vernetzte welten - Deutsches Archäologisches Institut
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Archäologie Weltweit – Zweiter Jahrgang – Berlin, im April 2014 – DAI Wenn wir unser kulturelles Erbe erhalten wollen, brauchen wir Ihre Unterstützung. TWG 1 t 2014 Wie Sie uns helfen Ausschnitt aus einer Wandmalerei mit der Darstellung eines Frauenkopfes. 13. Jh. v. Chr. Foto: A. Papadimitriou: Tiryns. Historischer und archäologischer Führerw, Athen 2001 können, sehen Sie hier: W W W. T W G E S . D E Gesellschaft der Freunde des Deutschen Archäologischen Instituts Theodor Wiegand Gesellschaft e.V. Wissenschaftszentrum Bonn Der Zahn der Zeit nagt an den Antiken, unser Kulturerbe ist an vielen Stellen gefährdet und muss restauriert werden. Ahrstraße 45, 53175 Bonn Zwischen 1400 und 1200 v. Chr. entstand im Süden des Peloponnes ein stark befesDorothea Lange tigter Palast mykenischer Art, eine Art Musterzitadelle, deren mächtige Mauern noch Tel.: +49 228 30 22 64 lange sichtbar blieben: Tiryns. Lebhaft farbige Fresken von großer Schönheit zeigten Fax: +49 228 30 22 70 dem Besucher das, was ihn selbst herführte: eine Prozession zum Allerheiligsten im [email protected] Zentrum des Palastes. Heinrich Schliemann initiierte 1876 den ersten Zyklus von Ausgrabungen in Tiryns Theodor Wiegand Gesellschaft – er währte bis 1920. Das DAI nahm 1967 die Grabungen wieder auf. Neue Maßstäbe Deutsche Bank AG, Essen in der Erforschung des Ortes setzte dabei die von Klaus Kilian geleitete Großgrabung Konto Nr. 247 194 400 in der Unterburg von 1976 bis 1983, durch welche die Nutzung und die Konzeption BLZ 360 700 50 der Bebauung dieses Siedlungsteiles in mykenischer Zeit geklärt werden konnte. Seit oder 1994 leitet Joseph Maran, Universität Heidelberg, das Vorhaben im Auftrag des DAI. Sparkasse Köln-Bonn 1999 erweckten Neufunde von Wandmalereien erneut das Interesse an den Fresken, Konto Nr. 290 058 08 die bereits 1910 im Schutt gefunden worden waren – besonders, nachdem sie mit den BLZ 370 501 98 Altfunden, die durch Gerhart Rodenwaldts Publikation bekannt geworden waren, in Zusammenhang gebracht werden konnten. Ihre Spenden sind steuerbegünstigt. Vielen Dank! TITELTHEMA 2009 konnte die Restaurierung der Altfunde abgeschlossen werden. Nun steht die restauratorische Arbeit an den Neufunden an. www.dainst.org VERNETZTE WELTEN Mobilität, Migration und Handel in der Antike R E P O R TA G E S TA N D P U N K T INTERVIEW Phönizisch-Iberisches Joint Venture Vernetzte Forschung – Vernetzte Welten Verbindung und Barriere – Mittelmeerstudien mit neuer Bedeutung ARCHÄO LO G I E W ELT W EIT In der nächsten Ausgabe von Archäologie Weltweit Orte in dieser Ausgabe Spanien, Los Castillejos de Alcorrín. Reportage, Seite 12 Arabische Halbinsel, Weihrauchstraße. Titelthema, Seite 36 Peru, Palpa. Cultural Heritage, Seite 20 Das Mittelmeer und seine Anrainer. Titelthema, Seite 36 Russische Föderation, Kimmerischer Bosporus, Deutschland, München. Alltag Archäologie, Seite 76 Taman-Halbinsel. Landschaft, Seite 28 Türkei, Thrakischer Bosporus. Landschaft, Seite 28 Tadjikistan, Duschanbe. Das Objekt, Seite 34 Berlin, Zentrale des Deutschen Marokko, Essaouira. Titelthema, Seite 36 Archäologischen Instituts HEILIGTÜMER DA S T ITE L B I L D Eine kleine Insel vor der marokkanischen Atlantikküste – in der Antike noch eine Landzunge – war der Treffpunkt der westphönizischen Seehandelsroute mit einer afrikanischen Karawanenstraße. Hier wurde gekauft und getauscht, man erzählte sich Geschichten und berichtete einander die neuesten Nachrichten aus allen Ecken der Welt. Die begehrten Güter waren Fisch in großen Mengen, Elfenbein, Metalle, exotische Tiere, das bernsteinähnliche Harz von Thuja berberiska/citrus und kostbare Spezereien. Unser Titelbild zeigt Essaouira, die Stadt auf dem Festland. Sie wurde bis in die sechziger Jahre hinein ‚Hafen von Timbuktu’ genannt. Immer noch trafen hier die Karawanen aus dem afrikanischen Hinterland ein, und alle europäischen Handelsmächte unterhielten Konsulate in der Kleinstadt an der Küste. EDITORIAL EDITORIAL LIEBE LESERIN, LIEBER LESER, Prof. Dr. Friederike Fless Präsidentin des Deutschen Archäologischen Instituts Foto: Lejeune „Vernetzung“ ist Dauerthema in allen Lebensbereichen, und die globale Welt scheint geradezu ein Produkt neuer Formen von Vernetzung zu sein. Wie anders scheint da die Welt der Antike gewesen zu sein. Sie wird gerne als „die alte Zeit“, als ein eher träges, adynamisch stagnierendes Gebilde wahrgenommen – besonders wenn es um Wirtschaft, um Politik und um internationale Beziehungen geht. Somit, so geht der Gedanke weiter, sei die Antike das völlige Gegenteil all dessen, was wir heute sind. Doch „die Antike“ war ebenso bewegt und international vernetzt wie die Gegenwart, wenn auch mit einer anderen Grundgeschwindigkeit. Mithin ist auch die Archäologie als Wissenschaft so international und vernetzt, wie ihre „Gegenstände“ es waren, verknüpft mit Partnern in den Gastländern ihrer Forschung, in ständigem Austausch und immer mit der Herausforderung konfrontiert, sehr unterschiedliche wissenschaftliche, politische und ökonomische Anforderungen als Ganzes im Blick zu behalten. Im Deutschen Archäologischen Institut ist die grenzüberschreitende Vernetzung sogar schon in seiner Gründungsgeschichte angelegt, seit sich 1829 in Rom ein Kreis internationaler Gelehrter und Diplomaten zusammenschloss, um die unterschiedlichen Kompetenzen miteinander zu verbinden und um die internationale Vernetzung in der Erforschung der Antike voranzutreiben. Natürlich haben sich die Aufgaben der Archäologie seit dieser Zeit verändert, ihre Methoden haben sich um Ansätze erweitert, an die vor fast 200 Jahren niemand dachte. Und wo einmal das Objekt im Mittelpunkt des Interesses stand, sind es heute die kulturellen Kontexte, zu denen die Archäologie arbeitet – ganz im Sinne international und wissenschaftlich fachübergreifender Area Studies. Dabei kann sie zugleich vermeintliche Kontinuitäten kritisch hinterfragen, wenn diese – wie so oft – dazu dienen, heutige Probleme aus der Vergangenheit zu erklären, ganz nach dem beliebten Muster: „Das war schon immer so“. Doch ein solcherart immer wieder auftauchender Chronodeterminismus – wenn man es einmal auf einen Begriff bringen will – versperrt nur den adäquaten Blick in die Antike und verhindert auch ein angemessenes Verständnis unserer Zeit. Mobilität, Migration und Handel in antiken Kulturen sind Schwerpunkt des Titelthemas in dieser Ausgabe von Archäologie Weltweit, die „Reportage“ berichtet von einer phönizischen Gründung auf der Iberischen Halbinsel, das „Interview“ verrät etwas über mediterrane Studien in den Altertumswissenschaften, und im „Porträt“ ist nachzulesen, mit wem zwei Spitzenposition im DAI neu besetzt sind. Viel Vergnügen bei der weiteren Lektüre wünscht Ihnen Ihre Prof. Dr. Friederike Fless ARCHÄOLOGIE WELTWEIT _ 1 4 12 NACHRICHTEN REPORTAGE Los Castillejos de Alcorrín 28 12 Landschaft PA S S A G E N Von Bosporus zu Bosporus INHALT Reportage LO S C A S T I L L E J O S D E A LCO R R Í N An der Küste, die heute Costa del Sol genannt wird, entstand eines der ersten größeren phönizisch-iberischen Joint Ventures 20 CULTURAL HERITAGE El Señor de Palpa – Peruanische Grabanlagen, mit denen niemand gerechnet hatte 26 STANDPUNKT Vernetzte Forschung – Vernetzte Welten 28 LANDSCHAFT Passagen – Von Bosporus zu Bosporus 34 DAS OBJEKT Bewegter Kampf – Eine Schwertscheide aus Baktrien Waldgirmes Taganrog 36 TITELTHEMA Mobilität, Migration und Handel in der Antike 40 Wohltuender Reichtum – Die Weihrauchstraße 46 Mediterrane Kontinentalverbindung – Die internationale Welt der Phönizier Nizza 55 Rom VERNE TZTE WELTEN 56 Euböa Levante Berytos Byblos Sidon Tyros M O B I L I TÄT, M I G R AT I O N U N D H A N D E L I N D E R A N T I K E Mogador 62 64 D E R A B K L AT S C H Eine Lesekunst der erhabenen Art 76 2 _ ARCHÄOLOGIE WELTWEIT Elaia – Der Hafen von Pergamon Imperium zu Wasser und zu Land – Die Römer verändern die antike Welt 67 70 Alltag Archäologie Blick nach Westen und nach Osten – Die Große Griechische Kolonisation Metapont Alcorrín Häfen auf der Iberischen Halbinsel Waldgirmes, ein kolonialer Außenposten INTERVIEW Mit Prof. Dr. Felix Pirson Panorama DIE FORSCHUNG AU F R E I S E N Unterwegs – Das Reisestipendium des DAI Das Mittelmeer. Verbindung und Barriere 72 IM PORTRÄT 72 Eszter Bánffy 74 Philipp von Rummel 76 ALLTAG ARCHÄOLOGIE Der Abklatsch – Eine Lesekunst der erhabenen Art 82 80 STANDORT Das Architekturreferat an der Berliner Zentrale 82 PANORAMA Unterwegs – Das Reisestipendium des DAI 88 IMPRESSUM, VORSCHAU ARCHÄOLOGIE WELTWEIT _ 3 INHALT Ein phönizisch-iberisches Joint Venture Das Ramesseum in Luxor NACHRICHTEN Foto: Ryckaert NACHRICHTEN Der Workshop zum Thema Kulturgüter-Raub fand im marokkanischen Casablanca statt. Ausgeraubt und verwüstet Kampf gegen illegalen Handel mit Kulturgütern Der illegale Handel mit unschätzbaren Kulturgütern ist inzwischen der drittgrößte Sektor krimineller Geschäfte nach illegalem Drogen- und Waffenhandel. Das Gesamtvolumen dieses Schwarzmarkts wird auf 10 Milliarden US-Dollar geschätzt. „Der Gentleman-Kunstdieb, wie er von Hollywood gezeigt wird, ist nicht die Realität“, heißt es denn auch auf der Website der Initiative „Africa-EU Partnership“, die im Januar 2014 im marokkanischen Casablanca einen Workshop zum illegalen Handel mit geraubten Kulturgütern veranstaltete. “The Fight against Illicit Trafficking of Cultural Goods” wurde mit Unterstützung des „Joint Africa EU Strategy Support Mechanism“ organisiert. Der Workshop diente der Vorbereitung des EU-afrikanischen Gipfels im April 2014 in Brüssel. Unter der Leitung des Beauftragten für Kulturgüterschutz und Site Management des Deutschen Archäologischen Instituts (DAI), Dr. Friedrich Lüth, reiste eine DAIDelegation nach Marokko, um im Kreise von 80 Experten aus europäischen und afrikanischen Ländern mögliche Maßnahmen zur Bekämpfung der kriminellen Aktivitäten zu entwickeln. 4 _ ARCHÄOLOGIE WELTWEIT Der illegale Handel mit Kulturgütern wächst rasant, keine Region der Erde ist heute noch davon verschont. Die Öffnung der Grenzen, die steigende Zahl der Konflikte, zunehmende Armut und die nach oben offenen Preise für gestohlenes Kulturgut auf den internationalen Märkten verschlimmern die Sitaution zusehends. Organisiert wird der Handel von Banden, die verkaufen, was sie zuvor in der Regel in Raubgrabungen erbeutet haben. Der finanzielle Schaden ist immens, die Zerstörung des kulturellen Erbes ist nicht wieder gut zu machen. Die lokale Bevölkerung verliert nicht nur Ankerpunkte ihres kulturellen Gedächtnisses, sondern auch Einnahmequellen aus nachhaltigem Tourismus an archäologischen Stätten. Die Diebe hinterlassen die Plätze zumeist völlig verwüstet. Während des 3-tägigen Workshops entwickelten die Experten einen Katalog unverzichtbarer Maßnahmen und Initiativen, die innerhalb der Partnerschaft afrikanischer und europäischer Länder abgestimmt und durchgeführt werden sollen, allen voran die Sensibilisierung der Händ- ler und Museen sowie auch der Polizei und der Zollbehörden und darüber hinaus die Vernetzung aller Beteiligten. Große Bedeutung im Kampf gegen Raub und illegalen Handel mit Kulturgütern wird aber vor allem der Einbindung der lokalen Bevölkerung beigemessen – durch Aufklärung und nachhaltige Informationen über die Bedeutung des eigenen kulturellen Erbes. „Wir können nur schützen, was wir kennen“, erklärt DAI-Präsidentin Prof. Dr. Friederike Fless. Die Erfassung der archäologischen Stätten und Kulturgüter sowie die Errichtung digitaler Verzeichnisse und einer internationalen zentralen Datenbank seien daher von vordringlicher Wichtigkeit. Fless sagte ferner zu, Expertise und Infrastruktur des DAI im Bereich Kulturgüterschutz in internationalen Kooperationen zur Verfügung zu stellen. Erhalten und Bewahren Deutsch-ägyptischer Studiengang „Heritage Conservation and Site Management“ Der romantische Blick auf das Land am Nil und seine Jahrtausende alte Geschichte, die sich in unvergleichlichen Bauwerken manifestiert und deren Anblick man nie wieder vergisst, macht manchmal vergessen, dass der Wirtschaftszweig, der Touristen nach Ägypten führt, einer der wichtigsten in Ägypten überhaupt ist und bis vor Kurzem 10 Prozent des Bruttoinlandproduktes ausmachte. Das Deutsche Archäologische Institut beteiligt sich an dem neuen englischsprachigen Masterstudiengang „Heritage Conservation and Site Management“, den die Helwan Universität Kairo und die Brandenburgische Technische Universität CottbusSenftenberg (BTU) gemeinsam konzipiert haben. Das Studienprogramm wird Kenntisse und Fähigkeiten für die Verwaltung und das Management archäologischer Stätten vermitteln. Seine Schwerpunkte liegen auf der Lehre in akademischen Feldern wie Konservierungsstrategien und -metho- den, Strategie und Planung beim Management des Kulturerbes, Besuchermanagement, Präsentation und Interpretation sowie guten Kenntnissen des Touristensektors. Der Masterstudiengang, der beim European Credit Transfer System (ECTS) akkreditiert ist, sieht Studienphasen sowohl in Deutschland als auch in Ägypten vor und verbindet erstmalig klassische Archäologie mit multidisziplinären Ansätzen des modernen Managements touristisch bedeutsamer Kulturstätten. Die Einrichtung des Studiengangs, – großzügig gefördert vom Deutschen Akademischen Austauschdienst –, ist Teil der Maßnahmen, die im Rahmen der Transformationspartnerschaft zwischen der Arabischen Republik Ägypten und der Bundesrepublik Deutschland vom Auswärtigen Amt gefördert und finanziert werden. Die Aufnahme der gemeinsamen Arbeiten wurde im Dezember 2013 in Luxor mit einem hochrangig besetzten wissenschaftlichen Symposium zum Thema „Heritage Tourism: Prospects and Challenges“ feierlich eröffnet. 42 Redner aus 12 Ländern, darunter der Minister für Tourismus Hisham Zaazou, der Minister für Altertümer Prof. Dr. Mohammed Ibrahim Ali, der Präsident der Helwan Universität Prof. Dr. Yasser Sakr, der deutsche Botschafter Michael Bock, die Präsidentin des DAI, Prof. Dr. Friederike Fless, und die DAADGeneralsekretärin Dr. Dorothea Rüland sprachen über die zukunftsweisende Verzahnung von Kulturerbe und Tourismus. Die Ergebnisse des Symposiums werden 2014 in einem Tagungsband publiziert. WEITERE INFORMATIONEN: http://www.heritage.edu.eg/ http://www.tu-cottbus.de/fakultaet2/de/ studiengang-heritage-conservation-and-sitemanagement/ ARCHÄOLOGIE WELTWEIT _ 5 NACHRICHTEN Ausbildung in den Grundlagen Die GermanCambodian Conservation School (2013–2016) Die Kommission für Archäologie Außereuropäischer Kulturen (KAAK) des Deutschen Archäologischen Instituts (DAI) führte von 2008 bis 2011 drei Grabungskampagnen auf dem rund 2000 Jahre alten Gräberfeld Prohear im Südosten Kambodschas durch. Hunderte von Tongefäßen, Eisen- und Bronzebeigaben bedurften sachgerechter Konservierung und Lagerung. Bis 2012 wurden diese Arbeiten im Rahmen laufender Forschungen des DAI in Kambodscha finanziert. Anfang 2013 initiierte Dr. Andreas Reinecke, Referent für Südostasien an der KAAK, den Aufbau der „German-Cambodian Conservation School“ mit drei Hauptzielen: Grundlagen-Ausbildung für eine große Anzahl interessierter Fachkollegen, die weitere Absicherung fortlaufender Restaurierungsarbeiten und die Etablierung eines kambodschanischen Ausbildungsteams. Wichtiger Partner ist Prof. Dr. Hans Leisen vom Cologne Institute of Conservation Sciences (CICS) an der Fachhochschule Köln. Mit einer Finanzierung aus dem Kulturerhalt-Fonds des Auswärtigen Amts und mit Angkor Wat. Als der portugiesische Kapuzinermönch Antonio da Magdalena 1586 nach DAS GROSSE DURCHEINANDER Angkor kam, beschrieb er seinen Eindruck vom großen Tempel „als so außergewöhnlich, dass man es weder mit einem Stift beschreiben noch mit einem anderen Monument in der Welt vergleichen kann.“ Die gewaltigen Bauten von Angkor Wat im nördlichen Kambodscha stammen aus dem 9. bis 13. Jahrhundert n. Chr. und stehen seit 1992 auf der Welterbeliste der UNESCO. Unterstützung der Deutschen Botschaft Phnom Penh organisiert das DAI gemeinsam mit dem „Memot Centre“ und dem „German Apsara Conser vation Project“ in Phnom Penh und Angkor Wat Restaurierungskurse für interessierte junge Fachkollegen aus allen südostasiatischen Ländern. Die sechswöchigen Kurse mit jeweils zwei Teilnehmern begannen Mitte 2013 und werden vorläufig bis Ende 2016 durchgeführt. Sie versetzen die Teilnehmer in die Lage, zukünftig in ihren Entsende-Einrichtungen mit klaren Vorstellungen für die Restaurierung und Lagerung archäologischer Objekte einzutreten und gerade bei bilateralen Forschungsprojekten auch die entsprechenden Finanzmittel für Personal und Equipment einzufordern. An den bis- herigen vier Kursen nahmen Teilnehmer aus vier Ländern teil (Kambodscha, Vietnam, Laos, Philippinen). Das Kultur-Ministerium Kambodschas ist sich der internationalen Bedeutung des Projektes bewusst und unterstützt es dementsprechend mit Räumlichkeiten und persönlichem Engagement, beispielsweise durch Übergabe der Abschluss-Zertifikate an die Kursteilnehmer durch hochrangige Beamte im feierlichen Rahmen. Für das DAI, in dessen Händen die Projekt-Leitung, die Verwaltung, die Planung und Bewerberauswahl liegen, ergibt sich ein Ausbau der Vernetzung mit allen führenden archäologischen Einrichtungen in ganz Südostasien. WEITERE INFORMATIONEN: http://www.dainst.org/en/project/GCCS_2013 Restaurierungslabor des Memot Centres in Phnom Penh 1 Der kambodschanische GCCS-Ausbilder Tuy Sophea bei der Unterweisung einer philippinischen und einer vietnamesischen Kursteilnehmerin in die Bronzerestaurierung. 2 Die kambodschanische GCCS-Ausbilderin Seng Sonetra bei der Unterweisung zweier vietnamesischer Kursteilnehmer in praktischer Restaurierung. 1 2 6 _ ARCHÄOLOGIE WELTWEIT ARCHÄOLOGIE WELTWEIT _ 7 Antike digital NACHRICHTEN IANUS – Das neue Forschungsdatenzentrum für Archäologie und Altertumswissenschaften 1 2 3 INTERNATIONALER HANDEL Das „Durcheinander“ zeigt eine Fundsituation auf der Insel Samos vor der ionischen Küste Kleinasiens. Sortiert und bearbeitet, verwandelt sich der zunächst unübersichtliche Schutt in ein Zeugnis internationaler Vernetzung, und kein anderes griechisches Heiligtum hat unter den Votiven früharchaischer Zeit einen solchen Reichtum und eine solche Vielfalt an Importen aus dem Vorderen Orient und Ägypten hervorgebracht wie das der Hera auf Samos, das von der Abteilung Athen des Deutschen Archäologischen Instituts unter der Leitung von Wolf-Dietrich Niemeier erforscht wird. Bereits im 7. Jahrhundert v. Chr. war die Insel vollständig in die internationalen Handelsnetze des östlichen Mittelmeers und darüber hinaus eingebunden. Mehr zum Thema „Heiligtümer“ im nächsten Heft. 8 _ ARCHÄOLOGIE WELTWEIT den Aufgabe – und der größten Herausforderungen seit ihren Anfängen vor 150 Jahren, die nur mit gebündelten Ressourcen zu bewältigen ist. Am 18. Februar 2014 wurde in Berlin das Forschungsdatenzentrum für Archäologie und Altertumswissenschaften IANUS der Öffentlichkeit vorgestellt. 180 Gäste aus Wissenschaft, Politik und Medien nahmen an der Vortragsveranstaltung im Auditorium Friedrichstraße teil. Nachdem die Präsidentin des Deutschen Archäologischen Instituts, Prof. Dr. Friederike Fless, kurz in die Thematik eingeführt hatte, sprach Generalsektretär Prof. Dr. Ortwin Dally* zur Entwicklung von IANUS und Prof. Dr. Jürgen Kunow (Vorsitzender des Verbands der Landesarchäologen) erläuterte die Sicht der Landesdenkmalämter. Den Festvortrag hielt Prof. Dr. Manfred Thaller (Universtität zu Köln) über digitale Archäologie innerhalb der digitalen Geisteswissenschaften. IANUS wird seit 2011 als gemeinsames Vorhaben verschiedener Einrichtungen ebenfalls von der DFG gefördert. Dazu gehören universitäre und außeruniversitäre Forschungseinrichtungen, Graduiertenschulen, Museen, Bibliotheken, DFGgeförderte Projekte der Verbundforschung sowie Einzelprojekte, Landesdenkmalämter und die Akademien. Kartierung der Gebiete, aus denen in archaischer Zeit Votive in den Heratempel von Samos kamen. Die Veranstaltung ist über den YoutubeChannel des DAI zu sehen. www.youtube.com/dainst WEITERE INFORMATIONEN UNTER www.dainst.de und unter www.ianus-fdz.de. Darüber hinaus ist eine Broschüre zum Thema erschienen, die in gedruckter Form über die Pressestelle des DAI erhältlich ist (s. Impressum) und als pdf auf der DAI-Homepage zum Download bereitsteht. www.ianus-fdz.de/projects/ergebnisse/wiki Fotos: Niemeier, DAI Athen Nichts hat die Archäologie und die Altertumswissenschaften so sehr verändert wie die digitale Revolution, die seit einigen Jahrzehnten alle Lebensbereiche und insbesondere die Arbeit in der Wissenschaft prägt. Neue Methoden ermöglichen nicht nur neue Antworten auf alte Fragen. Sie bringen völlig neue Fragen und Erkenntnisse hervor, die es möglich machen, zu einem besseren Verständnis früher Kulturen vorzustoßen. Moderne altertumswissenschaftliche Forschung umfasst heute ein breites Spektrum von Spezialdisziplinen, das von unterschiedlichen Archäologien und Philologien über die Alte Geschichte bis zu Disziplinen wie Archäobiologie, Archäozoologie und Archäoinformatik reicht. Ihre Methoden umfassen textbasierte und kunsthistorische Analysen, Untersuchungen sehr verschiedener Materialien wie Knochen, Scherben oder Statuen bis hin zu großangelegten Re gionalstudien, die mit Hilfe moderner Grabungs-, Vermessungs- und Fernerkundungstechniken durchgeführt werden. So sehen sich die deutschen Altertumswissenschaften mit ihren zahlreichen Spezialdisziplinen und in ihrem institutionell heterogenen Zuschnitt vor einer drängen- 4 5 6 *Ortwin Dally ist zum 1. März 2014 als Direktor 2008 hatte die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) eine Arbeitsgruppe gebildet und sie mit dem Auftrag versehen, mögliche Lösungen zu konzipieren. an die Abteilung Rom des DAI gewechselt. Neuer Generalsekretär ist Philipp von Rummel. (s. Porträt S. 74) Abb. 1 und 2: Abb. 3 und 4: Abb. 5 und 6 Zyprische Terrakotten. Zyprische Kalksteinstatuetten. Fayencen aus Naukratis. Zweite Hälfte des Zweite Hälfte des Zweite Hälfte des 7. Jahrhunderts v. Chr. 7. Jahrhunderts v. Chr. 7. Jahrhunderts v. Chr. ARCHÄOLOGIE WELTWEIT _ 9 Werner Kaiser – Hermann Müller-Karpe – Peter Neve Aus der Reihe „Menschen – Kulturen – Traditionen“ NACHRICHTEN Nachrufe Zur Geschichte der Abteilung Kairo Werner Kaiser (1926–2013) Hermann Müller-Karpe (1925–2013) Peter Neve (1929–2014) AUS DER REIHE „MENSCHEN KULTUREN TRADITIONEN“ Die Forschungen Werner Kaisers waren Auslöser einer neuen Epoche der Feldarbeit zur ägyptischen Prähistorie. Die Ausgrabungen in der alten Stadt Elephantine, die er inaugurierte, erbrachten einen großen Reichtum neuen Wissens zu Urbanismus und städtischer Kultur in Ägypten. Als hervorragender Kunsthistoriker verfasste Kaiser Studien insbesondere zur Skulptur des Alten Ägypten. Seine bahnbrechenden Arbeiten zur Chronologie der NaqadaKultur und zum Übergang vom prädynastischen Ägypten zum frühen pharaonischen Staat eröffneten der Forschung neue Perspektiven zum frühen Ägypten. Von ungebrochen großer Bedeutung für die Archäologie wurde eines der Hauptwerke Hermann Müller-Karpes, das Handbuch der Vorgeschichte (1966–1980), später verdichtet zu einer Universalgeschichte der frühen Menschheit in den „Grundzügen der frühen Menschheitsgeschichte“ (1998). 1979 wurde Hermann Müller-Karpe an die neugegründete Kommission für Allgemeine und Vergleichende Archäologie des DAI (heute Kommission für Archäologie Außereuropäischer Kulturen) berufen. In der Gründung der Bonner Kommission sah Müller-Karpe einen entscheidenden Schritt hin zu einer weltumfassenden Archäologie der Ganzheit „als Inbegriff menschlicher Geschichtlichkeit“. Bewusst setzte er gegen eine einseitige Theoriebeflissenheit das Konkrete, die Materialien und begründete konsequent entsprechende Reihenwerke wie die „Materialien und die Forschungen zur Allgemeinen und Vergleichenden Archäologie“. Sein wissenschaftliches Leben verbrachte der Bauforscher bei den Ausgrabungen des Deutschen Archäologischen Instituts in der Haupstadt der Hethiter. Hattuša faszinierte ihn von Beginn an. Hier war er seit 1954 Mitarbeiter, damals ein 25-jähriger Architekturstudent. 1957 schloss der gebürtige Holsteiner sein Studium an der Universität Hannover ab und wurde ständiger Mitarbeiter des Grabungsleiters Kurt Bittel. Seit 1963 war Neve örtlicher Grabungsleiter und von 1978 bis 1993 als Nachfolger Kurt Bittels Gesamtleiter der Forschungen zu Hattuša. 1969 wurde er mit einer Arbeit zu „Regenkult-Anlagen in BogazköyHattuša. Ein Deutungsversuch“ an der Technischen Universität Berlin promoviert. Von 1974 bis 1993 war er darüber hinaus Leiter der Außenstelle Ankara des Deutschen Archäologischen Instituts. In den langen Jahren seiner Arbeiten in Bogazköy-Hattuša hat Peter Neve viele wichtige Grabungsprojekte durchgeführt und sowohl für die hethitische Zeit als auch für die Eisenzeit bahnbrechende Erkenntnisse ermöglicht. Durch konsequente Konservierung und Restaurierung der freigelegten Baureste hat er Hattuša ein völlig neues Gesicht verliehen. Es ist seinen Bemühungen zu verdanken, dass der Platz in ein archäologisches Freilichtmuseum verwandelt werden konnte, um so der Öffentlichkeit die große Geschichte der Region zu vermitteln. Auch auf seine Initiative hin wurde Bogazköy-Hattuša 1986 in die Welterbeliste der UNESCO aufgenommen. Am 24. Januar 2014 ist Peter Neve im Alter von 84 Jahren gestorben. Zur Geschichte der Abteilung Kairo Werner Kaiser wurde am 7. Mai 1926 in München geboren; er wurde 1954 an der Universität München promoviert. Von 1962 bis 1967 leitete er das Ägyptische Museum in West-Berlin, von 1967 bis 1989 war er Direktor der Abteilung Kairo des Deutschen Archäologischen Instituts. Werner Kaiser war korrespondierendes Mitglied der Bayerischen und der Göttinger Akademien der Wissenschaften, wirkliches Mitglied des Österreichischen Archäologischen Instituts sowie des Institut d‘Égypte. Er starb am 11. August 2013. Als Direktor der Abteilung Kairo des Deutschen Archäologischen Instituts schuf Werner Kaiser ein Forschungsprogramm, das alle Epochen und Aspekte der Archäologie Ägyptens umfasste. Neben der Forschung räumte er der Restaurierung und dem Site Management höchste Priorität ein. Die Zusammenarbeit mit und die Unterstützung für ägyptische Forscher und Archäologen waren ihm stets ein Herzensanliegen. 10 _ ARCHÄOLOGIE WELTWEIT Geboren wurde Hermann Müller-Karpe am 1. Februar 1925 im hessischen Hanau. So galt seine erste größere wissenschaftliche Arbeit der Urnenfelderkultur im Hanauer Land, mit der er 1948 bei Gero von Merhart in Marburg promoviert wurde. Am Landesmuseum in Kassel fand er seine erste Anstellung, 1950 wechselte er als Kurator an die Prähistorische Staatssammlung München. Hier verfolgte er weiter seine Studien zur Urnenfelderzeit und legte seine Habilitationsschrift vor: „Beiträge zur Chronologie der Urnenfelderzeit nördlich und südlich der Alpen“. 1963 wurde er als ordentlicher Professor an die Universität Frankfurt berufen, wo er bereits 1965 den umfassendsten Materialkorpus der vorgeschichtlichen Metallzeiten initiierte, die Reihe „Prähistorische Bronzefunde“. 1986 schied Hermann Müller-Karpe aus dem Amt. Er starb am 20. September 2013 in Marburg. Das Ende des 19. Jahrhunderts brachte den Aufschwung der Ägyptologie als Wissenschaft. Im Anschluss an die etwas raunende Suche nach dem Urwissen, das man im Besitz ägyptischer Priester vermutete und das in den zunächst noch unergründlichen Zeichen niedergeschrieben sei, verlor mit Napoleons Feldzug und der Entzifferung der Hieroglyphen Ägypten an esoterischem Reiz, wurde aber zu einem der bevorzugten Ziele für Bildungshungrige und Wissenschaftler. Seit der Mitte des 19. Jahrhunderts machten sich die Europäer auf zu dem Land am Nil. 1842 bis 1846 leitete Richard Lepsius die von König Friedrich Wilhelm IV. ausgesandte Expedition nach Ägypten, doch nach der Errichtung des Berliner Lehrstuhls und der Sammlung im Neuen Museum erlosch das Interesse der deutschen Regierung an Ägyptologie. Nun ist aus der Feder von Susanne Voss der erste Band einer Aufabeitung der Geschichte der Abteilung Kairo des Deutschen Archäologischen Instituts erschienen. Er umfasst die Jahre 1881 bis 1929 und zeichnet die Entwicklung der deutschen ägyptologischen Forschung vor Ort von 1881 bis 1929 nach, die 1906/1907 mit dem „Kaiserlich Deutschen Institut für ägyptische Altertumskunde in Kairo” institutionalisiert wurde. 1929 wurde es dem Deutschen Archäologischen Institut angegliedert. Die Untersuchung der akademischen Verhältnisse, der komplexen politischen Rahmenbedingungen und personellen Verflechtungen geben einen Einblick in die Gründerzeit des Fachs. Um die Geschichte des Fachs, der Personen und der Institution im Detail nachzeichnen zu können, unternahm Susanne Voss eine akribische Aktenrecherche in nationalen und internationalen Archiven und bearbeitete bisher unerschlossenes Material. Die Darstellung der Gesamtgeschichte ist an den Personen der Institutsdirektoren entlang strukturiert, da sie zugleich Repräsentanten der politischen, wissenschaftlichen und auch ideologischen Prägung ihrer jeweiligen Zeit waren. Grabungserlaubnis für die Deutsche Susanne Voss, Orient-Gesellschaft Die Geschichte der Abteilung Kairo des DAI im Spannungsfeld deutscher politischer Interessen. (DOG) in Abusir und Band 1, 1881–1929. (Rahden/Westf. 2013) Tell el-Amarna vom 12. Dezember 1907 Das Buch erscheint in der Reihe Menschen – Kulturen – Traditionen. Studien aus den Forschungs- (Archiv DAI Kairo) clustern des Deutschen Archäologischen Instituts Band 8,1 Cluster 5: Geschichte des Deutschen Archäologischen Instituts im 20. Jahrhundert. Herausgegeben vom Deutschen Archäologischen Institut; VML Verlag Marie Leidorf GmbH Lohnlistenblatt für die DOGAusgrabungen Ludwig Borchardts am SahurePyramidenbezirk in Abusir vom 17.–30. Oktober 1907 (Archiv DAI Kairo) ARCHÄOLOGIE WELTWEIT _ 11 REPORTAGE LOS CASTILLE JOS DE ALCORRÍN Ein phönizisch-iberisches Joint Venture Vor 2800 Jahren gründeten die Phönizier zahlreiche Niederlassungen an der Küste, die heute Costa del Sol genannt wird. 2700 Seemeilen hatten sie hinter sich, als sie hier ankamen. Die „Reportage“ über die Landung eines phönizischen Schiffes an der südspanischen Küste ist keineswegs erfunden. Sie ist vielmehr die sehr wahrscheinliche, archäologisch belegte Rekonstruktion zahlreicher Begebenheiten, die sich in der Region vor ungefähr 2800 Jahren abgespielt haben. Eingespielt in den Text der Reportage, die am Ende einer Seereise beginnt, sind die wissenschaftlichen Anker. 12 _ ARCHÄOLOGIE WELTWEIT ARCHÄOLOGIE WELTWEIT _ 13 In der Nähe des Landeplatzes mündete ein kleiner Fluss ins Meer. An seinem Ufer lag ein Dorf, dessen Bewohner wie ihre Nachbarn noch nicht lange hier lebten. Noch vor kurzer Zeit war die ganze Küste unbesiedelt. Die Dorfbewohner beschlossen, sich mit den Phöniziern, die längst keine Unbekannten mehr waren, zu treffen, um mit ihnen ein Projekt zu erörtern. Sie kannten die Seefahrer mit dem etwas fremdartigen Äußeren als freundliche Menschen, exzellente Handwerker und Baumeister und als äußerst geschickte Händler. Es kursierten aber auch Gerüchte, sie seien schändliche Piraten und ganz und gar heimtückische Leute. Dennoch überlegten sie sich, ihnen ein Geschäft vorzuschlagen. Vielleicht könnte man zusammenarbeiten. Die Phönizier sollten ihnen bei dem Vorhaben helfen, dafür dürften sie in der ganzen Region Handel treiben mit ihren neuartigen Metallgefäßen, dem schönen Schmuck und dem feinen Tafelgeschirr. Eine Sensation war das durchsichtige Glas, reinste Zauberei. Sie trafen sich also mit den Phöniziern und trugen ihren Plan vor: „Wir wollen eine Festung bauen.“ Als die Passagiere des Schiffes an Land gingen, fand einer von ihnen ein kleines Stück Karneol. Die Iberer mochten die schönen roten Steine. Es stammte wohl aus einem früheren Geschäft oder von einem früheren freundschaftlichen Treffen, bei dem Geschenke ausgetauscht wurden, schließlich waren sie nicht die ersten, die so weit nach Westen gesegelt waren. Ihre eigene Gruppe war eher klein, und abgesehen von den Seeleuten – Kapitän, Navigator und Matrosen – waren ein Architekt, zugleich der Landvermesser mitgekommen und, weil man das grobe Geschirr der Einheimischen nicht zu jeder Gelegenheit schätzte, ein Töpfer, der mit der schnellen Drehscheibe arbeiten konnte. Er würde gut verdienen, denn seine Waren und seine Kenntnisse waren begehrt genau wie die des „Eisenmannes“, der es verstand, Metall zu verarbeiten. Die Erzvorkommen der Gegend sollten fantastisch sein, wie man von früheren Reisenden hörte. Der Schreiber sah eine Menge Arbeit auf sich zukommen. Handelsposten waren zu fakturieren, die Berechnungen des Architekten und des Landvermessers waren zu dokumentieren, Zollbescheinigungen auszustellen, Wer wusste schon, was alles auf einen zukäme? Zum Glück hatten diejenigen, die für Seelenheil, Altäre und Ritual zuständig waren, ihre Zahlen im Kopf. Aber der Zeremonienmeister würde zu ihm kommen, um sich von ihm die Aufstellung für das große Bankett zu Ehren der Handelspartner niederschreiben zu lassen. Aber zum Glück war er nicht der einzige, der schreiben konnte. Los Castillejos de Alcorrín liegt im südspanischen Andalusien an der Westgrenze der Provinz Málaga nur 25 Kilometer von Gibraltar und 2,5 Kilometer von der Mittelmeerküste entfernt auf 165 Meter Höhe über dem Flussbett des Alcorrín – eine äußerst günstige Lage. Der archäologische Fundplatz wurde 1988 von Fernando Villaseca Díaz und Marcos Vázquez Candiles bei Prospektionen im Zuge eines geplanten Bauvorhabens entdeckt. Im Folgenden konnten sie Spuren einer befestigten Siedlung der späten Bronzezeit an der Schwelle zur Eisenzeit nachweisen, der Periode, in der die ersten Kontakte zwischen Einheimischen und Phöniziern stattgefunden hatten (Ende des 9. / Beginn des 8. Jahrhunderts v. Chr.). Anschließend übernahm der Archäologe José Suárez Padilla die Grabungsleitung; das Areal wurde 2006 unter Denkmalschutz gestellt. Der Platz zog sogleich große Aufmerksamkeit auf sich und man beschloss, ihn genauer zu untersuchen. Da die Abteilung Madrid des DAI auf eine lange Tradition in der Phönizierforschung zurückblicken konnte, lud man sie ein, sich der Erforschung des Platzes zu widmen. Das Projekt wird nun vom DAI Madrid in Kooperation mit dem Centro de Estudios Fenicios y Púnicos und der Gemeinde Manilva seit 2007 durchgeführt. Die Luftaufnahme zeigt die Lage Alcorríns an Die Ergebnisse der geophysikalischen Prospektion der spanischen Südküste im Westen der „Wir wissen noch nicht genau, wie viele Menschen genau es waren, die an zeigen die Siedlungs-Situation im Gelände. Provinz Málaga. den Ort kamen, den wir heute ‚Los Castillejos de Alcorrín’ nennen“, sagt Abb.: Eastern Atlas DAI, Abteilung Madrid Prof. Dr. Dirce Marzoli, Direktorin der Abteilung Madrid des Deutschen Archäologischen Instituts, die hier die Forschungen zu den Phöniziern leitet. „Aus dem 8. und 9. Jahrhundert v. Chr. haben wir nur wenige Funde, erst ab dem 7. Jahrhundert lassen sich dann genauere Angaben machen. Wir wissen aber, dass Phönizier und Einheimische an dieser Stelle gemeinsam eine Festung gebaut haben.“ Doch offenbar verlief dies anders, als der ersten Anschein es glauben machen konnte. Die Phönizier waren nicht die Art Eroberer, die Territorien besetzten. 14 _ ARCHÄOLOGIE WELTWEIT Die Bewohner des Dorfes haben Ärger mit den Nachbarn und das Bedürfnis sich zu schützen. Also bitten sie die Phönizier um Kooperation, Unterstützung und Technologie gegen die Gewährung von Handelspriviliegien. Die Siedler aus der Levante überlegen nicht lang. Die reichen Erzvorkommen im Hinterland sind äußerst interessant, wie man inzwischen weiß. Ebenso interessant sind die dortigen Bewohner als Handelspartner für Wein, Weihrauch, Parfum und Purpur. Also setzen sich Architekt und Geometer mit den Einheimischen zusammen und entwerfen eine Anlage. Sie wird so weit oben auf einem Hügel liegen, dass man von dort aus weit aufs Meer hinaus an Gibraltar vorbei bis zum Dschebel Musa bei Ceuta sehen kann. Und umgekehrt wird man selbst von weither gesehen. Die Anlage vorher zu berechnen und das Areal auszumessen, erleichterte die Arbeit ungemein. Die „Mathematik“ hatten sie von ihren Nachbarn Mesopotamien und Ägypten gelernt, erzählten die Phönizier, ebenso wie die Herstellung der praktischen Lehmziegel für die Wohnhäuser, die ein nie gekanntes flexibles Bauen ermöglichten. ARCHÄOLOGIE WELTWEIT _ 15 REPORTAGE Um das Jahr 800 v. Chr. landet ein Schiff im Süden der Iberischen Halbinsel. Der Kapitän kannte den Anlegeplatz in der Flussmündung von einem Kollegen, der schon früher dort war. Von ihm wusste er auch, dass er hier einen sicheren Ankerplatz finden konnte. Insgesamt bot die Meeresbucht exzellente Bedingungen. Das Schiff der Neuankömmlinge war zehn Meter lang, vier Meter breit und konnte 15 Tonnen Ladung fassen. Der hohe Steven trug den Kopf eines Pferdes. Für die Langstrecke über See wurde das große quadratische Segel gehisst, die Riemen erhöhten die Manövrierfähigkeit in schwierigen Situationen und in küstennahen Gewässern. Nur noch ungefähr 50.000 Ellen (25 Kilometer) waren sie entfernt von den ‚Säulen des Herakles’, wie die Griechen die Meerenge zum offenen Ozean hin später nennen würden. Die besonders schönen Fußböden entlang der Außenwände der Gebäude waren in der Region unbekannt. Glycimeris und Akanthocardia REPORTAGE lieferten das Material dazu. Es handelt sich um Meeresmuscheln, die dicht an dicht auf Fußböden aufgebracht wurden, eine Tradition, die im Vorderen Orient schon lange bekannt war und wo dieselben Muschelarten verwendet wurden. DAI, Abteilung Madrid, Patterson Die Eisenvorkommen der Iberischen Halbinsel waren für die Phönizier ein starker Magnet. Vorkommen in der Nähe von Alcorrín. Fotos: DAI, Abteilung Madrid „97 Prozent der Keramikfunde stammen aus einheimischer Produktion“, erklärt Dirce Marzoli. „Sie ist handgemacht und besteht aus Vorrats- und Essgeschirr. Wie erkennen sie an der unregelmäßigen Färbung der Oberfläche, die bei niedrigen Brenntemperaturen entsteht.“ Der kleine Rest dessen, was die Archäologen fanden, wurde auf der schnellen Töpferscheibe hergestellt und hart gebrannt. In Fall einer Amphore konnte die archäometrische Untersuchung nachweisen, dass sie aus der ca. 90 Kilometer entfernten phönizischen Faktorei Cerro del Villar an der Bucht von Málaga stammt. Fast interessanter als die Keramik finden die Archäologen die Schlacken, die sie auf dem Gelände der Festung fanden. Es sind die Spuren der ältesten Eisenherstellung in Europa. Die Landschaft um Alcorrín war mediterraner Wald, geprägt von Korkeichen, einer der Charakterpflanzen des Mittelmeerraums. In der sanften Hügellandschaft herrschten gute Bedingungen für Ackerbau und Viehzucht, die Wälder konnten für Holzgewinnung und Jagd genutzt werden. Das Meer wie auch die nahen Bäche und Flüsse boten einen großen Fischreichtum. Im Küstenforschungsprojekt des DAI konnte 1986 die Landschaft nahe Alcorrín in Umrissen rekonstruiert werden. Sie hatte sich während des Holozäns stark verändert. Dort, wo heute Festland ist, lag um 4000 v. Chr. eine tiefe Meeresbucht, die bis Casa Montilla reichte. Sie verlandete aufgrund von Erosions- und Sedimentationsprozessen, die sich ab dem 8. Jahrhundert v. Chr. beschleunigten. „Es ist sehr gut möglich, dass der Einfluss der Phönizier, die neue Wirtschaftsformen mitbrachten, die die Siedlungstätigkeit und Landwirtschaft anspornten, bei diesen Prozessen eine entscheidende Rolle gespielt hat.“ Der Grundriss der Festung passt sich dem Gelände an, der Grundriss der Häuser würde aber rechteckig sein, wie es die Regeln der Baukunst verlangten. Der phönizische Architekt lässt sich in dem gemeinsamen Projekt zwar dazu überreden, einem trapezförmigen Eingangsbereich zuzustimmen. Aber es widerspricht seinem ästhetischen Empfinden ganz entschieden. Solche Formen sind zuhause im Osten unbekannt, aber man will ja hier zu beiderseitigem Nutzen und Frommen zusammenarbeiten. Die Herdstellen, die die Kooperationspartner im Innern der Gebäude errichten wollen, findet er eigentlich ganz praktisch, und der einheimische 16 _ ARCHÄOLOGIE WELTWEIT Der Grundriss der Häuser war rechteckig. Die Bauweise hatten die Phönizier aus ihrer orientalischen Heimat mitgebracht. Rekonstruktion Gebäude: Beiersdorf, Zeichnung: DAI, Abteilung Madrid ARCHÄOLOGIE WELTWEIT _ 17 REPORTAGE DIE FÖRDERER Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) und Agence Nationale de la Recherche (ANR): Projekt ARCHAEOSTRAITS Steinmetz ist wirklich gut. Solange sie nur mit seiner Elle messen, soll ihm alles recht sein, meint der Geometer, der die Anlage ausmessen muss. Gemeinsam errechnen sie, wieviel Material sie ungefähr benötigen werden. Der einheimische Kollege weiß, wo es Lehm für Ziegel gibt. Bevor die Bauarbeiten beginnen, soll der Militärstratege die Anlage ausrichten. Die Sichtachse ist wichtig, und natürlich spielen Sicherheitsaspekte eine große Rolle. Nun gilt es, die Arbeitskräfte zu beschaffen und die Arbeit zu verteilen. Die Festung soll nach dem Willen der Bauherren möglichst schnell fertig werden. „Welches Problem haben sie eigentlich mit ihren Nachbarn?“, fragen sich die Phönizier. KO O P E R AT I O N Centro de Estudios Fenicios y Púnicos; Consejo Superior de Investiagiones Científicas; Goethe-Universität Frankfurt; Naturwissenschaftliches Referat des DAI; Deutsches Bergbaumuseum Bochum Die äußere Befestigung von Alcorrín erstreckt sich über zwei Kilometer und umschließt eine Fläche von 11,3 Hektar. Sie folgt dem äußeren felsigen Rand des Plateaus, das im Westen und Norden steil zum Alcorríntal abfällt und im Süden durch tiefe Taleinschnitte begrenzt ist. Nur die Ostseite läuft sanft in die Landschaft aus und ist damit leichter zugänglich. Hier wurde die Befestigung mit neun Bastionen oder Türmen besonders verstärkt und gleichzeitig repräsentativ gestaltet. Auf dem steilen Hügelrücken im Nordosten der Anlage erstreckt sich eine Befestigungsmauer von 365 Metern Länge Eine besondere Kunst verlieh den Phöniziern – ähnliche Befestigungsbauten kennt man erst wieder aus spätmittelalterlicher und islamischer Zeit. – phoínikes – ihren Namen: das Färben von Insgesamt errichtete man – zu der Zeit üblich – Zweischalenmauern aus mittelgroßen Bruchsteinen Stoffen mit Substanzen der Purpurschnecke. mit einem Füllwerk aus kleineren Steinen und Lehm. Für die äußere Mauer hat man 430.000 Kubikmeter Steine bewegt. In den leicht zugänglichen Abschnitten erreichte sie eine Stärke von fünf Metern, über der steil abfallenden Nordseite begnügte man sich mit zwei Metern. Im geomagnetischen Bild erkannten die Archäologen mehrere Strukturen, die sich als große mehrräumige Häuser erwiesen. Es sind die ältesten Rechteckhäuser der Region. Ihr Maß beruht auf der punischen Elle – 50 Zentimeter. 150 Jahre hatten sie auf dem Berge ausgeharrt, und nichts Schreckliches geschah. Kein Überfall, keine Katastrophe, einfach nichts. Umso lebhafter konnte sich das zivile Leben entfalten. Die Festung wurde ein weithin bekannter Zentralort in der Region mit Verbindungen zu den nahen Hafenplätzen am Mittelmeer. Man wusste, dass hier das Eisen der Umgebung verarbeitet wurde, hier gab es Leute, die phönizisch lesen und schreiben konnten, und Alcorrín wurde ein internationaler Treffpunkt. Lange erinnerte man sich noch an die prächtigen Bankette, die hier veranstaltet wurden. Man trank sogar Wein, etwas, was es zuvor hier nicht gegeben hatte. Doch irgendwann betrachtete man es als zu aufwändig, die große Anlage zu unterhalten. „Wir werden sie aufgeben“, beschlossen die Bewohner gemeinsam. Die beweglichen Güter nahmen sie mit und räumten gründlich auf. Die Nachfahren unseres Schiffes zogen nach Málaga, wo man ihre Spuren noch heute findet. 18 _ ARCHÄOLOGIE WELTWEIT „150 Jahre geschlossener Befund sind ein Glücksfall für die Archäologie“, sagt Dirce Marzoli. „Das entschädigt ein wenig dafür, dass wir bislang so wenig gefunden haben.“ Die Bewohner hatten offenbar ordentlich ausgefegt. „Es war sicher keine Flucht“, weiß die Archäologin. Ob es womöglich ein Erdbeben gab, wird in einem neuem DFG- und ANRfinanzierten Projekt mit naturwissenschaftlichen Methoden und spezialisierter Technik untersucht. Aber offenbar hatte sich insgesamt die politische Großwetterlage verändert und mit ihr die regionale Organisation – bei Einheimischen wie bei Phöniziern –, und die Festung Alcorrín wurde nicht mehr gebraucht. Eine Frage beschäftigt die Archäologen ganz besonders. „Wir haben bis heute keine Quelle gefunden, und der Bach in der Nähe ist viel zu klein“, erzählt Dirce Marzoli. Wie also funktionierte die Wasserversorgung? ARCHÄOLOGIE WELTWEIT _ 19 CULTURAL HERITAGE Peruanische Spezialisten restaurieren die ungebrannten Lehmziegel, aus denen die Grabkammer des „Señor de Palpa“ errichtet wurden. Die spanische Bezeichnung für dieses Material ist „Adobe“. Der Fundort liegt im Tal des Rio Grande in Südperu. Hier liegt in einer ausgedehnten Ebene das Dorf Palpa am Rande der mächtigen Cordillere. EL SEÑOR DE PALPA Peruanische Grabanlagen, mit denen niemand gerechnet hatte Palpa ist eine kleine Stadt an der Südküste Perus. Seine 5 000 Einwohner leben von der Landwirtschaft in fruchtbaren Bewässerungsoasen, die von den drei Flüssen Rio Grande, Rio Palpa und Rio Viscas versorgt werden. Das Dorf liegt in einer ausgedehnten Ebene am Rande der mächtigen Cordillere, und die ruhige Geschäftigkeit des dörflichen Lebens ließ bislang auf den ersten Blick kaum etwas vermuten von der großen Vergangenheit der Region. Doch das Flusssystem der Täler, das sich scharf gegen die nördlich und südlich angrenzende Wüste abhebt, beherbergt Hunderte archäologischer Siedlungen, wo sich Menschen in den vier Hauptregionen Küste, Andenfuß, Täler und Hochgebirge im Laufe der Jahrtausende auf ganz unterschiedliche Art und mit wechselnden Wirtschaftsformen an die Umwelt angepasst haben. 20 _ ARCHÄOLOGIE WELTWEIT 1997 begannen Markus Reindel von der Kommission für Archäologie Außereuropäischer Kulturen (KAAK) des DAI und sein peruanischer Kollege Johny Isla vom Centro de Investigación para la Arqueología y el Desarrollo (ANDES) mit ihren Forschungen in der Region Palpa. Sie wollten zum ersten Mal die berühmten Geoglyphen oder „Nasca-Linien“ in ihren kulturellen Kontext stellen, um verstehen zu können, was sie – befreit von den Spekulationen über ihre angeblich außerirdische Herkunft – wirklich waren und welche Kultur die gigantischen Felsbilder geschaffen hatte. (Archäologie Weltweit 1-2013, S. 57) Im Zuge dieser Untersuchungen machten die Archäologen 1998 eine spektakuläre Entdeckung. Beim Städtchen Palpa am Fundort La Muña fanden sie eine Nekropole der Nasca-Zeit mit zwölf Gräbern, welche die größten bisher gefundenen dieser Kultur sind. In feines Tuch gehüllt und versorgt mit kostbaren Beigaben aus feinster Keramik, Gold und Edelsteinen, saßen die offenbar verehrungswürdigen Toten halb aufrecht in ihren Kammern an die Wand gelehnt. Der Reichtum der Ausstattung spricht dafür, dass hier die Elite einer Gemeinschaft beigesetzt wurde, die in der mittleren Nasca-Zeit lebte. Die Radiokarbondatierung weist auf die Zeit zwischen 250 bis 450 n. Chr. Schnell war in der Region die Rede vom „Señor de Palpa“, und auch der Platz, an dem die Nekropole angelegt war, spricht für die Bedeutung der Bestatteten: Es ist der Zusammenfluss der drei eingangs genannten Flüsse, und am rechten Ufer des Rio Grande gelegen, war La Muña zu seiner Zeit das politische Zentrum einer florierenden Region, deren Bewohner es zudem verstanden, aus einer schwierigen Geographie den größt möglichen Nutzen zu ziehen. Über eine Fläche von acht Hektar erstreckte sich die architektonisch aufwändig gearbeitete Anlage. Sechs der zwölf Gräber legten die Archäologen frei, und obwohl schon Grabräuber ihr Unwesen getrieben hatten, konnten die Wissenschaftler die Architektur dokumentieren und Stücke feinster dünnwandiger Keramik und fein ziselierte Goldobjekte bergen. Anschließend wurden die Gräber wieder verfüllt, um sie zu erhalten. S C H U T Z D E S K U LT U R G U T S Das kleine Museum in Palpa zeigt die Fundstücke der ersten Kampagne und kommt damit dem wachsenden Interesse der peruani- ARCHÄOLOGIE WELTWEIT _ 21 CULTURAL HERITAGE Rekonstruktion der Grabanlage Abb.: Tomkowitz Dr. Markus Reindel (re.), Referent für Seit Ende der 1990er-Jahre wird in Palpa gegraben. Die Freilegung der Grabkammer von La Muña (oben) Die Kammer eines der Gräber von La Muña nach der Restaurierung (unten) Lateinamerika an der KAAK, leitet die DAI-Forschungen in Südperu, Lic. Johny Isla (li.) ist Direktor des Centro de Investigación para la Arqueología y el Desarrollo (ANDES) schen Bevölkerung an der eigenen vorspanischen Geschichte entgegen. „Es gab aber immer den Wunsch, die Grabanlagen zu restaurieren, um den ganzen kulturellen Kontext zu erschließen“, sagt Markus Reindel. „Es ist wichtig zu zeigen, dass die Nasca eine weit entwickelte Sozialstruktur mit einer deutlich ausgebildeten Oberschicht hatten. Dies belegen die Fürstengräber von La Muña.“ 2009 wurde mit Geldern der UNESCO eine Initiative gestartet, das Kulturgut der Region Palpa und Nasca zu schützen, im Jahr 2011 konnte das Vorhaben, einen Teil der Grabanlagen wieder freizulegen und zu restaurieren, auf Initiative der deutschen Botschaft in Lima begonnen werden. „Zuerst müssen wir die Anlage konsolidieren“, sagt Reindel. Dann wird restauriert und konserviert und schließlich wird die Nekropole für Besucher zugänglich gemacht. Restauriert werden auch die Geoglyphen am Fundort. Sie sind stark beschädigt und kaum mehr in ihrer Gesamtheit zu erkennen. Die Zeit drängt. „Es gibt hier in der Nähe immer mehr informell angelegte Gold- und Kupferminen“, erklärt Reindel. „Falls dagegen nichts unternommen wird, sind die Geoglyphen und auch die Grabanlagen extrem gefährdet.“ LETZTE RUHE DER VEREH RUNGSWÜRDIGEN TOTEN „Die Grabanlagen hatten ein einheitliches Grundmuster: Man hat eine sechs bis sieben Meter tiefe Grube ausgehoben und darin die Grabkammer aus Lehmziegeln errichtet. Die Toten saßen halb aufrecht in der Kammer, „begleitet“ von kostbaren Beigaben – polychromen Keramikgefäßen von exzellenter Qualität, So könnte die Anlage ausgesehen haben. Rekonstruktion der Schmuckstücken aus Gold, Perlen und dekorier- Plattform und des Daches über der Grabkammer ten Spondylus-Muscheln. Bedeckt wurde die Kammer von Holzbalken, Schilfrohr und einer Lehmpackung. Anschließend hat man die Grube verfüllt. Sodann errichteten die Hinterbliebenen auf Geländeniveau eine gestufte Plattform aus Lehmziegeln, die von einem Dach aus Holzbalken und einer Abdeckung aus Schilf und Lehm geschützt wurde. Diese Plattform war von einer ADOBE Adobe ist die spanische Bezeichnung für die ungebrannten Lehmziegel, aus denen die Grabkammern errichtet wurden. Sie zu restaurieren, ist eine Kunst, die nur wenige Spezialisten beherrschen. Die peruanischen Fachleute kennen nicht nur die Herstellungstechnik und die Anteile der unterschiedlichen Materialien. Sie müssen außerdem das Klima der Zeit, in der die Ziegel hergestellt wurden, und die Qualität des Wassers kennen, das für die Restaurierung verwendet wird, damit es den alten Ziegeln keinen Schaden durch ungewollte Reaktionen zufügt. Ein Töpfer aus der Region fertigt Repliken der Keramikgefäße an, ein anderer Handwerker bildet so gut es die Fundlage erlaubt, Schmuckstücke nach. „Im größten der Gräber werden wir die Rekonstruktion einer Bestattung einrichten“, sagt Reindel, um den Besuchern zu zeigen, 22 _ ARCHÄOLOGIE WELTWEIT Schutzmauer umgeben, die einen kleinen Hof mit seitlichem Eingang bildete. Dort wurden offenbar in regelmäßigen Abständen Opfergaben niedergelegt.“ Dr. Markus Reindel Der offenbar verehrungswürdige Tote wurde in Tücher gewickelt und mit Gebrauchsgegenständen und Nahrung versorgt sitzend in seiner Grabkammer bestattet. Rekonstruktion des Innenraums. ARCHÄOLOGIE WELTWEIT _ 23 CULTURAL HERITAGE wie es gewesen sein könnte. Doch die offengelegten Gräber müssen geschützt werden, die Sonneneinstrahlung ist intensiv in der Region, und in den Wintermonaten gibt es starke Temperaturschwankungen zwischen Tag und Nacht – eine Strapaze für alles Material. Nachts steigt die Luftfeuchtigkeit erheblich an, von Westen wehen mitunter kräftige Winde. Eine Überdachung mit Windschutz bewahrt den Fundplatz vor den rauen klimatischen Einflüssen. Vor unbedachter Beschädigung der Lehmbauten durch Besucher schützt ein Wegesystem, das von einem kleinen Informationszentrum aus um die Gräber herum führt und hin zu Aussichtspunkten und Schautafeln verläuft, auf denen die Fundstücke und die archäologischen Arbeiten erklärt werden. In Peru ist seit etwa 20 Jahren das Interesse an archäologischen Themen und an den präkolumbianischen Grundlagen der eigenen Kultur massiv gestiegen, so dass zum Beispiel auch peruanische Firmen archäologische Langzeitprojekte unterstützen. Die Bewohner der Region Palpa haben außerdem kein geringes Interesse am Aufbau einer touristischen Infrastruktur zur nachhaltigen Präsentation ihrer einzigartigen kulturellen Zeugnisse. Die Panamericana ist nicht weit. Goldobjekte in Form von Orcas und Keramikgefäße der Nasca-Kultur In Peru ist seit etwa 20 Jahren das Interesse an archäologischen Themen und an den präkolumbianischen Grundlagen der eigenen Kultur stark angestiegen. Zur Erschließung des Fundplatzes für eine touristische Nutzung gehört auch die Einrichtung eines Museums. Die Lage des Untersuchungsgebiets an der peruanischen Südküste. 24 _ ARCHÄOLOGIE WELTWEIT Fotos und Abb.: DAI, KAAK, Reindel, Centro de Investigación para la Arqueología y el Desarrollo (ANDES), Isla ARCHÄOLOGIE WELTWEIT _ 25 STANDPUNKT „Wir wohnen nur in einem kleinen Teil der Erde … rings um das Meer, so wie Ameisen oder Frösche um einen Tümpel herum“, ließ der griechische Philosoph Plato einen der Protagonisten seiner Dialoge bemerken. Eine solche kleine Teichwelt scheint Lichtjahre von unserer globalisierten und vernetzten Welterfahrung entfernt zu sein; einer Welt die uns immer mehr als ein komplexes System begegnet, in dem die einzelnen Regionen nicht mehr separat existieren und agieren. Die Nutzung von Ressourcen und der Raubbau in der einen Ecke der Welt beeinflussen das Klima in der anderen. Das Internet verbindet und erlaubt den Zugriff auf Informationen weltweit und dies in vielfältige Richtungen. Vermag der Blick in die Antike also nur das Bedürfnis nach der „guten alten Zeit“ zu befriedigen, die weniger komplex und dafür überschaubarer war? Die zentralen Bausteine griechischer Gesellschaft waren in der Antike das Haus, der oikos, und die Stadt mit ihrem Umland, die Polis. Und diese Module wurden exportiert und in Form von Siedlungsgründungen im Mittelmeer und Schwarzen Meer an die Küsten verpflanzt. Und tatsächlich lagen diese Kolonien um das Mittelmeer herum wie im Bild des platonischen Dialogs beschrieben. Sie waren damit aber auch über das Mittelmeer miteinander verbunden. Es waren jedoch nicht allein die Griechen, die dort saßen, sondern auch die Phönizier. Ausgehend von den Stadt- staaten der Levante besiedelten sie die Küsten Nordafrikas und Spaniens. Vom 8. Jahrhundert v. Chr. an reihten sich die griechischen und phönizischen Siedlungen wie Perlen an der Küstenlinie, und zwischen ihnen spannte sich ein komplexes Netzwerk von Handel und Austausch aus. Das Mittelmeer, das in einer langen historischen Perspektive trennend und verbindend sein konnte, war damals also anders als heute durch eine Vielzahl an Kontakten vernetzt. Kein Abkommen von Schengen kanalisierte und beschränkte die Kommunikation durch eine quer durch das Mittelmeer verlaufende „Grenze“. Es wäre jedoch zu kurz gedacht, wenn man die griechischen und phönizischen Kontakte allein als mittelmeerisches Binnennetzwerk verstehen würde. Über die Flussläufe und Handelswege bestand ein intensiver Kontakt mit anderen Kulturen und der kulturelle Austausch reichte zum Beispiel bis in keltisches Gebiet und dortige Grabhügel, in denen griechische Importe gefunden wurden. Spätestens mit den Römern kommt es zu einem Paradigmenwechsel des Umgangs mit dem Mittelmeerraum. Das Entstehen territorialer Reiche besonders seit den Feldzügen Alexanders des Großen wurde von den Römern in ein das gesamte Mittelmeer umschließendes Territorialreich überführt. Man vernetzte das Imperium nicht nur über das Meer, sondern auch über ein Straßennetz. Und über sehr flexible Grenzsysteme kontrollierte man die Kontakte auch nach Afrika hinein. Levante Byblos Sidon Tyros Titelthema „Vernetzte Welten“, ab S. 36 26 _ ARCHÄOLOGIE WELTWEIT Vernetzte Welten Und gerade auf diesem Kontinent überlagerten sich die antiken Mittelmeerkulturen mit anderen Kulturkreisen, etwa mit demjenigen, der sich um die Sahara herum gruppiert. Dieser überschneidet sich in Äthiopien mit der Kultur im Jemen und darüber mit den Kulturen des Alten Vorderen Orients. Die Arabische Halbinsel war wiederum über den pazifischen Ozean mit den Kulturen Indiens fast wie um ein Binnenmeer gruppiert. Und diese Region wiederum führt zu den Vernetzungen des Zentral- und Mittelasiatischen Raumes, des Raumes, der aus der Perspektive des antiken Griechenland durch die Feldzüge Alexanders des Großen näherrückte. Diese sich überlagernden Räume konnten durch Fernhandel auf dem See- und Landweg große Kulturräume vernetzen. Nicht zuletzt ist die Seidenstraße hier ein eindrücklicher Beleg. Alle diese komplexen und vernetzten Räume mit ihren Wegen und Durchgangszonen, deren Strukturen sich manchmal bis hin zu den Flüchtlingsströmen weltweit zu wiederholen scheinen, sich manchmal aber auch grundsätzlich neu zu justieren scheinen, kann man nur in einem globalen wissenschaftlichen Blick verstehen. Dafür bedarf es einer Archäologie mit weltweitem Blick. Die Erforschung der frühen Kulturen der Menschheitsgeschichte gleicht in den Fragestellungen dabei nicht nur den modernen Area Studies, sondern kann wesentlich zu ihnen beitragen. Schließlich sind die antiken Kulturen die Grundlagen unserer heutigen Zivilisationen – nicht nur in einzelnen Merkmalen, sondern auch mit ihren Verbindungen untereinander. Dabei überschreiten nicht selten die Räume der antiken Kulturen moderne nationalstaatliche Grenzen und stellen diese in Frage. Sie können aber auch wie die Ausbreitung der bronzezeitlichen Kultur des europäischen Raumes im 2. Jahrtausend eine scheinbare Begründungen des modernen politischen Raumes der europäischen Union liefern. Der Blick in die Antike kann vor allem diese sich ändernden Räume und Vernetzungen hervortreten lassen und hilft unsere heutigen Konstruktionen und Verlagerungen zu neuen Kernregionen und -zentren der Globalisierung aus anderen Perspektiven zu betrachten, und er kann die Frage be- STANDPUNKT Vernetzte Forschung Wie Frösche um den Teich saßen die Griechen an den Küsten „rings um das Meer“. So beschrieb Platon das Ergebnis einer Kolonisation. antworten, ob kulturelle Räume, Handelswege, Austausch und Vernetzungen gleichbleibend durch die Geographie vorgegeben sind oder sich nicht doch auch immer wieder unabhängig davon neu ausrichten. Weltweit Archäologie zu betreiben, bedeutet also immer neue Perspektivenwechsel, und weltweit zu forschen, bedeutet nicht nur eine Zusammenarbeit in einer Vielzahl von Disziplinen, sondern mehr noch in einer Vielzahl von Kooperationen in den Gastländern unserer Forschung. Friederike Fless Die Autorin, Prof. Dr. Friederike Fless, ist Präsidentin des Deutschen Archäologischen Instituts ARCHÄOLOGIE WELTWEIT _ 27 LANDSCHAFT Die Fahrtzeit zwischen zwei Kontinenten beträgt vier Minuten, 75.000 Menschen pro Stunde werden durch den Tunnel in 56 Meter Tiefe unter dem Meeresgrund transportiert. Sie durchfahren den ersten Transkontinentaltunnel der Welt, der Europa mit Asien verbindet und einmal als Teil einer „eisernen Seidenstraße“ dem Güterverkehr bis nach China dienen soll. Zunächst aber soll der Marmaray-Tunnel durch den Bosporus dazu beitragen, die Verkehrsprobleme der türkischen Metropole Istanbul zu lösen. Ende Oktober 2013 wurde die Bahnverbindung eröffnet. PASSAGEN Die Meerenge zwischen Europa und Kleinasien, die das Schwarze Meer mit dem Marmarameer verbindet, ist eine gefährliche Passage, etwa 30 Von Bosporus zu Bosporus Kilometer lang und 700 bis 2500 Meter breit. Ein kräftiger Oberstrom aus dem Schwarzen Meer, das seinen Wasserüberfluss in das „aride“ Mittelmeer ergießt, das mehr Wasser verdunstet als ihm zufließt, macht besonders die Fahrt nach Osten zu einem schwierigen Unterfangen. Jason, der Anführer der Argonauten, musste auf seiner Fahrt nach Kolchis zwei heimtückische Felsen, die Symplegaden, passieren, die an der Einmündung des Bosporus in das Schwarze Meer lagen und schaffte es nur mit göttlicher Hilfe. Die Versuche der Griechen, auf der Suche nach Wikimedia.Commons Land und Gütern den Bosporus zu durchschif- 28 _ ARCHÄOLOGIE WELTWEIT fen, waren zunächst auf wenige Monate im Jahr beschränkt, bis um 700 v. Chr. ein kundiger Schiffbauer stärkere Ruderboote entwickelte, die es auch ohne göttliche Hilfe schafften, die gefährliche Wasserstraße zu passieren – bis zum nächsten Bosporus. ARCHÄOLOGIE WELTWEIT _ 29 LANDSCHAFT Asowsches Meer Mündungsdelta Kimmerischer Bosporus des Kuban Straße von Kertsch Schwarzes Meer Thrakischer Bosporus Blick vom asiatischen Teil des Bosporus auf den nördlichen Bereich der Straße von Kertsch, den antiken Kimmerischen Bosporus. Der Blick fällt auf die Gegend des antiken Porthmion. Foto: Schlotzhauer Rekonstruktionsversuch des antiken „Kuban“Bosporus: oben die heutige Situation – unten die hypothetische Rekonstruktion. Betrachtung von der antiken Siedlung Strelka 2 am Westufer des „Kuban“-Bosporus nach Osten in das heutige Kubantal, im Norden die Küste der ehemaligen Temrijuk(Halb)insel gegenüber und südlich die Küsten der Sindike. Foto und Rekonstruktion: Kai-Browne „Der“ Bosporus ist im allgemeinen Sprachgebrauch stets die Meerenge, die der modernen Großstadt Istanbul ihr Gesicht gibt, die zuvor die Metropole Konstantinopel prägte und an der die griechische Stadt Byzantion im 7. Jahrhundert v. Chr. zur Sicherung der wichtigen Wasserstraße gegründet worden war. Sprechen Archäologen aber vom ‚Bosporanischen Reich’, meinen sie die Region an einer anderen Wasserstraße, dem ‚Kimmerischen Bosporus’, Meerenge zwischen Schwarzem und Asowschem Meer, im Unterschied zum ‚Thrakischen Bosporus’. Auch der Kimmerische Bosporus war in der Antike und ist – als Straße von Kertsch – auch in modernen Zeiten stets begehrt und oft umkämpft. Er trennt die Halbinsel Krim im Westen von der Taman-Halbinsel im Osten, ist rund 40 Kilometer lang und an ihrer schmalsten Stelle vier Kilometer breit. Wie die meisten Meerengen ist er sowohl Sperrriegel wie Transitweg zwischen den Kontinenten und ermöglichte den Griechen, die Land suchten und Handel treiben wollten, die Passage zur fischreichen und fruchtbaren Donmündung. Udo Schlotzhauer von der Eurasien-Abteilung des Deutschen Archäologischen Instituts erforscht in enger Zusammenarbeit mit Denis Žuravlev vom Staatlichen Historischen Museum in Moskau in einer interdisziplinären landschafts- und siedlungsarchäologischen Regionalstudie die griechische Kolonisation auf der TamanHalbinsel. Im frühen 6. Jahrhundert v. Chr. gründeten Griechen aus Kleinasien die ersten Siedlungen in der Region. Im buchtenreichen Mündungsdelta des Kuban fanden sie eine strategisch güns- tige Situation, und bald schon kontrollierten zahlreiche befestigte Siedlungen beiderseits des Kimmerischen Bosporus die für den Getreide-, Wein- und Fischhandel wichtige Durchfahrt zwischen Schwarzem und Asowschem Meer. „Wir wollen die hier noch wenig erforschten Aspekte griechischer Kolonisation untersuchen“, sagt Udo Schlotzhauer. „Wie gestaltete sich der Ablauf der Landnahme? Wie verliefen die Kontakte zur ansässigen Bevölkerung, wie die Kontakte der Kolonien untereinander? Wie haben wir uns die klimatische Situation, die Bodenverhältnisse und die Vegetation, also alles in allem auch das Verhältnis der Menschen zu ihrer Umwelt vorzustellen?“ Besonders interessant ist für die Archäologen die geomorphologische Situation der Region, denn alte Quellen berichten, dass ein Teil der heutigen Taman-Halbinsel zur Zeit der ersten griechischen Besiedlung aus einzelnen Inseln bestand. Anzahl und Größe der Inseln sind unbekannt, auch Namen kennt man keine. „In der Wissenschaft war die Formation lange falsch dargestellt“, erklärt Schlotzhauer. „Aber heute wissen wir, dass der asiatische Teil des Kimmerischen Bosporus zur fraglichen Zeit tatsächlich noch aus einzelnen Inseln bestand.“ Anschwemmungen des Kuban haben den einstigen Archipel in den vergangenen zweieinhalbtausend Jahren in eine Halbinsel transformiert. Blick auf die heutige Situation des ehemaligen »Kuban«-Bosporus und die gegenüberliegende Küste der Sindike. Der Seefahrtsweg ist an dieser Stelle vollständig durch die Sedimentation des Flusses Kuban verlandet. Die steilen Kliffs zeugen aber noch von der früheren Küstensituation. Foto: Kai-Browne 30 _ ARCHÄOLOGIE WELTWEIT ARCHÄOLOGIE WELTWEIT _ 31 LANDSCHAFT 1 2 3 1 Ein Reibstein zum Mahlen des Getreides aus Fundkontexten des 6.–5. Jahrhunderts v. Chr. aus der Siedlung Golubickaja 2. Vielleicht ist er ein Zeichen dafür, dass die Griechen schon Zugriff auf die Ressourcen der weit entfernten Vulkangebiete des zentralen Kaukasus hatten, vielleicht brachten sie die Steine mit den besonderen Materialeigenschaften aber auch aus ihren Heimatgebieten in Kleinasien mit. Naturwissenschaftliche Untersuchungen in Kooperation mit der Universität Mainz sollen dies klären. 2 Randfragment einer attischen Kleinmeisterschale mit der Darstellung einer Amazone oder der Athena aus der Siedlung Golubickaja 2; 540–520 v. Chr. 4 3 Bodenfragment einer dunkelgrundigen Kotyle (Black Kotyle) mit Strahlenkranz aus der Siedlung Golubickaja 2; 570–550 oder kurz nach 550 v. Chr. 4 Gefäßfragment einer nordionischen Amphora mit einem Steinbock im Schulterbildfeld aus der Siedlung Golubickaja 2; nordionisch 590–570 v. Chr. Fotos: I. Seden’kov DAS BOSPORANISCHE REICH Etwa hundert Jahre nach Beginn der griechischen Kolonisation löste der missglückte Feldzug des Perserkönigs Dareios I. im späten 6. Jahrhundert v. Chr. Bewegungen unter den Völkern am Kaukasus und in der Steppe aus. Wohl als Reaktion auf diese Bedrohung formierten sich im Verlauf des 5. Jahrhunderts v. Chr. die freien griechischen Gemeinden am Kimmerischen Bosporus zu einem für die griechische Welt damals noch ungewöhnlichen Staatsgebilde, dem ‚Bosporanischen Reich’. Dieser erfolgreiche Zusammenschluss freier griechischer Poleis hatte sein politisches Zentrum in Pantikapaion auf der Krim, mit Phanagoreia gab es eine zweite führende Stadt auf den Inseln. Mit der Zeit dehnte sich das Bosporanische Reich rund um das Asowsche Meer aus und blieb bis weit in die Spätantike hinein bestehen. Im 4. und 3. Jahrhundert v. Chr. galt es als einer der wichtigsten Getreideexporteure der antiken Welt. Aber seit wann genau lässt sich dies nachweisen? Archäobotanische Untersuchungen sollen hier Klarheit schaffen. Getreidereste, Reibsteine und Keramik sind die Grundlage für Forschungen zur Wirtschaftsweise und zu möglichen wirtschaftlichen Kontakten. Neben den klassischen archäologischen Methoden kommen naturwissenschaftliche Untersuchungen zum Tragen. „Wir arbeiten in der Archäologie heute mit verschiedenen Disziplinen der Naturwissenschaften zusammen“, erklärt Schlotzhauer. Untersuchungen zum Klima, zur Vegetation, zu den Bodenverhältnissen und zum menschlichen Einfluss auf die Unwelt sind unverzichtbar. Eine belastbare Rekonstruktion von Landschaft und gebauter Umwelt kann die Gründe für die Ortswahl wie auch für spätere Veränderungen in der Siedlungskonzeption und letztlich den Ablauf der Kolonisation selbst klären. „Aber zur Erforschung der natürlichen Umwelt gehört natürlich auch die Erfas- 32 _ ARCHÄOLOGIE WELTWEIT sung des politischen und kulturellen Raumes“, beschreibt der Archäologe den ganzen Umfang der Forschung. „Wir untersuchen Markierungen, Strukturen und die Organisation von Räumen und darüber hinaus Strategien der Nutzung von Bauwerken – seien es Heiligtümer, Verteidigungsanlagen, Siedlungen oder die großen Grabhügel, die man Kurgane nennt.“ Religiöse, kulturelle und machtpolitische Sphären lassen sich so ausmachen, eingebettet in die natürliche Region, in die die Kolonisten einst zogen. „Nur wenn wir alle Befunde in einer Zusammenschau analysieren, können wir zu einem umfassenden Bild der Lebensverhältnisse antiker Kulturen gelangen“, sagt Udo Schlotzhauer. Die Griechen drangen im Zuge der „Großen Kolonisation“ weit nach Osten vor, überwanden dabei zwei Bosporoi und machten sich die strategischen Vorteile der Passagen und ihrer Landschaften zunutze. Sie erweiterten ihr Territorium und ihr Handelsnetz und das Einflussgebiet griechischer Kultur und Sprache. Im Westen drangen sie bis ins heutige Frankreich und Spanien vor und gründeten die Städte, die mit modernen Namen Nizza und Marseille heißen. Für den griechischen Historiker und Ethnographen Herodot war dieser westliche „Bosporus“, die Straße von Gibraltar mit den Säulen des Herakles, das Ende der Welt. (siehe auch „Vernetzte Welten“, ab S. 36 und vgl. „Phönizisch-Iberisches Joint Venture“, S. 12) K O O P E R AT I O N Dr. Denis Zhuravlev (Staatliches Historisches Museum Moskau) Prof. Dr. Helmut Brückner, Dr. Daniel Kelterbaum, Geographisches Institut, Universität zu Köln (Geoarchäologie, Küstenmorphologie und Geochronologie) Prof. Dr. Hans-Joachim Gehrke, Präs. i.R. des Deutschen Archäologischen Instituts Dr. Anca Dan, CNRS Paris, in AOROC - Ecole Normale Superieure (Historische Geographie) Georgii A. Lomtadze, Staatliches Historisches Museum, Moskau (Fundplatz Achtanizovskaja 4) Prof. Dr. Kay Kohlmeyer, Ulrike Thüring, Christina Becker, Arie KaiBrowne M.A., Studiengang Konservierung und Restaurierung/ Grabungstechnik, Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin (Geodäsie) Drs. Reinder Neef, Naturwissenschaftliches Referat an der Zentrale des DAI, Berlin (Paläobotanik) Dr. Mischa Sablin, Zoologisches Institut, Akademie der Wissenschaften, St. Petersburg (Paläozoologie) Dr. Harald Stümpel, Dipl. Geophysikerin Christina Klein, Institut für Geowissenschaften, Angewandte Geophysik, Christian Albrechts Universität Kiel (Geophysik) Dr. Nikolai Sudarev, Archäologisches Institut, Russische Akademie der Wissenschaften, Moskau (östliche Taman-Halbinsel) und SüdRussisches Zentrum für Archäologische Forschung (Krasnodar) Der Archäologe Dr. Udo Schlotzhauer ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Eurasien-Abteilung des DAI FÖRDERUNG Bundesministerium für Bildung NASA und Forschung (BMBF) Gerda-Henkel-Stiftung ARCHÄOLOGIE WELTWEIT _ 33 FRÜHHELLENISTISCHE KUNST Es war eine Schwertscheide aus Elfenbein, deren geschnitztes Relief eine bewegte Kampfszene zeigt. Im Zuge eines Forschungsprojekts der Eurasien-Abteilung des Deutschen Archäologischen Instituts wurden sämtliche Altfunde aus dem Oxos-Tempel katalogisiert, um darauf basierend die Votivpraxis in verschiedenen baktrischen Heiligtümern vergleichend zu untersuchen. Bei der systematischen Sichtung der Lagerräume der Akademie tauchte 2007 das verloren geglaubte Objekt wieder auf. Seitdem wird die Schwertscheide in einer Einzelvitrine des Museums präsentiert. Die Form des ehemals über 20 cm langen Beschlags lässt noch seine Fertigung aus einem Elefantenzahn erkennen. Während das zur Scheidenspitze gerichtete Bildfeld mit filigranen Ranken verziert ist, zeigt das obere Bildfeld den Kampf zwischen Reitern und Fußsoldaten. Die Szene am rechten Bildrand ist am deutlichsten zu erkennen: Auf einem kräftigen Schlachtross prescht ein Reiter auf einen Fußsoldaten zu, der sich dem Angreifer mutig entgegenstellt. Den Stoß der Lanze, die in der Rechten des Reiters zu ergänzen ist, versucht der Infanterist mit einem Schild abzuwehren, während er gleichzeitig mit einem Schwert zum Gegenschlag ausholt. Die Darstellungsweise des Kampfes entspricht einem geläufigen Schema der frühhellenistischen Kunst, wie es beispielsweise von den Reliefs des sogenannten Alexandersarkophages aus Sidon (Libanon) und von Grabmalereien in Makedonien bekannt ist. Die Schwertscheide wurde also entweder aus dem Westen importiert, oder – was wahrscheinlicher ist – in Baktrien von einem Handwerker gefertigt, der mit griechischen Vorlagen vertraut war. Ob sie von einem griechischen Migranten in das Heiligtum geweiht wurde oder von einem Baktrer, lässt sich nicht erschließen. Doch belegt ihre Auffindung im „fernen“ Osten die weiträumige Verbreitung griechischer Kunsttraditionen in hellenistischer Zeit. Gunvor Lindström DAS OBJEKT Der Name der Region ist heute nicht unmittelbar geläufig, doch in einer anderen Zeit war sie keineswegs eine Unbekannte. Baktrien war ein antikes Land in Mittelasien, im Süden des heutigen Usbekistan und Tadschikistan sowie im nördlichen Afghanistan. Alexander der Große benötigte drei Jahre (329–327 v. Chr.), um die reiche und widerständige Region zu erobern, die in den folgenden Jahrhunderten zur hellenistischen Welt gehörte. Durch die Ansiedlung zahlreicher aus dem Westen stammender Siedler entwickelte sich mit der Zeit eine Mischkultur, die griechische und einheimische Elemente verband. Zu den bedeutendsten Fundorten der Region gehört der Oxos-Tempel im heutigen Tadschikistan, der trotz seiner Errichtung in hellenistischer Zeit kein griechischer Säulentempel war, sondern ein aus ungebrannten Lehmziegeln errichteter Monumentalbau mit einer an einheimische Bautraditionen anknüpfenden Architektur. Der Tempel war dem lokalen Flussgott Oxos gewidmet und wurde zwischen 1976 und 1991 von einer sowjetischen Expedition ausgegraben, wobei viele kunstvolle Objekte aus Gold, Silber, Elfenbein, Edelsteinen und anderen Materialien zu Tage kamen. Sie führten für lange Zeit ein Schattendasein, denn sie lagerten in einem Kellerraum der Akademie der Wissenschaften in Duschanbe und waren während des Bürgerkriegs in Tadschikistan, der nach dem Ende der Sowjetunion herrschte und bis 1997 andauerte, selbst für ihre Ausgräber nicht zugänglich. Erst als 2001 das „Nationalmuseum der Antike“ eingerichtet wurde, holte man zahlreiche Funde aus den Magazinräumen und präsentierte sie im Hauptsaal des Museums. Dabei blieb ein besonderes Fundstück zunächst verschollen. BEWEGTER K AMPF Eine Schwertscheide aus dem Oxos-Tempel in Baktrien Dr. Gunvor Lindström von der EurasienAbteilung des DAI hat sich als Klassische Archäologin auf die Kulturen des hellenistischen Orients spezialisiert und ist seit 2003 in Mittelasien tätig. Nach Abschluss eines von der Deutschen Forschungsgemeinschaft Schwertscheide aus Elfenbein, deren (DFG) geförderten Projektes zur „Votivpraxis geschnitztes Relief eine bewegte im hellenistischen und kuschanzeitlichen Kampfszene zeigt. Baktrien“ leitet sie seit 2013 die Erforschung Foto: DAI Eurasien-Abteilung eines neu entdeckten Heiligtums in Torbulok/Xušdilon im Südwesten Tadschikistans. 34 _ ARCHÄOLOGIE WELTWEIT ARCHÄOLOGIE WELTWEIT _ 35 TITELTHEMA Waldgirmes Taganrog Nizza Rom Metapont Alcorrín Euböa ante Lev Berytos Byblos Sidon Tyros Mogador Weihrauchstraße Phönizier Griechen Römer Bei den „Säulen des Herakles“ liege die westliche Grenze der Oikumene, der bekannten Welt, berichtet Herodot, Reisender, Geschichtsschreiber und Ethnograph, seinen Zeitgenossen im 5. Jahrhundert v. Chr. Er kannte das Schwarze und das Kaspische Meer im Osten, „Libyen“ im Süden, eher rätselhaft war ihm der Norden. Gut 500 Jahre später erklärt Ptolemaios in seiner VERNETZTE WELTEN Mobilität, Migration und Handel in der Antike 36 _ ARCHÄOLOGIE WELTWEIT „Geographie“, ein und derselbe Mensch könne die „wirkliche Erde, riesig groß“ niemals als Ganzes bereisen. Für 8.000 Orte hatte er Koordinaten gesammelt, die aus Reiseberichten, Wegweisern von Handelsreisenden und aus den Periploi der Schiffskapitäne stammten. Wie bei Herodot geht es bei Ptolemaios ums Reisen, um die Erfassung von Räumen, die Verbindung zwischen Punkten, die Beschreibung von Wegen und Ländern samt ihren mitunter fantastischen Bewohnern, die Vernetzung zwischen Kulturen – Transfer, Transport, Transformation. Mit einem Wort: Mobilität. Das Zentrum ihrer beider Welt war das Mittelmeer. ARCHÄOLOGIE WELTWEIT _ 37 1 Das wüstenresistente Dromedar war das 1 Das Heiligtum von Delphi war Hauptinfor- Hauptverkehrsmittel auf der Weihrauch- mationsbörse während der Großen Griechi- straße. schen Kolonisation. TITELTHEMA Wikimedia.Commons 2 Das Harz des Baumes Boswellia sacra war eines der teuersten Luxusgüter der Antike. 2 Blick auf die westliche Mole des Hafens von Pergamon. DAI, Abteilung Istanbul 1 Mobilität und Vernetzung sind bestimmende Elemente modernen Lebens. Reales Geld und virtuelles Geld in ständigem Fluss, Handelsvolumnia, die niemand mehr übersieht, Vernetzungen und Kulturaustausch, Preisexplosionen und Expansionsstrategien, Schutz- und Wegezoll in exorbitanter Höhe, politische Auseinandersetzungen, ungeahnte Möglichkeiten und nie gekannte Freiheitsgrade, Wettbewerb – und immer wieder Wettbewerb sind Komponenten und Szenarien eines Weltzustandes, den man Globalisierung nennt und ganz zu Unrecht für etwas eher Neuartiges hält. Aber Mobilität, Handel und Vernetzung bestimmten das Leben viel mehr, als wir uns heute in der Regel vorzustellen vermögen, schon in der Antike, wenn auch die Formen und die Geschwindigkeiten andere waren als heute, und andere waren auch die realen und gedachten Territorien und Grenzverläufe. Am Ende des 2. Jahrtausends v. Chr. wurde das Dromedar, ein ungemein wüstentaug- 2 liches Reit- und Lasttier, domestiziert. Dies war die Voraussetzung für die Entstehung eines blühenden Handels auf der Arabischen Halbinsel, und im 10. Jahrhundert v. Chr. entstand ein Handelsweg, der nach einem der verhandelten Luxusgüter bis heute „Weihrauchstraße“ heißt. Sie verband die Arabische Halbinsel, die Levante, Ägypten, das Mittelmeer, Ostafrika und Indien miteinander. Entlang ihres Verlaufs entstanden mächtige und sehr reiche Oasenkulturen mit großen urbanen Zentren, die der Wüste mit kluger Ingenieurskunst große Lebensräume abtrotzten. Sie waren durch ein dichtes Netzwerk miteinander verbunden, Relaisstationen für Handel, Kulturkontakt und Kommunikation. Die Straße endete an der ägyptischen und levantinischen Mittelmeerküste, nicht aber das Geschäft mit dem kostbaren Harz. Verhandelt wurde es sogar bis ans Ende derjenigen Welt, die Herodot im 5. Jahrhundert v. Chr. beschrieb, und eine der Routen, auf der das geschah, ist heute in Google Maps nicht zu finden. Sie führt „quer“ durchs Mit- 1 telmeer und verbindet so den Orient mit dem Okzident. Vor nicht ganz 3000 Jahren beherrschten die Phönizier den Handel im Mittelmeer und darüber hinaus. Als Herodot seine Welt mit den „Säulen des Herakles“ begrenzte, waren sie längst darüber hinaus in den Atlantik gesegelt. Auf ihren Reisen landeten sie an den südlichen Küsten ebenso wie an den nördlichen oder auf einigen der zahllosen Inseln. Ihr Ruf als Seefahrer war ebenso exzellent wie der als Handwerker und Künstler, Konkurrenz war nicht in Sicht. Sie gründeten Städte, ohne Territorien zu besetzen und sie legten sich mit niemandem an, solange niemand ihnen ihre Domäne streitig machte. Vom 8. bis zum 6. Jahrhundert v. Chr. ereignete sich im Mittelmeeraum etwas, was man später die „Große Griechische Kolonisation“ nannte. Einzelne Gruppen zumeist waffenfähiger Männer machten sich auf, das Meer zu dem ihren zu machen – zu- mindest an seinem nördlichen Ufer. Einige wollten Handel treiben, manche wollten aber auch Land gewinnen, Städte gründen und von vorn anfangen. Fast alle gingen zuvor nach Delphi, um im Heiligtum des Apollon das Orakel zu befragen. So wird der Tempel nicht nur ein heiliger Ort, sondern auch ein Umschlagplatz für Informationen geographischer, nautischer und ethnologischer Art, die häufig von den Phöniziern stammten, die sich hier und da unter Einheimischen angesiedelt hatten. In der Folge siedeln die Griechen nicht nur an den Küsten des Mittelmeers, gründen Städte wie Nizza und Marseille im Westen und versuchen, den Phöniziern Konkurrenz zu machen. „Wie Frösche um den Teich“ sitzen sie auch an den Küsten des Schwarzen Meeres und dringen bis an den Fuß des Kaukasus vor. ändert. Die Römer lösten sich wie zuvor Alexander der Große vom mediterranen Netzwerk und erschlossen große Territorien. Daher waren sie anders als vorher die Phönizier oder „Punier“ und zum Teil die Griechen nicht allein auf das Meer fixiert. Ihr Weg ist die Straße. 80.000 Kilometer befestigte „viae“ ziehen sich durch die halbe damalige Welt, in Kleinasien, Griechenland, Germanien, Gallien, Britannien. Es ist die Zeit, als Augustus der erste Kaiser eines unbesiegbar scheinenden Imperiums ist. Am Ende hat keine andere Vernetzungsstrategie der Antike so viele materialle Folgen hinterlassen wie das römische Straßennetz, seine Meilensteine, ein Mammutbauwerk namens „Limes“ – in seiner ursprünglichen Bedeutung „Weg“ und nicht „Grenze“ – sowie zahllose Städte und Siedlungen. „Mare Nostrum“ heißt schließlich die römische Version des Mittelmeers. Die antike Welt war durch die Expansion des Imperium Romanum in ihren Grundfesten ver- Antike Kulturen zu erforschen und plausibel rekonstruieren zu können, ist eine Herausforderung, die immer nur in einer fächerübergreifenden Perspektive geleis- 2 tet werden kann. Archäologie und Altertumswissenschaften müssen mit Naturwissenschaften zusammenarbeiten, um die komplexen Bezüge zwischen der Menschenwelt, ihrer natürlichen Umwelt und ihrer materiellen Umgebung auszuleuchten. Weit komplexer noch sind die zahlreichen Überschneidungen, Vernetzungen, Verlagerungen und Austauschprozesse, die antike Gesellschaften kulturell, politisch, ökonomisch miteinander verknüpften – sei es in friedlichen Aushandlungsprozessen, sei es in militärischen Auseinandersetzungen oder wie so oft in Kombinationen aus beidem. Außer der interdisziplinären Perspektive ist es daher ein grundlegendes Charakteristikum der Vorhaben des Deutschen Archäologischen Instituts (DAI), in Kooperation mit Wissenschaftlern und Institutionen der Gastländer des Instituts zu arbeiten, da sich nur im gemeinsamen Blick aus unterschiedlicher Perspektive ein einigermaßen erkennbares Bild der sehr bewegten Antike zeichnen lässt. 1Auf ihren Reisen verhandelten die Phönizier Handwerkskunst, Schmuck, Purpur und Spezereien. 1 Keine Karte, sondern das DAI, Abteilung Madrid Straßennetz des Imperium Romanum: die Tabula Peutingeriana. 1 38 _ ARCHÄOLOGIE WELTWEIT 2 2 Ihre Schiffe trugen auf dem Steven zumeist einen Pferdekopf. 2 Römische Straßenbauinschrift in Albanien. 1 2 ARCHÄOLOGIE WELTWEIT _ 39 TITELTHEMA Wohlgeruch des Orients, heiliger Mittler zwischen den Welten und Quelle märchenhaften Reichtums – eines der begehrtesten Handelsgüter der Antike war das aromatische Harz des Baumes Boswellia sacra. Es wurde in Gold aufgewogen und über Tausende Kilometer verhandelt. Es konnte Kranke heilen und das Wohlwollen höherer Wesen in den Tempeln vieler Regionen und Religionen erwirken. Um es zu gewinnen, wurden die Bäume eingeritzt – bis heute hat sich das Verfahren nicht geändert. Beim Verglühen entwickelt das getrocknete Harz aromatisch duftenden Rauch, dessen wohltuende Wirkung seit jeher bekannt und geschätzt ist: Weihrauch. WOHLTUENDER REICHTUM Vor rund 3000 Jahren nahm der internationale Handel mit Weihrauch seinen Anfang. In Dhofar, im heutigen Oman, wurde das begehrte Harz gewonnen und bis an die Küste des Mittelmeers transportiert. Für Herodot war das Land, aus dem der Weihrauch stammt, ein mythisches Land, bewohnt von Fabelwesen und Drachen. Tatsächlich war dieses Land der Anfangspunkt einer der ältesten Handelsrouten der Welt. Die Weihrauchstraße führte durch den Jemen über die Arabische Halbinsel über eine Strecke von über 3000 Kilometern bis nach Gaza und im Osten bis Damaskus. Wichtige Handelsstationen an der Straße oder in ihrer Nähe waren Sana’a, Medina, Tayma und Petra. 40 _ ARCHÄOLOGIE WELTWEIT Wikinger-Blog Die Weihrauchstraße ist eine der ältesten Handelsrouten der Welt ARCHÄOLOGIE WELTWEIT _ 41 Der große Tempel von Yeha in Äthiopien weist deutliche Merkmale sabäischer Architektur auf. Möglicherweise wollten Sabäer den Weihrauchhandel über die Arabische Halbinsel hinaus auf den afrikanischen Kontinent ausdehnen. DAI, Orient-Abteilung Es war womöglich das einträgliche Geschäft mit Weihrauch und Myrrhe, das Bewegung in die sabäische Bevölkerung brachte. Iris Gerlach erforscht die signifikanten Übereinstimmungen zwischen der sabäischen Kultur auf der südlichen Arabischen Halbinsel und im nördlichen Äthiopien sowie südöstlichen Eritrea. Der große Tempel von Yeha in Äthiopien weist deutliche Merkmale sabäischer Architektur auf. „Ein Grund für die beginnende Migration sabäischer Bevölkerungsgruppen in dieses Gebiet mag darin liegen, den Weihrauchhandel über die Arabische Halbinsel hinaus auf den afrikanischen Kontinent auszudehnen und die dort befindlichen Anbaugebiete des Weihrauchbaums unter Kontrolle zu bringen“, erklärt Gerlach. Die Vernetzung des Handels- und Verkehrszentrums Marib reichte weit in überregionale Wirtschaftsräume. Ebenfalls eingebunden in die weiträumigen Handelsnetze, wo sich alte Handelswege kreuzen, ist eine andere berühmte Station an der Weihrauchstraße. Wie Marib ist die Oase Tayma eine bedeu- tende Territorialmacht und ebenfalls reich durch den Handel mit kostbaren Gütern, aber auch als unvermeidliche Station für Karawanen, die oft Hunderte von Lasttieren zu tränken hatten – die nächste Wasserstelle lang 150 Kilometer entfernt. Ricardo Eichmann und Arnulf Hausleiter von der Orient-Abteilung des DAI gehörten zu den ersten ausländischen Wissenschaftlern, die in Saudi-Arabien arbeiten durften. Seit 2004 erforschen sie den Ort, den man aus der Bibel und auch schon aus keilschriftlicher Literatur vor allem als Handelsplatz kennt. Aus der einfachen Oasensiedlung war im Laufe der Zeit ein mächtiges Zentrum mit öffentlichen Bauwerken und ausgedehnten Wohngebieten geworden, das sich sogar im 2. Jahrtausend mit einer großen Stadtmauer eine Grenze gab. Bereits zu dieser Zeit gibt es Kontakte mit Ägypten und der Levante. Es war der hohe Bedarf an Weihrauch bei kultischen Handlungen im Mittelmeerraum, die zu einer Blüte des Handels mit dem aromatischen Harz führte. Die Nachfrage für ein derart lebensnotwendiges Gut wurde auch durch die astronomischen Preise nicht „elastisch“, wie die Ökonomen es ausdrücken. Oasen, Händler und Karawanenführer wurden reich, und am Ende der Handelskette konnte der Weihrauch bis zum 300-fachen seines Ursprungswertes erzielen. Das Marktgeschehen änderte sich, als die ptolemäischen Herrscher Ägyptens ab dem 2. Jahrhundert v. Chr. den Seeweg durch das Rote Meer erschließen ließen. Ab dem späten 1. Jahrhundert v. Chr. kontrollierten schließlich die Römer den Weihrauchhandel auf dem Seeweg und vermieden so die hohen Zölle und Abgaben, die auf der Landroute erhoben wurden – mit Folgen für die Königreiche auf der arabischen Halbinsel. TITELTHEMA Die Außenstelle des Deutschen Archäologischen Instituts in Sana’a im Jemen wird von Iris Gerlach geleitet. Die Archäologin untersucht die bedeutendste Oasenkultur am östlichen Rand des jemenitischen Hochlands, eine Hochkultur, die reich geworden war vom Handel mit Duftstoffen, Zentrum und Lebensader eines bedeutenden Karawanenreiches des 1. Jahrtausends v. Chr. – das Königreich von Saba. Seit dem 8. Jahrhundert v. Chr hatte es sich mit seinem Zentrum, der Oase Marib, zu einem bedeutenden Staat entwickelt, und schon antike Quellen berichten von seinem sagenumwobenen Reichtum. Die Überreste reicher Tempel und anderer Prachtbauten sind bis heute erhalten. Die Oase Tayma war eine bedeutende Territorialmacht und ebenfalls reich durch den Handel mit kostbaren Gütern. Für die Karawanen auf der Weihrauchstraße war sie eine unvermeidliche Station, denn die nächste Wasserstelle lag 150 Kilometer entfernt. Oft waren Hunderte von Lasttieren zu tränken. DAI, Orient-Abteilung 1 Marib, Zentrum und Lebensader des sabäischen Reichs. Die Überreste reicher Tempeln und anderer Prachtbauten sind bis heute erhalten. DAI, Orient-Abteilung 2 Sabäischer Handelsposten an der Weihrauchstraße. Das Königreich von Saba hatte sich seit dem 1. Jahrtausend v. Chr. zu einem mächtigen Territorialstaat entwickelt, und schon antike Quellen berichten von seinem sagenumwobenen Reichtum, gewonnen durch den Handel mit DuftstofDr. Iris Gerlach (li.), Prof. Dr. Ricardo Eichmann, (mi), fen. DAI, Orient-Abteilung Dr. Arnulf Hausleiter (re.), Orient-Abteilung des DAI 42 _ ARCHÄOLOGIE WELTWEIT ARCHÄOLOGIE WELTWEIT _ 43 TITELTHEMA A U S S T E L L U N G 2 0 1 7 K U LT U R U N D H A N D E L A N D E R W E I H R AU C H S T R A S S E In einer großen Ausstellung „Crossing Deserts and Seas: Culture and Commerce along the Arabian Incense Route”, die das Deutsche Archäologische Institut gemeinsam mit der Qatar Museums Authority (QMA) für das qatarisch-deutsche Kulturjahr 2017 in Doha plant, wird der Fernhandel auf der Arabischen Halbinsel in vorislamischer Zeit beleuchtet. Hierbei werden die merkantilen sowie kulturellen Kontakte der arabischen Kulturen untereinander sowie zu den Nachbarregionen (Mesopotamien, Mittelmeerraum, Indien usw.) anhand einzigartiger Fundstücke aus verschiedenen arabischen Ländern gezeigt. Die Ausstellung präsentiert wichtige präislamische Gesellschaften mit ihrer Geschichte, ihrer materiellen und geistigen Kultur sowie deren vielschichtige Vernetzungen untereinander. Ein Schwerpunkt liegt dabei auch auf den archäologischen Fundplätzen Katars, die u. a. in Kooperation zwischen DAI und QMA erforscht werden. In der Ausstellung werden darüber hinaus Funde aus dem Jemen, Saudi Arabien, Jordanien, aus den Arabischen Emiraten, Oman und Äthiopien gezeigt. Boswellia sacra Foto: Young Das getrocknete Harz von Boswellia sacra: Weihrauch Nach Berichten antiker Autoren benötigten Kamelkarawanen 100 1 Der Weihrauchbaum, wie er in einer arabi- Tagesmärsche für die 3.400 km lange Strecke zwischen Dhofar und schen Fassung (10. Jh. n. Chr.) der „Materia Gaza. Orientierung boten Sterne und bekannte Landmarken. Die Medica“ des griechischen Arztes und Gelehrten Karawanenführer kannten „ihre“ Wüste. Hauptnahrungsquelle war Dioscorides dargestellt ist. die Dattel, nahrhaft und haltbar, das Lasttier war das Dromedar, das einhöckrige Kamel. Bis zu 250 Kilogramm Last kann es tragen, es 2 Die Arabische Halbinsel in der „Geographie“ schafft 40 Kilometer am Tag, kann seine Körpertemperatur verän- des Ptolemaios. Der griechische Geograph dern, um sich der Hitze anzupassen. Es kann innerhalb weniger (1. Jh. n. Chr.) hatte in seinem Werk das bekannte Minuten 60 bis 120 Liter Wasser zu sich nehmen und es gut zwei geographische Wissen der Antike zusammenge- Wochen im Magen vorhalten (nicht im Höcker). satin-doz/photolia.de fasst. 44 _ ARCHÄOLOGIE WELTWEIT ARCHÄOLOGIE WELTWEIT _ 45 TITELTHEMA Levante Berytos Byblos Sidon Tyros Wie Perlen einer Kette säumen phönizische Niederlassungen die südspanische Küste, beschrieb der französische Historiker Fernand Braudel ein Siedlungsbild der Iberischen Halbinsel. Alle 10 Meilen hatten sie Station gemacht, manchmal nur Handel getrieben, gelegentlich aber auch Städte gegründet. Im 8. und 7. Jahrhundert v. Chr. entstehen zahlreiche phönizische Niederlassungen im westlichen Mittelmeerraum – allein 30 auf der Iberischen Halbinsel. Weit gekommen waren sie auf ihren Reisen, die sie vom östlichen Rand des Mittelmeers bis an seinen westlichen Übergang in den Atlantischen Ozean führten und darüber hinaus. Aufgebrochen waren sie im 9. Jahrhundert v. Chr. in gut gebauten Schiffen aus Zedernholz. MEDITERRANE KONTINENTALVERBINDUNG Die internationale Welt der Phönizier 46 _ ARCHÄOLOGIE WELTWEIT ARCHÄOLOGIE WELTWEIT _ 47 „Wir konnten keine Route zwischen Beirut und Cádiz berechnen,“ lässt Google Maps einen wissen, wenn man versucht, den Weg durchs Mittelmeer zu finden, auf dem die Seefahrer einst reisten. Tyros, gut 100 Kilometer südlich des heutigen Beirut gelegen, war häufig der Ausgangspunkt ihrer Fahrten, eine Stadt im Wasser, fast eine Insel, wie später die phönizische Gründung Cádiz auf der anderen Seite der Welt. Das Mittelmeer wurde zu einem Kontinent aus Wasser und Land, vereint in seiner östlichen, westlichen und afrikanischen Gestalt, ein Raum des Kultur- und Technologietransfers und des Handels. Die Phönizier nannten sich selbst nicht so, auch ein Land „Phönizien“ gab es nicht. Vielmehr lebten sie in autonomen Städten, Tyros, Byblos, Sidon, Berytos und anderen, die zusammengehalten wurden durch den Seehandel und eine gemeinsame Sprache. Manchmal nannten sie sich selbst Kanaanäer nach der Region, aus der sie stammten. Bei Homer taucht der Name „phoínikes“ zum ersten Mal auf. „Phoínix“ bedeutet purpurrot; das Färben von Stoff mit einer Substanz, die aus Purpurschnecken gewonnen wird, war eine phönizische Spezialität. TITELTHEMA Dirce Marzoli ist die Direktorin der Abteilung Madrid des Deutschen Archäologischen Instituts und leitet hier die Phönizier-Forschung. Von Spanien aus wirft sie den Blick zurück nach Osten in die Levante, wo die Phönizier herkamen, nach Westen in Richtung Atlantik, die afrikanische Küste entlang. Denn auch hier sind phönizische Perlen zu finden. Schon früh waren die routinierten Seefahrer über das „Ende der Welt“ hinaus in den Atlantik gesegelt, hatten Gibraltar hinter sich gelassen und mit dieser Passage das von Land umrundete Mittelmeer gegen einen gewaltigen Ozean ausgetauscht. So verbanden sie auf ihren Wegen drei Kontinente miteinander. „Man kann den Zusammenschluss der phönizischen Städte mit der Hanse vergleichen“, sagt Dirce Marzoli, „wenn auch die Hanse anders als der phönizische Städtebund keine Niederlassungen gründete.“ Im 9. Jahrhundert v. Chr. – es ist eine Zeit der Blüte, aber auch der Tributforderungen des neuassyrischen Reichs – beginnt der große Aufbruch nach Westen. Die Archäologin bezweifelt die bis heute am häufigsten angeführte Ursache für den Aufbruch der Seefahrer. „Es ist keine Flucht vor den assyrischen Herrschern“, erklärt sie. „Dafür verlief der Aufbruch zu systematisch und zu gut strukturiert. Er war politisch gewollt und durch die Religion legitimiert.“ Für eine Flucht waren auch die Schiffe zu reich ausgestattet und zu üppig beladen. Die phönizischen Niederlassungen an den nördlichen und südlichen Küsten des Mittelmeers und auf seinen Inseln wurden zu pulsierenden Knotenpunkten unterschiedlicher Kulturen und Wirtschaftsräume. Es waren in der Regel geplante Städte, auf dem Reißbrett entworfen. Die Idee ‚Stadt’ kannten die Seefahrer von den Großreichen des Vorderen Orients. Das, was wir heute ‚Westen’ nennen, wusste noch nichts von dieser Art zu leben. Die Phönizier brachten nicht nur ihre urbane Lebensweise und ihre Formen des Wohnens überall hin mit, sondern auch ihr Rechensystem, ihre Schrift, ihre spezialisierten Arten des Handwerks mit der Herstellung feinster Töpferwaren, Agrar- und Bergbautechniken, neue Methoden, lokale Ressourcen zu nutzen und die routinierte Art, Handel zu treiben, und sie benutzten Maße und Gewichte. Ein enormer Magnet für die phönizische Expansion nach Westen war der Erzreichtum der Iberischen Halbinsel, eine Ressource, die sich unter den Händen der phönizischen Metallurgen in kunstvolle und nützliche Gegenstände verwandelte. Ihre Glasindustrie war allem voraus in ihrer Zeit, sie waren die ersten, Die Glaskunst der Phönizier hatte bereits im 7. Jahrhundert v. Chr. einen Höhepunkt erreicht. Glas wie dieses war zu dieser Zeit im Westen noch unbekannt. Vase aus Aliseda. Museo Arqueológico Nacional, Madrid Die phönizische Schrift ist die Grundlage unseres Alphabets. Phönizischer Goldschmuck war ein begehrtes Handelsgut. Die Phönizier brachten auch ihre Art des Wohnens mit. Wohnhäuser in Cádiz, einer phönizischen Gründung aus dem 8. Jh. v. Chr. Rekonstruktion nach J.A. Zamora Feine Töpferwaren wurden auf der schnellen Drehscheibe hergestellt. Fotos: DAI Madrid 48 _ ARCHÄOLOGIE WELTWEIT ARCHÄOLOGIE WELTWEIT _ 49 TITELTHEMA die durchsichtiges Glas herstellen konnten, und die ersten, die regelmäßig eine Alphabetschrift benutzten. Durch Handel und Reisen verbreitete sie sich schnell im gesamten Mittelmeerraum und darüber hinaus ins Binnenland. Unsere heutige Schrift beruht auf dem phönizischen Alphabet. „Die archäologischen Funde zeigen, dass es dort, wo die Phönizier mit Einheimischen zusammentrafen, einen fruchtbaren Handel auf Gegenseitigkeit gab“, erklärt Dirce Marzoli. „Darüber hinaus bedeutete der phönizische Seehandel immer auch einen immensen Schub für allen Binnenhandel.“ Das war so in Italien, auf Sardinien und Sizilien, an der nordafrikanischen Küste und natürlich auf der Iberischen Halbinsel. „Wo Wein angebaut wurde, erhöhte man die Produktion, weil man nun mehr davon verkaufen konnte“, sagt Marzoli. „Und um ihn zu transportieren, brauchte man eine Verpackung, und so wurden bald in Massenproduktion Amphoren auf der schnellen Drehscheibe hergestellt – mit phönizischer Technologie.“ Die Phönizier forcierten bereits bestehende Produktionen und erweiterten die Handelsnetze. Der Thunfisch, der zwei Mal im Jahr an Gibraltar vorbeizieht, wurde verarbeitet und bis nach Griechenland verhandelt. Wieder brauchte es Gefäße – die Töpfereien mussten in der Nähe sein ebenso wie die Salinen. Was waren das für Leute, die offenbar überall wohl gelitten waren, wo sie auftauchen? „Die Phönizier waren flexibel“, sagt Dirce Marzoli. „Sie adaptierten kulturelle Elemente der Regionen, in denen sie landeten, sie fühlten sich nicht bedroht von fremden Religionen und Ideologien, und sie machten sich in der Regel nicht zum Problem für andere, wenngleich ihr Ruf in der Antike durchaus zwiespältig war.“ Während sie in den frühen Schichten der Ilias noch als „kunstreiche Sidonier“ (nach einer ihrer Heimatstädte) auftauchen, nennt Homer sie in der Odyssee „hinterhältige geldgierige Piraten“. Morro de Mezquitilla (li.) und Los Toscanos (re., o. u. u.) sind seit einem halben Jahrhundert Referenzplätze der Phönizierforschung geworden. Rekonstruktion: Arnold PHÖNIZIERFORSCHUNG 1964 wurde zwischen dem Deutschen Archäologischen Institut und der spanischen Denkmalbehörde eine Kooperation vereinbart, um am Fundort Los Toscanos in der Nähe Málagas eine griechische Siedlung zu finden, die sich aber alsbald als eine phönizische herausstellte. Dies war der Beginn der systematischen Phönizierforschung in Spanien, die Abteilung Madrid des DAI blieb seit den Anfängen bei diesem Thema und besitzt nun eine große Expertise auf diesem Gebiet. Gemeinsam mit spanischen Kollegen untersuchen die Madrider DAI-Archäologen die ältesten phönizischen Gründungen aus dem 8. Jahrhundert v. Chr.: Huelva, Málaga, Cádiz oder Cartagena. „Es sind aber Fundplätze wie Morro de Mezquitilla und Los Toscanos, die seit einem halben Jahrhundert Referenzplätze der Phönizierforschung geworden sind“, beschreibt Dirce Marzoli die Forschungslandschaft. Beide sind relativ kleine, nur wenige Kilometer voneinander entfernt liegende Siedlungen, deren geographische Position kennzeichnend ist für die phönizischen Niederlassungen: Die Plätze befinden sich am Rand einer Meeresbucht mit der Mündung eines Flusses, der eine Verbindung zum Hinterland gewährleistet. Um 700 v. Chr. erlebten beide Orte eine wirtschaftliche Blüte. Die Siedlungen wurden größer, die Bevölkerung wuchs und mit ihnen die Friedhöfe. In einer aktuellen Ausgrabung in Ayamonte (Provinz Huelva in Andalusien), fanden die Archäologen eine Nekropole mit neun Gräbern, „ein selten reicher und vor allem aussagekräftiger Fundplatz“, erklärt die Archäologin. Anhand dieses Funds konnte aber vor allem eine Vermutung der Archäologen bestätigt werden: „Wir wissen nun, dass ganze Familien gereist sind.“ Viele der phönizischen Niederlassungen sind Gründungen der bedeutendsten phönizischen Apoikie (Außensiedlung) Karthago, die um 800 v. Chr. an der Küste des heutigen Tunesien entstand und im Laufe der Zeit die Vorherrschaft im westlichen Einflussgebiet der Phönizier übernahm. Die Stadt entwickelte sich zu einer reichen Metropole mit agrarischem Hinterland, größer als die Mutterstadt Tyros mit großem Einfluss auf die phönizischen Siedlungen Siziliens, Sardiniens, Ibizas und an den südlichen Küsten der Iberischen Halbinsel. Im Dritten Punischen Krieg fand sie ihr Ende, doch das ist eine andere Geschichte. In Ayamonte (Provinz Huelva in Andalusien) fanden die Archäologen eine Nekropole mit neun Gräbern. Anhand dieses Funds konnte eine Vermutung der Archäologen bestätigt werden: „Wir wissen nun, dass ganze Familien gereist sind.“ 1 Ausstattung des Grabes für einen einzelnen Mann 2 Ausstattung für eine Frau und ihre Dienerin 50 _ ARCHÄOLOGIE WELTWEIT ARCHÄOLOGIE WELTWEIT _ 51 AT L A N T I K FA H R T Im 8. Jahrhundert v. Chr. durchsegelten die Phönizier die Meerenge von Gibraltar, was durch den starken ostsetzenden Strom an der Oberfläche in Verbindung mit den oft vorherrschenden Westwinden ein ebenso schwieriges wie gewagtes Unterfangen war. Sie gründeten die Niederlassungen in Cádiz, Huelva und Ayamonte und gelangten bis zu einer Landzunge an der Atlantikküste des heutigen Marokko, die heute eine Insel ist und den Namen Mogador trägt – 800 Kilometer südlich der „Säulen des Herakles“. Sie ist 500 Meter lang, 400 Meter breit, bis zu 23 Meter hoch, und es gibt dort heute nichts außer einer aufgelassenen Moschee und den Mauern eines ehemaligen Gefängnisses. Wären da nicht Spuren antiker Nutzung, würde man der kleinen Insel wohl kaum Aufmerksamkeit schenken. Die Spuren sind phönizisch, und die Archäologen fragten sich, warum überhaupt irgendjemand ausgerechnet auf Mogador eine Faktorei würde einrichten wollen. Das DAI Madrid untersucht zusammen mit dem Institut National des Sciences de l’Archéologie et du Patrimoine in Rabat, der DAI-Kommission für Archäologie Außereuropäischer Kulturen in Bonn und dem Naturwissenschaftlichen Referat des DAI die phönizische Niederlassung auf der marokkanischen Insel. Das Projekt ist interdisziplinär konzipiert, außer Archäologen arbeiten hier Vermessungstechniker, Geographen, Geophysiker, Paläobotaniker, TITELTHEMA Ein emblematischer Platz für die aktuelle Forschung der Interaktion zwischen Phöniziern und Einheimischen ist Castillejos de Alcorrín in Andalusien. 1988 wurde er entdeckt, 2006 unter Denkmalschutz gestellt, seit 2007 erforscht die Abteilung Madrid des DAI die befestigte Siedlung aus der späten Bronzezeit an der Schwelle zur Eisenzeit, der Zeit der ersten Kontakte zwischen Einheimischen und Phöniziern. (siehe „Phönizisch-Iberisches Joint Venture“, S. 12“) Zu den Zeugen der phönizischen Inselnahme zählen ein steinerner Pfeiler, ein sogenannter Baitylos, und phönizische Graffiti auf Keramik. Sie belegen, dass die Neuankömmlinge hier als erstes ein Heiligtum errichteten. Tausende Scherben phönizischer Keramik lagen bei dem Heiligtum – man verehrte nicht nur dieselben Götter wie zuhause, man aß auch vom selben Geschirr wie in der fernen Heimat. DAI, Abteilung Madrid Archäozoologen und Archäometallurgen. Zu den Zeugen der phönizischen Inselnahme zählen ein steinerner Pfeiler, ein sogenannter Baitylos, und phönizische Graffiti auf Keramik. Sie belegen, dass die Neuankömmlinge hier als erstes ein Heiligtum errichteten – hier war es eines der Astarte –, zum Schutz und als Ort der Begegnung. Knochen von Tieren, die auf der damaligen Halbinsel nicht vorkommen konnten – Rinder, Schafe und Ziegen – belegen, dass auch das Festland genutzt wurde. Für die echten Überraschungen sorgten aber die Knochen ganz anderer Tiere: Löwen und Elefanten, wobei aber der Elefant kein ganz Unbekannter war. Schon seit der zweiten Hälfte des 3. Jahrtausends v. Chr. wurde afrikanisches und asiatisches Elfenbein nach der Iberischen Halbinsel verhandelt. Auf demselben Wege wie die Elefanten wird wohl auch der Löwe gekommen sein. Vielleicht handelte man mit den Knochen und den Fellen, vielleicht aber mit den Tieren selbst. Die Archäozoologen des DAI fanden an den Knochen eines jungen Löwen eine pathologische Deformation, die darauf hinweist, dass er in Gefangenschaft gehalten wurde. 52 _ ARCHÄOLOGIE WELTWEIT Die Phönizier betrieben eine spezialisierte Fischerei auch in den Gewässern des Atlantik. DAI, Abteilung Madrid Die Archäologen fanden Elefantenknochen auf Mogador und das Gebiss eines jungen Löwen, der offenbar in Gefangenschaft gehalten wurde. DAI, Abteilung Madrid ARCHÄOLOGIE WELTWEIT _ 53 Prof. Dr. Dirce Marzoli, Direktorin der Abteilung Madrid des DAI TITELTHEMA I N T E R N AT I O N A L E S H A N D E L S Z E N T R U M Für die seefahrenden und Handel treibenden Phönizier war Mogador so etwas wie eine erste Adresse. Denn an dieser zunächst entlegen scheinenden Weltecke wurde in der Antike besonders reger Handel mit sehr außergewöhnlichen Waren getrieben. Hier trafen der vorläufige Endpunkt der westphönizischen Seehandelsroute und eine afrikanische Karawanenstraße aufeinander. Hier wurde gekauft und getauscht, man erzählte sich Geschichten und berichtete einander die neuesten Nachrichten aus allen Ecken der Welt. Die begehrten Güter waren Fisch in großen Mengen, Elfenbein, Metalle, exotische Tiere, das bernsteinähnliche Harz von Thuja berberiska/citrus und kostbare Spezereien. H Ä F E N AU F D E R I B E R I S C H E N H A L B I N S E L Der internationale Handel und Austausch braucht die Meere als Transportmedium, die Seefahrer brauchen Häfen. So simpel das klingt, so kompliziert ist es mitunter, die Belege für die Zeit der Antike zu ermitteln. Maritime Archäologie, ein in Deutschland eher seltenes Fach mit antiker Nautik, Schiffbau und limnischer Archäologie, ist eine der Disziplinen an der Abteilung Madrid des Deutschen Archäologischen Instituts. Marcus Hermanns erforscht antike Häfen auf der Iberischen Halbinsel in ihrer Entwicklung über viele Jahrhunderte, und er untersucht sie bis auf den Grund – im wahrsten Sinne des Wortes. Hermanns ist nicht nur Archäologe, sondern zugleich Forschungstaucher – eine langwierige Ausbildung, die jeder zu absolvieren hat, der unter Wasser arbeiten will. Die Phönizier waren die ersten, die nennenswerte Landeplätze für größere Schiffe auf der Iberischen Halbinsel benötigten, doch in Ermangelung schriftlicher Quellen und schwer zu ermittelnder archäologischer Befunde an den Küsten sind die Schiffe der Seefahrer wertvolle Zeugnisse ihrer Kultur. Die Phönizier trieben blühenden Handel, ihre Schiffe konnten große große Mengen Waren über weite Strecken transportieren. Wo also löschten sie ihre Ladung? „Unter Umständen einfach am Strand“, sagt Hermanns. Denn phönizische Hafenanlagen haben die Archäologen noch nicht gefunden. Möglicherweise ist dies aber nur eine Frage der Zeit, denn inzwischen weiß man aus geophysikalischen Prospektionen, aus großräumiger Küstenforschung aus der Luft und vom Wasser aus, dass die südspanische Küste sich in Jahrtausenden stark verändert hat. Es gab Erosion durch Meeresspiegelschwankungen und eine Verfüllung ganzer Fjorde durch Flusssedimente. Viele der möglichen Anlegestellen phönizischer Schiffe sind heute verlandet. Die Flussmündungen sind aber die wahrscheinlichsten Fundorte, denn die Flüsse waren die Verbindung ins Hinterland, die die Phönizier brauchten, um Handel mit der ansässigen Bevölkerung zu treiben. Essaouira, die Stadt auf dem Festland, wurde bis in die sechziger Jahre hinein ‚Hafen von Timbuktu’ genannt. Immer noch trafen hier die Karawanen aus dem afrikanischen Hinterland ein, und alle europäischen Handelsmächte unterhielten Konsulate in dieser Kleinstadt an der marokkanischen Atlantikküste. INTERNATIONALE KOOPERATION „Der beste Ort für eine Konferenz zur Phönizierforschung wäre ein Schiff auf dem Mittelmeer“, schlägt Dirce Marzoli vor. So weit wie der Expansionsraum der Phönizier, so international ist auch die Forschung zu ihnen. Ihr Lebensraum erstreckte sich über Syrien, Libanon, Israel, Griechenland, Ägypten, Zypern, Malta, Italien, Algerien, Tunesien, Marokko, Spanien und Portugal. „Ohne diese internationale Kooperation kann das Erbe der Phönizier nicht mit dem größtmöglichen Erfolg erforscht werden“, erklärt die Archäologin. „Es ist wichtig, dass wir die Zusammenarbeit mit den afrikanischen Ländern ausbauen“, sagt Marzoli. Denn es wird immer wahrscheinlicher, dass die Phönizier den afrikanischen Kontinent umsegelt haben könnten, wie man es in der antiken Überlieferung Hanno, dem Seefahrer zuschreibt. „Die Phönizier besaßen nicht nur die Kenntnisse, die Reise in eine unbekannte Welt zu wagen“, sagt Marzoli. „Sie hatten auch den Mut, geographische und mentale Grenzen zu überwinden.“ Die archäologische Arbeit ist mühsam ohne schriftliche Überlieferungen. Aber Dirce Marzoli ist zuversichtlich: „Es ist nur eine Frage der Zeit, bis wir die Archive finden.“ KOOPERATIONEN Centro de Estudios Fenicios y Púnicos – Madrid; Institut National des Sciences de l’Archéologie et du Patrimoine, Rabat; Junta de Andalucía; Museum Málaga; Universität de Málaga; Universität Granada; Centro Superior de Investigaciones Científicas, Madrid; Deutsches Bergbaumuseum Bochum; Universität Frankfurt; Freie Universität Berlin. Innerhalb des DAI: Kommission für Archäologie Außereuropäischer Kulturen; Abteilung Rom; Naturwissenschaftliches Referat. FÖRDERUNG Fritz Thyssen Stiftung; Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gemeinsam mit Agence nationale de la recherche (ANR); Theodor Wiegand Gesellschaft; Freunde der Madrider Abteilung des Deutschen Archäologischen „Umfangreiche Hafenanlagen bauten erst die Römer“, erzählt Hermanns. Offenbar war auch für sie die erzreiche Iberische Halbinsel eine Region, die man dem eigenen Einfluss unterwerfen wollte. Hermanns will untersuchen, welche Entwicklungen die neuen Herren forcierten und ob es womöglich nun – anders als bei Phöniziern und Griechen – auf durchaus römische Art ein zentral gesteuertes Infrastrukturprogramm zur Schaffung einer maritimen Logistik gab. Instituts. Marcus Hermanns und seine Kollegen sind gerade von einer Tauchfahrt nach Ibiza zurückgekehrt. Die Insel war ein bedeutender phönzischer Handelsplatz, und in einem Wrack vor der Insel fanden die Archäologen große Mengen attisch rotfiguriger Vasen. Derlei Waren waren sehr beliebt in der Region, und die phönizischen Händler versorgten diesen Markt ganz gezielt. Der Hafen von Essaouira. DAI, Abteilung Madrid 54 _ ARCHÄOLOGIE WELTWEIT Fotos: Hermanns Die Taucher fanden zudem griechische Keramik mit phönizischen Graffiti, offenbar ein Handelszeichen. Das zeigt, dass die Phönizier im westlichen Mittelmeerraum den Handel auch dann kontrollierten, wenn die ihn nicht selbst durchführten. ARCHÄOLOGIE WELTWEIT _ 55 TITELTHEMA Wikimedia Commons Das Apolloheiligtum in Delphi war zentrale Informationsbörse und Koordinationszentrum, Initiator und Ratgeber zugleich. Bevor man aufbrach, befragte man häufig das Orakel. So will es die Überlieferung, die es im Gedächtnis vieler Städte der griechischen Welt über Jahrhunderte verankerte. Im 8. Jahrhundert v. Chr. beginnt – nach kleineren Unternehmungen in früherer Zeit – die sogenannte „Große Griechische Kolonisation“, die aber nur in Teilen eine zentral geplante Aktion war. Vielmehr machten sich einzelne Gruppen waffenfähiger Männer auf den Weg, um Handelsinteressen zu verfolgen, vielleicht aber auch, um Landmangel oder Bevölkerungsdruck zu entkommen. Große Teile ihrer nautischen Kenntnisse und das Wissen um geeignete Siedlungsplätze hatten die Griechen im Kontakt mit den Phöniziern gewonnen, die reiche geographische Kenntnisse besaßen und die die Verhältnisse an den Küsten des Mittelmeers genau kannten. Ortwin Dally, neuer Direktor der Abteilung Rom des Deutschen Archäologischen Instituts, beschreibt die Zielrichtung der griechischen Ausfahrten ins Mittelmeer und an die Küsten des Schwarzen Meers. „Wichtig für die Ortswahl der Koloniegründung war insbesondere eine verkehrsgünstige Lage. Man bevorzugte leicht zu verteidigende Landzungen, gute Häfen, Anbindungen an das Hinterland über Flüsse und fruchtbares Umland.“ Hatten die Kolonisten ihre Stellung gesichert, konnten sie hier und da ihren Machtbereich ins Hinterland ausdehnen. BLICK NACH WESTEN UND NACH OSTEN Die Große Griechische Kolonisation 56 _ ARCHÄOLOGIE WELTWEIT ARCHÄOLOGIE WELTWEIT _ 57 TITELTHEMA Griechische Gründungen am Mittelmeer: Metapont (Foto: Σπάρτακος), Nizza (Foto: Waithamai) und Marseille (unten) (Foto: Drewes) . Eine „Mutterstadt“ der Großen Kolonisation war Chalkis auf der Insel Euböa, ursprünglich eine Ansiedlung phönizischer Purpurfischer. Von Euböa aus wurde in der 1. Hälfte des 8. Jahrhunderts v. Chr. Pithekoussai gegründet – der Startschuss für eine Reihe von Gründungen in Unteritalien und Sizilien, welche schließlich die Küsten bis auf den Nordwesten Siziliens säumten. Viele der griechischen Kolonialstädte waren – anders als die Mutterstädte – auf dem Reißbrett entstanden. Zu den besonders eindrucksvollen Planstätten zählt Metapont, dessen innovative städtebauliche Anlage seit langem von der Abteilung Rom des DAI in enger Zusammenarbeit mit der lokalen Denkmalpflegebehörde erforscht wird. Wo Menschen unterwegs sind, verbreiten sich mit ihnen nicht nur Güter, sondern auch Wissen und Kenntnisse über Technologien, Innovationen und wissenschaftliche Verfahren. Im Zeitalter des beginnenden Hellenismus erfuhren Geographie und Kartographie einen Aufschwung, die Oikumene erweiterte sich rasant und mit ihr der kulturelle und wissenschaftliche Horizont der Griechen. Den Boden hierfür hatte die „Große Kolonisation“ bereitet. „Insgesamt haben die Kolonisation, die erweiterten Handelsbeziehungen und auch der Kontakt mit vielfältigen indigenen Populationen ein allmählich wachsendes Bewusstsein der Zusammengehörigkeit aller Hellenen gefördert“, beschreibt Dally die komplexen politischen Prozesse dieser Zeit. Bis nach Korsika und an die Küste Südfrankreichs drangen sie vor, wo Massilia – Marseille – Mittelpunkt ihrer Handelsplätze wurde. Von Massilia aus steuerten die Griechen auch Spanien an, wo sie schließlich Ampurias gründeten. Doch das Gros des Handels im westlichen Mittelmeerraum konnten sie den Phöniziern nicht streitig machen. Die griechische Expansion richtete sich jedoch nicht nur nach Westen. Euböa war ein wichtiger Ausgangspunkt der griechischen Kolonisation. Marseille 58 _ ARCHÄOLOGIE WELTWEIT ARCHÄOLOGIE WELTWEIT _ 59 TITELTHEMA Taganrog Taganrog war der äußerste östliche Siedlungspunkt griechischer Kolonisten. Prof. Dr. Ortwin Dally A M S C H WA R Z E N M E E R Taganrog liegt ca. 60 Kilometer westlich von Rostov am Don und ungefähr 10 Kilometer westlich der heutigen Mündung des Don in das Asowsche Meer. Der Handelsstützpunkt am Fuße des Kaukasus war der östlichste der Griechen überhaupt. Doch was taten die Griechen überhaupt so weit im Osten, hier, im äußersten nördlichen Schwarzmeerraum? Der Standort ist nicht das einzige Rätsel, mit dem die Archäologen konfrontiert sind. „Anders als in allen anderen Fällen griechischer Niederlassung hat sich Taganrog nie zu einer Stadt mit einem orthogonalen Straßensystem entwickelt“, sagt Ortwin Dally. An schlechter Versorgung kann es nicht gelegen haben: „Das Dondelta war immer ein attraktives Siedlungsgebiet, fischreich und verkehrsgünstig gelegen.“ Gab es politische Gründe für diese Ausnahme? Waren die nomadischen und halbsesshaften Völker, die das Gebiet schon in der späten Bronzezeit besiedelt hatten, der Grund für die ungewöhnliche Entwick- lung? Oder waren es womöglich Krimoder Taman-Griechen, welche die Region in der 1. Hälfte des 6. Jahrhunderts. v. Chr. erreicht hatten und keine Konkurrenz entstehen lassen wollten? Womöglich haben sie die durch Inseln gebildeten Meerengen zwischen der Krim und der heutigen südrussischen Halbinsel Taman – Voraussetzung für Handel und Austausch – in eine Barriere verwandelt, wie es unzählige Male später in der Geschichte geschah. Sicher ist, dass es in Taganrog einen außerordentlich lebendigen Austausch von Gütern gab, dass Handel getrieben wurde, und dass man sich sogar Ressourcen teilte. „Wir fanden nicht nur Keramik von 40 verschiedenen Herkunftsorten aus vielen Teilen Griechenlands, sondern auch ‚einheimische’ Ware“, erklärt der Archäologe. Chemische Untersuchungen ergaben sogar, dass die griechische Keramik und die einheimische Keramik teilweise aus derselben Lehmlagerstätte kamen. „Ganz offensichtlich haben neue und alte Bewoh- ner friedlich zusammengelebt“, erklärt Ortwin Dally, zusammengelebt in Taganrog, das zwar keine Stadt wurde, aber als Handelsposten für Vernetzung, Handel und kulturellen Austausch eine entscheidende Rolle spielte. Dally und seine Kollegen haben in einer umfangreichen Untersuchung genauere Erkenntnisse über die Frühphase der griechischen Kolonisation des Schwarzmeerraumes, die Herkunft der Siedler und insbesondere die Entwicklung der Beziehungen zwischen Griechen und Einheimischen im Dondelta zwischen dem mittleren 7. und dem 6. Jahrhundert v. Chr. gewonnen und wollen diese Erkenntnisse nun verbinden mit neueren Forschungen zur Frühphase der „Großen Griechischen Kolonisation“ in Unteritalien und Sizilien. „Wir wollen den Mittelmeer- und den Schwarzmeerraum nicht als Krisenraum, wie er derzeit vielfach im Gespräch ist, sondern vielmehr als Kommunikationsraum ansehen, der die Vernetzung seiner Siedlungen und Städte entscheidend beförderte.“ Der Don ist ein fast 2000 km langer Zufluss des Asowschen Meeres. KOOPERATIONEN Don-Archäologische Gesellschaft, Rostov am Don (V. Zibrij, V. Zibrij, A. Isakov, P. A. Larenok) Institut für Archäologie der russischen Akademie der Wissenschaften, Moskau (V. Kuznetsov) DFG-Exzellenzcluster TOPOI, Research Area A I Institut für Geowissenschaften der Christian Albrechts Universität Kiel (IFG), Abt. Geophysik (W. Rabbel; H. Stümpel; Ch. Müller) Institut für Nachrichtentechnik und Informationselektronik (NTIE), Forschungsgruppe Hydroakustik, Universität Rostock (G. Wendt) Institut für geographische Wissenschaften, Fachrichtung Physische Geographie, FU Berlin (B. Schütt, M. Schlöffel) Institut für Prähistorische Archäologie, FU Berlin (H. Parzinger, L. van Hoof ) Helmholtz- Institut für Strahlen- und Kernphysik, Universität Bonn (H. Mommsen) 60 _ ARCHÄOLOGIE WELTWEIT ARCHÄOLOGIE WELTWEIT _ 61 Blick auf die Bucht von Elaia Was immer sich auch ändert im Laufe der Jahrtausende – Sprachen, Kulturen, religiöse Systeme, Staatsgrenzen –, es gibt doch Dinge, die durch alle politischen Veränderungen und Umwälzungen hindurch im Grunde bleiben, was sie sind und immer waren. Wo heute der siebtgrößte Containerhafen der Welt an der türkischen Mittelmeerküste entsteht, verwandelte sich vor ungefähr 2000 Jahren eine kleine Hafenstadt in einen strategischen Satelliten des mächtigen Reichs der Attaliden, die weite Gebiete Kleinasiens beherrschten. Seine Hauptstadt hieß Pergamon. „Dass Pergamon als Importeur von Baumaterialien, aber auch als Exporteur auf einen funktionierenden Hafen angewiesen war, bedarf eigentlich keiner weiteren Erklärung“, sagt Felix Pirson, Direktor der Abteilung Istanbul des DAI und Leiter der Pergamongrabung, der in einem interdisziplinär angelegten Kooperationsprojekt das Verhältnis der Hafenstadt Elaia zur Residenzstadt der Attaliden untersucht. Als Pergamon zur Territorialmacht aufgestiegen war, bedeutete dies den Niedergang der meisten anderen Städte in der Region. Doch Elaia, das anatolische und griechische Wurzeln besitzt, blühte auf unter der Herrschaft der Attaliden. Wohl kurz nach der Mitte des 3. Jahrhunderts v. Chr. wurde Elaia in das pergamenische Reich integriert, massiv ausgebaut und umgestaltet, wobei es nicht nur als Handelshafen diente, sondern zugleich militärische Bedeutung besaß. Zahlreiche archäologische Befunde – TITELTHEMA Elaia, der Hafen von Pergamon seien es Gefäße aus Keramik, Gebäudespuren oder auch das typisch hellenistische Straßenraster – belegen die Verbindung zwischen Elaia und Pergamon. „Wir konnten auch feststellen, dass die Degradation des Baumbestandes – ein wichtiger Anzeiger anthropogenen Einflusses – mit der Ausdehnung der Stadt zunahm und ihren Höhepunkt bereits um die Zeitenwende erreichte“, sagt Pirson. Die grundlegende Umgestaltung Elaias wirkte sich also bis in den ländlichen Raum aus und veränderte die natürliche Umwelt der Stadt. „Die Anwesenheit fest in Elaia stationierter Verbände und der rege Betrieb der Händler und internationalen Reisenden haben den Charakter der Stadt außerdem gründlich verändert“, sagt Pirson. Zwar blieb Elaia auch unter der Herrschaft der Attaliden eine von den Bürgern selbst regierte Stadt, doch steht sie ähnlich wie die Residenzstadt für eine Gruppe hellenistischer Poleis, die für Funktion und Sicherung der neuen Territorialstaaten von zentraler Bedeutung waren und von den Herrschern nach ihren Bedürfnissen geformt werden konnten. Elaia ist ein Beispiel für die Übertragung spezifischer Funktionen einer Territorialherrschaft auf eine Polis“, erklärt Pirson. „Ganz ähnlich verhielt es sich zum Beispiel auch mit Seleukeia Pieria, der Hafenstadt Antiochias am Orontes.“ In vielen Kriegen spielte der strategisch günstig gelegene Ort an der Küste der Ägäischen See eine zentrale Rolle. Mit der endgültigen Sicherung der römischen Herrschaft in Kleinasien geht die Präsenz Elaias in den Schriftquellen hingegen merklich zurück, und die Hafenstadt verliert ihre strategische Bedeutung als eine unter vielen am „Mare Nostrum“ der Römer. Aus archäologischer Sicht ist sie ein wichtiges Zeugnis für die Geschichte Pergamons und liefert neue Informationen in den noch ganz lückenhaften Kenntnissen des Seehandels und der Marine im Hellenismus. Im Flachwasser sind deutlich die Überreste der Hafenbefestigung zu erkennen Der Stadtplan von Elaia Blick auf die westliche Mole des geschlossenen Hafens von Nordwesten. Von dem knapp 200 m langen und maximal 3,75 m breiten Bauwerk haben sich noch zwei Lagen aus Kalksteinblöcken erhalten, die mit schwalbenschwanzförmigen Klammern verbunden sind. KOOPERATIONEN Generaldirektion für Kulturdenkmäler und Museen des Kultur- und Tourismusministeriums der Republik Türkei Geodätisches Institut der Universität Karlsruhe; Institut für Geomatik der Hochschule Karlsruhe Institut für Geowissenschaften der Universität Kiel; Geographisches Institut der Universität zu Köln Institut für Strahlenphysik der Universität Bonn; Kommission für Alte Geschichte und Epigraphik des Deutschen Archäologischen Instituts; Eastern Atlas. Geophysikalische Prospektion Meyer und Ullrich GbR (Berlin); EMI Harita (Istanbul). FÖRDERUNG Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) 3D-Modell von Elaia mit Darstellung der oberirdisch sichtbaren und geophysikalisch prospektierten Baustrukturen 62 _ ARCHÄOLOGIE WELTWEIT ARCHÄOLOGIE WELTWEIT _ 63 TITELTHEMA Weder die Griechen zur Zeit ihrer „Großen Kolonisation“ noch die weit gereisten Phönizier wären je auf die Idee gekommen, so etwas wie „Mare Nostrum“ auch nur zu denken. Die Römer taten es. Sie übertrugen den territorialen Gedanken auf ein Gebiet aus Wasser, nachdem sie seine Ufer in allen vier Himmelrichtungen in Besitz genommen hatten. Es sind diese Ufer und die Landmassen dahinter, die viel eher als das zu einem Territorium gebannte Wasser das wirkliche Element der Römer sind. Und wo sie am Mittelmeer auf die Vernetzungen der Griechen, Phönizier und der Hochkulturen des Alten Orients zurückgreifen samt deren Kenntnissen und Teilen ihrer Technologie, schaffen sie zwischen Rom und ihren terrestrischen Kolonien vollkommen neue Verbindungen. Bis heute durchziehen diese zum Teil sehr alten Verbindungen Europa, Kleinasien und den Vorderen Orient auf einer Länge von 80.000 Kilometern. In Mitteleuropa waren befestigte Straßen der römischen Art – aus Stein gebaut – etwas gänzlich Neues, und sie vernetzten vormals weit entfernte Regionen auf völlig neue Weise. Reisezeiten wurden kürzer, Nachrichten verbreiteten sich schneller. Zivile und militärische Personen kamen schneller von einem zum anderen Punkt. Die Straßen waren unabhängig von der Bodenbeschaffenheit und von Witterungseinflüssen passierbar. Sie bahnten sich mittels Stützmauern und Brücken fast gerade und ohne nennenswerte Steigungen auch durchs Gebirge. Zur Zeit des Kaisers Augustus wurde der Straßenbau forciert, das Imperium expandierte, und den neuen Untertanen wurde überall verdeutlicht, wer seine neuen Herren waren. So dienten die charakteristischen Meilensteine im römischen Wegenetz nicht nur der Orientierung, sondern waren zu allen Zeiten auch ein unmissverständlicher Hinweis: Hier herrscht Rom. IMPERIUM ZU WASSER UND ZU LAND Die Tabula Peutingeriana bildete die gesamte bekannte Welt ab – von Iberien im Westen bis Indien im Osten. Die Karte, 7 m lang und 37 cm hoch, ist extrem gestaucht und bildet in der Art eines Metroplans das Straßennetz mit Entfernungsangaben ab. Die Entstehung der Vorlage dieser Prachtkarte datiert ins 3. Jh. v. Chr. Die Römer verändern die antike Welt 64 _ ARCHÄOLOGIE WELTWEIT ARCHÄOLOGIE WELTWEIT _ 65 TITELTHEMA Die Straßenbauinschrift des M. Valerius Lollianus aus Byllis im heutigen Albanien zeigte, dass man gekommen war, um zu bleiben. Hier trafen verschiedene Kulturen aufeinander, und besonders in der Römischen Kaiserzeit wurde die Region zu einer kulturellen Übergangszone. Drei römische Provinzen „teilten“ sich das Gebiet: Dalmatia, Macedonia und Epirus. Die erste war Teil des lateinischen Westens des Reiches, die beiden anderen des griechischsprachigen Osten. An einer ursprünglich schwer passierbaren, aber hoch frequentierten Stelle fand man die Inschrift bereits im 19. Jahrhundert. Es ist die größte der lateinischen Inschriften in Albanien, plakativ in ihrer Größe wie auch in ihrer Typographie. Der größte Teil des Textes ist in 6 cm großen Buchstaben in den Fels gemeißelt, drei Zeilen mit besonders wichtigen Partien aber wurden mit 13,5 cm großen, besonders gut sichtbaren Lettern hervorgehoben. Die Kommission für Alte Geschichte und Epigraphik des DAI untersuchte die Inschrift 2009 erneut, um sie neu zu lesen. Denn eine Frage war bislang offengeblieben: Handelte es sich bei der Straße, um die es in der Inschrift ging, um eine „via publica“, eine öffentlich finanzierte Straße oder wurde sie auch von privaten Geldgebern mit finanziert? In der Forschung war dies lange offengeblieben. Das, was man heute Public-Private Partnership nennen würde, ist allerdings sehr wahrscheinlich. Zu Cäsars und Augustus’ Zeiten waren nämlich zahlreiche römische Bürgerkolonien gegründet und damit lateinischsprachige Siedler in eine Umgebung versetzt worden, die eigentlich griechisch sprach oder sich in einer der Sprachen der einheimischen ursprünglichen Gesellschaften verständigte. Aus Sicht des Imperiums galt es – nicht zuletzt durch die Ansiedlung von Kolonisten – die zentrale West-Ostachse über den Balkan zu sichern. M. Valerius Lollianus, Sohn des Marcus, aus (der Tribus) Quirina, (ehemaliger) praefectus der cohors I Apamenorum sagittariorum equitata, (ehemaliger) tribunus militum der legio VII gemina felix, (ehemaliger) praefectus equitum der ala Flavia Agrippiana, (ehemaliger) Kommandeur in Mesopotamia über Abteilungen ausgewählter Reiter der Alen: praetoria, Augusta, Syriaca, Agrippiana, Herculiana, singularium, und der Kohorten: I Lucensium, II Ulpia equitata civium Romanorum, I Flavia civium Romanorum, I<I> Thracum, III Ulpia Paflagonum, II equitum, I Ascalonitanarum, I Flavia Chalcidenorum, V Petreorum, IIII Lucensium, I Ulpia Petreorum, II Ulpia Paflago- WA L D G I R M E S , E I N K O L O N I A L E R AU S S E N P O S T E N Für die Archäologie war es der erste Beweis, dass die Römer die Absicht hatten, in germanischen Gebieten östlich des Rheins dauerhaft eine zivile Verwaltung aufzubauen. Waldgirmes war kein militärischer Stützpunkt, sondern eine zivile Siedlung von rund acht Hektar Größe, die 20 Jahre lang bestand, von 4 v. Chr. bis etwa 16 n. Chr. Es ist die Zeit des augusteischen Eroberungsversuchs in der rechtsrheinischen Germania, und mit der Gründung der Ansiedlung begann der Aufbau ziviler Strukturen und der Übergang von der Eroberung zur dauerhaften Herrschaft. Ende der 1980er-Jahre war der Platz zufällig entdeckt worden. Waldgirmes liegt am nördlichen Rand der Wetterauer Senke zwischen Wetzlar und Gießen, am Übergang zum Mittelgebirgsraum rund 25 Kilometer nördlich des späteren Limes und rund 100 Kilometer östlich des Rheins. Das städtische Zentrum war ein 2.200 Quadratmeter großes Forum, und damit Zweifel über die Herrschaft erst gar nicht aufkommen konnten, stand auf dem Platz des Forums eine lebensgroße vergoldete Bronzestatue des Kaisers Augustus. num, I Ulpia sagittariorum, I{II} Dacorum, I Syngambrum, befestigte aus eigenen Mitteln die öffentliche Straße, die von der Colonia der Byllidenser durch das Astaciae genannte Gebiet führt und die eng, holprig und gefährlich war, so, dass sie (jetzt) mit Wagen befahren werden kann, und errichtete Brücken über den Fluss Argyas und Bäche und dokumentierte (dies) inschriftlich; auf Beschluss des Dekurionenrates. 66 _ ARCHÄOLOGIE WELTWEIT DER PFERDEKOPF Der lebensgroße bronzene Pferdekopf wurde 2009 aus einem gut elf Meter tiefen Brunnen geborgen, dessen hölzerner Brunnenkasten ein dendrochronologisches Datum von 4 v. Chr. ergeben hat. Der Kopf ist von herausragender Qualität und entspricht mit einer Länge von 55 cm der natürlichen Größe eines Pferdekopfes. Das Geschirr ist reich geschmückt, auf den Kreuzungspunkten der Riemen, den beiden Querriemen über Augen und Nüstern sowie dem Längsriemen auf der Nase des Pferdes sitzen figürlich verzierte Schmuckscheiben. Ursprüng- Gabriele Rasbach von der Römisch-Germanischen Kommission des DAI erforscht das römische Waldgirmes seit 1993. Statuen aus Stein oder Bronze gehörten besonders ab der augusteischen Zeit zur üblichen Ausstattung neu gegründeter und auf Dauer angelegter römischer Zentralsiedlungen. Auch die übrigen Statuen, lich war das ganze Stück blattvergoldet. Die an der Bundesanstalt für Materialprüfung in Berlin durchgeführte Tomographie zeigt, dass der Kopf zusammen mit den Schmuckscheiben in einem Stück gegossen wurde. Die Stellung der seitlichen Schmuckscheiben sowie das weit aufgerissene Maul zeigen, dass der Reiter den Kopf des Pferdes zu sich herangezogen hat. Der Kopf war fast senkrecht zum Betrachter ausgerichtet, vergleichbar der Haltung der Pferdeköpfe an den frühaugusteischen Statuen der Nonii aus Pompeji oder einer Marmorstatue aus Sentinum. ARCHÄOLOGIE WELTWEIT _ 67 Außer Straßen und Statuen brachten die Römer eine neue Art der Architektur in die Region. Das Forum von Waldgirmes war auf einem vermörtelten Steinfundament errichtet. Es ist der erste archäologische Nachweis für ein Steinfundament – überhaupt für ein Forum – aus augusteischer Zeit rechts des Rheins. Der Ausbau der Siedlung stand am Beginn einer geplanten Urbanisierung und war vermutlich noch nicht beendet, als die Bautätigkeiten am Ort abgebrochen und die Statuen zerstört wurden. Die Schlacht im Teutoburger Wald im Jahr 9 n. Chr. wird als eine der Ursachen für das Ende römischer Kolonisierungsversuche rechts des Rheins genannt, eine andere sei der Aufstand von Legionären und Veteranen am Rhein im Jahre 14 n. Chr. beim Regierungsantritt von Kaiser Tiberius gewesen – mit vielfältigen Wirkungen für die im Rechtsrheinischen lebenden Römer und Einheimischen gleichermaßen. In Waldgirmes hingegen dauerte die Besiedlung an und es wurden weiterhin kleinere Baumaßnahmen durchgeführt; hier führte die Niederlage 9 n. Chr. nicht zum Ende der Besiedlung. „Offenbar hielt die friedliche Kooperation zwischen der einheimischen Bevölkerung und den zugezogenen Römern im Lahntal auch weiterhin an“, sagt Rasbach. „Auch in der Zerstörungsschicht findet sich ein gleichbleibender Anteil einheimischen Fundmaterials.“ Aber der Plan, in den neu eroberten Gebieten Provinzialstrukturen einzuführen und eine neue politische Elite heranzubilden, die als Träger römischer Kultur und als Stützen römischer Herrschaft in der Region auftreten konnte, war gescheitert, als 17 n. Chr. Kaiser Tiberius die Truppen aus Germanien zurückrief und den Plan einer Provinz, die bis zur Elbe reichen sollte, aufgab. TITELTHEMA für die man in Waldgirmes Sockelfundamente gefunden hat, folgten vermutlich einem vorgegebenen Bildprogramm. „Dies würde erklären, warum in einer neu gegründeten Siedlung wie Waldgirmes, die noch nicht einmal fertig war, so früh schon eine Gruppe von Ehrenstatuen aufgestellt war bzw. aufgestellt werden sollte“, erläutert Gabriele Rasbach den erstaunlichen Fund. „Als ideelles Vorbild ist sicher die Bildausstattung des Augustus-Forums zu denken, das im Jahr 2 v. Chr. eingeweiht wurde“. Eine auf diese Weise städtisch geprägte Bildersprache und Architektur hatte aber nicht nur die möglicherweise dort siedelnden Römer als Zielgruppe. Auch die einheimische Bevölkerung des Lahntals sollte mit den Bildern Roms vertraut gemacht werden. „Lebensgroße Abbilder mit Porträtzügen hatte man hier im einheimischen Milieu bis dato noch gar nicht gekannt“, erklärt Rasbach. WALDGIRMES Die Siedlung in Waldgirmes war mit einer Holz-Erde Mauer und zwei vorgelagerten Spitzgräben befestigt und ursprünglich durch mindestens drei Tore erschlossen. Der Eingang der Wohngebäude befand sich zwischen zwei rechteckigen, gleich großen Räumen. Er führte in einen großen, annähernd quadratischen Raum im Zentrum des Hauses, der von schmaleren Räumen flankiert wurde. Eine rückwärtige Raumreihe schloss die Gebäude ab. PERLE MIT ÄGYPTISCHEM MOTIV Eine Besonderheit im Fundmaterial ist eine 1,5 cm große Mosaikglasperle, für die bisher keine direkten Vergleichsstücke bekannt Rekonstruktionen: Förderverein Römisches Forum Waldgirmes e. V., Lahnau sind. In die hellblaue opake Matrix der Perle KOOPERATIONEN FÖRDERUNG Landesamt für Denkmalpflege Hessen, Hessen- Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) eingelegt, die durch drei einfarbige hellgrün- Archäologie, Wiesbaden 1999–2013. opake Glasplättchen getrennt sind. Der schwarz- sind drei Bilder des ägyptischen Stiergottes Apis Bundesanstalt für Materialprüfung, Berlin weiß-gefleckte Stier steht in einem gelben Goethe-Universität Frankfurt a.M., Institut für Rahmen vor hellblauem Hintergrund, eine Archäologische Wissenschaften; Niedersächsi- Darstellungsweise, die an einen Schrein erinnert. sches Institut für Historische Küstenforschung, Apis trägt die Sonnenscheibe zwischen den Wilhelmshaven. Hörnern. Vor ihm steht ein kleines Räuchergefäß oder ein kleiner Altar, auf dem ein Opfer verbrannt wird. 68 _ ARCHÄOLOGIE WELTWEIT ARCHÄOLOGIE WELTWEIT _ 69 INTERVIEW Verbindung und Barriere Mittelmeerstudien gewinnen eine neue Bedeutung Die Straße von Gibraltar. Der Felsen von Gibraltar (li.) war die nördliche, Dschebel Musa (re.) die südliche Säule des Herakles. NASA INTERVIEW Prof. Dr. Felix Pirson ist Direktor der Abteilung Istanbul des DAI und Leiter der Pergamongrabung. Foto: Engels Die DFG hat ein Schwerpunktprogramm „Häfen“ mit mehr als 30 Teilnehmern – darunter das DAI – aufgelegt, das European Research Council bewilligt groß angelegte Projekte zur Erforschung römischer Häfen, das DAI wird zusammen mit der Ruhr-Universität Bochum bei der Jahrestagung der European Association of Archaeologists 2014 in Istanbul eine Sektion zu mediterranen Studien beantragen – ein bedeutender Teil der akademischen Welt scheint sich gerade an den Ufern des Mittelmeers einzufinden. Warum ist das so? Die Forschungsrichtung ist natürlich nicht völlig neu, aber seit dem Ende des Kalten Krieges hat sie einen Aufschwung erfahren und an Aktualität gewonnen. Eine der neuen Konfliktlinien ist eine gedachte Grenze zwischen ‚Orient’ und ‚Okzident’, die genau durch das Mittelmeer hindurch verläuft. Dabei ist es interessant zu sehen, dass sich der heutige Blick auf die Region so völlig von demjenigen der Antike unterscheidet. Man sah im Mittelmeer nicht die Barriere oder die zu schützende Grenze, die es heute scheinbar ist. Weder die Phönizier noch die Griechen oder die Römer konnten ins Mittelmeer eine Grenze hineinprojizieren. Und auch später im Osma- nischen Reich sah man es eher als Verbindung denn als trennendes Element. Das Mittelmeer ist traditionell einer der geographischen Schwerpunkte archäologischer Forschung. Welchen Zuschnitt haben in diesem größeren Zusammenhang die ‚mediterranen’ Studien am DAI? Das DAI hat über lange Zeit und in zahlreichen Vorhaben die Städte der Antike erforscht und tut dies noch. Schließlich gehört die Erforschung antiker Stadtkultur zu den zentralen Forschungsfeldern der Archäologie. Dabei müssen wir uns vor Augen halten, dass viele der bedeutenden Zentren der Antike Hafenstädte waren wie z. B. Karthago, Milet, Smyrna, Ephesos, Byzanz oder Alexandria. Doch überraschenderweise wurde dieser Tatsache als solcher bislang wenig Rechnung getragen, und seit der bahnbrechenden Dissertation Karl Lehmann-Hartlebens von 1923 und seiner Vertreibung 1933 wurde diese Forschungsrichtung nicht konsequent fortgesetzt. Lehmann-Hartleben untersuchte antike Hafenanlagen als Teile eines städtebaulichen Ganzen, betrieb also eine urbanistisch ausgerichtete Hafenforschung, die das Beziehungsgeflecht zwischen Hafenanlagen und Stadt ins Auge fasste. Ganz ähnlich wollen wir uns in einer Forschungsgruppe innerhalb des neuen DAIForschungsclusters „Connecting Cultures“ mit solchen Fragen beschäftigen. Wie definieren Städte am Meer ihr Verhältnis zum Hinterland? In welchem Maße richtet sich ihr Blick aufs Meer? Entwickeln sie zwangsläufig eine maritime Identität oder gibt es dazu auch Alternativen? Konkrete Forschungsprojekte des DAI sind über den gesamten Mittelmeerraum verteilt und werden nun in neuer Perspektive zusammenarbeiten. Wie Sie sagen, sind ‚Mittelmeerstudien’ nicht gänzlich neu. Der französische Historiker Fernand Braudel war ein großer Impulsgeber dieser Forschung. Wie hat sie sich seither entwickelt? ‚Mittelmeerstudien’ ist zunächst ein Begriff, der historische, archäologische und kulturwissenschaftliche Sachverhalte bearbeitet und verschiedene Fächer und Methoden unter einer geographischen Matrix miteinander verbindet. Braudel hat sehr stark geographisch argumentiert, wenngleich man sich davor hüten sollte, ihm eine Art Umweltdeterminismus zu unterstellen. Neuere Autoren wie Peregrine Horden und Nicholas Purcell gehen einen anderen Weg und erweitern dabei die Perspektive. Sie nehmen nicht mehr nur Städte allein in den Blick, sondern auch deren Hinterland als gemeinsamen und aufeinander bezogenen Ereignisraum der Geschichte. Insgesamt entwickeln sie die These, dass man die ‚Mikroökologien’ des Mittelmeerraums und ihre Vernetzung miteinander untersuchen muss, um die größeren historischen und kulturellen Entwicklungen der Region verstehen zu können. Der Mittelmeerraum zieht in der heutigen internationalen Politik häufig eine Art Aufmerksamkeit auf sich, die das Bild vom freundlichen Urlaubsziel voller erbaulicher Bildungserlebnisse durch Berichte über menschliches Leid, Flucht und Vertreibung überschattet. Kann man die Altertumswissenschaften nach Hinweisen befragen, wie man die Vergangenheit auch für diesen Teil der Gegenwart nutzbar machen könnte? Wenn man sich die Entwicklung des Mittelmeerraums ansieht und bedenkt, dass von hier aus im Zusammenwirken zahlreicher Kulturen entscheidende Impulse für die Menschheitsgeschichte ausgingen, drängt sich tatsächlich die Frage auf, ob die spezifische geographische und kultu- relle Konstellation des Mittelmeerraumes heute noch das gleiche Potential hat. Es gilt also nach Kontinuitäten, vor allem aber auch nach Brüchen zu fragen. Dabei spielt der Aspekt des Verkehrsraums und – damit verbunden – des politischen Raums eine wesentliche Rolle. Gerade heute ist es ja interessant herauszufinden, wann und warum das Mittelmeer eher als Verbindungraum oder eher als Hindernis wahrgenommen wurde. Mit anderen Worten, wir wollen herausfinden, wie in der Antike der Austausch von Ressourcen und Ideen und die Bewegung von Menschen funktionierte und welche Auswirkungen dies auf die Identität der Bewohner des Mittelmeerraums hatte. Auf dieser Basis ließe sich auch die heutige Situation distanzierter bewerten und erschiene nicht mehr als zwangsläufig gegeben, sondern als eine Option von vielen. Darin liegt ja gerade die Bedeutung der historischen Wissenschaften; sie sollten sich von den aktuellen Entwicklungen im Mittelmeerraum geradezu herausgefordert fühlen. Ansicht von Istanbul am Thrakischen Bosporus Foto: Vinent 70 _ ARCHÄOLOGIE WELTWEIT ARCHÄOLOGIE WELTWEIT _ 71 PORTRÄT Interdisziplinäre Kulturdiplomatie PORTRÄT „Moderne Archäologen sind in sich eine interdisziplinäre Spezies“, sagt Eszter Bánffy. Wenn die komplexe Aufgabe die Rekonstruktion antiker Gesellschaften ist, also Paläosoziologie im weitesten Sinne, brauchen sie schon als Basis einen weiten geistes- und sozialwissenschaftlichen Horizont. Das ist aber nicht genug – die Aufgabe ist gewaltig. Meistern kann man sie nur in der Zusammenarbeit mit anderen, ist Bánffy überzeugt. „Ohne Naturwissenschaften geht es nicht.“ Eszter Bánffy ist die neue Direktorin der Römisch-Germanischen Kommission des DAI in Frankfurt am Main. Eszter Bánffy ist seit 1. September 2013 neue Direktorin der Römisch-Germanischen Kommission des Deutschen Archäologischen Instituts in Frankfurt am Main. Sie studierte an der Eötvös Loránd Universität in Budapest englische Philologie, prähistorische und mittelalterliche Archäologie sowie Indologie und vergleichende indoeuropäische Sprachwissenschaft.1986 wurde sie wissenschaftliche Mitarbeiterin am Archäologischen Institut der Ungarischen Akademie der Wissenschaften, zu deren stellvertretender Direktorin sie 2008 gewählt wurde. Bereits drei Jahre zuvor wurde sie zum Doktor der Ungarischen Akademie der Wissenschaften promoviert, was einer Habilitation in Deutschland entspricht. 2012 schloss sie eine zweite Habilitation in der Geoarchäologie an. Eszter Bánffy, Geistes- und Naturwissenschaftlerin, weiß, wie wichtig das Gleichgewicht zwischen den Fächerkulturen ist. Als Mitte des 20. Jahrhunderts der naturwissenschaftlich geprägte Positivismus Einzug in die Sozialwissenschaften hielt und alles messbar werden musste, ging Komplexität verloren, ebenso wie in den postmodernen Formen der Archäologie, wo das Pendel ins andere Extrem umschlug, als Ausgrabungen fast als schädlich angesehen wurden und man nach weit verbreiteter Auffassung im Reich der Konstruktionen lebte. „Ich denke, die Kinderkrankheiten sind heute überwunden“, sagt Bánffy. „Aber sie waren wichtig, um die Abwehrkräfte zu stärken.“ Auch Traditionen, die man so heute nicht mehr fortsetzen würde, können in manchen ihrer Aspekte wertvoll und unverzichtbar für die Arbeit moderner Archäolo- gie sein. Die Zeit der Großsystematisierungen im 19. Jahrhundert brachte die großen Sammlungen hervor. „Es war die Zeit des Ordnens und Aufräumens“, erklärt die Archäologin. „Der Zeitgeist äußerte sich in diesen Formen, und es ist wichtig, den wertvollen Teil der mitteleuropäischen Tradition zu achten und für unsere heutige Arbeit nutzbar zu machen. Das heißt aber nicht, dass wir uns auf dieser Tradition ausruhen dürfen.“ Die mitteleuropäische Perspektive mit einem physischen Ort in Frankfurt am Main ist für die gebürtige Ungarin der ideale Ausgangspunkt für die Schaffung eines intellektuellen Zentrums mit kulturdiplomatischer Ausrichtung, das vor allem auch Osteuropa und Südosteuropa im Blick hat, Regionen mit reichen kulturellen Traditionen, die, wie Bánffy findet, bislang noch zu wenig Aufmerksamkeit auf sich gezogen haben. Ein dergestalt erweiterter internationaler Horizont ruft zudem etwas ins Gedächtnis, was in den guten Teilen der wissenschaftlichen Tradition gang und gäbe war: „Wir sollten mehr darauf achten, dass der Zugang zu anderen als der eigenen Muttersprache oder nur einer einzigen Fremdsprache wieder geläufiger und selbstverständlicher wird.“ Diese Art intellektueller Anstrengung erleichtert womöglich auch die mehr als schwierige Aufgabe, von den Selbstverständlichkeiten der eigenen Zeit ausgehend den Blick auf die antiken Kulturen zu lenken und dennoch zu verstehen, was gewesen sein könnte. „Wir haben oft sehr wenige Zeugnisse und müssen natürlich vorsichtig sein mit unseren Analysen“, gibt Bánffy zu bedenken. „Aber wir können Annäherungen finden.“ Doch nicht, um es dabei zu belassen. „Wir wollen die Vergangenheit verstehen, um für Gegenwart und Zukunft zu lernen“, erklärt die Archäologin. „Womöglich suchen wir heute nach Lösungen für Probleme, ohne zu wissen, dass sie schon längst existieren.“ Eszter Bánffy ist die erste Frau und die erste Nichtdeutsche auf dem hoch renommierten Direktorenposten der RömischGermanischen Kommission des DAI. Ganz selbstverständlich sind derlei Entschei- dungen im deutschen Wissenschaftsbetrieb immer noch nicht, umso mehr müsse man diesen Entschluss des DAI achten, findet die neue Direktorin. „Ich habe große Hochachtung und Respekt vor dieser fast spektakulären Entscheidung, an die Spitze dieses ehrwürdigen Instituts gewählt worden zu sein.“ Damit habe man gleich mehrere Stufen übersprungen – „eine tolle Dynamik“. Nicht ganz so alt, „ehrwürdig“ würde Eszter Bánffy es nicht nennen wollen, aber sehr berühmt und ebenfalls zu den besten seiner Art gehörend, ist eine „Einrichtung“, die auch in gewisser Weise der interdisziplinären Polyphonie verpflichtet ist. Das Budapest Festival Orchestra, gegründet 1983 von Iván Fischer, der nicht nur dessen Musikdirektor ist, sondern auch Chefdirigent des Berliner Konzerthausorchesters, gehört trotz seiner Jugend zu den zehn führenden Orchestern der Welt. Die Vorsitzende der „Budapest Festival Orchestra Association“ ist Eszter Bánffy. Die Römisch-Germanische Kommission des DAI in Frankfurt a. M. 72 _ ARCHÄOLOGIE WELTWEIT ARCHÄOLOGIE WELTWEIT _ 73 Philipp von Rummel ist neuer Generalsekretär des Deutschen Archäologischen Instituts. Foto: Obeloer „Der Posten des Generalsekretärs ist immer eine Position zwischen Politik und Wissenschaft“, sagt Philipp von Rummel. Die Fragen der Forschung wollen fächer- und abteilungsübergreifend weiterentwickelt werden und es gilt, das Institut in nationalen und internationalen Scientific Communities gut zu positionieren. Am 1. März 2014 trat von Rummel als Nachfolger von Ortwin Dally, der als Direktor nach Rom wechselte, sein Amt als neuer Generalsekretär des Deutschen Archäologischen Instituts an, Leiter der Wissenschaftlichen Abteilung der Zentrale und Vertreter der Präsidentin. Der neue Generalsekretär bringt ein hohes Maß an Erfahrung mit nach Berlin. Die großräumigen geopolitischen Entwicklungen der letzten Jahre brachten es mit sich, dass von Rummels Forschungsprojekte in Tunesien in die große Politik einbezogen waren. Der „arabische Frühling“ zeitigte die Transformationspartnerschaft der Bundesrepublik Deutschland mit der Tunesischen Republik. Und so erforderte das Management der Vorhaben – Grabungen, Museumsaufbau oder Durchführung von Summerschools für tunesische Wissenschaftler und Restauratoren – die kluge Vermittlung zwischen allen Beteiligten und deren Interessen auf mehr als einer Ebene. Philipp von Rummel studierte ab 1995 Urund Frühgeschichte, Klassische Archäologie und Alte Geschichte an den Universitäten in Freiburg und Basel sowie an der Humboldt- und der Freien Universität in Berlin. Mit einer Arbeit zum Thema „Habitus barbarus. Kleidung und Repräsentation spätantiker Eliten im 4. und 5. Jahrhundert n. Chr.“ wurde er 2005 an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg promoviert. Die Arbeit wurde mit dem „Juliana-AniciaPreis“ des Vereins für Spätantike Archäologie und Byzantinische Kunstgeschichte München ausgezeichnet. Seit 2006 war von Rummel wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Ur- und Frühgeschichte und Archäologie des Mittelalters der Universität Freiburg, seit 2008 wissenschaftlicher Referent der Abteilung Rom des DAI, wo er die Redaktion leitete und die Projekte der Abteilung in Nordafrika koordinierte. Doch begonnen hatte alles viel früher. „Versunkene Städte“ war die Lieblingslektüre der frühen Schulzeit. „Seitdem wollte ich Archäologe werden“, erzählt von Rummel, der schon seit der 10. Schulklasse an Ausgrabungen einer alemannischen Höhensiedlung auf dem Zähringer Burgberg in der Nähe von Freiburg teilnahm. Derart PORTRÄT Kluge Vermittlung romantisch gestimmte Anfänge archäologischen Forschergeistes sind bei aller Bedeutung für Lebensentscheidungen aber eben nur Anfänge. Sie treffen nicht wirklich den Kern dessen, was Archäologie heute leisten kann und soll: „In den meisten der Länder, in denen wir arbeiten, spielen historische Diskurse und die Selbstvergewisserung in der eigenen Geschichte eine ungleich größere Rolle als dies bei uns der Fall ist“, weiß von Rummel. „Dies gilt mehr noch in Zeiten des Umbruchs, in der die Menschen stabilisierende Anker suchen.“ In einer derartigen Situation kann es die Aufgabe der Archäologie sein, Konsolidierungsprozesse zu unterstützen. „Wir müssen dazu die ganze Expertise des Fachs zur Verfügung stellen.“ In den Gastländern wird die Arbeit der Archäologen auch in ihrem geschichtspolitischen Aspekt verstanden. Tatsächlich spielt das hierzulande gern kolportierte Spaten- und Pinsel-Image schatzsuchender Ausgräber in Ländern, die existentielle Problem zu meistern haben, keine Rolle, zumal es ohnehin eine Verzerrung der Realität ist. „Die Archäologie ist eine historisch arbeitende Wissenschaft, die sich modernster Methoden bedient, um ihre Forschungsfragen zu beantworten.“ Die Archäologinnen und Archäologen haben aber über die wissenschaftlichen Qualifikationen hinaus noch eine ganz andere Art der Expertise, weiß der Generalsekretär – auch aus eigener Erfahrung. „Viele der DAI-Wissenschaftler sind schon sehr lange vor Ort, haben exzellente Landes- und Sprachkenntnisse, sind perfekt vernetzt, hochgradig diplomatisch eingeübt und nicht zu vergessen: sehr willkommen.“ So wichtig die Vernetzung in der Politik ist, so unverzichtbar ist sie in der Wissenschaft, findet von Rummel. „Das heißt aber nicht, die Arbeit in Einzeldisziplinen geringzuschätzen.“ Denn erst sie bilden die Basis für die fächerübergreifende Zusammenarbeit. „Sehr häufig ist es die einzelne Forscherin oder der einzelne Forscher, der zuallererst die Vernetzung begründet, die schließlich in institutionelle und internationale Kooperationen mündet.“ Die Vielfalt in der Spezialisierung und dabei die Ermöglichung derjenigen Synergieeffekte, die moderne Archäologie braucht, um die komplexer werdenden Forschungsfragen bearbeiten zu können, ist für Philipp von Rummel eines der Alleinstellungsmerkmale des Deutschen Archäologischen Instituts. Ein Merkmal, das noch viel zu wenig bekannt ist, wie er findet. „Wer gut ist, darf auch darüber reden“. Dabei dürfe eine intensive Öffentlichkeitsarbeit aber nicht nur dem Ansehen des eigenen Hauses in der Öffentlichkeit dienen. Sie müsse auch Rechenschaft geben gegenüber der Gesellschaft, die im Wesentlichen die Existenz der Forschung und der Institutionen, in denen sie stattfindet, ermöglicht. „Kommunikation ist mehr als wichtig“, sagt Philipp von Rummel. „Nach außen wie nach innen.“ Doch auch die Kommunikation nach innen ist bei einem Institut, dessen Abteilungen und Forschungsstellen über die ganze Welt verteilt sind, keine kleine Herausforderung – aber eine, die Philipp von Rummel am Herzen liegt. „Wichtig ist ein starkes Team.“ Eine ganz andere Herausforderung könnte es sein, die ewige Stadt am Tiber gegen ein raues Spreeathen einzutauschen, die Wärme des Südens gegen beißenden Nordostwind … Aber wie bei so vielen Dingen im Leben und in der Archäologie spielt das Alter eine gewisse Rolle. „Rom ist eine wunderbare Stadt“, sagt Philipp von Rummel. „Aber Berlin ist vielfältig, agil und lebendig – und auch ein bisschen jünger als Rom.“ Die DAI-Zentrale in Berlin. Links das Wiegand-Haus von 1912, rechts das Bittel-Haus von 1976 74 _ ARCHÄOLOGIE WELTWEIT ARCHÄOLOGIE WELTWEIT _ 75 ALLTAG ARCHÄOLOGIE Vom Steinmetz haarfein vorgerissene Buchstaben Myra, das heutige Demre, ist eine antike Stadt in Lykien in der Türkei, Provinz Antalya. Fotos: Schuler Die DAI-Epigraphiker haben die Steine mit Papier „beklebt“, um später auf den Abklatschen die Inschriften besser lesen zu können. DER ABKLATSCH Eine Lesekunst der erhabenen Art Die Blicke des Epigraphikers ruhen auf einem Stück Papier, das dem Laien erscheint wie ein Stück Raufasertapete. Es hat vielleicht die Größe eines DIN A 3-Bogens, und es könnte die Antwort auf eine der ungelösten Fragen der Archäologie tragen. Epigraphiker, Spezialisten für Inschriften, sind Schriftgelehrte mit ganz besonderen Fähigkeiten. Sie können das – im materiellen Wortsinn – erhabene Chaos der Raufasertapete als Buchstaben erkennen und entziffern. Ihre Lektüre haben sie aus Griechenland oder aus der Türkei mitgebracht, wo sie dem handwerklichen Teil ihres Berufs nachgingen und Abklatsche nahmen, wie viele ihre Kollegen vor ihnen. 76 _ ARCHÄOLOGIE WELTWEIT Viele Zeugnisse der Antike sind für immer verloren, erodiert in Wind und Wetter oder durch die Expansion moderner urbaner Strukturen verschwunden. So bleiben aus Zeiten, in denen weder die technischen Möglichkeiten des Kulturerhalts noch ein entsprechendes Bewusstsein sehr ausgeprägt waren, ausgerechnet empfindliche Papiere oft die einzigen Dokumente, überliefert von früheren Forschern, von Inschriftensteinen, die heute verloren sind. S T E I N , PA P I E R U N D B Ü R S T E Mit Papier und Bürste machen sich die Epigraphiker auf zu Steinen und Statuenbasen mit Inschriften, die noch einmal gelesen und schließlich dokumentiert sein wollen. Hier kommt Papier zum Einsatz, das sehr saugfähig und reißfest sein muss. Sie durchtränken es mit Wasser und legen es auf den Stein. Die großen Blasen werden mit der Hand ausgestrichen, dann kommt die Spezialbürste zum Einsatz, eine kräftige Rosshaarbürste mit besonders dichten Borsten. Mit dieser Bürste klatschen die Epigraphiker das Papier mehrmals hintereinander mit genau dosiertem Druck auf den Stein, bis es jede Kontur geschmeidig umschlossen hat. Nach dem Trocknen nimmt man das erstaunlich widerstandsfähige Papier ab und erhält ein sehr genaues Negativ der Inschrift – bei schlecht erhaltenen Texten ein unschätzbares Hilfsmittel für die Entzifferung. „Es dauert eine Weile, bis man gelernt hat, auf einem Abklatsch etwas zu entziffern“, sagt Christof Schuler, Direktor der Kommission für Alte Geschichte und Epigraphik des Deutschen Archäologischen Instituts in München. Es ist ja nicht nur die Unübersichtlichkeit, die den Laien rätseln lässt, wie man so etwas jemals lesen kann. Will man sich die erhabene, besser sicht- bare Seite des Abdrucks zunutze machen, muss man auch noch seitenverkehrt lesen. „Oft sind es endlose Stunden, die man mit Abklatsch und Lampe am Schreibtisch verbringt, bis schwer lesbare Texte entziffert und schließlich veröffentlicht werden können“, beschreibt der Epigraphiker das mühsame und komplizierte Unterfangen. N E U E S A B K L AT S C H M AT E R I A L Digitale Fotografie, aber auch komplexere Techniken wie Laserscans, bieten heute neue Möglichkeiten der Dokumentation und der Entzifferung von Inschriften. „Den Papierabklatsch als zentrales Dokumentationsinstrument können die neuen Methoden aber nicht verdrängen“, sagt Schuler. „Jedenfalls im Moment noch nicht.“ Für die Herstellung von Abklatschen werden heute immer wieder auch andere Materialien wie Latex oder Silikon verwendet, bleiben aber marginal, da gewissen Vorteilen auch erhebliche Nachteile gegenüberstehen. Latex-Abklatsche sind nicht lagerungsbeständig und eignen sich deshalb nicht für die langfristige Dokumentation. Silikone erfordern einen größeren logistischen Aufwand etwa für den Transport des Materials, der aber in abgelegenen Regionen nicht ARCHÄOLOGIE WELTWEIT _ 77 Auch ohne Abklatsch lesbar, aber ein Puzzlespiel: Brief des Kaisers Hadrian an die Pergamener. Die Kommission für Alte Geschichte und Epigraphik verfügt über eine bedeutende Sammlung, insbesondere zu den Inschriften von Pergamon, einer der wichtigsten Langzeitgrabungen des DAI, aber auch aus mehreren anderen antiken Städten Kleinasiens. Foto: Müller ... der Regen dauerte jetzt auch tagsüber an Prof. Dr. Christof Schuler ist Direktor der Kommission für Alte Geschichte und „(Wir zogen …) den wild zerklüfteten Felsberg zwei Stunden aufwärts an meinen Bestimmungsort Gjölbaschi, dessen landschaftliche Reize alle Beschwerden des Aufstiegs sofort vergessen machten. Wir fanden hier in der von der Expedition noch vorhandenen Bretterbaracke nothdürftige Unterkunft, und nachdem durch einen aus Kasch herbeigeholten Zaptieh (Polizist) Schwierigkeiten mit dem türkischen Nachbarn gelöst worden waren, verliessen mich am 3. December Herr Graf Lanckoroński und Dr. von Luschan. (…) Leider war aber auch die schlechte Jahreszeit vollends hereingebrochen, und der Regen dauerte jetzt auch tagsüber als sanfter Landregen fort. (…) Unter gleichmässig fortdauernder ungünstiger Witterung, bei der gleichwohl die Arbeit nur bei heftigem Sturm und Gussregen für kurze Zeit unterbrochen wurde, liessen sich bis 18. December (…) 11 theilweise fragmentierte Inschriften entdecken, welche ich so lange es gieng auf dem einzig trockenen Raume unter meinem Feldbette, den ich durch rings um das Bett gezogene Wassergräben schützte, unterbrachte. An dieser Stelle wurde es mir aus Mangel an Beleuchtung schwer, die schwerer lesbaren Inschriften ganz zu copieren; ich verlegte mich daher darauf, möglichst viel Abklatsche von allen zu erzielen, bewahrte dieselben an dem gleichen Orte und flüchtete mich erst, als ich sah, dass auch mein Bett den untern Raum vor Nässe nicht mehr schützen konnte, in die nahe Behausung des Anfangs so feindlichen Türken.“ Epigraphik des DAI in München. Foto: Vedder D E R A L LTA G D E R F E L D A R B E I T „Die Anfertigung von Abklatschen erfordert ein wenig Übung, kann aber von jedermann erlernt werden. Die Feldarbeit hält jedoch auch für erfahrene Forscherinnen und Forscher immer wieder neue Probleme bereit. Reicht die Abendsonne noch aus, um das Papier zu trocknen, bevor es dunkel wird? Ist es windstill genug, um von der Leiter aus das Papier zu bändigen und auf den Stein in der Stadtmauer zu bringen? Werden die Ziegen ihre Neugier und ihren Appetit im Zaum halten, oder muss der trocknende Abklatsch durchgehend bewacht werden? Auch wenn man nicht gern darüber spricht: So mancher Bogen ist schon zerknüllt in der Macchia gelandet. Und auch wenn wir heute nicht mehr wie die Forschungsreisenden des 19. Jahrhunderts auf Maultiere oder Pferde zurückgreifen oder gar Räuberüberfälle fürchten müssen, ist es gelegentlich noch nötig, die Ausrüstung, insbesondere den Wasservorrat, in längeren Wanderungen zum Fundort zu tragen und die fertigen Abklatsche vorsichtig aus Gebüsch und Dornen herauszubringen. Zurück Bericht des jungen Gelehrten Eduard Gollob aus Graz von epigraphischen Forschungen im Dezember 1882 in der antiken Siedlung von Trysa (Gölbaşı) in der südwestlichen Türkei In: Archaeologisch-epigraphische Mitteilungen aus Oesterreich 7, 1883, 140f. am Schreibtisch, entschädigt die Arbeit mit den Texten und der langfristige wissenschaftliche Wert der papiernen Dokumentation alle Mühen.“ Christof Schuler Die Abbildungen stammen aus Patara, der bedeutenden Hafenstadt in Lykien, deren Ruinen seit 1988 unter der Ägide der AkdenizUniversität Antalya ausgegraben werden. Dabei sind bisher über 500 griechische und teilweise auch lateinische Inschriften gefunden worden, die von der Kommission für Alte Geschichte und Epigraphik und der Forschungsstelle Asia Minor Klaus Zimmermann (Universität Münster) stellt einen Abklatsch her. an der Universität Münster in Kooperation bearbeitet werden. 78 _ ARCHÄOLOGIE WELTWEIT Fotos: Schuler ARCHÄOLOGIE WELTWEIT _ 79 ALLTAG ARCHÄOLOGIE immer gewährleistet werden kann. Der Vorteil der Kunststoffe besteht aber darin, dass sie die beschriftete Steinoberfläche besonders exakt abbilden und damit auch feinste Details festhalten. Wenn zudem die Inschriften bei der späteren Wiederverwendung der Steine in Positionen vermauert wurden, an denen man mit Papier und Bürste nichts ausrichten kann, kommen die Kunststoffe zum Einsatz, die man auch auf engstem Raum aufgetragen und nach dem Aushärten leicht abnehmen kann. Wenn die Abklatsche entziffert sind, beginnt der nächste Teil der Arbeit. Der Inhalt der Inschriften muss interpretiert und in den richtigen übergeordneten Kontext eingebettet werden. „In der Regel ergibt es zusammen mit historischen und archäologischen Befunden ein sinnvolles Ganzes“, sagt Schuler. „Ohne fächerübergreifende Zusammenarbeit geht es nicht.“ STANDORT STANDORT Baugeschichte Das Architekturreferat an der Berliner Zentrale Schon in der 1799 gegründeten Berliner Bauakademie stand die Antike auf dem Lehrplan, und bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts waren viele Architekten in der Architekturgeschichte und in der Archäologie gleichermaßen bewandert. Oft waren es die Grenzgänger zwischen Architektur, Kunstgeschichte und Archäologie, welche die Altertumswissenschaften in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts maßgeblich mit vorantrieben. 1973 hat das Deutsche Archäologische Institut (DAI) diese lange Tradition mit der Gründung des Architekturreferats an der Berliner Zentrale institutionalisiert. Im letzten Jahr feierte das DAI das 40-jährige Bestehen des Referats mit der Ausstellung „Antike Architektur im Blick“, die im Oktober und November 2013 in der Berliner Urania zu sehen war. Das Referat ist Anlaufstelle für die Bauforscher an allen Standorten des DAI sowie weitere an Institutsprojekten beteiligte Architekten. Es integriert die historische Bauforschung und die Altertumswissenschaften in zahlreichen Forschungsprojekten seiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die zudem häufig in Kooperation mit in- und ausländischen Universitäten und Forschungsinstituten durchgeführt werden. An deutschen Universitäten ist die archäologische Bauforschung ein Allein- 80 _ ARCHÄOLOGIE WELTWEIT stellungsmerkmal altertumswissenschaftlicher Ausbildung, die in den gestiegenen Herausforderungen beim Erhalt des kulturellen Erbes auf internationaler Ebene eine immer wichtigere Rolle spielt. An den berühmten deutschen Großgrabungen waren neben den „Philologen“ immer auch die „Praktiker“ beteiligt. So nahm beispielsweise der Archäologe Ernst Curtius 1871 den Architekten Friedrich Adler nach Kleinasien mit, und als 1875 unter Curtius’ Leitung die Arbeiten in Olympia begannen, war der Architekt maßgeblich an den spektakulären Ausgrabungen und ihren Publikationen beteiligt. Auch in den aktuellen Vorhaben des Referats arbeiten Architekten, Bauhistoriker und Archäologen fächerübergreifend zusammen. Zu ihnen zählen neben den Untersuchungen zu den Kaiserpalästen auf dem Palatin in Rom und dem spätantiken Kaiserpalast Felix Romuliana beim heutigen Gamzigrad in Ostserbien auch die Untersuchungen zu den Stadtmauern von Pergamon und zur Oase Tayma in Saudi-Arabien sowie zum sogenannten Şekerhane Köşkü, dem vermuteten Kenotaph des Kaisers Trajan in Selinus in der Türkei sowie zu onduliernden Lehmziegelmauern im pharaonischen Ägypten, die Porta Nigra, ein römisches Stadttor in Trier oder ein Basarviertel in Erbil im Nordirak. Neben der Weiterentwicklung von Vermessungs- und Visualisierungsmethoden in der archäologischen Bauforschung wird vom Architekturreferat derzeit auch die Fotothek der Zentrale betreut. Das Interesse an der Planung, Entstehung und der Funktion historischer Bauwerke in ihrem gesellschaftlichen Kontext ist ungebrochen. Zur Darstellung und Vermittlung wissenschaftlicher Befunde wird daher im Architekturreferat ein breites Spektrum an modernsten Graphik- und Visualisierungsmethoden eingesetzt. Das Architekturreferat lädt in lockerer Folge zu den „Diskussionen zur Archäologischen Bauforschung“ nach Berlin ein; in der gleichnamigen Reihe werden sie auch publiziert. Sie sind eine wichtige Plattform des Austauschs ebenso wie die zahlreichen Veranstaltungen, Vorträge und Tagungen, die das Architekturreferat des Deutschen Archäologischen Instituts durchführt. Die Ausstellung „Antike Architektur im Blick“ wird vom 3. Juni bis zum 25. Juli 2014 im Wissenschaftszentrum Bonn gezeigt. Zur Ausstellung gibt es eine reich bebilderte Broschüre. A R C H ÄO LO G I E W E LT WEIT Die Standorte des Deutschen Archäologischen Instituts Berlin Kairo Bonn Jerusalem München Amman Frankfurt am Main Sana‘a Peking Bagdad Damaskus Ulaanbaatar Teheran Athen Istanbul Rom Lissabon Madrid www.dainst.org/de/department/bauforschung [email protected] ARCHÄOLOGIE WELTWEIT _ 81 Unterwegs DANK Dank an Melanie Jonasch, die als Das Reisestipendium des Deutschen Archäologischen Instituts Wissenschaftiche Referentin am DAI PANORAMA die Reisestipendiaten betreut sowie an Antje Krug, ehemals am DAI für das Reisestipendium zuständig und Reisestipendiatin 1969/70. PANORAMA Die Reise war der Abschluss der Erziehung, sie sollte der Bildung des Reisenden den „letzten Schliff“ geben. Die Ziele waren bedeutende europäische Kunststädte mit ihren Baudenkmälern vor allem aus der Antike. Sie reisten durch malerische Landschaften und lernten Kultur und Sitten fremder Länder kennen, sollten neue Eindrücke sammeln und für das weitere Leben nützliche Verbindungen knüpfen. Die „Grand Tour“ des englischen Adels erlebte gegen Ende des 17. Jahrhunderts einen Aufschwung, als sie zu einer Art Initiationsritus zur Aufnahme in die kultivierte Gesellschaft wurde. Die jungen Männer, die auf diese Art ihren Horizont erweitern sollten, waren in der Regel zwischen 17 und 21 Jahren alt. In Ratgebern und Reisetagebüchern wurden Empfehlungen über die Wegstrecke gegeben, Sehenswürdigkeiten, Sitten, die notwendige Kleidung, die Apotheke und Lektüre besprochen sowie wichtige Sätze und Vokabeln als Hilfe verzeichnet. Die Empfehlungen zur Wegstrecke, Öffnungszeiten von Museen und Behörden und ähnliche nützliche Tipps werden in Kürze von den Reisenden direkt in einen internetbasierten Gazetteer eingegeben oder sie posten ihren Standort und ihre Erlebnisse in Echtzeit auf facebook. Die Rede ist von denjenigen Reisenden, die ebenfalls mit einer großen Tour ihre „Erziehung“ abschließen, ihren Horizont erweitern und ihre Kenntnisse abrunden sollen, dabei aber in einer ganz anderen Tradition stehen – den Empfängern des Reisestipendiums des Deutschen Archäologischen Instituts, das seit 1859 vergeben wird. Als Alexander Conze, zusammen mit Adolf Michaelis der erste Stipendiat im Gründungsjahr aus Kleinasien nach Hause schrieb, dass er sich einen bewaffneten Diener gemietet habe, war die Post viele Wochen unterwegs. Auf dem Weg in eine glänzende archäologische Zukunft (v. l.): Christoph Börker, Tonio Hölscher und Jan Assmann auf der Römerstraße von Antiochia nach Chalkis. Aufgenommen von Wolf-Dieter Heilmeyer. Reisestipendium 1966/67 Börker, Hölscher und Heilmeyer wurden Professoren für Klassische Archäologie, 40 Jahre später. Gagnon Assmann Professor für Ägyptologie. 82 _ ARCHÄOLOGIE WELTWEIT ARCHÄOLOGIE WELTWEIT _ 83 Samosata am Euphrat Moderne Verkehrsforscher würden von PANORAMA Mobilitätskonvergenz sprechen: Wo das Auto selbst nicht weiterkommt, muss es aufs Boot umsteigen. Ein Käfer überquert den Euphrat bei Samosata im Südosten der heutigen Türkei und wird noch auf einem Stück des Weges begleitet. Einst war Samosata Station an der Route von Damaskus über Palmyra und Sura nach Armenien und ans Schwarze Meer. Als Kummuhu wurde der Ort ursprünglich von den Hethitern gegründet. Um 160 v. Chr. wurde Samosata hellenistisch, benannt nach Samos II., dem Herrscher des Königreichs Kommagene. 72 n. Chr. wurde Samosata römisch. Fotos: Heilmeyer Djebel Aruda in Syrien Der Blick auf den Euphrat 40 Jahre später. Aufgenommen von Jens Pflug, Reisestipendiat 2007/2008, heute im Architekturreferat des DAI an der Berliner Zentrale. Bei Melanie Jonasch, als Wissenschaftliche Referetin zuständig für das Reisestipendium, liegt ein dicker Ordner voller Reiseerlebnisse und nützlicher Tipps, dessen Inhalt nach und nach in Datenbanken eingepflegt wird, sofern er noch aktuell ist. Vieles verändert sich heute schneller als früher, zumal in vielen der klassischen Reiseländer der Archäologen. Internet ist überall. So kommt das Meiste per Mail und muss nicht mehr gescannt werden. Es erleichtert die Arbeit, so wie die heute fast überall funktionierenden Kreditkarten oft sogar in abgelegenen Gegenden den Geldverkehr erleichtern. „Im Allgemeinen halten sich die Stipendiaten über einen längeren Zeitraum im Kulturraum der Klassischen Antike, also dem Mittelmeerraum, aber auch Vorderasien, auf“, heißt es in der Ausschreibung zum Stipendium, und sie sollen dabei „einen Eindruck von den Ländern und der Kultur, besonders aber den archäologischen und historischen Stätten und Zeugnissen“ gewinnen. Der Beginn des Reisestipendiums des Deutschen Archäologischen Instituts fällt in eine Zeit, in der schließlich vor allem die Bürger – nicht mehr allein der Adel – im Geiste der Aufklärung fremde Länder bereisen. Karl Baedecker und Thomas Cook entdecken Mitte des 19. Jahrhunderts einen neuen Markt, 1863 eröffnet Carl Stangen in Breslau das erste Reisebüro Deutschlands. Seit 1873 bot es Reisen nach Ägypten an und schon 1878 Reisen um die ganze Welt. Bei Künstlern und Intellektuellen hatte die Besichtigung antiker Stätten in Italien schon seit dem Spätmittelalter Tradition, die nachweislich bevorzugten touristischen Reiseziele in der Antike waren Griechenland, Süditalien mit Sizilien und dem Golf von Neapel, Kleinasien mit den vorgelagerten Inseln sowie Ägypten und seit dem Ende der Republik die Hauptstadt des Römischen Reichs. 84 _ ARCHÄOLOGIE WELTWEIT In der Nähe von Leptis Magna in Libyen – Tank voll für sieben Dinar, umgerechnet 3,75 € Foto: Jens Pflug Wadi Rum Auch hier könnte alles voller Wasser sein und die Gegend unpassierbar machen. Das Wadi Rum ist das größte Wadi in Jordanien. Ein Wadi ist ein trockener Flusslauf, der nur nach starken Regenfällen vorübergehend Wasser führt. Als Schutzgebiet mit einer Fläche von 74.000 Hektar wurde das Wadi Rum 2011 in die Welterbeliste der UNESCO aufgenommen. Seit prähistorischen Zeiten war die Region von vielen Kulturen bevölkert, die ihre Spuren hinterließen. Foto: Heike Lehmann, Reisestipendium 2005/6 2 ARCHÄOLOGIE WELTWEIT _ 85 PANORAMA graphik sowie die Kommission für Archäologie Außereuropäischer Kulturen vergeben Stipendien in eigener Regie. Die Anzahl der Stipendien richtet sich jeweils nach den zur Verfügung stehenden Mitteln und der Zahl und Qualität der Bewerber. Das Reisestipendium wurde schnell zu einem äußerst nachhaltigen Instrument des DAI bei der wissenschaftlichen Nachwuchsförderung. Ein Großteil der späteren Hochschullehrer vor allem in der Klassischen Archäologie war Inhaber des Stipendiums. Abteilungsdirektoren, Generalsekträre, Präsidenten und Präsidentin und zahlreiche Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des DAI waren ebenfalls mit einem der renommiertesten Stipendien im deutschen Wissenschaftsbetrieb auf Reisen. Wo immer sie sind, müssen die Geförderten an den wissenschaftlichen Veranstaltungen der Auslandsabteilungen des DAI teilnehmen, und auch hier treffen sie Kolleginnen und Kollegen, die erzählen, wie das Reisen, das Land und die Leute zu ihrer Zeit waren. Römisch-französisch-griechisch-keltisch. Glanum in der Provence ist eine der bedeutendsten römischen Grabungen in Frankreich. Hier war die Fortbewegungsart eher landgebunden, befestigt mit Stein und Mauer. Als Glanum im 1. Jh. v. Chr. römisch wurde, war es schon eine „alte“ Stadt. Bei der ersten Auslobung des DAI-Stipendiums wurden zunächst zwei Förderungen vergeben, vorrangig an Klassische Archäologen. Mit einer Satzungsänderung des DAI im Jahre 1874 wurden fünf Stipendien eingerichtet, vier für Klassische Archäologen (damals häufig auch Philologen) und eines für einen Christlichen Archäologen. Die erste Stipendiatin war 1908 die Theologin Carola Barth – noch gegen die Einlassung mancher Institiutsmitglieder („ (…) meiner Ansicht nach sind Frauen mit den Aufgaben des Instituts, wie sie in § 1 formuliert sind, ebenso unvereinbar, wie die Zulassung der Frauen zur Habilitation mit den Interessen der Universitäten.“), der eine Einlassung indessen, die vom ersten Sekretär Wilhelm Dörpfeld mit dem Hinweis auf „erfolgreich grabende (auch in Leitungsfunktion) und publizierende Damen aus dem angelsächsischen Sprachraum“ abschlägig beschieden wurde. Als allerdings knapp 20 Jahre später das erste Stipendium für Bauforscher ausgeschrieben wurde und der Generalsekretär den Architekturabteilungen der Technischen Hochschulen Deutschlands mitteilt, dass ein Reisestipendium für einen Architekten auf dem Gebiete der Bauforschung des Altertums zur Verfügung stünde, richtet sich dieses ausdrücklich an „Herren“. Seit 1927/28 werden auch Prähistoriker mit einem von der Römisch-Germanischen Kommission vergebenen Stipendium gefördert, und auch die Kommission für Alte Geschichte und Epi- 86 _ ARCHÄOLOGIE WELTWEIT Die am besten erhaltene römische Ausgrabung in Marokko wurde 1997 zum UNESCO-Weltkulturerbe erklärt. Volubilis war ein wichtiger Außenposten am westlichen Rand des Imperiums, mutmaßlich auf einer ehemals punischen Siedlung errichtet. Erste menschliche Spuren reichen aber bis ins Neolithikum zurück. Fotos: Melanie Heinle, Reisestipendium 2013/14 ARCHÄOLOGIE WELTWEIT _ 87 IMPRESSUM Archäologie Weltweit Magazin des Deutschen Archäologischen Instituts 2. Jahrgang / 1 2014 H E R AU S G E B E R Deutsches Archäologisches Institut www.dainst.org T E X T, R E D A K T I O N U N D O R G A N I S AT I O N Wortwandel Verlag Susanne Weiss www.wortwandel.de G E S TA LT E R I S C H E S K O N Z E P T SCHÜTZ BRANDCOM Agentur für Markenkommunikation GmbH S AT Z U N D L AYO U T www.heilmeyerundsernau.com DRUCK Königsdruck | Alt-Reinickendorf 28, 13407 Berlin, www.koenigsdruck.de VERTRIEB Deutsches Archäologisches Institut Presse- und Öffentlichkeitsarbeit Nicole Kehrer 1PECJFMTLJBMMFFot#FSMJO QSFTTF!EBJOTUEFtXXXEBJOTUPSH 88 _ ARCHÄOLOGIE WELTWEIT AN DACHTSO R TE, HANDELSZ E N TR E N, T HIN K TANKS, SP O R TSTA D IE N UND IN FO R M ATIO N SB Ö R SE N Die Enthüllung der römischen Monumentalskulptur im türkischen Bergama fand im September des Jahres 2013 statt. Natürlich wurde mehr enthüllt als „nur“ eine Statue, die in einem Vorhaben der Abteilung Istanbul des Deutschen Archäologischen Instituts mit Unterstützung der Studiosus Foundation restauriert worden war. Enthüllt wurde wieder einmal die komplexe Bedeutung eines Heiligtums. Hier ist es ein riesiger römischer Vielgöttertempel im einst griechischen Pergamon in Kleinasien. Sachmet, die Enthüllte, ist aber weder eine römische noch eine griechische Gottheit. Sie stammt aus Ägypten. Hadrian, römischer Kaiser und Bauherr des Tempels, fand während seiner Reise an den Nil Gefallen an den Darstellungen der Gottheiten und wünschte sie sich als gewaltige Stützfiguren für ein hoch aufragendes Tempeldach – um einen ehrfurchtgebietenden Ort zu schaffen für Götterverehrung und Kaiserkult. Mehr Enthüllungen im nächsten Heft. ARCHÄO LO G I E W ELT W EIT In der nächsten Ausgabe von Archäologie Weltweit Orte in dieser Ausgabe Spanien, Los Castillejos de Alcorrín. Reportage, Seite 12 Arabische Halbinsel, Weihrauchstraße. Titelthema, Seite 36 Peru, Palpa. Cultural Heritage, Seite 20 Das Mittelmeer und seine Anrainer. Titelthema, Seite 36 Russische Föderation, Kimmerischer Bosporus, Deutschland, München. Alltag Archäologie, Seite 76 Taman-Halbinsel. Landschaft, Seite 28 Türkei, Thrakischer Bosporus. Landschaft, Seite 28 Tadjikistan, Duschanbe. Das Objekt, Seite 34 Berlin, Zentrale des Deutschen Marokko, Essaouira. Titelthema, Seite 36 Archäologischen Instituts HEILIGTÜMER DA S T ITE L B I L D Eine kleine Insel vor der marokkanischen Atlantikküste – in der Antike noch eine Landzunge – war der Treffpunkt der westphönizischen Seehandelsroute mit einer afrikanischen Karawanenstraße. Hier wurde gekauft und getauscht, man erzählte sich Geschichten und berichtete einander die neuesten Nachrichten aus allen Ecken der Welt. Die begehrten Güter waren Fisch in großen Mengen, Elfenbein, Metalle, exotische Tiere, das bernsteinähnliche Harz von Thuja berberiska/citrus und kostbare Spezereien. Unser Titelbild zeigt Essaouira, die Stadt auf dem Festland. Sie wurde bis in die sechziger Jahre hinein ‚Hafen von Timbuktu’ genannt. Immer noch trafen hier die Karawanen aus dem afrikanischen Hinterland ein, und alle europäischen Handelsmächte unterhielten Konsulate in der Kleinstadt an der Küste. Archäologie Weltweit – Zweiter Jahrgang – Berlin, im April 2014 – DAI Wenn wir unser kulturelles Erbe erhalten wollen, brauchen wir Ihre Unterstützung. TWG 1 t 2014 Wie Sie uns helfen Ausschnitt aus einer Wandmalerei mit der Darstellung eines Frauenkopfes. 13. Jh. v. Chr. Foto: A. Papadimitriou: Tiryns. Historischer und archäologischer Führerw, Athen 2001 können, sehen Sie hier: W W W. T W G E S . D E Gesellschaft der Freunde des Deutschen Archäologischen Instituts Theodor Wiegand Gesellschaft e.V. Wissenschaftszentrum Bonn Der Zahn der Zeit nagt an den Antiken, unser Kulturerbe ist an vielen Stellen gefährdet und muss restauriert werden. Ahrstraße 45, 53175 Bonn Zwischen 1400 und 1200 v. Chr. entstand im Süden des Peloponnes ein stark befesDorothea Lange tigter Palast mykenischer Art, eine Art Musterzitadelle, deren mächtige Mauern noch Tel.: +49 228 30 22 64 lange sichtbar blieben: Tiryns. Lebhaft farbige Fresken von großer Schönheit zeigten Fax: +49 228 30 22 70 dem Besucher das, was ihn selbst herführte: eine Prozession zum Allerheiligsten im [email protected] Zentrum des Palastes. Heinrich Schliemann initiierte 1876 den ersten Zyklus von Ausgrabungen in Tiryns Theodor Wiegand Gesellschaft – er währte bis 1920. Das DAI nahm 1967 die Grabungen wieder auf. Neue Maßstäbe Deutsche Bank AG, Essen in der Erforschung des Ortes setzte dabei die von Klaus Kilian geleitete Großgrabung Konto Nr. 247 194 400 in der Unterburg von 1976 bis 1983, durch welche die Nutzung und die Konzeption BLZ 360 700 50 der Bebauung dieses Siedlungsteiles in mykenischer Zeit geklärt werden konnte. Seit oder 1994 leitet Joseph Maran, Universität Heidelberg, das Vorhaben im Auftrag des DAI. Sparkasse Köln-Bonn 1999 erweckten Neufunde von Wandmalereien erneut das Interesse an den Fresken, Konto Nr. 290 058 08 die bereits 1910 im Schutt gefunden worden waren – besonders, nachdem sie mit den BLZ 370 501 98 Altfunden, die durch Gerhart Rodenwaldts Publikation bekannt geworden waren, in Zusammenhang gebracht werden konnten. Ihre Spenden sind steuerbegünstigt. Vielen Dank! TITELTHEMA 2009 konnte die Restaurierung der Altfunde abgeschlossen werden. Nun steht die restauratorische Arbeit an den Neufunden an. www.dainst.org VERNETZTE WELTEN Mobilität, Migration und Handel in der Antike R E P O R TA G E S TA N D P U N K T INTERVIEW Phönizisch-Iberisches Joint Venture Vernetzte Forschung – Vernetzte Welten Verbindung und Barriere – Mittelmeerstudien mit neuer Bedeutung