Terroir und Trümpfe
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Terroir und Trümpfe
Ali Kutman von der Doluca Winery stellte 1998 die ersten reinsortigen Weine der Türkei vor der Türkei mehrere Hektar Weinberge kaufen wollen, haben Sie es mit einer Fülle kleiner Landbesitzer zu tun. Mit jedem einzelnen muss verhandelt werden. Es ist daher selbst für türkische Staatsbürger schwer, größere Flächen zusammenzukaufen.« Terroir und Trümpfe lean-Luc Collin: »Es ist selbst für türkische Staatsbürger schwer, größere Flächen zusammenzukaufen« Yasin Tokat, Eigentümer der Pamukkale Winery, ist stolzer Besitzer eines großen BarriqueKellers und der Marke »Dlarnond« Sevilen Eniz Güner besitzt 150 Hektar bei lzmir und in Anatolien. Er setzt auch auf internationale Rebsorten wie Syrah nem Erzeuger. Weintourismus? In Anatolien fast völlig unbekannt. Werbung? Wein ist in der Türkei kein öffentliches Anliegen. Der Staat, der zwar laizistisch ist, doch dessen Bevölkerung ganz überwiegend moslemischen Glaubens ist, fördert den Wein so gut wie nicht und hat kürzlich die schon exorbitanten Alkoholsteuern noch erhöht. Der Pro-Kopf-Weinverbrauch liegt bei einem Liter pro Jahr, doch ist die Tendenz wohl steigend, da die Türken trotz hoher Steuern auch immer mehr ihres türkischen Nationalgetränks Raki konsumieren. Noch ein Unterschied zu manchen »exotischen« Weinländern etwa in Osteuropa: In der Türkei haben sich nie Konzerne und Investoren aus dem Ausland in die Weinberge eingekauft oder Joint Ventures gegründet. Den Grund erklärt der aus Frankreich stammende Oenologe [ean-Luc Collin, der seit über einem Jahrzehnt in der Türkei als Weinmacher und Berater tätig ist und den modern.en türkischen Weinbau ganz wesentlich mit entwickelt hat: »Wenn Sie in r ,. www.weinwirtschaft.de Collin denkt als Franzose, und das bedeutet Terroir. Das gibt es, auch wenn keine Appellationsbezeichnungen dahinter stehen. Denn schon die klimatischen Unterschiede zwischen dem Mittelmeerraum und dem anatolischen Hochland sind beträchtlich. Weintrauben gedeihen in allen sieben türkischen Regionen. Die traditionelle Landschaft für Wein- und Rebbau ist Thrakien, das noch zum europäischen Festland gehört und an Griechenland grenzt. Dort, sowie im bevölkerungsreichen Marmaragebiet, sind etwa 40 Prozent der Weinproduktion anzusiedeln. Viele internationale bzw. europäische Rebsorten werden angebaut, aber auch die autochthone Sorte Adakarsi. Das Klima zwischen Mittelmeer, Marmarameer und Schwarzem Meer ist mediterran und warm. Zentralanatolien ist die zweitgrößte Weinproduktionszone (kein »Anbaugebiet« in unserem klassischen Sinne) - dort herrscht ein kontinentales Klima mit eiskalten Wintern und sehr heißen Sommern. Die Reben stehen manchmal auf über 1.000 Meter Höhe. Unter anderem in Kappadokien gedeihen viele autochthone Sorten, darunter die sehr interessante rote Kalecik Karase. Drittgrößte Weinzone ist die Ägäis und das westlich Anatolien, das vom mediterranen Klima geprägt ist. Dort werden viele internationale, aber auch einige autochthone Sorten angebaut, darunter die weiße Sultaniye. Nach Norden zum Schwarzen Meer hin wird Anatolien durch das Schwarzrneergebirge von der Schwarzrneerküste abgegrenzt. Die Küste ist zu feucht, doch auch in Nordanatolien findet man nur wenig Weinbau, vor allem Weißwein. Auch in Ostanatolien ist aufgrund der Kälte nur wenig Weinbau vorhanden, doch es gedeihen hier die autochthonen Sorten Öküzgözü und Bogaskere. Im Südosten Anatoliens werden vor allem Tafeltrauben angebaut. Für den Wein werden Öküzgözü (die auch als Tafeltraube Verwendung findet) und die tanninreiche Bogaskere kultiviert. Es werden Rot- und Weißweine, Roses, Schaumweine und auch Süßweine pro- TITEL & THEMEN I Türkei duziert - das klassische Repertoire eines Weinlandes. Sortemein findet man vor allem die internationalen Chardonnay, Cabernet Sauvignon und insbesondere Syrah (gelegentlich auch Riesling oder Sangiovese); auch einige der autochthonen Sorten kommen als Rebsortenweine vor und bieten einen idealen Einstieg in die Welt der türkischen Gewächse. Die Cuvee-Weine lassen sich in drei Gruppen aufteilen, nämlich autochthone, autochthon-internationale und rein internationale Cuvees. Die ersten beiden Typen sind die wohl interessantesten, wenn man Besonderheiten der Türkei sucht, während die internationalen Cuvees leichter Aufschluss über den Stand der Dinge geben können. Autochthon & authentisch Für entdeckungs freudige Weinfreunde wird die Liste der spannenden autochthonen Rebsorten länger. Über 1.000 Rebsor- Weinberge des Bio-Weinguts Seiend i ten sollen in Anatolien heimisch sein, aber nur wenige werden sortemein ausgebaut und bilden das Fundament. Diese eigenständigen Sorten haben das Zeug, den türkischen Weinen ein eigenes Gepräge zu geben. Unter den weißen Autochthonen sind Emir, Narince und Sultaniye zu nennen. Emir wird in Zentralanatolien, besonders um Nigde und Nevsehir angebaut. Die Weine sind mittelkräftig. frisch, angenehm fruchtig und manchmal leicht pflanzlich (in der Art unserer Silvaner) und haben eine gute, mineralische Säure, weswegen aus ihnen auch Schaumweine produziert werden. Die Narince gedeiht gut im kontinental-nördlichen Anatolien (um Tokat) und zeichnet sich durch feine gelbfruchtige und nussige Noten sowie eine gewisse, an Burgunder erinnernde Fülle aus. Sie eignet sich sehr gut für den Barrique-Ausbau und lässt sich bestens mit Chardonnay kombinieren. Aus der Sultaniye, die im westlichen Anatolien und in der Ägäisregion angebaut wird (Denizli, Izmir), werden frische, saftige Weißweine gekeltert, die jung am besten schmecken. Unter den autochthonen Roten sind Öküzgözü, Kalecik Karase sowie Bogaskere hervorzuheben. Öküzgözü, die ihren Namen Wines ofTurkey Es gibt also vieles zu entdecken, doch muss das Terrain erst noch bereitet werden. Dafür haben sich 2008 eine Reihe von Erzeugern zu dem Verband Wines of Turkey (WOT)mit Sitz in Istanbul zusammengeschlossen, der mit einem Jahresetat von 3 Mill. Euro mehrere Ziele verfolgt (siehe Interview), nämlich die Exportförderung und die Entwicklung der heimischen Weinkultur. In Großbritannien hat man sich schon in Fachund Journalistenkreisen Achtung und Aufmerksamkeit verschafft, nun will WOT-DirektorTaner Ögütoglu den deutschen Markt erobern. Auf der ProWein wird sich die Türkei an einem Stand mit mehreren geführten Verkostungen präsentieren; den Besuch sollten sich Interessierte schon jetzt vormerken. Von den dem Verband angeschlossenen Weingütern sind einige »aktive« Mitglieder. .roIl'tNf' .~:::: TEldROA&-e <;ANA<"'" eISTAN8IA. '9 e8AUKESIR ., eQ.NKJRl <;:OlWM ANKAAAe ~KIRS&IIR • • eANTAtYA pe, betreibt zwei Kellereien in Anatolien und eine Wein- und Gastronomieschule in lstanbul. Unter der Beratung des Oenologen Daniel O'Donnell werden rund 9 Mill. liter erzeugt. Tipps: Serien Buzbag Reserv, Vintage und Terra Kocaba Winery, ein 1972 gegründeter FamilienDoluca mit Sitz in Mürefte und Istanbul wurde 1926 von dem in Geisenheim ausgebildeten Ni- betrieb in Kappadokien, 1,5 Mill. liter Produktihat Kutman gegründet und stellte 1998 die ers- on. Die Weinberge liegen sehr hoch, die Weine ten reinsortigen Weine der Türkei vor. Tipps: Li- sind mineralisch und typisch. Tipps: 2008 Narince, 2008 Cabernet Sauvignon nie DLC,Sarafm, KavTugra, Karma (Blends aus Pamukkale Winery, 1962 von den Gebrüdern Totürkischen und internationalen Sorten) Kavaklldere, 1929 gegründet, ist das erste Pri- kat gegründet, in Güney bei Denizli. Großer Barvatweingut der Türkei und verfügt über 550 Hek- rique-Keller. Tipps: Top-linie Nodus, Anfora, Anfora Reserve Shiraz; Diamond (in Deutschland tar Rebflächen. Der größte türkische Erzeuger bietet nicht weniger als 43 Weine an. Tipps: li- meistverkauftes Label), Trio nien Prestige, C6tes d'Avanos, Pendore, VinArt, Pasaeli mit Sitz in Ankara ist ein kleines, interessantes Boutique-Weingut, das von dem ItaEgeo liener Andrea Paoletti beraten wird und sich Kayra Winery, im Besitz der Mey-Getränkegrup- 22 WEINWIRTSCHAFT 2111 auf seltene autochthone Sorten spezialisiert. Tipps: K2 Cuvee im Bordeaux-Stil Selendi, kleines Weingut mit Bioanbau der Familie Ongor, produziert unter Beratung von Andrea Paoletti aus vorwiegend europäischen Sorten moderne, fruchtige und frische Weine; Tipps: Rose; Selendi Cuvee Sevilen, 1 Mill. Flaschen, besitzt 150 Hektar bei Izmir und in Anatolien, moderne Kellertechnik an mehreren Standorten, Weinrestaurant. Die Oenologen Xavier Chone und Florent Dumeau beraten die Familie Güner, Tipps: Centum Syrah, Serie »900« (benannt nach den Höhenmetern) Turasan, in dritter Generation geführtes Familienunternehmen, besitzt eigene Weinberge und kauft Trauben zu. Edouard Guerin ist beratender Oenologe. Tipps: Seneier Öküzgözü und Cabernet/ Merlot/Syrah Vinkara ist ein junges Weingut (2003 gegr.) in der Nähe von Ankara mit 60 ha Rebflächen. Die Weine sind gut gemacht und fruchtig-saftig. Tipps: Serie Doruk (Kaleci Karase), Chardonnay (ohne Barrique) www.winesofturkey.org www.weinwirtschaft.de .J (»Ochsenauge«) den großen Beeren verdankt, bringt fruchtige, feinwürzige und gut strukturierte Weine hervor, die häufig kräftiger als die meisten unserer Dornfelder oder St. Laurent-Weine ausfallen. Kalecik Karase, die »Schwarze aus Kalecik«, ist äußerst vielseitig und weist eine lebendige Säure und kirsehige Aromen, aber dezente Tannine auf Die Weine erinnern zuweilen an Beaujolais oder auch Pinot Noirund sind oft sehr elegant. Dagegen ist die Bogaskere ein Ausbund an Tanninen, der Name bedeutet so viel wie »Rachenkratzer«. Sie wird im südlichen Anatolien angebaut und bringt dichte, dunkle, sehr gut strukturierte, lagerfähige Tropfen hervor, die an Tannat-Weine erinnern. Unter den internationalen Sorten ist der Shiraz hervorzuheben, der besonders gerne angebaut wird, daneben Cabernet Sauvignon und Chardonnay. Da die Winzer viel experimentieren, trifft man auch Petit Verdot oder Cabernet Franc sowie andere edle Rebsorten Europas an. Es werden auch manche Cuvees im Bordeaux-Stil erzeugt, die zu den besten Weinen der Türkei zählen und sich durch Finesse und feine Tannine auszeichnen. • Ralf Klein Interview mit Taner Ögütoglu, Direktor Wines ofTurkey Was will Wines ofTurkey erreichen? Unsere Mission ist zunächst, den Export zu erhöhen, indem wir die Weine der Türkei generisch als hochwertige Marke positionieren, die mit Qualität assoziiert wird. Die zweite Mission ist, den türkischen Weinmarkt und die Weinkultur in unserem Land zu fördern. Wie sieht die Situation in der Türkei aus? Da gibt es eine gute und eine schlechte Nachricht. Die schlechte: Die Türkei hat einen sehr niedrigen Weinverbrauch von nur einem Liter pro Kopf und Jahr. Die gute: Der Weinverbrauch nimmt zu, wenn auch langsam. Wir sind sicher, dass der Konsum von Qualitätswein stärker wachsen wird. Was erwarten Sie vom deutschen Markt? Deutschland und Großbritannien sind unsere beiden wichtigsten Exportmärkte. Unser erstes Ziel ist, in Deutschland aus der Vermarktung innerhalb der türkischen Geschäfte herauszutreten und bundesweit im Handel vertreten zu sein. Im Moment gehen die türkischen Exporte hauptsächlich in ethnische Märkte, das heißt an ein zumeist türkisches Publikum. Das wollen wir ändern, indem wir verstärkt im Qualitätssegment exportieren. Wir werden also unsere Premiumweine in den Vordergrund stellen, indem wir uns primär an den Fachhandel und gehobene Gastronomie wenden. Unsere Spitzenweine sollen in den besten Restaurants zu finden sein. Wir sind noch dabei, die Märkte genau zu analysieren, doch das dürfte unsere Strategie sein. Welche sind Ihre Argumente? Alles, was man verkaufen will, muss einen USP www.weinwirtschaft.de Taner Ögütoglu: »Unsere Spitzenweine sollen in den besten Restaurants zu finden sein« (unique selling proposition) haben. Wir haben sogar mehrere Alleinstellungsmerkmale. Wir haben autochthone Sorten. Nichts gegen Cabernet und Chardonnay, aber ich glaube, die Weinmärkte auf der Welt suchen auch etwas Neues. Das können wir anbieten, und zwar in sehr guter Qualität. Wir haben schätzungsweise 800 autochthone Trauben in der Türkei, von denen einige sehr gute Qualitäten erbringen. Wir stellen fünf dieser Sorten in den Fokus. Türkische Weine sind vielfach ausgezeichnet worden, zum Beispiel mit Goldmedaillen beim Großen Internationalen Weinpreis MUNDUSvini und bei anderen internationalen Wettbewerben. Der zweite Punkt: Die Türkei ist geografischer Teil der Region, in derVitis vinifera ihre Urheimat hat. Hier wurde wahrscheinlich der erste Wein der Geschichte gekeltert, auch wenn die Rebe aus Georgien oder Mesopotamien nach Anatolien eingewandert sein kann. Deshalb ist die Türkei die Wiege und das Herz der Wein kultur. Diese Botschaft wollen wir kommunizieren. Der dritte Punkt: Die Türkei ist für die Menschen in unseren Hauptmärkten ein beliebtes Urlaubs- und Reiseziel. PINOTAGE SIMONS ~1f'!Ll:\l ""-- Amperestrasse 3-5, 63225 Langen, Tel.: 2008 06103/280 245 www.pacificwine.de WEINWIRTSCHAFT2111 23 TITEL & THEMEN I Türkei Technisch auf der Höhe der Zeit: Tankkeller der Kellerei Doluca, eine der größten der Türkei Modernes Weinland Türkei Der Weinbau in der heutigen Türkei ist mindestens 6.000 Jahre alt. Aber erst 1925 legte Kemal Atatürk den Grundstein der Weinproduktion. Nach zwei dynamischen Jahrzehnten präsentiert sich das alte Weinland in einem überraschend modernen Gewand. A uch f~~ Kenner bietet die Türkei viele Uberraschungen. Das Land hat mit 565.000 Hektar die viertgrößte Rebfläche der Welt. Andererseits ist die Wein produktion minimal: nur 70.000 Hektoliter! 25.000 Hektoliter werden exportiert, davon laut Statistik 10.000 Hektoliter nach Deutschland, das ist immerhin mehr, als wir aus Neuseeland oder der Schweiz importieren. Dennoch ist die Türkei als Weinland zumeist unbekannt. Türkische Kontraste Die uralte Weinbautradition - man beruft sich gerne aufNoah, der am Berg Ararat im heutigen Anatolien den ersten Weinberg gepflanzt haben soll - steht einer jungen Generation von Winzern gegenüber, die über modernes Know-how und gute Tech- 20 WEINWIRTSCHAFT 2111 nik verfügen. Der Qualitätsaufschwung begann erst Ende der 1980er Jahre; manche Weingüter sind erst nach 2000 gegründet worden. So weht durch die türkischen Weinlande eine Brise Pioniergeist, vergleichbar der Besiedelung des amerikanischen Westens. Jeder kann ausprobieren, was geht. Man kann dies als Freiheit verstehen. Spannend ist es allemal, was die Erzeuger der erst vor zwei Jahren gegründeten Gruppierung Wines ofTurkey anzubieten haben. Nur eben ungewohnt. Ein System von Appellationen nach französischem Vorbild gibt es nämlich (noch) nicht, ebenso wenig wie Qualitätsbezeichnungen nach festen Regeln oder gar Vorschriften, welche Sorten wo und wie anzubauen seien. Das führt dazu, dass oft Weingüter und Weinberge sehr weit auseinan- der liegen, da es keine Anbaugebiete gibt, in denen der Wein verarbeitet und abgefüllt werden muss. Und es bedeutet: Jeder Tropfen ist einfach ein türkischer Wein und muss daher wie ein europäischer Wein »ohne geografische Ursprungsangabe« bezeichnet und betrachtet werden. Allerdings gibt es hervorragende Weine, die anderswo mühelos als »Reserva«-oder gar »GranReserva«-Qualität gelten könnten. Haben nicht auch die Italiener jenseits ihrer DOCKorsetts große Weine gekeltert? Eine »Weinszene« nach gewohntem Muster gibt es in der Türkei bestenfalls in den großen Städten. Der älteste Fachhandel in Istanbul, »La Cave«, hat gerade mal zehn Jahre auf dem Buckel. In Restaurants besteht das Wein sortiment, 'wenn überhaupt vorhanden, meist nur aus Tropfen von ei- www.weinwirtschaft.de