Haus, Tisch, Zimmer und Wiese

Transcription

Haus, Tisch, Zimmer und Wiese
Haus, Tisch, Zimmer und Wiese
Die Malerei Małgorzata Sztremers und ihre Gewinnung
aus der Idee des Traums
Das Unbewußte ist das eigentlich reale Psychische, uns nach seiner inneren
Natur so unbekannt wie das Reale der Außenwelt und uns durch die Daten des
Bewußtseins ebenso unvollständig gegeben wie die Außenwelt durch die
Angaben unserer Sinnesorgane.
Sigmund Freud, Die Traumdeutung
Es geht mir nicht darum, die Malerei Małgorzata Sztremers psychologisch zu
deuten, auch wenn die von ihr gewählten Motive, die nicht selten
biografische Hintergründe haben, eine solche Herangehensweise nahe legen.
Nicht die Psyche der Malerin interessiert mich hier, sondern die Psyche
oder vielmehr die Methode ihrer Malerei. Das scheinbar Rätselhafte in ihren
Bildern folgt einer eigentümlichen Logik, die vermutlich darauf beruht, das
die Malerin dem Rätselhaften an sich ebenso skeptisch gegenüber steht wie
der abgebildeten Realität. Małgorzata Sztremer ist eine kluge Malerin, die
sich selbst und ihren Gewissheiten aufs Äußerste misstraut. Wir werden in
ihrer Malerei keine Tricks, keine Verführungen entdecken. Vielleicht werden
wir sie ein wenig schroff und grobförmig finden. Die Zartheit dieser
Malerei, und es kann angesichts der tiefen Berühtheit, die einige ihrer
Bilder auslösen, keinen Zweifel daran geben, entfaltet sich häufig erst auf
den zweiten Blick.
Was wir auf den Bildern sehen, ist schnell erzählt: Es sind im weitesten
Sinne möblierte Räume (gemeint sind sowohl Interieurs als auch Exterieurs).
Räume, in denen Dinge und Figuren zueinander in Beziehung stehen.
Ortsangaben wie davor, dahinter, drinnen, draußen, nah, fern, darüber,
darunter, offen, geschlossen etc. und damit zusammenhängende (im übrigen
meist psychologisch wirksame) Größenverhältnisse sind häufig tragende
Elemente sowohl der Komposition als auch der Aussage ihrer Bilder.
Verblüffend ist dabei, dass die aufgezählten Gegensatzpaare in einem Bild
häufig gemeinsam auftauchen, ja sich geradezu gegenseitig bedingen.
Überhaupt haben die Bildideen Sztremers etwas Verblüffendes: In einem
ansonsten leeren Haus ohne Front sitzt im dritten Stock ein Paar auf
Sesseln, draußen in karger Stadtlandschaft auf grüner Wiese steigt eine
schwarze Figur in ein schwarzes kreisförmiges Erdloch. Oder: Bergmänner in
Festtagskleidung, im Hintergrund einige Häuser, stehen auf einem Plateau
über einem weit auskragenden Abgrund. Oder: Ein Ritter steht auf einer
hohen Mauer, einer Art Burg, über dunkelgrün bewegtem Grund, links neben
ihm wie in einem Turm ein altertümlich anmutendes Paar, umschlossen von
einem gläsernen Häuschen. Oder etwa: Auf einem Tisch befindet sich eine
Landschaft mit Bergen und See im Miniaturformat, eine Figur steht aufrecht
und fragil in einem hölzernen Nachen, aus einer Wandecke wächst eine Blume,
links und rechts davon schießen pinkfarbene Schwälle wie Zungen hervor.
Nicht zuletzt anhand der Farben wird deutlich, dass hier offenbar eins
nicht ohne sein Gegenteil auskommt. In meinen Voraufzeichnungen zu diesem
Text finden sich Begriffspaare wie "gebrochene Leuchtkraft", "flächige
Räumlichkeit" oder "statische Bewegtheit" – Paradoxa. Der
Komplementärkontrast ist ein immerwiederkehrendes aber doch gedankenvoll
und behutsam eingesetztes Mittel der Bildgestaltung. Farbe und
Pinselführung haben eine starke Vehemenz, bis hin zur Kantigkeit. Nie wird
verleugnet, das sich das Bild aus nichts weiter als eben aus Farbe und aus
Pinselstrichen zusammensetzt, aus Material und Richtung. Schattierungen
gleichen Schraffuren, Farbe steht gegen Farbe, unterschiedliche Texturen
des Materials werden, wenn überhaupt, nur angedeutet.
Die auf den Bildern dargestellten Gegenstände kennen wir alle, es sind in
der Mehrzahl Archetypen. Sie gewinnen ihre Präsenz aus den Assoziationen,
die wir an sie knüpfen. Dennoch sind sie nicht eigentlich als Archetypen
dargestellt, sondern sehr konkret in einem bestimmten räumlich aufgefassten
Kontext. Ich möchte einen Begriff Freuds aufgreifen, der mir in diesem
Zusammenhang wichtig erscheint: den des Tagesrestes. Der Tagesrest
bezeichnet zum einen Gefühle und Gedanken, die während des Tages nicht
erledigt wurden und im Traum erscheinen, zum andern aber auch bestimmte
Bilder, die aus dem Tageszusammenhang entnommen und in den Traumkontext
gesetzt werden. Dort nehmen sie sich zunächst höchst wunderlich aus, weil
sie ihrer ursprünglichen Bedeutung enthoben und ihrem logischen
Zusammenhang entrissen sind. Genau dieses Entreißen aber, führt zu einer
tieferen Bewusstseinsschicht, in der das Bild als starker Sinneseindruck
extrahiert und seelisch assoziativ verarbeitet wird. Die Perspektive des
Träumers ist dabei eine überpersönliche. Er ist in der Lage aus sich
herauszutreten. Er nimmt wahr und sieht sich gleichzeitig dabei zu, er fügt
unterschiedliche Personen zu einer und ist überall zugleich. Sind die
Figuren auf diesen Bildern nicht irgendwie auch wir? Erinnerung und Traum
sind Verwandte, die nur durch den Grad des Bewusstseins von einader
geschieden sind. Bei den Bildern Małgorzata Sztremers handelt es sich ganz
gewiss nicht um konkrete Träume. Vielmehr macht sie sich – und hier liegt
das ganze Rätsel begraben – die Methode des Traums zu eigen. Ihr
instinktiver Zweifel an der Autorität des Bewusstseins führt sie zu einer
Bildauffassung, die sich zwar aus Erinnerung und Beobachtungsgabe speist,
meines Erachtens aber erst durch das Prinzip des Traums und also des
Unbewussten sinnhaft verständlich wird. Das Unbewusste wird dabei nicht zum
stilbildenden Postulat im Sinne des Surrealismus. Es wird der Realität
lediglich als inneres, seelisches Prinzip zur Seite gestellt.
Da, wo wir uns einlassen können auf die Proportionen, die Räume und
Öffnungen, die Abgründe, da wo wir sie in uns finden, beginnt diese Malerei
ihre wahre Kraft zu entfalten. Sie tut das niemals berechnend, sie
spekuliert nicht auf den Effekt. Sie ist im Gegenteil sehr selbstreflektiv
und sparsam mit ihren Mitteln. Sie kommt einfach daher und bleibt Malerei
aus dem Geiste der Malerei, Farbe aus dem Gehalt der Farbe und Geste aus
der einfachen Übersetzung vom Auge zur Hand. "Ich meine also, am besten
gibt man die Träume frei", schreibt Freud. Gleiches gilt für die Malerei
und für die Kunst selbst. Es geht in gewisser Weise auch darum loszulassen,
um erleben und um – später und auch nur vielleicht – erkennen zu können.
Nina Jäger, Januar 2008