS-Schergen und Ministeriale
Die Vorschläge der Wannsee-Konferenz
waren auf eine weitere Verschärfung der
Verfolgungen gerichtet und wurden Hitler
zur Genehmigung unterbreitet. Sobald dieser seine Zustimmung erteilt hatte, sollten
die Juden, die bisher dem Tod und der
Deportation entgangen waren, sterilisiert
werden oder den Weg in die Gaskammer
gehen, dies betraf nur die Halb- und Vier-
teljuden. Da Hitler immer noch an den Endsieg glaubte, traf er keine definitive Entscheidung. Während dieser Konferenz rollten die Güterzüge aus den Ghettos der
besetzten Länder weiter in die Vernichtungslager, denn die mit der Organisation
beauftragten Entscheidungsträger, z.B.
Reichsbahnbeamte, taten weiter ihre
„Pflicht“. Es ist heute unvorstellbar, daß
Menschen, die sich einer gehobenen Bildung rühmten, auf solch ein moralisches
Niveau absinken konnten und mit geschäftsmäßiger Routine den Mord an Millionen
Juden nicht nur billigten, sondern alles taten,
um ihn zu ermöglichen. In Wannsee waren
nicht nur SS-Schergen wie Eichmann und
seine Helfershelfer anwesend, sondern auch
Vertreter von Ministerien, die ganz andere
Aufgaben wahrzunehmen hatten.
Heute erscheint es unverständlich, daß der
millionenfache Mord damals wie ein
gewöhnlicher Verwaltungsakt behandelt
wurde. Was dachten sich die vielen großen
und kleinen Helfer, wenn 70 bis 80 Personen, Männer, Frauen und Kinder jeden
Alters, in einem Güterwagen ohne Toilette,
✱
medizinische Betreuung und ausreichende
Ernährung auf eine tagelange Reise
geschickt wurden? Mit dem Schließen der
Waggontüren waren sie als Menschen nicht
mehr existent. Wußten es diese so gut funktionierenden Täter, daß ihr Frachtgut, wenn
es den Transport überlebte, der Tod in den
Gaskammern erwartete? Oder wollten sie es
gar? Das Elend und der Tod vieler Menschen bereits auf dem Transport konnten
ihnen nicht verborgen geblieben sein.
Ungestrafte Richter
Ein halbes Jahrhundert danach wird das
Haus am Großen Wannsee Nr. 56 - 58 die
Gedenkstätte für den Völkermord an Juden,
sie soll an die Konferenz und ihre Folgen
erinnern. 50 Jahre mußten vergehen, um das
zu erreichen, dafür kann es keine Entschuldigung geben, denn die Vorgeschichte einschließlich der Diskussionen verantwortlicher Berliner und Bundespolitiker
bestätigen, daß die Vergangenheit, die Konferenz und der Ort, in Vergessenheit geraten sollte – die Villa sollte abgerissen werden. Warum auch nicht, es wurde doch so
viel Unrecht verdrängt und vergessen. Darüber können auch die Gedenkreden und
Schuldbekenntnisse nicht hinwegtäuschen.
Die Täter blieben größtenteils ungeschoren
und konnten aus „rechtsstaatlichen“ Gründen nicht haftbar gemacht werden. Den
besten Beweis lieferte die Justiz, die keinen
einzigen Richter oder Staatsanwalt, der im
Nazistaat „Recht“ sprach, zur Verantwortung zog.
Wird diese Gedenkstätte dazu beitragen,
daß Gewalt, Haß und Angriffe z.B. gegen
Ausländer und Asylsuchende, wie das derzeit geschieht, unterbleiben, oder muß diese Villa am Wannsee von Polizeikräften
geschützt werden wie so viele Mahnmale,
die an die faschistische Gewaltherrschaft
erinnern? Im Interesse aller Bürger dieses
Landes hoffen wir, daß die Nachgeborenen,
d. h. die Generationen, die ohne diese
Schuld sind, an der Schwelle zu einem neuen Jahrtausend sich jener Verbrechen, die
zwischen 1941 und 1945 an den europäischen Juden begangen wurden, bewußt bleiben.
Philipp Benz
5. Kalenderwoche - Seite 8
Nachdruck
in der letzten Ausgabe hatten wir den u.a. Artikel auf die Seiten 8 und 9 gesetzt. Ein uns bis dahin unbekannter Software-Fehler unterbrach die Textkette, sodaß der Artikel auf der zweiten Seite einfach wieder von vorn anfing. Wir bitten um Entschuldigung und drucken
den vollstädigen Text noch einmal. Es ist der Tribut, den wir für unsere hochmoderne, noch wenig sichere Technik zahlen müssen, aber
ohne die gäbe es keine „Zeitung für Darmstadt“. Die Redaktion
Menschenrechte als Waffe
Die Sieger
auf der Anklagebank
Die Stuttgarter Versammlung verabschiedete eine Resolution an die UNO, in
der die Beibehaltung des Waffenboykotts,
aber die Aufhebung des Lebensmittelboykotts gefordert wurde. Ursula Jungmann
von „amnesty international“ erläuterte, wie
die Menschenrechtsverletzungen in Kuweit
benutzt wurden zur Herstellung eines
Feindbildes und zur Rechtfertigung der
Bombardierung Iraks; dadurch seien die
Menschenrechte selber zur Waffe geworden. Daß nicht nur der Ökoterrorist Saddam, sondern auch die Alliierten ökologische Kriegsverbrechen begingen, skizzierte
der Bonner Ökologe Olaf Achilles.
Bundesweite Anhörung zum Golfkrieg –
Aufklärung über Kriegsverbrechen
UNO: Objekt der USA
von 12 Milliarden Dollar in Aussicht. Nach
der folgenschweren Abstimmung im UNOSicherheitsrat über die Resolution 678, die
einem militärischen „Blankoscheck“ für die
US-Administration gleichkam, zahlten die
USA einen Teil ihrer Schulden, nämlich
187 Millionen Dollar, in die Kasse der
finanzschwachen UNO. Der Jemen hingegen, der es gewagt hatte, im UNOSicherheitsrat mit Nein zu stimmen, bekam
die harte Hand des nordamerikanischen
Weltgendarmen zu spüren: er wurde mit
dem Entzug der US-Wirtschaftshilfe von
rund 180 Millionen Dollar bestraft.
UNO: Werkzeug des Krieges
Die Opfer klagen an. Szene aus dem Stück „Feuer“, das den Golfkrieg und seine Folgen als Verbrechen anklagt. Gespielt vom Bread &Puppet
Theatre, es gehört seit den 60er Jahren zur Anti-Kriegs-Bewegung der USA. Auch bei der Aufführung im Stuttgarter Hospitalhof bestand die Mehrheit der Theatergruppe aus Freiwilligen vor Ort, die in einem Schnellkurs zu DarstellerInnen ausgebildet worden waren.
(Foto: ar)
G
estern die Bomben, heute der Tod.
Als der Golfkrieg vorbei war,
begann das zweite große Sterben
der irakischen Bevölkerung. Wem nützte
dieser Krieg? Wem zu nützen gab er vor?
Wie wurde er geführt? Von wem? Warum?
Eine bundesweite Anhörung zu den Kriegsverbrechen während des Golfkriegs lieferte
erregende Antworten auf diese Fragen. Da
weder UNO, EG noch nationale Regie-
Anklage wird erhoben
gegen:
George Bush,
Dan Quayle,
James Baker,
Dick Cheney,
William Webster,
Colin Powell,
Norman Schwarzkopf u.a.
wegen
Verbrechen gegen den
Frieden, Kriegsverbrechen,
Verbrechen gegen
die Menschlichkeit
und andere kriminelle
Vergehen, sowie wegen
Verletzung der Charta
der Vereinten Nationen,
internationalen Rechts
und der Verfassung
der Vereinigten Staaten
rungen oder sonst eine offizielle politische
Instanz diesen „sauberen“ und „gerechten“
Krieg in Frage stellen, weil sie ihn unterstützten, müssen das die BürgerInnen selber tun. AugenzeugInnen, ExpertInnen und
WissenschaftlerInnen hatte die Tübinger
Gesellschaft „Kultur des Friedens“ nach
Stuttgart eingeladen. In einer Stadt, die die
Kommandozentrale der US-Streitkräfte in
Europa (EUCOM) beherbergt und von
deren Bahnhofsgebäude ein stolz aufragender Mercedes-Stern bläulich in die
Nacht hinaus strahlt, wird man nicht gerade hofiert, will man mit dem Licht der kritischen Vernunft das von Staat und Medien verordnete Informationsdunkel erhellen,
die Hintergründe des Golfkriegs ausleuchten. Zugesagte Konferenzräume
waren plötzlich nicht mehr zu haben, weil
manchen das Tagungsthema zu heiß
erschien. Schließlich fand man als
Tagungsort den evangelischen Hospitalhof,
und rund 500 TeilnehmerInnen waren
gekommen.
Was sie hörten, ließ alle unter die Leute gestreuten glorreichen Legenden zerplatzen wie schillernde Seifenblasen. Die
Verbrechen Saddam Husseins vor und
während des Golfkriegs sind ja ausreichend
bekannt geworden, doch über die Kriegsverbrechen der Alliierten, speziell der USA,
hatte die internationale und nationale Zensur und Selbstzensur den Mantel des
Schweigens gelegt, und nur gelegentlich
und ansatzweise war in unseren Medien
etwas durchgesickert. In Stuttgart wurde
jetzt all das zusammengetragen, was innerhalb dieses Jahres an Vorwürfen gegenüber den Alliierten geäußert worden war.
Hauptredner war Ramsey Clark, ehemaliger US-Justizminister unter Präsident Johnson in den sechziger Jahren. Bereits im
Frühjahr hatte Clark eine Kommission zur
Untersuchung der US-Kriegsverbrechen
ins Leben gerufen. Seitdem gab es auf
Initiative Clarks Dutzende von Anhörun-
gen auf mehreren Kontinenten, Vorstufe
zum abschließenden „International War
Crimes Tribunal“ Ende Februar 1992 in
New York oder Washington.
Für Ramsey Clark gibt es genügende,
bis ins Jahr 1988 zurückreichende Beweise dafür, daß der Golfkrieg von den USA
schon lange vorher geplant war. So zum
Beispiel habe man im Sommer 1990 die
entsprechenden
computergestützten
Kriegssimulationen durchgeführt; Saddam
sei von der US-Administration zur Besetzung Kuweits ermuntert worden. Der USÜberfall auf Panama 1989 habe viermal
soviel Menschenleben gekostet wie Saddams Überfall auf Kuweit. US-Präsident
Bush habe zwischen dem 2. August 1990
und dem 17. Januar 1991 jeden Dialog mit
Saddam abgelehnt und alle Versuche unterbunden, seinen militärischen Angriffsplan
gegen den Irak zu Fall zu bringen. Clark
wirft der US-Regierung außerdem vor, die
Stimmen im UNO-Sicherheitsrat für den
Krieg gekauft zu haben. Mit dieser These
steht Clark nicht allein. Bereits unmittelbar
vor dem Beginn des Golfkriegs, am
16.1.91, stellte der Abgeordnete Henry B.
Gonzalez im US-Kongreß einen Antrag auf
Amtsenthebung des US-Präsidenten wegen
Verletzung der US-Verfassung und der
UNO-Charta durch Bestechung des Sicherheitsrates, Unterdrucksetzen und Einschüchterung seiner Mitglieder. In seiner
Kongreß-Rede, teilabgedruckt im Reader
zur Vorbereitung der Stuttgarter Anhörung,
sagt Gonzalez, was die Stimmen der
Sicherheitsratsmitglieder gekostet haben:
Der Sowjetunion wurden für das Ja zum
Krieg 7 Milliarden Dollar versprochen,
China für die Enthaltung und den Verzicht
auf das Veto ein Darlehen von 140 Millionen Dollar. Die Schulden Ägyptens wurden um 7 Milliarden Dollar reduziert,
Kolumbien wurden Militärhilfe und ein
teilweiser Schuldenerlaß versprochen, Saudi-Arabien stellte man eine Waffenhilfe
gegen den Irak einzusetzen. Andere Redner, so etwa der Europaratsabgeordnete
Paul Staes, sahen im Embargo den
unmenschlichen und völkerrechtswidrigen
Versuch,das leidende irakische Volk zu
einem Aufstand gegen seinen Diktator zu
benutzen.
Und die Konsequenz für Clark? Da er die
UNO, entgegen ihrer friedenssichernden
Aufgabe, durch Bestechung und Zwang
zum willfährigen „Werkzeug des Krieges
und auch der Kriegsverbrechen“ gewandelt
sieht, plädiert er für die Abschaffung des
Sicherheitsrats, die Verstärkung der Rechte kleiner Staaten und die Einrichtung einer
permanenten UNO-Kommission für
Kriegsverbrechen. Während des Golfkriegs
hielt sich Clark zeitweise im Irak auf und
konnte die gezielten Bombardements der
Infrastruktur und ziviler Gebäude, auch vieler Kirchen, beobachten. Der Golfkrieg sei
eigentlich kein Krieg gewesen, sondern ein
einseitiges „Abschlachten“, „der Einsatz
von technologischem Material, um ein verteidigungsunfähiges Land zu zerstören“.
Insgesamt 19 Punkte umfaßt die Anklageschrift Clarks. Sie wurden in Stuttgart
von den RednerInnen unterstützt und
belegt. Wenn Folter die totale Unterlegenheit des Gegners voraussetzt, so der
norwegische Friedensforscher Johan Galtung, dann war der Golfkrieg kein Krieg,
sondern die „Folter“ der wehrlosen irakischen Bevölkerung. Ein Arzt berichtete mit
tiefer Betroffenheit von einem irakischen
Jungen, der zur Zeit in einem Bochumer
Krankenhaus liegt; eine von den US-Amerikanern abgeworfene Spielzeugbombe
habe dem Jungen die Hand und einen Teil
des Bauchs abgerissen.
Beginn des in der 25. Ausgabe
abgebrochenen Textes
Ein erschütterndes Bild der Kriegsfolgen
im zerstörten Irak zeichnete der Bitburger
Arzt Detlef Enge-Bastien von den „Internationalen Ärzten für die Verhütung des
Atomkriegs“ (IPPNW), der sich zwischen
Januar und Juli 1991 vier Monate lang im
Irak engagiert hatte. Nach der gezielten
Bombardierung fehle es an Strom und
unverseuchtem Wasser. Durch das auf
Druck der USA von der UNO verhängte
und immer noch bestehende Embargo
gelangten weder Medizin noch Lebensmittel ins Land. „Tausende von Kindern
sind unter unseren Händen gestorben“. Sie
starben an Durchfall oder Typhus und
sahen aus „wie kleine, vertrocknete Mumien“.
Babymilch gebe es nur auf dem
Schwarzmarkt und koste fast das Monatsgehalt eines Chirurgen, nur Reiche könnten sich das leisten. Die Kindersterblichkeit
im Irak habe sich etwa vervierfacht. Ohne
die Hilfe des Auslands sei der Tod Hunderttausender von Kindern und Erwachsenen vorprogrammiert. Enge-Bastien forderte die Bundesregierung „im Namen der
Menschenrechte und auch der christlichen
Nächstenliebe“ auf, sich für die „sofortige
Aufhebung des faktischen Totalembargos“
Den Verstoß des UNO-Sicherheitsrats
gegen die UNO-Satzung und die Völkerrechtswidrigkeit des Golfkriegs belegte eindrucksvoll der Hamburger Völkerrechtler
Norman Paech, im Reader assistiert von
Dieter Deisenroth (Richter am Bundesverfassungsgericht), von Bernd Hahnfeldt
(Richter in Hamburg) und dem durch
Krankheit verhinderten Darmstädter
Schriftsteller Heinrich Schirmbeck. Der
UNO-Sicherheitsrat, so Paech, habe „sich
den USA widerstandslos unterworfen“, die
USA seien mit dem Sicherheitsrat „Schlitten gefahren“, indem sie das Oberkommando während des Golfkriegs behielten
und jedes Zusammentreffen des Sicherheitsrats blockierten. Nie würde die UNO
gegen die USA wegen des Überfalls auf
Grenada und Panama oder gegen Israel
wegen Palästina militärisch vorgehen. Wilfried Telkämper, grüner Vizepräsident des
Europaparlaments, beschrieb die Haltung
der EG, die sich nach anfänglichem Zögern
der Kriegspolitik der USA angeschlossen
habe, weil sie ganz ähnliche Interessen verfolge. Übrigens wurde kurz nach dem Stuttgarter Hearing bekannt, daß die Kölner
Generalstaatsanwaltschaft Telkämper mit
einem Antrag auf Aufhebung seiner parlamentarischen Immunität und anschließender Strafverfolgung bedroht, weil
er am 14. Januar 1991 im Bonner Bundestag von der Tribüne „störende“ Flugblätter
geworfen habe, die gegen den unmittelbar
bevorstehenden Golfkrieg protestierten und
zur Unterstützung von Kriegsdienstverweigerern aufriefen.
Hermann Scheer (MdB-SPD) nahm die
Bonner Regierung unter die Lupe. Warum
hat sie 18 Milliarden Mark für diesen Krieg
bezahlt? Um ihre eigene Mitverantwortung
an der Aufrüstung des Irak „zuzubomben“,
um nach dem Zerfall des Warschauer Pakts
eine Rechtfertigung für NATO und andere Militärbündnisse zu finden. Auch Scheer
warnte, wie Clark, nachdrücklich vor einer
neuen Militarisierung des Denkens. Als
wichtigen Schritt zur Entmilitarisierung
betrachtet der Friedensforscher Alfred
Mechtersheimer (Friedenskomitee 2000)
die „internationalistische“ Forderung: „Alle
Truppen nach Hause, egal wo!“ Eine Frau
aus der Saarbrücker Friedensbewegung
berichtete, wie die Bundesregierung im
Frühjahr 1991 sich weigerte, für zehn Tonnen Medizin nach dem Irak Transporthilfe zu leisten, wie sie im Gegenteil diesem
Transport, als er privat organisiert wurde,
bürokratische Hindernisse in den Weg stellte.
Schaltstelle EUCOM
Eine Aktivistin von der Mahnwache vor
der EUCOM beschrieb die Funktion dieser
Zentrale: 95 % der Lufttransporte, 85 % der
Seetransporte und 90 % aller im Golfkrieg
eingesetzten Kampfflugzeuge wurden von
hier aus gesteuert. Und das von deutschem
Boden aus! Wie sich das wohl mit Art. 26
Absatz 1 Grundgesetz (Verbot der Vorbereitung eines Angriffskriegs) verträgt?
Überhaupt nicht, so die Göttinger GRÜNEN in ihrem Beitrag im Reader; sie sehen
durch die finanzielle und logistische
Kriegsunterstützung der Bundesregierung
wie auch durch die Verlegung von Luftwaffeneinheiten der Bundeswehr in die
Türkei den Tatbestand von § 80 StGB
erfüllt. Gibt es keinen deutschen Ramsey
Clark, der da die Initiative ergreifen könnte? – Alles in allem: brisantes Material für
das Kriegsverbrecher-Tribunal am 29.
Februar 1992.
Artur Rümmler
5 . Kalenderwoche - Seite 9
Briefe an die Redaktion
Betrogene VerbraucherInnen
In Deutschland schärfste Kontrollen
ZDF recherchiert über Produkte unter dem
Qualitätssiegel: „Ökologisch kontrolliert“
Peter Förster bezieht Stellung zu ZDF-Sendung „Die Bio-Lüge“
Gelegentlich bemüht sich sogar das ZDF
noch um gut recherchierte Sendungen: Eine
davon lief am 22.1. über die Mattscheibe
unter dem Titel „Die Biolüge“. Die Journalisten waren Gerüchten nachgegangen,
die von sogenanntem „ökologisch kontrollierten Anbau“ mit Gütesiegel von
„Demeter“ behauptet hatten, gegen die
Bestimmungen für ökologisch kontrollierten Anbau werde immer wieder verstoßen. Was die Journalisten dabei ans
Tageslicht förderten, ist spannend wie ein
Kriminalroman.
Es scheint üblich zu sein im Öko-Handel, daß in der Werbung anderes steht, als
in der Ware selbst enthalten ist, resumierten die Filmer und brachten weitere Beispiele. Der Suppenwürze- und BrühwürfelFabrikant „Rapunzel“ warnt in einer Werbebroschüre vor sogenannten Würzen
(entwickelt von Knorr und Maggi), weil sie
angeblich krebserregend seien, die Chemiker fanden aber eben diese Würze auch
in Rapunzel-Produkten. Kommentar des
Herstellers, es sei ihm unerklärlich, wie die
dort hineinkommen sind.
Einer der ausländischen Hauptlieferanten für Obst und Gemüse aus kontrolliertem
Anbau ist die spanische Farm „La Tenienta“, die weder – so das Ergebnis der
Recherchen – selbst ökologischen Anbau
betreibt, noch einer ihrer vielen Zulieferanten. Die Journalisten hatten zwei Kontrolleure begleitet, denen sogar der Zugang
zu den Anbauflächen der kriminellen
Geschäftsinhaberin verweigert wurde, die
Journalisten waren hartnäckiger und konnten schließlich doch filmen. Zu sehen gibt
es da wenig, aber die Hintergrundrecherchen förderten ans Tageslicht, daß dieser
Öko-Großlieferant sogar in andalusischen
Großmärkten einkaufen geht, umpacken
und eigene Qualitätsetiketten aufkleben
läßt. „Demeter“, unter deren Namen die
Kontrolle angeblich ausgeübt wird, hatte
einen Kontrolleur, Dr. Obermeier, dorthin
entsandt, der sich jedoch von Tenienta
bestechen ließ; Zahlungen und Verhandlungen über Beraterverträge wies das Fernsehteam nach.
Das Fernsehteam zog den kommentierenden Schluß nach der Sendung: die
Selbstkontrolle der Verbände funktioniere nicht. Nicht einmal Stichproben würden
von Kontrolleuren, Großhändlern oder gar
Einzelhändlern in Auftrag gegeben. Also
kein Verlaß auf vollmundige, gesunde
Werbetexte.
M. Grimm
Zu den Anschuldigungen , die in der Sendung des ZDF „Die Bio-Lüge“ gegenüber
dem Demeterbund und ihrem Berater Dr.
Obermeier erhoben werden, möchte ich
dahingehend Stellung nehmen, daß, wenn
diese Beschuldigungen stimmen, es eine
ganz große Schweinerei ist, die das Vertrauen der Verbraucher in die Demeterprodukte erschüttert. Ich meine, daß der
Demeterbund, falls diese Aussagen stimmen, hier mit aller Schärfe vorgehen muß.
Als praktischer Landwirt erscheint es mir
unmöglich, daß eine einzelne Person trotz
allem guten Willen in der Lage ist, Betriebe im Ausland auf die Richtigkeit der
Handhabung der Demeter-Richtlinien zu
kontrollieren, diese Person ist überfordert.
Als Mitglied des Demeterbundes und der
Kommission, die im Jahre 91 die DemeterRichtlinien neu überarbeitet hat, kann ich
nur sagen, daß die neuen Richtlinien mit die
strengsten sind, die wir im ökologischen
Landbau haben. Diese Richtlinien sind die
Grundlage unserer Arbeit.
Die biologisch-dynamische Wirtschaftsweise (Demeter) als die älteste ökologische Landbaurichtung (1924) in
Deutschland war immer ein Vorreiter auch
in Bezug auf die Kontrolle der Ihr angeschlossenen Betriebe.
So wurden z.B. im Bereich der hessischen Arbeitsgemeinschaft für biologischdynamische Wirtschaftsweise alle Betriebe einmal im Jahr in der Vegetationszeit
kontrolliert. Es finden Feldbegehungen
statt, ausgeführt von einer neutralen Person
und einem Landwirt, den der zu kontrollierende Landwirt als Person seines Vertrauens selbst vorschlagen kann. Bei der
Kontrolle müssen vorliegen: Die Schlagkartei und alle Unterlagen, die den Anbau
und Führung des Betriebes betreffen. Über
diese Kontrolle wird ein Bericht erstellt,
den der Demeterbund erhält. Weiterhin fin-
Peter Förster, Eichwaldhof,
Brandschneise 3, 6100 Darmstadt
Etikettenschwindel
auch hier?
Nur geringer Teil der Ackerflächen ohne Chemie
Kein Krieg am Golf – Kein Blut für Öl
Presseerklärung vom Darmstädter Aktionsforum zum Jahrestag des Golfkrieges
Der Krieg am Golf wurde von den
öffentlich-rechtlichen Anstalten (ARD/
ZDF) und den privaten Sendern in dem
Moment vom Programm abgesetzt, als die
Kehrseite des Krieges, die Zerstörung und
das Leid, das schleichende Sterben offensichtlich wurde. Mit den Siegesparaden der
US-Militärs endete offiziell das Interesse
am Golfkrieg. Der Blick auf die Opfer wurde ausgespart. Während LebensmittelExporte in den Irak immer noch boykottiert
werden, werden heute schon wieder Waffen – heimlich und offiziell – in den arabischen Raum exportiert.
Der moderne, „chirurgische“ Krieg der
US-Luftwaffe hat die Golfregion auf Jahre hin zerstört. Zerstörung jeglicher Infrastruktur, Epidemien von Brechdurchfall,
Typhus und Cholera haben die Menschen
um ihre Lebensgrundlage gebracht. Die
bestehenden Konflikte sind durch den
Krieg nicht gelöst worden. Die politische
Situation im Irak hat sich nicht verändert.
In Kuwait hat sich die Herrscherfamilie der
Al Sabahs wieder mit aller Macht etabliert.
Die Opposition wurde mundtot gemacht.
Die Verfolgung von Kurden und
Palästinensern hat sich mit dem Krieg weiter verschärft. Die endlich in Gang kommende Nahost-Konferenz ist durch den
Krieg nicht einfacher geworden. Und nicht
zuletzt ist die UNO durch den Golfkrieg
von einer Kriege verhindernden Organisation zur kriegführenden Partei geworden.
Im Golfkrieg starben 200.000 Iraker
(Soldaten wie Zivilisten) sowie 343 alliierte
Soldaten. Heute, nach einem Jahr sterben
täglich noch Menschen an den Folgen des
Krieges, insbesondere Kinder. Eine Delegation der Harvard Universität berichtet
Wir werden immer Menschen finden, die
sich nicht an Vorgaben halten, sei es im
ökologischen Landbau, sei es im normalen
Leben, die Zeitungen sind voll davon. In
der Situation, in der sich die europäische
Landwirtschaft befindet, werden eine ganze
Menge Landwirte und Gärtner glauben,
daß ökologischer Landbau die Rettung sei.
Wir müssen diesen Kollegen klar machen,
daß ökologischer Landbau mehr ist, als nur
zu versuchen, Geld zu verdienen, es gehört
die Verantwortung zum Boden und zum
Leben dazu. Hier gehört auch der Verbraucher dazu. Er soll kritisch und wachsam beobachten, er soll Fragen stellen und
versuchen, sich in die Lage der Landwirte
zu versetzen und den Bauern nicht nur als
Produzenten von Nahrungsmitteln sehen.
Wir Bauern müssen unsere Höfe öffnen,
nur durch ein aufeinander Zugehen können
wir Vertrauen schaffen.
Wenn in einem solch sensiblen Bereich
wie dem ökologischen Landbau gezielt
betrogen wird, sollte mit allen Konsequenzen durchgegriffen werden, im Interesse der Abnehmer unserer Produkte und
der Landwirte.
Nicht genug damit. „Demeter“ kontrolliert angeblich auch Öl-Hersteller und
nahm deshalb drei Ölsorten aus dem Handel und ließ diese von Schweizer Lebensmittelchemikern überprüfen. Das Ergebnis
ist schockierend: In einem der Öle fanden
sie 1Gramm Maschinenöl pro Liter, in
einem anderen gar völlig artfremde Chemikalien und bei einem dritten auf dem zu
lesen stand, „kalt gepreßt, 1. Pressung“
konnten sie eine Erhitzung auf über 100
Grad nachweisen. Olivenöl unter dem guten Namen von „Demeter“ vertrieben,
erfährt auf wundersame Weise ungeahnte
Vermehrung: Doppelt soviel Öl wird von
einem Olivenhain gepreßt, als Mengen an
Oliven angeliefert werden.
Heute vor einem Jahr haben die westlichen
Industrienationen unter der Führung der
USA im Namen der UNO mit dem Bombardement des Iraks begonnen.
den Feldbegehungen mit Verbrauchern
statt, wo wir versuchen, den Kunden unsere Arbeit näher zu bringen. Es werden im
Herbst Proben von allen Ernteprodukten
gezogen und untersucht. Der Landwirt muß
alle Richtlinien, die vorgegeben sind, genaustens einzuhalten, bei Verstößen dagegen
kann der Demetervertrag sofort gekündigt
werden. Dies ist in Deutschland immer so
gehandhabt worden.
von 170.000 gestorbenen Kindern bis zum
Jahresende 1991.
Der Golfkrieg, der eine Strafaktion durch
die westliche „freie“ Welt sein sollte, wurde nur durch umfangreiche Waffenlieferungen aus ihr ermöglicht. Schon im ersten
Golfkrieg zwischen Irak und Iran haben
zahlreiche Regierungen mit unglaublicher
Skrupellosigkeit beide Kriegsparteien
durch ihre Waffenlieferungen „befriedet“.
Auf dieser Moral läßt sich keine zivile Politik, keine Demokratisierung, keine Befreiung einklagen.
Das Darmstädter Aktionsforum führt
noch einmal eine Sammlung zugunsten der
Opfer des Golfkriegs durch. Das durch diese Sammlung eingenommene und das restliche, bisher gesammelte Geld (2.600DM)
wird zu gleichen Teilen an die „Kinderhilfe
im Irak“ und „medico international“ weitergegeben. Wir fordern dazu auf, auch
weiterhin diese Organisationen zu unterstützen. Spendenkonten: medico international, Kontonr. 1800, Frankfurter Sparkasse, BLZ 500 501 02 und IPPNW e.V.
Sektion Deutschland, Kto Nr. 502 646 39,
BLZ 66551290 Vermerk Kinderhilfe im
Irak, Notruf A. Gehring.
Stefan Köhler, Fuhrmannstr 4 1/2,
6100 Darmstadt
Brot als Symbol für ein Leben in Frieden und Freiheit. - Eine Ausweitung der von der UNO
kontrollierten Sicherheitszone im Nordirak bis über das ganze Gebiet Irakisch-Kurdistans fordern diese DemonstrantInnen. Gleichzeitig verlangen sie die Aufhebung der von der irakischen
Regierung verhängten Wirtschaftsblockade gegen die Kurden, die noch heute unter den Folgen des Golfkriegs leiden: Hunger, Krankheit, Tod, Obdachlosigkeit. Friedliche Aktionen wie
Hungerstreiks und Schweigemärsche breiteten sich, ausgehend von Sulaymania, im Dezember an 26 Orten im Gebiet Peschder aus. Eine Demonstration auch vor der UNO-Vertretung
in Rania sollte die Weltöffentlichkeit daran erinnern, daß die Kurden das Recht auf ein menschenwürdiges Leben haben.
(ar/Foto: Tuana Abdulla Wassiem)
„Glauben Sie an
Gott?“
fragt mich eine junge Frau in bestem AmiDeutsch. Uff! Ausgerechnet in der Wilhelminen-Straße. Schwierige Frage, man
kann ja nie wissen. „Ich bin von der Kirche
Jesu der letzten Tage!“. Au weia, die sind
hart im Nehmen. Soll ich mit einem fröhlichen „Allah u akbar!“ einfach weitergehen? Neulich standen zwei Männer des
gleichen Typs an der Haustür, und es dauerte fünfzehn Minuten, ihnen begreiflich zu
machen, daß ich keine Hilfe brauche ...
Angefangen hat’s ja mit den Zeugen
Jehovas. Die stehen relativ unauffällig in
der Stadt herum und halten „Wachturm“
oder „Erwachet“ vor sich hin, kommen
aber zeitweise bis vor die Haustür. Diese
Sorte hier ist aggressiver, weil selbstbewußter. Gemeinhin sind sie als „Mormonen“ bekannt und haben ihr geistiges Zentrum in Salt-Lake-City, USA. Sie verbreiten bei uns die frohe Botschaft, daß in den
USA auch in Sachen Religion der Nabel
der Welt ist, denn ihr Begründer hat seine
göttlichen Erleuchtungen im Land der
unbegrenzten Unmöglichkeiten bekommen
und ist hernach von missionarischem Eifer
überwältigt worden. However, das Prinzip,
welches hinter diesen Sekten steht, ist
gleich und trägt sich selbst. Die Mitglieder
missionieren ständig herum, und je mehr
Ablehnung ihnen entgegenschlägt, desto
mehr sehen sie sich als Auserwählte Gottes, denen es vergönnt ist, den einzig wahren Glauben zu haben. Läßt sich trotzdem
jemand bekehren, spricht das erst recht für
ihre Überzeugung. Nach diesem Schema
verwandelt sich bei jenen Christen auch
noch Frust in Lust, was in der Tat einem
kleinen Wunder gleich kommt.
Ich entscheide mich jedenfalls für ein
entschiedenes Jain: „Tut mir leid, ich bin
Atheist. Ich kann nichts dafür, Gott hat
mich so geschaffen“. Es funktioniert.
Joachim Hecker
Der Film berichtet hauptsächlich über den
spanischen Betrieb „La Tenienta“ und hat
daher wenig Aussagefähigkeit über den allgemeinen Bio-Anbau. Die Kontrolle der
Höfe wird in Deutschland weit strenger
durchgeführt, was aber nicht ausschließen
kann, daß auch hier Etikettenschwindel
betrieben wird. Die beste Aufsicht wird von
der Dorfgemeinschaft und den Kunden auf
dem Hof getätigt. Dem direktverkaufenden
Bio-Bauern wird täglich auf die Finger
geschaut.
Viel schwieriger gestaltet sich die Kontrolle bei Importen oder generell bei der
Vermarktung über verschiedene Zwischenhändler. Je weiter der Weg vom
Landwirt zum Verbraucher, umso größer
ist die Möglichkeit einer Zumischung von
konventioneller Ware. Der Markt ist überfüllt mit Öko-Nahrungsmitteln, obwohl nur
ein geringer Teil der Ackerflächen wirklich
ohne Chemie bewirtschaftet wird. Eine
umfassende Kontrolle ist nicht durchführbar, weder vom Staat, noch von den Verbänden, aber eine Hofbesichtigung, die so
mancher Bio-Bauer anbietet, gibt mehr
Informationen als ein Buch voll Richtlinien.
Bernd Klinger, Mitglied bei „Bioland“
Anbauverband.
Stromsparen
lohnt sich
Die Genehmigungsbehörde für Energiepreise, das Hessische Ministerium für Umwelt, Energie und Bundesangelegenheiten,
hat der Hessischen Elektrizitäts-AG (HEAG) zum 1. Januar 1992 eine Erhöhung
ihres Allgemeinen Tarifs zugestanden.
Erhöht werden auch die Strompreise für
elektrische Heizungen und für Sondervertragskunden. Die durchschnittliche Preiserhöhung beträgt knapp 4 Prozent.
Wichtig für den Verbraucher ist eine ab
1. Januar ebenfalls geänderte Tarifstruktur:
der sogenannte Sockelbetrag für Haushaltskunden wird mehr als halbiert und
auch bei den anderen Bedarfsarten erheblich reduziert. Mit der Verringerung des
„festen“ Anteils an der Stromrechnung entspricht die Höhe der Rechnung weitaus
stärker dem tatsächlichen Verbrauch.
Damit wird Stromsparen stärker belohnt.
F.W. Methlow, HEAG
5 . Kalenderwoche - Seite 10
Briefe an die Redaktion
„Ich stehe hinter dem Vertrag“
Der ehemalige Vorsitzende des SV-98 zu den Vorgängen um das Ristorante Stadion
Sehr geehrter Herr Grimm,
der Inhalt des o. g. Artikels erinnert mich
daran, wie schwer es ist, richtig zu recherchieren. Sorgfaltspflicht ist oberstes Gebot
für Journalisten. Dies wäre Ihnen sicherlich
besser gelungen, wenn Sie auch die Betroffenen gehört hätten.
An der Richtigkeit meines Namens gibt
es wohl keinen Zweifel. Herr Fidenzio
Facchin kam Mitte 1986 nicht zu mir, sondern bot sich unter zahlreichen Bewerbern „freiwillig“ an. Herrn Facchin war der
Zustand der Gaststätte wohl bekannt und er
wußte, welche Summe er investieren mußte, um daraus ein entsprechendes Speiselokal zu machen. Er hatte fünf Monate Zeit,
den Vertrag zu unterschreiben. Keiner
drängte ihn oder zwang ihn. Vielmehr wurde er von eigenen Landsleuten bedroht, die
ihm das mißgönnten.
Wenn sie in Ihrem Artikel behaupten,
Herr Facchin habe rund 600 000 DM inve-
stiert, so kann ich dies nicht akzeptieren.
Mitte 1987 hat Herr Facchin dem Präsidium Originalrechnungen für Investitionen
von DM 319 602,42 vorgelegt, die auch
anstandslos akzeptiert wurden.
Der Betrag floß in den Vertrag bzw. in
die monatlichen Mietzahlungen ein.
Herr Facchin wird Ihnen bestätigen, daß
wir keinerlei Schwierigkeiten bei der Vertragsgestaltung hatten, zumal er in Volker
Erhard, seinem Vertrauten, einen guten
Sachwalter hatte und auch heute noch hat.
Lassen Sie mich noch eine letzte Bemerkung machen.
Die Sache mit dem Urlaub geht wohl
auch etwas an der Wirklichkeit vorbei. Ich
kann mich an Zeiten erinnern, wo ich sogar
Wochen warten mußte, bis ich Herrn
Facchin sprechen konnte – er war in Italien. Er wird sich sicherlich auch entsinnen
können, daß ich ihn zweimal darauf hin-
wies, es sei besser öfter im Lokal anwesend
zu sein, da die Gäste ihn vermißten.
Über die Angelegenheiten, die nach meiner Zeit geschehen sind, kann ich mir kein
Urteil erlauben. Von Vertragsbeginn bis zu
meinem Ausscheiden stehe ich hinter dem
Vertrag.
Ich bedauere, daß es zu gerichtlichen
Auseinandersetzungen gekommen ist. Dies
liegt aber sicherlich nicht an dem damals
geschlossenen Vertrag.
Verstehen Sie diese Zeilen nicht als
Rechtfertigung meinerseits. Ich wollte
Ihnen nur aufzeigen, wie die Wirklichkeit,
bezogen auf die Seite 1 Ihrer Ausgabe, aussieht.
Dieses Schreiben ist nicht als Leserbrief
gedacht, sondern als Information, die Sie
jederzeit nachprüfen können.
Hans-Joachim Schmitt
Dem Krieg mit einem Zeichen des Friedens begegnen
Europäisches Projekt für die jugoslawische Insel Vis von Friedensinitiativen geplant
Der Initiator des „Komitees für Grundrechte und Demokratie“, Klaus Vack, berichtet über sein jüngstes Signal, das er gegen den Krieg
setzen möchte, die Entmilitarisierung der Insel Vis in der jugoslawischen Adria.
Während der Europäischen Friedenskarawane durch Jugoslawien Ende September
1991 hatte ich ein längeres Gespräch mit
Vlasta Jalusic, einer Journalistin aus Ljubljana, in dem sie mich mit den ersten Ideen
einer Initiative zur Entmilitarisierung der
Insel Vis konfrontierte; ihr Mann Tonci
Kuzmanic, der in Ljubljana als Friedensforscher lebt, ist auf der Insel Vis geboren.
In unseren Kreisen wird ja oft der subjektive Faktor, der unser politisches Handeln mitbestimmt, unterschätzt. Deshalb
füge ich hier eine Reminiszenz ein, die
gleichsam ganz persönliche Bedeutung
hat, wenngleich hinreichend „objektive
Faktoren“ für dieses symbolisch-sympathische, aber auch politisch nicht unrealistische Projekt sprechen. An jenem Abend
im September 1991 in Ljubljana erinnerte mich das Gespräch mit Vlasta Jalusic an
frühere Jugoslawienurlaube auf den beieinander liegenden – bis zum Beginn des
Bürgerkriegs stark frequentierten – Ferieninseln Hvar und Korcula. Noch lebhaft
vor Augen habe ich das Bild, wie uns (meine Frau und mich, sowie einige weitere
Feriengäste, es war nach meinen Aufzeichnungen am Sonntag, 27. April 1975)
ein offenes und stabiles Touristenmotorboot vom Hafen des Städtchens Hvar, vorbei an den vorgelagerten Inseln bis auf
etwa zehn Kilometer Distanz an Vis
heranbrachte; die Insel ragte wie viele
andere in der Adria – dem Festland zugewandt – bis zu ihrem höchsten Punkt von
etwa fünfhundert Metern karg und verkarstet aus dem tiefen blauen Mittelmeer
und wirkte völlig verlassen. Der Schiffer
informierte uns über einen – wie wir es
empfanden imaginären – militärischen
Sperrgürtel und erklärte, daß er nicht weiterfahren dürfe und jetzt wenden müsse.
Über die Gründe schwieg er sich aus, und
erstmals habe ich diese von Vlasta Jalusic
erfahren. Im Baedeker über Jugoslawien
wird die Insel Vis nicht erwähnt.
Was hat es also mit Vis auf sich? Wie
hat sich die Idee für eine Entmilitarisierung
der Insel weiter entwickelt?
Die Insel Vis liegt im adriatischen Meer
ca. 50 km südlich von Split und ist wie
schon erwähnt – den ebenfalls kroatischen
Die Insel Vis in der Jugoslavischen Adria
Inseln Hvar und Korcula westlich vorgelagert. Ist Vis von der dalmatinischen
Küste aus erreicht, so hat man schon ein
Viertel der Strecke bis zur italienischen
Küste zurückgelegt. Die Insel Vis (381 v.
Chr. erstmals als griechische Kolonie
erwähnt) hat eine traditionsreiche, oft kriegerische Geschichte. Besonders zu Anfang
des 19. Jahrhunderts entstanden große
militärische Befestigungsanlagen. Und
ebenfalls im 19. Jahrhundert wechselte die
Insel Vis häufig ihre Besitzer: Mal gehörte sie Frankreich, mal Rußland, mal Italien, mal England, mal Österreich, und seit
der Proklamation des neuen Staates nach
dem Ersten Weltkrieg (um 1920) zum
Königreich Jugoslawien. Während des
Zweiten Weltkriegs war auf Vis wegen
ihrer gesicherten militärischen Befestigung, wegen der Hügel- und Täler-reichen
geographischen Struktur und wegen ihrer
zu einem Großteil buschigen und bewaldeten Vegetation (die Insel hat eine Fläche
von 90 Quadratkilometer) vorübergehend
das Oberkommando der jugoslawischen
Partisanenarmee stationiert, die gegen die
deutschen und italienischen Faschisten
kämpfte.
Nach dem Zweiten Weltkrieg erfolgte
durch die Jugoslawische Volksarmee
(JVA) ein weiterer Ausbau der militärischen Infrastruktur auf Vis, um das jugoslawische Territorium gegen die (italienischen) Nato-Streitkräfte „zu verteidigen“.
Vis wurde militärisches Sperrgebiet, ausländische Touristen und Bürger hatten bis
1989 keinen Zutritt zu der Insel.
Im gegenwärtigen Konflikt sind die auf
der Insel stationierten Waffen und Kräfte
der JVA gegen die kroatische Adriaküste
gerichtet und gefährden damit auch die
noch verbliebene kleine kroatische Bevölkerungsgruppe (gegen 1970 etwa 10.000,
heute gerade noch 2000 zivile Einwohner
mit einem Durchschnittsalter knapp unter
60 Jahren).
Inzwischen wurde von einer Forschungsgruppe des Friedensinstituts in
Ljubljana und unter ständiger Betreuung
von Vlasta Jalusic und Tonci Kuzmanic
ein Aktionskonzept „Europäisches Friedensprojekt für die Insel Vis“ ausgearbeitet. Ziel des Projekts ist
die völlige Entmilitarisierung der Insel Vis
und ein Status wie der
der Alandinseln zwischen Schweden und
Finnland (übrigens ist
das meines Wissens
die einzige völlig entmilitarisierte Zone in
ganz Europa; seit 1921
durch Entscheidung
des Völkerbundes; die
Alandinseln gehören
zu Finnland, und der
entmilitarisierte Status
wurde auch während
des Zweiten Weltkriegs, an dem Finnland beteiligt war,
respektiert).
Eines der Hauptprobleme des Projektes
besteht darin, Wege für einen Abzug ohne
Gesichtsverlust der JVA zu finden und die
Stationierung neuer Streitkräfte auf der
Insel zu verhindern. „Deshalb sind wir“, so
schreibt die Projekt- und Forschungsgruppe, „auch sehr beunruhigt über die
Möglichkeit, daß kroatische Streitkräfte
versuchen, die Insel zu befreien, denn dies
würde wahrscheinlich zu ihrer totalen Zerstörung führen. Daher darf das Ziel nicht
nur die Entmilitarisierung der Insel durch
den Abzug der JVA, sondern muß zugleich
die Verhinderung jedweder erneuter Militarisierung sein.“
Spenden- und Hilfsaktion:
Jugoslawien – Verständigung
Bericht über die Schwerpunkte der Spenden- und Hilfsaktion
des Komitees für Grundrechte und Demokratie
(Stand 10. Januar 1992).
1. Das Komitee startete die Spendenund Hilfsaktion „Jugoslawien – Verständigung statt Krieg“ im August 1991. Der
Spendenaufruf mußte anfangs durch
bezahlte Anzeigen publiziert werden; erst
später gab es Hinweise oder Informationen
in nahestehenden bzw. friedenspolitisch
orientierten Publikationen.
2. Ca. 103.000 DM wurden Friedensgruppen, vor allem in Serbien, BosnienHerzegowina, Kroatien, Slowenien, dabei
überwiegend in den Zentren (Belgrad,
Sarajewo, Zagreb, Ljubljana) zur Verfügung gestellt.
3. Anfänglich (während und in Folge der
Friedenskarawane durch Jugoslawien) galt
die Unterstützung dem Aufbau der notwendigen Infrastruktur der Antikriegsgruppen, d. h. Finanzierung von Büroeinrichtungen, Druck von Flugblättern und
Publikationen, zum Diskussions- und Informationsaustausch untereinander, sowie
Porto, Telefon, Telefax usw.
4. In den letzten beiden Monaten kam die
finanzielle Hilfe u.a. der Unterstützung von
Deserteuren und Kriegsdienstverweigerern
über die Anti-Kriegs-Zentren (vor allem in
Sarajewo und Belgrad) zugute. Am 12.
November 1991 haben in der bosnischen
Stadt Sarajewo etwa 80.000 Menschen
unter dem Motto „Arbeit statt Krieg“
demonstriert. Die Demonstration wurde
ebenso finanziell unterstützt wie eine
Unterschriftenaktion in Serbien, mit der ein
Volksentscheid gegen den Krieg im gesetzlichen Rahmen in Gang gesetzt werden
soll.
5. Auch kleinere Projekte wurden gefördert, wie das Jugendkulturhaus in Belgrad,
Initiativen in Rijeka und in der Vojvodina
(Novi Sad), das Friedensprojekt für die
Insel Vis.
Die Projektgruppe strebt deshalb eine
Internationalisierung – „Vis, eine europäische Insel!“ – an, und zwar durch eine
selbständige, unabhängige Aktion der Bürger auf der Insel, und parallel dazu durch
die Unterstützung sympathisierender Bürger und Institutionen sowie von Friedensgruppen in Kroatien, aus den übrigen
Republiken des ehemaligen Jugoslawien
und aus möglichst vielen Ländern Europas.
6. Zur Zeit prüfen Experten die Einrichtung eines E-Mail-lnformationsnetzes
(Kosten ca. DM 11.000), das die Kommunikation zwischen den Friedenszentren in
Belgrad, Sarajewo, Zagreb und Ljubljana
(und damit auch zu uns in der BRD) wieder vereinfachen soll, nachdem die derzeitige serbische Regierung die Telefonund Telefaxverbindungen zwischen den
einzelnen Republiken gekappt hat.
Inzwischen hat sich auch auf Vis eine
Bürgerinitiative gebildet. Das Konzept für
eine Entmilitarisierung der Insel wird von
einem überwiegenden Teil der Inselbevölkerung unterstützt; ebenso von vielen
Menschen, die aus Vis stammen und heute verstreut über die Republiken des ehemaligen Jugoslawien leben. Es gibt erste
positive Reaktionen aus Italien, Österreich
und den USA. Ein Unterstützungskomitee
in der BRD „Europäisches Friedensprojekt
für die Insel Vis“ wird demnächst gegründet. Chancen dürfte das Projekt nur haben
bei ausreichender Beteiligung von Bürgerinitiativen, Friedensgruppen und Friedensforschung, unter Einbeziehung der
Menschen, die auf Vis leben, und mit der
Perspektive einer gewaltfreien Regelung
des Konfliktes. In diesem Sinne ist auch
die Popularisierung des Projekts in der
Bundesrepublik sehr wichtig, zumal wir
hierzulande wenig über die zahlreichen
und auch innen- und friedenspolitisch nicht
völlig einflußlosen Aktivitäten der AntiKriegs-Opposition in den einzelnen Republiken und über deren Grenzen hinaus
erfahren.
7. Auf Anfrage der Friedensliga Zagreb
(zu der seit längerem Verbindungen bestanden) hat sich das Komitee mit Geldern aus
der Spenden- und Hilfsaktion sehr wirkungsvoll der Medikamentenhilfe angenommen. Obwohl es hierzu bereits einige
lokale Initiativen gab, konnten diese in der
Als nächster Schritt ist ein internationales Treffen auf der Insel Vis (möglichst
Frühsommer 1992) geplant; eventuell auch
ein mit dem Treffen verbundenes oder daran anschließendes Friedenscamp. Dabei
muß nicht zuletzt versucht werden, Einfluß
auf Instanzen höchster politischer Ebene
(u.a. die Vereinten Nationen) zu nehmen.
Das Projekt ist mit großer Ernsthaftigkeit
zu betreiben und darf nicht als friedenspolitische Spielwiese mißverstanden werden .
Sicher ist vieles noch Wunsch und Plan,
aber dem Militär und dem Krieg mit einem
Zeichen des Friedens zu begegnen, lohnt
die Anstrengungen der Hoffnungsbereiten
und Mutigen.
Klaus Vack, An der Gasse 1,
6121 Sensbachtal
Regel hochwertige und dringend benötigte medizinische Versorgungsgüter (z. B.
Narkosemittel, Antibiotika, Blutersatz- und
Impfstoffe sowie Medikamente zur Dialyse) nicht beschaffen bzw. nicht bezahlen.
Zumindest Ende Oktober/Anfang November mußte außerdem der Eindruck entstehen, daß sich die großen Hilfsaktionen
zurückhalten, bzw. medizinische Hilfsmittel „versackt“ sind. Wir vom Komitee
für Grundrechte und Demokratie haben alle
medizinischen Hilfsgüter eigenhändig und
direkt dorthin gebracht, wo sie gebraucht
wurden, und ausschließlich für die Versorgung von Zivilisten. Zuletzt überbrachte
das Vorstandsmitglied unseres Komitees,
der Stuttgarter Internist Dr. Suso Lederle,
Mitte Dezember 1991 im Wert von etwa
50.000 DM Impfstoffe gegen Masern, Kinderlähmung und Tbc in das Flüchtlingslager Sisak, um einer Seuchengefahr vorzubeugen, von der etwa 2000 Kinder unter 12
Jahren bedroht waren .
8. Insgesamt transferierte das Komitee
für Grundrechte und Demokratie Medikamente und Verbandsstoffe im Wert von ca.
420.000 DM nach Kroatien .
9. Wir haben den Eindruck, mit der
Medikamenten-Unterstützung im Rahmen
unserer Spenden- und Hilfsaktion z. B.
andere, größere Gruppen ebenfalls zu wirkungsvoller humanitärer Hilfe angeregt
und gezeigt zu haben, daß solche Hilfsaktionen auch in einer Kriegssituation direkt
und zuverlässig sowie zweckgebunden
organisiert werden können.
10. Inzwischen konzentriert sich unsere
Spenden- und Hilfsaktion wieder stärker
auf finanzielle Unterstützung für die AntiKriegs-Arbeit im ehemaligen Jugoslawien,
weil – aus aktueller Sicht – medizinische
und Versorgungshilfe im „zivilen Sektor“
in zunehmendem Maße durch große humanitäre Organisationen, Regierungen und
zahllose lokale Initiativen gewährleistet
wird. Leider werden jedoch Bedeutung und
Einfluß von Friedensengagement auf die
„offizielle Politik“ in allen Republiken des
ehemaligen Jugoslawien in der bundesdeutschen Öffentlichkeit noch immer ebenso unterschätzt wie die Schwierigkeiten
und Repressalien, denen die Antikriegsgruppen ausgesetzt sind.
In diesem Sinne wird die Spendenaktion fortgeführt: Jugoslawien – Verständigung statt Krieg, Volksbank Odenwald eG,
Konto Nr. 8024618, BLZ 508 635 13
Komitee für Grundrechte und Demokratie
e.V., 6121 Sensbachtal gez. Klaus Vack,
Sekretär des Komitees
In der „Frankfurter Rundschau“ veröffentlichte das „Komitee für Grundrechte und
Demokratie e.V.“ am 21.1. ein Anzeige gleichen Inhaltes mit folgendem Zusatz:
Obwohl nicht selten der schlimme und falsche Vorwurf zu hören ist, aus der Friedensbewegung würde zuwenig für eine friedliche Konfliktlösung im jugoslawischen
Bürgerkrieg getan, sind wir – ebenso wie andere engagierte Initiativen – leider darauf angewiesen, die interessierte Öffentlichkeit durch bezahlte Anzeigen, die viel
Geld kosten, zu informieren, wodurch unsere Hilfsmöglichkeiten zumindest
geschmälert werden. Auf Anforderung – unter Beifügung von DM 10,- in Briefmarken – schicken wir weitere Informationen.
Dies ist keine gegen Entgelt veröffentlichte Anzeige. (Der Herausgeber)
5 . Kalenderwoche - Seite 11
Briefe an die Redaktion
Abbau der Gleise von Darmstadt nach Griesheim
– ein Eigentor für die Stadt Griesheim
Trotz heftiger Proteste von Umwelt- und
Verkehrsverbänden begann die Deutsche
Bundesbahn im Juni 1991 mit dem Abbau
der Gleisanlagen. Die Verantwortlichen der
Stadt Griesheim versuchten nicht etwa, den
Gleisabbau zu stoppen und den Schienenanschluß zu erhalten. Im Gegenteil,
Bürgermeister Leber zwang die DB durch
eine ungerechtfertigte Regreßforderung
über 150.000 DM zum überstürzten Abbau
der Gleise, weil sie der Fertigstellung der
„Entlastungsstraße Nord“ im Wege lagen.
Am 22.11.1991 haben nun die Verantwortlichen der Stadt Griesheim vom Regierungspräsidium Darmstadt die Quittung für
ihr kurzsichtiges Verhalten bekommen:
Wie Regierungsdirektor Hartmann dem
Fahrgastverband BFS Hessen e.V./Pro
Bahn mitteilte, wurde der Antrag der Stadt
Griesheim vom 13.9.1990 auf Zulassung
einer Abweichung vom gültigen Regionalordnungsplan Südhessen für die geplante Erweiterung des Gewerbegebietes „Rübgrund“ nördlich des Bahngleises weitgehend abgelehnt.
Von der beantragten Erweiterung um ca.
56 ha wurden lediglich 14 ha für den nachgewiesenen Eigenbedarf Griesheimer
Betriebe zugelassen. Die Ablehnung
erfolgte auch aus dem Grund, daß – entgegen regionalplanerischen Zielsetzungen
– der Rückbau des Gütergleises betrieben
wurde und somit die Erschließungsmöglichkeiten nachdrücklich verschlechtert
wurden. Aus demselben Grund hat der
Antrag der Stadt Griesheim auch wenig
Chancen, in die derzeit laufende Fortschreibung des Regionalen Raumordnungsplanes Südhessen übernommen zu
werden.
Die Verantwortlichen der Stadt Griesheim haben nun Gelegenheit, darüber nachzudenken, ob ihre Haltung den wirtschaftlichen Interessen und längerfristigen Entwicklungsmöglichkeiten
Griesheims
förderlich war. Nach Ansicht des BFS Hessen e.V. bietet nur ein Wiederaufbau der
Strecke einen Ausweg aus dieser mißlichen
Lage.
Dr. Gottlob Gienger, Pro Bahn e.V.,
Heinrichstr. 24, 6103 Griesheim
Vorfahrt für die Bahn
VCD, BFS/PRO BAHN und BUND Hessen stellen Schienenkonzept Rhein-Main vor
„Attraktiver Schienenverkehr zwischen
Koblenz, Eberbach, Fulda und Gießen“,
das fordern der Fahrgastverband BFS/PRO
BAHN, der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) Hessen und der Verkehrsclub Deutschland (VCD) Hessen. Die
Verbände haben dazu ein 112-seitiges
„Regionales Schienenkonzept RheinMain“ vorgelegt. Es soll, geht es nach den
Verkehrsverbänden, ein Baustein für das
längst überfällige „Integrierte Gesamtverkehrskonzept Hessen“ sein.
An den Vorschlägen haben in Südhessen
auch die Kreisverbände Darmstadt-Dieburg, Darmstadt, Groß-Gerau und Bergstraße des VCD, der BFS/PRO BAHN
Regionalverband Starkenburg, der BUND
Groß-Umstadt sowie die Initiative zur Förderung des ÖPNV mitgewirkt.
Der Vorschlag: Ein engmaschiges Netz
aus City-Bahnen, S-Bahnen, RegionalSchnell-Bahnen und Regional-Bahnen. Die
Verkehrsexperten möchten zudem möglichst viele Verknüpfungen der Linien
untereinander, mit den Stadtbahnnetzen
und mit IC, ICE und Interregio. Außerdem
solle die moderne Schiene als Rückgrat der
Flächenerschließung mit Bus und Fahrrad
optimal vernetzt werden.
Ausgefeilte Strecken- und Fahrplanvorschläge bilden den Kern des bundesweit
einmaligen Konzepts. Für 670 Bahnhöfe
und 39 Strecken der Region listen die Verbände genau die geplanten Taktzeiten und
Zuggattungen auf. Die Grundlage dafür:
Zahlreiche Wiederinbetriebnahmen, Neuoder Ausbauten von Schienenstrecken.
Beispiele sind die Reaktivierung der
Strecke Pfungstadt – Darmstadt-Eberstadt
und die neue Verbindung Groß-Umstadt –
Lengfeld. Außerdem, so die Verbände,
müßten auf vielen Linien zusätzliche Gleise gebaut werden, etwa auf der Odenwaldbahn von Darmstadt und Hanau nach
Anders sein ist nicht ordentlich, nicht deutsch
Eine Darmstädterin zu den Folgen der Wannsee-Konferenz
Zu dem Tages-DENK-mal von Bernhard Meyer am 20.1.92 auf dem Karolinenplatz anläßlich des 50. Jahrestages der Wannseekonferenz erreichte uns diese Zuschrift einer Leserin. Der Künstler hatte alte Kleidungsstücke auf dem Pflaster ausgelegt und mit PassantInnen über die Folgen der Wannsee-Konferenz und den Mord an Millionen Juden
gesprochen.
Das Mahnmal hat mich tief betroffen
gemacht, den im folgenden leicht überarbeiteten Text habe ich daraufhin spontan
geschrieben und an Ort und Stelle als Flugblatt verteilt.
FrauenLesben gegen Rassismus, Faschismus, Sexismus. Politik ist für mich Kampf
für Gerechtigkeit.
Dem ordentlichen Deutschen liegt es fern,
sich für die Rechte Asylsuchender und
ImmigrantInnen einzusetzen, er tut auch
nichts für die Gleichberechtigung der
Geschlechter und die gesellschaftliche
Akzeptanz von Lesben, Schwulen und
Transsexuellen. Denn wer sich wehrt oder
sich mit denen solidarisiert, die anders sind,
ist nicht ordentlich. Oder nicht Deutsch.
Und läuft Gefahr, selbst diskriminiert zu
werden. Das macht Angst.Dieselbe Angst,
die schon im Dritten Reich ihr Unwesen
trieb.
Es liegt in der Natur des Menschen, sich zu
schützen. Es könnte ja gefährlich sein, sich
für die Gerechtigkeit einzusetzen.Deshalb
wird die Eigenverantwortung auf andere
Menschen projiziert.
Es ist an der Zeit, gegen diese Art von
Natur anzukämpfen,was soviel heißt, daß
wir bei uns selbst schauen, warum wir
Menschen, die andersartig sind, nicht achten. Auch ist es an der Zeit, daß wir miteinander leben und gegenseitiges Interesse entwickeln.
Ohne eine beginnende Machtstrukturänderung im psychischen und sozialen
Bereich jedes einzelnen Menschen wird
unsere nicht bewältigte Vergangenheit uns
einholen.Um dem entgegenzuwirken, sollte jede Frau und jeder Mann Eigenverantwortung tragen, besonders bei der Vergangenheitsbewältigung des Nationalsozialismus, aber auch der eigenen Kindheit,
damit bestehende Neigungen zur Unterstützung von diktatorischen Machtstrukturen aufgehoben werden können.
Angelika Kallis, Künstlerin
Eine Glosse – Wer weiß?
„Wer zu spät kommt, den bestraft die Geschichte“
Erbach. Elektrifizierungen – so auf der
Strecke zwischen Hanau und Babenhausen
– komplettieren die Vorstellungen.
Hintergrund der Vorschläge ist der entstehende neue Rhein-Main-Verkehrsverbund. Die Verbände wollen bei der Diskussion von Anfang an mitmischen. Dazu
dienen auch die teils vorhandenen, teils
geplanten weiteren Abschnitte: Ein Stadtbahnkonzept für Darmstadt und eine
Bike+Ride-Konzeption.
Die Verbände setzen auf deutliche Reduzierung der Umweltbelastungen durch den
Verkehr. Das verlange drastisch weniger
Autoverkehr durch hohe Spritpreise und
und wirksame Förderung des sogenannten
Umweltverbundes von Fahrrad, Zu-FußGehen, Bus und Bahn. Autofördermaßnahmen wie insbesondere große P+RAnlagen seien als milliardenteure Fehlinvestitionen abzulehnen.
Sprecher aller drei Verbände forderten in
Wiesbaden zur raschen Umsetzung des
vorliegenden Konzeptes auf. Wer wirklich
für die Bahn sei, müsse jetzt Farbe für die
Schiene bekennen.
Ansprechpartner, stellvertretend für die
Verbände im Raum Starkenburg und Odenwald: Uwe Schuchmann, Rostocker Str. 14,
6105 Ober-Ramstadt Tel.:0 61 54 27 13
Betr.: Ihren Artikel „Protest gegen
das TH-Parkhaus“ vom 8.1.92
Der folgende Leserbrief war zeitgleich an
das „Darmstädter Echo“ (8.1.92) gerichtet, das ihn jedoch nicht veröffentlichte.
Sehr geehrte Redaktion!
Ich freue mich, daß mein erstes Informationsblatt für die TH-Parkhausbenutzer zu
einer so schnellen, sachlichen Diskussion
der Problematik des Parkhauses in Ihrer
Zeitung geführt hat. Einige Ergänzungen
und Korrekturen zu den Ausführungen von
Der Bildhauer Richard Heß hat seine Freiplastik „Große Schreitende im Abendkleid“ genannt.
Sie ist auf dem im Stadtplan nicht auffindbaren Mollerplatz zwischen Barkhaus- und RobertSchneider-Straße aufgestellt. Was würden die DarmstädterInnen wohl dazu sagen, wenn die
Premierenschönheiten so das Staatstheater besuchen würden? Oder ist es nur das klassizistische Ideal griechischen „Oben-Ohne-Looks“, an das sich der Künstler zurückerinnert?
(red., Foto: H. Schäfer)
Frau Irene Bauerfeind-Roßmann erscheinen mir aber angebracht, insbesondere
wegen des doch fehlenden Immissionsgutachtens für die Angehörigen der Hochschule.
Frau Bauerfeind-Roßmann lobt die spezielle Schallschutzverglasung für die
Bewohner des Martinsviertels und die Verlegung der (Ein- und) Ausfahrt. Sie verschweigt leider, daß ein ebensolcher Schutz
den Angehörigen der Hochschule trotz
mehrfacher Bitten nicht gewährt wurde.
Der Grund liegt in einem ganz einfachen
Versäumnis (oder Absicht?): Das gesetzlich vorgeschriebene Immissionsgutachten
wurde nur für die Seite zum Martinsviertel
hin in Auftrag gegeben. Ergebnis: Für die
andere Seite liegt kein Gutachten vor, und
damit kann hier ohne Auflagen gehandelt
werden. Insbesondere kann die Einfahrt
hierher gelegt und so der Parkhausbau erst
ermöglicht werden, ein Schallschutz
braucht nicht eingebaut zu werden. Auch
die Tatsache, daß die neue, recht abenteuerliche Zufahrt unmittelbar neben der „Frischluft“-Ansaugung für die fensterlosen
Arbeitsräume entlang führt und damit eine
direkte Belüftung dieser Räume mit Autoabgasen erfolgt, beeindruckte die Hochschulverwaltung nicht. Im Gegenteil, den
vor der Ansaugung abgestellten Autos (um
eine weiträumigere Umfahrung der
Ansaugöffnung zu erzwingen) wird mit
dem Abschleppen gedroht. Die zu- und
abfahrenden Autos sollen offensichtlich
ihre Abgase in die Belüftung des Gebäudes
einleiten.
Wer’s nicht glauben mag, kann sich
jederzeit durch Augenschein überzeugen.
Wir fordern nicht ein weiteres Immissionsgutachten (das unterstellt, daß ein solches Gutachten für die Hochschulangehörigen existiert), sondern überhaupt eins
für uns. Dies wird uns seit zwei Jahren verwehrt. Warum? Sind Hochschulangehörige Menschen zweiter Klasse?
Prof. Dr. W. Lauterborn, Institut für Angewandte Physik, Schloßgartenstr. 7, Darmstadt
Wir lesen zur Zeit viel über das Problem,
wie nach Auflösung der Sowjetunion die
über mehrere Republiken verteilten Atomwaffen und anderen Massenvernichtungsmaschinen im Zaum gehalten werden können und vor allem nicht im Rüstungsschiebergeschäft an kleinere Staaten
gelangen, die dann ihre Händel mit Atomwaffen austragen und gar einen atomaren
Weltenbrand entfesseln könnten. Selbst die
führenden Politiker machen sich „Sorgen“,
von Kohl über Mitterrand, Major bis Bush
etc.So etwas darf sich nicht wiederholen !
Stellen wir uns aber einmal vor, daß die
Vereinigten Staaten von Nordamerika
ebenso wie die Sowjetunion an ihren inneren Widersprüchen, an der enormen Armut
und sozialen Ungleichheit, nicht zuletzt
durch die Hochrüstung hervorgerufen, zerbrechen würden. Dann stünde die Weltbevölkerung plötzlich einem Atomraketenund Atombombenchaos in fünfzig autonomen US-Bundesstaaten gegenüber .
Selbst der übermenschliche G-Man Jerry
Cotton und ebenso sein mit dem 38er in der
Faust für Freiheit und den „american way
of life“ kämpfender Kollege Phil Decker
(beide FBI New York) sind seit Wochen
verzweifelt, wenn sie sich realistischerweise eine solche Perspektive ausmalen.
Daß die G-Men dabei zum CIA überhaupt
kein Vertrauen haben, – wie oft mußten sie
für den Geheimdienst die Kartoffeln aus
dem Feuer holen – ist allseits bekannt. Und
gewiß trifft auch zu, daß der CIA, was die
Beurteilung von Krisensituationen in der
Welt betrifft, in der Tat überflüssig ist wie
ein Kropf.
Noch kann sich wohl kaum jemand ein
solches Schreckensszenario vorstellen.
Doch wir haben lernen müssen, wie schnell
sich die Dinge ändern können. Wer garantiert, daß die Vereinigten Staaten von Nordamerika in ihrer derzeitigen Verfaßtheit,
sagen wir mal in fünf Jahren nicht ebenfalls
aufgehört haben zu existieren wie jetzt die
Sowjetunion.
Es gibt da nur eine Lösung: Jetzt, wo
wenigstens noch einiges geregelt und abgesichert ist, sollten die USA sofort beginnen,
alle Atomwaffen und auch die Trägerraketen, die Atom-U-Boote, Giftgasgranaten
etc. zu vernichten, damit nicht später
jemand mit diesem Zeug Schindluder
treibt!
Präsident Bush oder sein eventueller
Nachfolger kämen dann nicht in die Situation von Gorbatschow, der anläßlich seines
Rücktritts den Schlüssel zu den sowjetischen Atomwaffen vervielfältigen und an
unerfahrene und damit erpreßbare Politiker
abgeben mußte, worauf die neuen Gefahren beruhen. Und selbst wenn es nicht ganz
zu schaffen ist, das gesamte Atompotential rechtzeitig zu verschrotten, hätte die
Menschheit immerhin noch die Hoffnung,
in einem atomaren Inferno nur einmal, aber
nicht gleich Dutzende Male dahingemordet zu werden.
Eines scheint jedenfalls festzustehen:
Wenn es nicht gelingt, die Atomwaffen der
ehemaligen Sowjetunion und der wahrscheinlich bald ehemaligen USA irgendwie
„aus der Welt“ zu schaffen, ist auch das
zukünftige Europa völlig überfordert, eines
solchen Problems Herr zu werden. Gegen
Massenvernichtungswaffen sind Worthülsen, wie sie die kränklichen europäischen Vereinigungsbestrebungen begleiten,
nur blinde Munition.
Klaus Vack
„Soldaten sind potentielle Mörder“
P. E. N. protestiert bei Stoltenberg gegen Degradierung
Erneut muß der P. E. N. feststellen, daß in
der Bundesrepublik Deutschland das freie
Wort und das freie Urteil in der Öffentlichkeit längst nicht mehr für alle Bürger
gewährleistet ist. Schlimmer noch: Daß bei
der Ausübung dieses Grundrechts mit
schwerwiegenden Repressalien zu rechnen
ist.
wert eingestuft worden waren, hatte Verteidigungsminister Gerhard Stoltenberg
dennoch per Weisung auf der Einleitung
eines Disziplinarverfahrens bestanden. Die
Verhandlung gegen Major Pries endete
schließlich mit seiner Degradierung, die
auch erhebliche wirtschaftliche Einbußen
für den Soldaten zur Folge haben wird.
Jüngstes Beispiel für diese besorgniserregende Entwicklung ist das Urteil eines
Koblenzer Bundeswehrtruppengerichts,
durch das der Major Helmut Pries zum
Oberleutnant degradiert wurde. Pries hatte mit zwanzig anderen Kollegen das Urteil
des Frankfurter Gerichts begrüßt, in dem
der Satz „alle Soldaten sind potentielle
Mörder“ als erlaubte Meinungsäußerung
gekennzeichnet worden war. Pries und seine Soldatenkollegen hielten den Richterspruch auch inhaltlich für richtig, „weil die
Strategie der atomaren Abschreckung zum
massenhaften unterschiedslosen Töten –
zum Völkermord – führen kann“.
Der P. E. N. hält diese Disziplinierung
für unerträglich und fordert Minister Stoltenberg auf, sofort Schritte einzuleiten, die
geeignet sind, die Degradierung rückgängig zu machen und Major Pries zu rehabilitieren.
Nachdem die Äußerungen von Pries und
seinen Kollegen von zuständigen Bundeswehr-Journalisten als nicht beanstandens-
Dem Rechtsstaat und dem Ansehen der
Bundesrepublik Deutschland darf mit solchen Entscheidungen in obrigkeitsstaatlicher Manier nicht weiter Schaden zugefügt
werden. Das Urteil des Bundeswehr-Truppengerichts ist gerade zu einer Zeit, in der
die verheerenden Folgen der Unterdrückung von Meinungsfreiheit für große
Teile Osteuropas aufgearbeitet werden
müssen, für den P. E. N. eine unbegreifliche und verfassungswidrige Entscheidung.
Manfred Bissinger, PEN
5 . Kalenderwoche - Seite 12
Briefe an die Redaktion
„Nur Tatsachen veröffentlichen“
„Osthofen – Steine des Erinnerns“
P.E.N. fordert Fairness in der Diskussion:
„Schriftsteller, Künstler und Stasi“
Symposium zur Geschichte des ersten Konzentrationslagers in Hessen
Angesichts der Bedrohung des Schriftstellers Jürgen Fuchs, die allem Anschein
nach von weiterhin existierenden GewaltKommandos im Dienst der ehemaligen
Staatssicherheit der DDR ausgeht;– angesichts der in den letzten Monaten gewachsenen Neigung, die kritische Betrachtung
der Literatur und der Künste in der
Geschichte der DDR fast ausschließlich an
ihrem Verhältnis zu Stasi und SED zu orientieren; – angesichts der Befürchtung, daß
die notwendige, von Jürgen Fuchs und
anderen Kollegen angestoßene Aufklärung
und kritische Diskussion in einem Klima
von Haß, Bedrohung, Feigheit und Profilierungssucht untergehen könnten; – angesichts der möglichen Gefahr, daß einmal
veröffentlichte Nachrede für den Fall, daß
sie sich als haltlos erweist, kaum wieder gut
zu machen ist, richtet das P.E.N.-Zentrum
der Bundesrepublik Deutschland (West) an
alle Medien den dringenden Appell, im
höchstmöglichen Maße auf Sorgfalt, Fairness und Sachlichkeit bedacht zu sein.
Erneut sichern wir Jürgen Fuchs unsere
uneingeschränkte Unterstützung bei den
von ihm unternommenen Recherchen zu
und fordern diejenigen, die ihn und seine
Familie bedrohen, – trotz unserer Zweifel
an der Fähigkeit der Gewalttäter zur Einsicht – dazu auf, von ihrem Weg abzugehen. Die dokumentierbare Wahrheit läßt
sich durch Einschüchterung und Terror
nicht unterdrücken.
Wir bitten zugleich alle, die mit den
Dokumenten umgehen, mögliche Manipulationen zu verhindern und jede Veröffentlichung auf die beweisbaren Tatsachen
einzuschränken. Diese Bitte richtet sich
auch und gerade an die Kollegen bei Zeitungen und Zeitschriften, in Funk und Fernsehen.
Die Besichtigung der Kulturgeschichte
der DDR, ihrer Verwicklungen in Bespitzelung und Unterdrückung, ihrer Hoffnungen, künstlerischen Erfolge und Niederlagen markiert einen Testfall für unsere Gesellschaft. Es geht dabei nicht allein
um Stilfragen – es geht auch um die Frage,
ob die gewachsene demokratische Tradition in der Bundesrepublik Deutschland
ausreicht für die Chance, mit der eigenen
Vergangenheit offener, ehrlicher, kritischer, schließlich auch barmherziger umzugehen als in den Jahren nach 1945.
Wir bitten, dabei zu bedenken, daß es
unmöglich ist, damals Versäumtes heute
am ganz anderen Beispiel nachzuholen;
daß es hingegen möglich und erforderlich
ist, aus den Versäumnissen zu lernen und
anstelle schnell gefällter Urteile die Geduld
für mühsamere und schmerzhafte Erkenntnisprozesse aufzubringen.
Manfred Bissinger, PEN
Der Förderverein Projekt Osthofen e.V.
veranstaltete Anfang November ein Symposium mit dem Titel „Osthofen – Steine
des Erinnerns“. Erinnert wurde dabei an das
erste Konzentrationslager in Hessen, und
neue regionalgeschichtliche Forschungsergebnisse zu Verfolgung und Widerstand
in Rheinhessen vorgestellt.
Tagungsteilnehmer aus der näheren
Umgebung, MitarbeiterInnen aus Gedenkstätten der alten und neuen Bundesländer,
VertreterInnen von den Kommunen, Lehrer und LehrerInnen aus Hessen und Rheinland-Pfalz und Mitglieder des Fördervereins und der Lagergemeinschaft trugen zu
den fachkundigen und für die künftige
Arbeit fruchtbaren Diskussionen bei. Nach
dem Empfang der Tagungsteilnehmer
durch den Bürgermeister der Stadt Osthofen, Klaus Hagemann, begrüßte der Vorsitzende des Fördervereins und stellvertretende Landesvorsitzende des DGB
Rheinland-Pfalz, Manfred Helmes, die
Anwesenden. Pfarrer Dr. Konrad Elsässer,
derzeit Geschäftsführer des Fördervereins,
umriß im Anschluß daran die „Perspektiven des Lernortes“.
Großen Anklang erntete Prof. Dr. WolfDieter Narr, FU Berlin, für seine ebenso
fachkundigen wie kritischen und spannend
vorgetragenen Überlegungen zu den persönlichen und politischen Konsequenzen
aus dem Erinnern. Hauptthesen seines Vortrages waren, die Unteilbarkeit der persönlichen und der politischen Sphäre und
der Konsequenzen sowie das Nicht-Delegieren-Dürfen von politischer und moralischer Verantwortung an die Obrigkeiten.
Die Soziologin Angelika Arenz-Morch,
wiss. Mitarbeiterin im Förderverein, trug
neue Forschungsergebnisse zur Geschichte des Konzentrationslagers vor. Sie stellte die regionalen Besonderheiten Osthofens
bei der Einrichtung der „wilden“ Lager im
Reich heraus. Näher eingegangen wurde
auf die soziale und politische Herkunft der
Häftlinge, der die Gruppe der „Täter“
gegenübergestellt wurde, wobei hier differenziert wurde zwischen dem „kleinen“
Wachmann und den „Verantwortlichen“ im
Volksstaat Hessen. Als weiteren Schwerpunkt behandelte Angelika Arenz-Morch
die Juden im Lager Osthofen, die von
Anbeginn an als „Untermenschen“ entwürdigt wurden.
In vier Arbeitsgruppen wurden die Themen vertieft und mit neuen regionalen
Akzenten versehen. Die erste Arbeitsgruppe befaßte sich mit der Vernichtung
der Wormser jüdischen Gemeinde, sie wurde geleitet von Archivdirektor Fritz Reuter.
Die zweite Arbeitsgruppe hatte die Sozialstruktur der SA zum Thema und wurde von Reinhard Starck betreut. Die Boxheimer Dokumente waren Thema der von
Angelika Arenz-Morch geleiteten Arbeitsgruppe. Mit der Rolle der „Katholischen
Kirche – Widerstand oder Anpassung?“
befaßte sich in kontroverser Diskussion die
Arbeitsgruppe unter Pfarrer Dr. Ludwig
Hellriegel.
Einen Einblick in die Materialien und die
Arbeiten der für den Volksstaat Hessen
zuständigen Archive verschafften für das
Hess. Staatsarchiv Darmstadt, Dr. Diether
Degreif, der über die hessische Bereit-
schaftspolizei referierte, und Dr. Volker
Eichler, der das Projekt zu Verfolgung und
Widerstand in Hessen, das sich im Hessischen Staatsarchiv in Wiesbaden befindet,
vorstellte.
„Wir sind auch Deutsche – Zur Situation der Landjuden in Rheinhessen“, unter
diesem Titel referierte Dr. Dieter Hofmann
aus Köln seine langjährigen Forschungsergebnisse. Hoffmann gliederte seinen Vortag in drei Abschnitte: Zu Beginn referierte
er die Situation der Landjuden bis Ende des
Ancien Regime, danach die Zeit der französischen Revolution bis zum Ende der
Weimarer Republik und drittens den
Beginn der Verfolgung 1933 bis zur Vernichtung.
„Nord-Süd-West-Osthofen“ war die
abschließende Podiumsdiskussion benannt,
die Heiner Lichtenstein vom WDR Köln
erstaunlich feinfühlig moderierte und in der
nicht nur die auf dem Podium vertretenen
Lagergemeinschaften der Lager Osthofen
und Dachau, der Förderverein Projekt Osthofen, die Stadt Osthofen, die ev. Kirche
sowie die Landeszentrale für politische Bildung zu Wort kamen, sondern auch die
Teilnehmer mit ihren Vorstellungen und
Forderungen für die Perspektiven des
Lernortes Osthofen.
Mit der Tagung wurde ein wichtiger
Schritt in Richtung Dokumentations Werkstatt für Rheinland-Pfalz gegangen, der
Förderverein Projekt Osthofen hatte seine
Kompetenz für die künftige Arbeit am Ort
Osthofen unter Beweis gestellt.
Angelika Arenz-Morch
„Wir gedenken der strahlengeschädigten Kinder“
Gewaltfreie Blockade des Siemens Brennelementewerkes in Hanau-Wolfgang
Wir widmen unsere fünfte gewaltfreie
Blockade am 9. März 1992 den Kindern in
aller Welt, die bereits Opfer der Atomtechnologie wurden und deren Recht auf Leben
und Gesundheit durch den Betrieb des
Brennelementewerkes mißachtet und verletzt wird.
Schadenersatzansprüche
Mitten durch einen Nationalpark
EG unterstützt Autobahn durch die Pyrenäen
Mit finanzieller Unterstützung der EG soll
durch die Pyrenäen zwischen Pau und
Zaragoza eine dreispurige Autobahn gebaut
werden, zur besseren wirtschaftlichen
Anbindung Spaniens und Portugals, wie
man sagt.
Für uns in Deutschland mag das weit
weg sein, doch trotzdem bei näherem Hinsehen sträuben sich dem kritischen
Betrachter die Haare: Durch’s Aspe-Tal
soll’s gehen! Mitten durch einen Nationalpark, der von der EG selbst als international bedeutsam deklariert wurde, in dem
die größte Braunbärpopulation Europas
lebt! (Groß ist die zwar wirklich nicht, aber
deswegen umso schützenswerter, von all
den anderen höchst seltenen Tier- und
Pflanzenarten einmal ganz abgesehen.)
Eine Naturlandschaft, die international
ihresgleichen sucht, soll hier durchschnitten und touristisch erschlossen werden.
Eine Überlebenschance für die Braunbären,
und da sind sich die Wissenschaftler einig,
besteht dabei langfristig nicht.
Wie ist ein solcher Irrsinn überhaupt
möglich? Doch nur gegen EG-Richtlinien
und französische Naturschutzgesetze. Der
von der EG verhängte Schutzstatus für das
Gebiet wurde eigens hierfür aufgehoben,
ein einfaches Prinzip: Man schützt, solange es eigentlich nicht nötig ist, und hat man
eine wirtschaftliche Verwendung für das
Gebiet, läßt man den Schutz wieder wegfallen und unterstützt das Bauprojekt gegebenenfalls noch finanziell.
Die Ironie dabei ist, daß der Wiederausbau einer bestehenden, aber stillgelegten Bahnstrecke durch das Tal nur ca. 10
Prozent der Kosten für den Autobahnbau
verschlingen würde, was wesentlich
umweltfreundlicher und etwa genauso wirtschaftlich wäre. Irrsinnigerweise existiert
auch eine EG-Richtlinie, nach der der Bau
von Bahnstrecken Vorrang gegenüber dem
Straßenbau haben sollte. Wie kann man
eigentlich eine solche EG noch ernstnehmen?
Einen letzten Funken Hoffnung gibt es
noch für das Tal, seitdem sich eine wachsende Gruppe von entschlossenen Umweltschützern gegen den geplanten Autobahnbau auflehnt,und es sollen, wie ich gehört
habe, demnächst auch internationale Protestaktionen laufen. Die Frage ist nur, warum muß es immer wieder soweit kommen?
Können Politiker nicht gleich eine Umweltverträgliche Verkehrspolitik betreiben?
Kann sich die EG nicht wenigstens an ihre
eigenen Richtlinien halten? Vielleicht ist
das illusorisch, aber nur wir, die Bürger,
können durch unsere Unzufriedenheit,
unseren Protest etwas an dieser mißlichen
Lage ändern.
Übrigens: wer nähere Informationen
über das Bauprojekt und die Proteste im
Aspe-Tal wünscht, sollte sich nicht scheuen, mich anzuschreiben.
Volker Haass, Bahnstr. 128,
6106 Erzhausen
Das Siemens Brennelementewerk (BEW)
in Hanau ist Nachfolger der Hanauer Skandalfirmen Alkem und RBU. Circa 80% des
Brennstoffbedarfs der bundesdeutschen
Atomkraftwerke wird mit den hier hergestellten Brennelementen aus Uranoxid und
(plutoniumhaltigem) Mischoxid (MOX)
gedeckt. Darüberhinaus geht ein großer Teil
der Produktion ins Ausland. Seit fast drei
Jahren gibt es eine intensive Auseinandersetzung zwischen der „Kettenreaktion Hanau“ und der Leitung des Brennelementewerkes über die Frage, ob diese Produktion
verantwortbar ist. Die anfängliche Bereitschaft zum Dialog ging aber von Seiten der
Firmenleitung in den letzten Monaten
zunehmend zurück, gleichzeitig drohte Siemens den Mitgliedern der Gruppe (und den
übrigen Menschen, die sich an den gewaltfreien Blockaden beteiligen) mit der Durchsetzung von Schadenersatzansprüchen in
„unbegrenzter“ Höhe, wenn wir weitere
Aktionen dieser Art durchführen sollten.
Erstaunliche Zusammenarbeit
Zunächst war das Ziel unserer Arbeit, uns
über die tatsächlichen Gefahren der Brennelemente-Produktion (bzw. der Atomenergie-Nutzung insgesamt) bessere Kenntnisse zu verschaffen. Hinter unserem Informationsbedürfnis stand aber von Anfang an
die Frage, ob wir die atomare Stromerzeugung dulden dürfen oder womöglich eine
Pflicht haben, uns ihr gewaltfrei zu widersetzen. Von Beginn an haben wir deswegen
den verbindlichen Dialog mit der Betriebsleitung des Hanauer BEW gesucht. Die Leitung des BEW hat sich – anerkennenswerterweise – auf folgende Form der Sachauseinandersetzung mit uns eingelassen: Wir
führten eine Reihe von öffentlichen Veranstaltungen (bisher 10) mit Fachreferenten
zur Problematik der Atomenergie-Nutzung
durch. Einen Auswertungstext von diesen
Abenden haben wir jeweils – mit Bitte um
Stellungnahme – an das BEW geschickt.
Dabei haben wir uns verpflichtet, unseren
Text zusammen mit der Siemens-Stellungnahme ohne weitere Änderungen zu veröffentlichen.
Bedenken nicht zerstreut
Inhaltlich konnten die Stellungnahmen
unsere Bedenken gegen die Atomenergie
aber nicht zerstreuen: Viele gewichtige Pro-
bleme blieben offen, viele Antworten überzeugten uns nicht. Bei allen Themen dieser
Veranstaltungsreihe sind uns die vergessenen und verdrängten Opfer der Atomtechnologie begegnet. Ihre Leiden fordern von
uns Konsequenzen: Für den Fall, daß unsere Forderung nach Einstellung der Brennelementeproduktion und Produktionsumstellung nicht erfüllt würde, kündigten wir
der Firma Siemens gewaltfreien Widerstand
(in Form von Sitzblockaden) an.
Die Forderungen wurden abgelehnt. Die
ersten drei Sitzblockaden wurden von der
Firmenleitung, soweit dies möglich war,
ignoriert; unser Appell zur Umkehr blieb
ohne Antwort. Bei der vierten BlockadeAktion (der ersten, bei der alle Zufahrten
zum Werk blockiert waren) ließ Siemens die
oben erwähnte Schadenersatzdrohung für
den Fall weiterer Blockade-Aktionen laut
werden.
Unterbrochener Dialog
Zum Zeitpunkt dieser Drohung war der
Dialog mit der Firma bereits zurück gegangen. Seit über einem Jahr bekommt die
„Kettenreaktion“ keine befriedigenden Antworten auf eine Reihe detaillierter Fragen in
Bezug auf das vom Brennelementewerk
ausgehende Gefährdungspotential.
Da wir nur eine kleine Gruppe sind,
bedeutet die Schadenersatzdrohung von Siemens für alle TeilnehmerInnen künftiger
gewaltfreier Blockaden am BEW die In-Frage-Stellung ihrer wirtschaftlichen Existenz.
Weil wir es Siemens nicht gestatten wollten,
gleichsam einen Präzedenz-Fall dafür zu
schaffen, daß gewaltfreier Widerstand und
ziviler Ungehorsam mit einer solchen Drohung in die Knie zu zwingen, entschieden
wir uns, trotzdem mit den Aktionen fortzufahren. Wir hoffen durch die Publikation
unseres Streits mit Siemens so viel Unterstützung zu bekommen, daß die Firma –
schon aus Gründen der Popularität – auf die
angedrohten Schritte verzichtet.
Wie könnte Ihre Unterstützung aussehen?
Jeder und jede einzelne, die zu der gewaltfreien Sitzblockade nach Hanau kommen
kann, ist uns sehr wichtig. Aber auch aus der
Entfernung kann unser Anliegen wirksam
unterstützt werden, im Folgenden nur einige Beispiele: Briefe schreiben an das Siemens BEW (mit Durchschlag an uns), damit
die Firma merkt, daß Menschen im ganzen
Land die Auseinandersetzung verfolgen. (Ist
uns sehr wichtig! Adresse: Siemens Brennelementewerk, Werksleitung z. Hd. Herrn
Krellmann, Rodenbacher Chaussee 6, 6450
Hanau-Wolfgang). Prüfen, ob Sie sich der
„Hanauer Übereinkunft“ mit Ihrer Unterschrift anschließen können. (Die „Hanauer
Übereinkunft“ bildet für uns die Grundlage
für den gewaltfreien Widerstand gegen die
Atomproduktion). Verbreiten unserer Informationen (Rundbrief abonnieren!). Teilnahme an der Aktion am 9. März 1992 als
ZuschauerIn bzw. DemonstrantIn (ohne
Blockade-Teilnahme, ohne Vorbereitung,
ohne strafrechtliches Risiko). Teilnahme an
der Aktion als UnterstützerIn oder BlockiererIn (Voraussetzung ist die Teilnahme am
Vorbereitungswochenende 7./8. März.
BlockierInnen müssen mit einer Anzeige
wg. „Nötigung“ rechnen). Unterschrift unter
den Blockade-Aufruf (kann als „Aufforderung zu einer Straftat“ angezeigt und
gerichtlich verfolgt werden, ist also bereits
eine Form des Zivilen Ungehorsams).
Finanzielle Unterstützung (W. Kerntke,
Sonderkto. Kettenreaktion 213942 bei Ökobank Frankfurt, BLZ 500 901 00).
Ingo Laubenthal, Obermainanlage 27, 6000
Frankfurt/M. 1, Tel.: 0 69/49 84 37
5 . Kalenderwoche - Seite 13
Feuilleton I
Wer hat Präsident Kennedy
ermordet?
Oliver Stones
Polit-Thriller „JFK“
in Darmstädter Kino
US-Präsident John F. Kennedy am 22. November 1963
in Dallas (Texas) ermordet
wurde, war er gerade 1036 Tage im Amt.
Nach anfänglicher Rücksichtnahme auf das
US-Rüstungs-Establishment, vor dem
Eisenhower gewarnt hatte, nach dem
mißglückten Invasionsversuch in Cuba und
der Verstärkung des US-Engagements in
Vietnam mehrten sich die Zeichen der Entspannung in seiner Politik. In das Jahr seiner Ermordung fallen unter anderem Vereinbarungen über den „heißen Draht“ zwischen Moskau und Washington, ein
amerikanisch-sowjetisches Getreidegeschäft, ein partieller Atomversuchsstopp
und eine von den USA und der UdSSR
unterstützte UNO-Resolution gegen die Stationierung von Kernwaffen im Weltraum.
Außerdem gibt es Belege für die These, daß
Kennedy plante, das militärische Engagement in Vietnam bis Ende1965 teilweise
oder ganz zu beenden. Seine Innenpolitik
setzte auf soziale Reformen und ein Ende der
Rassendiskriminierung. Angeblich wollte er
gar den texanischen Ölmilliardären steuerlich an den Kragen.
Als
Einzeltäter oder Verschwörung?
Hatte sich Kennedy mit all dem unbeliebt
gemacht? Wer hat ihn ermordet? Und warum? Zur Beantwortung dieser Fragen hatte die US-Regierung die Warren-Kommission eingesetzt, die der Weltöffentlichkeit1964 den angeblichen Einzeltäter Lee
Harvey Oswald als den allein Schuldigen
präsentierte. Diese Version ist früh angezweifelt worden, und in den Jahrzehnten
nach dem Präsidentenmord mehrten sich
die Beweise für eine Verschwörung.
Jetzt hat sich Regisseur Oliver Stone dieses
Themas angenommen. Und es war von
vornherein nicht zu erwarten, daß er, der mit
seinen so ganz ungemütlichen und unheldischen Beiträgen zur Bewältigung des Vietnamkrieg-Traumas („Platoon“ und „Geboren am 4. Juli“) manchem Hardliner als unamerikanischer Nestbeschmutzer erschien,
falsche politische Rücksichten nehmen würde. Sein zusammen mit Zachary Sklar verfaßtes Drehbuch basiert auf den Vorlagen
„Crossfire: The plot that killed Kennedy“ von
Jim Marrs und „On the trail of the assassins“
von Jim Garrison (auch im Lübbe Verlag).
Kämpferischer Staatsanwalt
Und eben dieser Garrison ist als Staatsanwalt von New Orleans die Hauptfigur in Stones Film. Zäh und gründlich recherchiert
Garrison, der dem Ergebnis der WarrenKommission mißtraut, mit seinem Team
und findet nach und nach heraus, daß der
angebliche Einzeltäter Oswald nicht der einzige war und eventuell gar nichts mit dem
Mord zu tun hatte, daß der Mörder Oswalds,
der Nachtclubbesitzer Jack Ruby, sein Opfer
kannte und daß beide in exilkubanischen
Kreisen verkehrten, die zwecks erneuter
Invasion Cubas vom CIA finanziert und ausgebildet wurden. Demontiert wird von Garrison die Warren-Kommission als eine unseriöse, von höchsten Stellen gedeckte Clique,
die eine Menge von störenden Fakten unter
den Tisch kehrt, verdreht oder verfälscht.
Immer deutlicher wird ihm der Ablauf des
Attentats auf den Präsidenten: ein Kreuzfeuer von mehreren, an drei verschiedenen
Stellen postierten Scharfschützen.
Filz aus CIA, FBI und…
Als Garrison in Washington von einem ranghohen Ex-CIA-Mann einen Hintergrundbericht über die kriminellen Aktivitäten des CIA,
höchster Politiker und Generäle erhält, bei
dem sogar der Kennedy-Nachfolger Lyndon
B. Johnson, Texaner und Freund texanischer
Ölmilliardäre, ins Zwielicht kommt, ist der
kämpferische Staatsanwalt sicher: bei der
Ermordung des Präsidenten handelt es sich
Ausstellungen
in
Darmstädter Galerien
Die Avantgarde lebt noch!
um einen Staatsstreich,
geplant und durchgeführt von einem Filz aus
CIA, FBI, Exilkubanern,
Mafia, Militärs, Politikern und den Rückzug William Copley (CPLY) „Model for ‚American Flag‘“, 1961. Öl
aus Vietnam fürchten- auf Leinwand, 62x81 cm (aus:„Pop Art“, Deutsche Buchgemeinschaft 1968)
den Rüstungsindustriellen. Doch für den entscheidenden juristischen Schlag ist es zu
blenden versucht Stone, die im Film domispät, wichtige Zeugen und Schuldige sind
nierende Dialog-Struktur aufzubrechen und
plötzlich „gestorben“, und Garrisons Ankla- sein unpoetisches Sujet aufzumotzen. Denge gegen den ihm noch verbleibenden,
noch hat man den Eindruck, daß die enthöchst verdächtigen Geschäftsmann Clay
scheidenden Informationen über den SachShaw geht in die Hose. Im Nachspann erfah- verhalt stellenweise nicht auf der barocken
ren wir, daß der inzwischen verstorbene
Filmspur, sondern auf der ebenso dicht
Shaw von CIA-Helms 1979 als schuldig
besetzten Tonspur ablaufen, und manchmal,
betrachtet wurde und daß Garrison weiteretwa beim Treffen Garrisons und des Exlebte und gar zum Revisionsrichter avanCIA-Manns „Mr. X“ in Washington (eine
cierte.
unscheinbare Nebenrolle für Donald Sutherland), macht es nichts, wenn man die Augen
schließt und das Ganze als Hörspiel genießt.
Eindimensionaler Costner
Mit seiner politischen Aussage ist Stones
Film nicht prinzipiell neu, Historiker (wie
etwa Helmut Wolfgang Kahn: „Der Kalte
Krieg“) teilen diese Ansicht. Stones Verdienst ist es jedoch, den Mord an Präsident
Kennedy samt Staatsstreich-Hintergrund als
Polit-Thriller in die Kinos gebracht zu haben.
Ein schwieriger, unhandlicher Stoff, bei dem
Stone, wie auch der historische Vorspann
beweist, ausschließlich politische Absichten
zu haben scheint, denn die Figur Garrisons,
für die Schauspielkunst Kevin Costners zu
eng, bleibt bei ihren durchaus sympathischen Eigenschaften etwas eindimensionaleintönig, und die Privatsphäre des Helden,
das Problem mit der unpolitischen, verständnislosen und schließlich doch solidarischen Ehefrau, kontrapunktiert nur
schwach die Haupthandlung.
Beeindruckende Montage
Doch die ästhetische Machart dieses Films
ist hochartifiziell. Die Cutter müssen viel
Arbeit am Schneidetisch gehabt haben.
Denn montiert sind farbige und schwarzweiße, dokumentarische, pseudo-dokumentarisch nachgedrehte und neu gefimte
Aufnahmen, die oft als Kaskaden von kurzen
oder gar blitzartigen Kürzest-Einstellungen
auf das Auge des Filmzuschauers niederprasseln. Auch mit Zeitlupen, Zooms,
Reißschwenks und zahlreichen Mini-Rück-
Stones Film hält sich eng an die historischen
Tatsachen und Personen, der fiktionale
Anteil ist gering. Dennoch handelt es sich
hier um einen Spielfilm, der eine beeindruckende Bildmontage aufweist und dessen Tonspur (auch auf CD zu haben) in ihrer
ästhetischen Eigenart etwa einem Stück des
„dokumentarischen Theaters“ vergleichbar
ist.
Moralische Kraft
Stone und Autor Garrison halten den Mord
an Kennedy für einen Wendepunkt in der
Nachkriegsgeschichte der USA, dem Vietnamkrieg, Watergate und Irangate zwingend
folgten. Beide verkörpern den Glauben an
den „amerikanischen Traum“ und seine
Ideale. Darin liegt ihre politische Legitimation und die moralische Kraft, die „JFK“ die
Wucht seiner Wirkung verleiht. Wenn ein
Konzern wie Warner Brothers sich vom Vertrieb dieses 1991 produzierten Films Profit
verspricht, dann kann man davon ausgehen,
daß die US-Öffentlichkeit und der Rest der
Welt auf die Staatsstreich-Version des Präsidentenmords längst vorbereitet sind und
nach ihr verlangen. So richtig gefährlich fürs
Establishment kann‘s ohnehin nicht werden:
erst im Jahr 2029 muß die US-Regierung die
geheimsten Akten herausrücken.
(Im „Rex“, Darmstadt)
Artur Rümmler
Professionalität
Was ist Professionalität? Auf den ersten Blick
durchaus etwas Positives. Etwas, das sich
absetzt vom amateurhaften, dilettantischen
Agieren. Professionalität kommt nicht aus dem
Bauch, sie scheint es eher mit dem Kopf zu
haben. Kühle Sachlichkeit, überlegene Rationalität, gekonntes Handwerk – das alles gut
gemischt, mit einem Schuß Erfolg garniert,
und schon haben wir sie: die Professionalität,
und: den Profi.
Profis stehen im allgemeinen hoch im Kurs,
sowohl bei den Fans wie auch bei der Bezahlung. Von Profis erwartet man, daß sie ihr
Bestes geben für den, der sie angestellt hat. Sie
brauchen sich nicht zu identifizieren mit ihrem
Verein, ihrem Arbeitgeber, nein, sie sollen 90
Minuten – Profis in anderen Branchen länger
– alles geben, danach zählt wieder der nächste Einsatz. Solche Professionalität ist in unserer Gesellschaft hoch anerkannt. Sie bezeichnet ein Verhalten, welches gesellschaftlich
erwünscht und gefördert wird. Derjenige, der
sich professionell verhält, sammelt die Lorbeeren, welche als Erfolg wiederum auf jede
professionelle Einstellung zurückstrahlt.
Professionalität ist die Tugend der Leistungsgesellschaft, ist das in den marktwirtschaftlichen (früher auch: kapitalistischen) Alltag beförderte Prinzip bürgerlicher Rationalität.
Der Profi trägt die Ware Arbeitskraft so zu
Markte, wie der es sich vorstellt. Professionalität hat einen guten Klang für eine Mentalität, die außer dem Tauschwert keinen anderen mehr kennt.
Wer braucht Professionalität? Wer braucht
eine Ein-Stellung, ein Verhalten, eine Mentalität, die nicht durch gemeinsame Sache vermittelt ist? Wir kennen zum Beispiel den Profi-Killer, der seine Sache versteht, von dem
Hintergrund, um den es bei seinem Mord geht,
jedoch nichts zu wissen braucht, ja, nichts
wissen sollte. Professionalität, die bei ihm
gesucht wird, ist abgekoppelt von ihrem
Zweck. Sie ist ein gegen ihr Ziel blindes Mittel. Der Profi verübt sein Handwerk ohne innere Beteiligung, ohne Liebe, ohne Haß, nach
Maßstäben einer bloß formalen Logik, einer
instrumentellen Vernunft, sachlich, kühl, eben
professionell.
Das aber bringt die Tugend der Professionalität auch in die Kritik. Der Polit-Profi zum Beispiel ist derjenige, der ohne Bindung an den
eingebildeten Souverän eine Legislaturperiode
lang nur noch seiner Karriere verpflichtet ist.
Das nehmen altmodisch denkende Menschen
übel, obwohl er doch „nur“ Profi ist.
Was also schlußfolgern wir: Professionalität
berührt nicht eines der Ideale, welche sich die
bürgerliche Gesellschaft (und auch die sozialistische) auf die Fahnen geschrieben hat.
Schon gar nicht streift sie den Horizont von
Humanität und Aufklärung. Eigentlich bezeichnet sie eine Killer-Mentalität, der nichts heilig,
aber auch nichts profan ist. So besehen ist sie
geradezu eine Errungenschaft der bürgerlichkapitalistischen Welt. Wahre Professionalität,
welche immerhin vorstellbar wäre, hätte –
wahlweise: wird haben – einen ganz anderen
Namen.
Baltasar Matzbach, Universaldilettant
Wenn die noch ganz junge Darmstädter
Galerie Edition C. Rau diese Tage Werke von
Mariarno präsentiert, so verbirgt sich dahinter kein durch Tippfehler verunstalteter
Name, sondern die beiden Künstler Marianne Müller und Arno Brandlhuber. Beide
ursprünglich eher in der Profession des
Architekten tätig, schufen nun gemeinsam
auf den Lagerhallen-Charakter der Galerie
reagierende Werke. Dieser Prozeß des
Erprobens neuer Arbeitsbereiche und intensiver Selbsterfahrung wird im Gezeigten
deutlich sichtbar und erscheint hier wichtiger als relative Qualitätsurteile.
ben sich dabei interessante Nuancierungen
und Variationen. Hervorzuheben die Serie
„Souche d’arbre“ (Baumstumpf), neun Blätter zeigen das immer kleiner werdende
Motiv der Jahresringe, abwechselnd in
schwarz und in Farbkombinationen
gedruckt, wobei in einem Blatt die Assoziation an Figürliches überwiegt, beim anderen
denkt man eher an Fingerabdrücke, aber
immer fasziniert der Gedanke eines rückwärts gerichteten, die einzelnen Wachstumsschichten des Baumstumpfes freilegenden Blicks des Künstlers.
So zeigen die großen Bilder, entstanden aus
stark vergrößerten Fotos, die umkopiert und
mittels Frottage auf Leinwand übertragen
wurden, nackte und schemenhafte Figuren,
allein oder als Paar, stets voll emotionaler
und psychischer Anspielungen. Quer durch
den Raum hat man „Ausstellungsbesucher“
drapiert, teilweise behauene angekokelte,
mit Nägeln gespickte alte Dachbalken, die
Widerstände und Kräfte des vorgefundenen
Materials sichtbar werden lassen. Zur Ausstellung erscheint auch eine zusammen mit
zwei weiteren Künstlern, Thomas Hannibal
und Vollrath Hopp, produzierte Mappe von
neuen Radierungen.
Warenwelten und semantische
Strukturen
Richtig professionell hingegen die Ausstellung der Frankfurter Künstlerin Karin Hoerler in der Eberstädter Galerie Axel Thieme,
recht bekannt seit ihrer Förderkoje auf der
Art de Cologne 1990 durch ihre spezifische
Arbeitsweise. Ausgangsmaterial dieser
Künstlerin sind bedruckte Folienpackungen
aller Art, die sie ausschneidet und neu
zusammenfügt zu klassischen Kollagen,
Folienbildern oder plastikhaft raumgreifenden Leuchtkästen. Durch Wiederholung gleicher Motive, durch Kombinationen und
andere Modifikationen findet sie regelrecht
erzählerische Strukturen und einen neuen
ästhetisierenden Blick auf sonst als belanglos mißachtetes Bildmaterial. Da freuen sich
Mam, Dad und die Kids in „herrlich! herzhaft!“ über das leckere belegte Brot, da wird
„Jäger Salat“ und „Hawaii Toast“ vor
scheußlich buntem 70-er-Jahre-Blumenmuster mit anderen Symbolen kombiniert,
und in „Solvar und Contractor“ gehen bei
einer ganzen Prozession von bunten Doppelripp-Unterhosen und Damen-Unterhemdchen exzessive Häuslichkeit und verhaltene Erotik eine gewagte Liaison ein. Man
schmunzelt gerne über diese vermeintlichen
Erzählungen, aber das Lachen bleibt einem
im Halse stecken angesichts der formalen
Banalität der Warenwelt, die uns überall
umgibt.
Holzschnitte wie
Fingerdrucke
Faszination des technischen Mediums
spricht aus den Holzschnitten von Peter
Guth, die in der Galerie Netuschil zu sehen
sind. Ungewöhnlich sind diese allein schon
durch ihre Größe, die sie fast den Charakter
von Gemälden annehmen läßt und den reinen Handabzug vom Holzstocks notwendig
macht. So kann der Künstler auch auf die
vorgefundenen Strukturen, die Maserungen
und Risse der alten Holzstämme sensibel
eingehen, sie mit figurativ angeregten
Schnittmustern ergänzen und mehrere Platten übereinander drucken. Durch die Verwendung verschiedener Druckfarben erge-
Und ein echter Heiner
Die Kunsthalle schließlich besinnt sich auf
Regionales in Reinkultur, wenn sie den
Darmstädter Maler Heinrich Reinhard Kröh
(1841-1941) präsentiert. Geboren als Sohn
des großherzoglichen Galerie-Inspektors,
erhielt er ersten Unterricht von dem Romantiker August Lucas, um später in München
zu studieren. Daß er sich dort mit dem
damals führenden Stil des Realismus auseinandersetzte, zeigen frühe Arbeiten wie
eine „Schwälmer Stube“ von 1868, die auch
die damals aktuelle Strömung der Hinwendung zu regionalen Inhalten verdeutlicht.
Wieder in Darmstadt, wurde Kröh zum
Nachfolger seines Vaters und führte auch die
obligatorischen repräsentativen Porträts des
Bürgertums aus. In weit stärkerem Maße
wendete er sich jedoch der Landschaftsmalerei zu, wobei ihm die neueren Strömungen des Kunstgeschehens zunächst
nicht fremd waren, wie etwa impressionistisch beeinflußte Lichtführung in „Stiftsgarten“ von 1902 beweist. Aber anstelle
eines furioseren Spätwerkes finden sich
dann immer gefälliger werdende Landschaften, Gegenden um Darmstadt und aus
dem Odenwald, die bis ins rein Dekorative
abfallen können. Der Maler hinterläßt so den
Eindruck, sich auf ein geruhsames Altenteil
zurückzuziehen, die Landschaften bleiben
ohne jede Figurenstaffage und sparen die
aktuelle (und ihm zu problembeladene?) Zeit
aus, zu einem Zeitpunkt als die deutsche
Kunst einen ungeahnten Entwicklungsschub
erlebte.
Konservativen Kräften dürfte ein solcher
Zeitgenosse sehr angenehm gewesen sein
und so lobte eine Zeitung zu seinem 100.
Geburtstag die Standkraft des Künstlers,
„den verführerischen Ausblühungen des
Jugendstils“ nie verfallen gewesen zu sein,
und befand, „das Echte, das Naturverbundene und das Gesunde war ihm immer
nahe“ – bezeichnende Worte in einer Zeit der
Diktatur! Zwar mag es angebracht sein,
einen regional bekannten Maler gebührend
aufzuarbeiten und zu präsentieren, doch die
Ausstellung in der Kunsthalle erscheint
erheblich überbewertend und beweist wenig
Mut zu einem herausfordernden Ausstellungsprogramm. Gerne und etwas wehmütig denkt man da an vergangene Zeiten
zurück, als am Steubenplatz etwa Emilio
Wedova zu sehen war oder ein ehrgeiziges
Projekt wie „Emotion und Methode“ gestartet wurde.
Die Termine entnehmen Sie bitte dem Aus-
5 . Kalenderwoche - Seite 14
Feuilleton II
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Braver
Konsens
der
Experten
Nachlese des Gesprächs
zur Mariani-Ausstellung
auf der Mathildenhöhe
Aber auf dieses Erstaunen folgte sogleich
sein Modell, daß nur eine spannungsvolle
und widersprüchliche Kulturszene wirklich
lebe, ausschließende Bewertungen daher
also unmöglich wären.
Darmstadt hat mit der Mariani-Ausstellung
einen guten Griff getan zumindest, was die
breite Resonanz dieser Veranstaltung in der
Öffentlichkeit angeht. Es ist lange her, daß
eine Präsentation bildender Kunst ähnlich
kontrovers in der Fachwelt beurteilt wurde.
Es findet sich verhaltene Zustimmung oder
ratloses Gestammel über den Neo-Neo-Klassizismus einerseits, offene Ablehnung oder
die skeptische Charakterisierung als „Klimmzug einer Versöhnung von Klassik und
Avantgarde“ (FAZ) andererseits. Doch das
Publikum wird angezogen, man konnte selten ein schöneres, braves Bildungsbürgertum (oder das, was sich dafür hält) an einem
Sonntagnachmittag beobachten als gerade
in dieser Ausstellung. Auch unter Schwulen
hat sich die Kunde von den klassisch posierenden Akten und den schönen Hermaphroditen längst herumgesprochen und
daraus ein wahres Kult-Ereignis gemacht.
Insgesamt genug Grund für die Mathildenhöhe, einmal eingehend über diesen ganzen
Komplex zu kommunizieren und die beliebten Experten dazu einzuladen.
Nicht ganz so einfach stellte sich das Problem Mariani für Matthias Bleil, Verfechter
der radikalen (puristischen oder monochromen) Malerei, dar. In guter kunsthistorischer Manier bemängelte er den Ausstellungskatalog wegen einseitiger Darstellungen und falscher Definitionen, stellte
(scheinbare?) Mißverständnisse klar und
kam zu dem Schluß, Marianis Zitate von
bekannten Motiven seien schließlich nicht
besonders originell. Da Mariani den Klassizismus ausschließlich formal aufgreife, diese Stilrichtung aber primär von programmatischen Inhalten geprägt sei, seien
falsche Deutungen seiner Malerei so leicht
möglich.
Also versammelte man sich am 16.1. vor
reichlich neugierigen Gästen zu einer Gesprächsrunde unter Klaus Wolbert, dem Leiter des Instituts Mathildenhöhe programmatischem Titel „Abbruch der Moderne –
Rekonstruktion des Kunstwerks“, welcher
die Meinung zusammenfaßt, die Moderne sei
als Epoche vorbei bzw. durch eine noch näher zu definierende neue Epoche ersetzt, und
das durch die Moderne destruierte Kunstwerk ließe sich nun als elitäres und entsprechend erhabenes Artefakt wiederherstellen. Daß sich daran keine flammende Diskussion entzündete, sondern ein nettes Gerede
der größtenteils sich hinter ihren akademisch
abgesicherten Meinungen versteckenden
Fachleute entwickelte, mag bezeichnend sein
für den Stellenwert, den solch kulturelle
Ereignisse heute bei uns innehaben. Oder es
lag daran, daß Wolberts Einführung keinen
echten Zündstoff lieferte, sondern nur
Bekanntes zusammenfaßte. Oder die Schuldigen waren die nicht erschienenen Experten, wie der mitunter als neofaschistisch verschrieene Kölner Künstler Gerhard Merz oder
die Star-Kritikerin Karin Thomas.
Vom Problem, kein Problem mit Mariani zu
haben, berichtete der an der Kasseler Uni lehrende Kunsthistoriker Georg Büssmann,
noch ganz erstaunt über die netten und munteren Besucher, die er einmal in der Ausstellung beobachte hat. Allerdings fiel ihm die
arge Ungewöhnlichkeit auf, daß Marianis Bilder sowohl ein richtiges Sujet erkennen
ließen, als auch eine Schönheit im klassischen Sinn aufweisen – beides Qualitäten,
die man bei der von ihm propagierten Kunst
(während seiner Tätigkeit am Frankfurter
Kunstverein) oft schmerzlich vermißte und
ihn deshalb angriff.
So viel akademische Selbstdarstellung mußte die gruppendynamische Manöverkritik
von Annelie Pohlen, Leiterin des Bonner
Kunstvereins, provozieren. Die SchwarzWeiß-Malerei der vorgetragenen Fragestellungen behagte ihr ebensowenig wie das
Modell einer linear und geradlinig sich
erstreckenden Geschichte der Moderne. Ob
Mariani nun die Moderne beende oder sich
an der Postmoderne bestätige, war daher für
sie eine Frage ohne allzu große Bedeutung.
Dschingis Khan zertrümmert den Fernseher
Gombo, der Viehzüchter, wohnt mit seiner
Frau Pagma, drei Kindern und Großmutter
im Rundzelt mitten in der Steppe der chinesischen Mongolei. Sergeij, Mitarbeiter
einer russischen Firma für Straßenbau,
havariert mit seinem Lkw in der Nähe von
Gombo und bekommt Hilfe von ihm. Der
Lkw wird flottgemacht, und beide fahren in
die Stadt – Sergeij zu Familie und Arbeitsplatz, Gombo, um Präservative zu kaufen,
weil die Regierung den Mongolen nicht
mehr als drei Kinder erlaubt. Für den Erwerb
der Präservative erweist er sich als zu
schüchtern, bringt aber einen Fernseher an
sein Steppenplätzchen mit zurück.
Eine unscheinbare Handlung, die dem
Action-Horror-Video-Freak nur ein müdes
Gähnen entlocken dürfte. Doch der russische Regisseur Nikita Michalkow hat mit
Sensibilität und Humor viel daraus gemacht.
Sein Film lebt von Gegensätzen. Da treffen
zwei verschiedene Bewußtseinsformen, zwei
Kulturen auf einander: der ruhige, leise,
zurückhaltend beobachtende und introvertierte Mongole, der ständig bewegte, laute,
impulsive und extravertierte Russe, der
Mühe hat, die Mongolen zu verstehen, wie
sie arbeiten, essen, leben. Ein guter Einfall:
Gombo, der Einheimische, spricht synchronisiert, hier also Deutsch, während Sergeij, der Fremde, russisch (mit Untertiteln)
und im übrigen nur gebrochen Deutsch
spricht. Dadurch erhält die mongolische Seite ihre Überlegenheit. Steppenleben und
Stadtleben stehen sich in Parallelmontage
gegenüber oder mischen sich gar, wenn
Gombo mit dem Pferd durch die Stadt reitet, zwischen Radfahrern und Autos, wenn
er mit gekreuzten Beinen auf dem Asphalt
sitzt wie auf Steppengras.
Die sommerliche Steppe ist die heimliche
Hauptdarstellerin dieses Films. Michalkow
filmt sie wie eine Geliebte, ihren Körper, ihre
Seele. In monumentalen Einstellungen mit
„Urga“,
der neue Film des
russischen
Regisseurs
Nikita Michalkow
herrlichen Farbnuancen zeigt sie ihr stimmungsvolles Eigenleben. Der mongolischen
Familie ist sie die Gute, die Geborgenheit
Gebende. Mensch und Steppe bilden eine
harmonische, manchmal auch mystische
Einheit. Immer wieder münden Groß- und
Nahaufnahmen des Menschen in die abschließende Totale der Landschaft, um diese Einheit sichtbar zu machen.
Doch nichts bleibt, wie es ist. Das Neue
bedroht das Alte. Wenn Gombos Tochter auf
dem Akkordeon ein westliches Stück spielt,
dann ist das vielleicht noch, wie der kontrastive Schnitt signalisieren mag, so selbstverständlich wie der Mond am Tageshimmel. Wenn aber Gombo aus der Stadt mit
einem Fernsehgerät zurückkommt, kündigen sich größere Veränderungen an. Jetzt
geht es um seine Identität, und Michalkow
läßt den ermüdet im Gras Sitzenden einen
Tagtraum träumen, in dem sein berühmter
Vorfahre Dschingis Khan den Fernseher zertrümmert und Gombo verhört: Bist du ein
Mongole?
Zwar scheinen Gombo und seine Frau noch
nicht sehr beeindruckt von den verschiedenen Fernsehprogrammen, zumal sie auf
der Mattscheibe, wie sie feststellen, doch
nur sich selber begegnen. Doch als die komplette Mongolenfamilie vor der Flimmerkiste sitzt und Präsident Bush zu Präsident
Gorbatschow sagt: „Ich gratuliere Ihnen für
die Veränderungen in Ihrem Land!“, und die
Kamera einen Schwenk auf das über dem
Fernseher angebrachte Poster zum US-Film
„City Cobra“ macht (ein Geschenk von Gombos ewig betrunkenem Nachbarn), läßt das
für die Zukunft nichts Gutes erahnen.
Der wie angehängt wirkende und im Prinzip
überflüssige Schluß des Films plakatiert
Michalkows Bedenken noch einmal mit
massiver Symbolik, kommentiert von einer
Stimme aus dem Off, die Gombos viertem
Sohn gehört. Wo einst, als er gezeugt wurde, im Steppenboden die Urga des Viehzüchters steckte, der lange Stock mit der lassoartigen Schlinge, mit dem Gombo auch
seine Frau einzufangen pflegte und der als
allgemein respektiertes Zeichen den Liebenden die Ungestörtheit sicherte, dort ragt
jetzt ein dunkel qualmender Schlot, und das
Gras, der grüne Mantel der Steppe, trägt
schwarze Spuren der Zerstörung. Die Steppe selber, scheinbar ewig und unbesiegbar,
ist von einer übergroßen Urga eingefangen
worden, und das Läuten des Telefons verfolgt den Filmzuschauer bis in den Nachspann.
Nikita Michalkow (Jahrgang 1945), hat, wie
er sagt, genug von dem vielen Blut, das die
Kinoleinwand überschwemmt. In „Schwarze
Augen“ (1987), der Geschichte von einem
liebestollen Italiener, bewies er bereits sein
Gespür für das Zarte, Gefühlvolle, seine poetische Wahrnehmung, seine Warmherzigkeit. „Urga“, für den er bei den Filmfestspielen in Venedig 1991 den „Goldenen
Löwen“ erhielt, trägt, bei aller Verschiedenheit des Sujets, die gleiche Handschrift
Michalkows und ist eine Liebeserklärung an
die Steppe und ihre Menschen, die nichts als
positiv sein will und doch dem Pessimismus
nicht entkommen kann.
Artur Rümmler
In der „Harmonie“, Frankfurt, und vom 30.1.
bis 5.2. im „Broadway“, Darmstadt.
An einem ideologischen Überbau versuchte sich dann Gernot Böhme, Philosoph an
der TH Darmstadt – zumindest biß der sich
gerne an spitzfindigen Überlegungen zu
Anachronismus und Postmodernismus bei
Mariani fast. Die Sache mit der Schönheit
sah er ganz mit Rilke, der beim Anblick eines
archaischen Torsos sein Leben ändern wollte – bei Mariani fand Böhme jedenfalls keine derart ungebrochene und ergreifende
Schönheit. Da die Ästhetik des Klassizismus
einerseits das ganze Leben des ausgehenden 18. Jahrhunderts in aufklärerischer Weise umfaßte und gleichzeitig ein Bildungsbürgertum als Rezipienten voraussetzte,
konnte er Marianis Kunst leicht als positions- und folgenlos für unser Zeitalter charakterisieren.
Den Schluß der ersten Runde machte Veit
Loers vom Kasseler Museum Fridericianum,
der auf zwei Seiten Marianis hinwies – einmal dessen figürliche Malerei, welche wohl
der Großteil der Ausstellungsbesucher
wahrnimmt und sodann den intellektuell und
konzeptuell arbeitenden Künstler, über den
sich sicherlich nur die Experten streiten.
Bleibende Qualität sah er nur in Marianis
frühen, von Sehnsucht und Melancholie
erzählenden Bildern, während er dessen
neuere Beschäftigung mit der Moderne eher
skeptisch beäugte.
Die sich daran anschließende Diskussion
flaute bald ab – Moderne und Postmoderne,
Kunst und Kitsch gaben nicht mehr lange
guten Gesprächsstoff ab. Sehr zurückhaltend schließlich die Wortmeldungen aus
dem Publikum. Deutlich wurde, wie verunsichert einige von der klassischen Moderne
geprägten Betrachter auf die eklektischen
Zitate bei Mariani reagierten, oder wie man
dem vermeintlichen Rezept mißtraute, in
einer verunsichernden Geistessituation auf bewährte Stilmittel, wie hier
den Klassizismus, zurückzugreifen.
Schließlich wurde Kritik an der künstlerischen „Arroganz“ laut, in einer globalen Krisenepoche sich auf Probleme
wie nostalgische Schönheit zurückzuziehen. Leider löste sich die Runde zu diesem Zeitpunkt schon langsam auf, so
daß man kaum noch auf diese angesprochenen Punkte einging. Schade,
denn so blieb gerade ’mal das Gefühl
eines beliebigen und braven Konsenses der Experten anstelle einer vielleicht heftigeren Annäherung an die
Thematik zurück.
Gerhard Kölsch
Der Mongole Gombo bringt einen Fernseher mit nach Hause in sein Zelt
Dem Ebbes fehlt nix
Biedermeierlich, jawohl, das ist es. Umgeben vom leicht angemufften Rund der
schwungvollen Sofa-Gebirge und dem unwiderstehlichen Charme von Hausmitterche Hildegard Lieder (bei Ebbes die Adelheit Hampelmann), die im bürgerlichen
Dottergelb ihres Wolken-Tüll-Gebirges
pumpt, wie ein Maikäfer: „Ich sage dir‘s,
Hampelmann, das Logis ist mir unausstehlich!“ Ihr Heiner Hampelmann, der
Dieter Matthes, paßt so ganz in die Roll‘,
wenn er den Zylinder net uff dem Kopf
hätt‘, müßt man ihn grad‘ dazu denke.
Tief enttäuscht sin se, das Echo hat ihne Salz in de Supp gestreut: „Ei, wisse se,
die Kritik das war e Gemeinheit“, meint
Frau Hampelmann, un recht hat se.
Geprobt hawwe se, die Hilde, der Dieter (am Anfang wußt‘ der gar net, wie er
sich halte soll), die Sophie (Ute Weiss) und
der Carl (Eberhard Schick). Wie die andern sind sie alle LaienschauspielerInnen
in festem Vertrag mit dem Staatstheater
und wollen „mit Leideschaft uff der Bühne stehe“.
„Das Stück, des gibt net soviel her, davor hatte mer Angst“, aber unter feinfühlender Regie von Harald Schäfer „vergesse mers“. Die verzwickten Liebesverwicklungen von Malß um Heiratswünsche, das
ist so ganz Wiener Metier eines Nestroy,
(zu dem Film „Urga“, Foto: Concorde-Filmverleih)
halt uf hessisch. Das Lesen is Strafarbeit:
immer dieselben vielgeleierten Pointen,
vom vermeintlichen Liebhaber im
Schrank, dem großen Opernstar, den heiratsfähigen Töchtern und den balzenden
reichen Jungmännern – bis zum happy
end, golden gar noch, mit viel Geld.
Hier könnte die Kritik zu Ende sein –
gäbs nicht Regie und Spiel: Scherenschnitthaft huschen schwarze Gestalten
hin und her und bauen – potz blitz – die
ganze gut Stubb: „Intendanz! Los geht‘s!“
Was macht es, daß mit der größten
Selbstverständlichkeit auf hessisch gesagt
werden kann, was auf hochdeutsch Beleidigung wäre? „Mer sieht‘s dene Herrschafte an, daß se zu ahner Familie geheere, viel egale Nase“, babbelt Hampelmann und kommt so vertrottelt fettnäpfig
daher, daß mers ihm glaabt, der typische
Bürgersmann und Hesse, feist, alleweil
freundlich, patriarchalisch un laut. Grad
dem Hartmut Pfeil aus seim Karikaturnheft gehüpt. Was dem aane sei Charakter-Roll is der annern, der Sophie, ihr
Lieb’: So ganz sanftigtes Medche, mit
dem rechte Augeuffschlag un em Kußmäulche … Des glaabt mer der so recht,
des brave, bescheidne Ding, so richtig
zum abeiße, un immer uff de junge Borsche zum Heiern aus. Aan echt hessisch
Zuckersticksche – ums mit Hampelmann
zu sagen.
Und der Glückliche? Wie es sich für
den kinftige Schwiggersohn aus besserm
Haus geheert, die gute Partie Carl spricht
hochdeutsch un flaniert als um die Opernsängerin (Marga Krauthahn) erum, ganz
und gar Chauvi – als ob er ganz der Carl
ist, mit der Fröhlichkeit hat ers faustdick,
mit der Lieb ein bischen flatterhaft. Damit das end auch happy wird, verliebt er
sich in die Richtige, in Sophiche. Was so
en Bohem alles erlewe tut, awwer es is
gar kähn iwwler junger Mann, mer glaawt ihm sei Roll.
Da kimmt afach jed Frauenzimmer in
ihr biedermeierlich Lewe un is e tichtige
Hausfraa, un die Mannsleit bei dene is es
um des Deiwels ze wern. Leidenschaft
und Begeisterung fürs Spiel, das ist die
Hessische Spielgemeinschaft, da wirkt
nichts hölzern, nichts gestelzt und das Publikum freut sich, klatscht brav Beifall,
lacht herzlich und ist gespannt. Die Dramaturgie packt, sie spielt, feilt an Details,
erzeugt Leben: Wie in Schlachtordnung
steht die Familie Ganz zum Verlobungsessen, mer wollenen feierlich empfange
– bloß daraus werd nix, der Bräutigam
bleibt aus. Die Szene kocht über vor Peinlichkeit und Wackelmann (Heinz Thomas)
greint, „Was? die Supp is aagebrennt?!“
Es ist ganz vermaleideit brenzelicht - das
Orchenal bleibt sehr weit hinter der Kopie zerick.
Schee is gewese! Wunnerschee!
Sanne Borghia
5 . Kalenderwoche - Seite 15
Feuilleton III
Hören Sie zu
Jahre 1774 in Paris war
Christoph Willibald Glucks
Oper „Iphigenie in Aulis“
ein unerhörtes Novum,
vollzog Gluck darin doch vehement die
Abkehr von der barocken Operntradition. Die
Bühne dient hier nicht mehr der Verherrlichung des Herrschertums, repräsentiert
durch Götter oder göttergleiche Heroen,
sondern einem Musik-Theater, das „natürliche“ Menschen mit ihren Empfindungen
zeigt. Der schärfste Gluck-Kritiker seinerzeit,
de la Harpe, regte sich damals über den
„böhmischen Jongleur“ auf, der es gewagt
hatte, das Ohr des Opernbesuchers mit den
Schreien des Schmerzes zu belästigen. „Ich
will durchaus nicht Schreie eines leidenden
Menschen hören. Ich erwarte vom Musiker
eine Kunst mit Akzenten des Schmerzes, die
aber nicht unangenehm sein dürfen.“
Im
Die damalige Wirkung von Glucks Musik –
„bisher hat noch niemand die Saiten so kreischen, die Stimmen so brüllen lassen“ (de
la Harpe) – ist heute nicht mehr nachvollziehbar. Für unsere Ohren heute klingt die
Verzweiflung Agamemnons, der zwischen
Herrscherpflicht und Vaterliebe hin und her
gerissen wird, der Zorn der Klytämnestra,
die nicht einsehen kann, warum ihre Tochter Iphigenie geopfert werden soll, die Auflehnung des Achill zur Rettung seiner Braut
und die Klagen Iphigeniens über ihr Schicksal angenehm. Für jede Inszenierung ist dies
ein Problem. Wie kann man die Verstrickung
des Atridengeschlechts, die mit Tantalos
begann, den Fluch der Götter über seine
Nachkommen und die Forderung der Artemis, Iphigenie zu opfern, bevor sie die Winde gen Troja blasen läßt, kurz: die ganze
Tragödie erzählen, wenn Ohnmacht und Verzweiflung der Menschen auf der Bühne so
anrührend schön klingen?
Barbara Beyer am Staatstheater Darmstadt
hat versucht, die „natürlichen“ Menschen in
Glucks Oper in Archetypen zurückzuverwandeln, um – so deutet ein vorangestellter Text von Heiner Müller an – ein geschichtspessimistisches Gleichnis zu liefern.
Ein Gleichnis über Schuld und Bestrafung all
derer, die an der Macht teilhaben, und die
endlose Wiederholung der von Macht und
Ohnmacht bestimmten Geschichte. Das
geht immer dann schief, wenn die Stilisierung der Figuren nicht zu Glucks bewegter
musikalischer Charakterisierung paßt. Also
beinahe durchgängig. So muß Francesch
Chico-Bonet den Agamemnon ohne Anzeichen von innerer und äußerer Bewegung
singen, wo die innere Zerrissenheit doch
hörbar ist. Elisabeth Hornung als Klytämnestra steht wie eine Statue in der Mitte der
Bühne, wenn sie, halb wahnsinnig vor Zorn
über das Todes-Urteil Agamemnons, den
Fluch über alle Griechen schleudert. Mary
Jane Shearer singt die Iphigenie anfangs
kindlich unbefangen und verspielt. Später
versteinert auch sie, als wäre sie nicht mehr
von dieser Welt. Nur Jeffrey Dowd als Achill
darf die Rebellion gegen das Schicksal nicht
nur singen, sondern auch zeigen.
Die Bühnenbildnerin Uta Winkelsen hat die
Bühne als kalten, tempelartigen Raum
gestaltet, dessen Seiten mit unverständlichen Wörtern beschrieben sind. Beim näherem Hinsehen entpuppen sich die Geheimwörter jedoch als fortlaufender Text zum
Inhalt der Oper. Eine schöne Idee, um die
Kultstätte zu entzaubern, vorausgesetzt, das
Publikum bemerkt dies. Die Phantasiekostüme (ebenfalls von Uta Winkelsen) sollen
vermutlich die Behauptung von der Überzeitlichkeit der Thematik stützen, indem sie
Anspielungen auf verschiedene Jahrhunderte machen. Achill z.B. gleicht einer
Mischung aus antikem Götterboten und
Musketier, Klytämnestras elegantes
schwarzes Kleid könnte aus der Belle Epoque stammen und Iphigenie sieht aus wie
ein pausbäckiges Gretchen aus dem Hochmittelalter.
Zu allem Überfluß hat die Regisseurin eine
Reihe von Requisiten und Symbolen aus der
christlichen Tradition verwurstelt. Iphigeniens Porträt gibt’s als Madonnenbild mit
Kerze davor. Vor der Hinrichtung wird sie
mit einem Weihrauchkessel eingesegnet,
von den Ministranten (!) des Priesters Kalchas, der eine mitra-ähnliche Kopfbedeckung trägt. Agamemnon ist an eine Art
Totempfahl gebunden, über dem das Opfermesser schwebt, mit dem seine Tochter hingeschlachtet werden soll. Das stilisierte
Kreuz kehrt später wieder, wenn Iphigenie
ihr Schicksal hinnimmt, das Messer schultert und sich auf den Kreuzweg macht.
Konsequenterweise ist das Ende der Darmstädter „Iphigenie“ nicht das happy-end der
Vorlage. Es gibt keine Befreiung und auch
keine Hochzeit. Iphigenie, das Opfer, bleibt
an der Opferstätte liegen, wie tot, und wird
dann allmählich in kreisenden Bewegungen
von der Bühne gespült. Obwohl Artemis
(Regine Herrmann im modischen Mini) im
letzten Augenblick auf die Opferung verzichtet, ist Iphigenie längst schon Opfer
geworden. Ein starker Schluß für eine Inszenierung voller Ungereimtheiten. Den
Buh-Rufen für die Regisseurin standen – zu
Recht wie ich meine – Bravos für die Sänger(innen), den Chor, den Dirigenten Stephan Tetzlaff und Josef Beischer, der den
Chor einstudiert hatte, gegenüber. Wer
Glucks Musik, die gerade in diesem Werk
Warum die Leute ins Theater gehen?
Elfriede Müller ist Schauspielerin,
Tänzerin, Dramatikerin und – nicht
zuletzt – Wahl-Darmstädterin.
Zwei Stücke von ihr haben am
Samstag, dem 1. Februar Premiere auf der Werkstattbühne des
Staatstheaters
Darmstadt.
„Damenbrise“ wurde 1989 in
Berlin zum ersten Mal gespielt.
Für „Herrengedeck“ ist es die
Uraufführung. In beiden Stücken
beschäftigt sich das Theater mit
sich selbst.
In „Damenbrise“ – eine TheaterKomödie von heute – unterhält
sich ein erfolgreicher, gleichwohl
von Berufsekel geplagter Regisseur mit einer schönen Frau, die er
für die Autorin Elfriede Müller hält.
Ort: Ein Gartenrestaurant. Zeit: Ein lauer
Sommerabend. Heute.
Regisseur: „Der moderne Mensch ist krank.
Und das moderne Theater ist auch krank …
Natürlich, im Grunde ist nur die Krankheit
produktiv … Große Köpfe, kranke Körper
…Wer soll denn dieses verkokste, versmokete, versoffene Zeug spielen?“
Frau: „Soll ich Ihnen sagen, warum die Leute ins Theater gehen, egal wie schlecht es
ist? Weil sie sehen wollen, wie man Verzweiflung in eine große, starke Rolle verwandelt.“
In „Herrengedeck“ bleiben ein alter Schauspieler und eine alte Schauspielerin auf der
Bühne, nachdem sie im „Hamlet“ aufgetre-
…und
schau’n
Sie weg
ten sind. Sie probieren eine Art „Endspiel“,
halb professionell, halb privat. Sie spielen –
oder versuchen es zumindest – sich selbst.
Ohne Vorlage, nicht ohne Schwierigkeiten
nach 50 Jahren Theater, nach 50 Jahren
Kantine…
Er: „Draußen geht die Welt unter, aber wir
machen Avantgarde.“
Die beiden hinzukommenden jungen Schauspieler – er hat gerade den Prinzen von
Dänemark gespielt, sie Hamlets Mutter –
haben ihre eigenen Probleme.
Gertrud: „Unkonzentriert warst du. Abgedreht. Du verblödest auf offener Szene.“
Claudius: „Danke. Vielen Dank.“
Gertrud: „Besoffen warst Du.“
Claudius: „Das gehört zur Rolle. Der reuige
Claudius flieht in den Alkohol, bevor er von
Hamlet gestellt wird. Bevor das Schicksal ihn
einholt.“
Gertrud: „Du hast gestunken wie ein
Schwein, von Anfang an. Sieben Sätze hast
du mir geschnitten.“
Claudius: „Nimm dich nicht so wichtig.“
Gertrud: „Mich? Mich? Das Stück hat zufällig einen Autor, und der heißt nicht Johnnie
Walker.“
Die beiden Stücke von Elfriede Müller wird
ihr Ehemann Rolf Mautz inszenieren, der in
Darmstadt bisher nur als Schauspieler
bekannt ist. Er brachte bereits die Uraufführung der „Damenbrise“ in Berlin auf die
Bühne.
Hanne Kreutzer
Veroperte Iphigenie:
Schuld und
Bestrafung
der Mächtigen
viel von Verdis musikalischer Dramaturgie
und einiges von Wagners romantischer
Klangfülle vorwegnimmt, genießen will, dem
sei der Opernbesuch empfohlen. Er sollte
jedoch besser die Augen schließen und nur
hören, was geschieht. Denn selten wohl passen Musik und Darstellung so wenig zusammen wie in dieser Operninszenierung.
Hanne Kreutzer
Die Iphigenie spielt Mary Jane Shearer
(Bild rechts).Francesch Chico-Bonet in der
Rolle des Agamemnon und Frank Schneiders als Priester Kalchas (Bild links)
(Fotos: G. Amos)
Zukunftsvision: Die aufgebrauchten Wunder
Shephard:„Fluch der
verhungernden Klasse“
im Staatstheater
„Was ist das nur für eine Familie“, fragt sich
die junge Ella, die aussieht wie ein fesches
Pfadfindermädel. Emma, in geblümtem
Morgenmantel, die Plüschpantöffelchen an
den Füßen, weicht den Fragen der Tochter
nach der kaputten Tür und dem Auftauchen
der Polizei mitten in der Nacht aus. Stattdessen warnt sie Ella, die gerade ihre erste
Periode hat, vor verseuchten Binden in den
Automaten auf Highway-Toiletten. (Mutter
Emma macht überhaupt die feindlichen
Bazillen und Mikroben für all das Unglück
verantwortlich). Wesley, ihr Sohn, schildert
den nächtlichen Vorfall, bei dem Vater – wieder einmal sturzbetrunken – nach Hause
kam und die verschlossene Tür auf seine
Weise überwältigte, als romantisch-abenteuerliches Erlebnis im Morgengrauen, als
„die Motorhaube feucht von Tau“ war.
Emma und Ella – Mutter und Tochter.
Weston und Wesley – Vater und Sohn. Die
Ähnlichkeit der Namen dürfte in Sam
Sephards Stück „Fluch der verhungernden
Klasse“ kein Zufall sein. Auch, wenn Ella
ganz anders als die Mutter sein will – nicht
typisch weiblich, sondern ein „ganzer Kerl“,
der in Mexiko Autos repariert, so ist sie doch
gleich bereit, Vaters Wäsche zu waschen, als
Mutter nicht daheim ist. Auch, wenn Wesley ganz anders als Vater nicht die AvocadoFarm vernachlässigt und säuft und Schulden
macht, – kaum ist Weston im Zimmer, verstummt der Sohn beinahe, verliert seine
breitbeinige Bodenständigkeit und lauscht
fast andächtig den „alles in Griff“-Sprüchen
seines betrunkenen Vaters. Am Ende wird
Wesley nicht nur die verdreckten Kleidungsstücke seines Vaters übernehmen.
Wie Shepard in diesem Stück ganz unpsychologisch und ganz nebenbei das Psy-
chogramm dieser Familie zeichnet, ist ein
Meisterwerk. Auch die anderen Ebenen seines Dramas, wirken seltsam unabsichtlich
und scheinen einen nachvollziehbaren dramaturgischen Handlungsablauf gar nicht zu
haben. Das trotzdem schlüssige Produkt
(oder ist es die Kraft dieser Inszenierung?)
ist ein Stück über die Auflösung einer Familie im Südwesten Amerikas, über das Scheitern aller Familienmitglieder an sich selbst
und an einer Umwelt, die sie überfordert.
Teils realistisch, teils symbolisch, teils grotesk-komisch zeigt es gestörte Menschen,
innen und außen.
Die Inszenierung der erst neunundzwanzig
Jahre alten Sigrid Andersson, die übrigens
zwei Jahre in Los Angeles Theater gemacht
hat, und das Bühnenbild von Florian Parbs
lassen die Grenzen zwischen dem Innen und
dem Außen der Figuren unkenntlich werden.
Der Zuschauer sieht das heruntergekommene, spärlich möblierte Zimmer mit den
schiefhängenden Jalousien innen und außen
gleichzeitig. Innen steht der riesige Kühlschrank als Symbol amerikanischen Wohlstands. Außen, neben der Treppe, kündet ein
Pferd aus Pappmacheé von Freiheit und
Abenteuer. Dem Zimmer fehlen zwei Wände und die Tür (die der Vater eingetreten
hat), so daß der Makler und die Gläubiger
ohne Vorwarnung gleich in der Küche stehen. Es gibt keinen Schutz mehr vor der rauhen Wirklichkeit.
Wie verhalten sich Shepards Figuren angesichts der Katastrophe, bei der es um nicht
weniger als den Verlust von Heimat und Existenz geht? Völlig unverständlich und unangemessen. Niemand ist bereit oder in der
Lage, der Gefahr ins Auge zu schauen. Jeder
spinnt weiter an seinen Träumen, jeder
bastelt wortreich monologisierend an seinem Selbstbild. Die vier stringent geführten
Hauptdarsteller, die allesamt hervorragend
spielen, zeigen es auf beeindruckende Weise.
Ella (Monika Dortschy) interpretiert ihr Treffen mit dem gerissenen Makler (Klaus Ziemann), der ihr die Farm abschwatzen will, zu
einem vergnüglichen Rendezvous um, zu
dem sie sich besonders herausputzt. Emma
(Alexandra von Schwerin) macht sich erst
auf nach Mexiko, verwüstet dann mit dem
Pferd eine Bar und beschließt später, eine
kriminelle Karriere zu starten. Weston (Wolfgang Jaroschka), dem der skrupellose Makler für viel Geld wertloses Land in der Wüste
angedreht hat, sucht nach seinem Gewehr,
um den großen Rächer zu mimen. Wesley
(Sven Walser als Gast), halb stoisch, halb
aufbrausend, zimmert an einer neuen Eingangstür und pflegt ein krankes Schaf – als
wäre alles in Ordnung.
Und immer wieder nimmt der eine oder
andere Zuflucht beim Kühlschrank, dem
fünften Familienmitglied sozusagen. Ella
klopft ihm auf die Schulter, als er wieder einmal leer ist. „Kopf hoch, wir sind noch lange nicht am Ende“. Den größten Durchblick
hat – wen wundert’s – noch der stets betrunkene Weston, wenn er sagt: „Die Wunder
sind alle aufgebraucht. Es gibt nur noch
mich“. Seine spätere Nüchternheit, sein
sogenannter „Neuanfang“ beschert ihm statt
mehr Klarheit zunehmende Verwirrung. Es
ist zu spät. Der Countdown läuft.
Am Schluß weiß der Zuschauer, was mit
Menschen passieren kann, die an die Wunder der Wohlstandsgesellschaft glauben und
die verordneten Träume zu ihren eigenen
machen, ohne den Preis zahlen zu können.
Shepards tragikomische Figuren sind einsame Egozentriker, die sich gerne reden
hören, aber nicht zuhören können. Sie sind
gleichermaßen Produkte wie Erzeuger ihrer
Situation und ihrer Umwelt. Geht man einmal davon aus, daß Amerika uns immer um
einiges voraus ist, so wäre Shepards Stück
für uns in Ost und West eine schrecklich realistische Zukunftsvision.
Leon Frey
Szenenbild aus dem Stück von Sam Shepard „Der Fluch der verhungernden Klasse“, u.a. mit Monika Dortschy als Ella, Wolfgang Jaroschka als Weston, Sven Walser als Wesley, und Klaus Ziemann als Makler.
(Foto: G. Amos)
5 . Kalenderwoche - Seite 16
Kirchturmpolitik
des Landkreises
beim ÖPNV schadet
Darmstadt
„Der Landkreis Darmstadt-Dieburg darf den
Beitritt des Regionalen Nahverkehrsverbandes Darmstadt-Dieburg (RNV) zur Gründungsgesellschaft des Rhein-MainVerkehrsverbundes (RMV) nicht länger blockieren“. Mit diesen Worten forderte der Vorsitzende der Darmstädter F.D.P.-Fraktion, Dr.
Hermann Kleinstück, den Kreisausschuß des
Landkreises auf, seine bisher ablehnende Haltung zum RMV-Beitritt zu revidieren. Ein
separater Beitritt der Stadt Darmstadt sei bisher aufgrund der Vereinbarungen im Regionalen Nahverkehrsverband Darmstadt-Dieburg nicht möglich. „Sicher hat die Stadt das
größere Interesse an einem RMV-Beitritt. Eine
‚Solidarität der Vernünftigen‘ sollte den Kreisausschuß allerdings zu der Einsicht bringen,
daß gerade im Bereich des ÖPNV Kirchturmpolitik vollkommen unangebracht ist“,
unterstrich Kleinstück das Anliegen der Freien Demokraten.
Ohne einen Beitritt zum Rhein-Main-Verkehrsverbund wird es nach Ansicht der
F.D.P.-Fraktion keine Attraktivitätssteigerung
des ÖPNV für die Fahrgäste geben, die über
Stadtgrenzen hinausfahren. Gerade im RheinMain-Gebiet‚ den Landkreis Darmstadt-Dieburg eingeschlossen, seien die Pendleranteile
extrem hoch. Die Attraktivitätssteigerung für
die Fahrgäste in einem Rhein-Main-Verkehrsverbund sei evident, da sie mit einem
Fahrschein und abgestimmten Fahrplänen
fahren könnten.
„Beim RMV geht es nicht um die linienförmige Anbindung einiger Orte an die Metro-
pole Frankfurt wie es derzeit noch beim zu
kleinen FVV der Fall ist. Der RMV bietet die
Chance, alle wesentlichen Pendlerströme in
ein Gesamtkonzept einzubinden. Dies muß
auch für den Kreis interessant sein“. Kleinstück forderte den Kreisausschuß des Landkreises auf, zumindest mit einem Teilgebiet,
beispielsweise entlang der Main-NeckarBahn, Mitglied in der RMV-Gründungsgesellschaft zu werden. Der Kreis Bergstraße
habe gezeigt, daß dies möglich sei. Sollte der
Landkreis seine Haltung in der Beitrittsfrage
nicht ändern, will die F.D.P.-Fraktion Darmstadt den Magistrat auffordern, die Voraussetzungen für einen separaten Beitritt der
Stadt zur Vorbereitungsgesellschaft des RMV
zu schaffen. „Die Vorteile des Verkehrsverbundes Rhein-Main sind für Darmstadt mit
seinen hohen Pendlerzahlen in das übrige
Rhein-Main-Gebiet von enormer Wichtigkeit.
So wäre schon jetzt erfreulich, wenn die
HEAG zu einer Vereinbarung mit dem FVV
kommen könnte, die ein direktes Umsteigen
vom FVV zum HEAG-Netz ermöglicht, ohne
neue Fahrscheine zu lösen und einem anderen Taktverkehr ausgesetzt zu sein“, erläuterte
der Fraktionsvorsitzende abschließend die
Meinung seiner Fraktion.
Objektivität
ist das Stichwort heutzutage. Was
immer das heißen mag, meist wird
es im Gegensatz benutzt: Also im
Vorwurf der Parteilichkeit. Von der
ZD macht die Behauptung die Runde, dies sei ein Grünen-Blatt. Deshalb haben wir beschlossen, extra
Seiten für Parteien-Stellungnahmen
einzurichten.
Künftig werden wir darauf die Parteien-Standpunkte, je nachdem wie
viele eingehen und ob die Themen
interessant sind, entweder alle
abdrucken oder eine Auswahl. Allerdings ohne eine Partei zu bevorzugen.
Seit der letzten Ausgabe der ZD im
Dezember 1991 sind von der CDU
und FDP je eine Pressemeldung, von
der SPD keine und von den Grünen
fünf eingegangen
Krisenstab für mehr Sicherheit
Kriminalität: Darmstadt an zehnter Stelle
„Eine Offensive für mehr Sicherheit“ fordert
der CDU-Fraktionsvorsitzende Dr. Rüdiger
Moog. Angesichts der jüngsten erschreckenden Bilanz, wonach Darmstadt auch bei der
Kriminalitätsrate eine Spitzenstellung einnimmt, müßten alle Kräfte gebündelt werden,
um Abhilfe zu schaffen.
Bei einer kürzlich vom Bundeskriminalamt
veröffentlichten Untersuchung habe sich herausgestellt, daß Darmstadt nach der Zahl der
begangenen Verbrechen unter 200 deutschen
Großstädten an 10. Stelle stehe. In der Spitzengruppe der zehn am meisten kriminell
belasteten Städte finde sich neben Darmstadt
keine einzige vergleichbare Kommune, stellt
die CDU fest. Vielmehr seien erwartungsgemäß neben den großen Metropolen Frankfurt/Offenbach und Hannover ausschließlich
Hafenstädte betroffen. „Darmstadt ist in diesem Umfeld ein negativer Einzelfall, der nicht
nur zur Sorge Anlaß gibt, sondern auch zum
raschen Handeln zwingt,“ betont der CDUFraktionsvorsitzende.
Die Bürgerinnen und Bürger in Darmstadt
könnten diese Statistik durch eigene negative Erfahrungen bestätigen: 23 Einbrüche im
Monat in einer einzigen Straße, Verdoppelung
der Raubdelikte. Beschaffungskriminalität lasse das Stadtzentrum abends zu einem heißen
Pflaster werden. „Es darf nicht sein, daß die
Bürger sich mehr und mehr zurückziehen
müssen, weil der öffentliche Raum nicht mehr
sicher ist“, stellt Dr. Moog fest.
Die CDU fordert in einem Antrag, daß eine Art
Krisenstab für mehr Sicherheit gebildet wird,
in dem Magistrat, Polizei, Gewerkschaft der
Polizei und Landtagsabgeordnete gemeinsam
ein Handlungskonzept für mehr Sicherheit
entwickeln. Die CDU begründet ihre Forderung mit der Notwendigkeit, sowohl auf der
kommunalen Ebene als auch über den Landesgesetzgeber die Wirksamkeit des Polizeieinsatzes zu erhöhen.
„Dreh- und Angelpunkt ist der Schutzmann
auf der Straße,“ faßt Dr. Moog zusammen.
Die Präsenz der Polizei in der Öffentlichkeit
wirke vorbeugend und abschreckend. Da aber
Polizei nicht beliebig vermehrbar sei, schon
deshalb, weil sich der Nachwuchs nicht gerade in diesen schweren und zu wenig anerkannten Beruf dränge, müßten alle Möglichkeiten ausgeschöpft werden, Beamte von Verwaltungs- und Hilfsarbeiten zu entlasten.
Dazu gehörten Flughafenüberwachung ebenso wie die Aufnahme von Bagatellunfällen
oder die Hilfstransporte von Gefangenen für
die Justiz. „Zwei Beamte hat das erste Revier
im Außendienst für die ganze Innenstadt von
Merck bis nach Bessungen, da ist es kein
Wunder, wenn man selten einem Polizisten
auf der Straße begegnet,“ stellt Dr. Rüdiger
Moog fest.
Bei den Verkehrsunfällen habe die verstärkte Präsenz der Polizei positiv gewirkt, der
gleich Erfolg müsse auch bei der Verbrechensbekämpfung und -verhütung erreicht
werden.
Pressestelle
STADTVERORDNETENFRAKTION
„Stadt mißbraucht das Asylrecht“
Anwalt Roeder protestiert gegen Behandlung von Kroaten
„Wie die Stadt mit Flüchtlingen aus Kroatien
umgeht, ist ein Rechtsverstoß“, urteilt Ulrich
Roeder, Stadtverordneter der Grünen. Als
Flüchtlinge würden sie ausländerrechtlich
geduldet und hätten somit auch Anspruch auf
Sozialhilfe. „Obwohl ihr Status durch die Duldung abgesichert ist, drängt die Stadt die
Flüchtlinge dazu, Asyl zu beantragen“.
Nach seiner Ansicht steht hinter dem Verhalten der Stadt die Absicht, die finanzielle
Verantwortung für die Menschen, die durch
Krieg aus ihrer Heimat vertrieben wurden, auf
das Land abzuwälzen, da für Asylbewerber
das Land Mittel zur Verfügung stellt, die
Sozialhilfe aber von der Stadt bezahlt werden
muß.
Wohnungsvergabe
durch den
Arbeiterbauverein
„Obwohl der Arbeiterbauverein die Vergabe
von Sozialwohnungen seit dem Sommer
angeblich über das städtische Amt für Wohnungswesen abwickelt, sind die Kriterien des
Bauvereins für die Wohnungsvergabe nach
wie vor undurchsichtig“, kritisiert Christine
Wiemken, Stadtverordnete der Grünen. Die
Stadt wolle an diesem Zustand offensichtlich
auch gar nichts ändern. „Das ist politisch
nicht länger tragbar, da dadurch und durch
die oft unklare Kompetenzverteilung zwischen
Wohnungs- und Sozialamt im Endeffekt die
Anspruchsberechtigten leiden“. Diese müßten deshalb oft unnötig lange auf die Hilfe der
Stadt warten, die ihnen zustehe.
Christine Wiemken weist in diesem Zusammenhang auf ein Ehepaar mit 5 Kindern hin,
die in einer städtischen 4-Zimmerwohnung
an einer Hauptverkehrstraße wohnen. In der
Familie gebe es neben der stark sehbehinderten Mutter drei Kinder mit erheblichen
gesundheitlichen Beeinträchtigungen. Die
Wohnung, die viel zu eng und überhaupt nicht
behindertengerecht sei, da sie im vierten
Stock liege und nur über eine Kohleheizung
verfüge, sei für die Familie unzumutbar.
Außerdem könne dort der Hund der Familie,
der zur Zeit zum Führhund ausgebildet werde und auf den die Frau angewiesen sei, nicht
artgerecht gehalten werden.
Die städtischen Ämter seien nicht in der Lage,
dieser Familie zu helfen, obwohl der Fall wirklich dringend sei und die Familie einen
Anspruch auf Hilfe habe. „Das liegt mit
Sicherheit daran, daß die Verantwortung zwischen den städtischen Ämtern hin und hergeschoben wird und die Stadt zuwenig Einfluß auf die Wohnungsvergabe durch den
arbeiterbauverein hat.“ Sonst hätte zumindest
ein Wohnungstausch schon längst vollzogen
werden können. Es sei auch bezeichnend, daß
die Verwaltung anstatt Beistand zu leisten,
das Hauptaugenmerk ihrer Tätigkeit auf Formalitäten und Papierkram lege. „Das ist für
mich der Ausdruck völliger Hilflosigkeit.“
Die Grünen fordern deshalb, das Belegungsrecht für Wohnungen des Arbeiterbauvereins auf die Stadt zu übertragen.
Zusammen mit einer Wohnungssicherungsstelle, in der die Kompetenzen aller
zuständigen Ämter gebündelt werden sollten,
könne dann die Effektivität der Verwaltung
verbessert werden. Die Stadt habe dies zwar
immer wieder angekündigt, bisher sei aber
nichts geschehen. „Inzwischen sind auch
Familien mit Säuglingen bekannt, die seit
einem Jahr in einem Hotelzimmer leben“, so
Christine Wiemken weiter.
…?
„Nach neuer, höchstrichterlichen Rechtsprechung ist es aber Grundrechtsmißbrauch,
wenn eine Stadt Flüchtlinge dazu auffordert,
Asyl zu beantragen“, für die Handlungsweise
der Darmstädter Sozialverwaltung gebe es
keinerlei Veranlassung, da den meisten
Flüchtlingen, die nach Darmstadt gekommen
seien, von Verwandten geholfen werde.
Sozialhilfe könne auch von geduldeten Flüchtlingen nur in Anspruch genommen werden,
wenn bestimmte Kriterien erfüllt seien. „Das
heißt, daß Sozialhilfe nur an diejenigen gezahlt
wird, die keinerlei Unterstützung haben“.
„Die Stadt erreicht mit ihrem Vorgehen nur,
daß die Zahl der Asylbewerber künstlich nach
oben getrieben wird.“ Das sei gerade in der
momentanen Situation höchst bedenklich, da
die Stadt bestimmten Politikern dadurch auch
noch Munition für ihre Hetze gegen Asylsuchende liefere.
Die Fraktion der Grünen fordert deshalb den
Magistrat auf, dafür zu sorgen, daß diese
rechtswidrige Handlungsweise in Zukunft
unterlassen wird.
Pressestelle
Warum sollen die Leute auf den ÖPNV
umsteigen?
Öffentliche Fraktionssitzung in Kranichstein
Die Anbindung des Stadtteils Kranichstein an
den öffentlichen Personennahverkehr war das
Thema der Fraktionssitzung am 21. Januar, zu
der die Grünen interessierte BürgerInnen eingeladen hatten. Gesprächspartner der Grünen
waren auch Horst Blechschmidt, der Direktor
der Heag, und Karl-Heinz Bohne, der Leiter des
Heag-Verkehrsbetriebes.
„Wer ist schuld, daß es noch keine Straßenbahn nach Kranichstein gibt?“, lautete die rhetorische Frage, mit der der Heag-Direktor
Blechschmidt die Diskussion eröffnet. Er
konnte die Frage selber beantworten. Wer
auch immer, auf jeden Fall nicht die Heag,
denn „wir bauen am liebsten Straßenbahnen“.
Aber dazu seien politische Entscheidungen
nötig. „Die Stadt muß es wollen und finanzieren“, nahm Blechschmidt die Kommune in
die Pflicht, da dieses Vorhaben die Verluste im
Verkehrsbereich in Höhe von 30 Mio DM vergrößern würde, die durch Gewinne aus dem
Energiesektor schon jetzt nicht ausgeglichen
werden können.
Die Vorschläge, die die Vertreter der Heag zur
Förderung des ÖPNV in den Stadtteil auf der
Fraktionssitzung vorstellen, versprechen aber
keine schnelle Lösung, da sie zur Voraussetzung haben, daß die Nord-Ost-Umgehung
nicht entlang der Odenwaldbahn gebaut wird.
Denn die Pläne der Heag sehen eine Unterführung in einem Bereich vor, der auch für die
sogenannte Bahntrasse der Umgehungsstraße
genötigt wird. Entscheidungen über den Bau
der Nord-Ost-Umgehung stehen zur Zeit aber
nicht an.
Karl-Heinz Bohne konnte aber zumindest die
Bedenken von Anwohnern der Frankfurter
Straße und der Bartningstraße entkräften, die
der Straßenbahn ablehnend gegenüberstanden, da sie befürchten, daß mit der Bahn auch
der Lärmpegel steige. „Die neuen Straßen-
bahnen sind durch moderne Technik sehr leise, außerdem gibt es einen Schienenunterbau,
der schalldämmend wirkt.“
Aus den Reihen der zahlreichen BesucherInnen wurde auch Kritik an den zurückhaltenden
Erwartungen der Heag über die Auslastung der
Straßenbahn geäußert. Denn nach Ansicht der
Heag müßten beim Bau der Bahn auch die
Randbedingungen stimmen. „Die ÖPNV-Fahrgastzahlen in Kranichstein sind zu gering, um
momentan eine Straßenbahn zu rechtfertigen“,
faßte Karl-Heinz-Bohne die Bedenken der Heag
zusammen. „Diese Denkweise ist doch wirklich kleinmütig“, urteilt Michael Siebert, Stadtverordneter der Grünen. Die Linie 6 habe nach
dem Beschleunigungsprogramm zur „Schnellen Sechs“ einen 50% Zuwachs der Fahrgastzahlen verzeichnen können. Auf Nachfrage
mußte der Leiter des Verkehrsbetriebs auch
bestätigen, daß die Heag damals auch nur
einen Anstieg um 20% erwartet habe.
Auf Verwunderung stieß bei den Anwesenden,
daß die Heag als Investor bei den Bauvorhaben
Heag-Hallen und Fina-Block auftritt, wo zwei
Tiefgaragen mit insgesamt 650 Stellplätzen
entstehen sollten, oder daß die Heag im Zentrum Eberstadts Bauherr einer Tiefgarage wird.
Durch die Ausweisung neuer Parkflächen falle sich die Heag, die eigentlich dem ÖPNV verpflichtet sein müßte, doch selbst in den
Rücken. „Warum sollen die Leute auf den
ÖPNV umsteigen, wenn es immer mehr Parkplätze gibt?“, fragte Günter Mayer, der Fraktionsvorsitzende der Grünen.
Die Fraktion der Grünen spricht sich deshalb
dafür aus, die Straßenbahn nach Kranichstein
möglichst schnell zu bauen. „Dazu muß aber
die Heag ihre Ängstlichkeit in dieser Frage
überwinden und der Magistrat seine Enscheidungsschwäche ablegen“, faßt Siebert zusamPressestelle
men.
Neujahrsempfang der GRÜNEN
„Unser Wahlziel ist, mindestens die 19%
Stimmen der letzten Kommunalwahl wieder
zu erreichen und das Bewußtsein der Darmstädter Bürgerschaft für ökologische, soziale, basisdemokratische und gewaltfreie Politik weiter zu stärken“, erklärte Günter Mayer
(Grüne) beim Neujahrsempfang zu der Kommunalwahl im Frühjahr 1993. Er wiederholte den Vorschlag, daß die Grünen für die erste
Direktwahl des Oberbürgermeisters in Darmstadt einen unabhängigen Kandidaten oder
eine unabhängige Kandidatin aufstellen sollten, der oder die über die grüne Wählerschaft
hinaus große Zustimmung finde.
Dazu schlägt der Fraktionsvorsitzende ein
Modell vor, das die Nominierung zu einer
Angelegenheit aller interessierten Bürger und
Bürgerinnen machen und ihre direktdemokratischen Einflußmöglichkeiten erweitern
würde.
Wenn sich mehrere Personen als Bewerber
der Grünen für das Amt des Oberbürgermeisters zur Verfügung stellen würden, könnten der OB-Kanditat oder die Kandidatin durch
Vorwahlen ermittelt werden, auch wenn das
Parteiengesetz formell die Nominierung durch
eine grüne Mitgliederversammlung vorschreibe. An der offenen Form der Vorwahl
könnten alle Wahlberechtigten teilnehmen.
„Dieses Vorgehen würde sicherstellen, daß
die Bürgerinnen und Bürger möglichst früh
in politische Entscheidungsprozesse einbezogen werde“. Das sei vielleicht auch ein Mittel gegen die zunehmende Parteienverdrossenheit, da die Wahlberechtigten bislang nur
die Möglichkeit hätten, für Politiker zu stimmen, die von irgendwelchen Parteigremien im
voraus ausgewählt worden seien.
„Wir brauchen eine ökologische Revolution!“
Mit dieser Forderung schloß Günter Mayer
seine Neujahrsansprache. Die Lebensbedingungen auf der Erde würden von den Menschen in einem Maß zugrunde gerichtet, daß
nur eine ökologische Revolution eine Katastrophe verhindern könne. Dazu gehörten
Veränderungen im Lebensstil und die Ausrichtung jeglicher Politik an den Belangen der
Ökologie. „Das Bewußtsein und das Handeln
aller Institutionen und der einzelnen muß sich
ändern, damit kommende Generationen noch
auf dieser Erde leben können.“ Mayer forderte, die Umstellung auf Sonnenenergie
durchzusetzen, damit in Zukunft auf fossile
Brennstoffe verzichtet werden könne. Außerdem müsse endlich die Abhängigkeit der
Menschen vom Auto ein Ende haben. Auch
die Umstrukturierung der Weltwirtschaft, der
Schuldenerlaß für die ärmeren Länder und die
radikale Kürzung der Rüstungsausgaben seien dringend notwendig.
Pressestelle