Guter Start ins Kinderleben
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Guter Start ins Kinderleben
Guter Start ins Kinderleben – theoretische Grundlagen und Einführung in das Modellprogramm Ute Ziegenhain Tagung des Kinder- und Jugendpsychiatrischen Dienstes und der Kommission für Gesundheitsförderung, Prävention und Sucht, Kanton Thurgau 5. November 2010, Münsterlingen Gliederung Die Ausgangssituation: Vernachlässigung als zentrales Risiko Kinderschutz beginnt mit Prävention Elterlicher Beziehungs- und Erziehungskompetenzen als wichtiger Ansatzpunkt Vernetzung als zentrales Problem und Ansatz der Verbesserung Fazit Die Ausgangssituation Vernachlässigung als zentrales Risiko; Ziel: kindliche Basisbedürfnisse sicherstellen Familienbeziehungen insbesondere Feinfühligkeit in der Eltern- Kind- Interaktion als wichtiger familienbezogener Ansatzpunkt Vernetzung als zentrales Problem und Ansatz der Verbesserung Vernachlässigung als zentrales Risiko Schätzungsweise 5% aller Kinder wachsen in Verhältnissen auf, in denen ein Risiko für Vernachlässigung besteht, d.h. ca. 30 000 Kinder jedes Geburtsjahrgangs http://www.bundesaerztekammer.de/page.asp?his=0.2.20.4640.5168.5232.5 233 Esser und Weinel (1990) schätzen, dass etwa 5-10% aller in Deutschland lebenden Kinder von Vernachlässigung betroffen sind. „Wie viele Kinder in der Bundesrepublik von Vernachlässigung betroffen sind, lässt sich nur schwer ermitteln. Als Untergrenze wird geschätzt, dass mindestens 50.000 Kinder unter erheblicher Vernachlässigung leiden, nach oben hin schwanken die Zahlen von 250.000 bis 500.000.“ (Niedersächsisches Ministerium für Frauen, Arbeit und Soziales & Deutscher Kinderschutzbund, Landesverband Niedersachsen e.V., 2002) Besondere Verletzlichkeit von Säuglingen und Kleinkindern Im ersten Lebensjahr sterben mehr Kinder in Folge von Vernachlässigung und Misshandlung als in jedem späteren Alter 77% aller misshandlungsbedingten Todesfälle ereignen sich in den ersten 48 Lebensmonaten Æ abrupte Übergänge von dezenten Hinweisen bis zur akuten Gefährdung: - Gefahr raschen Austrocknens bei unzureichender Flüssigkeitszufuhr - Gefahr lebensgefährlicher Verletzungen aufgrund unbeherrschten Handlings Æ extrem enges Zeitraster für die Planung von Hilfen und Notwendigkeit schnellen Einschreitens Aus dem Grünbuch der EU Abb.: Langzeitkosten psychischer Gesundheitsprobleme, umgerechnet auf Euro zum Preisniveau 2002 (Scott, Knapp, Henderson & Maughan, 2001. Umrechnung in Euro durch David McDaid, Mental Health Economics European Network). Quelle: Scott, S., Knapp, M., Henderson, J. & Maughan, J. (2001). Financial costs of social exclusion. Follow-up study of anti-social children into adulthood. British Medical Journal, 323, 191-196. Risikoeinschätzung drohender Entwicklungsgefährdung geringes Risiko, wenn nur einzelne Risiken vorhanden hohes Risiko, wenn viele und chronische Risiken kumulieren und interagieren und/oder wenn keine Schutzfaktoren vorhanden, die Risiken abpuffern (Rutter, 2000) Risikoindikatoren für Vernachlässigung/Misshandlung sozio-ökonomische Belastungen/Armut jugendliche Mütter suchtmittelabhängige Eltern/psychisch kranke Eltern vorhergehende Vernachlässigung/Misshandlung Æ Kumulation und Wechselwirkung von Risiken, die nicht durch Schutzfaktoren abgepuffert werden: chronische, schwerwiegende Überforderungssituationen Æ mangelnde/fehlende positive Beziehungsvorerfahrungen/ “emotionales Repertoire“: eingeschränkte elterliche Beziehungs- und Erziehungskompetenzen (Kindler, 2007) Gliederung Die Ausgangssituation: Vernachlässigung als zentrales Risiko Kinderschutz beginnt mit Prävention Prävention Förderung der Entwicklung und Erziehung Vorbeugung von Krankheiten Kinderschutz durch frühe Unterstützung, Bindungsförderung und wenn nötig: Interventionen in Gefährdungslagen Bedeutung von Familienbeziehungen Bella Studie (Ravens - Sieberer 2006) und RKI Survey KIGGS (2006, 2007) bestätigen englische Befunde: doppeltes Risiko bei Alleinerziehen(OR:2,09) aktuelle Familienkonflikte (OR: 4,97) Konflikte in der Familie der Eltern (OR: 2,02-3,89) Unzufriedenheit in der Partnerschaft (OR: 2,75) Risiko für psychische Erkrankung steigt mit mehreren Belastungen bei 3 Risiken 30,7% bei 4 Risiken 47,7% aller betroffener Kinder Frühe Hilfen und Kinderschutz kein Unterstützungsbedarf Frühe Hilfen Gefährdung Herausforderung für die Planung und die Entwicklung von Hilfen Familien benötigen unterschiedliche und unterschiedlich intensive Hilfen (von Information Æ spezifische Hilfen zur Erziehung) Übergänge zwischen Normalität, Belastung und pathologischer bzw. gefährdender Entwicklung sind fließend Æintelligente Kombination von Allgemeinmaßnahmen zur Verbesserung der Rahmenbedingungen für Familien und spezifischen Hilfen: Kinderschutz beginnt mit Prävention Gliederung Die Ausgangssituation: Vernachlässigung als zentrales Risiko Kinderschutz beginnt mit Prävention Elterlicher Beziehungs- und Erziehungskompetenzen als wichtiger Ansatzpunkt Besonderheiten in der Entwicklungspsychologie der frühen Kindheit In der frühen Kindheit werden nahezu alle Erfahrungen durch die Eltern vermittelt und gesteuert Säuglinge und Kleinkinder sind gleichermaßen physisch wie psychologisch auf elterliche Fürsorge angewiesen „There is no such a thing as a baby“ (Winnicott,1949) Bedeutung früher Erfahrungen für die Gehirn und Verhaltensentwicklung Funktion und Struktur des sich entwickelnden Gehirns wird positiv oder negativ von sozial-emotionalen Beziehungserfahrungen beeinflusst - emotionale Sicherheit als Puffer gegen Stress - massive neuropsychologische Folgen bei frühem emotionalem Stress/misshandelten Kindern Æ psychobiologische Regulation in der Bindungsbeziehung (Schore, 2001) Sichere Bindung als Regulationskompetenz Entwicklung sicherer Bindung zunehmende Anpassungskompetenz des Säuglings, belastende Veränderungen in der Umgebung einzuschätzen und zu bewältigen Umgang mit Stress/Umgang mit Neuem (sich Neuem zuwenden (können) und es verarbeiten: Verhaltensänderungen/ kognitive Veränderungen hin zu komplexeren Strukturen; Rauh, 2002; Gloger-Tippelt, 2002) Æ elterliche Feinfühligkeit / intuitives Elternverhalten wesentlicher Faktor Eingeschränkte elterliche Beziehungs- und Erziehungskompetenzen Probleme sich nicht flexibel auf die verändernden Bedürfnisse des Kindes einstellen zu können verzerrte Wahrnehmungen der kindlichen Signale verzerrte Interpretationen/Zuschreibungen feindseliges, aggressives, misshandelndes/vernachlässigendes Verhalten Frühe Hilfen: Förderung elterlicher Beziehungs- und Erziehungskompetenzen Eltern können das körperliche und psychologische Wohlbefinden und die Entwicklung eines Säuglings und Kleinkindes entscheidend fördern, aber auch einschränken frühe Verhaltensprobleme und –störungen zeigen sich (zunächst) in der Beziehungsdynamik - oft nur in Interaktion mit einem Elternteil Æ elterliche Erziehungs- und Beziehungskompetenzen als wichtiger Ansatzpunkt für Frühe Hilfen ! in Kombination mit anderen Indikatoren/Angeboten Gliederung Die Ausgangssituation: Vernachlässigung als zentrales Risiko Kinderschutz beginnt mit Prävention Elterlicher Beziehungs- und Erziehungskompetenzen als wichtiger Ansatzpunkt Vernetzung als zentrales Problem und Ansatz der Verbesserung Frühe Hilfen und Kinderschutz Frühe Hilfen sind interdisziplinär und können nicht mit den fachlichen Voraussetzungen einer isolierten sozialen oder medizinischen Profession abgedeckt werden Frühe Hilfen setzen systematische interdisziplinäre Strukturen und geregelte Kooperationswege voraus Praxisprobleme im Frühbereich Mangel an interdisziplinär begründeten fachlichen Standards insbesondere bei der Risikoeinschätzung Reibungsverluste in der Zusammenarbeit unterschiedlicher Hilfesysteme, insbesondere GESUNDHEIT und JUGENDHILFE aber auch Familiengerichte, Polizei… unzureichend systematische und interdisziplinäre Strukturen (Case-Management) Was erschwert Vernetzung? - Riesenerwartung an die anderen Professionen - Schwierigkeiten beim Beschreiben der eigenen Kernkompetenzen - Datenschutz- oder Pseudodatenschutzargumente - Angst vor Beeinflussung und Dominierung in der Zusammenarbeit (Streit um Federführung unterschiedlicher Berufsgruppen) - Emotionalisierung der Debatte um Kinderschutzfälle - Fehlende gemeinsame Standards/Risikoinstrumente - Vernetzung als Plädierformel bei gleichzeitiger Verweigerung der Finanzierung der Kosten für Zusammenarbeit - Vernetzung als Verschleierung von Verantwortlichkeiten - Vernetzung mit der Delegation von Verantwortung an Spezialeinheiten, Modellprojekte etc. Hemmfaktor: fehlendes Verantwortungsgefühl „Was es meiner Meinung nach am meisten hemmt ist, dass nicht jeder sich dafür zuständig fühlt (…) Es gibt dieses „Zuständigkeitsgefühl“ dafür nicht. Nicht bei vielen Ärzten und aber auch nicht bei vielen Mitmenschen.“ Angst vor Anschuldigung „Ein heikles Thema, „ich will den Eltern nicht unrecht tun“, „ich will niemanden anschuldigen“, ja, auch einfach Unwissen „was kommt als nächstes?“. Das sind alles Aspekte, die zu einer Vermeidung führen, damit das Thema erst gar nicht ins Bewusstsein gelangt. Ausgeblendet sozusagen“ Guter Start ins Kinderleben Ein von den Ländern Baden-Württemberg, Bayern, Rheinland-Pfalz und Thüringen gefördertes Modellprojekt zur Verbesserung des Kinderschutzes Modellstandorte: Erlangen, Gera, Kyffhäuserkreis, Ludwigshafen, Ostalbkreis, Pforzheim, Traunstein, Trier Förderung der wissenschaftlichen Evaluation: Bundesministerium für Familien, Senioren, Frauen und Jugend und Nationales Zentrum Frühe Hilfen Präsentation des Modellprojekts Guter Start ins Kinderleben Projektleitung: Prof. Dr. Jörg M. Fegert PD Dr. Ute Ziegenhain Projektmitarbeiterinnen: Dr. Anne Katrin Künster Dipl.-Soz. Päd. Angelika Schöllhorn Dipl.-Psych. Alexandra Hofer Dipl.-Psych. Carolin Knorr Dipl.-Psych. Cornelia König in Kooperation mit: Dr. Thomas Meysen, Hanne Stürtz, Lydia Schönecker, Deutsches Institut für Jugendhilfe und Familienrecht, DIJuF, Heidelberg Dr. Heinz Kindler, Deutsches Jugendinstitut, DJI, München Prof. Dr. Uta Meier-Gräwe, Inga Wagenknecht, Lehrstuhl für Wirtschaftslehre des Privathaushalts und Familienwissenschaft, Justus-Liebig-Universität Giessen Aktionsprogramm "Frühe Hilfen für Eltern und Kinder und soziale Frühwarnsysteme“ (BMFSFJ) Prävention von Kindeswohlgefährdung Ziel Entwicklung des Kindes und Feinfühligkeit der Eltern fördern Projektübersicht Vernetzung in Modellregionen gemäß der länderspezifischen Strukturen Umsetzung Entwicklung eines niedrigschwelligen und interdisziplinär angelegte Versorgungskonzepts (auf der Basis bestehender Rechtsgrundlagen und vorhandener Zuständigkeiten) interdisziplinäre Weiterbildung für Fachkräfte aus unterschiedlichen vernetzungsrelevanten Berufen: Entwicklungspsychologische Beratung Workshop Kinderschutz - Erforschung von Erwartungen, VorurteilsStrukturen - Recherche vor Ort, Vernetzungsstruktur - quantitative, fallbezogene Evaluation Evaluation standortübergreifende Ergebnisse „Teenage“- Mütter u.a. Risikogruppen - Schaffung gemeinsamer Sprache und Wissensgrundlage - Gefährdungen frühzeitig erkennen (Risikoinventar, Anhaltsbogen) - Wissen um ressortübergreifende Verfahrensweisen (Werkbuch Vernetzung) Was leistete unser Modellprojekt? Das Rad nicht neu erfinden, aber … Unterstützung der ressortübergreifenden Zusammenarbeit in den bestehenden Strukturen und mit den vorhandenen Ressourcen Æ sozial- und datenschutzrechtliche Expertise Æ Etablierung interdisziplinärer runder Tische standardisierte Erfassung empirisch belegter Risikoindikatoren: Verständigung auf verbindliche und empirisch abgesicherte Standards - systematisches Prüfen bekannter Risiken - erprobte Verfahren Æ für Jugend- und Gesundheitshilfe Förderung elterlicher Erziehungs- und Beziehungskompetenzen - präventive Angebote Æ Einbindung von Interaktionsdiagnostik und – förderung (bewährt und erprobt, aber bisher kaum systematisch genutzt) Datenschutz für Kinderschutz – Zwischen Respekt und Sicherheit (Meysen & Schönecker, 2008) Datenschutz steht selbst für das „Dazwischen“ Sowohl: – Stützung von vertrauensvollen Hilfebeziehungen als entscheidender Hilfezugang zum Kind – Respekt vor dem Elternvorrang – auch beim Schutz – Begleitung von Eltern in andere Hilfesysteme Als auch: – Wahrnehmung von (staatlicher) Verantwortung, wenn Eltern selbst nicht mehr dazu in der Lage sind Jörg M. Fegert & Ute Ziegenhain (Hrsg.). Studien und Praxishilfen zum Kinderschutz Was leistete unser Modellprojekt? Das Rad nicht neu erfinden, aber … Unterstützung der ressortübergreifenden Zusammenarbeit in den bestehenden Strukturen und mit den vorhandenen Ressourcen Æ sozial- und datenschutzrechtliche Expertise Æ Etablierung interdisziplinärer runder Tische standardisierte Erfassung empirisch belegter Risikoindikatoren: Verständigung auf verbindliche und empirisch abgesicherte Standards - systematisches Prüfen bekannter Risiken - erprobte Verfahren für Jugend und Gesundheitshilfe Æ Anhaltsbogen, Unterstützungsbogen JH, Leitfäden Förderung elterlicher Erziehungs- und Beziehungskompetenzen - präventive Angebote (Einbindung von Interaktionsdiagnostik und – förderung (bewährt und erprobt, aber bisher kaum systematisch genutzt) Æ Entwicklungspsychologische Beratung Runde Tische als Instrument interdisziplinärer Vernetzung (manualisiertes Vorgehen) gemeinsame Informations- und Kommunikationsplattform als Grundlage für die Vereinbarung klarer Zuständigkeiten und verbindlicher Verfahrenswege 1. Runder Tisch Einführung ins Thema, Datenschutz, Screeninginstrument „Anhaltsbogen für ein vertiefendes Gespräch“ 2. Runder Tisch Rückmeldungen zur Angebots- und Vernetzungssituation (Einsatz Anhaltsbogen, Diskussion der Angebots- und Vernetzungssituation vor Ort) 3. Runder Tisch weitere Planung und Vereinbarungen, weitere Instrumente (Unterstützungsbogen JH und Handreichungen) zwischen den Runden Tischen: steuerungsfähige Arbeitsgruppen, Treffen nach Bedarf, Erledigung von „Arbeitsaufträgen“ Runde Tische als Instrument interdisziplinärer Vernetzung klarer Auftrag und hohe Motivation der beteiligten Kommunen/ hohe Verbindlichkeit (aber: zum großen Teil freiwilliges Engagement der beteiligten Akteure) Zusammenstellung: alle Berufsgruppen und Institutionen, die mit Familien mit Säuglingen und Kleinkindern in Berührung Kommen (interdisziplinär/niedrigschwellig bis hochschwellig) Informationsvermittlung in die Kommune: Multiplikatoren bzw. Schlüsselpersonen (Rückmeldung der Informationen und Ergebnisse der Runden Tische in die jeweiligen Berufsgruppen/ Institutionen bzw. Einbringen von Informationen und Anliegen in die Runden Tische) Organisation und Steuerung vor Ort: Koordinator/Innen (wenn möglich aus der Kinder- und Jugendhilfe und aus dem Gesundheitssystem) Was leistete unser Modellprojekt? Das Rad nicht neu erfinden, aber … Unterstützung der ressortübergreifenden Zusammenarbeit in den bestehenden Strukturen und mit den vorhandenen Ressourcen Æ sozial- und datenschutzrechtliche Expertise Æ Etablierung interdisziplinärer runder Tische standardisierte Erfassung empirisch belegter Risikoindikatoren: Verständigung auf verbindliche und empirisch abgesicherte Standards - systematisches Prüfen bekannter Risiken - erprobte Verfahren für Jugend und Gesundheitshilfe Æ Anhaltsbogen, Unterstützungsbogen JH, Leitfäden, Entscheidungsbaum Förderung elterlicher Erziehungs- und Beziehungskompetenzen - präventive Angebote (Einbindung von Interaktionsdiagnostik und – förderung (bewährt und erprobt, aber bisher kaum systematisch genutzt) Æ Entwicklungspsychologische Beratung Anhaltsbogen für ein vertiefendes Gespräch (Kindler, 2007) - empirisch gesicherte Risikofaktoren für Kindeswohlgefährdung - (5 Variablen, von denen jede für sich allein die Wahrscheinlichkeit für eine spätere Kindeswohlgefährdung erhöht) - Übergang von Gesundheitshilfe zur Kinder- und Jugendhilfe (rund um den Zeitpunkt der Geburt) - Geburtskliniken und ggf. andere niedrigschwellige Institutionen Æ Vermittlung früher und präventiver Angebote Æ nicht „melden“, sondern ansprechen! (Rollenspiel) Anhaltsbogen für ein vertiefendes Gespräch Ergänzende Angebote für die Vernetzungskoordination Workshop Kinderschutz (in Kooperation mit DIJuF) Sensibilisierung für diskrete Zeichen von (drohender) Kindeswohlgefährdung Kommunikationstraining, um Eltern ressourcenorientiert und unbedrohlich weiterführende Hilfen anzubieten und zu vermitteln datenschutzrechtliche Aspekte im Kontext von (drohender) Kindeswohlgefährdung Dokumentationstraining der Rechtsgüterabwägung von Datenschutz vs. Kindeswohlgefährdung Weitervermittlungstraining von Eltern konkrete Ansprechpartner am Modellstandort absprechen Handreichung zum Umgang mit (potenzieller) Kindeswohlgefährdung („rote Fälle“) Was leistete unser Modellprojekt? Das Rad nicht neu erfinden, aber … Unterstützung der ressortübergreifenden Zusammenarbeit in den bestehenden Strukturen und mit den vorhandenen Ressourcen Æ sozial- und datenschutzrechtliche Expertise Æ Etablierung interdisziplinärer runder Tische standardisierte Erfassung empirisch belegter Risikoindikatoren: Verständigung auf verbindliche und empirisch abgesicherte Standards - systematisches Prüfen bekannter Risiken - erprobte Verfahren für Jugend und Gesundheitshilfe Æ Anhaltsbogen, Unterstützungsbogen JH, Leitfäden Förderung elterlicher Erziehungs- und Beziehungskompetenzen - präventive Angebote (Einbindung von Interaktionsdiagnostik und – förderung (bewährt und erprobt, aber bisher kaum systematisch genutzt) Æ Entwicklungspsychologische Beratung Entwicklungspsychologische Beratung (Ziegenhain, Fries, Bütow & Derksen, 2004) Anwesenheit des Kindes m nah Video-Sequenzen gelungener Interaktion Video-Sequenzen nicht gelungener Interaktion uf eoa Vid Intervention e Videoaufnahme gemeinsamer Interaktion Feinfühliges Verhalten bei jugendlichen Müttern mit und ohne Intervention (Ziegenhain, Libal, Derksen, Dreisörner & Fegert, 2005) + F E I N F Ü H L I G K E I T - attachment based intervention treatment as usual 9 8 7 6 5 4 3 2 1 Neugeborenenzeit 2. Monat 3. Monat 6. Monat N = 30 Guter Start ins Kinderleben: Feinfühliges Verhalten bei jugendlichen Müttern mit und ohne Intervention (Künster, Ziegenhain, Pillhofer, Schöllhorn, Bolte, Fegert & Bovenschen, Gabler, Spangler) 7 6 5 4 Feinfühligkeit Mutter und Kooperation Kind im Verlauf feinfühlig IG feinfühlig KG kooperativ IG 3 kooperativ KG 2 1 0 1. MZP 2. MZP IG: N=16; KG: N=6 3.MZP Gliederung Die Ausgangssituation: Vernachlässigung als zentrales Risiko Kinderschutz beginnt mit Prävention Elterlicher Beziehungs- und Erziehungskompetenzen als wichtiger Ansatzpunkt Vernetzung als zentrales Problem und Ansatz der Verbesserung Fazit Vernetzung im Kinderschutz: Was hilft? Etablierung von Strukturen Runder Tisch (manualisiert als Instrument interdisziplinärer Einbindung Institutionen/Personen; transparente, zeitnahe Informationen) - neutrale Moderation (entlastend, versachlichend, verbindlich) - Multiplikatoren (Rückbindung in die Berufsgruppen/Institutionen) themenbezogene und interdisziplinäre Arbeitsgruppen (kleinere, arbeitsfähige Einheiten zur Planung und Steuerung) Koordinatoren vor Ort (Kinder- und Jugendhilfe und Gesundheitshilfe) „One face-to-the Customer“: Fachstelle/Clearingstelle an der Schnittstelle Jugend- und Gesundheitshilfe (Fallvermittlung, anonymisierte Beratung, Information) Etablierung verbindlicher Verfahrenswege und Verfahrensabläufe / Standards (z.B. geregelte Zuständigkeitsklärung, standardisierte und empirisch abgesicherte Risikodiagnostik) Vernetzung im Kinderschutz: Was hilft? – Etablierung von Strukturen und Qualifizierungsmaßnahmen Politisch administrative Top-Down-Verankerung Æ Nachhaltigkeit durch - administrative Verankerung und Steuerung (Allokation von Ressourcen, Finanzierung der Zusammenhangsarbeiten, Entgeltfinanzierung etc.) - Kinderschutzgesetze der Länder evtl. Bundeskinderschutzgesetz - Länderinitiativen zur finanziellen Förderung (z.B. Qualifizierungsoffensive zum Kinderschutz in Baden-Württemberg, Förderrichtlinie „Koordinierende Kinderschutzstellen“ zur interdisziplinären Vernetzung in Bayern, Kinderschutzgesetz Rheinland-Pfalz, Maßnahmenkatalog frühe Hilfen für Familien und wirksamen Kinderschutz“ in Thüringen ) - E-Learning Programm: Frühe Hilfen Fazit: Vernetzung im Kinderschutz: Was hilft? – unterstützende Strategien Bottom up Beziehungsstiftung/Beziehungspflege - Projektname, „Kick-Off“-Veranstaltung, Modellprojekt als identitätsstiftende Initiative, („wir haben doch das gemeinsame Projekt …“) - Integration aller im Frühbereich Tätigen - „Win-Win“-Situationen gestalten (vertrauensbildend) anonymisierte Fallberatung/kollegiale Supervision - Entwicklung gemeinsamer Sprache - zunehmendes Wissen um Kompetenzen und Grenzen der jeweils anderen Berufsgruppe - Entwicklung/Verbesserung von Verfahrensabläufen gemeinsame Lerngruppen (z.B. interdisziplinäre Weiterbildung Entwicklungspsychologische Beratung; Workshop Kinderschutz) (modifiziert nach Modellen aus der Wirtschaft/Managent z,B.Neuberger, 1991) Fazit: Vernetzung im Kinderschutz: Was hilft? - Kommunikation und Haltung Fähigkeit zur Kommunikation „auf Augenhöhe“ von allen Seiten gegenseitige Wertschätzung (subjektive Vorurteilsstrukturen) Transparenz und Partizipation Perspektive des Kindes hinreichend gut statt perfekt „Fehlerkultur“ DISSEMINATION Fazit: Kooperation zwischen Gesundheits- und Jugendhilfe als Schlüssel Eltern schon vor der Geburt oder in der Geburtsklinik erreichen und für Hilfe gewinnen: Kinderschutz beginnt mit Prävention prekäre Lebenssituationen früh (Hebamme, Kinderarzt) erkennen gemeinsame Sprache entwickeln gemeinsam helfen und schützen mit vergleichbaren Standards dokumentieren verstärkte Forschungsbemühungen zu Diagnostik und Intervention Æ Optimalität ist nicht erreichbar, wohl aber die Reduktion von Risiken Das Dilemma von Kooperation und Vernetzung Konrad Lorenz – Gesagt ist nicht gehört. – Gehört ist nicht verstanden, – Verstanden ist nicht einverstanden. – Einverstanden ist nicht durchgeführt. – Durchgeführt ist nicht beibehalten. „Es gibt keine großen Entdeckungen und Fortschritte, solange es noch ein unglückliches Kind auf Erden gibt.“ Albert Einstein * 1889 Ulm Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit! Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie / Psychotherapie des Universitätsklinikums Ulm Steinhövelstraße 5 89075 Ulm www.uniklinik-ulm.de/kjpp Ärztlicher Direktor: Prof. Dr. Jörg M. Fegert