Funktionelle Schulterprobleme und Muskelimbalancen beim

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Funktionelle Schulterprobleme und Muskelimbalancen beim
Schulterprobleme beim Überkopfsportler
Übersichten
R. Schmidt-Wiethoff 1,3, W. Rapp 2, T. Schneider 1, H. Haas 2, K. Steinbrück 1, A. Gollhofer 2
Funktionelle Schulterprobleme und Muskelimbalancen beim
Leistungssportler mit Überkopfbelastung
Muscular imbalance and shoulder impingement in the overhead athlete
1
Sportklinik Stuttgart, Klinik für Orthopädische Chirurgie und Sportmedizin
(Chefärzte: Priv.-Doz. Dr. G. Bauer, Prof. Dr. K. Steinbrück)
2 Institut für Sportwissenschaft, Universität Stuttgart
3 Klinik für Orthopädie und Sporttraumatologie, Dreifaltigkeitskrankenhaus Köln
(Chefärzte: Priv.-Doz. Dr. T. Schneider, Priv.-Doz. Dr. J. Schmidt)
Zusammenfassung
Summary
Das verbesserte Verständnis für die Ätiologie und Pathogenese spezifischer Schultererkrankungen ermöglicht adäquate Konzepte im Hinblick
auf eine effizientere Prävention und Rehabilitation.
Die fein abgestimmte Balance zwischen den Muskeln der Rotatorenmanschette einerseits und den Scapulastabilisatoren andererseits zählt
zu den Besonderheiten der Kinematik des Schultergelenkes. Wesentliche
Aufgabe der Rotatorenmanschette ist die Zentrierung des Humeruskopfes im Glenoid. Darüber hinaus genießen die Stabilisatoren der Scapula eine enorm wichtige Bedeutung für die Funktion und Belastbarkeit
des Schultergelenkes, was während der Rehabilitation oft unterschätzt
wird. Als typische Problemkomplexe bei Überkopfsportlern sind eine
Dysfunktion und Schwäche der außenrotatorisch wirkenden Anteile der
Rotatorenmanschette sowie eine insuffiziente Scapulastabilisation zu
nennen. Diese unter den Begriffen scapulo-humerale und scapulo-thorakale Imbalancen zusammengefassten muskulären Defizite sind dem
Formenkreis des funktionellen Impingementsyndroms zuzuordnen und
veranschaulichen eine durch langjährigen Überkopfsport induzierte
Veränderung der Kinematik des Schultergürtels.
Die routinemäßige Erfassung muskulärer Imbalancen in der Schulterdiagnostik ist unseres Erachtens ein wichtiger Schritt im Hinblick auf
eine pathologieorientierte Rehabilitation. Aus einer verbesserten Diagnostik, die neben isokinetischen und klinischen Charakteristika auch
quantifizierbare Merkmale der Scapulabewegung liefert, können Rückschlüsse für veränderte Trainingsmethoden abgeleitet werden. Vor allem
im Bereich des Jugendtrainings sollte diese Problematik durch prophylaktische Maßnahmen berücksichtigt werden.
Schlüsselwörter: Muskelimbalancen, Schulter, Impingementsyndrom,
Überkopfsport
Einleitung
Der chronische Schulterschmerz stellt einen ernstlich limitierenden
Faktor in der individuellen Leistungsentwicklung und den Karriereerwartungen von Nachwuchs- und Hochleistungsüberkopfsportlern dar (25,32,35,37). Die Häufigkeit behandlungsbedürftiger Probleme im Bereich der Schulter bei Überkopfdisziplinen – Tennis,
Baseball, Volleyball, Schwimmen, Wurf- und Stoßdisziplinen Jahrgang 51, Nr. 10 (2000)
The improved knowledge of the etiology and pathogenesis of specific
shoulder problems offers adequate concepts for efficient prevention and
rehabilitation programs. In this paper, specific aspects in overhead
sports are discussed regarding improved diagnosis and therapy.
The well balanced interaction between the rotator cuff muscles and the
scapular stabilizers plays an important role in shoulder kinematics. The
basic function of the rotator cuff is to maintain the humeral head centered in the bony socket of the glenoid. In addition, the scapulothoracic
muscles have an enormous importance in function and load compensation strain of the shoulder joint. These aspects are often underestimated
in rehabilitative programs. Typical problems which occur in overhead
athletes are dysfunction and weakness of the external rotators and insufficient stabilization of the scapula. These muscular deficits, summarized in the terms of scapulohumeral and scapulothoracic imbalances,
are related to aspects of the functional impingement syndrome. They
also illustrate an induced change in the kinematics of the shoulder joint
caused by the specific demands in overhead sports which have been
practiced for many years.
The registration of muscular imbalance in shoulder examination is an
important step regarding a pathology-oriented rehabilitation. Improved
diagnosis leads to modified and more specific training concepts. Beside
isokinetic and clinical characteristics, it also provides quantified
features in scapular motion. Especially in young athletes these aspects
should be considered in developing prophylactic concepts to prevent
shoulder problems.
Key words: Muscular imbalance, shoulder, impingement, overhead
sports
wird mit bis zu 24% angegeben (21,41). Hauptschmerzursachen
sind oft funktionelle Defizite und eine unausgewogene muskuläre
Balance aufgrund einseitiger Belastungsanforderungen ohne entsprechende aktive und passive Protektion.
Als klassische Problemkomplexe des Überkopfsportlers
werden vor allem Überlastungssyndrome der capsulo-labroligamentären Strukturen, primäre und sekundäre Schulterinstabilitäten und das intraartikuläre Impingement der Rotato-
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renmanschette am dorsalen Glenoidrand angesehen. Ferner
werden mechanische und funktionelle Konzepte des subacromialen Impingementsyndroms sowie Imbalancen der
scapulohumeralen und scapulothorakalen Muskulatur diskutiert (5,10,15,16,20,31,42,43).
Windup
Problemstellung
In den letzten Jahren wurde bei Leistungsschwimmern und
Überkopfsportlern – Tennis, Volleyball, Wurf- und Stoßdisziplinen – zunehmend auf die Bedeutung muskulärer Ungleichgewichte am Schultergürtel hingewiesen (7,15,18,
19,20). Dabei handelt es sich vor allem um Imbalancen der
Innen- und Außenrotatoren sowie der scapulothorakalen
Muskulatur. Auf diese Problematik sollte bereits beim jugendlichen Sportler geachtet werden, da nicht selten
schmerzhafte Störungen der Kinematik des Schultergelenkes
resultieren können (1,25).
Im Bereich des Schultergürtels stehen als Hauptprobleme anatomische und kinematische Besonderheiten im Vordergrund (16). Die Stabilität des Gelenkes wird durch die
Balance der muskulären und capsuloligamentären
Führung zusammen mit einer idealen Gelenkgeometrie gewährleistet (28). Das Glenoid bildet den „Sockel“ für die
glenohumerale Artikulation. Die Kinematik zwischen
Humeruskopf und Glenoid spielt eine wesentliche Rolle für
die Funktion und Belastbarkeit des Gelenkes. Klinische
Beobachtungen weisen auf die zentrale Bedeutung der
Scapulaführung im Zusammenhang mit dem Symptomkomplex des Schulterimpingement beim Überkopfsportler
hin (16,18,22,43).
Einteilung der Wurfbewegung
Zu einem Verständnis sportartspezifischer Verletzungen
ist eine genaue Kenntnis der Bewegungsanforderungen erforderlich. Die Bewegungsphasen im Schultergelenk bei
der Wurfbewegung wurden biomechanisch im Detail analysiert (33). Es lassen sich vier Phasen der Wurfbewegung
unterscheiden (Abb.1). Der Beginn der Ausholbewegung
(Windup) dient der Beschleunigungsaufnahme durch Bein
und Körper. Während der Ausholphase (Cocking) ist der
Arm maximal extendiert und außenrotiert. Auf den Humeruskopf wirkt eine nach ventral gerichtete Scherbelastung, die durch die koordinierten Kräfte der Rotatorenmanschette gebremst wird. In der Wurfphase (Acceleration) überwiegt hohe konzentrische Aktivität der
Innenrotatoren und der Humeruskopf wird durch maximale Winkelgeschwindigkeiten in 0,05 Sekunden um
mehr als 100 Grad einwärtsgedreht (33). Das Ende der Innenrotationsbewegung und der Beginn der Abbremsbewegung (Follow through) sind die vulnerabelsten Phasen der
Wurfbewegung. Die Dezeleration erfordert maximale
exzentrische Bremskraft der dorsalen Anteile der Rotatorenmanschette. Es resultiert zudem eine nach dorsal gerichtete Scherbewegung des Kopfes und eine Zugbeanspruchung der dorsalen Gelenkkapsel (10).
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Cocking
Acceleration
Follow through
Abb. 1: Einteilung der Wurfphasen (Illustration: Nina Rüsel)
Impingement-Syndrom des Überkopfsportlers
Das „Impingement“-Syndrom des Sportlers muss hinsichtlich Ätiologie und Therapie sorgfältig von dem Impingement
des älteren Patienten abgegrenzt werden (11). Beim älteren
Patienten finden sich oft radiologisch nachweisbare Traktionsosteophyten am antero-lateralen Acromionrand, die zu
einer strukturell-mechanischen Einengung der Rotatorenmanschette prädisponieren. Dieses mechanische Konzept des
„Outlet-Impingement“ findet bei der Interpretation schmerzhafter Funktionsstörungen im Rahmen schulterbelastender
Disziplinen beim jüngeren Sportler wenig Anwendung. Beim
jüngeren Patienten und insbesondere beim Überkopfsportler
stehen funktionelle Aspekte im Vordergrund, welche jedoch
auch beim älteren Patienten beachtet und ggf. physiotherapeutisch behandelt werden sollten (20).
Als typische pathomorphologische Entität des Überkopfsportlers ist einerseits das postero-superiore Impingement
durch die Publikationen von Jobe und Walch bekannt (5,42).
Arthroskopisch finden sich gelenkseitige Partialläsionen der
Supra- und Infraspinatussehne, welche als Folge einer Kompression und Scherbelastung der Sehneninsertion am postero-superioren Glenoidrand während extremer Außenrotation und Abduktion entstehen. Im Bereich des posterioren
Labrums werden degenerative Einrisse beobachtet (20).
Weitere häufige Ursachen, die in das differentialdiagnostische Konzept zur Analyse des Schulterschmerzes einfließen, sind die primäre und sekundäre
Schulterinstabilität
(31,41). Mechanisch resultiert eine chronische Überlastung der
capsulo-ligamentären Stabilisatoren und letztendlich eine vermehrte anteriore Translation des
Humeruskopfes. Das klinische
Bild beinhaltet die Zeichen einer
Instabilität und pathologischer
subacromialer Veränderungen.
Beim sog. funktionellen Impingementsyndrom (Overload/Abb. 2: 17-jähriger HochleiOveruse-Impingement) wird die
stungssportler mit dem klinischen Bild eines Impingement- Einengung im Subacromialraum
Syndroms der rechten Schulter. durch eine ungenügende DepresInspektorisch imponiert eine
sion des Humeruskopfes infolge
ausgeprägte Insuffizienz der
Scapulaanbindung rechts.
Dysfunktion und Schwäche der
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außenrotatorisch wirkenden Anteile der Rotatorenmanschette, fehlender mechanischer Fixierung des Kopfes bei KapselBandlaxizität sowie mangelhafter Scapularotation oder insuffizienter
Scapulastabilisation
(Abb.2)
verursacht
(10,18,36,37,43). Ein weiterer pathogenetischer Aspekt ist die
Verkürzung der dorsalen Gelenkkapsel, welche sich klinisch
in einer reduzierten Innenrotationsamplitude äußert (17). Die
Folge ist ein subacromialer Impingementmechanismus, der
im Laufe der Zeit zu strukturellen Veränderungen an der Rotatorenmanschette führen kann (41).
Anatomische und biomechanische
Grundlagen
Bedeutung der Scapula
Die Scapula übernimmt die Hauptfunktion für die zentrierende Stellung des Glenoids zum Humeruskopf. Die muskuläre Führung der Scapula ist für die jeweils effektivste
Ausrichtung des Glenoids bei Überkopfbelastungen verantwortlich (4,16,18,33). Für den vollen Bewegungsumfang der
Schulter ist eine scapuläre Abduktion und Rotation im
Schulterblatt-Thoraxgelenk erforderlich. Als dynamische
Stabilisatoren der Scapula sind der M. serratus anterior und
die Mm. rhomboidei bekannt, die als Gegenspieler die Scapula auf der Thoraxwand steuern, sowie der M. trapezius und
der M. levator scapulae als Stabilisatoren der Scapulaposition (8,10,14). Gemeinsam agieren diese Muskeln während der
Ausholphase der Wurfbewegung scapularotierend und –elevierend. Die relative Weite im Subacromialraum wird dadurch vergrößert (40). Um die fein abgestimmte Balance zwischen Stabilität und Mobilität zu gewährleisten, ist eine synchronisierte Aktivität der Scapulastabilisatoren notwendig.
Die rotatorische und translatorische Mitbewegung der Scapula verhindert letztendlich ein Anschlagen des Humeruskopfes am Akromion (10).
Bedeutung des Infraspinatus
Das Scapulablatt bildet die Ursprungsfläche für die Muskeln
der Rotatorenmanschette (Mm. subscapularis, supraspinatus
und infraspinatus). Durch neuromuskuläre Kontrollmechanismen wird der Humeruskopf auch bei komplexen Bewegungsanforderungen aktiv im Glenoid zentriert (38).
Auf die Bedeutung
des Infraspinatus bei der
Wurfbewegung wird in
verschiedenen Publikationen
hingewiesen
(8,10,16,26,29).
Während der Ausholphase wird der Humeruskopf durch konzentrische Aktivität des Infraspinatus
auswärts
Abb. 3: Atrophie des Musculus Infraspina- gedreht. In der Followtus und manifeste Außenrotationsschwäche through Phase überder dominanten Schulter bei einem Weltwiegt exzentrische Aktirang-Tennisspieler.
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vität des Infraspinatus, um die Wurfbewegung abzubremsen.
(10). Dieser Dezelerationsmechanismus impliziert eine potentielle Schädigung der Infraspinatussehne bei Wurfsportarten.
Hinsichtlich der Ätiologie einer chronischen Infraspinatusatrophie (Abb. 3) im Rahmen repetitiver Überkopfbelastungen existieren unterschiedliche Ansichten. Einige Autoren postulieren eine Entrapment-Neuropathie des Nervus suprascapularis im Bereich der Incisura scapulae oder des
Ligamentum transversum, andere diskutieren eine chronische Dehnungsbeanspruchung mit konsekutiver Schädigung
des Nerven (6,34). Außerdem wird eine chronische Mikrotraumatisierung des Infraspinatus aufgrund repetitiver Dezelerationsbeanspruchung der Muskel-Sehneneinheit angenommen. (9)
Bedeutung der BWS
Die Morphologie der Brustwirbelsäule kann unmittelbar mit
der Entstehung eines Subacromialsyndroms zusammenhängen. Beim älteren Patienten finden sich überwiegend eine
vermehrte Kyphosierung der BWS und eine Scapulaprotraktion. Diese Konstellation prädisponiert zu einer strukturellmechanischen Einengung der Rotatorenmanschette im subacromialen Gleitraum. Therapeutisch steht eine Aufrichtung
und Mobilisation der Brustwirbelsäule sowie das Erlernen der Scapuladynamik im Vordergrund.
Beim Überkopfathleten bestehen oft segmentale Steilstellungen der Brustwirbelsäule und eine
Seitausweichung in Richtung der
nicht-dominanten Seite (Abb. 4).
Hinsichtlich der paravertebralen
Muskulatur imponiert typischerweise eine Seitendifferenz mit
deutlicher Hypertrophie der dominanten Seite (Wurfseite). Klinische Beobachtungen bei Hochlei- Abb. 4: Inspektion der hinteren
stungs-Tennisspielern zeigen eine Thoraxwand und der Schulterblattkonturen beim Anheben
häufige Assoziation zwischen und Absenken der Arme. Die
Formveränderungen der BWS Morphologie der Brustwirbelsäule kann unmittelbar mit der
und
Muskelimbalancen
der Entstehung eines SubakromialSchultergürtelregion sowie des syndroms zusammenhängen.
Schulterblatt-Thoraxgelenkes
(36).
Scapulo-humero-thorakale Imbalancen
Es wird angenommen, dass eine Veränderung des Kräftegleichgewichtes zu Veränderungen der Kinematik des Schultergelenkes und sekundär zu Beschwerden führen kann. Die
funktionell unausgewogene Balance der in einer Sportart
vermehrt eingesetzten Muskelgruppen wird im Allgemeinen
als „Imbalance“ bezeichnet, wobei eine physiologische Norm
der Kraftverhältnisse vorausgesetzt wird (23). Unter den Begriffen scapulohumerale und scapulothorakale Imbalancen
werden muskuläre Defizite zusammengefasst, die eine durch
langjährigen Überkopfsport induzierte Veränderung der Kinematik des Schultergürtels veranschaulichen.
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Scapulohumerale Imbalancen
Eine Reihe von isokinetischen Untersuchungen beschäftigt
sich mit den Veränderungen der Kraftverhältnisse am Glenohumeralgelenk bei Überkopfsportarten (1,3,13,22,24,44).
Bieder und Ungerechts (1) stellten bei jugendlichen Leistungsschwimmern ein Ungleichgewicht bezüglich der
Kraftentfaltung der Oberarmrotatoren mit deutlicher Dominanz der Innenrotatoren fest. Es wurden die Drehmomentverhältnisse bei konzentrischen Bewegungszyklen und einer
Winkelgeschwindigkeit von 60°/s bestimmt. Die Messungen
erfolgten in 90°- Abduktion des Armes.
Relativ vereinzelt werden in der Literatur Angaben über
Normalwerte der Kräfteverhältnisse der Innen- und Außenrotatoren genannt, was vor allem mit den unterschiedlichen
methodischen Vorgehensweisen der Untersucher zu begründen ist (23). Nach allgemeinen Empfehlungen soll die
Außenrotationskraft etwa 65% der Innenrotationskraft betragen, was einem Quotienten ARO/IRO von 0,65 bzw.
IRO/ARO von 1,5 entspricht (1).
Scapulo-thorakale Imbalancen
Das Verhältnis von scapulärer und humeraler Abduktion
wurde durch radiologische Untersuchungen beschrieben
(30). Auf der Basis kernspintomographischer Messungen
wurde auf die Änderung der Weite im Subacromialraum bei
verschiedenen Scapulapositionen hingewiesen. Die acromiohumerale Distanz - darunter versteht man den Abstand zwischen dem Acromionunterrand und der cranialen Zirkumferenz des Humeruskopfes - vergrößert sich bei der Scapularetraktion und wird hingegen bei Protraktion geringer (9,40).
Diese radiologische Betrachtungsweise korreliert mit der klinischen Interpretation des Zusammenhangs zwischen Scapulasteuerung und Impingementsyndrom (18).
Warner (43) demonstrierte unter Verwendung der MoiréTopographie scapulothorakale Dysfunktionen bei Patienten
mit Schulterimpingement. Die Methode erfordert jedoch relativ aufwendige Auswertungsmethoden und konnte sich für
Routineanwendungen nicht durchsetzen. Kibler (18) definierte den Grad der Scapulalateralisierung durch direkte
Messungen der Distanz zwischen thorakaler Wirbelsäule und
Margo medialis scapulae. In einer vergleichenden Untersuchung zwischen Normalprobanden und Patienten mit Subacromialsyndrom bestimmte er das Ausmaß der Scapulalateralisierung bei Abduktion des Armes. Dabei fand Kibler eine annähernd symmetrische Abstandsänderung beider
Scapulae in der Normalgruppe. Bei den Impingementpatienten bestand eine signifikante Asymmetrie der Scapulabewegung im Seitenvergleich von bis zu 3 cm. Als physiologischer Normbereich wird eine Seitendifferenz von bis zu 1,5
cm angesehen.
Imbalancen der scapulothorakalen Muskulatur wurden bei
verschiedenen Überkopfdisziplinen beschrieben. Kugler (19)
untersuchte 30 Leistungs-Volleyballer im Hinblick auf funktionelle Defizite und Veränderungen der Muskelfunktion. 15
der 30 Volleyballer litten unter Schulterschmerzen. Die Auswertung ergab bei allen Probanden relevante Imbalancen der
scapulothorakalen Muskulatur, wobei die Lateralisierung der
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Tabelle 1: Klinische Untersuchung der Schulter beim Überkopfsportler
Inspektion
• Schulterkontur
• Muskelrelief, Asymmetrie
• Atrophie/Hypotrophie der Mm. supra- und infraspinatus
• Morphologie der Wirbelsäule
• Scapulothorakaler Rhythmus
• Kombinationsbewegungen, Muskelspiel
Palpation
• Muskeltonus paravertebral /scapulothorakal
• Muskelhärten/ -verkürzungen
• Schmerzpunkte
• (AC-Gelenk, Akromionvorderkante, Sulcus intertubercularis, Tuberculum majus / minus, Coracoid, Bursa subcoracoidea, Gelenkkapsel)
Klinische Tests
• Aktive/passive Schultergelenksbeweglichkeit
• Segmentale Flexibilitätsprüfung BWS, HWS
• Mobilität und Stabilität des AC-Gelenkes
• Prüfung der Muskelkraft
• Selektive LBS- und Rotatorentestung
• Instabilitäts-/ Laxitätsprüfung
• Impingement-Tests
• Bestimmung der Innenrotationsamplitude
Scapulatestung
• Rechts-/Links-Asymmetrie
• Vor-/Rücklauf-Phänomen
• Scapulalateralisierung
• Scapula alata, scapular winging (Abb. 7)
Scapula und eine Verkürzung der postero-inferioren Gelenkkapsel im Vordergrund der Problematik standen.
Diagnostik
Klinische Untersuchung
Die Differentialdiagnose chronischer Schulterschmerzen
beim Überkopfsportler ist schwierig und das subjektive Beschwerdebild der Athleten oft uncharakteristisch. Neben der
Kenntnis der spezifischen Bewegungsanforderungen und einer gezielten Trainings- und Technikanalyse steht die sorgfältige Anamnese und klinische Untersuchung des Sportlers
im Vordergrund.
Am Anfang der eigentlichen klinischen Untersuchung
steht die Inspektion. Das Schulterrelief, die Morphologie der
Wirbelsäule und die Konturen der Rückenmuskulatur sowie
Abb. 5a,b: Klinische Untersuchung: Inspektion der Scapulabewegung
während beiderseitiger Elevation der Arme gegen moderaten Widerstand
(2kg Hanteln). Beurteilt wird der Grad der Scapulakippung (scapular winging) anhand des sagittalen Neigungswinkels der Scapula am Rumpf.
a) Jugendlicher Speerwerfer mit leichter Asymmetrie der Scapulabewegung
rechts gegenüber links.
b)19-jährige Hochleistungsschwimmerin mit ausgeprägter Scapula alata
rechts. Elektromyographisch nachgewiesene Minderaktivierung des M. serratus anterior unklarer Genese.
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Schulterprobleme beim Überkopfsportler
des Schultergürtels werden im Seitenvergleich beurteilt.
Muskelatrophien im Bereich der Fossa supra- und infraspinata können als Ausdruck einer neurogenen, funktionellen
oder strukturellen Schädigung des M. infraspinatus interpretiert werden. Eine inspektorisch erkennbare Scapula alata
oder eine seitendifferente Scapulaanbindung deuten auf das
Vorliegen muskulärer Ungleichgewichte am Schultergürtel
hin (Abb. 5a,b).
Die Palpation beginnt mit der manuellen Untersuchung
der paravertebralen und scapulothorakalen Muskulatur. Tonusveränderungen, Muskelhärten und Muskelverkürzungen
werden dokumentiert. Es erfolgt die Palpation des Glenohumeralgelenkes, des Subacromialraumes, der langen Bizepssehne und der Rotatoreninsertionspunkte. Daneben sind
auch das Akromioclavikular- und das Sternoclaviculargelenk zu untersuchen, um diese Strukturen als Schmerzpunkte zu isolieren.
Die klinischen Tests beinhalten eine aktive und passive
Beweglichkeitsprüfung beider Schultern, selektive Rotatoren- und Bizepssehnen-Tests sowie eine gezielte Instabilitäts- und Impingementprüfung (2,33). Dabei kommen spezifische Schulterfunktionstests zur Anwendung (Tab. 2). Das
Ausmaß der passiven Rotationsbewegung im Glenohumeralgelenk wird bei fixierter Scapula in Neutralstellung und in
90°-Abduktionsposition des Armes gemessen. Zur Beurteilung der Laxität wird die translatorische Verschieblichkeit
des Humerurkopfes gemessen. Für die Instabilitätsdiagnostik
besitzen der Relokationstest und der vordere Apprehensiontest bei verschiedenen Abduktionspositionen des Armes
besondere Bedeutung. Die Symptomenkomplexe der Schulterinstabilität und des Impingementsyndroms sind oft überTabelle 2: Spezifische Schulterfunktionstests
Rotatorentestung:
• Null-Grad-Abduktionstest zur Prüfung der Starterfunktion des M. supraspinatus. Der Proband abduziert die am Körper anliegenden Arme
gegen Widerstand des Untersuchers.
• 90-Grad-Supraspinatustest (Jobe-Test): Getestet wird die statische
Haltefunktion des M. supraspinatus in 90 Grad Abduktion, 30 Grad
Horizontalflexion und 30 Grad Innenrotation.
• Außenrotationstest (nach Patte): Außenrotation des um 90 Grad
abduzierten Arms gegen Widerstand.
Impingementtests:
• Impingement-Zeichen nach Neer: Der Arm des Probanden wird bei fixierter Scapula passiv flektiert und innenrotiert, um ein Anstoßen des
Tuberkulum majus am Akromion zu provozieren.
• Hawkins Test: Innenrotation und Adduktion des Arms bei mittlerer
Flexionsstellung.
Instabilitätstests:
• Load-and-Shift-Test nach Hawkins zur Beurteilung der Schulterlaxität. Mit dem vorderen und hinteren Schubladentest wird die relative Verschieblichkeit des Humeruskopfes in Bezug zum Glenoid in drei
Grade eingeteilt.
• Apprehension-Test: Außenrotation des Arms bei 60, 90 und 120 Grad
Abduktion im Schultergelenk bei gleichzeitigem Druck gegen den Humeruskopf von dorsal.
• Relokationstest: Außenrotations-Abduktionsmanöver beim liegenden
Probanden mit resultierender Apprehensionsymptomatik. Durch ventralen Druck gegen den Humeruskopf wird die Schmerzprovokation
durch Rezentrierung des Gelenkes reduziert.
Testung der langen Bicepssehne:
• Yergason Test: Supination gegen Widerstand bei rechtwinklig gebeugtem Ellenbogengelenk.
• Palm up Test: Anheben der gestreckten Arme bei 90-Grad-Abduktion,
30-Grad-Horizontalflexion und supinierten Unterarmen.
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Abb. 6: Testung der dynamischen Scapulastabilisierung im Vierfüßlerstand:
Ausgangsposition
Wechselseitiges Anheben der Handflächen. Geprüft wird das Ausmaß der
Scapulalateralisierung und die thorakale Anbindung der Skapula.
lappend. Die exakte Abgrenzung dieser Entitäten ist nicht
immer möglich. In der sportmedizinischen Praxis haben sich
bei vorliegender Impingement-Symptomatik die Provokationstests nach Neer, Jobe und Hawkins bewährt. Zur Erkennung einer Bizepssehnen-Tendinitis oder einer SLAP-Läsion
werden routinemäßig der Yergason-Test, der Palm up-Test
und der O’Brien-Test durchgeführt (33).
Die funktionelle Scapulatestung erfolgt durch beiderseitige Anteversion der Arme bei 30°-Horizontalabduktion. Das
sagittale Kippen der Scapula (scapular winging) wird durch
Anheben und Absenken der Arme gegen Widerstand des Untersuchers ausgelöst. Dabei richtet sich das Augenmerk auf
Unterschiede während der konzentrischen und der exzentrischen Bewegungsphase. Beim Anheben des Armes dreht die
Scapula durch konzentrische Kontraktion des M. serratus anterior nach außen und oben. Der untere Schulterblattwinkel
wird dabei dem Thorax angenähert. Während des Absenkens
verhindert der M. serratus eine Rückverlagerung und ein Abkippen der Scapula durch vorwiegend exzentrische Bremsaktivität.
Durch Liegestützen gegen die Wand oder mit Hilfe des
Vierfüßlerstands (Abb. 6) wird die statische und dynamische
Stützaktivität der thorakoscapulären Muskulatur getestet.
Dabei wird das Ausmaß der Scapulalateralisierung und die
thorakale Anbindung der Scapula geprüft.
Bildgebende Diagnostik (Sonographie,MRT)
Die Ultraschalldiagnostik der Schultern erfolgt zur routinemäßigen Darstellung der Rotatorenmanschette, der Intervallzone und der langen Bizepssehne. Die Untersuchung
wird mit einem 5-MHz oder 7,5-MHz-Linearschallkopf in
Real-time-Technik durchgeführt (12). Für die dynamische
Untersuchung wird der Arm des Patienten rotatorisch mitbewegt. Die Sonographie hat sich insbesondere für die Erfassung struktureller Läsionen der Rotatorenmanschette etabliert. Die Sensitivität und Spezifität des Verfahrens ist von
der Erfahrenheit des Untersuchers abhängig. Hedtmann (12)
zeigte bei der Auswertung von über 6000 sonographischen
Schulteruntersuchungen, dass die Sensitivität in der Erfassung von kompletten Rotatorenmanschettenupturen 96%
und die der Erfassung von Partialrupturen 90% übersteigt.
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Schulterprobleme beim Überkopfsportler
Die Häufigkeit falsch-positiver Befunde liegt hinsichtlich der
Totalrupturen unter 2% und bei sonographisch diagnostizierten Teilrupturen bei 5 bis 10%.
Als weiteres bildgebendes Verfahren hat die Kernspintomographie in den letzten Jahren zunehmend an Bedeutung
gewonnen. Der besondere Vorteil des MRI (magnetic resonance imaging) liegt im hohen Weichteilkontrast sowie in
der freien Wahl der Schnittebenen. Die Untersuchung ist
hochsensitiv und eignet sich zur Erkennung der nachfolgend
aufgeführten Schultegelenkspathologien beim Überkopfsportler:
• Ansatztendinose, -tendinitis der Rotatorenmanschette
• inkomplette oder komplette Rotatorenmanschettenruptur
• Bicepssehnentendinitis, -partialruptur, -instabilität
• SLAP-, Andrews-Läsion
• Kapsel-Labrum-Pathologie
• AC-Gelenksaffektionen
Isokinetische Kraftmessung
Für die funktionelle Diagnostik ist die Bestimmung quantitativer Parameter unerlässlich. Die Isokinetik ist ein in der
Schulterdiagnostik etabliertes Verfahren zur Bestimmung
der Außen- und Innenrotationskraft am Glenohumeralgelenk (1,3,13,22,23,24,27, 39,44). Trotz unterschiedlicher Vorarbeiten zu isokinetischen Kraftmessungen der Schulter wurde bisher noch kein einheitliches methodisches Vorgehen definiert. Kritik an der Isokinetik wird in erster Linie mit der
konstanten Winkelgeschwindigkeit und den relativ unphysiologischen Bewegungsmustern begründet. Zudem wirkt
mit höherer Winkelgeschwindigkeit ein immer kleiner werdender Anteil der Bewegung wirklich isokinetisch, da der zu
bewegende Hebel über einen zunehmenden Teil der Bewegung beschleunigt werden muss (1).
In eigenen isokinetischen Kraftanalysen ließen sich relevante Außenrotationsschwächen bei Schwimmern und
Hochleistungs-Tennisspielern nachweisen (36). Für die isokinetischen Messungen verwenden wir routinemäßig das System Moflex® (Fa. Proxomed, Wolfratshausen). Aufgrund der
Konstruktion des Gerätes als Seilzugapparat ist es möglich,
funktionelle dreidimensionale Bewegungsmuster zu simulieren (Abb. 7).
Während der Untersuchung verfolgt der
Proband den gesamten
Bewegungszyklus anhand der visualisierten
Kraft-Zeitkurve über einen Monitor. Unkoordinierte
Bewegungen
werden angezeigt. Die
Positionierung der Testteilnehmer erfolgt sitzend bei aktiv aufgerichtetem Oberkörper
Abb. 7: Isokinetische Messung der
Außen- und Innenrotationskraft:
und einem konstanten
Konzentrisch/exzentrischer Arbeitsmodus,
Hüft- und Kniewinkel
Winkelgeschwindigkeit 30°/s, 15 Grad
Abduktion das Armes.
von 90 Grad. Mit einem
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15°-Schaumstoffkeil wird der Arm in eine leichte Abduktion im Schultergelenk gebracht. Die Rotationsamplitude
kann für jeden Probanden individuell eingestellt werden.
Die Bewegungsgeschwindigkeit wird mit 30-60°/s moderat
gewählt, um kontrollierte Bewegungen zu ermöglichen und
Verletzungen bei hohen Beschleunigungen zu vermeiden.
Bewegungs- und Formanalyseanalyse der Scapula
Die klinische Untersuchung der Scapulabewegung liefert
wichtige Hinweise für das Vorliegen scapulothorakaler
Imbalancen. Unter dem Aspekt einer quantitativen Bestimmung der Scapulaanbindung wurde in einer biomechanischen Untersuchung die sagittale Kippung des medialen Scapularandes mit Hilfe eines automatischen Bewegungsanalysesystems (ELITE®, Fa. BTS, Mailand) bei
definierten Bewegungsmustern kinematisch berechnet
(36). Dazu wurden unterschiedliche knöcherne Referenzpunkte der Scapula mit reflektierenden Markern besetzt
Abb. 8a: Kinematische Bestimmung der sagittalen Scapulaabweichung mittels infrarotgestützter Videoanalyse. Anheben und Absenken der Arme mit
verschiedenen Gewichten im Seitenvergleich. Die knöchernen Referenzpunkte der Scapula und der BWS sind mit reflektierenden Markern besetzt.
Abb. 8b: 3D-Formanalyse der Scapulakonturen mittels Video-Rasterstereographie: Neben den morphologischen Wirbelsäulenparametern werden die
Schulterblattkonturen mit Hilfe der maximalen Profilkrümmungen berechnet.
(Abb. 8a). Die Probanden wurden instruiert, verschiedene
Gewichte mit gestreckten Armen zwischen 30°- und 90°Horizontalabduktion anzuheben und wieder abzusenken.
Es zeigte sich, dass die Lageveränderung des medialen
Scapularandes in der Sagittalebene ein geeigneter Parameter ist, um die scapuläre Anbindung am Thorax zu
quantifizieren.
Als wesentliches Ergebnis der Untersuchung wird postuliert, dass es bei Überkopfsportlern auf der dominanten Seite zu einem signifikant vermehrten Abkippen der Scapula
bei Anteversion des Armes gegen Widerstand kommt. Daraus lässt sich tendenziell eine durch langjährigen Überkopfsport induzierte Veränderung der Scapulakinematik erkennen.
In neuerer Zeit führen wir 3D-Formanalysen der Scapulakonturen mittels Video-Rasterstereographie (Abb. 8b)
durch. Damit können neben den morphologischen Wirbelsäulenparametern die Schulterblattkonturen mit Hilfe der
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Schulterprobleme beim Überkopfsportler
Abb. 9a,b: Scapula PNF-Übung (Propriozeptive neuromuskuläre Fazilitation).
Bewegungsbahnung der Scapula über a) Druck- und Dehnungsreize sowie
b) durch taktile Stimulation in dreidimensionalen Mustern.
maximalen Profilkrümmungen berechnet werden. Das Verfahren liefert hoch präzise Messergebnisse und ist exakt reproduzierbar. Nachteilig ist derzeit noch die rein statische
Anwendbarkeit des Verfahrens. Die dynamische Auswertung
der Scapulamotorik bei verschiedenen Bewegungsmustern
ist derzeit Gegenstand klinischer und biomechanischer Untersuchungen.
Konsequenzen für die Rehabilitation
Der überwiegende Anteil der Schultererkrankungen beim
Sportler ist konservativ zu behandeln. Eine operative subakromiale Dekompression – darunter versteht man die
Erweiterung des subakromialen Gleitraumes mittels
Akromioplastik - ist bei Vorliegen eines funktionellen Impingementsyndroms kontraindiziert. Insbesondere beim
Überkopfsportler wird die subakromiale Dekompression eine vermehrte antero-superiore Translation des Humeruskopfes zur Folge
haben. Klinische Studien nach
operativen Eingriffen zeigen, dass
die Wiedererlangung der Sportfähigkeit nach Akromioplastik bei
Überkopfsportlern auf Hochleistungsniveau nur bei einem Viertel bis maximal der Hälfte der
Athleten erreicht wird (31). Die
Indikation zur subakromialen DeAbb. 10: Kletterwand. Statische kompression
beim Überkopfund dynamische Halteaktivität
sportler muss daher äußerst sorgund Training der Rumpfspannung.
fältig überprüft werden (11,20).
Das differentialtherapeutische
Konzept beinhaltet Elemente der Krankengymnastik und
physikalischen Therapie sowie der Trainingstherapie (Abb.
9-14). Darüber hinaus können peripher wirksame Schmerzmittel, Antiphlogistika, lokale und intraartikuläre Injektionen mit Lokalanästhetika sowie wasserlösliche Corticoide
appliziert werden.
Ziele der physiotherapeutischen Behandlung sind:
– Zentrierung des Humeruskopfes über gelenknahes Training der Außenrotatoren
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Übersichten
– Erlernen der Scapuladynamik und -stabilität
– Mobilisation der Brustwirbelsäule und Training der Rumpfspannung
– Verbesserung der dynamischen Oberkörperaufrichtung mit Ein11: Therabandübung. Konzentrischordnung von Becken, Abb.
exzentrisches Training der Außenrotatoren
Thorax und HWS
bei kontrollierter Oberkörperaufrichtung
– Training der intersca- und Scapulaanbindung.
pulären Muskulatur bei
komplexen Bewegungsanforderungen
Tabelle 3: Therapie scapulohumeraler und scapulothorakaler
Imbalancen (3-Phasen-Schema)
Phase 1:
– BWS-Mobilisation
– Dehnung dorsale Gelenkkapsel
– Dekontraktion des M. subscapularis
– Optimierung der Gelenkstellung
– Gelenknahe Isometrie
– Scapula PNF-Pattern
– Aktive Humeruskopfzentrierung
Phase 2:
– Isometrie (Agonist – Antagonist)
– Statische und dynamische Scapulastabilisation
– Rotatorentraining, (offene und geschlossene Kette)
– Isokinetik konzentrisch, exzentrisch
– Propriozeptionstraining
Phase 3:
– Trainingstherapie
– Sportartspezifische Kräftigung
– Dynamische Stabilisation (Bewegungsendpunkt)
– Koordinations- und Propriozeptionstraining
Grundsätzlich lassen sich drei Phasen der physiotherapeutischen Rehabilitation unterscheiden (Tab. 3). In der Anfangsphase (Phase 1) ist das Hauptaugenmerk auf die scapulothorakale Muskulatur zu richten, die für eine biomechanisch
optimale Ausrichtung des Schulterblattes verantwortlich ist
(Abb. 9,10). Hervorzuheben sind hierbei die Mm. serratus an-
Abb. 12: Komplexes Stabilisationstraining.
a) Vierfüßlerstand mit dem Aerostep. Wechselseitiges Anheben der Handflächen.
b) Gymnastikball - Ganzkörperstabilisations- und Balanceübung. Koordinatives Training der Rumpfspannung und der scapulothorakalen Muskulatur.
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333
Übersichten
Schulterprobleme beim Überkopfsportler
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Abb. 13: Propriozeptives neuromuskuläres Training: mit dem Bodyblade
(links) und mit dem BOING (rechts). Faszillitieren der Gelenkstabilität.
8.
9.
terior und rhomboidei. Erst nach Erreichen einer suffizienten
Scapulasteuerung kommt dem Training der Rotatorenmanschette vermehrt Bedeutung zu. Das Training basiert auf dem
Prinzip des progressiven Belastungsaufbaus. Dabei wird in
der frühen Phase von isometrischen zu konzentrischen und
in der späteren Rehabilitationsphase von exzentrischen zu
reaktiven Übungsformen aufgeschult. Als Trainingsmittel ist
z.B. das Theraband® besonders geeignet (Abb. 11). Es ermöglicht funktionelle dreidimensionale Bewegungsmuster (offe-
10.
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13.
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Abb. 14: Schultertrainingstherapie.
a) Seilzug – dreidimensionale symmetrische Übungsform zur Zentrierung
und Kaudalisierung des Humeruskopfes.
b} Training der interscapulären Muskulatur (Mm. rhomboidei)
20.
21.
ne und geschlossene Kette). Für die Koordination und Propriozeption stehen verschiedene Hilfsmittel (z.B. Aerostep®,
Gymnastikball, Bodyblade®, BOING®,) zur Verfügung (Abb.
12,13). Trainingsgeräte (Maschinen, Zugapparate) kommen
erst in der dritten Phase der Rehabilitation zur Anwendung
(Abb.14). Hierbei ist auf die Verwendung kurzer Hebel zu
achten.
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