Das Böse in der deutschen Fantasyliteratur am Beispiel zweier
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Das Böse in der deutschen Fantasyliteratur am Beispiel zweier
Das Böse im Wandel der Zeit am Beispiel von Wolfgang und Heike Hohlbeins: Der Greif und Anders. Die tote Stadt 1 Masterarbeit eingereicht von: Johanna Verweij, geb. Sangl Studiennr. 0627208 [email protected] 0031-6-24292028 eingereicht am: 30.06.2010 Universiteit van Amsterdam Master: Duitse Taal en Cultuur Dozentin: Dr. C.M.H.H. Knippenberg Zweitkorrektur: Drs. E. Meyer Dauven-van 2 Inhaltsverzeichnis Deckblatt i Daten ii 1. Einleitung 5 2. Was ist das Böse? 7 3. Darstellungen des Bösen in den Religionen 8 3.1 Theologische Ansätze 8 3.1.1 Das Judentum: 6./5. Jahrhundert vor Christus 8 3.1.2 Buddhismus: ca. 590 vor Christus 9 3.1.3 Zoroastrismus: ca. 630-550 vor unserer Zeit 10 3.1.4 Christentum: Jahr 0 12 3.1.5 Manchäismus: 3. Jahrhundert nach Christus 14 3.1.6 Islam: ca. 611 nach Christus 15 3.2 Vergleich der Religionen 16 4. Darstellungen philosophischer Ansätze 17 4.1 Philosophische Ansätze 17 4.1.1 Platon (428-348 vor Christus) 17 3 4.1.2 Aristoteles (384-322 vor Christus) 18 4.1.3 Epikur (341 vor Christus) 18 4.1.4 Thomas von Aquin (1225-1274) 19 4.1.5 Gottfried Wilhelm Leibniz (1646-1716) 19 4.1.6 Immanuel Kant (1724-1804) 20 4.1.7 Johann Gottlieb Fichte (1762-1814) 22 4.1.8 Friedrich Nietzsche (1844-1900) 23 4.1.9 Sigmund Freud (1856-1939) 24 4.1.10 Hannah Arendt (1906-1975) 26 4.2 Vergleich der philosophischen Auffassungen 27 5. Das Böse in der deutschen Fantasyliteratur 28 5.1 Inhaltsangabe des Buchs Der Greif (1989) – Wolfgang und Heike Hohlbein 28 5.2 Der Greif - Elemente des Bösen 30 5.3 Inhaltsangabe des Buchs: Anders. Die tote Stadt (2004)– Wolfgang und Heike Hohlbein 44 5.4 Anders. Die tote Stadt – Elemente des Bösen 46 6. Verändert sich die Darstellung des Bösen in Hohlbeins Werken? 61 7. Schluss 64 8. Literaturliste 68 4 1. Einleitung Viele erschreckt es, dass ein jeder eine Anlage zum Bösen hat. Auch Menschen, die versuchen immer gut zu handeln und keinen zu verletzen, indem sie sich an die allgemeingegenwärtigen Moralvorstellungen halten, werden in den Augen mancher, zum Beispiel bei Nietzsche, gerade deshalb als Böse dargestellt. Befolgt man die allgemeinen, von Kirche und Staat auferlegten Moralvorstellungen nicht, so gilt man auch als böse. Es scheint, dass obwohl es etliche Definitionen und Erklärungsansätze des Bösen gibt, man trotzdem keine allgemeingültige Definition von Gut und Böse festlegen kann. Die Gründe für diese Unschlüssigkeit stelle ich in dieser Arbeit fest, indem ich auf die Entwicklung des Bösen in theologischen und philosophischen Ansätzen eingehe. Da das Böse immer schon in den Religionen verwurzelt ist, interessieren mich die verschiedenen Definitionen des Bösen. Die philosophischen Erklärungsansätze des Bösen sind ebenfalls wichtig, um einen ganz anderen Blickwinkel auf dieses Thema zu richten. Die von mir ausgewählten Religionen sind: Judentum, Christentum, Islam, Buddhismus, Zoroastrismus und Manchäismus. Die Auswahl der Religionen rechtfertige ich folgendermaßen: Neben den drei Weltreligionen, deren Auflistung ich aufgrund ihres Status nicht auslassen kann, beschäftige ich mich mit dem Buddhismus und Zoroastrismus, da in diesen beiden Religionen die Beschreibung und vor allem Darstellung des Bösen, der Darstellung in den von mir ausgewählten Werken von Wolfgang und Heike Hohlbein entspricht. Auch die in der Religion des Manchäismus andere 5 Ansatzform der Gut–Böse-Unterscheidung, die in einem Hell–Dunkel-Kontrast zum Ausdruck kommt, ist für die spätere Analyse der Hohlbeinschen Werke wichtig. Denn auch dieser Ansatz zieht sich zumindest bei Der Greif durch das gesamte Werk. Um einen ganz anderen Blickwinkel auf die Materie des Bösen bieten zu können, habe ich mich neben den theologischen Ansätzen auch auf philosophische Ansätze konzentriert. Selbstverständlich musste auch hier eine Auswahl getroffen werden, da eine ausführliche Ausarbeitung aller philosophischen Ansätze den Rahmen dieser Masterarbeit sprengen würde. Um dennoch einen möglichst breiten Überblick zu gewährleisten, habe ich die Ansätze von Philosophen aus verschiedenen Epochen in meine Arbeit aufgenommen. Die von mir erörterten philosophischen Ansätze stammen unter anderem von Aristoteles, Platon, dem griechischen Philosophen Epikur, Thomas von Aquin, Leibniz, Kant, Fichte und Nietzsche, sowie von Arendt und den psychologischen Ansatz Freuds. Bei der Betrachtung der philosophischen Ansätze, werde ich auch auf Aristoteles eingehen. Seine Definition des Begriffs `das Böse` gilt heutzutage als veraltert, dennoch erscheint es mir wichtig, diese Erklärung zu nennen, da es eine der frühesten Definitionen des Bösen ist und diese auch in der modernen Phantastik-Literatur eine Rolle spielt, wie sich am Beispiel von Hohlbeins Der Greif zeigen wird. Die theologischen und philosophischen Ansätze sind in chronologischer Reihenfolge aufgelistet um so die Veränderung des Bösen im Laufe der Jahrhunderte besser nachvollziehen zu können. Nicht jeder Ansatz der von mir zitierten Philosophen ist jedoch in den Büchern 6 zurück zu finden. Nach der Darlegung der theologischen und philosophischen Erklärungsansätze des Bösen, wende ich diese Ansätze auf die Bücher von Wolfgang und Heike Hohlbein an, um meine Untersuchung „Das Böse im Wandel der Zeit am Beispiel von Wolfgang und Heike Hohlbeins: Der Greif (1979) und Anders. Die tote Stadt (2004)“ abzurunden. Es gibt Übereinstimmungen zwischen den theologischen und philosophischen und der Darstellung des Bösen in den Werken von Hohlbein. Die Frage ist nur, inwieweit die Darstellung des Bösen in der Phantastik mit der Darstellung des Bösen in Realität übereinstimmt. 2. Was ist das Böse? Im normalen Sprachgebrauch hat der Ausdruck „böse“ einen weiten Bedeutungsspielraum. Neben dem Ausdruck „schlecht“ bezieht er sich [im Englischen] am häufigsten auf: moralisch falsche Absichten, Entscheidungen und Handlungen einer Person (moralisch böse), nicht menschliche Wirkungen wie Krankheit, Erdbeben, Vulkanausbrüche und Wirbelstürme (natürlich böse) und Schmerz und Leid bei Mensch und Tier (psychologisch böse), die moralische und natürliche Übel verursachen können. Im mehr technischen und philosophischen Sinn bezieht es sich auch auf von Natur aus menschliche Beschränkungen und Mängel (metaphysisch böse). (http://hltwahrheit.org/Boese.html, 27.05.2010). Auf den ersten Blick sollte man meinen, dass die oben zitierte Definition den Begriff des Bösen klar abgrenzt und dass diese Definition allgemeingültig ist. Dies entspricht allerdings nicht der Realität, da bei der Recherche schnell deutlich wurde, dass es keine 7 universell gebräuchliche Definition des Bösen gibt. Es fällt auf, dass verschiedene Erklärungsansätze des Begriffes in verschiedenen Bereichen bestehen. So beschäftigt sich beispielsweise neben der Theologie auch die Philosophie mit der Begriffsklärung des Bösen. 3. Darstellungen des Bösen in den Religionen Wie aber kam das Böse in die Welt? Fest verwurzelt ist der Begriff in den Religionen, wobei dort neben dem Bösen immer auch das Gute besteht. Die Begriffe Gut und Böse erfahren als ethische Begriffe in den einzelnen Religionen verschiedene Auslegung [...]. Trotzdem wird in allen Religionen Gut und Böse unterschieden und nach ihrer Entstehung und Vergeltung gefragt. (Lurker, 1991, S. 270). Folgt man theologischem der chronologischen Gebiet, dann muss Reihenfolge man mit auf der Begriffserörterung im Judentum beginnen. 3.1 Theologische Ansätze 3.1.1 Das Judentum: 6./5. Jahrhundert vor Christus Die Wurzeln der jüdischen Entstehungsgeschichte reichen weit. 1 Im Judentum, das oftmals als „die Mutterreligion des Christentums und des Islams“ 2 bezeichnet wird, steht der Begriff des Bösen im Fokus. 1 So geht aus der Forschung hervor, dass schon um ungefähr 1800 vor Christus Abraham, der jüdische Urvater, der Führer eines jemenitischen Nomadenstammes in der Gegend des Mittelmeers war und dort den jüdischen Glauben praktizierte. Der Stifter der jüdischen Religion war jedoch Moses (um 5. Jahrhundert vor Christus). Dieser bezog das Judentum allerdings auf Grundaussagen, die schon seit 1200 vor Christus im Umlauf waren. „Als Begründer des eigentlichen Judentums“ gilt Esra (um 6./5. Jahrhundert vor Christus). (http://www.philolex.de/judentum.htm, 13.05.2010.) 2 http://www.philolex.de/judentum.htm, 13.05.2010. 8 Die Polarität zwischen Gut und Böse sei vor allem „durch Einfluß des persischen Zoroastrismus“ 3 entstanden. Demnach werden das Gute mit Gott und das Böse mit dem Teufel gleichgesetzt. Es gibt nur dieses eine Kriterium um Gut und Böse im Judentum zu unterscheiden: „Gut ist was Gott will. Böse, also Sünde, ist, was Gott nicht will.“ 4 Da der jüdische Gott als allmächtig gilt konnten Gläubige bis heute nicht verstehen, warum er den Teufel und somit das Böse in der Welt zulässt. Diese Frage beschäftigte neben den Gläubigen auch viele Philosophen auf deren Erklärungsversuche ich zu einem späteren Zeitpunkt eingehen werde. Ein weiterer wichtiger Aspekt des jüdischen Glaubens ist der Glaube an Vergeltung. Denn der bestrafende oder belohnende Gott erteilt dem Menschen nicht nur die Freiheit über gutes und böses Handeln selbst zu entscheiden, sondern vergibt dem Sünder auch seine böse Tat oder bestraft sie. 5 3.1.2 Buddhismus: ca. 590 vor Christus Vor ca. 2600 Jahren entwickelte sich der Buddhismus aus dem hinduistischen Kulturraum. 6 Es ist eine indische Religion, in der das Böse als ein kosmisches Prinzip dargestellt wird. Die Verkörperung des Bösen wird in der Drachengestalt Ahi dargestellt. Das kosmische Prinzip umfasst den Mythus der Tötung des Wasserdrachens Ahi durch den Gott Indra. Dem Mythus zu Folge beherrschte Ahi den gesamten Wasservorrat. Erst als Indra, auch 3 http://www.philolex.de/judentum.htm, 13.05.2010. http://www.philolex.de/judentum.htm, 13.05.2010. 5 Carl-Friedrich Geyer: Leid und Böses in philosophischen Deutungen. Freiburg. München 1983, S. 36f. 6 www.experto.de/f/religionen/hinduismus/was-ist-der-unterschiedzwischen-hinduismus-und-buddhismus, 25.05.2010. 4 9 Vŗtra – Drachentöter – genannt, den Drachen tötete, kehrte das Wasser zurück zu den Menschen und die durch Ahi herbeigeführte Dürre nahm ein Ende. 7 ` 8 Dennoch kann man nach Widengren den Wasserdrachen Ahi nicht als ein „radikal böses Element des Daseins betrachten“ 9 , da ihm das „moralische Übel als entscheidende Qualität fehlt“ 10 . Letztere ist ihm nicht zugestanden, da er einen notwendigen Platz im Kosmos einnimmt. Das Böse muss vorhanden sein, um von Indra bekämpft und besiegt werden zu können, denn ohne das Böse würde das kosmische Geschehen nicht funktionieren. Neben dem Drachen gibt es noch drei weitere Aspekte, die das Böse definieren: Lüge, Trug und Sünde. Dennoch verkörpert der Drachen keinen dieser drei Aspekte sondern eher eine dämonische Macht. 11 ` 12 3.1.3 Zoroastrismus: ca. 630-550 vor unserer Zeit Diese Religion hat sich im Osten Irans zwischen 630 bis 550 vor unserer Zeit verbreitet. Der Gründer des 7 Geo Widengren, Das Prinzip des Bösen in den östlichen Religionen. In: M.-L. von Franz, L. Frey-Rohn, K. Kerenyi, K. Löwith, V. Maag, M Schlappner, K. Schmid, G. Widengren (Hrsg.): Das Böse. Zürich und Stuttgart 1961, S. 28 f. 8 Dieser Sieg über das Böse wurde von den Indern auf einer persönlichen und einer unpersönlichen Ebene interpretiert: Der Herrschaft des Drachen auf der persönlichen Ebene steht die Dürre auf der unpersönlichen Ebene gegenüber, genauso wie die Besiegung des Drachens, der Überwindung des Wehrs gegenübersteht und der Befreiung der Frauen, dem Strömenlassen des Wassers und der Vermählung, dem Regen gegenübersteht. (Widengren, S. 29). 9 Widengren, S. 30. 10 Widengren, S. 30. 11 Widengren, S. 30 f. 12 Es erscheinen neben Vŗtra und Ahi noch weitere göttliche Wesen, wie zum Beispiel Nirŗti, das Verderben und Māra, eine ausschließlich persönliche böse Macht. Besonders im Buddhismus spielt Māra eine wichtige Rolle. Er ist „der Herr der Welt, ein Herrscher über Lebende und Tote, über Götter und Menschen. Er ist auch Kāma, die Lust, besonders die sexuelle.“12 Er ist so gefährlich, weil er die Menschen mit der Lust verführt und sie dadurch wiedergeboren werden. Nach der Wiedergeburt, so glaubte man, werde man an „das Rad des Daseins gekettet“12. Der größte Gegner Māras ist Buddha, der die Menschen vor der Lust bewahren und somit vor der Wiedergeburt zu befreien versucht. Māra wiederum versucht Buddha zu verführen, indem er ihm die Weltherrschaft verspricht. (Widengren, S. 32) 10 Zoroastrismus war der Priester Zarathustra. Das Böse wird im Zoroastrismus, wie auch im Buddhismus, mit dem Bildnis eines Drachens namens Azi Dahāka dargestellt. Übersetzt bedeutet der Name des Drachens so viel wie „die dahische Schlange“ 13 , wobei „dahisch“ auf einen ostiransichen Stamm verweist. Azi Dahāka verkörpert im Zoroastrismus einen bösen Weltherrscher, „der den Urmenschen und Urkönig Yim(a) vertreibt und dann durch seine Henker zersägen läßt“ 14 . Der Sieger über den Drachen ist im iranischen Glauben entweder ein Gott, ein Hochgott, oder sogar ein göttlicher Heros. 15 Wichtig ist jedoch, dass im Zoroastrismus der Drache selbst „ein Vertreter des radikal Bösen bleibt“ 16 . Im Gegensatz zu Indien, wird dieser Gedanke im Iran auch konsequent verwirklicht. 17 ` 18 Die Farbe des Bösen und Dämonischen ist unter den Zoroastriern die Farbe schwarz, denn „schwarz und aschenfarbig und finster ist das Kleid der bösen Macht“ 19 . Auffallend ist, dass es sich bei Gut und Böse hier um zwei göttliche Gestalten handelt, die einander bekämpfen und nicht um eine göttliche und eine dämonenhafte Gestalt niedrigen Ranges. Interessant sind neben der Symbolik des Drachens und des Drachentöters noch zwei andere Vertreter des Bösen in der iranischen Religion. Es handelt sich hierbei um Ahriman bzw. Ahra Mainyu, den bösen Geist und Spenta Mainyu, den guten Geist. Der Überlieferung nach sind diese beiden Geister Zwillinge. 13 Widengren, S. 34. Widengren, S. 35. 15 Widengren, S. 35. 16 Widengren, S. 35. 17 Widengren, S. 35. 18 Die böse Macht faszinierte allerdings kriegerische Truppen, die sich das Symbol des Drachens auf ihre Rüstung malten, um so ihre negative Ausstrahlung zu steigern. (Widengren, S. 35.) 19 Widengren, S. 36. 14 11 Die Zwillinge haben zusammen das Weltall erschaffen, wobei sie mit bestimmten Aufgaben betraut waren. Spenta Ainyu war für das Leben verantwortlich und Ahra Mainyu für das Nichtleben. 20 Über diesen Zwillingen steht nur noch ein Gott, nämlich ihr Vater, der Ahura Mazdā. Er hat die beiden Gegensätze die die Zwillinge charakterisieren in sich vereint. 21 3.1.4 Christentum: Jahr 0 Das Christentum findet seinen Ursprung im Leben und Wirken von Jesus Christus, dem Sohn Gottes. Es gibt in dieser Religion einen ebenfalls allwissenden Gott, der zusammen mit seinem Sohn Jesus Christus und dem Heiligen Geist die Dreieinigkeit bildet. Die Christen glauben an einen guten, liebenden Gott, der einem in schweren Zeiten hilft, wenn man sich an seine Gebote hält. Hält man sich nicht an Gottes Gesetze, so kommt man in die Hölle, zum Teufel. 22 Der Ursprung des Bösen im Christentum liege nach Meinung der Autoren Görres und Rahner im Verkennen und Missverstehen Gottes. Der „Widerstand gegen den Willen Gottes“ 23 , sei eine aus dem Missverstand resultierende Sünde. Darüber hinaus zeigt das Evangelium einen Vergleich auf, indem es das Böse mit dem Mittelmäßigen gleichsetzt. 24 Mit anderen Worten wird das Vollkommene mit dem Guten und der Verlust des Vollkommenseins mit dem Bösen assoziiert. Dieses 20 Widengren, S. 38 f. Martin Buber: Bilder von Gut und Böse. 2. Auflage. Köln und Olten 1953, S.105f. 22 www.philolex.de/christen.htm#anm1a, 18.05.2010. 23 Albert Görres und Karl Rahner (Hrsg.): Das Böse. Wege zu seiner Bewältigung in Psychotherapie und Christentum. Freiburg, Basel, Wien 1982, S. 37. 24 Görres, Rahner, S. 38. 21 12 Gleichnis bezieht sich nicht nur auf moralisches Fehlverhalten, sondern auch auf „das Zurückbleiben des Menschen hinter den ihm angebotenen Möglichkeiten“ 25 . Da der Ursatz des christlichen Glaubens heißt: „Gott ist gut“ 26 . Wenn es also einen Gott gibt, so müsse er demzufolge „das unendlich Gute in Person sein“ 27 . Hieraus entsteht die Schlussfolgerung, dass das Böse nur „Ansatz und Raum in mangelhaften, entbehrenden, machtarmen endlichen Wesen, die nahe am Nichts gebaut sind“ 28 finden kann. Erliegt man dem Bösen, so kommt man, entsprechend der Lehre des christlichen Glaubens, nach dem Ableben in die Hölle, in der der Teufel herrscht. Die Darstellung des Bösen, also des Teufels ist im christlichen Glauben anders als im indischen oder iranischen Glauben. Das Böse wird im Christentum nicht als Drachengestalt, sondern als etwas, das meistens schwarz und behaart mit Bocksoder Pferdefüßen Krallen Hörnern einem Kuhschwanz hässlichem Gesicht und langer Habichtsnase dargestellt (www.uniprotokolle.de/Lexikon/Teufel.html#Darstell ung_im_(christlichen)_Volksglauben, 16.05.2010). wird. Da die Bibel den Teufel nur in Tiergestalten darstellte und sein Äußerliches nicht detailliert darlegte, können die verschiedenen Teufelsgestalten abweichen. So kann das Böse auch auf eine sehr verführerische Weise dargestellt werden, wie zum Beispiel in der Person von Frau Welt. Von vorne lockt Frau Welt mit ihrem Äußeren und wenn man ihre Rückseite sieht, so erkennt 25 26 27 28 Görres, Rahner, S. 38. Görres, Rahner, S. 39. Görres, Rahner, S. 39. Görres, Rahner, S. 39. 13 man, dass der ganze Rücken mit Kröten und Schlangen bedeckt ist. Die Verlockung die sie ausstrahlt soll die Lust und Begierde, die den Menschen blenden und ins Verderben führt. 29 3.1.5 Manchäismus: 3. Jahrhundert nach Christus Die Anhänger des Manchäismus` waren in Persien, Spanien und China ansässig. Die wesentliche Grundlage dieser Religion ist „der Lichtmythos, der sich in zahlreichen Metaphern, Bildern und Symbolen ausdrückt“ 30 . Der Gegensatz Gut und Böse wird in den Lichtmythos auf folgende Art miteingebunden: Finsternis symbolisiert das Böse (die Materie) und das Licht steht für das Gute. Im „Buch der Giganten“ 31 wird das Gute auch als Baum des Lebens definiert; der den Osten, Westen und Norden einnimmt. Das Böse wird durch den Baum des Todes verkörpert, der sich auf den Süden beschränkt. Im Manchäismus werden abstrakte Ideen oftmals räumliche in Anschauung umgesetzt. So entwickelte sich die Vorstellung zweier Reiche. Man stellte sich die beiden Reiche des Guten und des Bösen als Land des Lichts oder als Lichtfläche vor. Der Vorstellung nach, drängt sich das Böse im Süden wie ein dunkler Keil in das Reich des Guten, um sich mit dem Licht zu vermischen. 32 29 www.beyars.com/kunstlexikon/lexikon_3192.html, 15.06.2010. Manfred Lurker: Wörterbuch der Symbolik. 5. Auflage. Stuttgart 1991, S. 456. 31 Lurker, Manfred, S. 456. 32 Sonne und Mond haben eine besondere Funktion. Dem Glauben nach dienen sie als Hilfsmittel, die von der Erde abkömmlichen Lichtpartikel zum Lichtparadies zu bringen. Dieses gelingt ihnen mit Hilfe einer anderen abstrakten Idee: der des kosmischen Rads. Es „schöpft wie ein Wasserrad die Lichtpartikel von der Erde durch die Lichtsäule zu den Lichtschiffen“ (Sonne und Mond) empor. Weitere Räder, wie die des Windes, Wassers und Feuers sollen das verloren 30 14 3.1.6 Islam: ca. 611 nach Christus Mohammed, ein Kaufmann aus Mekka, gründete den Islam um ungefähr 611 nach Christus. Diese Religion breitete sich in Nordafrika und dem Nahen Osten aus. 33 Im Islam gibt es zwei Gestalten, die das Böse verkörpern. Die vornehmlichste Gestalt ist die des Iblis. Die andere Gestalt ist al-Dadjdjal, der Lügner. 34 Iblis wird am Anfang der Schöpfung größere Bedeutung zugemessen. Er repräsentiert das Böse, da er sich Ungehorsam wider den Geboten Allahs zeigt und die Menschen zu schlechten Taten zu verführen versucht. 35 Neben der Verführung kennzeichnet sich das Böse im Islam auch durch den Hochmut. Wichtig ist jedoch, dass Iblis nicht als eine zweite Macht neben Gott gesehen wird. Da Allah allmächtig ist, kann er auch der Ursprung des Bösen sein, da er es in seiner Allmacht nicht verhindert hat. 36 gegangene Licht in der Welt befreien. (Lurker, 1991, S. 456.) 33 http://www.bbc.co.uk/religion/religions/islam/history/muhammad_ 1.shtml, 25.05.2010. 34 Die andere Gestalt al-Dadjdjal, der Lügner tritt vor allem in der islamischen Eschatologie als eine Art Antichrist auf. Er selbst wird im Koran nicht genannt, da die Herrschaft al- Dadjdjals nur 40 Tage dauerte, bevor er von Mahdi getötet wurde. Mahdi ist nach traditionell islamischer Glaubensauffassung der von Gott gesandte Messias, der in der Endzeit das Unrecht auf der Welt beseitigen (http://sphinx-suche.de/religionen-a-g/boeses-im-islam.htm, wird. 24.05.2010) 35 Als Strafe verflucht Gott ihn bis zum Tag des Gerichts. Iblis bittet Gott, seine Strafe bis zu dem Tag auf zu schieben, an dem die Verstorbenen zum Gericht versammelt werden. Grund hierfür ist, dass Iblis die Menschen vor dem Gericht zum Ungehorsam gegenüber Gott verführt. Er flüstert den Menschen böse Gedanken in ihre Herzen und wenn diese den Eingebungen nachgehen, werden sie zusammen mit Iblis in das Höllenfeuer geworfen. (http://sphinxsuche.de/religionen-a-g/boeses-im-islam.htm, 24.05.2010) 36 http://sphinx-suche.de/religionen-a-g/boeses-im-islam.htm, 24.05.2010. 15 3.2 Vergleich der Religionen Obwohl es viele Unterschiede in der Darstellung des Bösen innerhalb der verschiedenen Religionen gibt, bleibt der Hauptaussagepunkt bestehen: Es gibt das Gute und auch das Böse in allen von mir behandelten Religionen. Die Religionen, die sich in ihrer Darstellung und Definition des Bösen gleichen sind das Judentum, das Christentum und der Islam. Diese Ähnlichkeit stammt aller Wahrscheinlichkeit nach daher, dass sie einander beeinflussten. In diesen drei Weltreligionen wird das Böse als etwas dargestellt, das den Menschen dazu verführen soll, Gott ungehorsam zu sein und sich somit von ihm zu entfernen. Das Böse ist nicht als göttliches Wesen dargestellt, sondern als Wesen der Unterwelt. Das Judentum wiederum übernahm die Polarität zwischen Gut und Böse aus dem Zoroastrismus. Ansonsten weisen der Zoroastrismus und das Judentum keine weiteren Übereinstimmungen auf. Diese sind eher beim Buddhismus und dem Zoroastrismus zu finden. Diese zwei Religionen stimmen in der Darstellung des Bösen überein. Das Böse ist ein Drache, der letztendlich besiegt wird. Im Buddhismus wird das Böse allerdings nicht als radikal böse angesehen ist, da er einen wichtigen Platz im kosmischen Geschehen einnimmt. Im Zoroastrismus hingegen ist der Drache radikal böse, da das Böse eigentlich gar nicht bestehen dürfte. In beiden Religionen gibt es noch weitere böse Verkörperungen, wie zum Beispiel Nirŗti und Māra im Buddhismus oder die Geister Zwillinge im Zoroastrismus. Im Gegensatz zu den drei Weltreligionen wird im Buddhismus und Zoroastrismus das Böse durch göttliche Gestalten dargestellt. Den größten Unterschied in der Darstellung 16 zwischen Gut und Böse findet man allerdings im Manchäismus. Diese Religion definiert den Gut-BöseGegensatz mit Hilfe von Lichtgegensätzen oder räumlichen Anschauungen. So verkörpern das Licht und der Baum des Lebens das Gute und die Dunkelheit und der Baum des Todes das Böse. Es gibt keine Leitlinie, die eine Veränderung der Beschreibung des Bösen in den Religionen erkennen lässt. Die Religionen ähneln einander entweder, da sie voneinander beeinflusst wurden, oder aber es gibt einen ganz anderen Erklärungsansatz, wie den im Manchäismus. 4. Darstellungen philosophischer Ansätze: Mit der Frage wie das Böse in die Welt kam, beschäftigen sich die Philosophen schon seit frühester Zeit. Voraussetzung dieser philosophischen Debatte war, dass das Böse besteht. Da die Philosophen im Gegensatz zu den Theologen nicht vom Glauben aus gehen, werden hier andere Ansatzpunkte bezüglich der Definition des Bösen verwendet. 4.1 Philosophische Ansätze 4.1.1 Platon (428-348 vor Christus) Platon stellt das Problem des Bösen „durch den Dualismus des Vollkommenen – Unvollkommenen, Guten – Bösen als ein metaphysisches Problem dar.“ 37 Seiner Meinung nach ist das Böse das Endprodukt aus der Unbestimmtheit, aus der Unordnung des Materiellen und aus der Natur des Körperlichen. Es widerstrebt dem 37 Nina Strehle: Das Böse bei Johann Gottlieb Fichte und Immanuel Kant. Münster 2001, S. 1. 17 Ordnungsprinzip der Welt und ist nicht göttlich. Hieraus schlussfolgert Platon, dass eine gute Gottheit das Böse nicht erschaffen haben kann. 38 4.1.2 Aristoteles (384-322 vor Christus) Aristoteles definierte den „Gedanken der Doppelheit des Bösen“ 39 . Das Gute, also die Tugend, ist nach Aristoteles immer von Irrwegen umgeben. Denkt man zum Beispiel an eine Gefahrensituation, so liegt das Gute zwischen Tollkühnheit und Feigheit. Im Umgang mit Geld, liegt die Tugend zwischen Verschwendung und Geiz. Diese schlechten Wege stellen Gegensätze dar. Das eine Extrem will den Menschen dazu verlocken über seine Grenzen hinauszutreten (Verschwendung, Tollkühnheit) und das andere Extrem soll bewirken, dass man sich in sich kehrt und verstarrt (Geiz, Feigheit). Beide Extreme gelten als schlechte Eigenschaften und machen den Menschen letztendlich Böse. 4.1.3 Epikur (341 vor Christus) Epikur beschäftigte sich mit der Frage, warum ein allwissender und allmächtiger guter Gott das Böse überhaupt existieren lässt. Epikur fand auf dieses Dilemma keine Antwort, aber er stellte fest, dass Gott entweder unwillens sei, das Böse aus der Welt zu verbannen, oder das er unfähig sei, das Böse zu beiseitigen. Wenn er allerdings unfähig wäre, so wäre er nicht allmächtig. Falls er unwillens sei, so wäre er nicht vollkommen 38 39 gut – was auch dem Gottesbild Annemarie Pieper: Gut und Böse. München 1997, S. 58 f. Benjamin Kober: Das Böse in der Literatur. Karlsruhe 2006, S. 5. 18 widerspräche. 40 Das Böse bei Epikur ist an sich jedoch nicht weiter definiert worden. Es ist nach seiner Definition eine allgemeine Bezeichnung für alles Schlechte in der Welt. 4.1.4 Thomas von Aquin (1225-1274) Thomas von Aquin, ein zu seiner Zeit einflussreicher Theologe und Philosoph, beschäftigte sich weniger damit wie das Böse in die Welt gekommen ist, sondern eher damit, was genau das Böse eigentlich ist. Seiner Meinung nach ist das Böse eine Beleidigung Gottes. Gott wird seiner Definition nach durch nichts beleidigt als durch die Handlungen die der Mensch gegen sein eigenes Wohl durchführt. Das heißt also, dass das Böse gegen das eigene sowie gegen das Wohl der anderen und somit gegen die Gesellschaft und gegen „den das Wohl des Menschen wollenden Gott“ 41 richtet. 4.1.5 Gottfried Wilhelm Leibniz (1646-1716) Leibniz prägte den Begriff der Theodizee, den „theologischen bzw. philosophischen Versuch einer Antwort auf die Frage wie Gottes Allmacht und Güte mit der Existenz des Bösen in der Welt vereinbar sei.“ 42 Er kam zu dem Schluss, dass Gott das Böse (das Übel) als ein Mittel der Erziehung und Strafe in der Welt zulasse.43 Da es auch Übel gab, das nicht der Strafe oder der Erziehung diente, unterschied Leibniz zwischen drei Arten: 40 http://hltwahrheit.org/Boese.html, 27.05.2010. Görres, Rahner, S. 40. 42 Bernhard Pollmann und Jochen Dilling: Harenberg Kursbuch Bildung. Das erste interaktive Lexikon. Das eigene Wissen überprüfen und neue Netzwerke entdecken. Dortmund 2003, S. 416. 43 Geyer, S. 100. 41 19 Erstens: Dem metaphysischen Übel, wie zum Beispiel dem Tod. Dieses Übel resultiert aus der Tatsache, das auch „die beste aller möglichen Welten“ 44 nur aus endlichen Wesen bestehen kann. Zweitens: Dem Schmerzempfinden, physischen das aus der Übel, dem Leiblichkeit des menschlichen Wesens hervorkommt. Alles Leid, das aus natürlichen Prozessen entsteht, fällt unter diese Kategorie wie zum Beispiel Krankheiten oder Naturkatastrophen. Drittens: Dem moralischen Übel, welches sich durch sündhaftes Verhalten charakterisiert. Dieses Verhalten kommt, wie auch das Gute, aus der Freiheit des Menschen hervor. 45 Dies ist der Fall, wenn ein Mensch dem anderen absichtlich physischen oder psychischen Schmerz zufügt. 46 4.1.6 Immanuel Kant (1724-1804) Auch aus dem Blickwinkel der Moral betrachtet ein weiterer wichtiger Teilnehmer der Debatte des Bösen dieses Thema. In Kants Augen galt man dann als radikal böse, wenn man „die Negation des moralischen Gesetzes zum Prinzip seiner Haltungen macht. Nur wer das moralische Gesetz will, ist, laut Kant, frei. Andernfalls wendet er sich aus Freiheit gegen die Freiheit.“ 47 . Unter Freiheit versteht Kausalität, dem Kant die „Unabhängigkeit von Ursache-Wirkungs-Prinzip“ 48 , dem Prinzip, das die Naturgesetze charakterisiert. Als moralisches Gesetz wird ein objektiver 44 Geyer, S. 100 f. Geyer, S. 101. 46 Kober, S. 6. 47 Prof. Dr. Helmut Holzey: Kritik der Moral – Moral der Kritik. Untersuchungen zum Problem der Freiheit bei Kant und zur „Politik“ bei Aristoteles. Zürich 1988, S. 8. 48 Holzey, S. 9. 45 20 Bestimmungsgrund des Willens festgelegt. 49 Dadurch, dass das moralische Gesetz objektiv ist, ist es für alle Menschen gleichermaßen zutreffend. Es ist allgemeingültig und unterliegt keiner Bedingung. Im Gegensatz zum moralischen Gesetz steht die Maxime: ein subjektives Gesetz, das nur für einzelne Menschen gilt. Nach Kant ist das moralische Gesetz sehr abstrakt, da es auch als „reine Form, eine rein formale Bedingung des Willens“ 50 aufzufassen ist. Das moralische Gesetz bestimmt sich durch sich selbst. 51 Ein freier Wille ist demnach nur einer, der sich durch moralische Gesetze definiert, da diese allgemeingültig und abstrakt sind. Es ist hierbei gleichgültig ob das Gesetz ausgeführt wird oder nicht. Man muss nur entscheiden ob der Bestimmungsgrund eine Maxime oder ein moralisches Gesetz ist. Vernunft Das moralische Bewusstsein, das unsere erkennt, wird vom moralischen Gesetz hergeleitet. Das heißt also, dass das moralische Gesetz die Moral bestimmt. Was nicht dem moralischen Gesetz entspricht und somit eine Maxime ist, ist in Kants Augen auch nicht mehr moralisch vertretbar. Betrachtet man nun wieder Kants Definition des radikal bösen Menschen, zeigt sich folgendes: Ein Mensch der „die Negation des moralischen Gesetzes zum Prinzip“ 52 seines Handelns macht, ist also einer, der Gesetze befolgt, die nicht allgemeingültig sind und sich sozusagen mehr oder weniger einen Vorteil durch die Auslegung verschiedener Maxime schaffen will. Denn nur ein ausschließlich rein moralisches Gesetz gilt als 49 Holzey, S. 10. Geyer, S. 109. 51 Geyer, S. 109. 52 Geyer, S. 110. 50 21 gut. 4.1.7 Johann Gottlieb Fichte (1762-1814) Fichte setzt das Böse mit einer Rechtsverletzung gleich. Schließlich weiß ein jeder Mensch, was Böse ist, wenn ihm oder ihr selbst Unrecht geschieht. Denn jeder „empfindet sich als Inhaber von Rechten, die kein anderer verletzen darf. Er findet sich rechtswürdig.“ 53 Wenn zum Beispiel ein Mitgefangener einem anderen das Essen klaut oder ihn grundlos schlägt, so empfindet das Opfer die Verletzung seiner Rechte. Auch dann, wenn der Schwächere genauso handelt. Dieses Wissen einer Rechtsverletzung, gehört nach Görres und Rahner “zu der eisernen Ration von Wahrheiten, die keinem Menschen gänzlich verloren gehen.“ 54 Dieses bezieht sich auf Fichtes Aussprache das Böse betreffend: „Es gibt Ideen, denen mit Vernunft nicht widersprochen werden kann [...]. Eine davon heißt: Personen haben Rechte.“ 55 Wenn also eine Person die Rechte einer anderen Person freiwillig und wissentlich Unrecht tut, oder bereit ist es zu tun, handelt er der Definition nach böse. Dass Unrecht, das auch im Unterlassen von Handlungen bestehen kann, spricht für sich. Diese Rechte und Pflichten, zum Beispiel einem verunglückten Fahrradfahrer zu helfen, die ein jeder in sich selbst hat, werden als das Gewissen verstanden. Die Missachtung von Rechten und Pflichten ist böse und macht Fichte zu Folge böse 56 . 53 Görres, Rahner, S. 21. Görres, Rahner, S. 21. 55 Görres, Rahner, S. 21. 56 Görres, Rahner, S. 21. 54 22 4.1.8 Friedrich Nietzsche (1844-1900) Nietzsche eröffnete einen zu seiner Zeit vollkommen neuen Ansatz im Diskurs über das Böse. In seiner Lehre wertet er die Werte um, indem er den Kulturkanon – bestehend aus den christlichen Forderungen der Wahrheitsliebe, Nächstenliebe oder des Streben nach Vollkommenheit, sowie auch Hass, Egoismus und Intoleranz - für die moralische Dekadenz verantwortlich macht. Er betont, dass Moral nur durch eine subjektive Einfüllung Gut sein könne. 57 Denn der Mensch ist sein eigener Wertmaßstab, es ist der emotionale Mensch, der sieht und wertet. Und er ist nur dann echt und schöpferisch, wenn seine Wertungen von seiner Affektivität und seinem Lebensdrang her bestimmt sind. Gut ist also was den Menschen stärkt, und böse ist alles, was ihn schwächlich macht und sein Leben verkümmern läßt. (Frey-Rohn, 165). Das von Kant definierte Moralgesetz, nämlich, das alles Gute als Handlungsprinzip für alle Menschen gleichermaßen gelten kann, wird von Nietzsche gerade als Böse definiert. Denn in einer Moralvorstellung, die auf jeden gemünzt werden kann, geht die Subjektivität des Einzelnen verloren. Deshalb fordert Nietzsche eine Befreiung von der Moral, um moralisch leben und sich somit selbst erfinden zu können. 58 Seiner Meinung nach wird die Moral zur Unmoral wenn sie zu „der Wahrheit und dem Ideal erhoben wird“. 59 Das Böse, also die Festlegung der moralischen Werte, 57 Frey-Rohn: Das Prinzip des Bösen in den östlichen Religionen. In: M.-L. von Franz, L. FreyRohn, K. Kerenyi, K. Löwith, V. Maag, M Schlappner, K. Schmid, G. Widengren (Hrsg.): Das Böse. Zürich und Stuttgart 1961, S. 165. 58 Paul von Tongeren: Die Moral von Nietzsches Moralkritik. Bonn 1989, S. 21. 59 Frey-Rohn, S. 165 f. 23 findet man, Nietzsches Ansicht, nach vor allem bei den Schwachen und Unterlegenen. Denn mit der Anwendung des Bösen versuchen sie aufgrund von aufgehäuften Ressentiments die Handlungen der Starken einzuschränken und zu verurteilen. 60 4.1.9 Sigmund Freud (1856-1939) Freud, ein bekannter Philosoph und Psychologe, teilte Nietzsches Auffassung, da auch er die Auswirkungen der kollektiven Moralvorstellungen auf den Einzelnen als höchst negativ einstufte. Der Ansatz, auf den ich mich im Folgenden beziehen werde, ist nicht rein philosophischer sondern vor allem psychologischer Natur. Trotzdem erscheint mir seine Theorie in der Auflistung der Philosophen wichtig, weil auch er sich philosophischer Ansätze bedient. Freud unterscheidet sich in seinem Erklärungsansatz von Nietzsche insofern, als dass er das Individuum in drei Bereiche aufteilt: in das Es, das Ich und das Über-Ich. Das Es umfasst die menschlichen Triebe (Sexualtrieb, Hunger) Affekte (Liebe oder Neid) und Bedürfnisse. Das Ich definiert sich durch eigene, also subjektive, Normen und Werte, die sich durch vernünftiges und selbstkritisches Denken herausbilden. Mit Über-Ich meint Freund die von der Gesellschaft aufgezwungenen Moralvorstellungen und Gebote aus denen sich dann das Gewissen des Einzelnen bildet. Das Über-Ich wird oftmals als kategorischer Imperativ verinnerlicht, also als einer Regel der man Folge zu leisten hat. Tut man dies nicht, so manifestieren sich Gewissensängste und Schuldgefühle, die letztendlich zu der Zerstörung der gesunden Spontaneität des Ichs 60 Friedrich Nietzsche: Werke. 2. Teil. Jenseits von Gut und Böse. Vorspiel einer Philosophie in der Zukunft. München, Wien 1967, S. 11f. 24 führen. 61 Nach Freuds Auffassung ist ein zu stark ausgeprägtes Über-Ich das Böse. Das Gute ist das Ich, das ab und zu dem Verlangen des Es nachgibt aber dennoch nach seinen eigenen Moralvorstellungen und Werten lebt. Das Böse selbst ist nach Meinung Freuds aus dem Es entstanden. Die einzige Möglichkeit, das angeborene Böse im Menschen zu unterdrücken sieht Freud „in einer auf Vernunft und Wissenschaft gegründeten Gesellschaft“ 62 . Denn nur eine solche Gesellschaft könne die destruktiven Instinkte des menschlichen Wesens wirkungsvoll regulieren. Man muss eine innere Balance zwischen dem Es, dem Ich und dem Über-Ich finden, wobei das Über-Ich die Aufgabe hat, die Triebe des Es zu regulieren und somit die eigenen vernünftigen Gedanken des Ich zum Ausdruck bringen zu können. Darüber hinaus unterscheidet Freud zwischen zwei Arten der Bosheit: „ eine, mit der der sich böse Verhaltende in Konflikt liegt.“ 63 Diese Art der Bosheit ist nicht gewollt und der Betroffene leidet darunter. Sie überfällt denjenigen und beherrscht ihn gegen seinen eigenen Willen. Diese Art der Bosheit gehört dem Es oder dem Über-Ich an und wird vom Ich abgelehnt. Die zweite Art der Bosheit ist die, mit der sich das Ich vollkommen identifiziert. Die Person leidet nicht darunter, sondern allenfalls unter den Auswirkungen des Bösen. Das Ich erkennt die Unrechtstendenz und ist mit ihr einverstanden. 61 Frey-Rohn, S. 167. Arno Plack: Die Gesellschaft und das Böse. Eine Kritik der herrschenden Moral. Frankfurt / M, Berlin, Wien 1977, S. 266. 63 Görres, Rahner, S. 77. 62 25 4.1.10 Hannah Arendt (1906-1975) Die Maßstäbe eines selbstverständlichen Wissens über das, was gerecht und was ungerecht ist, von standardisierten Redeund Verhaltensweisen überlagert waren, deren Gewalt man sich nur entziehen konnte, wenn man bewusst aus diesem System austrat. (Arendt, 2003, S. 727). Arendts Äußerung muss im Hinblick auf den geschichtlichen Hintergrund erörtert werden. Arendt war Jüdin und floh im 2. Weltkrieg nach Amerika. Sie verabscheute das Böse und das totalitäre System. In ihrer Äußerung stellt sie Moralvorstellungen fest, dass eines die Einzelnen subjektiven hinter aufgezwungenen Moralvorstellung des Nazi-Regimes verloren gingen. Der Mensch versteckte sich hinter der Propaganda und redete sich ein, dass das Handeln der Nazis schon richtig sei, da es ja ein `Befehl von oben` sei. Das durch die falschen Moralvorstellungen indoktrinierte Unrecht verselbstständigt sich zum Bösen, das der Mensch hinunterspielt, indem er sich hinter den Autoritäten versteckt und sagt, dass es schon nicht so schlimm ist, was mit den Juden geschieht. Erst viel später überkommt den Einzelnen ein Schuldgefühl, da man die Einsicht erlangt, dass man doch etwas hätte tun können, wie zum Beispiel bewusst aus dem System aus zu treten und zu protestieren. Das Böse ist nach Arendts Meinung banal, da es sich hinter Befehlen und Autoritäten versteckt und unter dem Deckmantel der Normalität als ehrenhafte Werte und Normen dargestellt wird und meist viele Anhänger findet. 64 64 Hannah Arendt: Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft. Antisemitismus, Imperialismus, totale Herrschaft. 9. Auflage. München 2003, S. 726 f. 26 4.2 Vergleich der philosophischen Auffassungen Vergleicht man die verschiedenen Auffassungen der Philosophen, so fällt auf, dass sich die zeitlich gesehen aktuellsten Ansätze deutlich von den ersten unterscheiden. Bis hin zu Leibniz versuchte man zu erklären, wie das Böse in die Welt kam. Auch wenn man keine eindeutige Antwort auf dieses Dilemma fand, so wird schnell deutlich, dass Gott es entweder absichtlich erschaffen hat, als ein Mittel der Erziehung und Bestrafung oder dass das Böse ganz einfach ein Endprodukt aus der Unbestimmtheit und der Unordnung des Materiellen entstanden ist. Es fällt auf, dass in fast jedem philosophischen Ansatz Gott mit einbezogen wird. Erst ab Kant verschiebt sich dieser Ansatz und es wird versucht mit Hilfe der Moral das Böse zu definieren. Was bei Kant als unmoralisch gesehen wird ist Böse. Nietzsche widerspricht Kant, indem er gerade die Moral als das Böse definiert. Auch Freud definierte ein zu stark ausgeprägtes Über-Ich (Moralvorstellungen) als Böse, genauso wie ein zu stark ausgeprägtes Ich. Seine Vorstellung des Guten ist genau wie bei Aristoteles der Mittelweg, nämlich das Ich und eine Balance zwischen den schlechten Eigenschaften. Fichtes Umschreibung des Bösen ist wieder anders, da er das Böse als eine Verletzung des Persönlichkeitsrechts definiert. Arendt prägte den Begriff: „die Banalität des Bösen“ 65 . Das Böse wird in ihren Augen zu einer indoktrinierten Normalität, die man annimmt ohne kritisch nachzudenken. Wenn man dann erfährt, dass die verrichteten Handlungen böse waren, werden sie 65 Arendt, S. 726 f. 27 heruntergespielt und als etwas Banales abgetan. Man kann also deutlich erkennen, dass sich im Laufe der Jahrhunderte die Auffassungen über das Böse mehrfach geändert und sich widersprochen haben. Einen `richtigen` Lösungsansatz gibt es bis heute nicht und wird es auch nie geben. Daher ist es immer noch unmöglich eine klar abgegrenzte Definition des Bösen zu erstellen. Daher sind fast alle Ansätze im Einzelnen in der anschließenden Analyse der Bücher wieder zu finden, während die Verwendung einer zusammengefassten Definition aller Ansätze zu ungenau wäre. 5. Das Böse in der deutschen Fantasyliteratur Die von mir ausgewählten Werke sind aus dem Genre der Phantastik-Literatur. Diese hat das Kennzeichen, das sich die Geschehnisse sowohl in der realen Welt, als auch in einer Fantasy-Welt stattfinden. Hierbei hängt es vom Inhalt des Buches ab, ob die Charaktere nur einmal in die jeweils andere Welt treten oder, ob dieser Übergang zwischen den Welten öfter stattfindet, wie bei dem zuerst von mir vorgestellten Werk Der Greif. 5.1 Inhaltsangabe des Buchs Der Greif (1989) Wolfgang und Heike Hohlbein: Thomas und Mark sind zwei Brüder, die zusammen mit ihrer Mutter in einem alten Haus in der Stadt aufwachsen. Die Mutter erzählt den Kindern, dass ihr Vater die Familie verlassen und sich nie wieder bei ihnen gemeldet hat. Eines Tages begleitet Mark seinen Bruder Thomas mit auf das Dach des Hauses und in den Dachboden. Thomas erzählt seinem jüngeren Bruder von 28 der Hinterlassenschaft seines Vaters: einem alten Tagebuch, geschrieben in Geheimschrift und einem Lot, das Marks Vater als Werkzeug zur Bestimmung vertikaler Linien verwendete. Das Tagebuch enthält eine verschlüsselte Wegbeschreibung zu einer anderen Welt, nämlich der Welt des „Schwarzen Turms“. Diese Welt wird, wie der Leser nach und nach erfährt, vom Greif beherrscht. Der Greif herrscht über alle Ebenen des „Schwarzen Turms“ und über alle Kreaturen. Seit seiner Herrschaft sind im Schwarzen Turm Krieg, Sklaverei und Angst ausgebrochen. Das Lot hat zwei Funktionen. Wenn man es zum einen im Kreis schwingt, dann öffnet man die Tür für die Geschöpfe des „Schwarzen Turms“ zur Realität. Zum anderen ist das Lot eine Waffe mit der der Greif und andere Geschöpfe besiegt werden können. Marks Vater verfügte über das Tagebuch und das Lot, da er und seine Kinder Nachfahren Martens sind. Marten war der Gründer des „Schwarzen Turms“ und des Greifs. Der Greif weiß, dass er nur von einem Nachkommen Martens besiegt und seine Herrschaft somit beendet werden kann. Deshalb schickt er seine Untertanen die auch in der Welt außerhalb des „Schwarzen Turms“ bestehen zu Thomas und Mark, um sie zu vernichten und ihnen das Lot abzunehmen. Als die Mutter erfährt, das der Fluch auch ihre beiden Söhne erreicht hat, beichtet sie ihnen, das ihr Vater die Familie nicht verlassen hat, sondern vor dem Greif schützen wollte, indem er probiert ihn zu vernichten und wieder Frieden in den „Schwarzen Turm“ zu bringen. 66 66 Wolfgang und Heike Hohlbein: Der Greif. Eine phantastische Geschichte. Wien 1989, S. 281. 29 5.2 Der Greif - Elemente des Bösen In dem Buch Der Greif arbeitet Hohlbein mit vielen verschiedenen Elementen, die unter Punkt 3 und 4 als Böse definiert werden. Schon in den ersten beiden Sätzen des ersten Kapitels „Es war dunkel hier oben. Dunkel, kalt und feucht.“ 67 wird auf den Lichtmythos der Manchiäer eingegangen. Die im Manchäismus vertretene Auffassung, dass die Finsternis das Böse und das Licht das Gute symbolisiert, hat Hohlbein übernommen. „Das Gefühl sich in der Nähe eines gleißenden Lichtes zu befinden“ 68 wenn der Cherub, sein Schutzengel, bei Mark ist, verdeutlicht, dass auch hier das Licht etwas Positives symbolisiert. Denn Licht bedeutet für Mark Sicherheit und Wärme. 69 Im Gegensatz zum Licht steht die Dunkelheit. Denn beinahe alles im „Schwarzen Turm“ ist schwarz und dunkel: „[...] und die Wände trugen nicht nur die Farbe schwarz, sie strömten Schwärze aus wie einen düsteren Hauch, der etwas in der Seeleberührte und erstarren ließ.“ 70 Eine andere Farbe, die ebenfalls das Böse repräsentiert ist rot. Denn rot ist im „Schwarzen Turm“ die Farbe des Hasses.71 Hohlbein unterscheidet die von ihm beschriebene Realität von der phantastischen Welt im „Schwarzen Turm“ mit der abstrakten Idee der Manchiäer. Die Manchiäer unterschieden Gut und Böse auch als Länder des Lichts oder als Lichtflächen. Hohlbein macht diese Unterscheidung auch, denn der „Schwarze Turm“ wird 67 Hohlbein, Der Greif, S. 9. Hohlbein, Der Greif, S. 50. 69 Hohlbein, Der Greif, S. 9, S. 264. 70 Hohlbein, Der Greif, S. 91. 71 Hohlbein, Der Greif, S. 418. 68 30 als „Reich der Schatten, Schattenland“ 72 und die Realität als „sonnenbeschienene Ebene“ 73 dargestellt. Es gibt gleich zu Anfang noch einen Hinweis darauf, dass das Böse in Hohlbeins Werk einen zentralen Platz einnimmt. Denn schon im ersten Kapitel wird eine Verfolgung beschrieben, in der Mark vor einem schwarzen Schatten flieht, der ihn über die Dächer der Stadt jagt. Etwas Riesiges, Graues schob sich aus der gewaltsam geschaffenen Öffnung, griff nach dem gezackten Rand aus zerborstenen Dachpfannen und Holz und fiel mit einem gewaltigen Poltern und Krachen zurück [..]. Mark wartete nicht, bis der Verfolger wieder in der Öffnung auftauchte [...] – und rannte los. (Hohlbein, 1989, S. 10 f.). Das Zitat beschreibt auch den Verfolger als etwas „Riesige, Graues“ 74 . Dies ist noch eine der harmlosesten Beschreibungen die zu finden sind, denn Hohlbein stellt seine Dämonen auf vielfältige Art und Weise dar. So werden Mark und Thomas nicht nur von Schatten sondern auch von einer Schattenkreatur mit Krallen und Zähnen angegriffen. 75 Im „Schwarzen Turm“ begegnen die beiden Brüder Gehörnten, deren Aussehen sehr genau beschrieben wird: Sein Körper hatte ungefähr menschliche Formen: Das hieß, er hatte zwei Arme, zwei Beine und einen Kopf – aber damit hörte die Ähnlichkeit auch schon auf. Wie alles hier war die Haut des Wesens schwarz, so vollkommen schwarz, dass sie selbst das Licht aufzusaugen schien, und sah 72 Hohlbein, Der Greif, S. 84. Hohlbein, Der Greif, S. 178. 74 Hohlbein, Der Greif, S. 10. 75 Hohlbein, Der Greif, S. 47. 73 31 hart aus wie Stein. Es war ein gutes Stück kleiner als Mark, und es wirkte noch kleiner dadurch, dass es weit nach vorne gebeugt ging, als trugen die krummen Schultern eine unsichtbare Zentnerlast. Seine Arme waren lang wie die eines Affen, so dass die Hände – nein, keine Hände, Klauen, vierfingrige Pranken mit spitzen Krallen – fast über den Boden schleiften, und statt Füßen hatte es gespaltene Ziegenhufe und passend dazu einen lange, schuppigen Schwanz, der in einer pfeilförmigen Quaste endete. Das Gesicht war schmal und von tiefen, wie mit einem Messer eingeschnittenen Furchen überzogen. Ein dürrer Kinnbart wackelte unter einem spitzen Mund mit aufgeworfenen Lippen, die Nase war scharf und ähnelte einem Raubvogelschnabel, und die Augen glühten in einem düsteren Rot, wie kleine glimmende Kohlestückchen. Dieses Gesicht wurde von einem Paar spitzer, aufeinander zu gekrümmter Hörner gekrönt, die aus den Schläfen des Schädels hervorwuchsen. (Hohlbein, 1989, S. 93 f.). Diese Wesen, die Hohlbein Gehörnte oder auch Teufelsgestalten nennt, machen einen großen Teil der Bevölkerung des Schwarzen Turms aus. Es gibt eine auffallende Ähnlichkeit zu einer der Beschreibungen der Verkörperung des Bösen im Christentum. Dort wird der Teufel ebenfalls als ein Wesen beschrieben, das Krallen, Bocksfüße, einen Kuhschwanz und ein hässliches Gesicht mit langer Habichtsnase hat. Das Hohlbein diese Ähnlichkeit zum Christentum beabsichtigt hat wird an folgendem Zitat deutlich: ... gewisse parallelen zur Dämonologie des christlichen Glaubens fallen mir immer stärker ins Auge, je länger ich an diesem sonderbaren Ort weile. Es kann kein Zufall sein, dass die Wesen, die vor Marten und seinen Nachfolgern hier lebten, Hörner, einen Schweif und Hufe an de Füßen tragen – die Parallelität zum biblischen Teufel ist unübersehbar. (Hohlbein, 1989, S. 525). 32 Es erweckt den Anschein, dass je nach Kraft und Stärke des Bösen jeweils andere Gestalten eingesetzt werden. So wurde der Schatten für die Verfolgung eingesetzt und die Gehörnten als Sklaventreiber im „Schwarzen Turm“. Um Mark und Thomas jedoch wirklichen Schaden zufügen zu können, beauftragt der Greif entweder den schwarzen Cherub, einen steinernen Engel, oder den lebendig gewordenen Amor, der ihn Mark mit seinen Pfeilen versucht zu töten 76 . Auf dem Haus, in dem Thomas und Mark aufwachsen, stehen schon seit hunderten von Jahren zwei Engelsfiguren aus Stein, den Cherubinen. Diese Figuren können zu Leben erwachen. Da sie einander sehr ähnlich sehen, begeht Mark beinahe einen fatalen Fehler, indem er dem falschen steinernen Engel vertraut. „Cherub! [...] Gott sei Dank, du bist es! Sie waren hier! Der Greif hat mich gefunden! Ich konnte gerade noch-“ [...] Das war nicht der Cherub. Es war ein Cherub, aber es war nicht jener, der ihn und Thomas vor dem Greif gerettet hatte. Sein Gesicht war...anders. Wo bei dem Cherub in Stein nachgeahmten menschlichen Züge etwas Strenges, aber Gütiges hatten, da schien ihm unter der Oberfläche dieses Antlitzes eine hämische Teufelsfratze entgegenzugrinsen. Alle Linien und Formen wirkten irgendwie verschoben und falsch. Es wat ein Cherub, aber ein schwarzer Cherub, ein gefallener Engel, der im Dienste des Greif stand, nicht in dem der Mächte, für die der andere Cherub eintrat. (Hohlbein, 1989, S. 166 f.). Diese Darstellung zweier Engel, also göttlicher Gestalten, die einander nur vom Äußerlichen her gleichen, lässt einen an die Darstellung der Zwillingsgeister im Zoroastrismus denken. Es sind zwei 76 Hohlbein, Der Greif, S. 206. 33 Geister, wovon der Eine gut ist, wie hier der Cherub und der Andere Zwillinge das Böse verkörpert, wie der schwarze Cherub. Die Zwillinge stellen das Leben und das Nicht-Leben dar, was auch auf den Cherub und den schwarzen Cherub zutrifft. Der erste hilft und beschützt und der zweite andere jagt und vernichtet. Es gibt noch ein weiteres Geschöpf, das vom zoroastristischen oder auch vom buddhistischen Glauben inspiriert worden sein könnte. Hierbei handelt es sich um Hohlbeins am stärksten ausgeprägte Darstellung des Bösen, nämlich um den Greif. Er bildet sich aus einer riesigen brodelnden Schwärze zu einem Geschöpf mit glatter, goldbrauner Haut. Sein Körper ist der eines Löwens und sein Kopf der eines Adlers. Er hat große gebogene Krallen und riesige Schwingen. In seinen rot glühenden Augen schimmert Intelligenz und Hass auf alles Lebende und Fühlende. 77 Der Greif wird als eine Art Drachen in Löwengestalt dargestellt. Dies entspricht nicht ganz der Darstellung des Buddhismus oder der Zoroastrismus, aber dennoch denke ich, ist eine Übereinstimmung zwischen der Verkörperung des Bösen in den Religionen und in Hohlbeins Werk zu erkennen. Meiner Meinung nach wird der Greif als etwas radikal Böses verstanden, wie auch der Drache im zoroastristischen Glauben, da er bekämpft wird und ihm das „moralische Übel als entscheidende Qualität fehlt“ 78 . Er nimmt also in Hohlbeins Werk keinen notwendigen Platz im Kosmos ein, da hier das kosmische Geschehen anscheinend auch ohne das Böse funktioniert. 77 78 Hohlbein, Der Greif, S. 128. Widengren, S. 30. 34 Dass der Greif jedoch die wichtigste Verkörperung des Bösen im gleichnamigen Buch darstellt, macht unter anderem der Titel deutlich. Der Greif stellt für Hohlbein nicht nur ein böses Wesen des „Schwarzen Turms“ dar, sondern als etwas viel Schrecklicheres. In seinen Augen ist der Greif Kein Ungeheuer, kein Monster, durch eine Laune des Zufalls und einen unbeschreiblichen Fehler eines sterblichen Menschen erschaffen, sondern ein finsteres, böses Ding, vielleicht das Prinzip des Bösen an sich, das einen Körper gefunden hatte. (Hohlbein, 1989, S. 424). Um dieses Prinzip besser verstehen zu können, geht Hohlbein sehr ausführlich auf die Entstehungsgeschichte des Greifs ein: Thomas erzählt seinem Bruder von ihren gemeinsamen Vorfahren Marten, der ein Steinmetz war und von einem Adligen den Auftrag erhielt eine prachtvolle Kapelle zu bauen. Er baute ein Meisterwerk, das von jedem bewundert wurde. Als er jedoch seinen Lohn bei dem Adligen einforderte, bekam er nichts für seine Arbeit. „Du meinst, dieser Graf hat ihn darum betrogen?“ „ Nicht nur das“, antwortete Thomas. „ Unser Vorfahre war ein reicher Mann, zumindest für damalige Verhältnisse. Aber er war auch ein gerechter Mann, der Lüge und Betrug hasste, und er kämpfte um sein Recht. Zuerst versuchte er es mit Ausflüchten: Er behauptete die Kapelle wäre schlecht gebaut, nicht nach seinen Plänen und nicht nach der Handwerkskunst. Aber als all dies nichts nützte und unser Urahn drohte, sich beim König selbst zu beschweren und sein Recht einzuklagen, da zeigte der Graf sein wahres Gesicht. Er bezichtigte ihn als Zauberer, als Mann, der mit dem Teufel im Bunde sei, und er brachte falsche Zeugen und gefälschte Beweise für 35 diese Behauptung. Der Steinmetz verlor alles – sein Vermögen, seinen Ruhm, sein Haus, seine Frau, sein Kind. Am Schluss warfen sie ihn ins Gefängnis und klagten ihn der Hexerei an. Aber nicht genug. Der Graf selbst behauptete, er hätte den Teufel gesehen, der nachts auf dem Altar getanzt hatte, und natürlich hatte er ein halbes Dutzend Zeugen, die diese Aussage bei ihrem Leben beschworen. Es kam zum Prozess, und der Steinmetz wurde der Hexerei für schuldig befunden und bei lebendigem Leibe verbrannt.“ (Hohlbein, 1989, S.141 f.). In diesem Zitat werden auch zwei der drei Aspekte des Bösen des Buddhismus wörtlich genannt, denn der Steinmetz wird belogen und betrogen um ihn um seinen Lohn zu bringen. Die Freunde des Steinmetzes versuchten ihm zu helfen und der Prozess verzögerte sich um zehn Jahre. Um den Steinmetz zu verhöhnen ließ der Graf ihm einen Marmorblock und ein Lot in seine Zelle bringen. Mit Hilfe dieses Lots, seinen bloßen Händen und dem Marmor erschuf Marten in zehn Jahren den Greif. „Zehn Jahre Hass, Mark“, sagte er. „Zehn Jahre in einem engen fensterlosen Loch eingesperrt mit nichts anderem als diesem Marmorblock und den Erinnerungen an seine Frau und seinen Sohn, die er verloren hatte. Es war Hass, der in ihm eine Macht wachrief, die außerhalb des Menschlichen lag und mit der er den Greif schließlich zum Leben erweckte. An dem Tag, an dem er auf dem Scheiterhaufen verbrannt wurde, verschwand der Greif aus dem Kerker, und man fand die Wachen zu Stein erstarrt. Kurz darauf verschwanden oder starben eine Menge Menschen, die mit der Sache zu tun gehabt hatten – die Zeugen, die ihn mit ihren falschen Aussagen ins Gefängnis gebracht hatten, jene, die die Wahrheit wussten und zu feige gewesen waren, sie auszusprechen, die Folterknechte, die vergeblich versucht hatten, ein Geständnis aus ihm herauszupressen. Und am Schluss fand man 36 den Grafen und seine ganze Familie versteinert an dem Tisch sitzen, an dem sie gerade gegessen hatten. Niemand hat den Greif seit diesem Tag wieder gesehen, aber du und ich, wir wissen, wo er ist.“ - „Der Schwarze Turm“ flüsterte Mark [...] „Es ist die Kapelle, die er erbaute“, bestätigte Thomas. „Ihr Gegenstück in der Welt des Greif“. (Hohlbein, 1989, S. 142 f.). Die Umgebung in der das Böse hauptsächlich stattfindet, dem „Schwarzen Turm“, nimmt auch einen wichtigen Platz in Hohlbeins Werk ein. Der „Schwarze Turm“, dessen Landschaft nicht nur als „schattenhafte Welt“ 79 bezeichnet, sondern auch als die Hölle 80 . Einen Eingang in diese Hölle gibt es immer. So wird zum Beispiel ein Besuch in einem Einkaufszentrum fast zum Verhängnis für Mark: Das mattleuchtende K über der Fahrstuhltür erlosch, aber die Kabine hielt keineswegs an, sondern wurde immer schneller. Gleichzeitig begann sie sich zu verändern. Es begann mit den Wänden. Der matte Schimmer des Edelstahls flackerte, wurde blind und erlosch dann ganz, und plötzlich waren sie nicht mehr von Metall umgeben, sondern von grobem Stein, und aus dem gellen Surren des Elektromotors wurde das schwere, metallische Klirren und Rasseln einer Kette an der sich der Aufzugskorb rasend schnell in die Tiefe bewegte! [...] Die Fahrt schien endlos zu dauern. Es wurde wärmer, und ein beißender, übelkeiterregender Schwefelgestank begann sich nach und nach in die Luft zu mengen, während sich die Kabine quietschend und schaukelnd weiter nach unten bewegte. (Hohlbein, 1989, S. 326 f.). Hohlbein beschreibt die Hölle, wie man sie sich im Allgemeinen vorstellt: gehauen aus grobem Stein, das 79 80 Hohlbein, Der Greif, S. 87. Hohlbein, Der Greif, S. 319. 37 Rasseln vieler Ketten, entweder für die Sklaven oder um Gegenstände herumzuschleifen, eine beinahe unerträgliche Hitze und ein furchtbarer Gestank. In der von mir zitierten Stelle, ist die Hitze noch nicht übermäßig groß, da Mark sich noch immer in dem Fahrstuhl nach unten befindet. Und wieder zieht Hohlbein selbst den Vergleich zum Christentum, indem er schreibt: „[...] auch das Bergwerk erinnert mich bei näherer Betrachtung immer mehr an das biblische Fegefeuer, die Vorhölle, die dem Leben folgt und dem eigentlichen Ende vorausgeht.“ 81 Der „Schwarze Turm“ hat aber nicht nur eine abschreckende, sondern auch eine verlockende Eigenschaft, von der Mark fasziniert ist. Er hatte so etwas noch nie zuvor erlebt: Der dunkle Umriss dort drüben schien gleichzeitig das Schönste wie das Abstoßendste zu sein, das er jemals erblickt hatte, er strahlte etwas unbeschreiblich Verlockendes, aber auch eine eindeutige Warnung aus, nicht näher zu kommen. (Hohlbein, 1989, S. 589). Diese Beschreibung weist Ähnlichkeit auf mit der Beschreibung des Teufels im Christentum. Denn der Teufel konnte nicht nur mit einer spitzen Nase, Kuhfüßen, einem Schwanz und Hörnern dargestellt werden, sondern auch auf eine sehr verlockende Art und Weise wie Frau von Welt, die von vorne ein äußerst verlockendes Antlitz hat und von hinten mit Kröten übersät ist. Die Kapelle lockt Mark mit ihrer Schönheit und stößt ihn gleichzeitig ab, da er weiß, dass dort viele Gefahren und endlose Dunkelheit auf ihn warten. 81 Hohlbein, Der Greif, S. 525. 38 Es sind neben den Elementen des Bösen, die in den Religionen beschrieben werden, auch einige Elemente des Bösen zu erkennen, die in der Philosophie festgelegt wurden. So zum Beispiel der Ansatz von Aristoteles, der von der „Doppelheit des Bösen“ 82 ausgeht. Ihm zufolge ist man von Irrwegen umgeben und muss sich für den goldenen Mittelweg entscheiden. Thomas und Mark sind ständig von Irrwegen umgeben. So zum Beispiel als die Tür zum „Schwarzen Turm“ nochmals geöffnet wird und der Greif ihnen einen Pakt anbietet. Er verspricht ihnen das Leben, wenn sie ihm das Lot überhändigen. Im ersten Moment weigern sich beide Brüder und beschließen die Tür zum „Schwarzen Turm“ nicht mehr zu öffnen. Thomas allerdings hält sich nicht an dieses Versprechen. Der erste Irrweg besteht darin, dass er den Greif besiegen und die Herrschaft über den Turm und seine Bewohner an sich reißen will. Als ihm dies nicht gelingt, begeht er den zweiten Irrweg, nämlich den, auf das Angebot des Greifs einzugehen und sich mit ihm zu verbünden, auch wenn er ihm das Lot nicht übergibt. Dieser zweite Irrweg ist der Versuch den Greif zu täuschen und ihn mit einem Hinterhalt in eine Falle zu locken, anstatt den offenen Kampf anzugehen. Aber auch dieser Weg nimmt kein gutes Ende, da Thomas verliert und sein Körper und sein Geist später in der Gestalt des Greifs gefangen genommen werden. 83 Hilf mir, Mark. Du bist der einzige, der es noch kann. Die Dunkelheit wich. Und Mark schrie gellend auf. Er stand seinem Bruder gegenüber. Aber auch dem Greif. Was er sah, das sah wie eine Kreuzung zwischen 82 83 Kober, S. 5. Hohlbein, Der Greif, 601. 39 einem Menschen und einem gigantischen, geflügelten Lebewesen aus, ein furchtbares Etwas mit dem Gesicht seines Bruders, dem Körper eines Löwen und mit einem langen, peitschenden Schweif und schmalen, verkrümmten Händen, die sich in einer flehenden Geste nach ihm ausstreckten...Hilf mir, Mark, flehte Thomas` Stimme in seinen Gedanken. Sein Gesicht war eine Grimasse der Qual, und in seinen Augen loderte unbeschreibliches Leid. Er hat mich überlistet! Er hat nur mit mir gespielt, wie ich mit dir! Hilf mir! (Hohlbein, 1989, 601 f.). Auch der Ansatz von Thomas von Aquin, nämlich das das Böse sich gegen das Wohl der eigenen Person und gegen das der anderen richtet, wird in obigen Zitat deutlich. Aber nicht nur Thomas Handeln richtet sich selbst, sondern auch gegen alle Sklaven und Bewohner im Schwarzen Turm, denn unter Thomas Herrschaft sind die Lebensbedingungen „noch schrecklicher als zuvor“ 84 . Auch die drei Übel, die in der von Leibniz eingeführten Theodizee vorkommen, sind in Hohlbeins Werk zurück zu finden. Das metaphysische Übel, der Tod, tritt in Form des Siegs über den Greif auf: „Keln hatte getan, wozu der Greif Mark hatte verleiten wollen – er hatte Gewalt angewendet und den Tod ins Land jenseits der Träume getragen [...].“ 85 Das physische Übel, zum Beispiel eine Krankheit, kann man bei Yezariel sehen. Er begleitet Mark in die Welt der Menschen und wird krank, da er die Umgebung im „Schwarzen Turm“ zum Überleben braucht. 86 Das dritte Übel, auch das moralische Übel genannt, wird durch Thomas verdeutlicht. Thomas versucht seinen Bruder vom Turm weg zu halten, 84 Hohlbein, Der Greif, S. 597. Hohlbein, Der Greif, S. 609. 86 Hohlbein, Der Greif, S. 556. 85 40 zumindest so lange, bis er der alleinige Herrscher dort ist. Deswegen hetzt er Mark seine Untertanen auf den Hals die ihn, wenn er nicht gehorcht, verprügeln und in einem Heim einsperren. 87 Da es in der Welt des „Schwarzen Turms“ und auch in der Welt der Menschen kein Gesetz gibt, das für jeden Menschen oder jedes Wesen gleichermaßen gilt, ist das moralische Gesetz von Kant nicht erfüllt. Seiner Auffassung nach sind alle böse, selbst Mark, der seinem Gewissen nach immer das Beste zu tun versucht und sich nicht von den Irrwegen abbringen lässt. Aber auch die Handlungen die Mark unternimmt, um die Untertanen und Sklaven im „Schwarzen Turm“ zu retten, sind keine Handlungen, die jeder unternehmen sollte, wie zum Beispiel einen Aufstand der Sklaven hervorzurufen und zu führen. 88 Dass nach Fichtes Definition das Böse im „Schwarzen Turm“ herrscht, ist nicht zu übersehen. Schon die Sklaverei oder die Tötungsversuche des Greifs bezüglich Mark und Rechtsverletzungen. 89 Thomas Nach sind Nietzsche, eindeutige der die Wertvorstellungen ganz anders deutet als Kant, müsste eigentlich jedes Wesen in Hohlbeins Werk gut sein. Dies ist allerdings auch nicht der Fall, da Nietzsche festlegt, dass Moral gut sei, wenn sie subjektiv eingefüllt werde. Das heißt, ein jeder muss nach seinem eigenen Wertmaßstab handeln. Verstößt derjenige jedoch gegen seine eigenen Werte, so ist er auch trotz subjektiver Einfüllung böse. Thomas weiß, dass er seinen Bruder nicht hätte betrügen und belügen dürfen. Aber seine eigene Habgier war größer als seine selbst gesetzten Moralvorstellungen. Als Thomas seinen Bruder anfleht 87 Hohlbein, Der Greif, S. 488. Hohlbein, Der Greif, S. 582. 89 Hohlbein, Der Greif, S. 213. 88 41 ihm zu helfen: „Er hat mich überlistet! Er hat nur mit mir gespielt, wie ich mit dir! Hilf mir!“ 90 bereut er seine Taten. Sein Handeln hat ihn schwächlich gemacht und sein Leben verkümmern lassen. Mark hingegen hält sich an seine eigenen Moralvorstellungen. Auch er handelt einige Male entgegengesetzt dem festgelegten Kulturkanon, zum Beispiel wenn er das Büro des Heimleiters aufbricht in dem sein Bruder ihn hatte einsperren lassen. 91 Ein Einbruch ist der Moralvorstellung nach eine Straftat und somit etwas Böses. Da Mark allerdings einbricht, um die Polizei über seine Situation zu informieren und nicht um etwas zu stehlen, ist seine Handlung in Nietzsches Sinne gut. Wendet man Freuds Definition auf Mark und Thomas an, so kommt man zu der gleichen Schlussfolgerung wie Nietzsche. Mark ist gut, da bei ihm das Es, das Ich und das Über-Ich in Balance stehen. Er lässt sich nicht nur von seinen Trieben steuern und auch sicher nicht von der allgemeinen Moralvorstellung. Das Ich, das sich durch subjektive Normen und Werte und durch vernünftiges und selbstkritisches Denken heraus bilden, ist bei ihm am stärksten ausgeprägt, steht aber immer noch in Balance zum Es und Über-Ich. Bei Thomas wiederum stehen das Es, das Ich und das Über-Ich nicht in Balance. Er identifiziert sich mit dem Ich, was nach Freuds Definition die zweite Art der Bosheit darstellt. Er leidet nicht unter der Bosheit, sondern nur unter ihren Auswirkungen. Dies ist sehr deutlich daran zu erkennen, als Thomas Mark anfleht, ihn aus dem Körper des Greifs zu befreien. 92 Denn dass er Mark hintergangen und in ein Heim 90 Hohlbein, Der Greif, S. 601 f. Hohlbein, Der Greif, S. 475. 92 Hohlbein, Der Greif, S. 601, 602. 91 42 bringen hat lassen, tut ihm erst leid, als er vom Greif besiegt wird. Der letzte von mir behandelte Ansatz von Arendt, nämlich dass das Böse banal sei, ist jedoch in diesem Werk von Hohlbein nicht behandelt worden. Abschließend kann man feststellen, dass sich in Hohlbeins Werk: Der Greif, viele theologische aber auch philosophische Ansätze des Bösen finden lassen. Hohlbein bedient sich aller von mir aufgelisteten Religionen, um das Böse mit den jeweiligen Verkörperungen oder Licht - Dunkel –Verhältnissen darzustellen. Wie philosophische beschrieben, Ansätze sind sind in auch etliche seinem Werk zurückzufinden. Nun stellt sich die Frage ob, Hohlbein in auch in seinen anderen Werken auf die gleichen theologischen und philosophischen Ansätze eingeht. Um einen Vergleich erstellen zu können, habe ich auch das Buch: Anders. Die Tote Stadt (Teil 1), ebenfalls geschrieben von Wolfgang und Heike Hohlbein gelesen und analysiert. Anders erschien 2004, also 15 Jahre nach der Erstveröffentlichung des Buchs Der Greif. Diese Zeitspanne habe ich willentlich so gewählt, da deutlich zu erkennen ist, dass sich innerhalb einer Zeitspanne von 15 Jahren, die Darstellungsweise des Bösen in Hohlbeins Werken geändert hat. 43 5.3 Inhaltsangabe des Buchs: Anders. Die tote Stadt (2004) – Wolfgang und Heike Hohlbein In dem von mit behandelten ersten Teil des Buches Anders. Die tote Stadt ist Anders, ein sechzehnjähriger Junge, der schon seit sieben Jahren das Internat von Drachenthal besucht, die Hauptfigur. Er hat keine Freunde, da seine Mitschüler neidisch auf seine Hochbegabung sind und die Tatsache, dass er eines Tages das größte Firmenimperium des Landes erben wird. Da sein Vater, Ottmar Beron, keine Zeit hat um seinen Sohn selbst vom Internat abzuholen, schickt er seinen Fahrer Jannik, der zugleich Anders` einziger Freund ist. 93 Jannik soll Anders abholen und dann in einem Privatflugzeug zu der Yacht seines Vaters bringen, auf der Vater und Sohn Urlaub machen wollen. Schon während der Fahrt zum Flugzeug fällt Jannik auf, dass sie verfolgt werden. Um den Wagen abzuhängen nimmt er eine andere Route zum Flugplatz. Dort angekommen steigen Jannik und Anders in die Cessna ein. Was die zwei nicht wissen, ist, dass der Verfolger namens Narbenhand und sein Komplize schon auf der Rückbank der Cessna warten. Narbenhand zwingt Jannik zum Start und entführt das Flugzeug. 94 Auch herbeigerufene Hilfe kann die Entführung nicht stoppen. Um die Verfolger los zu werden zwingt Narbenhand Jannik in eine riesige Gewitterwolke zu fliegen. Die Cessna stürzt auf einem dunklen Platz ab und es kommt dort zu einem Kampf zwischen den Entführern und den Entführten. Plötzlich erscheint ein Helikopter, der von drei Männern in schwarzen Anzügen geflogen wird. Als sie Narbenhand 93 94 Wolfgang und Heike Hohlbein: Anders. Die tote Stadt. Wien 2004, S. 5 f. Hohlbein, Anders, S. 29. 44 entdecken, schießen sie ihn und seinen Komplizen ohne zu zögern nieder. 95 Die Männer in ihren schwarzen Schutzanzügen steigen aus und verfolgen auch Jannik und Anders. Jannik entkommt ihrem Feuer nicht und stirbt. Anders kann sich verstecken und wird letztendlich von Katt, einem Mädchen in Katzengestalt, einem so genannten Tiermenschen, gerettet. Katt bringt Anders zu ihrer Sippe, die ihn widerwillig aufnimmt und durchfüttert. In dieser Sippe, in der beinahe alle Tiergestalten vorkommen, erfährt Anders alles über die Gebräuche der Tiermenschen, so auch, dass man einander normalerweise nicht hilft. Anders erkennt auch, dass die Stadt, in der sie leben, tot ist. Es ist eine Stadt, die von Atombomben verwüstet wurde und in der es neben Dunkelheit, kaltem Stahl und rostigem Metall nicht mehr viel gibt. Nahrungsmittel werden von einer anderen Sippe, den Eldern angeliefert. Die Tiermenschen erhalten Lebensmittel, indem sie es gegen Metall eintauschen. Eine weitere Sippe, die sich vornehmlich in der Luft aufhält, wird von den Tiermenschen als Drachen bezeichnet. Anders erkennt in ihnen allerdings eher Helikopter. Gegen Ende des Buchs flieht Anders von der Sippe, da einer der Ältesten der Sippe, Bull der Minotaur, Anders an die Elder ausliefern will, um so an mehr Lebensmittel zu kommen. Katt folgt Anders, da sie nach einem Streit mit den Eldern nicht mehr bei ihrer Sippe bleiben darf. Würde sie trotzdem bleiben, dann wäre das ihr sicherer Tod. Sie erreichen nach einer langen Flucht durch die Berge einen Maschinenraum, von dem sie nicht wissen, wozu er gut ist. Dort herrschen allerdings auch 95 Hohlbein, Anders, S. 62. 45 Elder, denen sie direkt in die Arme laufen. 96 5.4 Anders. Die tote Stadt – Elemente des Bösen In der toten Stadt, in der die Tiermenschen leben, besteht, wie auch im buddhistischen Glauben, eine kosmische Ordnung. Diese Ordnung basiert jedoch auf einem totalitären System, angeführt von den Eldern. Anders, der durch sein Auftauchen die Sippe in Unruhe versetzt hat, bringt diese Ordnung durcheinander: „Ich kann dich nicht gehen lassen“, unterbrach ihn Bull. „Wieso nicht?“ - „Du hast Recht, Anders“, sagte Bull. „Die Dinge haben sich geändert, seit du hier bist. Ich weiß nicht, ob es an dir liegt oder an etwas, was du getan hast, oder vielleicht an dem, was du bist. Aber ich weiß auch nicht, ob es aufhört, wenn du gehst. Vielleicht wird es schlimmer. Vielleicht wäre es falsch, dich gehen zu lassen.“ – „Und was genau heißt das?“, fragte Anders. „Bin ich jetzt euer Gefangener?“ – „Ich bitte dich nur zu bleiben, bis wir entschieden haben, wer du eigentlich bist. Und warum das Schicksal dich zu uns geschickt hat.“ (Hohlbein, 2004, S. 342). Bull, einer der drei Ältesten, ist sich unsicher, ob Anders gut oder böse ist. Da Anders bisher der Gruppe nicht geschadet hat, ging er davon aus, dass Anders gut ist. Allerdings sind seit Anders Ankunft viel mehr Drachen in der Luft und auch die Elder verhalten sich merkwürdig. 97 So bringen die Elder beispielsweise die Lebensmittelnahrung früher als erwartet zu den Tiermenschen, was noch nie zuvor vorgekommen ist. 98 Diese unerwarteten Wendungen im Leben der 96 Hohlbein, Anders, S. 431 f. Hohlbein, Anders, S. 223. 98 Hohlbein, Anders, S. 193. 97 46 Tiermenschen erschrecken diese und bringen das Gleichgewicht im Kosmos ins Wanken. Die so genannten Drachen, die von der Sippe immer wieder genannt werden, sind keine echten Drachen, sondern Helikopter. Dennoch betrachtet die Sippe die metallenen, feuerspuckenden Gebilde als Wesen, vor denen sie sich fürchten und an deren Gesetzen sie sich zu halten haben. „Katt erzählte auch, die Drachen hätten dich gejagt“, sagte er. Stimmt das?“ Drachen? Im ersten Moment wusste Anders nicht, wovon Bull überhaupt sprach, aber dann begriff er: Furcht einflößende fliegende Ungeheuer, die Feuer spuckten. Drachen. Natürlich. „Ja.“ (Hohlbein, 2004, S. 167). Die Drachen sind die Herrscher über die Sippen, sie stehen sogar über der Sippe der Elder, da diese Angst vor ihnen haben. 99 Die Drachen legen Gesetze fest, an die sich jeder zu halten hat. So müssen zum Beispiel Mitglieder der Tiermenschen ein Feuer anzünden, wenn sie ein Kind bekommen haben. Die Drachen kommen dann und begutachten das Baby. Wenn es nicht ihren Ansprüchen entspricht, so nehmen sie das Kind mit. Weigert sich die Mutter jedoch das Kind herzugeben, so bringen sie die Mutter um und entführen das Kind. Dieses Schicksal ereilt auch Bat, einer Fledermaus-Frau, und ihrem Kind. Dann begriff er und holte japsend Luft. „Du meinst die Drachen haben sie getötet, weil ihr Kind Flügel hatte?“ – Die Luft gehört den Drachen“, bestätigte Katt und machte gleichzeitig eine entsprechende Geste mit der unverletzten Hand. „Flügel sind verboten“. (Hohlbein, 2004, S. 259). 99 Hohlbein, Anders, S. 225. 47 Dass diese Drachen nicht mit der Beschreibung des Drachen Azi aus dem zoroastristischen Glauben oder mit dem Wasserdrachen Ahi aus dem buddhistischen Glauben übereinstimmen ist deutlich. Dennoch denke ich, dass die Drachen der Tiermenschen den gleichen Stellenwert in ihrem Kosmos einnehmen, wie beispielsweise die Drachen im Buddhismus oder Zoroastrismus. Die Drachen stellen überall das Böse dar. Im Buddhismus nimmt der Drache einen notwendigen Platz im Kosmos ein, da das Böse vorhanden sein muss um besiegt werden zu können. Im Zoroastrismus ist, genau wie bei den Tiermenschen, das Gegenteil der Fall. Da die Tiermenschen die Anwesenheit der Drachen und ihre Handlungen fürchten, und diese das Leben der Sippe negativ beeinträchtigen, gelten sie als radikal Böse, denn sie nehmen keinen notwendigen Platz im Kosmos ein; auch wenn ihre Handlungen ohne Hinterfragung hingenommen werden. 100 „Und deshalb haben sie sie umgebracht?“ fragte Anders ungläubig. Katt schüttelte heftig den Kopf. Sie wollten das Kind mitnehmen, wie immer. Bat hat sich gewehrt. Da haben sie sie erschossen.“ So, wie sie es sagte, dachte Anders erschüttert, klangen die Worte wie das Selbstverständlichste von der Welt. (Hohlbein, 2004, S. 259 f.). Auch sind die drei Aspekte des Bösen, die in der buddhistischen Religion festgelegt sind, im Werk Hohlbeins zu erkennen: Lüge, Trug und Sünde. Bull betrügt Anders, da er ihn an die Elder ausliefern will im Tausch gegen Lebensmittel, obwohl er ihm zuvor 100 Hohlbein, Anders, S. 259 f. 48 Gastfreundschaft versprochen hatte. 101 Die Drachen begehen unter anderem eine Sünde, indem sie Bat töten, nur weil sie sich nicht von ihrem Kind trennen will. Zudem wird oft innerhalb der Sippe gelogen. Die größte Lüge denkt sich allerdings Ratt aus. Sie hat Anders die Brücke gezeigt und ihm auch erklärt wie sie funktioniert. Auf ihrem Rückweg sahen sie, wie Drachen die Brücke zerstörten. Als Bull sie danach fragt, lügt Ratt ihn an und sagt, dass sie die Brücke nicht angerührt, sondern nur angesehen hätten. 102 Die Licht – Dunkel – Elemente des Manchäismus` sind ebenfalls in Hohlbeins Werk aufgelistet. Allerdings überwiegt hier deutlich die Dunkelheit. Nur wenige Male wird Sonnenlicht erwähnt und wenn, dann ist es nur ein schmaler Streifen zwischen den Ruinen der toten Stadt. 103 Die anderen Lichttöne, die in der toten Stadt vorkommen sind entweder graues Zwielicht, das Tageslicht für die Tiermenschen, oder Dunkelheit.104 So überrascht es auch nicht, dass Katt selbst ihre Heimat als das „dunkle Land“ 105 betitelt. Dass Dunkelheit auch hier wieder mit dem Bösen gleichgesetzt wird ist deutlich, wenn man erfährt, dass die Sippe von den Eldern unterdrückt und den Drachen beherrscht wird. Auch die Umgebung läßt auf alles andere als an einen sonnenbeschienenen, glücklichen Ort schließen: Rings um ihn herum waren nur Stein und totes Metall. An einem Ort wie diesem hätte es Schimmel geben müssen, Moder und brodelnde Fäulnis, Ungeziefer und 101 Hohlbein, Anders, S. 365. Hohlbein, Anders, S. 222. 103 Hohlbein, Anders, S. 185. 104 Hohlbein, Anders, S. 146. 105 Hohlbein, Anders, S. 129. 102 49 Spinnweben, irgendetwas eben. Aber es gab nichts von alledem. Der Gang – und auch die gesamte Stadt hoch über ihren Köpfen – war vollkommen tot. Hier gab es nicht einmal mehr eine Spur von Leben. [...] Irgendetwas hatte diese Stadt nicht nur verbrannt, sondern regelrecht sterilisiert, und vielleicht war dieses Etwas ja noch da. (Hohlbein, 2004, S. 99 f.). Das dunkle Land wird also nicht nur mit Unterdrückung, sondern auch mit dem Tod assoziiert. Darüber hinaus gibt es auch eine Todesebene. Sie liegt zwischen der Stadt der Elder und der der Sippe und es ist bisher mit Ausnahme der Elder keinem gelungen diese Ebene des Todes zu überqueren. 106 Die Stadt, in der die Elder wohnen ist groß. „Ihre Häuser reichen bis in den Himmel und es gibt dort immer genug zu essen.“ 107 Dieser Reichtum an Lebensmitteln ist zugleich das Druckmittel, mit dem die Elder die Tiermenschen unterdrücken. Die Sippe muss altes Metall sammeln und gegen Lebensmittel tauschen. Tun sie dies nicht, bekommen sie auch nichts zu Essen und müssen hungern. Die Elder bringen jedoch immer zu wenig Lebensmittel mit, so dass die Sippe des öfteren Hunger erleiden muss. 108 Ein Elder ist eine riesige [...] Gestalt. [...] Sie musste an die zwei Meter groß sein und war mindestens ebenso massig wie Bull; aber anders als alle anderen Bewohner dieser verbrannten Welt, die er bisher zu Gesicht bekommen hatte, war sie nicht in Lumpen gehüllt oder ganz nackt, sondern trug eine Art barbarische Rüstung. In der rechten Hand hielt sie einen langen Speer, fast schon eine Hellebarde, und in der anderen 106 Hohlbein, Anders, S. 314 f. Hohlbein, Anders, S. 314. 108 Hohlbein, Anders, S. 194. 107 50 schwenkte sie eine Fackel. (Hohlbein, 2004, S. 301). Nachdem einer der Elder nach einem Kampf mit einer Spinne schwer verletzt wird, nimmt er seinen Helm ab und Anders kann zum ersten Mal das Gesicht des Elders sehen: Aber Anders erkannte trotzdem, dass er nicht in das Gesicht eines Menschen blickte. Es war ein Schwein. Winzige Augen starrten ihn unter von dichtem, borstigem Fell bedeckten Knochenwülsten hervor an. Die Nase war nicht rosa, sondern schwarz, und aus dem breitlippigen, sabbernden Maul wuchsen zwei gewaltige Hauer. (Hohlbein, 2004, S. 303). Die restliche Beschreibung der Elder flößt Anders Angst ein, denn die Schweinekreaturen mussten drei, wenn nicht vier Zentner wiegen. Dass ihre Körper nicht nur aus Muskeln zu bestehen schienen, ließ sie nicht gerade harmloser wirken, genauso wenig wie die anderen Details, die er ausmachen konnte. Sie hatten keine richtigen Füße, sondern gespaltene breite Hufe, und ihre Hände bestanden aus zwei hornigen Klauen und einem plumpen Daumen. Ihre Gesichter waren ein Albtraum. Es waren eindeutig die Gesichter von Schweinen, gepaart mit etwas schwer in Worte zu fassendem Menschlichen, das in dieser Kombination zu etwas unglaublich Abstoßendem wurde, das Furcht erzeugte wie etwas fast körperlich Greifbares. (Hohlbein, 2004, S. 313). Hohlbein beschreibt das Äußerliche der Elder sehr ausführlich und einige ihrer Merkmale, Hufe und hornige Klauen, gleichen denen der Teufelsbeschreibung im Christentum. Auch die Tatsache, dass sie Furcht erzeugen, stimmt mit der Beschreibung des Christentums überein, da das Christentum, den schrecklichen Teufel 51 kennt, der Angst und Schrecken verbreitet, aber auch Frau von Welt, die mit ihrem Äußerlichen die Menschen zu täuschen versucht. Bei Hohlbeins Werk handelt es sich, wenn überhaupt, um erstgenannte Version des Teufels, da die Elder nichts Verführerisches oder Lockendes an sich haben. Man könnte jedoch argumentieren, dass ein Elder eine Art moderner Teufel ist, so wie der Helikopter eine moderne Version des Drachens darstellt. Dennoch denke ich nicht, dass man die christliche Darstellung des Teufels auf die Elder übertragen kann. Es sind zu wenige Merkmale, in denen beide Beschreibungen übereinstimmen. Dass es sich jedoch bei den Eldern um Wesen handelt, die das Böse repräsentieren, steht jedoch außer Frage. Neben den Elementen des Bösen, die in den Religionen beschrieben werden, sind auch in diesem Werk von Hohlbein einige Elemente des Bösen beschrieben, die in der Philosophie festgelegt wurden. Da das Böse, nach der Theorie von Thomas von Aquin, Handlungen sind, die der Mensch gegen sich oder andere durchführt, können fast alle Tiermenschen als böse bezeichnet werden. Ihren Gesetzen nach hilft man keinem anderen, wenn man selbst keinen Vorteil davon hat.109 So gilt vor allem Katt, die Anders das Leben gerettet hat als böse, da sie ihn hätte sterben lassen müssen: Anscheinend war es bei diesen Leuten nicht üblich, Fremden zu helfen, und es schien Katt irgendwie peinlich zu sein, gegen diese unausgesprochene Regel verstoßen zu haben. (Hohlbein, 2004, S. 177). 109 Hohlbein, Anders, S. 167. 52 Aber auch eine andere Regel richtet sich gegen das Wohl der Sippenbewohner. Sie haben untereinander den Wasserdienst aufgeteilt, was bedeutet, dass jeden Tag ein anderer Tiermensch für die ganze Sippe Trinkwasser beschaffen muss. Ist derjenige krank und kann deshalb seine Arbeit nicht machen, bekommt er auch nichts zu essen. 110 Die Sippenbewohner folgen den Regeln blindlings und lassen lieber einen der ihrigen verhungern als ihm zu helfen. Auch die von Leibniz beschriebenen drei Übel sind nur teilweise in Hohlbeins Buch eingearbeitet. Das erste Übel, nämlich das metaphysische Übel, beispielsweise dargestellt durch den Tod, wird in die Sippe der Tiermenschen eingearbeitet. Das Durchschnittsalter liegt bei ungefähr sieben Jahren. 111 Das zweite von Leibniz definierte physische Übel, wird hier nicht beschrieben, da keine Epidemien oder Naturkatastrophen erwähnt werden. Dass die Stadt von Atombomben vernichtet wurde und dass deshalb Nichts mehr wächst, hat kein physisches Übel zur Grundlage, da die Bombardierung keine von der Natur herbeigerufene Katastrophe ist. Das dritte Übel, das sogenannte moralische Übel wird in mehreren Beispielen thematisiert. Unter anderem wenn die Elder wildern und den Spinnenmann angreifen: Zu einem zweiten Schlag kam die Spinne nicht, denn in diesem Moment traten die beiden anderen Gepanzerten heran. Einer von ihnen stieß ihr die Hellebarde tief in den Leib, der zweite versengte ihre Beine mit seiner Fackel. Es stank plötzlich durchdringend nach verbranntem Fell, und die Spinne bäumte sich auf, ließ von ihrem Opfer ab und kroch rückwärts davon. Die 110 111 Hohlbein, Anders, S. 345. Hohlbein, Anders, S. 347. 53 beiden Gepanzerten setzten ihr sofort nach – aber Anders sah nicht einmal hin. Er starrte aus fassungslos aufgerissenen Augen auf die dritte Gestalt hinab, die stöhnend auf dem Rücken lag. (Hohlbein, 2004, S. 303). Wildern ist sündhaftes Verhalten und es kommt aus der Freiheit der Elder hervor. Sie werden nicht unterdrückt und können frei über ihre Handlungen entscheiden. Aber auch die Unterdrückung Tiermenschen durch die und Elder Ausbeutung stellt der moralisch verwerfliche Handlungen dar. Erörtert man Hohlbeins Buch aus Kants Sicht, so gibt es sicherlich kein einziges gutes Wesen, da es kein allgemeingültiges Gesetz gibt. Es gibt kein Gesetz, an das sich die Tiermenschen, Elder, Drachen und noch andere Sippen gemeinsam halten. Auch Anders kann das Gute nicht verkörpern, da er von den Tiermenschen aufgenommen wurde und sich an deren Gesetze zu halten hat. Wohl gibt es Gesetze innerhalb der einzelnen Sippen, wie zum Beispiel das Gesetz bei den Tiermenschen: Hilf keinem, wenn es dir selber keinen Vorteil verschafft. 112 Da Katt und Bull gegen dieses Gesetz verstoßen, gibt es innerhalb dieser Sippe das moralische Gesetz nur in Theorie, denn es halten sich nicht alle. Innerhalb der Sippe der Elder hingegen könnte man so etwas wie ein moralisches Gesetz feststellen. Die Elder, die beim Wildern den Spinnenmann umgebracht hatten, werden bestraft. Nach einer Folter wird ihnen der Kopf abgeschlagen, da sie gegen das Gesetz gehandelt haben. Auch wenn die Tiermenschen von ihnen beherrscht werden, so verbietet das Gesetz der Elder jedoch grundloses Jagen auf 112 Hohlbein, Anders, S. 177 54 ebendiese. 113 Dieses Gesetz ist innerhalb der Gruppe der Elder allgemeingültig und wird ohne Rücksicht auf Rang oder Ausrede ausgeführt. Nach Kants Definition handelt es sich demnach um ein moralisches Gesetz, und somit ist diese Bestrafung eine gute Tat. Das von Fichte definierte Böse, nämlich die Rechtsverletzungen, sind sowohl innerhalb der Sippe der Tiermenschen als auch zwischen den Sippen zu erkennen. Eine Rechtsverletzung innerhalb der Sippe wird deutlich, wenn die Sippe jemanden verhungern lässt, nur weil er zu krank zum Wasserholen ist. 114 Eine andere Rechtsverletzung zeigt sich in der Verweigerung gegenseitiger Hilfe. 115 Rechtsverletzungen zwischen den Sippen kommen ebenfalls vor. So zum Beispiel der Überfall der Elder, die den Spinnenmann töten oder auch die Schläge, die der Elder austeilt, als er hört, dass Anders entkommen ist: „Katt streifte ihr Kleid wieder über und die Bewegung lenkte Anders` Blick noch einmal auf den gewaltigen Bluterguss, wo der Elder sie geschlagen hatte.“ 116 Ebenfalls als Rechtsverletzung kann man die Tötung Bats durch die Drachen ansehen. 117 Die Drachen gelten bei allen Sippen als unbesiegbar. Sogar die Elder haben Angst vor ihnen. 118 Demnach ist die Sippe der Drachen die einzige widerfahren Sippe, kann. Rechtsverletzungen der Diese keine von innerhalb Rechtsverletzung mir der beschriebenen Sippe der Tiermenschen sind zugleich deren Gesetze. Dennoch handelt es sich um eine Rechtsverletzung, da es nach 113 Hohlbein, Anders, S. 363 f. Hohlbein, Anders, S. 345. 115 Hohlbein, Anders, S. 177. 116 Hohlbein, Anders, S. 381. 117 Hohlbein, Anders, S. 259. 118 Hohlbein, Anders, S. 225. 114 55 Fichtes Definition heißt: “ein jeder Mensch weiß was Böse ist, wenn ihm oder ihr selbst Unrecht geschieht.“119 Obwohl die Tiermenschen das Unrecht ohne nachzudenken ertragen, fällt es Anders sofort auf. Die von Nietzsche beschriebene Umwertung der Werte, kann man in diesem Buch einige Male finden. Diese Umwertung der Gesetze der Tiermenschen führt letzten Endes zu gutem Handeln. Als Katt Anders rettet, verstößt sie gegen die Regel der Sippe. Ihr selbst verschafft sie durch ihr Handeln keinen Vorteil – im Gegenteil, sie bringt sich selbst in Gefahr und ist auf der Flucht vor den Männern in den schwarzen Anzügen langsamer als wenn sie alleine gewesen wäre. 120 Aber auch Bull hält sich nicht immer an dieses Gesetz: Er wandte sich um und wollte gehen, aber Anders hielt ihn mit einer raschen Geste zurück. „Eine Frage noch, Bull.“ – „Ja.“ – „Gestern Nacht, als der Drache hier war“, sagte Anders. Bulls Augen wurden schmal. Er sagte nichts, aber in seinem Blick erschien ein warnendes Funkeln, das Anders klar machte, dass der Minotaur offensichtlich an etwas anderes dachte als er. „Ratt wäre um ein Haar ums Leben gekommen“, fuhr Anders fort. „Genau wie ich. Wir wären jetzt wahrscheinlich beide tot, wenn du uns nicht gerettet hättest.“ – „Bring mich nicht dazu, es zu bedauern“, grollte Bull. „Aber ich dachte, es wäre bei euch nicht üblich, euch gegenseitig zu helfen“, sagte Anders ungerührt. „Also, warum hast du es getan? Du hättest ganz gut selbst dabei umkommen können.“ Bull starrte ihn nur an und schwieg. „Irgendwie habe ich das Gefühl, du hast in der letzten Nacht gegen deine eigenen Regeln verstoßen“, fuhr Anders fort. „Nicht dass ich böse darüber wäre – aber kann es sein, dass du es mit euren Gesetzen nicht allzu ernst 119 120 Görres, Rahner, S. 21. Hohlbein, Anders, S. 85 f. 56 nimmst?“ Bull starrte ihn noch eine weitere Sekunde lang ausdruckslos und schweigend an, dann fuhr er auf der Stelle herum und stürmte mit leicht gesenktem Kopf davon. (Hohlbein, 2004, S. 255 f.). Die Handlung, die Bull Katt vorgeworfen hat, als sie Anders mit zur Sippe gebracht hat, begeht er praktisch selbst. Auch er nimmt seine eigene Person und sein emotionales Denken als Wertmaßstab und füllt die Moralvorstellungen subjektiv an. Er befreit sich von der vermeintlichen Moral (den Gesetzen) der Sippe und entscheidet rein subjektiv. Als Anders ihn darauf anspricht, kann er seine Handlung nicht begründen und läuft weg. Dennoch ändert er sein Verhalten nicht, denn als die Elder Bull befehlen, Katt und Ratt umzubringen, da sie Anders zur Flucht verholfen haben, hält er sich wieder nicht an den Befehl, sondern lässt die beiden fliehen. Diese Handlung verschafft Bull wiederum keinen Vorteil, sondern eher einen Nachteil. Denn wenn die Elder herausfinden, dass Bull ihren Befehl nicht ausgeführt bekommen. hat, 121 kann er selbst große Probleme Übernimmt man Freuds Ansatz, so kommt man zu der Schlussfolgerung, dass bei Anders eine Balance zwischen Es, Ich und Über-Ich zu finden ist. Bei den Tiermenschen, mit Ausnahme von Bull und Katt, gibt es diese Balance nicht. Sie folgen ihren Gesetzen, ohne über die Konsequenzen nachzudenken: Warum lasst ihr euch diese grausamen Regeln gefallen?“ fragte er. „Was meinst du damit?“ [fragte Ratt] - „Wer nicht arbeitet, bekommt nichts zu essen“, antwortete Anders. „Wer krank ist, hat eben Pech gehabt. Und wer sich in Gefahr begibt, kommt darin um, wie?“ Er 121 Hohlbein, Anders, S. 383. 57 drehte sich zu Ratt um und sah auf sie hinab. Seine Stimme wurde ätzend. „Habe ich noch etwas vergessen? O ja, natürlich. Wissen ist gefährlich, und wir machen alles so, wie wir es schon immer gemacht haben, nicht wahr?“ (Hohlbein, 2004, S. 346). Dieses aus Gewohnheit starre Befolgen von Regeln und Gesetzen, zeigt nach Freuds Definition eine deutliche Ausprägung des Über-Ichs. Um gut Handeln zu können, bedarf es nach Freud einer Gesellschaft, die auf Vernunft und Wissenschaft gegründet wurde. Vernunft kann sich bei den aufgezwungenen Moralvorstellungen nicht entwickeln und Wissenschaft oder auch Wissen allgemein, gilt in der Sippe als gefährlich. Bei Bull und Katt ist die Balance zwischen Es, Ich und Über-Ich auch nicht hergestellt. Allerdings sind diese beiden Tiermenschen die einzigen, bei denen nicht nur das ÜberIch ausgeprägt ist, sondern auch das Ich, da sie ihr Handeln durch eigene, subjektive Werte und Normen beeinflussen lassen. Dennoch können sie diese eigene Handlungsweise nicht rechtfertigen, sobald sie damit konfrontiert werden. Sie schämen sich eher für ihre Eigeninitiative, da sie sich nicht an die Gesetze der Sippe gehalten haben. 122 Sogar Arendts Ansatz das Böse zu definieren, ist bei Hohlbeins Buch Anders. Die tote Stadt, möglich. Wie bereits erläutert, muss man ihren Ansatz im Hintergrund eines totalitären Systems deuten. Dieses System ist hier meiner Meinung nach vorhanden. Die Tiermenschen werden von den Drachen und Eldern unterdrückt. Tiermenschen Diese jedoch Unterdrückung, ohne jegliche lassen die Hinterfragung geschehen. Selbst wenn sie nach Gründen fragen, geben 122 Hohlbein, Anders, S. 266. 58 sie sich mit einfachen Erklärungen ab. Als Anders zum Beispiel fragt, warum das Kind von Bat mitgenommen wurde, antwortet Katt schlicht: „Die Luft gehört den Drachen“ 123 Auf die Frage, warum sie sich diese grausamen Regeln gefallen lassen, antworten Ratt, Katt und Bull gleichermaßen, dass es schon immer so gewesen sei. 124 Denn schließlich weiß niemand, „was die Elder tun oder warum sie tun, was sie tun.“ 125 Die Sippe probiert zudem nicht die Handlungen der Elder zu verstehen, da sie sagen, dass das Leben gut so sei, wie es ist. 126 Auf die wütende Reaktion von Anders: „Wollt ihr wirklich ewig so weiterleben? Wollt ihr gar nicht wissen, wer euch all das hier angetan hat? Und warum?“ 127 erklärt Bull ihm Folgendes: „Wissen [...] ist gefährlich. Und nutzlos. Dies ist unsere Welt und sie gefällt uns so wie sie ist. Wieso glaubst du uns sagen zu können, was gut für uns ist und was nicht?“ – „Weil das hier für niemanden gut ist“ antwortete Anders. „Für uns schon“, widersprach Bull. „Wissen nutzt niemandem, und Veränderungen sind gefährlich. Wissen tötet.“ (Hohlbein, 2004, 254 f.). Diese selbstverständliche Hinnahme der Regeln und Gesetze, die teilweise auch gegen die einzelnen Sippenmitglieder gerichtet sind, lässt einen an ein totalitäres System denken. Die Strafe, die die Elder Bull auferlegen, weil er Katt und Ratt entkommen lies, ist brutal: „Der Elder hat gedroht dann Bull umzubringen. 123 Hohlbein, Anders, S. 259. Hohlbein, Anders, S. 346. 125 Hohlbein, Anders, S. 385. 126 Hohlbein, Anders, S. 254. 127 Hohlbein, Anders, S. 254. 124 59 Aber das glaube ich nicht. Sie brauchen Bull für die Jagd. Sie werden ein paar andere hinrichten, das ist alles.“ 128 Als Anders fassungslos fragt: „Das ist alles?!“, erhält er wiederum nur eine gleichmütige Antwort von Katt: „So war es immer. Sie werden ein paar von uns töten, aber der Rest wird weiterleben.“ 129 Auch hier verstecken sich die Tiermenschen hinter den aufgestellten Regeln der Autoritäten, der Elder. Die Gleichgültigkeit, die in Katts Stimme mitschwingt macht deutlich, dass sie die Strafen der Elder nicht als wirklich schlimm empfindet, solange es sie nicht selbst betrifft. Man kann also feststellen, dass das Böse in diesem Buch von Hohlbein als banal dargestellt wird. Das Böse wird hingenommen und versteckt sich hinter den Regeln. Man versucht nicht aus dem System auszutreten und zu protestieren, denn wie Bull bereits erklärte, ist die tote Stadt die Welt, die den Tiermenschen so gefällt wie sie ist und in der Wissen und vor allem Veränderungen im System nur Gefahr bedeuten können. 130 Denn wer so handelt, wie die Gesetze der Tiersippe und vor allem die Gesetze der Elder und Drachen es vorschreiben, dem ist ein ruhiges, besonnenes Dasein beschieden. Wie bereits in Hohlbeins älterem Werk Der Greif (1989) beschrieben, lassen sich auch bei Anders. Die tote Stadt (2004) viele theologische und philosophische Ansätze des Bösen wiederfinden. Es fällt jedoch auf, dass Hohlbein die Darstellung des Drachens mit der Zeit verändert hat. Im Werk aus dem Jahr 2004 wird dieser sehr modern, fast schon futuristisch beschrieben. Der 128 129 130 Hohlbein, Anders, S. 383. Hohlbein, Anders, S. 384. Hohlbein, Anders, S. 255. 60 wichtigste Ansatz in dem zuletzt analysierten Werk ist jedoch der von Arendt, der die Banalität des Bösen sehr genau darstellt. 6. Verändert sich die Darstellung des Bösen in Hohlbeins Werken? Nach der Analyse beider Werke im Hinblick auf das Böse, stellt sich nun die Frage, ob sich die Darstellung des Bösen in Hohlbeins Werken verändert oder ob sie gleich bleibt. Im theologischen Teil unterscheiden sich die beiden Werke in einem Punkt erheblich. Im Buch Der Greif wird der Aspekt des Bösen anhand der Teufelsdarstellungen des Christentums sehr deutlich hervorgehoben. Zum einen besteht dort der Teufel in seiner verführerischen Form und zum anderen der Teufel in der angsteinjagenden Form, in Gestalt der Gehörnten. Hohlbein selbst verweist auf die christliche Dämonologie und stellt somit einen Zusammenhang zwischen dem Buch Der Greif und der Religion des Christentums dar. Im Buch Anders. Die tote Stadt gibt es keinen wörtlichen Verweis zu einer Religion und auch keine detaillierte Teufelsdarstellung. Das buddhistische Prinzip der kosmischen Ordnung, die nicht gestört werden darf, wenn man das Böse nicht wecken will, wird wiederum nur bei Anders. Die Tote Stadt aufgegriffen. Die buddhistische und zoroastristische Darstellung des Drachens ist jedoch in beiden Werken eingearbeitet. In Hohlbeins älterem Werk wird der Drache fast originalgetreu wiedergegeben, wohingegen der Drache bei Anders. Die tote Stadt eine Beschreibung für Helikopter ist. Dennoch denke ich, dass diese moderne Darstellung eines Drachens in einem Phantastikroman 61 vom Leser angenommen werden sollte, da alle Eigenschaften des Drachen (Feuer spuckend, fliegend und gefährlich) auf die Tiermenschen so wirken, als sei es ein lebendiges Zoroastrismus Wesen. übernommene Auch die aus dem Zwillingsgatha hat Hohlbein in seinem älteren Werk in der Darstellung der beiden Cherubs originalgetreu wiedergegeben. In seinem jüngeren Werk geht er auf die Zwillingsgatha gar nicht mehr ein. Die dunklen Farben, mit denen die manchäisitsche Religion das Böse darstellt sind in beiden Werken zu finden. Wobei die Tendenz mit Hilfe von hell und dunkel zwischen gut und böse zu unterscheiden im Buch Der Greif wesentlich ausgeprägter ist als bei Anders. Die tote Stadt. Auch innerhalb der philosophischen Darstellung des Bösen kann man einige Unterschiede erkennen. So wird die von Aristoteles definierte „Doppelheit des Bösen“ nur bei dem Buch Der Greif dargestellt. Anders kann nicht zwischen Irrwegen wählen, da er nur dem Weg folgen kann, den Katt ihm vorgibt, um am Leben zu bleiben. Der Ansatz von Aquin wiederum wird in beiden Büchern verwendet. Thomas entscheidet sich, indem er einen Pakt mit dem Greif eingeht selbst gegen sein eigenes Wohl und die Sippe schadet sich durch die Befolgung der Gesetze. Die von Leibniz beschriebenen drei Übel werden entweder vollständig (Der Greif) oder teilweise (Anders. Die tote Stadt) aufgenommen. Dem `Kantschen Ansatz`, nach der Forderung des moralischen Gesetzes werden die Bücher nicht gerecht. Es gibt in beiden Büchern kein von allen Menschen oder Wesen befolgtes Gesetz. Die einzige Ausnahme stellt die Sippe der Elder dar, da diese innerhalb ihrer Gruppe die Gesetze 62 genauestens befolgen. Auch die von Fichte definierten Rechtsverletzungen werden in beiden Büchern mehrfach behandelt. Die von Nietzsche geforderte Umwertung der Werte, um moralisch leben zu können, wird nur von Bull und Katt erfüllt, die beide die Moralvorstellungen der Sippe subjektiv einfüllen und so gegen die Gesetze verstoßen, nicht aber gegen die eigenen unterbewussten Moralvorstellungen. Freud würde diese Entwicklung als ein Schritt in die richtige Richtung deuten, da das zu stark ausgeprägte Über-Ich der Sippenbewohner zumindest bei Katt und Bull weniger zu werden scheint. Durch und durch Böse ist Thomas nach Freuds Definition, da dieser sich mit dem Ich zu sehr identifiziert. Der letzte und vielleicht sogar wichtigste Unterschied zwischen den beiden Hohlbein Büchern ist die Anwendung des philosophischen Ansatzes von Arendt. Hohlbein geht in seinem älteren Werk nicht einmal ansatzweise auf Arendt ein, während er bei seinem jüngeren Werk die Arendtsche Philosophie fast eins zu eins übernimmt. Das totalitäre System von dem Arendt spricht ist auch bei Anders. Die tote Stadt vorhanden und die Banalität des Bösen, das Verstecken hinter Autoritäten und Regeln, sowie die Akzeptanz von Morden ist bei diesem Werk von Hohlbein deutlich herauszulesen. Man kann feststellen, dass beide Werke zahlreiche Elemente des Bösen beinhalten und das Hohlbein auf die meisten philosophischen Theorien in Ansatzpunkten oder in voller Ausführung verwiesen hat. Dennoch verarbeitet das Buch Der Greif die theologischen und philosophischen Ansätze eher im klassischen Sinne. Das heißt, dass die Beschreibungen der Darstellungsweisen 63 des Bösen, wie der Drachen oder die Zwillinge der Zwillingsgatha eher getreu den Religionen übernommen worden sind. In dem Buch Anders. Die tote Stadt werden die Darstellungen des Bösen eher im modernen Sinne dargestellt. So gibt es beispielsweise keine eindeutige Teufelsfigur, wohl aber moderne Drachen. Weiterhin fällt auf, dass bei Der Greif stärker auf die Darstellungen eingegangen wird, die in den Religionen festgesetzt wurden. Bei Anders. Die tote Stadt wird vermehrt auf die philosophischen Ansätze eingegangen, wie zum Beispiel auf den Ansatz von Arendt, der sich durch das gesamte Buch zieht. Abschließend kann ich feststellen, dass sich die Darstellung des Bösen in Hohlbeins Werken verändert hat. Aus einem mehr theologischen Schwerpunkt hat sich die Darstellung zu einem mehr philosophischen Schwerpunkt entwickelt. 7. Schluss Abschließend kann man sagen, dass die Definition des Bösen im Laufe der Jahrhunderte einen Wandel durchgemacht hat. Zu Anfang beschäftigte man sich damit, ob Gott überhaupt gut sein könne, da er das Böse zulasse. Später entwickelte man Erklärungsversuche in denen das Böse als Mittel zur Strafe gerechtfertigt wurde. Erst ab Kant verschob sich der Ansatz der sich anstatt auf die Entstehungsgeschichte und Rechtfertigung des Bösen, auf die eigentlichen Definitionsversuche richtete. Ab Kant nahm man das Böse als eine Gegebenheit hin und versuchte mit Hilfe genauer Definitionen zwischen Gut und Böse zu unterscheiden. Kants radikaler Ansatz des moralischen Gesetzes wurde von einer Umwertung 64 der Werte durch Nietzsche und Freud abgelöst, indem nun das von Kant als Gut definierte allgemeingültige Gesetz als das Böse in Nietzsches und Freuds Ansätzen dargestellt wurde. Der Ansatz von Fichte ist wiederum ein ganz anderer, da er das Böse über Rechtsverletzungen definiert. Arendt vertritt die Auffassung, dass das Böse banal sei und stellt damit einen neuen Ansatz vor. Das Böse hat sich also von der Frage warum es überhaupt besteht, über widersprüchliche Definitionen, ob das Böse nun die Moral oder gerade nicht die Moral sei, bis hin zu der Frage nach Rechtsverletzungen des Einzelnen und zur letztendlichen Banalität nicht eindeutig definieren lassen. Die theologischen Definitionen des Bösen haben einander – wie bereits festgestellt – entweder beeinflusst oder sind gänzlich verschieden. Die geläufigste Darstellung des Bösen ist jedoch, es in Form eines Wesens oder einer Person und nicht wie im Manchäismus mit hell und dunkel Schattierungen darzustellen. Was aber wird nun unter der Bezeichnung des Bösen in der Phantastik verstanden? Was nach dem Lesen der Werke von Hohlbein auffällt, ist, dass in beiden Werken die Frage nach der Güte Gottes und dessen Existenz nicht gestellt wird. Das bedeutet, dass die philosophischen Ansätze von Platon und Epikur für die Analyse der Hohlbeinschen Werke nicht relevant sind. Ansonsten verweist Hohlbein vor allem in Anders. Die tote Stadt auf alle anderen von mir herausgearbeiteten philosophischen Ansätze, wobei er den Ansatz von Arendt fast eins zu eins übernimmt. Auch in Hohlbeins älterem Werk Der Greif, sind fast alle 65 philosophischen Ansätze zurück zu finden mit Ausnahme des Ansatzes von Arendt. Im Buch Der Greif verweist Hohlbein verstärkt auf die Darstellungen des Bösen, die in den verschiedenen Religionen dargestellt werden. Man kann feststellen, dass Hohlbein in seinem älteren Werk stärker auf die in den Religionen festgesetzten älteren Darstellungen des Bösen eingeht, als er dies bei seinem jüngeren Werk vornimmt. Bei Anders. Die tote Stadt, geht Hohlbein im Gegensatz zu Der Greif auf alle philosophischen Darstellungen ein und macht diese zum Schwerpunkt des Buches. Die Entwicklungen, die in der Darstellung und Definition des Bösen, die in der Religion und Philosophie zu finden sind, sind auch in Hohlbeins Werken festzustellen: Das ältere Werk bezieht sich schwerpunktmäßig auf die alten religiösen Darstellungen und verweist ebenfalls auf einige philosophische Darstellungen. Das jüngere Werk verweist auf die alten in den Religionen festgelegten Darstellungen und richtet sich schwerpunktmäßig auf die neueren philosophischen Ansätze und gleicht zudem dem jüngsten Ansatz von Arendt stark. Demnach kann man die Entwicklungen der Erklärungsansätze und Definitionsmodelle in Hohlbeins Buch wieder zurückfinden. Abschließend stelle ich fest, dass die Darstellungen des Bösen in der Phantastik mit den Darstellungen in der Realität übereinstimmen. Dass die Vorstellungen des Bösen in der Phantastik übertriebener dargestellt werden als in den Religionen ist verständlich, da sich die Phantastik mit utopischen Themen beschäftigt und versucht mit Hilfe von übertriebener Darstellung die Gefahren des Bösen wiederzugeben. Dennoch, die eigentlichen Grunddarstellungen der Religionen und Philosophie sind 66 in Hohlbeins Werken deutlich zurück zu finden. 67 10 Literaturliste Primärliteratur: Hohlbein, Wolfgang und Heike: Anders. Die tote Stadt. Wien 2004. Hohlbein, Wolfgang und Heike: Der Greif. Eine phantastische Geschichte. Wien 1989. Sekundärliteratur: Bücher: Arendt, Hannah: Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft. Antisemitismus, Imperialismus, totale Herrschaft. 9. Auflage. München 2003. Buber, Martin: Bilder von Gut und Böse. 2. Auflage. Köln und Olten 1953. Franz, von M.-L. / Frey-Rohn, L. / Kerenyi, K. / Löwith, K. / Maag, V. / Schlappner, M. / Schmid, K. / Widengren, G. (Hrsg.): Das Böse. Zürich und Stuttgart 1961. Frey-Rohn, Liliane: Das Prinzip des Bösen in den östlichen Religionen. In: M.-L. von Franz, L. Frey-Rohn, K. Kerenyi, K. Löwith, V. Maag, M. Schlappner, K. Schmid, G. Widengren (Hrsg.): Das Böse. Zürich und Stuttgart 1961. Geyer, Carl-Friedrich: Leid und Böses in philosophischen Deutungen. Freiburg, München 1983. Görres, Albert / Rahner, Karl (Hrsg.): Das Böse. Wege zu seiner Bewältigung in Psychotherapie und Christentum. Freiburg, Basel, Wien 1982. Holzey, Helmut Prof. Dr.: Kritik der Moral – Moral der Kritik. 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