schmerzmedizin - Deutsche Gesellschaft für Schmerzmedizin eV

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schmerzmedizin - Deutsche Gesellschaft für Schmerzmedizin eV
November 2016 | Jg. 32 | Nr. 6
SCHMERZMEDIZIN
Angewandte Schmerztherapie und Palliativmedizin
Interdisziplinär • Patientenorientiert • Praxisnah
Akzeptanz und Achtsamkeit
in der Schmerztherapie
CME: Somatische
Belastungsstörungen
Differenzialdiagnostik
im Fokus
Intensivmedizin oder
Palliativversorgung?
Übertherapie am Lebensende
Tod im Islam und Judentum
Religionssensible Begleitung
Deutsche Gesellschaft für
Schmerzmedizin e. V.
Deutsche Akademie für
Ganzheitliche Schmerztherapie e. V.
Bundesverband der Palliativmediziner
in Westfalen-Lippe e.V.
www.dgschmerzmedizin.de
www.dagst.de
www.bv-palliativmediziner.de
www.springermedizin.de/schmerzmedizin
Editorial
„Die steigende Zahl chronisch schmerzkranker Menschen
ist Beweis dafür, dass die aktuell zugelassenen, verordnungsund erstattungsfähigen Arzneimittel allein nicht ausreichen, des
­Problems Herr zu werden.“
PD Dr. med. Michael A. Überall, Nürnberg
Medizinischer Leiter IFNAP – Institut für Neurowissenschaften,
Algesiologie & Pädiatrie
Gesetzentwürfe mit
erheblicher Sprengkraft
K
ommt der Berg nicht zum Propheten, dann
muss der Prophet halt zum Berg kommen. An
diese Redensart haben sich sicherlich viele Gesundheitsexperten angesichts der erstaunlichen Bewegungsfreudigkeit des Bundesgesundheitsministers bezüglich der Erleichterung des medizinischen
Einsatzes von Cannabis und cannabisbasierten
Medi­kamenten erinnert und mit Staunen verfolgt,
welches Schauspiel sich da aktuell in Berlin abspielt.
Man könnte fast den Eindruck haben, dass die Gesundheitspolitiker im Deutschen Bundestag verstanden haben, woran es bei der Versorgung chronischer schmerzkranker Menschen in Deutschland
unter anderem hakt: an der Widersprüchlichkeit
von Verordnungs- und Erstattungsfähigkeit medizinischer Therapien nämlich! Und da nun auch deutsche Gerichte den bislang restriktiven Einsatz von
Cannabis bis hin zur Genehmigung des Selbstanbaus erleichtert haben, war es einfach an der Zeit,
dass sich endlich auch der Prophet – sprich die Gesundheitspolitik – bewegt.
Nicht anders darf man wohl den aktuell im Gesundheitsausschuss des Deutschen Bundestages diskutierten und in der öffentlichen Anhörung vom 21.
September beratenen Entwurf eines „Gesetzes zur
Änderung betäubungsmittelrechtlicher und anderer Vorschriften …“ deuten. Vordergründig darauf
abzielend, chronisch kranken Menschen den Zugang zu cannabishaltigen Therapien zu erleichtern
und gleichzeitig den Selbstanbau zu unterbinden,
birgt dieser Gesetzesentwurf darüber hinaus auch
das Potenzial, etablierte Strukturen und Prozesse
der Verordnungs- und Erstattungsfähigkeit von
Arzneimitteln in Deutschland nachhaltig zu verändern. Denn: für Cannabis und cannabisbasierte
Arzneimittel liegen aus Sicht des Gemeinsamen
Bundesausschuss (G-BA) und des Medizinischen
Dienstes der Krankenkassen (MDK) bislang nur für
das Fertigarzneimittel
und die Indikation
Schmerzmedizin 2016; 32 (6) „Spastik bei MS“ die für eine arzneimittelrechtliche
Zulassung notwendigen kontrollierten Studien vor.
Auch an verwertbaren Daten zum (Zusatz-)Nutzen
im Vergleich zu anderen bereits etablierten/zugelassenen Therapien mangelt es laut G-BA und MDK.
Dass jetzt auch Rezepturarzneien und sogar die Blütentherapie per Gesetz als uneingeschränkt verordnungs- und letztlich auch erstattungsfähig erklärt
werden (sollen), zeigt, wie weit die Politik bereit ist
auf den Berg medizinischer Versorgungsprobleme
chronisch (Schmerz-)Kranker zuzugehen.
Aus Sicht Betroffener ein längst überfälliger
Schritt, schließlich ist die kontinuierlich steigende
Zahl chronisch schmerzkranker Menschen in
Deutschland Beweis dafür genug, dass die aktuell
zugelassenen, verordnungs- und als Regelleistung
auch erstattungsfähigen Arzneimittel allein nicht
ausreichen um des Problems Herr zu werden. Aus
Sicht des G-BA und aller analog strukturierten Verbände und insbesondere für die gesetzlichen Krankenkassen ist diese Entwicklung jedoch ein Desaster – denn mit dem „Verstoß“ gegen die etablierten
Regeln der Arzneimittelzulassung birgt dieser Gesetzesentwurf beträchtliche Sprengkraft.
Aus Sicht der Schmerzmedizin ist er allemal zu
unterstützen, wenngleich es – nicht nur aus arzneimittelrechtlichen Gründen – sicherlich sinnvoll
wäre, stärker zwischen den verschiedenen Optionen
zu differenzieren und die verfügbare Fertigarznei
als Mittel der ersten Wahl in den gesetzesbegleitenden Ausführungsbestimmungen zu positionieren,
gefolgt von der THC-Rezepturarznei als zweite und
der Blüte als dritte Wahl.
Man darf gespannt sein wie sich der Gesetzesentwurf weiterentwickelt. In jedem Fall kommt hier
Bewegung in eine Sache, die lange Zeit für unveränderbar gehalten wurde – und das ist gut so!
PD Dr. med. Michael A. Überall
3
Inhalt
Schmerzmedizin 6 · 2016
Editorial
Gesetzentwürfe mit erheblicher Sprengkraft
3
Michael A. Überall, Nürnberg
Panorama
8
Schmerztherapie-Vereinbarung: Erleichterter Zugang für Ärzte
Endmenstruelle Migräne: Ein neuer Kopfschmerztyp?
Kopfschmerz bei Schülern: Unterricht gegen Schmerz
9
Rückenschmerzen: Reden statt Röntgen
Paracetamol: Pränatale Exposition mit Einfluss aufs Kind?
Forscher entwickeln neues Opioid-Analgetikum
Literatur kompak t
10
Kopfschmerzen durch übermäßige Smartphone-Nutzung?
12
Patienten mit Organversagen: Versorgung am Lebensende
verbesserungsbedürftig
Opioidverordnungen nach Operationen langfristig erhöht
13
Behandlung von Tumorschmerzen: Sind alle Opioide gleich?
14
In zehn Schritten zur Schmerzkontrolle
Dem Schmerzsyndrom geht oft posttraumatischer Stress voraus
15 Das Miteinander verbessern
Unter den Leitgedanken Mut, Miteinander
und Kompetenz diskutierten Vertreter der
Palliativmedizin auf dem 11. Kongress der
Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin
in Leipzig über Chancen und Herausforde­
rungen der Fachdisziplin.
Medizin ak tuell
15
Berichterstattung vom 11. Kongress der Gesellschaft für
Palliativmedizin in Leipzig
19
Berichterstattung vom Deutschen Schmerzkongress 2016 in
Mannheim
Zer tif izier te For tbildung
23
Somatische Belastungsstörungen in der Schmerztherapie
23 Somatische Belastungsstörungen
in der Schmerztherapie
Eine Differenzierung zwischen organisch
und nicht organisch bedingten Schmerz­
leiden ist essenziell für die Wahl der
Schmerztherapie. Hierbei helfen die DSM5-Kriterien.
Johannes Horlemann, Kevelaer
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Inhalt
Schmerzmedizin 6 · 2016
For tbildung
28
Akzeptanz und Achtsamkeit als Teil der Behandlung
chronischer Schmerzen
Christiane Braun, Linda Mehner, Andreas Böger, Kassel
31
Intensivmedizin oder Palliativversorgung am Lebensende?
Matthias Thöns, Witten
34
Ernährung als wichtiges Element einer ganzheitlichen
Schmerzmedizin
Günther Bittel, Duisburg; Gabriele Wagner, Überlingen
Gesellschaf ten und Verbände
Deutsche Gesellschaft für Schmerzmedizin e.V. (DGS)
40
DGS aktuell: Schmerzmedizin – trübe Aussichten?
Oliver Emrich, Ludwigshafen
42
Geschichte der Schmerzmedizin: Wie wir wurden, was wir sind
Oliver Emrich, Ludwigshafen
45
31 Intensivmedizin oder
Palliativversorgung am Lebensende?
Die Versorgung schwerstkranker Patienten
am Lebensende stellt Ärzte immer wieder
vor schwerwiegende Entscheidungen.
­Leider führen diese immer häufiger auch
zu einer Übertherapie.
Das DGS-Schmerzzentrum Wangen stellt sich vor
Stefan Locher, Klaus Kalmbach, Wangen
47
Pharmazeutische Wissenschaft zum Wohle des Patienten
Stefan Laufer, Tübingen; Dieter Steinhilber, Frankfurt am Main
49
Veranstaltungen und Termine
Deutsche Akademie für Ganzheitliche Schmerztherapie e.V. (DAGST)
50
Wir betreten Neuland
Sven Gottschling, Homburg
51
52
Veranstaltungen und Termine
Tod und Sterben im Islam und Judentum
Nicole Schönmann, Hamburg
Berufsverband der Palliativmediziner Westfalen-Lippe
56
Das palliative Team in der ambulanten Versorgung
Eberhard A. Lux, Lünen
Praxis konkret
61
Missbrauchsvorwurf: Beratungsverhältnis nicht ausgenutzt
52 Tod und Sterben im Islam und
Judentum
Bei der Begleitung am Lebensende haben
in unserer heutigen multikulturellen
Gesellschaft neben individuellen auch
religiöse Traditionen und Wünsche der
Patienten einen hohen Stellenwert.
Arno Zurstraßen, Köln
Bitte vormerken!
27CME-Fragebogen
Deutscher Schmerz- und Palliativtag 2017
33Leserbrief
35Erratum
58Industrieforum
61
Galenus-Preis und
CharityAward 2016
63Impressum
Schon heute möchten wir Sie auf den
­Deutschen Schmerz- und Palliativtag 2017
hinweisen, der vom 22. bis 25. März 2017 im
Congress Center Messe Frankfurt stattfinden
wird.
Titel
©© Ida Jarosova / Getty Images / iStock
Rubriken
Panorama
Schmerztherapie-Vereinbarung
fen“, erklärte Professor Joachim Nadstawek, Vorsitzender des Berufsverbands der
Ärzte und Psychotherapeuten in der
Schmerz- und Palliativmedizin in
Deutschland, der an den Verhandlungen
beteiligt war.
Mit der Vereinbarung würden die Anforderungen an die aktuellen Vorgaben der
Zusatzweiterbildung „Spezielle Schmerztherapie“ angepasst, heißt es weiter in der
Mitteilung. Auch die Praxisbedingungen
würden nun flexibler gestaltet, etwa für
größere Einrichtungen. Außerdem wurden die Modalitäten zur Dokumentationsprüfung verändert. (ger/eis)
Erleichterter Zugang für Ärzte
—— Der Zugang zur Versorgung chronisch
schmerzkranker Patienten wird für Vertragsärzte erleichtert. Das sieht die erneuerte Schmerztherapie-Vereinbarung vor,
auf die sich die Kassenärztliche Bundesvereinigung und der GKV-Spitzenverband
jetzt geeinigt haben. „Mit der aktualisierten Vereinbarung werden wir mehr Ärzte
für die Versorgung chronisch schmerzkranker Patienten gewinnen können“,
äußerte sich KBV-Vorsitzender Dr. Andre-
as Gassen laut Pressemitteilung zuversichtlich. „Die Anpassung an moderne
Arbeitszeitmodelle, der Wegfall des obligatorischen Eingangskolloquiums unter
bestimmten Voraussetzungen und die
Einführung einer befristeten Dokumentationsprüfung sind wichtige Schritte, um
den Ärztezugang zu einer qualitätsgesicherten schmerzmedizinischen Versorgung zu erleichtern und damit das
Nachwuchsproblem etwas zu entschär-
Kopfschmerz bei Schülern
„Endmenstruelle Migräne“
Unterricht gegen
Schmerz
Ein neuer Kopfschmerztyp bei Frauen?
ihrer Periode über Kopfschmerzen klagen,
ist das möglicherweise durch den Blutverlust bedingt. Neurologen aus North Carolina
postulieren einen neuen Kopfschmerztyp:
die „endmenstruelle“ Migräne [Calhoun AH
et al. Headache 2016; online 5. Oktober]. Der
Zusammenhang war den Forschern um Dr.
Anne H. Calhoun vom Carolina Headache
Institute in Durham schon vor einigen Jahren aufgefallen: So gab es unter den Frauen
in ihrer Migräne-Ambulanz immer wieder
Patientinnen, die die Kopfschmerzschübe
nicht klassischerweise zu Beginn ihrer Periode sondern erst gegen Ende bekamen.
In der auf Menstruationskopfschmerzen
spezialisierten Klinik fanden sich in einem
Zeitraum von sechs Wochen 85 Frauen mit
Migränediagnose, die einen regelmäßigen
Zyklus hatten und damit für die Auswertung
geeignet waren. 30 von ihnen (35,3 %) hatten angegeben, dass jeweils in den letzten
Tagen ihrer Monatsblutung Kopfschmerzen
einsetzten und dann im Schnitt 2,6 Tage
anhielten. Für die Forscher ist das ein klarer
Hinweis auf die Existenz der von ihnen
postulierten „endmenstruellen“ Migräne
(EMM). In der Migräne-Klinik werden bei
allen Patientinnen routinemäßig die
Ferritin­werte bestimmt. Diese lagen bei 28
der 30 EMM-Kandidatinnen unterhalb des
allgemein akzeptierten Grenzwertes von
50 ng/ml. Bei der Hälfte waren es sogar
8
©© fred goldstein / fotolia.com
—— Wenn Frauen regelmäßig gegen Ende
weniger als 18 ng/ml. Ferritin dient im
­ rganismus nicht nur als Speicherstoff für
O
Eisen, sondern kontrolliert auch dessen
Freisetzung. Mangelt es an dem Protein,
können sich die Eisenspeicher schnell entleeren.
Wie Calhoun et al. zeigen konnten, stand
die „EMM“, anders als die „normale“ Mens­
truationsmigräne, nicht im zeitlichen
Zusammenhang mit hormonellen Schwankungen, sondern ereignete sich in einer
Phase sehr stabiler Östrogenkonzentrationen. Die Forscher postulieren, dass es bei
Frauen mit ohnehin niedrigen FerritinSpiegeln durch den monatlichen Blutverlust
zu einem ausgeprägten Missverhältnis
zwischen dem Sauerstoffbedarf und der
Menge an zirkulierenden roten Blutkörperchen komme.(eo)
Viele Schüler haben wie selbstverständlich
Kopfschmerztabletten im Ranzen. Das geht
aus einer Umfrage unter 1.102 Siebtklässlern
hervor. Demnach leiden knapp 74 % der
Jugendlichen an Migräne oder Spannungskopfschmerzen. Davon nehmen drei Viertel
regelmäßig Schmerzmedikamente ohne
ärztliche Verordnung. Weniger als ein Drittel der Betroffenen weiß um die Diagnose.
Sie nehmen ein, was da ist: ASS, Paracetamol
oder Ibuprofen. „Die meisten haben kein
Konzept und keinen Namen für ihre Kopfschmerzen“, sagte Professor Hartmut Göbel
von der Schmerzklinik Kiel.
Gemeinsam mit der Lehrerin Karin Frisch
vom gemeinnützigen Zentrum für Forschung und Diagnostik bei Implantaten,
Entzündungen und Schmerzen (Zies
gGmbH) in Frankfurt hat Göbel die „Aktion
Mütze – Kindheit ohne Kopfzerbrechen“ ins
Leben gerufen. Diese stellt Schulen Unterrichtsmaterial zur Kopfschmerzprävention
zur Verfügung. 21 gesetzliche Krankenkassen unterstützen das Projekt bislang mit
rund 2,5 Millionen Euro.
„Durch die Unterrichtseinheit lernen Schüler, Eltern und Lehrer wie sie durch Veränderungen im Alltag Kopfschmerzen vorbeugen können“, erklärte Frisch. Dazu gehöre
regelmäßiger Schlaf, Bewegung, kohlenhydratreiche Mahlzeiten und ein bewusster
Umgang mit Medien.
Anno Fricke
Schmerzmedizin 2016; 32 (6)
Rückenschmerzen
Paracetamol
Reden statt Röntgen
Pränatale Exposition
mit Einfluss aufs Kind?
—— Bei 60–80 % der Patienten haben Rü-
eine Entzündung hindeuten. „Lassen sich
keine entsprechenden Hinweise feststellen,
kann man bei erstmaligen akuten Schmerzen in den ersten vier Wochen zunächst das
Symptom Schmerz behandeln und den Patienten ausführlich aufklären“, so Kladny. In
diesen Fällen helfen akut Schmerzmittel
sowie Bewegung im Alltag und gezielte
Übungen. Bei 80 % aller Rückenpatienten
klingen die Schmerzen innerhalb von wenigen Tagen oder Wochen wieder ab. „Tritt
nach vier bis sechs Wochen bei anhaltenden
aktivitätseinschränkenden oder zunehmenden Kreuzschmerzen keine Besserung ein,
ist es angeraten, den Einsatz von bildgebenden Verfahren zu überprüfen“, räumt Kladny
ein. (eb)
Weniger Nebenwirkungen
Forscher entwickeln neues OpioidAnalgetikum
—— Forscher haben ein neues Opioid-Schmerzmittel entwickelt. Das Analgetikum
scheint kaum schwerwiegende Nebenwirkungen zu verursachen, teilt die FriedrichAlexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU) mit. Der Wirkstoff wurde erfolgreich
in ­Modellversuchen getestet [Nature 2016 Aug; 537(7619):185–90].
Im Modellversuch konnten die Forscher nachweisen, dass ihr neuer Wirkstoff PZM21,
der keine chemische Ähnlichkeit mit den bisherigen Opiaten besitzt, genauso effektiv
wie Morphin Schmerzen lindert. Atemdepression und Abhängigkeit konnten nicht
nachgewiesen werden, heißt es in der Mitteilung. Mithilfe des sogenannten DockingVerfahrens berechnete das Team zunächst an einem Hochleistungsrechner, welche
von mehr als drei Millionen potenziellen Wirkstoffen am geeignetsten erscheinen, mit
dem μ-Opioidrezeptor zu interagieren. Dies führte zu 23 Molekülen, die die Arbeitsgruppe experimentell auf ihre Rezeptorbindung hin untersuchte, um einen vielversprechenden Treffer herauszufiltern. Weitere Experimente des FAU-Teams führten zu
PZM21, einem funktionell selektiven Wirkstoff. Er sei in der Lage G-Proteine zu aktivieren, nicht jedoch das Signalmolekül β-Arrestin, das für die opioidtypischen Nebenwirkungen verantwortlich ist, so die Forscher. (eb)
Schmerzmedizin 2016; 32 (6) of Parents and Children“ (ALSPAC) handelt es
sich um eine prospektive Geburtskohortenstudie, an der zwischen April 1991 und Dezember 1992 insgesamt 7.796 Mütter mit ihren Kindern und Partnern teilgenommen
hatten [Stergiakouli E et al. JAMA Pediatr
2016; 170:964–70]. Die Befragung zum Paracetamolgebrauch erfolgte während der
Schwangerschaft in der 18. und 32. Woche
sowie im Alter der Kinder von 61 Monaten.
Mithilfe des „Strengths and Difficulties Questionnaire“ (SDQ) wurden die Mütter zu Verhaltensstörungen ihrer Kinder im Alter von
sieben Jahren befragt. Wie die Wissenschaftler um Dr. Evie Stergiakouli vom Medical Research Council in Bristol berichten, nahmen
4.415 Mütter (53 %) Paracetamol in der 18.
Schwangerschaftswoche (SSW) ein, 3.381
Mütter in der 32. SSW. Den Berechnungen
zufolge war die Wahrscheinlichkeit für Verhaltensstörungen durch diese Selbstbehandlung während der Schwangerschaft
deutlich um etwa das Eineinhalbfache (Risk
Ratio [RR]:1,42; 95%-KI 1,25–1,62) erhöht. Die
Risikoerhöhung galt auch für Hyperaktivitätssymptome (RR: 1,31; 95%-KI 1,16–1,49)
sowie für emotionale Symptome (RR: 1,29;
95%-KI 1,09–1,53). Die RR-Werte lagen jeweils
bei Paracetamolanwendung in der 32. SSW
höher als in der 18. SSW.
Aus den Studienergebnissen lässt sich kein
kausaler Zusammenhang zwischen der Paracetamolanwendung während der
Schwangerschaft und der Entwicklung von
Verhaltensstörungen ableiten. Zumal von
den Studienteilnehmerinnen keine Angaben zur Indikation der Paracetamol­
therapie sowie zur Dosierung der
Arznei und zur Dauer der Behandlung gemacht wurden.
In den Fachinformationen zur
Anwendung von Paracetamol
wird unter anderem darauf
hingewiesen, dass Paracetamol
während der Schwangerschaft
bei klinischer Notwendigkeit eingenommen werden darf. Es sollte jedoch „in der geringsten wirksamen
Dosis über einen möglichst kurzen
Zeitraum und so selten wie möglich
eingenommen werden“.
(ple)
9
©© Tatiana Gladskikh / iStock / thinkstock
—— Bei der Studie „Avon Longitudinal Study
©© CLIPAREA.com / Fotolia
ckenschmerzen keine organische Ursache,
erinnert die Deutsche Gesellschaft für Unfallchirurgie. Die Nationale Versorgungsleitlinie Kreuzschmerz empfiehlt deshalb, erst
dann eine bildgebende Untersuchung wie
Röntgen oder MRT anzuordnen, wenn der
Schmerz auch nach vier bis sechs Wochen
nicht abklingt, die körperliche Aktivität einschränkt oder zunimmt.
In über 90 % der Fälle wird diesen Vorgaben
auch entsprochen und auf eine nicht indizierte oder zu frühe radiologische Bildgebungsdiagnostik verzichtet. Das ergab eine
Analyse von Versichertendaten gesetzlicher
Krankenversicherungen. „Im Vordergrund
einer guten Diagnostik bei Rückenbeschwerden steht die fachkundige Befragung
des Patienten und eine sachgerechte körperliche Untersuchung“, wird Professor
Bernd Kladny, Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Orthopädische Chirurgie, in der Mitteilung zitiert. Bei der Erstuntersuchung gehe es vor
allem darum, Warnzeichen zu erkennen, die
etwa auf einen Wirbelbruch, einen Bandscheibenvorfall mit Nervenschaden oder

©© Mehmet Dilsiz / Fotolia.com
Literatur kompak t
In der Rubrik „Literatur
­kompakt“ werden die
­wichtigsten Originalarbeiten
aus der internationalen
Fachliteratur referiert.
Kopfschmerzen durch übermäßige SmartphoneNutzung?
Kopfschmerzen und andere somatische Beschwerden hängen möglicher­
weise auch mit einer übermäßigen Nutzung von Internet und Mobiltelefonen
zusammen. Zumindest zeigt eine italienische Studie eine entsprechende
­Assoziation bei Schülern zwischen 10 und 16 Jahren.
I
sitzungen bei Heranwachsenden sind bekannt. Der exakte Zusammenhang zwischen Kopfschmerzprävalenz und exzessiver Nutzung digitaler Medien ist bisher
allerdings noch wenig erforscht.
Eine bevölkerungsbasierte Querschnittsstudie untersuchte deshalb in
den Jahren 2013 und 2014 die Assozia­
tion zwischen der Nutzungsintensität
von Internet und Mobiltelefonen und der
Inzidenz von Migräne, Kopfschmerzen
und anderen gesundheitlichen Einschränkungen. Die per Fragebogen ein-
©© IPGGutenbergUKLtd / Getty Images / iStock
nternet und Mobiltelefone gehören heute zum Alltag. Jugendliche und Heranwachsende machen besonders intensiv
von den Digitaltechnologien Gebrauch,
die Übergänge zwischen Nutzung und
Abhängigkeit sind fließend und noch
nicht endgültig definiert. Störungen der
motorischen Entwicklung zusammen
mit Symptomen wie Kopf- und Muskelschmerzen, Beeinträchtigungen bei
Schlaf und Konzentration sowie eine
nicht ausreichend ausgebildete Selbst­
regulation durch ausgedehnte Computer­
geholten Auskünfte von 841 der 1.004
einbezogenen italienischen Schüler zwischen 10 und 16 Jahren konnten ausgewertet werden.
Insgesamt 28 % der Befragten gaben
an, unter Kopfschmerzen zu leiden –
Mädchen signifikant häufiger als Jungen.
Bei 39,6 % der Schüler mit Kopfschmerz
bestand kein Verdacht auf einen Missbrauch von Internet oder Mobil­telefon,
in dieser Studie definiert als eine Internetnutzung von mehr als zwei Stunden
und ein Mobiltelefongebrauch von mehr
als zehn Stunden pro Tag. 19,5 % der
Stichprobe „missbrauchten“ entsprechend dieser Definition sowohl ihren
Computer als auch ihr Handy/Smartphone. Allerdings ergab sich kein statistisch signifikanter Zusammenhang zwischen der Kopfschmerzhäufigkeit – auch
differenziert in Migräne- und Spannungskopfschmerz-Typ – und einer
Überbeanspruchung der Digitalkommunikation, wenngleich der Trend einen Zusammenhang erkennen ließ. Darüber hinaus hatten Schüler, die täglich
das Internet benutzen, signifikant häufiger somatische Symptome als die nur
sporadisch das Internet nutzenden Teilnehmer der Nicht-Kopfschmerzgruppe.
Fazit: Ein gegenüber den Durchschnittswerten häufigerer Gebrauch von Internet und Mobiltelefonen bei Schülern erhöht tendenziell das Risiko für Kopfschmerzen vom Migräne- und Spannungstyp als auch für somatische
Symptome wie etwa Schlafstörungen.
Eine exzessive Nutzung von Mobiltelefonen kann das Risiko für Kopfschmerzen bei
J­ ugendlichen offenbar erhöhen.
10
Dr. Barbara Kreutzkamp
Cerutti R et al. The potential impact of internet
and mobile use on headache and other somatic
symptoms in adolescence. A population-based
cross-sectional study. Headache 2016; 56:1161–70
Schmerzmedizin 2016; 32 (6)
Literatur kompak t

Patienten mit Organversagen: Versorgung am
Lebensende verbesserungsbedürftig
Ein Lebensende ohne intensivmedizinische Maßnahmen zusammen mit
einer hochwertigen Palliation kommt bisher vor allem Krebs- und Demenz­
patienten zugute. Um Patienten mit Organversagen kümmert sich die Intensivmedizin vielleicht immer noch zu lange.
E
ine qualitativ hochwertige Pflege am
Lebensende ist nicht nur für Krebs­
patienten wichtig. Auch die letzten
­Lebenswochen von Patienten mit anderen schweren Erkrankungen erfordern
eine hochwertige palliativ-pflegerische
Begleitung. Ein Messinstrument für die
Qualität der End-of-Life-Betreuung ist
die Einschätzung durch Familienangehörige. Dieses Instrument setzte jetzt
eine retrospektive US-amerikanische
Querschnittsstudie ein, in der nach
­positiv empfundenen Charakteristika
von Maßnahmen am Lebensende bei
verschiedenen Grunderkrankungen gesucht wurde.
Einbezogen in die Auswertung waren
insgesamt 57.753 sterbende Patienten
unter anderem mit den Diagnosen
Nierenerkrankungen im Endstadium,
­
Krebs, Herz-Lungen-Versagen, Demenz
und Altersschwäche sowie 34.005 Familien dieser Patienten. Ergebnis: Von den
Patienten mit Nieren-, Herz- und Lungenerkrankungen erhielt rund die Hälfte eine palliative Betreuung im Vergleich
zu 73 % der Krebspatienten und 61 % der
Demenzpatienten (p < 0,001). Rund ein
Drittel der Patienten mit Nieren-, Herzund Lungenerkrankungen starb auf der
Intensivstation (Nierenversagen 32,3 %,
kardiopulmonales Versagen 34,1 % und
Altersschwäche 35,2 %) im Vergleich zu
rund 10 % der Patienten mit Krebs oder
Demenz (13,4 % bzw. 8,9 %; p < 0,001).
Dass die Qualität der Pflege am Lebensende exzellent gewesen sei, bescheinigten 59,2 % beziehungsweise 59,3 % der
Familienangehörigen von Krebs- beziehungsweise Demenzpatienten, aber sig-
Opioidverordnungen nach schmerzhaften
Operationen langfristig erhöht
Lassen sich Patienten nach operativen Eingriffen tatsächlich häufiger Opioide
verschreiben als Patienten ohne einen schmerzhaften Eingriff? Und wenn ja,
was sind die Risikofaktoren für einen postoperativen Opioidmissbrauch? Eine
US-amerikanische Registerstudie gibt Antworten.
V
or allem in den USA belastet ein zunehmender Opioideinsatz die Gesundheit der Patienten und das Gesundheitswesen. Als ein Risikofaktor für diesen Trend gelten Operationen mit perioperativer Opiodgabe. Um die RisikoDatenlage speziell bei opioidnaiven
Patienten zu verbessern, durchforsteten
US-Forscher die Krankenakten von
­opioidnaiven Operationspatienten hinsichtlich Folgeverordnungen von Opioiden im ersten Jahr nach dem Eingriff.
Einbezogen in die Registerstudie waren 641.941 privatversicherte Patienten
12
im Alter von 18 bis 64 Jahren, bei denen
schmerzhafte Eingriffe vorgenommen
wurden. Dazu gehörten arthroplastische
Operationen, Cholecyst- und Appendektomien, Kaiserschnitte, Mastektomien und transurethrale Prostataresektionen. Ausgewertet wurden die postoperativen Opioidverordnungsdaten
von präoperativ opioidnaiven Patienten,
bereinigt um mögliche konfundierende
Faktoren wie Geschlecht, Alter, psychiatrische Diagnosen, Alkoholabusus und
Benzodiazepineinnahme. Die so ermittelten Patienten wurden einer Kontroll-
nifikant weniger Familienangehörige
von Patienten mit anderen Erkrankungen (Nierenerkrankungen 54,8 %, kardiopulmonales Versagen 54,8 % und Altersschwäche 53,7 %; alle p < 0,02 vs.
Krebspatienten). Der Eindruck einer
qualitativ besseren Pflege bei den Krebsund Demenzpatienten beruhte vor allem
auf einer palliativ­medizinischen Betreuung, dem Setting während des Sterbens
und der Ablehnung von wiederbelebenden Maßnahmen.
Fazit: Die von Familienangehörigen beurteilte Pflegequalität am Lebensende
war für sterbende Patienten mit Krebs
oder Demenz signifikant besser als für
Patienten mit Nieren-, Herz- oder Lungenerkrankungen. Einfluss auf die Einschätzung hatten vor allem die höheren
Raten von palliativen Pflegeeinsätzen,
die Verweigerung von wiederbelebenden
Maßnahmen und ein Sterben außerhalb
von Intensivstationen.
Dr. Barbara Kreutzkamp
Wachteman MW et al. Quality of end-of-life care
provided to patients with different serious illnesses. JAMA Intern Med 2016; 176:1095–1102
gruppe von 18.011.137 nicht operierten
Patienten gegenübergestellt.
Ergebnis: Die meisten der untersuchten schmerzhaften operativen Eingriffe
erhöhten das Risiko für einen gesteigerten postoperativen chronischen Opioidgebrauch mit Odds ratios von 1,28
(95 %-KI 1,12–1,46) bei einem Kaiserschnitt bis zu 5,10 (95 %-KI 4,67–5,58)
bei einer Knie-Arthroplastie. So rangierte die Inzidenz von chronischem
Opioidgebrauch, definiert als mehr als
zehn Opioidverordnungen über mehr
als 120 Tage, bei den opioidnaiven operierten Patienten zwischen 0,119 % bei
Frauen nach einem Kaiserschnitt
(95 %-Konfidenzintervall 0,104–0,134 %)
bis 1,41 % nach einer Knie-Arthroplastie
(95 %-KI 1,29–1,53 %). Lediglich bei
­Kataraktoperationen, laparoskopischer
Appendektomie, endoskopischer SinusOperation und transurethraler Prostataresektion waren keine erhöhten Inzidenzen für einen ostoperativen OpioidSchmerzmedizin 2016; 32 (6)
gebrauch feststellbar.Anfällig für einen postoperativen chronischen Opioidgebrauch waren Patienten über 50 Jahre,
Männer, Patienten mit anamnestisch bekanntem Alkohol­
abusus und Benzodiazepineinnahme sowie Patienten mit Depressionen.
Fazit: Viele operative Eingriffe erhöhen die Inzidenz eines
chronischen Opioidgebrauchs. Risikogruppen sind vor allem
Männer über 50 Jahre sowie Patienten mit psychiatrischer und/
oder Missbrauchsanamnese.
Dr. Barbara Kreutzkamp
Sun EC et al. Incidence of and risk factors for chronic opioid use among
opioid-naive patients in the postoperative period. JAMA Intern Med 2016;
176:1286–93
Behandlung von Tumorschmerzen:
Sind alle Opioide gleich?
Die Therapie von Krebspatienten mit jeweils einem
von vier starken Opioiden führt zu vergleichbaren
Ergebnissen hinsichtlich der Schmerzkontrolle, der
Ansprechraten und der Hauptnebenwirkungen. Ein
beträchtlicher Anteil an Patienten spricht schlecht oder
gar nicht auf die Behandlung an.
D
as zeigte eine Phase-IV-Studie, in der Wirksamkeit und
Verträglichkeit von oralem Morphin, oralem Oxycodon
(in einer Formulierung mit kontrollierter Freisetzung), transdermalem Fentanyl und transdermalem Buprenorphin bei der
Schmerztherapie von 520 Krebspatienten über 28 Tage verglichen wurden. Während des Follow-ups waren alle notwendigen klinisch und ethisch vertretbaren Anpassungen für eine
bessere Schmerzkontrolle erlaubt.
Innerhalb von vier Wochen gingen die durchschnittliche
(API) und höchste Schmerzintensität (WPI) zurück, wobei zwischen den Therapiearmen keine signifikanten Unterschiede
messbar waren. Der Anteil an Nonrespondern reichte von
11,5 % bei Morphin bis zu 14,4 % bei Buprenorphin. In allen
vier Gruppen kam es während des Follow-ups zu beträchtlichen Veränderungen der Therapie: Erhöhung der täglichen Dosis um 32,7 % bei Morphin bis 121,2 % bei Fentanyl, adjuvante
Medikamente in 68,9 % der Fälle unter Morphin bis 81,6 % unter Oxycodon, Opioidwechsel bei 22,1 % in der Morphin-Gruppe bis 12 % in der Oxycodon-Gruppe. Zu Therapieabbrüchen
kam es bei 27 % unter Morphin bis 14,5 % unter Fentanyl.
Die Toxizität war in allen Gruppen vergleichbar, mit Ausnahme von Nebenwirkungen, die das Nervensystem betrafen:
Sie kamen hauptsächlich unter oralem Morphin vor.
Kathrin von Kieseritzky
Corli O et al. Are strong opioids equally effective and safe in the treatment
of chronic cancer pain? A multicenter randomized phase IV ‘real life’ trial on
the variability of response to opioids. Ann Oncol 2016; 27:1107–15
Schmerzmedizin 2016; 32 (6) 13
Literatur kompak t

In zehn Schritten zur Schmerzkontrolle
Chronische tägliche Kopfschmerzen plagen zwei bis vier Prozent der Nordamerikaner und Europäer. Ein 10-Schritte-Plan hilft, die Beschwerden in den
Griff zu bekommen.
Z
u chronischen täglichen Kopfschmerzen (CDH) tragen unterschiedliche ätiologische Faktoren bei.
Doch trotz aller Unterschiede sollen sich
die meisten Schmerzen mithilfe des von
Dr. Robert Sheeler von der Mayo Klinik
in Rochester vorgestellten 10-SchrittePlans diagnostizieren und behandeln
lassen:
1. Ausschließen lebensbedrohlicher
oder progressiver sekundärer Kopfschmerzen.
2. Klassifizieren der primären Kopfschmerzen.
3. Identifizieren der verschärfenden
und erhaltenden Faktoren.
4. Identifizieren von Komorbiditäten
5. Prüfen der momentanen akuten
­Therapie.
6. Entgiften bei übermäßigem Medikamentengebrauch.
7. Prüfen vergangener präventiver
­Therapieversuche.
8. Erstellen eines Kopfschmerzplans
mit akuten, präventiven und Lifestyle-Komponenten.
9. Aufklären des Patienten und Anleitung zum Führen eines Kopfschmerztagebuchs.
10.Initiieren eines regelmäßigen Follow-ups zur kontinuierlichen Verbesserung mit dem Ziel tägliche
Kopfschmerzen in kontrollierbare
episodische Kopfschmerzen zu verwandeln.
Viele Patienten mit chronischen täglichen Kopfschmerzen greifen zu häufig
zu Schmerzmitteln, was wiederum „me-
Dem Schmerzsyndrom geht oft
posttraumatischer Stress voraus
Patienten mit komplexem regionalem Schmerzsyndrom (CRPS) erfüllen
­häufig auch die Kriterien der posttraumatische Belastungsstörung (PTSD),
wie die Ergebnisse einer deutschen Studie zeigen.
F
ibromyalgie und andere chronische
Schmerzsyndrome gehen mit einer
relativ hohen Prävalenz von PTSD einher. Warum sich dies bei CRPS anders
verhalten sollte, dafür sah eine Gruppe
von Wissenschaftlern der Universitäten
Mainz und Erlangen-Nürnberg keine
ernsthaften Argumente. Die Mainzer
Neurologin Verena Speck und ihre
­Forscherkollegen machten sich deshalb
daran, den Zusammenhang zwischen
CRPS und PTSD im Zuge einer Studie
zu untersuchen.
An der Untersuchung waren 152 erwachsene Patienten mit CRPS, davon
71 % Frauen, beteiligt. Weit überwiegend
handelte es sich um ein CRPS I, vormals
Morbus Sudeck genannt. Rund 11 % litten an CRPS II, früher als Kausalgie be-
14
zeichnet. Von den Schmerzen betroffen
waren meist die Hände. 55 Patienten, die
ebenfalls an Schmerzen, aber nicht an
einem CRPS litten, dienten als Kontrollen, ebenso 55 nach Alter und Geschlecht passende gesunde Probanden.
Das Vorliegen von PTSD beurteilten
Speck und Mitarbeiter anhand der Resultate einer Befragung mit einschlägigen psychologischen Fragebogen (Posttraumatic Diagnostic Scale, deutsche
Version).
Von den CRPS-Patienten wiesen 58
(38 %) eine PTSD auf. Bei den Schmerzpatienten ohne CRPS waren es sechs
(10 %), bei den Gesunden zwei (4 %). Der
Beginn der PTSD lag bei 50 CRPS-Patienten vor dem Beginn des Schmerzsyndroms, bei 20 (35 %) sogar mehr als fünf
dication overuse headaches“ (MOH) bedingen kann. Deshalb raten Sheeler und
seine Mitarbeiter dazu, die aktuelle
­Medikation des Patienten zu erfragen
und bei übermäßigem Medikamenten­
gebrauch eine Entgiftung zu starten. Zur
Unterstützung können Therapeuten
über kurze Zeit Kortikosteroide, NSAID
oder Dihydroergotamin einsetzen.
Nach Diagnose und Anamnese kann
abschließend ein individuell auf den Patienten zugeschnittener Kopfschmerzplan erstellt werden, der präventive sowie akute Therapieoptionen enthält und
auch auf die Optimierung des Lebensstils eingeht.
Eine enge Zusammenarbeit zwischen
Therapeut und Patient sowie eine regelmäßige Kontrolle des Behandlungs­
erfolgs helfen laut Autoren dabei, langfristig eine gute Kontrolle über CDH zu
erlangen.
Julia Rustemeier
Sheeler RD et al. Chronic Daily Headache: Ten
Steps for Primary Care Providers to Regain
­Control. Headache 2016; online 23. August
Jahre davor. Unter den erlebten Traumata waren schwere Unfälle, lebensbedrohliche Erkrankungen, häusliche Gewalt,
Gewalt durch Fremde, Kriegserlebnisse
und Vergewaltigungen durch Familienmitglieder oder Fremde.
Signifikant mit CRPS assoziiert war
der Schweregrad der PTSD. Zudem bestand ein Zusammenhang zwischen
dem Vorliegen von PTSD und fehlan­
gepassten Bewältigungsmechanismen.
Stutzig macht Speck und Kollegen,
dass die PTSD dem CRPS so häufig vorausgeht. „Trotz des Querschnittscharakters unserer Studie und der retrospektiven Einschätzung der PTSD legt
dies nahe, dass die PTSD ein Risikofaktor für die Entwicklung eines CRPS sein
könnte“, schreiben sie. Eine Längsschnittstudie, mit der sich das untersuchen ließe, halten sie für machbar – aber
auch für nötig, um zu klären, ob die Therapie der PTSD die Symptome des CRPS
lindern kann.
Dr. Robert Bublak
Speck V et al. Increased prevalence of posttraumatic stress disorder in CRPS. Eur J Pain 2016;
Online 21. September
Schmerzmedizin 2016; 32 (6)
©© Stockfotos-MG / Fotolia
Medizin ak tuell
11. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin
Das Miteinander verbessern
Auf dem 11. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin in Leipzig vom 7. bis 10. September
widmeten sich Vertreter der palliativmedizinischen Fachdisziplinen sowie benachbarter Fächer und Profes­
sionen dem aktuellen Versorgungsstand der Palliativmedizin in Deutschland. Unter den drei Leitgedanken
von „Mut, Miteinander und Kompetenz“ präsentierte sich in einem abwechslungsreichen Programm eine
Fachdisziplin, die sich nach aktuellen politischen Entwicklungen wie der Verabschiedung des Hospiz- und
Palliativgesetzes 2015 mit neuen Chancen und Herausforderungen konfrontiert sieht.
Glioblastom – Tumor mit schlechter Prognose
Bislang blieben sie bei der frühen Integration meistens außen vor: Patienten
mit primären Hirntumoren. Doch der interdisziplinäre Ansatz kommt den
Schwerkranken zugute.
F
ür viele onkologische Krankheitsbilder ist die „frühe Integration“ längst
„common sense“, das gilt bislang aber nur
selten für Fachbereiche außerhalb der
Onkologie. Dabei, so Professor Heidrun
Golla vom Universitätsklinikum Köln,
umfasse die WHO-Definition von Palliativmedizin alle „Patienten mit einer
progredienten, weit fortgeschrittenen
Schmerzmedizin 2016; 32 (6) Erkrankung und einer begrenzten Lebenserwartung zu der Zeit, in der die Erkrankung nicht mehr auf eine kurative
Behandlung anspricht.“ Dazu gehören
laut Golla unzweifelhaft auch Patienten
mit Glioblastom (GBM). „Ein Glioblastom ist eine gravierende Erkrankung
(…). Selbst wenn der Tumor im Guten
reseziert ist, haben Sie immer noch
­ ellen im Gewebe. Der Tumor ist nicht
Z
heilbar.“
Nach Daten aus ihrer eigenen Klinik
liege die mittlere Überlebenszeit nach
Diagnosestellung für Patienten mit
GBM bei 25,05 ± 1,8 Monaten, berichtete Golla. Deshalb sollten auch GBM-­
Patienten früh Zugang zu palliativen
Versorgungsansätzen haben. Die Realität sieht bislang jedoch anders aus: Nach
dem HOPE-Bericht 2015 sind nur 3 %
der in Palliaitv- und Hospizeinreichtungen betreuten Patienten von einer Erkrankungen des Nervensystems betroffen [https://www.hope-clara.de/download/2015_HOPE_Bericht.pdf].
15
Patienten fallen durchs Raster
Als primäre Hindernisse, die einer frühen Integration entgegenstehen, identifizierte Golla dabei den Weg der Patienten ins Gesundheitssystem: Hier sei zum
einen die zentrale Therapieführung
durch die Neurologie entscheidend – ­ein
Fachbereich, der bislang kaum Berührungspunkte mit der Palliativ­medizin
habe. Zum anderen fielen GBM-Patienten durch das übliche Raster der Palliativmedizin, da in der Regel andere Sym-
11. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin
ptome im Vordergrund stünden als die
klassisch onkologischen Komplexe von
Schmerzen, Übelkeit, Ver­stopfung und
Appetitmangel. Häufiger seien Be­
wusstseinstrübung, Schluckbeschwerden, Hirndrucksymptome oder fokal
neurologische Defizite. Aber auch mit
Persönlichkeitsänderungen, kognitiven
Defiziten und Verwirrtheit haben Patienten und ihre Angehörigen zu kämpfen.
Diese Befunde bestätigt auch eine am
Kölner Zentrum für Palliativmedizin
Wie viele Sprachen spricht der Tod?
Verbindend sind die Unterschiede – und das Bewusstsein darum. So lässt sich
die zentrale Botschaft des Symposiums „Trans- und Interkulturalität in der
­Palliativversorgung“ zusammenfassen.
V
ier Millionen Muslime leben in
Deutschland, einige in der vierten
Generation. Sie unterscheiden sich in ihrer Migrationsbiografie, in ihren Ethnien, Herkunftskulturen und Konfessionen – und werden doch häufig als homogene Gruppe adressiert. „Oft werden
Missverständnisse vorschnell mit kulturellen Unterschieden begründet“, befand
Senay Kaldirim-Celik, tätig am Kinderpalliativzentrum der Vestischen Kinderund Jugendklinik Datteln.
Generell nehme die Bedeutung der
Religion am Lebensende zu. Sie spiele
bei den in Deutschland lebenden Muslimen generationsübergreifend eine wichtige Rolle, weniger in der tagtäglichen
Praxis als rituell verankert im Bezug auf
wichtige Ereignisse wie Hochzeit, Feiertage und eben auch den Tod, sagte Kaldirim-Celik. Hier wirke die Religion
häufig als große emotionale Stütze und
es sei eine der wichtigsten Herausforderungen für Begleiter und Therapeuten,
dieses Potenzial als Ressource zu verstehen und zu nutzen.
Krankheitskonzepte begründet durch
den muslimischen Glauben unterschieden sich dabei kaum von solchen, die
auch das Christentum kennt: Krankheit
wird als eine Prüfung Gottes verstanden
– sowohl für den Betroffenen selbst als
auch für das Umfeld – und manchmal
auch als Gnadenerweis, der den Wert
des Lebens erkennbar werden lässt.
16
Eine Interpretation von Krankheit als
Bestrafung, so Kaldirim-Celik, ließe
sich aus islamischen Hauptquellen
nicht ableiten.
Was die für die palliative Versorgung
wichtige Fragestellung einer Therapiepflicht am Lebensende angeht, so sei die
islamische Welt gespalten: Dem klaren
Ja zur Therapiepflicht unter Verweis auf
das in der islamischen Glaubenslehre
verankerte Verbot von Sterbehilfe und
Suizid steht die Interpretation des
­Therapieverzichts am Lebensende als
­natürlicher Tod entgegen. Vertreter der
letzten Position definieren für die jeweilige Situation die Wünsche des Patienten,
seiner Familie und den Konsens des gesamten Behandlungsteams als handlungsleitend. Man müsse den Menschen
unter bestimmten Bedingungen „erlauben zu sterben“.
Kommunikation ist das A und O
Für die Praxis bedeute dies, dass jede
therapeutische Begleitung beleuchten
müsse, welche Kommunikationsbarrieren den Entscheidungsprozess beeinflussten, erklärt Kaldirim-Celik. Zentrales Thema bleibt hierbei die Sprache.
„Uns fehlen bei so sensiblen Gesprächen
auch die Zwischentöne“ konstatierte
Kaldirim-Celik und verwies auf die
­Tabuisierung, die Worte wie „Tod“ und
„Sterben“ in vielen Kulturen der islamischen Welt erführen.
durchgeführte Studie. Hier hat sich aus
dem erkannten Handlungsbedarf eine
Änderung der Strukturen entwickelt.
Immerhin 30 % aller GBM-Patienten
konnten seit den ersten Studienschritten
durch den Palliativdienst mit versorgt
werden. Anna Atak
„Frühe Integration von Palliativversorgung – ein
Modell für Patienten mit Glioblastom?“ 11. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin, Leipzig, 8. September 2016
Dass das Sprechen über den bevorstehenden Tod in manchen Kulturen – vor
allem im mittleren und fernen Osten –
„fast einem Fluch gleichkomme“, betonte
Dr. phil. Ute Siebert, Trainerin im Bereich interkulturelle Kompetenzen und
Diversity aus Berlin. Zugleich erlebe sie
jedoch auch, dass in Migrantenfamilien
Vertreter der zweiten oder dritten Generation bereits einen ganz anderen Umgang mit der Kommunikation übers
Sterben zeigten.
Keinesfalls sollte in der Kommunikationssituation mit Sterbenden auf einen
neutralen Dolmetscher verzichtet werden. Angehörige sollten nicht in den
Rollenkonflikt geraten, zugleich Tochter
oder Sohn und Übermittler der schlechten Nachricht zu sein. Auch dass Angehörige mehr über die Erkrankung ihrer
Angehörigen wüssten als der Patient
selbst, sei in unserem Rechtssystem
nicht akzeptabel. Gleichzeitig verwies
Siebert darauf, dass die Patientenautonomie im westlichen Sinne auf viele,
kollektivistischer geprägte Gesellschaften nicht übertragbar sei. Hier steht oft
die Familienautonomie über der des einzelnen und bestimmte Entscheidungen
werden im Familienverband getroffen.
Für Patienten kann dies auch entlastend
wirken. Man müsse, so Siebert, einfach
immer wieder forschen, welche Autonomie für den einzelnen Patienten gelte.
Anna Atak
„Sterben in der fremden Heimat - Entscheidungen am Lebensende muslimischer Patienten.“
und „Kommunikation über Sterben und Tod mit
Migranten und ihren Angehörigen“, 11. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin, Leipzig, 8. September 2016
Schmerzmedizin 2016; 32 (6)
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Medizin ak tuell
Alt – und immer auch gebrechlich?
Dass alte Menschen gebrechlich werden, gilt für Viele als Normalfall. Doch
„Frailty“ ist ein Syndrom mit schweren Konsequenzen für die Betroffenen.
D
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er englische Begriff „Frailty“ – zu
Deutsch „Altersgebrechlichkeit“ –
bezeichnet einen multifaktoriellen Abbau von Fähigkeiten und Reserven: physisch, kognitiv und sozial. Die Betroffenen verlieren unbeabsichtigt Gewicht,
Muskelkraft, entwickeln Stand- und
Gangunsicherheiten, werden immobil.
Altersgebrechlichkeit beeinträchtigt ein
selbstbestimmtes Leben.
Bagatellerkrankungen nehmen zu,
Krankenhausaufenthalte häufen sich,
die Mortalität steigt.
Den palliativmedizinischen Blickwinkel zeigte Professor Gabriele MüllerMundt von der Medizinischen Hochschule Hannover, in ihrer Vorstellung
des ELFOP-Projekts (End of life care for
frail older patients in family practice)
auf: Über 18 Monate wurden 31 Patienten über 70 Jahren mit mäßig bis schwer
ausgeprägter Gebrechlichkeit begleitet
und zu ihren Bedürfnissen im letzten
Lebensabschnitt befragt [Müller-Mundt
G et al. BMC Family Practice 2013,
14:52]. 17 der initial rekrutierten Patienten blieben bis zum Ende der Studie dabei, elf verstarben innerhalb der 18 Monate.
Im Erleben der Patienten stellte sich
Frailty dabei als ein mit vielfältigen Verlusten verbundener Prozess dar, der für
viele eine Bedrohung der bisher gekannten eigenen Identität gleichkam. Als zentrales Bedürfnis konnte die Studie den
Wunsch der Patienten ausmachen, möglichst selbstbestimmt im vertrauten Um-
Ernährung bei Demenz – wenn Menschen
vergessen zu essen
Demenzkranke zählen zu den Risikogruppen für Mangelernährung. Screening
und Prävention sind Pflicht. Was aber gilt für die späten Erkrankungsstadien?
W
er über Demenz spricht, spricht
über ein Phänomen mit wachsender Prävalenz und gesellschaftlicher Bedeutung: Liegt die Zahl der Erkrankten
in der Altersspanne von 70–74 Jahren
noch bei 5 %, so sind es bei den über
85-Jährigen bereits 36 %.
Der Progress der Erkrankung, so
­Privatdozent Dr. Mathias Pfisterer aus
Darmstadt, hat dabei direkte Auswirkungen auf die Ernährungssituation der Betroffenen: Mit fortschreitendem kognitiven Abbau nimmt das Risiko für Mangel­
Schmerzmedizin 2016; 32 (6) ernährung proportional zu. Frühes
Screening – beispielsweise durch das
Mini Nutritional Assessment (MNA) – ist
essentiell. Die Ende 2015 erschienenen
„ESPEN guidelines on Nutrition in Dementia“ [Volkert D et al. Clinical Nutrition 2015; 34: 1052–1073] zeigen: Was für
die geriatrische Betrachtungsweise gilt,
gilt für Demenzkranke erst recht. Die Autoren ordnen typische Ernährungsprobleme verschiedenen Erkrankungsstadien zu. So ist eine Beeinträchtigung des
Geruchs- oder Geschmackssinns oft
feld weiterzuleben und zu sterben. Dabei
stand der Wunsch in deutlichem Kontrast zur Realität: von den elf während
der Studienlaufzeit verstorbenen Teilnehmern verstarb nur ein Patient zu
Hause. Konnten die meisten Teilnehmer
zwar für sich ihre Wünsche benennen,
so fehlte doch oft eine frühzeitige offene
Kommunikation im Krankheitsverlauf,
gemeinsame Lösungsfindungen mit den
Angehörigen wurden nicht angestrebt
und auch von Kontaktpersonen im Gesundheitswesen nicht ermöglicht. Die
Realisierbarkeit der eigenen Wünsche
war vor allem abhängig von individuellen Ressourcen. Je gesünder und sozial
besser gestellt ein Patient war, je trag­
fähiger seine informellen Netze und
­professionellen Unterstützungssysteme,
desto größer war die Wahrscheinlichkeit, nach eigenen Wünschen zu leben
und zu sterben. Vorausschauende Versorgungsplanung bezogen auf Therapie
und Versorgungsarrangements ist deshalb Pflicht. Und nicht zuletzt erfordert
der Respekt vor dem Bedürfnis, in der
vertrauten Umgebung sterben zu dürfen,
die frühzeitige Integration eines palliativen Versorgungsansatzes. Anna Atak
„Patienten mit Frailty in der letzten Lebensphase“, 11. Kongress der Deutschen Gesellschaft für
Palliativmedizin Leipzig, 8. September 2016
schon präklinisch vorhanden, während
exekutive Funktionen wie Einkaufen
oder Kochen in mittleren Stadien verloren gehen. Dysphagie und Nahrungsverweigerung treten meist erst spät ein. Analog zur Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Ernährungsmedizin „Klinische Ernährung in der Geriatrie“ (2013)
empfehlen auch die ESPEN-Guidelines
einfache, aber nachgewiesenermaßen effektive Interventionen zur Verbesserung
der Ernährungssituation: Beispielsweise
auf jegliche diätetischen Einschränkungen zu verzichten oder Mahlzeiten in angenehmer Atmosphäre einzunehmen.
Weniger künstliche Ernährung
Die Empfehlungen zur schwierigen Frage
der künstlichen Ernährung und Flüssigkeitsgabe sind zurückhaltend. Für eine
Sondenernährung über einen begrenzten
17
Medizin ak tuell
11. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin
Zeitraum sprechen sie sich ausschließlich
bei Patienten mit leichter bis mittelschwerer Demenz aus, um krisenhafte Zustände zu überwinden. Ganz klar abgelehnt
wird die Einleitung einer Sondenernährung bei Menschen mit schwerer Demenz.
Hintergrund sei die fehlende Evidenz für
den Nutzen einer künstlichen Ernährung,
erläutert Pfisterer. Hier gelte es – und das
sei die große Kunst – in der jeweiligen Si-
tuation zu entscheiden, ob es sich um eine
vorübergehende Verschlechterung handle oder der Patient irreversibel in ein
nächstes Stadium der Erkrankung eingetreten sei. Nach möglichen behandel­
baren Ursachen müsse selbstverständlich
immer aufs Neue geforscht werden.
Den Leitgedanken für die Ernährungsempfehlungen bei Patienten mit
schwerer Demenz formulierte Pfisterer
Wenn das Leben mit dem Sterben beginnt
Wenn werdende Eltern während der Schwangerschaft von einer schweren,
­lebenslimitierenden Erkrankung ihres Kindes erfahren, ist das ein Schlag, der
Ängste aufwirft und vor schwere Entscheidungen stellt. Liegt hier auch ein
Versorgungsauftrag für die Palliativmedizin?
W
er sich in dieser Situation für eine
Fortsetzung der Schwangerschaft
entscheidet, befand Dr. Silke Nolte-Buchholtz vom Dresdener Universitätsklinikum Carl Gustav Carus, wagt den
„Sprung ins kalte Wasser.“ Auch wenn die
Palliativversorgung heute zur Perinatalmedizin gehört, kommt sie bislang fast
nur unmittelbar vor oder nach der Geburt zum Zug. Damit schrumpft das Zeitfenster, das den Palliativversorgern zur
Verfügung steht, auf Stunden bis Tage.
Was eine rechtzeitige Integration der
Palliativversorgung in den Schwangerschaftsverlauf zu leisten vermag, verdeutlichte Nolte-Buchholtz mit fünf ein-
drücklichen Fallgeschichten von Familien, die sich für die Geburt eines Kindes
mit infauster Prognose entschieden hatten. Alle Familien hatten den Weg zur
Palliativ Care auf eigene Initiative gefunden. Denn eine standardisierte Beratung
von Eltern in dieser Situationen zu palliativer Versorgung gibt es bisher nicht.
Dass dabei auch unter Schwangeren­
beratern Bedarf an entsprechenden Angeboten gesehen wird, zeigte Franziska
Flaig aus München, die Ergebnisse einer
qualitativen Interviewstudie mit Schwangerenberatern präsentierte. Ein Haupt­
beweggrund für die Befürwortung von
Perinatal Palliative Care (PPC) in der
Delir als Status epilepticus
Ein unterschätztes Phänomen stellt das Delir als Manifestation des nicht-­
konvulsiven Status epilepticus dar. Dieses richtig zu diagnostizieren ist allerdings nicht einfach.
R
isikogruppen für epileptische Anfälle
sind in der Palliativmedizin häufig.
Patienten mit primären Hirntumoren
und zerebraler Metastasierung zählen
dazu, aber auch solche mit reversiblen Ursachen wie Elektrolytverschiebungen
oder Substanzentzug. Eine über sechs
Jahre geführte Studie am Klinikum
Großhadern identifizierte von 311 Patienten im Status epilepticus, 185 als nicht-
18
konvulsiv, davon wiederum 36 als Delir.
„20 % aller nicht-konvulsiven Patienten
zeigen ein Delir – das ist viel.“, sagte Professor Berend Feddersen aus München.
Das Problem: Wirklich hilfreiche Erkennungsmerkmale gibt es kaum. Die
Semiologie gleicht sich nicht, eine entsprechende Vorgeschichte muss nicht
bekannt sein. Was für die Diagnose helfen kann: der plötzliche Beginn der Ver-
so: „Mit dem Löffel bis zum Mund – aber
nicht weiter“, denn „Die Alternative zum
Verzicht auf Sondennahrung ist keinesfalls der Verzicht auf Ernährung und Zuwendung.“ Anna Atak
„Ernährung und Flüssigkeit bei Patienten mit Demenz.“ 11. Kongress der Deutschen Gesellschaft
für Palliativmedizin, Leipzig, 8. September 2016
Schwangerenberatung sei das Gefühl,
„dass die Eltern zu schnellen Entscheidungen und eher in Richtung Abbruch gedrängt werden“, so Flaig. Meistens sähen
sich Familien mit den beiden Alternativen konfrontiert: Schwangerschaftsabbruch oder Austragung mit anschließender Maximalversorung. Es gehe bei der
Integration von PPC in die Schwangerenberatung darum, die Entscheidung
für das Austragen der Schwangerschaft
zu normalisieren. Nicht mit dem Ziel,
die Zahl der Abbrüche zu senken, wie
Nolte-Buchholtz betonte. Sondern um
allen Beteiligten mehr Zeit für eine fachlich kompetente und emotional stützende Beratung zu geben. Anna Atak
Perinatale Palliativversorgung – ein Thema für
Pädiatrische Palliativversorgung?“ und „Perinatal Palliative Care bei lebenslimitierender Erkrankung des Ungeborenen – eine qualitative
Interviewstudie mit SchwangerenberaterInnen“,
11. Kongress der Deutschen Gesellschaft für
­Palliativmedizin, Leipzig, 9. September 2016
wirrtheit, manchmal das begleitende
Auftreten minimaler Kloni und eventuell das Vorhandensein eines epileptischen Nystagmus. Eine sichere Diagnose ermöglicht letztlich nur das EEG.
Weil dieses aber in der klinischen Realität nicht immer sofort verfügbar ist, plädierte Feddersen für den Mut zur Spritze: Wenn ein Therapieversuch mit z.B.
Lorazepam 2 mg zur Durchbrechung
des Status die Symptomatik abrupt beende, sei die Diagnose praktisch gesichert. Anna Atak
„Delir als Manifestation des nicht-konvulsiven
Status epilepticus“, 11. Kongress der Deutschen
Gesellschaft für Palliativmedizin, Leipzig,
8. September 2016
Schmerzmedizin 2016; 32 (6)
©© Thomas Hauss / DGK
Medizin ak tuell
Deutscher Schmerzkongress 2016
Neue Denkanstöße in der
Schmerzmedizin
Unter dem Motto „(Um) Denken erwünscht“ fand der diesjährige Deutschen Schmerzkongress vom 19. – 22.
Oktober in Mannheim statt. Im Fokus standen deshalb auch Aspekte der Schmerzmedizin, bei denen das
Ausbleiben des therapeutischen Erfolgs oder die Grenzen des Wissens ein Um- und Nachdenken erfordern.
Der Vagusnerv könnte bei Schmerzen
eine vermittelnde Rolle spielen
Das parasympathische Nervensystem leistet einen entscheidenden Beitrag
zu antiinflammatorischen Reaktionen im Körper, selbst in Regionen, die nicht
mit entsprechenden Nervenfasern versorgt sind. Hieran sind offenbar Makrophagen beteiligt.
D
er Vagusnerv versorgt zwar innere
­a fferente Fasern stimuliert, umgekehrt
Organe, jedoch nicht die Extremitäfinden sich cholinerge Rezeptoren auch
ten. Er ist zudem kein rein parasympaan Strukturen, die nicht durch parasymthischer Nerv, sondern er besteht zu
pathische Nervenfasern versorgt sind.
80 – 85 % aus sensorischen, also afferenBelege für die antiinflammatorische
ten Fasern, erklärte Professor Hans-­ Wirkung von Vagusefferenzen gibt es
Georg Schaible, Neurophysiologe von
durchaus, nur selten wurde dabei jedoch
der Universität Jena. Bei der elektrischen
auch der Einfluss auf die Nozizeption
Stimulation werden also immer auch
untersucht. So zeigte sich in einer Studie
Schmerzmedizin 2016; 32 (6) [Borovikova et al. Nature 2000;405
(6785):458–62.], dass die Vagusnerv­
stimulation im Tierversuch die systemische inflammatorische Antwort auf
­Endotoxin A schwächt. Nach einer experimentell induzierten Sepsis durch die
Injektion von bakteriellem Lipopoly­
saccharid (LPS) in den Bauch konnten
durch elektrische Reizung des Vagusnervs die LPS-induzierte Serumantwort,
die hepatische Ausschüttung von TNF
(Tumornekrosefaktor) und der Endo­
toxin-Schock reduziert werden. Bestimmte, antiinflammatorisch aktive
Makrophagen sind dabei offenbar ein
wesentliches Ziel der Stimulation, so
Schaible. Hier werden nach Stimulation
der alpha-7-Subunit des nikotinergen
Acetylcholin-Rezeptors, der stark in
19
Medizin ak tuell
Deutscher Schmerzkongress 2016
­Makrophagen exprimiert wird, durch
Acetylcholin weniger entzündungsför­
dernde Zytokine freigesetzt [Wang et al.
Nat Med. 2004;10(11):1216–21]. Tier­
experimentell konnte bereits nachgewie­
sen werden, dass sich durch Nikotin-­
Applikation die Überlebensrate bei einer
Sepsis erhöhen lässt.
Makrophagen als Bindeglied?
Obwohl die Extremitäten nicht para­
sympathisch innerviert werden, können
solche Effekte in geringerem Ausmaß
auch bei peripheren Entzündungen im
Gelenk nachgewiesen werden. Auch
­Synovitis und Knochendestruktion kön­
nen durch parasympathisch vermittelte
geringere Zytokinbildung gebremst wer­
den, was die Hypothese einer endogenen
suppressiven Aktivität von Entzündun­
gen unterstützt.
Untersuchungen am Menschen erga­
ben, so Schaible, dass der Rezeptor auch
im Synovialgewebe bei Patienten mit
Rheuma exprimiert wird. Hier vor allem
von „fibroblast-like Synoviocytes“, die
bedeutsam für die Entwicklung einer
Rheumatoiden Arthritis sind. Aller­
dings wurde der Einfluss auf Schmerzen
nie direkt untersucht. „Wir können nur
annehmen, dass dort wo weniger Ent­
zündung ist, auch weniger Schmerz ist“,
vermutete Schaible.
Seine eigenen Untersuchungen zur
Bedeutung von Makrophagen für den
Schmerz und die Nozizeption ergaben,
Berufserfahrung Pflegender beeinflusst deren
Schmerzbewertung beim Patienten
Schmerzbeurteilung ist immer auch die Konsequenz eines Schmerz-Kommunikations-Prozesses zwischen Patient und Behandler. Die Bewertung des
Schmerzes hängt offenbar von der Expertise des Behandlers ab.
P
rinzipiell steigt mit dem Ausmaß der
berichteten Schmerzen auch die
quantitative Einschätzung des Schmer­
zes durch die Behandler, sagte die Psy­
chologin Dr. Judith Kappesser von der
Universität Gießen. Eine weitere wichti­
ge Größe ist die Schmerzmimik. Hinzu
kommt jedoch die Beurteilung der vor­
handenen medizinischen Evidenz für
die Plausibilität der berichteten Schmer­
zen. Ob und inwiefern auch die Berufs­
erfahrung der Beurteiler für die
Schmerzbeurteilung eine Rolle spielt, ist
bislang noch nicht mit schlüssigen
­Daten belegt, so Kappesser.
©© Von Schonertagen / Fotolia
Mimik Indikator für Schmerzstärke
Bei der Beurteilung der Schmerzen ihrer
Patienten lassen sich Pflegende wohl
stark durch die Mimik leiten.
20
In einer Querschnittsstudie haben die
Gießener Psychologen um Kappesser
daher den Einfluss der fachlichen Exper­
tise der Pflegenden auf deren Schmerz­
beurteilung untersucht. Die Probanden,
81, zumeist weibliche Pflegekräfte – da­
von 41 Personen mit längerer Berufs­
erfahrung – sollten dazu die Schmerz­
intensität mehrerer Musterpatienten
­anhand ihrer Selbst­berichte, der medi­
zinischen Evidenz sowie der Schmerz­
mimik – anhand aufgezeichneter Filme
– einstufen. Dabei fand sich eine höhere
dass Makrophagen bei Entzündungen
im Kniegelenk in die „dorsal root“-Gan­
glien einwandern. Solche MakrophagenCluster sehe man auch bei neuropathi­
schen Störungen. Die noch zu überprüf­
tende Hypothese ist, dass dies der Ver­
mittlung parasympathischer Effekte in
entzündetes Gewebe dient. Diese VagusAktivität könnte – laut einer weiteren
Hypo­these [Tracey KJ. J Clin Invest
2007;117:289–96] – durch Akupunktur,
Biofeedback oder Sport unterstützt wer­
den, was allerdings bislang klinisch
kaum erforscht ist.
Dr. Andreas Häckel
„Das vegetative Nervensystem und Schmerz:
Mögliche Zusammenhänge und therapeutische
Optionen.“ Deutscher Schmerzkongress, Mannheim, 22.10.2016
Einstufung der Schmerzintensität durch
Berufsneulinge (Novizen) im Vergleich
zu erfahrenen Pflegekräften, erklärte
Kappesser. Der Zusammenhang zwi­
schen dem Selbstbericht und der Mimik
zeigte, dass die geschätzte Schmerzin­
tensität zwar mit der zunehmenden In­
tensität im Selbstbericht korrelierte, aber
bei neutraler Mimik der Schmerz stets
­geringer eingestuft wurde als bei wahr­
nehmbarer Schmerzmimik.
Auswirkung auf Hilfsbereitschaft
Die Intention zur Hilfsbereitschaft der
Pflegekräfte stieg mit dem Ausmaß des
Schmerzes im Selbstbericht, bei den
­Novizen allerdings deutlich stärker und
linearer als bei erfahrenen Pflegekräften.
Zugleich hatte eine ausgeprägte
Schmerzmimik einen größeren Einfluss
auf die Schmerzbeurteilung als der
Selbstbericht der Patienten. Allgemein
stuften Pflegeneulinge Schmerzen zu­
dem stärker ein als die Pflegekräfte mit
längerer Berufserfahrung. Eine bekann­
te organische Ursache der Schmerzen
beeinflusste indessen nur bei wenigen
Beurteilern die Bewertung der Schmerz­
intensität und hatte auch keinen Einfluss
auf ihre daraus resultierende Hilfs­
bereitschaft. Dr. Andreas Häckel
„Schmerz oder kein Schmerz – das ist hier die
Frage.“ Möglichkeiten und Grenzen der Erfassung von akuten und chronischen Schmerzen.
Deutscher Schmerzkongress, Mannheim,
22.10.2016
Schmerzmedizin 2016; 32 (6)
Chronische Unterbauchschmerzen der Frau –
noch immer ein Stiefkind der Schmerzmedizin
Erst in den letzten 20 Jahren wurden urogenitale Schmerzsyndrome wie
­interstitielle Cystitis und Vulvodynie als eigenständige chronische Schmerz­
syndrome in Urologie und Gynäkologie erkannt. In der Schmerz­medizin sind
sie allerdings noch selten behandelte Krankheitsbilder.
rogenitale Schmerzsyndrome wie
die Vulvodynie und die interstitielle
Cystitis (IC) sind häufig und zudem oft
mit weiteren Schmerzsyndromen ver­
gesellschaftet. Allein an der Vulvodynie
leiden in den USA geschätzt sechs Mil­
lionen Frauen, berichtete Professor
­Ursula Wesselmann, Anästhesiologin,
Psychologin und Neurologin von der
Universität Birmingham, Alabama.
Vulvodynie bezeichnet Schmerzen in
den äußeren primären Geschlechtsorga­
nen, die länger als drei Monaten ohne
identifizierbare Ursache andauern. Da­
bei können die Schmerzen am Scheiden­
eingang lokalisiert, generalisiert über
den gesamten Perineal­bereich oder als
gemischte Form auftreten. Der Anteil
weiterer, extragenitaler Schmerzen ist
besonders bei Patientinnen mit der ge­
mischten Form mit über 40 % besonders
hoch, so Wesselmann. Quantifizierbar
sind die Vulvodynie-­bedingten Schmer­
zen durch „quantitative thermal testing“
mit einer, in die Vagina eingeführten
temperierbaren Sonde, mit der sich
Schwellenwerte für Wärme- und Kälte­
schmerz ermitteln lassen. Dabei finden
sich bei Frauen mit Vulvodynie stets
niedrigere Schwellenwerte als bei Ge­
sunden, also eine Hypersensibilität.
Schmerz-Cluster sind häufig
Die IC ist charakterisiert durch unange­
nehme Empfindungen oder Schmerzen
im Bereich der Harnblase und dem
­Gefühl eines anhaltenden Harndranges
sowie Schmerzen bei der Blasenentlee­
rung, ebenfalls ohne identifizierbare
Ursache. Eine eigene Studie Wessel­
­
manns [Warren et al. J Psychosom Res
2014;77(5):363–7] bei mehr als 300 IC-­
Patientinnen ergab, dass viele der Frauen
bereits vor Beginn der IC-Symptome über
weitere Schmerzsyndrom-Cluster wie
Reizdarm, Fibromyalgie, Chronic ­Fatigue
Syndrome, Siccasyndrom, aber auch zu­
sätzlich über stattgefundene chirurgische
Eingriffe teilweise Jahre vor Beginn der
IC berichteten. Eine Analyse fand dabei
einen Zusammenhang zwischen den
­extraurethralen Schmerzen und einer er­
höhten Anzahl chirurgischer Eingriffe,
insbesondere einer Hysterektomie bei
den späteren IC-Patienten. Bei Frauen
mit vielen funktionellen somatischen
Symptomen stieg dabei die Wahrschein­
lichkeit einer Operation. Wird solchen
Patienten eine Hysterektomie empfohlen,
sollten zunächst jedoch alternative, nicht
invasive Optionen erwogen werden, emp­
fahl Wesselmann. Liegt eine „Chronic
Overlap Pain Condition – etwa die Kom­
©© ruigsantos / Fotolia
U
Schmerzen der Harnblase und das
­ n­haltende Gefühl des Harndrangs
a
­zählen auch zu chronischen Unterbauchschmerzen bei Frauen.
bination einer Dysmenorrhö mit einem
Reizdarmsyndrom – vor, so sind die
Schmerzen jeder einzelnen Manifesta­
tion, auch der extragenitalen Syndrome,
überdies stärker als bei isoliert auftreten­
den Syndromen. Allerdings lässt sich
durch erfolgreiche Behandlung eines
Schmerzsyndroms auch das Schmerz­
empfinden anderer Schmerzsyndrome
reduzieren. So senke die erfolgreiche
­hormonelle Behandlung einer Dysme­
norrhö zugleich das Schmerzniveau eines
gleichzeitig vorhandenen Reizdarm-­
Syndroms.
Dr. Andreas Häckel
„Pathophysiologie, Diagnostik und Therapie
chronischer Unterbauchschmerzen der Frau –
eine interdisziplinäre Perspektive.“
Deutscher Schmerzkongress, Mannheim,
22.10.2016
Medizin ak tuell
Deutscher Schmerzkongress 2016
Wo sitzt der Schmerz?
Moderne bildgebende Verfahren machen mit präzisen Darstellungen einzelner Hirnareale Hoffnung, dem genauen Sitz des Schmerzes im Hirn näher zu
kommen. Doch offenbar sind verschiedene Schmerzaspekte in unterschiedlichen Regionen repräsentiert.
D
©© photos.com
ie Anwendung bildgebender Verfah­
ren wie die funktionelle Magnet­
resonanztomografie (fMRT) hat in den
letzten Jahren auch in der Schmerz­
forschung stark zugenommen. Doch
Schmerz ist eine multidimensionale
Größe mit sensorisch-diskriminativen,
affektiv-emotionalen, motorischen, au­
tonomen und kognitiv/attentionalen
Komponenten, betonte die Neurologin
Professor Ulrike Bingel von der Univer­
sität Essen auf dem diesjährigen deut­
schen Schmerzkongress in Mannheim.
Auf der Suche nach einer spezifischen
„Neural Signature of Pain“ (NSP) werden
Probanden nach einer experimentellen
Stimulation auf die fokale Aktivierung
bestimmter Hirnareale hin untersucht.
Als Trick dienen dabei parametrische
Designs, bei denen mit unterschiedli­
chen Reizintensitäten getestet wird, ob
und wie ein Reiz wahrgenommen wird
und ob zugleich eine Stimulus-Intensi­
tätskodierung vorhanden ist. Doch die
vermeintliche Identifikation entspre­
chender Areale ist fehlerbehaftet, so Bin­
gel. Als Beispiel für Fehlinterpretationen
sieht die Neurologin etwa Studien, in de­
Bildgebende Verfahren können womöglich auch helfen den Ort des Schmerzes
zu lokalisieren.
22
nen experimentell erzeugte Situationen
sozialer Zurückweisung in Probanden
identische Hirnareale aktivierten wie
physische Schmerzen.
Dynamisches Netzwerk
Daraus eine „reverse Inferenz“ abzulei­
ten, also von reaktiven Hirnarealen auf
tatsächlich empfundenen Schmerz zu­
schließen, „ist nicht zulässig“, erklärte
sie. „Es gibt kein Areal im Gehirn, das
exklusiv und selektiv nur schmerzhafte
Reize verarbeitet.“ Gewisse Hinweise für
ein solches schmerzspezifisches Hirn­
areal bestehen lediglich für die hintere
Insel, die zumindest gehäuft auf
Schmerzsignale reagiert [Mazzola et al.
Brain. 2012; 135: 631–40]. Generell
scheint die individuelle Schmerzerfah­
rung jedoch in einem dynamischen
Netzwerk von Hirnarealen repräsentiert,
die auch unterschiedlich miteinander
interagieren. „Univariate klassische
Mapping-Studien bringen uns dabei
nicht weiter, zu sagen, ob jemand
Schmerz oder keinen Schmerz oder viel
oder wenig Schmerz hat“, betonte Bingel.
Ein neuer Trend in der Bildgebung
sind multivariate Ansätze mit Bezeich­
nungen wie „machine learning“, „­ pattern
recognition“ oder „brain reading“. Dabei
soll, im Gegensatz zum klassischen An­
satz – bei dem Perzeption die Resultate
der Bildgebung mit einzelnen Voxeln er­
klären soll – die Bildgebung vieler Voxel
des Gehirns das Verhalten oder die Per­
zeption des Probanden erklären. Basie­
rend auf einem Datensatz von Hirnbil­
dern, bei denen Vorhandensein und In­
tensität des Schmerzes beim Probanden
bekannt sind, wird ein Algorithmus for­
muliert um zwischen verschiedenen Be­
dingungen zu unterscheiden. Im Ideal­
fall lässt sich damit die Frage beantwor­
ten, ob und wie stark der Schmerz vor­
handen ist. Auch der Beitrag einzelner
Hirn­areale an der Beantwortung dieser
Frage lässt sich damit ermitteln. In einer
Schlüsselstudie hierzu wurde eine NSP
identifiziert, die sich offenbar zur Quan­
tifizierung von experimentell erzeugten
thermischen Schmerzen eignet [Wager
TD et al. N Engl J Med. 2013; 368: 1388–
97]. Aber schon für eine experimentelle
Selbstregulation (hoch/herunter) der
Schmerzintensität durch die Probanden
ließ sich keine Repräsentation in dieser
NSP nachweisen [Woo et al. PLoS Biol.
2015;13:e1002036].
Noch keine klinische Messung
Dennoch werden die Techniken funkti­
oneller Bildgebung, auch für die Ent­
wicklung zentral wirksamer Schmerz­
medikamente bei akuten Schmerzen,
zunehmend explorieren. Bislang weitge­
hend unerforscht sind jedoch noch chro­
nische Schmerzen, so Bingel. Das liege
auch daran, dass im Gegensatz zur sub­
akuten Schmerzphase, in der noch klas­
sische Schmerz-assoziierte Netzwerke
wie die Insel oder das mittlere Cingulum
aktiv sind, sich die zentrale Repräsenta­
tion des Schmerzes im Laufe der Chro­
nifizierung in ganz andere Areale ver­
schiebt [Hashimi et al. Brain 2013; 136:
2751–68]. Mit Masken, die eigentlich für
die Erfassung emotionaler Prozesse ent­
wickelt wurden, kann dann chronischer
Schmerz viel besser erklärt werden als
akuter Schmerz. In einer ersten Studie
mit diesem Ansatz gelang es bislang al­
lerdings lediglich, zwischen Fibro­
myalgiepatienten und gesunden Kont­
rollen zu unterscheiden. Bingels Fazit:
Bildgebende Verfahren sind zwar hilfrei­
che Surrogatmarker zur Darstellung ex­
perimenteller Schmerzen im Gehirn,
eignen sich bislang aber noch nicht für
die Diagnostik und Messung klinischer
Schmerzen, zumal es nicht nur eine uni­
verselle NPS gibt. Multivariate Ansätze
sind noch nicht praxistauglich, aber viel­
versprechend. Für die genauere Veror­
tung chronischer Schmerzen sind ver­
mutlich weitere, neue Methoden erfor­
derlich. Nicht vergessen werden sollten
dabei jedoch die enormen ethischen und
juristischen Implikationen dieser neuen
Techniken, mahnte die Neurologin.
Dr. Andreas Häckel
„Schmerz oder kein Schmerz – das ist hier die
Frage.“ Möglichkeiten und Grenzen der Erfassung von akuten und chronischen Schmerzen.
Deutscher Schmerzkongress, Mannheim,
22.10.2016
Schmerzmedizin 2016; 32 (6)
Häufig begleiten psychische
L­ eiden die Schmerzchronifizierung. Diese sind aber von somatischen Belastungs­störungen
abzugrenzen.
Differenzierte Diagnostik erforderlich
Somatische Belastungsstörungen
in der Schmerztherapie
Johannes Horlemann, Kevelaer
Chronische Schmerzen belasten Patienten nicht nur physisch, sondern häufig auch psychisch. Ob
psychische Belastungen Folge oder doch Ursache des Schmerzleidens sind, ist essenziell für die Wahl
der Schmerz­therapie. Durch somatische Belastungsstörungen bedingte Schmerzen lassen sich mit Hilfe
der DSM-5-Kriterien von organisch bedingten abgrenzen.
I
m Jahre 2013 ist die DSM-5-Klassifikation durch die American Psychiatric Association veröffentlicht worden. Die deutsche Übersetzung erschien 2015. Die bisherigen Einstufungen von Erlebensstörungen bei chronischem, also biopsychosozial ausgestaltetem Schmerz müssen nun notwendigerweise
anhand dieses durchweg neuen, evidenzbasierten Expertenkonsens überprüft werden. Die bisherigen Klassifikationen in
der Diagnostik psychischer Störungen wurden erheblich verSchmerzmedizin 2016; 32 (6) ändert. Daher besteht Bedarf, eine Orientierung aus schmerz­
medizinischer Sicht zu geben, diese zu aktualisieren und damit
wiederherzustellen.
Bisherige tiefenpsychologische und entwicklungsgeschichtliche Konzepte, die hinter den Begriffen „Somatisierung“ und
„somatoforme Schmerzstörung“ standen, sind nun in einem
Kapitel „Somatische Belastungsstörung und verwandte Störungen“ vereinigt, das folgende Entitäten umfasst [1]:
23
©© Jochen Tack / AOK-Medienservice
Zertifizierte Fortbildung
Zertifizierte Fortbildung
Somatische Belastungsstörungen
1.Die Somatische Belastungsstörung
2.Die Krankheitsangststörung
3.Die Konversionsstörung (Störung mit funktionellen neurologischen Symptomen)
4.Psychologische Faktoren, die eine körperliche Krankheit
­beeinflussen
5.Die vorgetäuschte Störung
6.Andere näher bezeichnete somatische Belastungsstörungen
und verwandte Störungen
7.Die nicht näher bezeichnete somatische Belastungsstörung
und verwandte Störungen
Alle diese Störungen haben gemein, dass somatische Symptome, die mit ausgeprägtem Leiden und Beeinträchtigungen einhergehen, im Vordergrund stehen. Sie repräsentieren Erkrankungen, die eher in primärärztlichen und schmerzmedizinischen Einrichtungen als unter fachpsychiatrischen Bedingungen vorkommen.
Die bedeutsamste Diagnose im schmerzmedizinischen Setting ist sicherlich die „Somatische Belastungsstörung“, weshalb
auf diese Krankheitsentität näher einzugehen ist. Sie kommt
dem Begriff der „Somatoformen Störung“ im DSM IV am
nächsten. Viele Symptome, insbesondere durch Konversion,
werden im DSM 5 als medizinisch nicht erklärbar und nicht
reliabel eingestuft. Nunmehr wird eine eindeutig feststellbare
körperliche Symptomatik gefordert, auf die der Patient nachvollziehbar mit abnormen Gedanken, Gefühlen und Verhaltensweisen reagiert.
Bisherige Vorgehensweisen nicht falsch
Die Wahrnehmung und Evaluierung von Störungen des Erlebens sind Teil jeder schmerzmedizinischen Begegnung mit dem
Patienten. Insbesondere solche Schmerzen, die als chronischer
Schmerz ihre Schutzfunktion verloren haben und in der Regel
nicht direkt oder monokausal nachvollziehbar sind, werden
durch ein biopsychosoziales Wechselspiel dargestellt (nach
ICD10: F45.41 [2]). Besonders Patienten, die schwer lokalisierbare Schmerzen oder solche mit ständig wechselnder Lokalisierung präsentieren und darüber hinaus Schmerzstärken in
wenig nachvollziehbarem Ausmaß angeben, lassen an funktionelle Beeinträchtigungen oder psychiatrische Störungen denken. Es ist belegt, dass auch nicht organische Schmerzbeteiligungen alle Mechanismen der zentralen und peripheren Chronifizierung durchlaufen. Neuere physiologische Befunde legen
nahe, dass die Vorstellung von Schmerz und der tatsächliche,
akute, repetitive oder chronische Schmerz in zum Teil identischen kortikalen Strukturen bearbeitet werden. Der „Vorstellungsschmerz“ des Patienten wird zentral hirnplastisch wirksam, auch wenn er keinen eindeutigen oder eindeutig peripheren läsionellen ­Bezug hat.
Wir sind es gewohnt, Strukturen des Erlebens und Verarbeitens in einem triadischen psychiatrischen System einzuordnen:
I. erlebnisreaktiv
II. neurotisch reaktualisiert
III. psychotisch, inklusive Persönlichkeitsstörungen
Unter letzteren sind insbesondere histrionische und narzistische Persönlichkeitsstörungen für die Schmerzchronifizierung bedeutsam.
24
Während erlebnisreaktive Störungen üblicherweise als bewusstseinsnahe Verarbeitungsstörungen vorkommen, für die
sowohl dem Arzt als auch dem Patienten eine Kausalität relativ
leicht ableitbar ist, werden neurotische Störungen als Neuauftreten früherer, nicht gelöster Konflikte in verändertem Lebenszusammenhang, hier mit chronischem Schmerz, verstanden.
Neurotische Muster sind bei Schmerzchronifizierungen erwartbar deutlich häufiger als erlebnisreaktive. Allerdings nehmen
posttraumatische Belastungsstörungen im Rahmen von Chronifizierungsprozessen eine besondere Stellung ein. Diese werden im DSM 5 auch in einem eigenen Kapitel gewürdigt.
Diagnostik
Im praktischen schmerzmedizinischen Alltag kommt der
­sequenziellen Diagnostik der Erlebensstörungen eine besondere Bedeutung zu. Dabei stellt sich die Frage, ob:
1. psychische Störungen in der Folge einer Schmerzchronifizierung auftreten,
2. psychische Störungen bereits vorbestanden, bevor ein chronisches Schmerzsyndrom entstand (ggf. gleichzeitiger Beginn) oder
3. es eine Komorbidität zwischen psychischen Störungen und
chronifiziertem Schmerz gibt, mit allen denkbaren Interaktionen und gegenseitiger Triggerung.
Von besonderem therapeutischem Interesse ist die Frage, ob
eine krankheitswertige psychische Störung bereits vor der
Schmerzchronifizierung bestand, weil die Schmerzsymptomatik damit eventuell als Ausgestaltungsmittel der zugrundeliegenden psychischen Erkrankung verstanden werden könnte.
Diese Konstellation ist auch bei vormals als endogen bezeichneten Depressionen und bei schwergradigen Depressionen
möglich. In diesem Fall sind eher eine Lithium-Therapie, Anti­
depressiva und psychiatrisch-psychologische Interventionen
angezeigt als ein Analgetikum oder sogar eine multimodale
Schmerztherapie. Die Mehrzahl der Patienten wird jedoch im
Sinne einer „Zermürbungsdepression“ psychische Begleitsymp­
tomatik infolge und im Rahmen der Schmerzchronifizierung
entwickeln. Seltener ist das gleichzeitige Auftreten von Schmerz
und psychischer Komorbidität. Das Vorhandensein von krankheitswertiger Angst oder Depression im Schmerzgeschehen
führt grundsätzlich zu der therapeutischen Fragestellung, ob
ein Patient auch im Rahmen der Schmerzbewältigung von
Anti­depressiva oder Anxiolytika profitieren könnte. Unter den
Antidepressiva werden solche mit noradrenerger Wiederaufnahmehemmung für Schmerzpatienten bevorzugt. Ein besonderes Augenmerk liegt auf der Möglichkeit von Suizidalität in
der Einwaschphase, bei Dosisumstellungen und in der Auswaschphase von Antidepressiva bei Patienten mit chronischem
Schmerz.
Differenzialdiagnostische Überlegungen
Es ist auffällig, dass degenerativ erklärbare Schmerzerkrankungen und organische Grundlagen von chronischen Schmerzen
nicht mit dem Ausmaß der Beschwerdepräsentation von Patienten korrelieren. Der Hauptanteil der Patienten mit chronischem Rückenschmerz liegt im Alter zwischen 40 und 60 Jahren, während sehr alte Menschen häufig trotz weitaus fortgeSchmerzmedizin 2016; 32 (6)
schrittener Degeneration weniger über Schmerzen klagen als
Jüngere. Verarbeitungsstil und Persönlichkeit, antizipatorische
Angst, katastophisierende Verhaltensweisen und dysphorische
Veränderungen können für Menschen in den mittleren Lebensdekaden in der Entwicklung der Schmerzchronifizierung
­bestimmender sein als der läsionelle Ansatz. Es existieren zahlreiche Hinweise, dass Prädiktoren der Chronifizierung vorrangig psychisch und nicht somatisch-läsionell sind. Im Einzelfall
müssen komplexe Bedingungsgefüge analysiert werden, da
kaum monokausale Schädigungsfolgen vorliegen dürften. Diese Analyse stellt die strukturierte schmerzmedizinische Eingangsdiagnostik umfassend dar. Die Unterscheidung von organisch erklärbaren gegenüber nicht organisch ableitbaren
Schmerzen ist elementar für das therapeutische Prozedere und
die Prognose der Schmerzen (Tab. 1).
Somatisierungsstörungen beziehen sich auf einen 2-JahresZeitraum, in dem psychosomatische Symptome dargestellt werden. Abzugrenzen ist die somatoforme Schmerzstörung, die als
eine mindestens sechs Monate bestehende, organisch nicht erklärbare und nicht in mitverursachender Beziehung zu einer
somatischen Läsion stehende Störung verstanden wird (Tab. 2).
Nach Egle et al. wird vornehmlich eine spezifische biografische
Vulnerabilität, insbesondere durch sexuellen Missbrauch in der
Anamnese dieser Schmerzpatienten festgestellt [3]. Beiden
­Bedingungen, sowohl der Somatisierung als auch der somatoformen Schmerzstörung, ist das vermehrte Nachfragen von Gesundheitsleitungen gemeinsam.
Neue Diagnose-Entität
Die Anwendung diagnostischer Konzepte der Somatisierung
und der somatoformen Schmerzstörung ist für Ärzte ohne psy-
chiatrische Fachkenntnisse schwierig, die Fachtermini sind
missverständlich. Der DSM 5 hat deshalb die Zahl der Störungsdiagnosen und die Subtypen deutlich reduziert. Nachfolgend werden die diagnostischen Kriterien der „Somatischen
Belastungsstörung“ (DSM 5) aufgeführt:
A.Eines oder mehrere somatische Symptome, die belastend
sind oder zu erheblichen Einschränkungen in der alltäglichen Lebensführung führen.
B.Exzessive Gedanken, Gefühle oder Verhaltensweisen bezüglich der somatischen Symptome oder damit einhergehender
Gesundheitssorgen, die sich in mindestens einem der folgenden Merkmale ausdrücken:
—Unangemessene und andauernde Gedanken bezüglich der
Ernsthaftigkeit der vorliegenden Symptome.
—Anhaltende stark ausgeprägte Ängste in Bezug auf die
­Gesundheit oder die Symptome.
—Exzessiver Aufwand an Zeit und Energie, die für die Symptome oder Gesundheitssorgen aufgebracht werden.
C.Obwohl keines der einzelnen somatischen Symptome durchgängig vorhanden sein muss, ist der Zustand der Symptombelastung persistierend (typischerweise länger als sechs Monate).
Zu bestimmen ist außerdem, ob der Schmerz überwiegend ist
(früher: „Schmerzstörung“). Diese Spezifikation ist für Personen bestimmt, bei denen die hauptsächlichen somatischen
Symp­tome Schmerzen sind. Oder ob ein andauernder Schmerz
vorliegt: Ein chronischer Verlauf ist gekennzeichnet durch
schwergradige Symptome, deutliche Beeinträchtigungen und
eine lange Dauer von mehr als sechs Monaten.
Auch der aktuelle Schweregrad der Schmerzen ist zu bestimmen:
Tab. 1: Differenzialdiagnostische Einstufung organischer gegenüber nicht organischer Schmerzen
Organisch
Nicht organisch
Eindeutig umschrieben, oft dermatombezogen
Unklare regionale Abgrenzung, eventuell ohne anatomischen Bezug
Angemessene (sensorische) Schmerzschilderung
Inadäquate Schilderungen, emotional betont
Belastungsabhängigkeit, oft tagesbetont
Dauerhafter Schmerz („continous pain“), oft monoton und gleich intensiv,
ohne Belastungsabhängigkeit
Lokal konkrete Beschreibungen, Ansprechen auf lokalanästhesiologische Verfahren (Blockaden)
Vage Umschreibungen, wechselnde Orte
Eher Abendbetonung der Schmerzen („Gelenkaufbrauch“), Anlaufschmerz
Kein fester Tagesrhythmus, situativ abhängiger Schmerz („Stress“)
Angemessenes Ansprechen auf Pharmaka
Kein adäquates Ansprechen auf Pharmaka (Dosis-Wirkungs-Beziehung)
Betonung der organischen Begleiterscheinungen/Grundlagen von Schmerz
Deutliche Gestaltung der mitmenschlichen Beziehungen, insbesondere:
­Arbeitsplatz und Familie, Belastung der Paarbeziehung durch Schmerz
Sprache: einfach, nüchtern, klar, konkret
Sprache: emotional bis bildhaft
Affekte des Patienten: ruhig, aufmerksam
Affekte des Patienten: Parathymie, Alexithymie, emotionale Betonung
Affekte des Arztes: empathische Anteilnahme, supportives Verhalten
Affekte des Arztes: negative Gegenübertragung beim Arzt (z.B. Ärger, Wut,
Ungeduld)
Patient eher offen für Psychotherapie
Eher Ablehnung von Psychotherapie
Angemessenheit der Beschwerden, Schilderung im Verhältnis zur Ursache
Katastrophisierung, Doctorhopping
Schmerzmedizin 2016; 32 (6) 25
Zertifizierte Fortbildung
Somatische Belastungsstörungen
—Leicht: Nur eines der unter Kriterium B bezeichneten Sym­
ptome trifft zu.
—Mittel: Zwei oder mehr der unter Kriterium B bezeichneten
Symptome treffen zu.
—Schwer: Zwei oder mehr der unter Kriterium B bezeichneten
Symptome treffen zu; zusätzlich bestehen multiple somati­
sche Beschwerden oder ein sehr schwer ausgeprägtes soma­
tisches Symptom.
Erheblicher Leidensdruck typisch
Der Begriff „Somatische Belastungsstörung“ bildet wirklich­
keitsnah die meisten Patienten mit chronischen Schmerzsyn­
dromen ab. Im DSM 5 wird ausgeführt, dass somatische Belas­
tungsstörungen meist solche Patienten treffen, die aktuell unter
multiplen Symptomen leiden, welche stark belastend sind und
zu wesentlichen Störungen in der allgemeinen Lebensführung
beitragen (führend: Kriterium A). Dies tritt häufig in Kombina­
tion mit einem weiteren, schwergradigen Symptom – zumeist
Schmerz – auf. Die Symptome können spezifisch sein wie bei
­einem lokalisierten Schmerz oder sich relativ unspezifisch äu­
ßern, etwa durch Erschöpfung. Manchmal stellen die Symp­tome
normale körperliche Empfindungen oder Aspekte von Unwohl­
sein dar, die üblicherweise keine Hinweise auf eine ernsthafte
Erkrankung sind. Medizinisch unerklärte somatische Symp­
tome reichen alleine allerdings nicht aus, um diese Diagnose zu
stellen. Das Leiden der Person ist authentisch, unabhängig da­
von, was medizinisch erklärt werden kann oder nicht. Die ein­
zelnen Symptome müssen nicht, können aber mit anderen kör­
perlichen Krankheitsfaktoren in Verbindung stehen. Personen
mit einer somatischen Belastungsstörung tendieren zu sehr
stark ausgeprägten Krankheitssorgen (Kriterium B). Sie bewer­
ten ihre körperlichen Symptome als übermäßig bedrohlich,
­gesundheitsschädlich oder störend und denken häufig das
Schlimmste über ihren Gesundheitszustand. Die Betroffenen
erleben typischerweise einen Leidensdruck, der hauptsächlich
auf somatische Symptome und deren Bedeutung ausgerichtet
ist. Oftmals liegt eine ausgeprägte Inanspruchnahme medizini­
scher Leistungen vor, welche jedoch nur selten die Sorgen der
Betroffenen lindert.
Die Prävalenz der Diagnose „Somatische Belastungsstörung“
ist unbekannt. Sie ist vermutlich höher als die Prävalenz der
­restriktiveren Diagnose der Somatisierungsstörung des DSM
IV (< 1 %) und niedriger als die Prävalenz der undifferenzier­
ten somatoformen Störungen (etwa 19 %). Die Prävalenz der
somatischen Belastungsstörung in der Erwachsenenbevölke­
rung liegt bei 5 – 7 %. Frauen neigen im Vergleich zu Männern
dazu, mehr über körperliche Symptome zu berichten, weshalb
die Prävalenz der somatischen Belastungsstörung bei Frauen
wahrscheinlich höher ist als bei Männern. Verlässliche Daten
fehlen jedoch noch. Bei älteren Menschen wird das Kriterium
B ausschlaggebend sein, da häufig somatische Symptome und
gleichzeitig bestehende körperliche Erkrankungen vorkom­
men. Die somatische Belastungsstörung hat die Tendenz, bei
älteren Menschen unterdiagnostiziert zu werden. Somatische
Belastungsstörungen treffen häufiger Personen mit niedrige­
rem Bildungsstand und niedrigem sozioökonomischen Status
sowie Menschen nach stressreichen Lebensereignissen.
26
Tab. 2: Hinweise auf eine somatoforme Schmerzstörung
Analgetika sprechen nicht angemessen auf den Schmerz an.
Bei dem Patienten lässt sich eine typische „broken home“-Situation
­nach­weisen.
Es fällt eine affektiv inadäquate Beschwerdeschilderung auf (Parathymie).
Es ist möglich, dass die Patienten lächelnd und sich frei bewegend die
Sprechstunde aufsuchen, aber höchste Schmerzstärken angeben.
Die Patienten sind kaum für psychotherapeutische Verfahren zugänglich,
sie betonen die Organogenese ihrer Beschwerden und suchen nach
­Begründungen für immer neue diagnostische und Therapiemaßnahmen
inklusive Medikamenten.
Im Endstadium tritt eine Panalgesie auf: Ausbreitung der Schmerzen auf
den ganzen Körper ohne anatomisch-orthopädischen Bezug.
Die Beschwerdeschilderung ist dramatisiert, aber monoton und monothematisch im Gegensatz zum bunten Bild der neurotischen Somatisierung.
Das Verhalten der Patienten ist ausgeprägt dependent. Eigenaktivität und
Selbstverantwortung in der Schmerzbewältigung sind den Patienten weitgehend fremd. Affektiv besteht eine Alexithymie. Der Patient hat unrealistische Ansprüche an seine Gesundheit, was häufiger zu einem
Substanzabusus und zu inadäquatem Gesundheitsverhalten beiträgt.
Fazit für die Praxis
Störungen des Erlebens mit Angst und Depression sind Be­
standteil jeder Schmerzchronifizierung. Eine Einordnung in
strukturelle Zusammenhänge der Biografie und Persönlichkeit
des Patienten ist unabdingbar für eine gelingende schmerz­
medizinische Intervention. Die Unterscheidung zwischen
­organisch begründbaren und nicht organisch begründbaren
Schmerzen ist dabei ausschlaggebend für die Therapie.
Literatur (Auswahl):
1. American Psychiatric Association. Diagnostisches und Statistisches
­Manual Psychischer Störungen – DSM 5. 1. Aufl. Hogrefe Verlag; 2015
2. http://www.icd-code.de/icd/code/F45.41.html
3. Egle U, Hoffmann S, Lehmann K, Nix W. Handbuch Chronischer
Schmerz. 1. Aufl. Schattauer Verlag; 2003
Weitere Literatur beim Verfasser
Dr. med. Johannes Horlemann
Facharzt für Allgemeinmedizin, spezielle Schmerztherapie
Grünstraße 25, 47625 Kevelaer
Leiter des Regionalen Schmerzzentrums DGS Kevelaer
Interessenkonflikt
Der Autor erklärt, dass er sich bei der Erstellung des Beitrages von
­keinen wirtschaftlichen Interessen leiten ließ und dass keine
­potenziellen Interessenkonflikte vorliegen. Der Verlag erklärt, dass die
inhaltliche Qualität des Beitrags von zwei unabhängigen Gutachtern
geprüft wurde. Werbung in dieser Zeitschriftenausgabe hat keinen
­Bezug zur CME-Fortbildung. Der Verlag garantiert, dass die CME-Fortbildung sowie die CME-Fragen frei sind von werblichen Aussagen und
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Schmerzmedizin 2016; 32 (6)
CME .SpringerMedizin.de
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• a ls Mitglied der DGS e.V., der DAGST e.V. und dem Berufsverband
der Palliativmediziner in Westfalen-Lippe e.V.
??Mit welchem Kriterium lassen sich
­organische von nicht organisch er­
klärbaren Schmerzen nicht abgren­
zen?
◯◯ Läsioneller Bezug
◯◯ Belastungsabhängigkeit
◯◯ Tagesrhythmik
◯◯ Angaben des Patienten
◯◯ Dermatombezug
??Welche Persönlichkeitsstörung
greift in die Ausgestaltung eines
­chronischen Schmerzsyndroms ein?
◯◯ Histrionische Persönlichkeitsstörung
◯◯ Anankastische Persönlichkeitsstörung
◯◯ Dissoziale Persönlichkeitsstörung
◯◯ Borderlinesyndrom
◯◯ Schizoide Persönlichkeit
??Welches der Kriterien gehört nicht
zu einer somatischen Belastungs­
störung?
◯◯ Erhebliche Einschränkungen der
­Alltagsgestaltung
◯◯ Übermäßige Gesundheitssorgen
◯◯ Häufige Arztbesuche
◯◯ Akuter Beginn
◯◯ Dauerhaftigkeit der Symptome über
Jahre
??Welche Aussage trifft zu? Die Prä­
valenz somatischer Belastungsstö­
rungen liegt in der Erwachsenenbe­
völkerung…
◯◯ bei 5 – 7 %.
◯◯ bei 40 %.
Dieser CME-Kurs wurde von der Bayerischen Landesärztekammer mit zwei
Punkten in der Kategorie I zur zertifizierten Fortbildung freigegeben und
ist damit auch für andere Ärztekammern anerkennungsfähig.
Schmerzmedizin 2016; 32 (6) Dieser CME-Kurs ist zwölf Monate auf
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Option „Kurse nach Zeitschriften“ zum
Ziel navigieren.
DOI: 10.1007/s00940-016-0179-7
Somatische Belastungsstörungen in der Schmerztherapie
◯◯ bei etwa 1 %.
◯◯ bei Männern höher als bei Frauen.
◯◯ in der Jugend höher als im Alter.
◯◯ sind besonders im 40. – 60. Lebensjahr
??Welche Störung ist nicht mit der
­somatischen Belastungsstörung
(DSM 5) verwandt?
◯◯ Krankheitsangststörung
◯◯ Konversionsstörung
◯◯ die vorgetäuschte Störung
◯◯ psychologische Faktoren, die eine
Krankheit beeinflussen
◯◯ Borderlinesyndrom
◯◯ sind meist neuropathisch verursacht.
??Welche Antwort zur Sequenz von
­Erlebensstörungen ist richtig?
◯◯ Somatische Symptome gehen in der
Regel depressiven Entwicklungen im
chronischen Schmerz voraus.
◯◯ Psychische Erkrankungen gehen in der
Regel der Schmerzchronifizierung
­voraus.
◯◯ Gleichzeitiges Auftreten von psychi­
schen und organisch erklärbaren
­Erkrankungen ist sehr häufig.
◯◯ Meist entwickelt sich eine Komorbi­
dität ohne Interferenzen.
◯◯ Schlafstörungen treten häufig als
­Vorläufer der Schmerzchronifizierung
auf.
??Was ist nicht charakteristisch für
­organisch erklärbare Schmerzen?
◯◯ meist nachtbetont
◯◯ belastungsunabhängig
◯◯ in der Bechwerdebeschreibung
­vorrangig sensorisch
◯◯ besitzen Dermatombezug
◯◯ oft Ursache der Erschöpfungs­
depression
??Welche Aussage trifft zu? Rücken­
schmerzen…
◯◯ sind durchgehend degenerativ
­erklärbar.
◯◯ nehmen im hohen Alter stets zu.
Für eine erfolgreiche Teilnahme müssen 70 % der
Fragen richtig beantwortet werden. Pro Frage ist
jeweils nur eine Antwortmöglichkeit zutreffend.
Bitte beachten Sie, dass Fragen wie auch Antwortoptionen online abweichend vom Heft in
zufälliger Reihenfolge ausgespielt werden.
maßgeblich psychisch ausgestaltet.
◯◯ sollten stets mit Antidepressiva behan­
delt werden.
??Zu den Kriterien einer somatoformen
Schmerzstörung gehört nicht:
◯◯ Alexithymie
◯◯ Parathymie
◯◯ „Broken home“-Anamnese
◯◯ Halluzinationen
◯◯ Panalgesie
??Welche Aussage ist richtig? Vorrangig
psychisch erklärbare Schmerzen...
◯◯ sind in der Beschreibung bagatellisie­
rend.
◯◯ wechseln häufig in der Lokalisierung.
◯◯ sind meist brennend.
◯◯ betreffen meist nur die untere Körper­
hälfte.
◯◯ werden in der Regel vom Patienten
vorgetäuscht.
Bei inhaltlichen Fragen erhalten Sie beim Kurs auf
CME.SpringerMedizin.de tutorielle Unterstützung. Bei technischen Problemen erreichen Sie
unseren Kundenservice kostenfrei unter der
Nummer (0800) 77 80 777 oder per Mail unter
[email protected].
27
Fortbildung
Psychologische Schmerztherapie
Akzeptanz und Achtsamkeit als Teil der
Behandlung chronischer Schmerzen
Christiane Braun, Linda Mehner, Andreas Böger, Kassel
Unsere mentale Haltung beeinflusst häufig unser Handeln und damit
auch unser Befinden. Da ist es nicht verwunderlich, dass auch in der
Therapie von chronischen Schmerzen die Einstellung des Patienten zu
seinen Schmerzen eine Rolle spielt.
E
doch, dass es viel notwendiger ist, dem
Patienten möglichst früh zu vermitteln,
trotz vorhandener Schmerzen wieder
aktiv zu werden.
Multimodale Schmerztherapie
Die multimodale Schmerztherapie
(MMS) gilt als Goldstandard bei der
­Behandlung chronischer Schmerzen und
betont das Zurückgewinnen der Kontrolle, die Aktivierung und die Selbstwirksamkeit der Patienten im Umgang
mit ihren chronischen Schmerzen [3].
Ein integraler Bestandteil der MMS ist
die Psychotherapie. Diese fußt vorwiegend auf kognitiv-verhaltenstherapeutischen Konzepten. Auf der Basis der Entwicklung von Selbstwirksamkeit und
Selbsteffizienz erweist sich die Integra­
tion individueller Schmerzbewältigungs-
©© Robert Kneschke / fotolia.com
twa 17 % aller Deutschen leiden laut
der Mitteilungen der Deutschen
Gesellschaft für Schmerzmedizin
e.V. und der deutschen Schmerzliga unter chronischem Schmerz [1]. Davon
sind circa vier bis fünf Millionen Menschen stark in ihrer alltäglichen Lebensführung eingeschränkt [2]. Hieraus lässt
sich eine deutliche Behandlungsnotwendigkeit ableiten, da sich die Erkrankung
nicht nur auf das Individuum an sich,
sondern auch auf sein psycho­soziales
Umfeld auswirkt. Häufig kommen Patienten mit der Idee zu uns in die Klinik,
dass erst die subjektive Schmerzempfindung herunterreguliert werden müsste,
um die bisher eingeschränkte Funktionalität im Alltag wieder voll aufnehmen
zu können. Unsere bisherigen multimodalen Therapieerfahrungen zeigen je-
strategien als ausgesprochen wertvoll.
Die „Acceptance- and CommitmentTherapie“ (ACT) stellt in diesem Zusammenhang eine interessante Erweiterung
dar. So zeigt etwa die Auseinander­
setzung mit dem inneren „Schmerzmonster“ [4] nicht nur empirisch eine
hohe Wirksamkeit [5], sondern beweist
sich auch im stationären, therapeutischen Kontext. Durch das eindrückliche
Bild eines „Monsters, das sich in den
Weg stellt“ und der damit verbundenen
Herausforderung, Lösungswege im Umgang hiermit zu entwickeln, kann sich
die metakognitive Verarbeitungsebene
durch erlebensnahe und emotionale Prozesse erweitern. Dabei geht es nicht darum, den Kampf mit dem Monster aufzunehmen, sondern zu lernen eine akzeptierende und mitfühlende Haltung
einzunehmen. Geuter regt in seiner
Buchrezension „Wirkfaktoren der Achtsamkeit“ ebenfalls dazu an, sich die Offenheit im therapeutischen Kontext zu
bewahren und mit den Patienten gemeinsam einen passenden, individuellen
Weg zu erarbeiten [6].
28
Schmerzmedizin 2016; 32 (6)
Die ACT in der Schmerztherapie
Nach den Konzepten der ACT verstärkt
sich das Leiden, wenn Menschen mit ihrem eigenen Erleben kämpfen und versuchen unangenehme Empfindungen zu
unterdrücken. Ziel der ACT-basierten
Schmerztherapie ist es, nicht gegen, sondern mit dem Schmerz leben zu lernen.
Den unproduktiven Kampf mit dem
­eigenem Erleben zu beenden und die vorhandene Energie stattdessen auf das Ausleben der eigenen Lebenswerte und Ziele
zu lenken. Die aus der „­ dritten Welle der
Verhaltenstherapie“ e­ ntstandene Psychotherapiemethode betrachtet den Schmerz
dabei differenzierter und unterscheidet
den „clean pain“, den „Schmerz an sich“
also die sensorische Wahrnehmung von
dem „dirty pain“, der individuellen Reaktionen auf den erlebten Schmerz. Dieser „dirty pain“ können Gedanken wie
„Bald sitze ich im Rollstuhl“ oder Gefühle der Hilflosigkeit sein, auch sozialer
Rückzug oder gesteigerte Anspannung
gehören zum „schlechten Schmerz“ [4].
Derartige Unterscheidungen werden
ebenfalls in der dialektisch-behavioralen
Therapie aufgegriffen, wobei hier Leid als
„Nichtakzeptanz des Schmerzes“ definiert
wird [7]. Auch im Zusammenhang mit
emotionalem Schmerz wie Liebeskummer und „Herzschmerz“, den man bei
Tod und Verlust nahestehender geliebter
Menschen empfindet, wissen wir, dass es
­natürlich und wichtig ist, diese Schmerzen anzunehmen, um das eigene Leben
fortführen zu können [8]. Eine Metaanalyse von Hayes unterstreicht, dass Erlebensvermeidung unerwünschter innerer
Prozesse sogar zur Intensivierung und
Verstärkung emotionaler Belastung führt
[9]. Inhaltliche Überschneidungen gibt es
auch zum Programm der „Mindfulness
based Stress Reduction“ [10].
Wer profitiert von der ACT?
Eine 46-jährige Patientin leidet bereits
über Jahrzehnte an einem Ganzkörperschmerz. Sie habe bereits verschiedenste
spezialisierte Fachrichtungen, vom Orthopäden bis zum Osteopathen, konsultiert, diverse Meinungen gehört und unterschiedlichste Verfahren für sich ausprobiert. Eine Kontrolle über den
Schmerz habe sie nicht erfahren können.
Dieser nehme jedoch kontinuierlich
mehr Lebensraum ein und fördere ihren
Schmerzmedizin 2016; 32 (6) Gegenwärtigkeit/
im Hier und Jetzt präsent sein
Akzeptieren
und innerlich bereit sein
Werte
Psychische
Flexibilität
Kognitive Defusion
Commitment/
engagiertes,
entschlossenes Handeln
Selbst als Kontext/
Beobachterselbst
Abb. 1: Hexaflexdarstellung nach [4]
sozialen Rückzug. Die hier beschriebene
aufgewendete Energie im Kampf gegen
den Schmerz soll, im Rahmen des ACTKonzeptes, gespart und zukünftig für
anderweitige, lebenswertere Ziele eingesetzt werden. Die Patientin wird dazu angeregt, sich wieder über einige Wünsche
und Werteziele klar zu werden und sich
für diese – trotz Schmerzen – einzusetzen. Hierfür bietet die ACT unterschiedliche Metaphern wie die des Busfahrers
oder des Wertekompass, um einen individuellen Zugang zu ermöglichen [11].
Die Patientin fühle sich „festgefahren“ in
ihrem Leben, habe über Jahre Strategien
aufgebaut, den Schmerz zu vermeiden
und ihn so ungewollt ins Zentrum ihres
Lebens gestellt. Die ACT gebraucht das
Bild „wie das Leid Kreise zieht“, welches
Konsequenzen und zunehmende Einschränkungen aufzeigt [11]. Eine wertschätzende Annahme ihrer Bemühungen und die daran anknüpfende Frage
„Hilft es denn?“ sollen ihre Bereitschaft
zur Veränderung fördern. Die ACT
nennt diesen Prozess der Erarbeitung eines individuellen Störungsmodells „kreative Hoffnungslosigkeit“ [12].
Zentrale Begriffe der ACT
Zwei Begriffe haben bei der ACT eine besondere Relevanz: Akzeptanz und Achtsamkeit. Unter dem Begriff der Akzeptanz wird das „Annehmen der augenblicklichen Situation ohne Gegen­
regulation und Bewertung“ verstanden
[4]. Hier ist die Abgrenzung zum Begriff
der Resignation, dem Aufgeben, ein erster Schritt in der psychotherapeutischen
Arbeit. Achtsamkeit definiert sich als
„absichtsvolle Art der Aufmerksamkeit,
die auf den Moment gerichtet ist, ohne
Bewertung“ [13]. Des Weiteren steht der
Begriff „Psychische Flexibilität“ im Fokus der ACT. Diese umfasst sechs störungsrelevante Prozesse, die im therapeutischen Prozess aufgegriffen und gefördert werden. Sie können sowohl störungsaufrechterhaltende als auch chronifizierende Folgen haben (Abb. 1).
Akzeptieren und innerlich bereit sein
beschreibt das Gegenteil von Erlebensvermeidung. Aus der Haltung „vor sich
selbst wegzulaufen/den Kopf in den
Sand zu stecken“ wird ein Zulassen,
ohne Vorgabe einer bestimmten Handlungsanweisung. Innere Bereitschaft
könnte im Fall der Patientin bspielsweise bedeuten, „bei ihren Schmerzen zu
sitzen wie bei einem kranken Freund“
oder „ihre Schmerzen zu betrachten wie
ein faszinierendes Gemälde“. Unter „kognitiver Defusion“ versteht die ACT das
Auflösen der Verschmelzung mit den
eigenen Gedanken (Oberplänen und
­
Lernerfahrungen), die wiederum Verhaltensweisen formen. Mit seinen Gedanken verschmolzen zu sein bedeutet,
Gedanken wie „Ich bin nicht gut genug!“,
„Ich kann das nicht aushalten!“ oder „Ich
habe es nicht anders verdient!“ wortgetreu als wahrhaftig anzunehmen. Nicht
die Verifikation oder Falsifizierung der
Kognitionen steht im Behandlungsfokus,
29
Fortbildung
sondern die Frage nach dem langfristigen individuellen Nutzen. Auf der Verhaltensebene bedeutet dies beispielsweise trotz unangenehmer Gedanken werteorientiert zu handeln. Ein starres
Selbstkonzept hemmt Veränderungen.
Sich Selbst als „Kontext oder Beobachterselbst“ zu sehen, bedeutet einen Perspektivenwechsel bezüglich innerer Konzepte über sich selbst und die Welt anzustreben. Erfahrungen werden dann
als vorübergehender Teil von uns eingestuft und nicht als generelle Festlegung
wie „Ich war schon immer unsportlich“
oder „Ich konnte es anderen nie Recht
machen“. Genuine Empathie und Mitgefühl, die nicht auf ein Konzept des eigenen Selbst fixiert sind, werden hierbei
geschult und gefördert. Ein „ja, aber…“
gilt als das Gegenteil von Commitment
oder engagiertem, entschlossenem Handeln. Keine Entscheidung zu treffen, ist
eine getroffene Entscheidung zur Passivität und zum Rückzug. Es gilt also, eine
Wahl zu treffen und konsequent Schritte
in die entsprechende Richtung zu gehen,
immer mit der Bereitschaft, den Kurs jederzeit korrigieren zu können. Anhand
von intrinsisch motivierten und gegenwartsorientierten Werten werden konkrete Ziele abgeleitet, wobei sich im Alltag wiederholt die Frage danach stellt,
ob uns „dieses spezielle Verhalten den
individuellen Werten näher bringt oder
weiter davon entfernt?“ Werte wie „Ich
möchte zufriedener leben“ geben unserem Leben eine Richtung, sie sind unkonkret und unvollendet, Ziele hingegen sind konkrete und erreichbare Zwischenstationen: „Ich möchte mir jeden
Morgen 15 Minuten Zeit für Eigenübungen nehmen.“ Unter „Gegenwärtigkeit“
oder „im Hier und Jetzt präsent zu sein“
versteht die ACT ein „Innehalten zwischen Reiz und Reaktion“, um automatisch ablaufende und erlernte Reaktionsmuster, den „Autopilot“ zu verlangsamen, im Hinblick auf die eigenen Werte
zu überprüfen und gegebenenfalls zu
verändern – also zielorientiert umzuformulieren [4, 14].
Empirische Befunde
Die Datenlage zur inkrementellen Validität bei der zusätzlichen Anwendung
ACT-basierter Verfahren ist noch gering,
jedoch zeigen erste Ergebnisse in Meta-
30
Akzeptanz und Achtsamkeit
analysen zum Einsatz der ACT in der
Psychotherapie eine vergleichbare Effektivität zu bisher angewendeten psychotherapeutische Verfahren, wie etwa der
kognitiven Verhaltenstherapie [15].
Vowles et al. konnten bei der gesonderten Betrachtung von Patienten mit chronischen Schmerzen zeigen, dass eine
Verbesserung der Lebensqualität, sowie
ein Rückgang an subjektiven Einschränkungen und depressiven Symptomen zu
beobachten war [16]. Daraus schlossen
sie, dass die ACT eine gute Alternative
zur Behandlung von chronischen
Schmerzen darstellt. Nachweislich kann
eine höhere Schmerzakzeptanz, verbunden mit der Reduktion komorbid bestehender Folgeerkrankungen wie Depressivität oder Angst erreicht werden. McCracken et al. haben zudem bei der
wissenschaftlichen Prüfung des Chronic
Pain Acceptance Questionnaire festgestellt, dass die innere Bereitschaft zur
Schmerzakzeptanz signifikant (von 0,46
bis 0,80) mit den Kennwerten emotionaler und physischer Funktionalität der
Schmerzpatienten korrelieren [8]. Demnach leiden Patienten bei entsprechender Bereitschaft zur Schmerzakzeptanz
weniger unter Depressionen und weisen
zudem funktionalere Coping-Strategien
auf. Die ACT ist kein störungsspezifisches Therapieprogramm und kann somit flexibel und individuell eingesetzt
werden, was sowohl die stationäre, die
teilstationäre als auch die ambulante
Psychotherapie betrifft.
Fazit für die Praxis
Eine offene Haltung des Therapeuten
und die innere Bereitschaft des Patienten dienen als therapeutische Basis. Die
ACT bietet eine Vielzahl an Metaphern
und Übungen, die zur individuellen
Therapie in Einzelgesprächen und Gruppentherapien Anwendung finden können. Im therapeutischen Prozess ist wiederholt Geduld, Zeit und Übung gefordert. Eine Veränderung automatisierter
Reaktions- und Bewertungsmuster kann
im stationären Setting allenfalls begonnen werden und stellt einen langfristigen Prozess dar. Nach unseren Erfahrungen kann im tagesklinischen Setting,
das bei uns geschlossene Gruppen mit
maximal acht Patienten beinhaltet, eher
mit Elementen der ACT gearbeitet wer-
den. Welche Anteile aus der kognitivverhaltenstherapeutischen, der dialektisch-behaviouralen und der ACT tatsächlich angewendet werden, hängt zum
einen natürlich vom individuellen Störungsbild des Patienten, zum anderen
auch von der Qualifikation des Therapeuten ab.
Dr. med. Andreas Böger
Chefarzt und Ärztlicher Leiter MVZ
Rotes Kreuz Krankenhaus Kassel gGmbH
Klinik für Schmerzmedizin
Hansteinstrasse 29, 34121 Kassel
E-Mail: [email protected]
Christiane Braun
Diplom-Psychologin
Psychologische Psychotherapeutin
Rotes Kreuz Krankenhaus Kassel gGmbH
Linda Mehner
Diplom-Psychologin
Rotes Kreuz Krankenhaus Kassel gGmbH
Literatur
1. http://www.schmerzklinik.
de/2014/03/20/30-jahre-deutschen-gesellschaft-fuer-schmerzmedizin/
2. http://schmerzliga.de/download/Dossier_
Schmerzliga.pdf
3. Arnold B, Brinkschmidt T, Casser H et al.
Schmerz 2014;28:459
4. Eifert G. Akzeptanz- und Commitment-Therapie (ACT). 1.Aufl. Hogrefe Verlag Göttingen; 2012
5. Scascighini L et al. Rheumatology (Oxford)
2008;47(5):670–8
6. Geuter U. (2016). Buchrezension: Wirkfaktoren der Achtsamkeit. Psychotherapeutenjournal
7. Bohus M, Wolf M. Interaktives SkillsTraining
für Borderline-Patienten (DBT). 3. Auflage
Schattauer Stuttgart; 2009
8. McCracken LM, Vowles KE, Eccleston C. Pain
2004;107(1-2):159–66
9. Hayes SC et al. Behav Res Ther 2006;44(1):1–
25
10. Turner JA et al. Pain Ebup 2016 May 31
11. Wengenroth M. Therapie-Tools Akzeptanzund Commitment-Therapie (ACT). Beltz
Weinheim; 2012
12. Polk KL, Schoendorff B, Wilson KG. New Harbinger Oakland; 2014
13. Kabat-Zinn J. Im Alltag Ruhe finden: Meditationen für ein gelassenes Leben. Fischer
Frankfurt; 2007
14. Wengenroth M. Das Leben annehmen. So
hilft die Akzeptanz- und Commitmenttherapie (ACT). Huber Bern; 2008
15. McCracken LM, Sat A, Tylor GJ. J Pain
2013;14(11):1398–406
16. Vowles, McCracken &Zhao. Behav Res Ther
49 (2011):748-755
Schmerzmedizin 2016; 32 (6)
Fortbildung
Übertherapie
Intensivmedizin oder
Palliativversorgung am Lebensende?
Matthias Thöns, Witten
Bei der Versorgung schwerstkranker Patienten am Lebensende steht
leider nicht nur das Patientenwohl im Fokus. Auch wenn Therapie­
erfolg und Schmerzlinderung die Ziele der behandelten Ärzte sein
­sollten, verleitet der finanzielle Profit auch ohne Indikation häufig zur
intensivmedizinischen Versorgung.
D
Schmerzmedizin 2016; 32 (6) Neun Monate später kam es zu erneuten Bauchproblemen, nun wurde sogar
gegen den Willen des Ehemanns operiert. Aufgrund eines erkennbar fortgeschrittenen Krebsleidens im Bauchraum
wurde die OP abgebrochen und Karla
Mit Beatmung lassen
sich etwa 800 €
pro Tag umsetzen,
­stationär sogar
das Doppelte.
©© Oliver Berg / dpa/lnw
ie mittlerweile 73-Jährige Rentnerin Karla hatte schon lange mit
ihrer Demenz zu kämpfen und
wurde mehr als liebevoll von ihrem Ehemann Heinz versorgt (Namen geändert).
Im August 2014, zwischenzeitlich war
Karla schwerst pflegebedürftig, inkontinent und aphasisch, traten Fieber und
eine deutliche Bauchschwellung auf. Der
Notarzt brachte sie in die Klinik, dort
wurde ein blutendes Magengeschwür
festgestellt. Es gab Komplikationen, eine
längere Intensivbehandlung und ein
bleibendes Atemversagen. Schließlich
kam es zum Kreislaufstillstand. Trotz
intensiver Gespräche konnte Heinz den
Willen seiner Frau nicht durchsetzen,
hatte sie sich doch zu gesunden Zeiten
stets „Apparatemedizin“ verbeten, wenn
Heilung nicht zu erwarten oder sie nur
noch pflegebedürftig war. Das Ganze
war sogar in einem Dokument festgehalten, leider aber nicht unterschrieben. So
versuchte die Oberärztin in der Klinik
dem sich immer heftiger gegen die
­Intensivbehandlung seiner Frau wehrenden Heinz die Gesundheitsvorsorge zu
entziehen, dies allerdings lehnte das Betreuungsgericht ab. Doch mittlerweile
war Karla in eine Beatmungs-WG verlegt, dort wurde die Intensivbehandlung
fortgesetzt. Wieder und wieder kritisierte Heinz die fortlaufende Beatmung, „es
gäbe aber keine Beweise, dass diese nicht
dem Willen von Karla entsprächen,“ war
die monotone Antwort der Ärzte.
kontrolliert beatmet in die BeatmungsWG zurückverlegt. Als sich dort schwere Leidenszeichen zeigten, rief Heinz
verzweifelt beim Palliativnetz an. Die
diensthabende Fachschwester erkannte
den Leidenszustand und setzte in Rücksprache mit dem Dienstarzt die notwendige Symptomkontrolle an. Als sie den
betreuenden Intensivarzt der Einrichtung darüber informierte, verwies er das
Palliativteam telefonisch des Hauses, er
kümmere sich selbst um Karla, so seine
Aussage. Da er jedoch nicht kam, meldete sich Heinz bereits am nächsten Mor-
31
Fortbildung
Buchtipp
Piper Verlag GmbH
München
320 Seiten, 22,00
Euro
ISBN: 978-3-49205776-9
Patient ohne Verfügung
In seinem Buch „Patient ohne
­ er­fügung – Das Geschäft mit dem
V
­Lebensende“ berichtet der Palliativ­
mediziner Dr. Matthias Thöns aus
­seiner jahre­langen Erfahrung von
­Fällen, in denen schwer Kranke intensiv
behandelt ­werden, obwohl kein
­Therapieerfolg mehr zu erwarten ist.
Übertherapie
Bei Karla war schon für die erste In­
tensivbehandlung angesichts ihres Zu­
standes einer terminalen Demenz kein
Therapieziel oder gar eine mutmaßliche
Zustimmung zu erkennen. Dabei muss
der Betreuer das Nichtvorliegen einer
Einwilligung keinesfalls durch eine
schriftliche Patientenverfügung bewei­
sen. Vielmehr heißt es im einschlägigen
Gesetzestext (§ 1901a BGB): „Liegt keine
Patientenverfügung vor oder treffen die
Festlegungen einer Patientenverfügung
nicht auf die aktuelle Lebens- und
­Behandlungssituation zu, hat der Be­
treuer die Behandlungswünsche oder
den mutmaßlichen Willen des Betreu­
ten festzustellen und auf dieser Grund­
lage zu entscheiden, ob er in eine ärztli­
che Maßnahme nach Absatz 1 einwilligt
oder sie untersagt.“
Der Patient ist kein Kunde
gen erneut. Sofort eilte der Bereitschafts­
arzt zur WG und übernahm wunsch­
gemäß die Behandlung. Er setzte ledig­
lich den Intensivmediziner, der sich
heftig wehrte, in Kenntnis und sorgte
für die längst nötige Leidenslinderung.
Da das Palliativteam Rechtsfolgen
fürchtete, wurde am Folgetag eine Eil­
verfügung des Betreuungsgerichts er­
wirkt. Eine Indikation für die Beatmung,
die eindeutig dem Willen von Karla wi­
dersprach, bestand schon lange nicht
mehr. Dies wurde eingehend mit Heinz
besprochen. Bevor die Be­atmung unter
der nun bereits notwendigen Vollnarko­
se beendet werden konnte, verstarb Kar­
la an den Folgen des Grundleidens.
Wann darf der Arzt handeln?
Die Aussage des Intensivarztes stellt die
Grundlagen von Ethik und Recht auf
den Kopf: Nicht das Nichtdurchführen
eines Eingriffs bedarf einer Begründung,
sondern die Durchführung bedarf
­zweier Voraussetzungen:
1.Es muss eine Indikation vorliegen.
Das heißt der Arzt ist der Überzeu­
gung, dass durch die Maßnahme ein
Therapieziel im Sinne des Patienten
erreicht werden kann.
2.Der Patient muss nach Aufklärung
(mutmaßlich) zustimmen. Fehlt nur
eine Bedingung, handelt es sich um
eine strafbare Körperverletzung.
32
Über wirtschaftliche Fehlanreize, Men­
genausweitung von Eingriffen und
„Ausweitung der Indikationen“ sowie die
Durchführung von nicht indizierten
Eingriffen berichten die Bundesärzte­
kammer [1], die Bertelsmannstiftung [2],
der Deutsche Ethikrat [3] und die Deut­
sche Gesellschaft für innere Medizin [4]
in einem Positionspapier mit dem weg­
weisenden Namen: „Der Patient ist kein
Kunde, das Krankenhaus kein Wirt­
schaftsunternehmen.“
Diese Thematik wächst seit Anfang
des Jahrtausends zum Hauptproblem in
der Versorgung Sterbender heran. Seit­
dem wurde das wirtschaftliche Risiko
der Kliniken durch eine Änderung des
Abrechnungsmodus auf die Klinik­
leitungen übertragen. Während früher
die Kliniken, jeweils zum Jahresende,
ihre Kosten vorrangig anhand der
­Verweildauer der Patienten geltend ma­
chen konnten (Kostendeckungsprinzip),
wird durch das neue DRG-System
­(diagnosis related groups) auf der Basis
eines Diagnosemix und anhand der
durchgeführten Prozeduren ein Entgelt
bestimmt: je schlimmer die Krankheit
und je technischer der Eingriff, desto
­höher der Erlös. Über Bonusverträge
werden leitende Ärzte an lukrativen Ein­
griffen oder am Klinikgewinn beteiligt.
Dabei entsteht ein hoher Fehlanreiz bei
Sterbenskranken möglichst umfang­
reiche Eingriffe durchzuführen.
Mittlerweile schätzen namhafte
­ xperten, dass die Hälfte der Sterben­
E
den Opfer von Übertherapie sind [5].
Das bestätigt auch eine aktuelle Unter­
suchung: Bis zu 50 % der Patienten er­
halten nicht indizierte Untersuchungen,
28 % der Sterbenden werden sogar re­
animiert [6]. Sie sind oft nicht mehr in
der Lage, ihren Willen kundzutun oder
zu widersprechen. Selbst wenn ein
Schwerkranker noch Herr seiner Sinne
ist, so steht er nach der Diagnose einer
schlimmen Krankheit unter „Diagno­
seschock“. Das ist vergleichbar mit ei­
nem hypnoseähnlichen Zustand, man
ist also suggestibel [7]. Dementspre­
chend ist ein sterbenskranker Patient
auch ein „Patient ohne Verfügung“.
Und genauso lautet auch der Titel des
Buchs [8] aus dem das hier vorgestellte
Beispiel stammt (siehe Buchtipp).
Demografischer Wandel ist keine
Ausrede
Mittlerweile verlagert sich die Intensiv­
medizin zunehmend in den häuslichen
Bereich. Gab es 2003 nur circa 500 au­
ßerklinische Beatmungen, so waren es
2013 bereits 15.000 [9]. Die Erklärung
der zuständigen Fachgesellschaft: „der
demografische Wandel“ – wir sollen also
30-mal älter und kränker geworden
sein? Aber es kommt noch schlimmer:
jedes Jahr nimmt die Zahl der Heim­
beatmeten um 15 % zu, allein in Bayern
stieg die Anzahl an Beatmungs-WGs im
letzten Jahr um 22 % [10]. Hier werden
mittlerweile 25–50 % der Gesamtkosten
für die ambulante Pflege umgesetzt,
längst ist dies sogar betragssatzrelevant
[11]. Davon kann die ambulante
Palliativ­versorgung nur träumen, trotz
­w iederkehrender politischer Lippenbe­
kenntnisse der Förderung werden für sie
weniger als 0,2 % der Ausgaben inves­
tiert, Hausärzte arbeiten im Rahmen
­a llgemeiner Palliativversorgung an der
Grenze der Ehrenamtlichkeit.
Mit einer fingierten Patientenge­
schichte wurden 254 Beatmungseinrich­
tungen angeschrieben. Man suche für
den vermeintlich wohlhabenden Onkel
einen neuen Intensivpflegedienst, weil es
bei dem aktuellen Versorger Probleme
wegen einer der Behandlung entgegen­
stehenden Patientenverfügung gäbe.
Das Ergebnis: Die überwältigende Mehr­
Schmerzmedizin 2016; 32 (6)
heit hätte die als nicht indiziert und
nicht gewünscht konstruierte Beatmung
fortgesetzt. Weniger als 10 % der befragten Dienste widersetzten sich dem kriminellen Ansinnen [12].
Literatur
1. Wiesing U: „Ärztliches Handeln zwischen
Berufsethos und Ökonomisierung. Das Beispiel der Verträge mit leitenden Klinikärztinnen und -ärzten“. Deutsches Ärzteblatt
110, Heft 38 (20.09.2013), S. A-1752 - A-1756
2. Bertelsmann Stiftung: Faktencheck regionale Unterschiede 2015. https://faktencheck-gesundheit.de/de/faktenchecks/regionale-unterschiede/ergebnis-ueberblick/
3. Deutscher Ethikrat: Patientenwohl als ethischer Maßstab für das Krankenhaus; www.
ethikrat.org/dateien/pdf/stellungnahmepatientenwohl-als-ethischer-massstab-fuer-das-krankenhaus.pdf
4. DGIM: Der Patient ist kein Kunde, das Krankenhaus kein Wirtschaftsunternehmen.
DMW 07/2015 http://www.dgim.de/portals/
pdf/Positionspapier_SchummDraeger_%C3%96konomisierung.pdf
5. Borasio GD: Faktencheck zur Sterbehilfe.
Die Zeit vom 22.09.2015. www.zeit.
de/2015/38/bundestag-sterbehilfe-diskussion-gesetzesentwuerfe
6. Cardona-Morell Met al. Non-beneficial
treatments in hospital at the end of life: a
systematic review on extent of the problem.
Int J Qual Health Care. 2016;28(4):456–69
7. Cheek DB (1962) Importance of recognizing
that surgical patients behave as though
hypnotized. Am J Clin Hypn 4:227–236
8. Thöns M. Patient ohne Verfügung. Das Geschäft mit dem Lebensende. Piper Verlag
2016
9. DIGAB: Stellungnahme der Deutschen Interdisziplinären Gesellschaft für Außerklinische Beatmung (DIGAB e.V.) zu den Ausführungen von Dr. Matthias Thöns aus Witten
auf dem Bremer Palliativkongresses am 20.
März 2015 www.digab.de/startseite/neuigkeiten/detailansicht/?tx_ttnews%5Btt_
news%5D=38&cHash=03 9186c1ab8257b93cca90fd9064d74b
10. Bayrisches Landesamt für Statistik
31.12.2015
11. Jaschke C, Jünke O, Demmel P: Leben in einer ambulant betreuten Wohngemeinschaft für Menschen mit Beatmung. Gepflegt durchatmen 07/2016
12. Thöns M, Putz W: Intensivmedizin - Angebot schafft Nachfrage. Der Niedergelassene
Arzt 09 (2015) 97
Dr. Matthias Thöns
Abteilung für Allgemeinmedizin
Ruhr-Universität Bochum
Wiesenstr. 14
58452 Witten
[email protected]
Schmerzmedizin 2016; 32 (6) Leserbrief
Keine Opioide und kein Diclofenac i.m. bei Nierenkolik
Kritische Stellungnahme zur Aussage: Diclofenac i.m. ist zur Therapie einer
Nierenkolik zu empfehlen. Nachzulesen in Schmerzmedizin 2016;32(4):7 im
Beitrag „Nierenkolik: NSAR statt Opioid?“
Schon die Aussage in der Einleitung: Die gängige Praxis bei Nierenkoliken ein Opioid i.v.
zu applizieren, stimmt nicht. Die weitere Aussage, ein Opioid ist offenbar nicht optimal
zur Therapie einer Nierenkolik, ist richtig. Opioide verstärken eher die Intensität von
Nierenkoliken. Bei keinem Opioid wird als Indikation Nierenkolik erwähnt und ist daher
auch nicht zugelassen (off label use).
NSAR haben als Indikation entzündliche und/oder degenerative Erkrankungen im Stützund Bewegungssystem [1]. Eine spasmolytische Wirkung fehlt. Gerade eine Spasmolyse
ist neben der Analgesie bei Nierenkoliken dringend erforderlich. Nach langjährigen Erfahrungen einer Vielzahl von Hausärzten, Ärzten im Bereitschaftsdienst und Notärzten
ist Metamizol 1–2 g langsam i.v. injiziert oder als Kurzinfusion appliziert Mittel der Wahl
zur Behandlung von Nierenkoliken mit sehr guter Wirkung und Verträglichkeit.
Metamizol senkt neben der guten analgetischen Wirkung auch den erhöhten intra­
luminalen Druck im Harnleiter, wirkt also zusätzlich spasmolytisch und zudem auch
­antinozizeptiv und ist daher Mittel der ersten Wahl bei starken Nierenkoliken [2, 3].
Verschiedene Studien konnten auch die Wirksamkeit von Diclofenac 75mg i.m. bei
s­ tarken Nierenkoliken belegen [2, 4]. Jedoch gilt die i.m. Applikation von Diclofenac
seit geraumer Zeit als obsolet. Das hohe Risiko durch Gewebeschäden am Injektionsort
mit Abszessbildungen, Nekrosen, oft tödlicher nekrotisierender Fasziitis, foudroyanten
Kokkensepsis, aber auch lebensbedrohlicher Anaphylaxie und einem 100-mal höheren
Risiko pseudoallergischer Schockzustände kann bei weitem nicht den Vorteil eines
schnelleren Wirkungseintritts gegenüber der oralen oder rektalen Anwendung auf­
wiegen [3, 5, 6, 7].
Nach der Fachinformation von Diclofenac wird die i.m. Injektion nur dann zugelassen,
wenn eine orale oder rektale Applikation nicht möglich ist. Nach erfolgter Injektion ist
eine einstündige Überwachung gefordert sowie die Vorhaltung eines funktionstüchtigen Notfallequipments [1]. Eine umfassende Aufklärung der Patienten vor einer Behandlung wird selbstverständlich gefordert. Als Nebenwirkungen werden Nierenkoliken und Harnwegsverengungen aufgeführt. Als Anwendungsbeschränkung gelten
­Koliken der Harnwege [1]. Überdies kann die Anwendung von Diclofenac bei vorbelasteten Patienten zum akuten Nierenversagen führen [8].
Gegen die Empfehlung im Schlusssatz im oben genannten Beitrag über die Therapie
von Nierenkoliken: „NSAR i.m. sollten als Erstlinientherapie betrachtet werden (…)“ [9],
kann man sich nur mit aller Entschiedenheit wehren.
Referenzen
1. Fachinformation Diclofenac u.a. Rote Liste
2. Zwergel U et al. Schmerz 1998; 12 (2): 112-117
3. S2k – Leitlinie zur Diagnostik, Therapie und Metaphylaxe der Urolithiasis der AWMF (043/025).
www.awmf.org/uploads/tx sz_leitlinien/043-0251_s2k_uro
4. Marthak K V et al. Curr Med Res Opin 1991; 12 (6): 366 – 373
5. Arzneitelegramm 1997; 8: 87
6. Arzneitelegramm 1999; 9: 65
7. Arzneitelegramm Fachinformation zu Diclofenac- Injektionslösung 2000;31 (10): 85
8. Lee A et al. Cochrane Database Syst Rev 2007;(2)CD 002765
9. http://www.pharmazeutische-zeitung.de/index.php?id=1635
Dr. med. Winfried Hoerster
Facharzt für Anästhesiologie
Spezielle Schmerztherapie
Gießen
33
Fortbildung
Therapie chronischer Schmerzen
Ernährung als wichtiges Element einer
ganzheitlichen Schmerzmedizin
Günther Bittel, Duisburg; Gabriele Wagner, Überlingen
Die Korrektur von Übergewicht oder nutritiven Defiziten war und ist ein anerkanntes und elementares
­Therapieziel in der Allgemein­medizin und besonders auch in der Schmerzmedizin. Der heutige Kenntnisstand geht jedoch weit über diese Teilziele hinaus. Gesunde Ernährung und Ernährungstherapie müssen als
Basis­element einer ganzheitlichen Schmerzmedizin verstanden und genutzt werden – sie gehören in jedes
multimodale Therapiekonzept.
C
hronische Krankheiten lassen
sich, sieht man von den Tumor­
erkrankungen und genetischen
Defekten ab, im Wesentlichen als chro­
nisch-degenerative oder chronisch-ent­
zündliche Krankheiten definieren. In
der Realität liegt meistens eine Mi­
schung beider Prozesse vor: Der durch­
schnittliche Schmerzpatient bringt ne­
ben seinen orthopädischen, rheumato­
logischen und psychosomatischen
Krankheitsprozessen oft auch ein „inter­
nistisches Polytrauma“ mit. In Deutsch­
land gibt es nicht nur 23 Millionen Men­
schen mit chronischen Schmerzen, son­
dern auch 7 Millionen Diabetiker und
35 Millionen Menschen mit Bluthoch­
druck. Jeweils über 20 % der Deutschen
leiden an Angststörungen oder Depres­
sionen. 56 % der Frauen und 69 % der
Männer sind übergewichtig, bei den
Kindern und Jugendlichen ebenfalls
schon über 20 %.
Umwelt- und Gesundheitsbewusst­
sein sind bei vielen Menschen durchaus
geschärft und gewachsen: Millionen
wollen fit werden, gehen in teure Sport­
studios, treiben Vereinssport, sind
Kleingärtner oder betreiben „Urban
Gardening“, kümmern sich um eine ge­
sunde Ernährung und versuchen sich an
Diäten.
©© © CITAlliance/Getty Images/iStockphoto
Eine frische, pflanzliche
­Ernährung kann dabei
­helfen das Leiden von
Schmerz­patienten zu
­verringern.
34
Prägend ist aber ein Massen- und
Fehlkonsum von Zucker, Weißmehl, tie­
rischen Fetten und Eiweiß sowie ein aus­
geprägter Mangel an Ballaststoffen,
wichtigen Mikronährstoffen und sekun­
dären Pflanzenwirkstoffen. Im Durch­
schnitt werden in Deutschland pro Kopf
pro Jahr 44 kg Zucker, 90 kg Fleisch und
Wurst und 11 Liter reinen Alkohol kon­
sumiert. Täglich 161 Gramm Fett mit ei­
nem hohen Anteil an tierischen Fetten
und gesättigten Fettsäuren begünstigen
eine durchschnittliche Energiezufuhr,
die bei etwa 180 % der empfohlenen Ka­
lorien-Menge liegt.
Sekundäre Pflanzenwirkstoffe
Stressoren, die chronische Schmerz­
krankheiten befeuern, sind vielfältig.
Neben physikalischen und chemischen
Belastungen spielen auch biologische
Aspekte wie das Mikrobiom des Darms
eine große Rolle (Abb. 1). Viele Nah­
rungsmittel sind heute chemisch belas­
tet und erfahren durch die dominieren­
den großtechnischen Agrarmethoden
und die industrialisierte Lebensmittel­
produktion eine Entwertung, was zum
Mangel an sekundären Pflanzenstoffen
führen kann (Tab. 1). Deren elementare
Bedeutung für die menschliche Gesund­
heit wurde erst in den letzten Jahren wis­
senschaftlich entschlüsselt und belegt.
Das Curcumin in Gelbwurz (Curcuma)
wirkt antientzündlich, antiparasitär und
antitumorigen, wird als Einzelsubstanz
aber schlecht resorbiert. Erst durch die
Schmerzmedizin 2016; 32 (6)
Nahrungsmittelintoleranzen
Etwa 20 % der Deutschen sind Laktoseintolerant. Neben der seltenen frühkindlichen Manifestation steht bei der
größten Gruppe nach der Kindheit das
Ferment Laktase im Dünndarm nicht
mehr ausreichend zur Verfügung. Etwas
seltener sind Intoleranzen gegen Fruchtzucker und Sorbit. Die Histaminintoleranz entsteht durch eine Minderfunktion des Histamin-Abbauenzyms Diamino-Oxidase. Solche Intoleranzen führen
nicht nur zu Blähungen, Bauchschmerzen und Durchfall, sie können auch
Kopfschmerzen, Weichteilschmerzen,
Ausschläge und über Entzündungsprozesse im Darm auch Infektionen im ganzen Körper hervorrufen.
Schmerzmedizin 2016; 32 (6) Nahrungsmittelallergien
Die Bedeutung der Darmflora
Es gibt Nahrungs­mittelallergien vom Soforttyp (Typ1-Allergie, IgE-vermittelt),
aber auch verzögert ablaufende Nahrungsmittelallergien (IgG4-vermittelt,
Typ3, oder zellulär vermittelt, Typ4). Antikörpertests im Blut oder LymphozytenTransformationstests geben Hinweise auf
Nahrungsmittelallergien. Die Diagnose
darf aber nur gestellt werden, wenn sie
durch eine Weglass- und eine nachfolgende Provokationsdiät doppelt bestätigt
wurde. Deshalb lassen wir die Patienten
über sieben Tage synchrone Ernährungs-,
Reaktions- und Schmerztagebücher führen. Eventuell erforderliche Weglassdiäten verlangen eine sorgsame Ernährungsberatung, um nutritive Mangelsituationen zu vermeiden. Eine ganzheitliche
Therapie erforscht immer die Störung des
Milieus der Zellen, die eine solche Entwicklung überhaupt erst möglich gemacht hat. Es gibt aus der mikrobiologischen Grundlagenforschung wichtige
Hinweise, dass bei einer intakten Darmflora eine Nahrungsmittelallergie gar
nicht erst entstehen kann, weil der
Schutzgitterschmierfilm der Darmbakterien großvolumige Proteine gar nicht passieren und zur Resorption kommen lässt.
_Nicht-ionisierende Strahlung
_elektrische, magnetische und
elektromagnetische Felder
_Infrarot, sichtbares Licht, UV
_Ionisierende Strahlung
_Hitze-Kälte
_Erschütterungen
_Infraschall
_Lärm
physikalisch
100 Billionen Darmbakterien mit einer
Masse von bis zu 2 kg erbringen eine erstaunliche Leistung für die menschliche
Gesundheit. Man spricht zu Recht von
„Symbiose“ und „Symbionten“, weil wir
ohne diese Hochleistungs-Biofabrik
überhaupt nicht existieren könnten.
Nicht nur Verdauungsleistungen oder
Produktion von Vitaminen wie Vitamin K erfolgen durch die freundlichen
Darmbewohner, sie erbringen auch eine
erstaunliche immunologische Leistung.
Da der Darm mit etwa 10.000 Quadratmetern Gesamtoberfläche – zählt man
alle Zotten, Villi und Mikrovilli mit –
die größte Kontaktoberfläche des Menschen zur Umwelt bildet, ist es nur logisch, dass 70 % des Lymphknotensystems darmassoziiert sind. Mit unserer
Nahrung ernähren wir auch unsere
Darmflora. Fördert die Ernährung die
„freundlichen“ Darmbakterien, spricht
man von präbiotischer Therapie. Die
langwierige Zufuhr lebender Darmbakterien wird dagegen als probiotische
Therapie bezeichnet. Eine ballaststoffreiche, vegetarisch betonte, biologische
Vollwertkost ist ideal für eine gesunde
und vielschichtige Darmflora.
_Zahnersatzmaterialien und Implantate
_Rückstände in Lebensmitteln
_Rauche und Abgase
_Stoffe/Chemikalien in
_Wasch- und Putzmitteln
_Kosmetika und Duftstoffen
_Baustoffen und Möbeln
_Druckerzeugnissen
_Farben
_Desinfektionsmitteln
_Medikamenten
chemisch
_Teppichwaren
_Textilien etc.
Stressoren
_Bakterien
_Viren
_Pilze
_Parasiten
_Allergene
_Pollen
_Schimmelpilze
_Hausstaub/Mehlstaubmilben
_Tiere/Haustiere
_Schaben
biologisch
psychosozial
_Traumatisierung
_Emotionale Konflikte
_Soziale Konflikte
_Tag-Nacht-Rhythmus
©© Mod. nach Institut für Medizinische Diagnostik Berlin-Potsdam
Zugabe von Piperipin aus dem Pfeffer
werden ausreichend hohe Resorptionsquoten erreicht. Eine solche Mischung
finden wir in der Gewürzmischung Curry. Dieses Beispiel belegt eindrucksvoll,
wie traditionelle Ernährung und Erfahrungsmedizin bereits wissenschaftliche
Erkenntnisse antizipierten.
Durch eine frische, pflanzlich betonte
Vollwertkost, reich an Kräutern, Beeren,
Sprossen, Rohkost und Pilzen können
sich Patienten die breite Palette der
pflanzlichen Wirkstoffe erschließen und
davon gesundheitlich erheblich profitieren. Eine besondere Bedeutung haben
dabei die Öle. Bei der Verwendung von
hoch ungesättigten Fettsäuren (frühere
Bezeichnung Vitamin F) muss besonders für eine ausreichend hohe Zufuhr
an Omega-3-Fettsäuren (entzündungshemmend) und die richtige Relation zu
den Omega-6-Fettsäuren (entzündungsfördernd) gesorgt werden. Dies gelingt
am besten durch Hochseefisch aus kalten Gewässern, der aber wegen der
Schwermetallbelastung und notwendiger Restriktion tierischer Eiweiße und
Fette höchstens einmal pro Woche verzehrt werden sollte und über bestimmte
Pflanzenöle. Hier bietet das Leinöl den
höchsten Gehalt an Omega-3-Fettsäuren, ferner Rapsöl und Walnussöl, die
am besten gemischt mit kaltgepresstem
Olivenöl verzehrt werden sollen. Vom
Erhitzen der Pflanzenöle mit einem hohen Anteil ungesättigter Fettsäuren ist
dringend abzuraten, weil dabei toxische
Peroxide entstehen.
Abb. 1: Stressoren, die chronische Schmerzkrankheiten beeinflussen.
(Mit freundlicher Genehmigung von Dr. Volker von Baehr, Institut für Medizinische
­Diagnostik Berlin-Potsdam MVZ GbR, und der Kurparkklinik Überlingen)
35
Fortbildung
Pathologische Darmbakterien, überschießende Mengen an Gärungs- und
Fäulnisbakterien und pathologischen
Hefepilzen wie Candida albicans werden dagegen durch eine Nahrung mit
viel Zucker, Weißmehl, tierischen Fetten und Proteinen gefördert. Bei schweren Störungen der Darmflora (Dysbiose) ist eine probiotische Therapie notwendig und hilfreich, immer aber in
Verbindung mit einer entsprechenden
Ernährungstherapie. Moderne wissenschaftliche Erkenntnisse bestätigen die
Rolle des Magen-Darm-Trakts als Zentralorgan der Inflammation. Über Milliarden neuronaler Verbindungen steht
das „Enteritische Nervensystem“ (ENS),
das vier bis fünfmal so viele Neurone
wie das Rückenmark besitzt, mit dem
Zentralen Nervensystem (ZNS) in ständiger Verbindung. Nicht nur das ZNS
diktiert dem Bauch den Takt, was aus
der Psychosomatik hinreichend bekannt ist. Man findet etwas „zum Kot-
Ernährung in der ganzheitlichen Schmerzmedizin
zen“, „schluckt den Ärger herunter“, hat
„Schiss“. Auch die Gegenrichtung funktioniert beeindruckend: So haben
Stresssignale aus dem Magen-DarmTrakt einen erheblichen Einfluss auf unser Gehirnsowie auf das vegetative Nervensystem und spielen eine entscheidende Rolle für unseren Gemütszustand! Chronischer Stress und
Entzündung im Darm führen zu einer
gestörten Immunleistung, zur nutritiven Fehlversorgung der Zellen, damit
zu oxidativem und nitrosativem Stress
und zur Störung der Mitochondrienfunktion. Dies resultiert zwangsläufig
in einer Neuroinflammation mit Schlafstörungen, Erschöpfung, Müdigkeit,
Konzentrationsstörungen, Schwindel
und Kopfschmerzen. Die Wiederherstellung einer freundlichen Darmflora
und der Harmonie in den Verdauungsfunktionen bekommt so ganz schnell
auch eine schmerzlindernde sowie antidepressive Wirkung.
Umweltgifte reichern sich an
80.000 Chemikalien wurden mehr oder
weniger unkontrolliert in den letzten
Jahrzehnten auf Mensch und Umwelt
losgelassen. Das umstrittene MonsantoAckergift Glyphosat wurde bei einer Reihenuntersuchung von 2.000 Probanden
bei fast allen im Urin nachgewiesen, bei
vielen in bedenklichen Konzentrationen.
Nur ein Beispiel von vielen. Über die
Nahrungskette reichern sich die überwiegend fettlöslichen Umweltgifte an
und erreichen im tierischen Fett und in
Milchprodukten die höchsten Konzentrationen – bis sie sich im menschlichen
Organismus erneut anreichern, dort vor
allem im Fettgewebe und fetthaltigen
Organsystemen wie dem ZNS oder den
endokrinen Organen.
Pflanzliche Produkte aus nicht-biologischem Anbau sind bereits mehr oder
weniger deutlich mit diversen Chemikalien belastet. Die höchste Gefahr droht
beim Verzehr von industriellem Fast-
Tab. 1: Sekundäre Pflanzenwirkstoffe
Verbindungen
Vorkommen
Wirkung
Carotinoide
Farbstoff in gelb-orangem und grünblättrigem Gemüse und Obst
wie Möhren, Kürbis, Tomaten, Grünkohl, Blattsalat, Broccoli,
­Spinat, Aprikosen
schützen vor schädlichen Oxidationen und Herzinfarkt, stärken
das Abwehrsystem, hemmen die Krebsentstehung
Glucosinolate
Geschmackstoffe in Rettich, Kresse, Senf und allen Kohlarten
beugen Infektionen vor, hemmen die Krebsentstehung
Phytoöstrogene
in Sojabohnen, Getreide, Kohlgemüse und Leinsamen
beugen hormonabhängigen Krebsarten wie Brust-,
­Gebärmutter-, Prostatakrebs aber auch Dickdarmkrebs vor
Phytosterine
in Samen wie Sonnenblumenkernen, Nüssen, Sesam und in kalt
gepressten Ölen
verringern das Dickdarmkrebsrisiko, senken den
­Cholesterinspiegel
Polyphenole
Flavonoide
in der Schale von rotem, violettem und gelbem Obst und Gemüse
wie Kirschen, Beeren, Äpfeln, Rotkohl, Kartoffeln und gelben
­Zwiebeln
schützen vor Infektionen, hemmen die Krebsentstehung,
­verringern das Dickdarmkrebsrisiko
Phenolsäuren
in den Randschichten von Getreide, Nüssen, aber auch in Tee und
Kaffee
hemmen das Wachstum von Bakterien und Viren, schützen vor
schädlichen Oxidationen und Herzinfarkt
Proteaseinhibitoren
in eiweißreichen Pflanzen wie Hülsenfrüchten, Kartoffeln, Getreide
beugen Krebs vor
Saponine
in Hülsenfrüchten wie Sojabohnen und Kichererbsen
senken den Cholesterinspiegel, stärken die Abwehrkräfte,
­verringern das Dickdarmkrebsrisiko
Sulfide
schwefelhaltige Substanzen in Knoblauch, Zwiebeln und Lauch
beugen Infektionen vor, senken den Cholesterinspiegel,
­schützen vor schädlichen Oxidationen, beeinflussen die Blut­
gerinnung, beugen Herzinfarkt vor, hemmen das Krebsrisiko
Terpene
Aromastoffe in Pfefferminze, Zitronen, Kümmel, Sellerie
senken das Krebsrisiko
Ballaststoffe
in allen Obst- und Gemüsesorten, Getreide, Hülsenfrüchte und
Samen­
senken den Cholesterinspiegel, beugen Darmkrebs vor,
­regulieren den Blutzuckerspiegel
Milchsäurebakterien
in Sauermilchprodukten wie Dickmilch, Joghurt, Buttermilch aber
auch in Sauerkraut
verringern das Dickdarmkrebsrisiko, stärken das Immunsystem,
beugen Durchfallerkrankungen vor
Mit freundlicher Unterstützung der Kurparkklinik Überlingen, Fachklinik für Ernährungsmedizin (Leiter Herrn Dr. Gunter Hölz und Ernähurngsberaterin Frau Dipl.Ing. Gabriele Wagner)
36
Schmerzmedizin 2016; 32 (6)
Food und Fertignahrung, sowie dem
Konsum von Schweinefleisch und Geflügel aus industrieller Massentierhaltung.
Besorgniserregend ist, dass Großmäster
und Veterinär­mediziner bereits Reserveantibiotika wie zum Beispiel Colistin
einsetzen, die eigentlich Intensivstationen vorbehalten sind.
Nicht nur Antibiotika, auch Hormone,
Wachstumsfaktoren und Psychopharmaka werden in der Massentierhaltung
eingesetzt. Das Futtergemisch aus industriellem Mais- und Sojaschrot bewirkt gegenüber dem natürlichen Grasund Kräuterfutter für Kühe eine Entwertung der Produkte und ist oft schadstoffbelastet.
Nicht nur die zu großzügige Massenanwendung von Antibiotika in der Humanmedizin schädigt die menschliche
Darmflora, auch der unbemerkte „LowDose“-Konsum über entsprechend belastete Nahrungsmittel führt beim Menschen zu Störungen der Darmflora und
Resistenzen oder Unverträglichkeiten
gegenüber Antibiotika.
Neben der individuellen Aufforderung der Patienten zur Umstellung auf
eine biologische, pflanzlich betonte Vollwerternährung zur Minderung der eigenen Belastung mit Schadstoffen, müssen
allgemein wirksame umwelt- und gesundheitspolitische Forderungen zur
Reduktion der „chronischen Volksvergiftung“ durchgesetzt werden. Dieser
Begriff wurde von Professor Harry Rosin, ehemaliger Hygieniker, Mikrobiologe und Virologe an der Heinrich-HeineUniversität Düsseldorf geprägt. Rosin
hat sich nicht nur als Umweltmediziner,
sondern auch durch die Erfindung des
Greenfreeze-Kühlschranks und des
Kryorecyclings (als unschädliche Alternative zur Müllverbrennung) große Verdienste erworben.
qualifizierte stationäre Rehabilitation.
Einleuchtend ist, dass Adipositas die Bewegungsarmut verstärkt, zu zahlreichen
Folgekrankheiten (metabolisches Syndrom) und zu Sekundärschäden wie Arthrosen der lasttragenden Gelenke und
Schädigungen der Wirbelsäule führt.
Aber auch neuropsychiatrisch sind die
Auswirkungen erheblich: Müdigkeit,
Hirnleistungsminderung, Depression,
Schlafapnoe und Schlafstörungen.
Chronisch Schmerzkranken mit Adipositas können wir nicht helfen, wenn wir
dieses Krankheitsbild ausklammern
oder uns in moralischen Standpauken
ergehen. Hier ist die Aufklärung wichtig,
dass Sonderdiäten nur zu kurzfristigen
Scheinerfolgen, langfristig aber über den
„Jojo-Effekt“ zu Schäden führen mit dem
Resultat einer immer schlechteren organischen Körperzusammensetzung, vor
allem durch die Abnahme der Muskelmasse und der Strukturproteine. Deswegen helfen nur eine nachhaltige und lebenslange Kostumstellung und eine Be-
wegungstherapie. Ein hoher Anteil an
Ballaststoffen und eine große Trinkmenge sorgen trotz negativer Kalorienbilanz
für ein ausreichendes Sättigungsgefühl
(Abb. 2). Neben der einleuchtenden Logik, dass Ausdauertraining und zumutbare sportliche Betätigung die Kalorienbilanz weiter verbessert, ist gezielte medizinische Trainingstherapie zum Erhalt
und Verbesserung der Muskulatur dringend erforderlich. Dazu zählt nicht nur
Gerätetraining, sondern auch Wassergymnastik, Aerobic und Pilates. Wassergymnastik und Nordic Walking können
auch Adipositas-Patienten mit chronischen Rückenschmerzen oder Gelenkschmerzen relativ gut durchführen. Besondere Trainingsgruppen („Schneckengruppen“) sollten in Absprache mit
einem qualifizierten Anbieter im Netzwerk des Schmerzzentrums gebildet
werden, weil Schmerzpatienten mit Adipositas in sportlich orientierten Trainingsgruppen überfordert sind und sofort demotiviert aufgeben würden.
Nach der Definition der WHO spricht
man ab einem BMI von über 30 von Adipositas als eigenständiges Krankheitsbild. Leider verweigern deutsche Sozialversicherungsträger diesem Krankheitsbild zum Teil immer noch die
notwendige Anerkennung und medizinische Hilfe wie Ernährungstherapie,
Bewegungstherapie, Psychotherapie und
Schmerzmedizin 2016; 32 (6) ©© Mod. Kurparkklinik Überlingen
Adipositas: ein eigenständiges
Krankheitsbild
Abb. 2: Ernährungspyramide mit der Anzahl der Portionen pro Tag für einen Erwachsenen.
37
Fortbildung
Ernährung in der ganzheitlichen Schmerzmedizin
Allgemeine Empfehlung für eine gesunde Ernährung bei Schmerzpatienten
Täglich
Trinken: 6 Gläser Wasser (bei Hitze 1–2 Liter mehr), 2–3 Tassen Kräutertee
Basis der Ernährung: „Take Five“: 5 x am Tag „eine Handvoll“ aus dem Bereich Salat,
­ emüse, Obst, Rohkost (2 x Obst)
G
Fette und Öle: 1–3 Esslöffel Leinöl (nie erhitzen!), zum Braten ausgelassene Butter
(­ Butterreinfett) oder Kokosfett. Olivenöl kann zum Dünsten (80–90 °C) verwendet
­werden, sollte jedoch nie zum Braten (ab 130 °C) verwendet werden. Ansonsten Öl­
mischung aus Olivenöl, Leinöl, Walnussöl verwenden, jedoch nur kalt.
Vielversprechende Umweltmedizin
Generell
Wertvolle (langsam frei gesetzte, vollwertige) Kohlenhydrate verwenden - keinen
­Industriezucker, kein Weißmehl!
Gute Kohlenhydrate sind (basisch und glutenfrei): Kartoffel, Hirse, Linsen, Reis, Quinoa,
Buchweizen.
Sekundäre Pflanzenwirkstoffe sind neben Vitaminen und Mineralstoffen unverzichtbar
für unsere Gesundheit!
Regelmäßig zu verwenden: Pilze, Kräuter (Bärlauch, Schnittlauch, Petersilie, Dill etc.),
Curcuma (Curry), Ingwer, Polyphenole, wie in Paprika, Tomate, Heidelbeeren, Himbeeren, Johannisbeeren.
Vorsicht oder weglassen!
Wurst und rotes Fleisch: gar nicht - Käse: wenig - Eier: wenig - Geflügel: wenig - Milchprodukte: wenig
Kunststoffe Biozide
Pilze
Metalle
©© Mod. nach Institut für Medizinische Diagnostik Berlin-Potsdam
Bakterien
Viren
An großen Patientenkollektiven ließ
sich nachweisen, dass 30 Minuten Ausdauersport täglich nach vier Monaten einen vergleichbaren antidepressiven Effekt hat wie Serotonin-Wiederaufnahmehemmer, aber langfristig viel besser
auf das Körpergewicht und die allgemeine Gesundheit wirken.
Unter Triggerfaktoren werden in der
Umweltmedizin alle Faktoren verstanden, die an unterschiedlichen Stellen,
aber mit einer sehr einheitlichen Wirkung den Teufelskreis aus chronischer
Entzündung, oxidativem und nitrosativem Stress weiter anheizen und damit zu
einer nachhaltigen Störung der Bereitsstellung der Zellenergie führen: zu einer
Mitochondriopathie. Psychischer Stress,
Viren, Umweltgifte wie Schwermetalle
und Pestizide und viele mehr verbinden
und durchdringen sich hier in unheilvoller Weise (Abb. 3). Neue chronische
Massenkrankheiten wie das Fibromyalgiesyndrom, das chronische Müdigkeitssyndrom und multiple Chemikalienempfindlichkeit können vor diesem
Hintergrund überhaupt erst als chronische Multisystemkrankheiten mit „Silent Inflammation“ verstanden werden.
Psychische Traumaten
Industriegifte
Lösungsmittel
EMF
Mercaptane/Thioether
Weichmacher
Nahrungsmittel
+
Nitrosativer Stress
Nitrotyrosin ↑
Gestörte Funktion
von Treg-Zellen
iNOS ↑
Superoxid ↑
Peroxynitrit ↑
Mitochondriopathie
ATP ↓
Oxidativer Stress
MDA-LDL ↑
Entzündung
TNF-α ↑
IFN-γ ↑ ↑
Histamin
gestörte
Immuntoleranz
TH2 -Dominanz
Entwicklung weiterer
Sensibilisierungen
TH1/TH2-Quotient ↓
Treg-Zellen↑
TGF-β ↑
Abb. 3: Triggerfaktoren „stören“ die Immuntoleranz, wobei der Circulus vitiosus aus chronischer Entzündung, oxidativem/ nitrosativem
Stress sowie Mitochondriopathie die „Brücke“ bildet.
(Mit freundlicher Genehmigung von Dr. Volker von Baehr, Institut für Medizinische Diagnostik Berlin-Potsdam MVZ GbR)
38
Schmerzmedizin 2016; 32 (6)
Schmerzmedizinische Konzepte, die
naturheilkundliche, damit auch ernährungstherapeutische, umweltmedizinische, physiotherapeutische und psychotherapeutische Ansätze sinnvoll kombinieren, haben eine hohe Relevanz. Diese
ganzheitlichen Ansätze sind heute längst
der belächelten Ecke einer „AußenseiterMedizin“ entsprungen. Sie sind inzwischen naturwissenschaftlich abgesichert
und belegt. Was wäre die Alternative?
Die Patienten würden lange Zeit mit
Pharmaka behandelt mit Konsequenzen
wie Darmträgheit, Müdigkeit, kognitive
Störungen, hormonelle Störungen, Libidostörungen, Gewichtszunahme. Die
physiotherapeutischen Einzelanwendungen (rationiert durch Budgetzwänge) sind phasenweise sicher ebenso nötig,
schaffen aber keine dauerhafte durchgreifende Veränderung. Bleibt noch das
Lotteriespiel, irgendwo einen geeigneten
Psychotherapeuten zu finden. Dieser
wird nach einer in der Regel 12-monatigen Wartezeit eine Behandlung beginnen, die oft die Schmerzproblematik
gänzlich ausklammert oder losgelöst
vom Konzept des Schmerztherapeuten
in eine wiederum willkürliche Richtung
agiert. Salutogenetische Strategien müssen darüber hinausgehen und den Patienten im Bewusstsein erziehen, dass er
selbst Wesentliches verändern und et-
was für sich und seine Gesundheit tun
muss und kann!
Fazit für die Praxis
Die gegenwärtige Konfiguration des Gesundheitssystems sieht ganzheitliche
Gruppenangebote in Ernährungsmedizin, Bewegung, Konditions- und Krafttraining und Psychosomatik gar nicht
vor. Schmerzzentren müssen sich momentan mühevoll ihre eigenen Netz­
werke aufbauen und darum kämpfen,
entsprechende Maßnahmen bei der zentralen Zertifizierungsstelle der Krankenkassen für Prophylaxe-Maßnahmen
registrieren zu lassen. Sowohl in der
schmerztherapeutischen Aus- und Weiterbildung als auch in der täglichen Praxis muss gegen bürokratische Hindernisse die Symbiose aus Schmerzmedizin,
Ernährungsmedizin/Naturheilkunde
und moderner Umweltmedizin gefördert und auch in breitem Umfang durchgesetzt werden.
3. Das Antikrebs-Buch, David Servan-Schreiber,
Kunstmann
4. Darm mit Charme, Giulia Enders, Ullstein
5. Der Darm denkt mit, Klaus-Dietrich Runow,
Südwest
6. Bauchhirn: http://www.hs-furtwangen.de/
willkommen/aktuelles/aktuelleseinzelansicht/3021-forschungsprojekt-unser-bauchhirn-verstehen.html
7. Umwelt-Medizin-Gesellschaft Ausgabe 1
und 2/2016, Forum Medizin Verlagsgesellschaft
8. Deutsche Gesellschaft für Ernährung,
www.dge.de
9. Powerfood – Lustvoll schlemmen mit bioaktiven Substanzen, Professor Claus Leitzmann, Helmut Million, Gräfe und Unzer (GU)
Weiterführende Literatur
1. Lehrbuch Integrative Schmerztherapie,
­Herausgeber Lorenz Fischer / Elmar T.
­Peuker, Haug Verlag, S.312-327 (V.Zettl,
G.Wagner, G.Hölz)
2. Chronische Erkrankungen integrativ,
­Herausgeber G.Dobos, U.Deuse, A.Michalsen. Urban&Fischer, S.352-368 (Christiana
­Pithan, Andreas Michalsen)
Dr. med. Günther Bittel
Leiter des regionalen
DGS-Schmerzzentrums
Duisburg
Facharzt für Anästhesiologie und Allgemeinmedizin/Spezielle Schmerztherapie/Akupunktur
Krefelder Str. 26, 47226
Duisburg
Dipl.Ing. Gabriele
Wagner
Hochschule Albstadt-­
Sigmaringen
Leiterin Ernährungslehre
und -beratung und Lehrküche der Kurparkklinik
Überlingen
Erratum
Erratum zum Beitrag: Sicherheitsstandards für die Lokal- und Regionalanästhesie
Winfried Hoerster, Schmerzmedizin 2016;32(5):22–29
DOI: 10.1007/s00940-016-0178-8
In Tabelle 6 ist das Medikament Dabigatran versehentlich den Faktor Xa Inhibitoren zugeordnet worden. Richtig ist aber Dabigatran
ein Thrombin Faktor IIa Inhibitor. Dabigatran wird neben der
Thromboseprophylaxe im Rahmen großer Operationen auch zur
Schlaganfallprophylaxe bei nicht valvulärem Vorhofflimmern eingesetzt. Dabigatran ist ein Prodrug und wird abhängig von Leberund Nierenfunktion verstoffwechselt. Zudem müssen zahlreiche
Medikamenteninteraktionen beachtet werden. Routinemonitoring der Gerinnung wird nicht empfohlen, bei operativen Eingriffen und interventionellen therapeutischen Regionalanästhesien
muss die Gerinnungssituation abgeklärt werden. Sensitiv ist die
Thrombinzeit, die unter Dabigatran dosisabhängig verlängert
wird. Die Thromboplastinzeit (Quick, INR- Tests) ist zum Monitoring nicht geeignet. Im Zweifelsfall, etwa bei Niereninsuffizienz,
sollte der Plasmaspiegel von Dabigatran bestimmt werden.
Schmerzmedizin 2016; 32 (6) ­ ktuell steht auch ein Dabigatran-Inhibitor zur Verfügung: IdaruciA
zumab wurde von der EMA inzwischen zugelassen.
Literatur
www. pharmazeutische-zeitung.de
Simon L et al. Dtsch.Med. Wochenschr 2014;139:94–8
Dr. med. Winfried Hoerster
Facharzt für Anästhesiologie, Spezielle Schmerztherapie
Mozartstraße 5, 35392 Gießen
E-Mail: [email protected]
Zitierweise des Erratums:
Hoerster W. Sicherheitsstandards in der Lokal- und Regionalanästhesie. Schmerzmedizin 2016;32(6):39
DOI: 10.1007/s00940-016-0414-2
39
DGS
c
G
Im
c Auftrag
rzm z n der
V
www
dgschm rzmediz n.de
Schmerzfreiheit
Die wichtigsten Ziele der DGS:
— Förderung der Schmerzmedizin in
Forschung und Lehre
— Entwicklung von Standards für die
Aus-, Fort- und Weiterbildung in
Schmerzmedizin
— Entwicklung von Qualitätsstandards
in der Schmerzmedizin
— Weiterbildung auf allen Gebieten der
Schmerzdiagnostik und -therapie
— Qualitative und quantitative Verbesserung der schmerzmedizinischen
Patientenversorgung
— Förderung der palliativmedizinischen Versorgung
— Aufbau eines nationalen und internationalen Netzwerkes Schmerz­
medizin
— Versorgungsforschung im Bereich
der Schmerzmedizin
— Gründung regionaler Schmerz­
zentren und Schmerzkonferenzen
— Wissenschaftliche und fachliche
­Beratung und Unterstützung von
Ärzten, Psychologen und allen
­Berufsgruppen in der Patienten­
versorgung
— Wissenschaftliche und fachliche
­Beratung von öffentlich-rechtlichen
­Körperschaften, Kostenträgern,
­Politik und Öffentlichkeit
— Flächendeckende schmerzmedizinische Versorgung durch Etablierung
eines Facharztes für Schmerzmedizin
Deutsche Gesellschaft für
Schmerzmedizin e. V.
Geschäftsstelle: Heike Ahrendt
Adenauerallee 18, 61440 Oberursel
Telefon: 06171 286061, Fax: -286069
E-Mail: heike.ahrendt@
dgschmerzmedizin.de
Vorstand:
Dr. med. Gerhard H. H. Müller-Schwefe
(Präsident)
Dr. med. Oliver Emrich (Vizepräsident)
Dr. med. Johannes Horlemann
­(Vizepräsident)
Klaus H. Längler (Vizepräsident)
Dr. Silvia Maurer (Vizepräsidentin)
PD Dr. med. Michael A. Überall
­(Vizepräsident)
www.dgschmerzmedizin.de
40
Deutsche Gesellschaft für Schmerzmedizin e.V.
DGS aktuell
Schmerzmedizin –
trübe Aussichten?
I
have a dream …
Das war der Auftakt der berühmten
Rede von Martin Luther King am 28.
August 1963, die er vor mehr als 250.000
Menschen vor dem Lincoln Memorial in
Washington D. C. hielt. Damals ging es
um etwas, das bis heute nicht vollständig realisiert ist: die Gleichberechtigung
der Menschen und die Chancengleichheit unabhängig von der Hautfarbe und
der sozialen Herkunft. Mir kam dieser
Satz in den Sinn, weil er Aufbruch
­signalisierte, Solidarität und Zukunftsvision und einen Auftrag formulierte zur
Veränderung und Verbesserung in
­gesellschaftlichen Belangen.
Solche Visionen sollten aber nicht nur
für den großen gesellschaftlichen Kontext gelten, sondern auch für die alltäglichen Nöte und Sorgen der Menschen.
Chronisch Schmerzkranke und Palliativpatienten beispielsweise stellen einen
Ansatzpunkt dar, an dem weitere Verbesserungen nun wirklich notwendig wären.
In Deutschland ist die Versorgung noch
vergleichsweise gut geregelt. Wir klagen
auf hohem Niveau. In anderen Ländern,
vor allem in den Staaten der sogenannten dritten Welt oder Schwellenländern
ist die Versorgung nur marginal oder
überhaupt nicht gegeben, auch wenn es
dort angemeldete nationale Chapter der
IASP (International Association for the
Study of Pain) geben sollte.
Konkrete Versorungsstrukturen?
Die Morgenröte der organisierten „Verfassung“ einer versorgenden Schmerztherapie begann mit Dr. John J. Bonica,
(ebenfalls) in Washington, als er 1973 die
IASP mit begründete, einen Kongress zu
Schmerz ins Leben rief, einen Lehrauftrag an der Universität für Schmerztherapie bekleidete, und vor allem als er das
erste interdisziplinäre „Pain Treatment
„Solche Visionen sollten
aber nicht nur für den
großen gesellschaftlichen Kontext gelten,
sondern auch für die
alltäglichen Nöte und
Sorgen der Menschen.“
Dr. med. Oliver Emrich
Vizepräsident der Deutschen
Gesellschaft für Schmerzmedizin e. V.
Center“ gründete. Dieser Aufbruch in
eine organisierte Schmerztherapie war
der Startschuss für viele nationale Initiativen, die letztendlich in die Gründung
von Fachgesellschaften mündeten. In
Deutschland formierte sich 1975 die
DGSS (Deutsche Gesellschaft zum Studium des Schmerzes, zuletzt umbenannt in
Deutsche Schmerzgesellschaft) und 1984
die DGS (Deutsche Gesellschaft für
Schmerz­medizin, vormals StK, Schmerztherapeutisches Kolloqium). Man kann
sich über die Wortfindungen und die Tatsache, dass es zwei Fachgesellschaften
gibt, natürlich trefflich streiten, letztendlich transportieren die Protagonisten und
das Selbstverständnis der Gesellschaften
wissenschaftliche Ergebnisse in den praktischen Versorgungsalltag von Schmerzund Palliativpatienten. Diese Entwicklung führte dazu, dass auch die Versorgungstrukturen und -inhalte für die Patienten konkret formuliert und definiert
werden konnten.
1984 erreichte die DGS/StK eine erste
Schmerztherapie-Vereinbarung, 1996
wurde auf der Qualitätsbasis der DGS
Algesiologen-Zertifikate die Zusatzbezeichnung „spezielle Schmerztherapie“
eingeführt. 2005 wurde die „Schmerztherapie“ eine verbriefte Leistung
Schmerzmedizin 2016; 32 (6)
Deutsche Gesellschaft für
Schmerzmedizin e. V.
www.dgschmerzmedizin.de
im einheitlichen Bewertungsmaßstab
(EBM), also in dem Verzeichnis, auf das
alle gesetzlich Krankenversicherten in
der Versorgung Anspruch haben. Die
Kompensation der Ärzte für ihre Leistung ist darin in Euro-Beträgen ausgewiesen und man könnte meinen, damit
wäre nun endgültig geregelt, dass alle
Patienten ausreichend behandelt würden und die Ärzte ihr gerechtes Honorar
für die erbrachte Leistung bekämen.
Flickenteppich der Versorgung
Leider eine Mogelpackung, denn die
Kassenärztlichen Vereinigungen haben
das Verteilungs- und Kontrollrecht über
die tatsächlichen Arzthonorare (HVMHonorarverteilungsmaßstab) und die
Qualitätsprüfung. Dadurch ist in
Deutschland mittlerweile ein Flickenteppich an Versorgungsinkongruenzen
entstanden und niemand weiß, wie dies
aufzulösen wäre. Die Anzahl an Patienten, die ­einem einzelnen Schmerztherapeuten zugestanden wird, damit er nach
der EBM-Ziffer 30704 Schmerzzentrum
sein kann, schwankt ab 300 pro Quartal
und ist nach oben hin offen. Außerdem
­werden die Saläre der Leistungen gemäß
dem Leistungsverzeichnis häufig abgestaffelt und sind also de facto gar keine
Euro-Beträge, wie ausgewiesen. In der
GOÄ gibt es schon gar keine festen
­Regeln ­bezüglich der Abrechnung und
Leistungserbringung schmerztherapeutischer Leistungen. Da ist es kein Wunder, dass es unter diesen Voraussetzungen kein überbordendes Interesse daran
gibt, Schmerztherapeut zu werden. Hört
man in die Anästhesie-Abteilungen der
Kliniken, ist es nicht der erste Wunsch
der jungen Kollegen in die Schmerz­
therapie-Abteilung versetzt zu werden.
Da locken OP, Emergency Room und
Notfall- oder Intensivmedizin viel eher.
Und wie soll der Nachwuchs für die
Schmerztherapie motiviert werden?
Es sei erlaubt, bezüglich der Weiterentwicklung der Schmerztherapie eher
pessimistisch in die Zukunft zu blicken.
Zwar emanzipiert sich die Schmerz­
therapie zusehends von der Anästhesie.
Allgemeinärzte, Orthopäden, Internisten und Neurologen sind durch die Zusatzqualifikation ebenfalls Schmerz­
therapeuten und die Zeiten, in der die
Schmerztherapie ein angeborener Teil
Schmerzmedizin 2016; 32 (6) der Anästhesie wäre, sind klar erkennbar
vorbei. Aber eine Aufbruchstimmung,
vergleichbar der in den 1970er-Jahren,
ist nur schwerlich zu erkennen, auch
wenn Studenten nun die Querschnittsfächer Palliativmedizin und Schmerztherapie obligat absolvieren müssen. Die
Wörter „obligat, „absolvieren“ und
„müssen“ sind bewusst so von mir gewählt, denn auf die Begeisterung für ein
solch wichtiges und für Behandler und
Patienten häufig so befriedigendes Fachgebiet käme es eigentlich an. Schon jetzt
ist es schwierig Schmerztherapie-Praxen
weiterzugeben, ganz ähnlich den Problemen der allgemeinärztlichen Versorgung auf dem „flachen Land“. Es ist
schlicht und ergreifend wenig attraktiv
Schmerztherapeut zu sein und zu werden, und auf Augenhöhe anerkannt mit
den anderen Fachdisziplinen ist die
Schmerztherapie bislang nicht. Wir sind
nämlich ganz weit entfernt von der vielleicht wichtigsten Lösung des Problems:
einem Facharzt für Schmerzmedizin.
Wer möchte schon Guru und letzter EndVersorger von Patienten sein, wenn alle
anderen Fachdisziplinen versagt ­haben:
„Sie sind austherapiert“ – „Herr Doktor,
Sie sind meine letzte Rettung“. Wir müssen dringend wieder ein ­Bewusstsein für
den hohen Auftrag an die Schmerztherapie wecken und junge Mediziner dafür
begeistern. I have a dream …
Es fehlt an Standards
In Deutschland müssen 23 Millionen
Menschen, davon 2,8 Millionen schwerst
Schmerzkranke, speziell schmerztherapeutisch versorgt werden. Klar ist, die
Schere zwischen den zu Versorgenden
und den qualifizierten Versorgern klafft,
vielleicht entwickelt sie sich sogar noch
weiter auseinander. Denn die Qualifikationen der Versorger und die Strukturen,
in denen sie arbeiten, sind so unterschiedlich, dass es sehr schwierig ist, einen einheitlichen Standard zu definieren. Auch der gemeinsamen Kommission der Fachverbände DGSS, DGS,
IGOST und des Berufs­verbandes BVSD
ist dies zuletzt nicht recht gelungen. Dabei wäre es so einfach: An der Basis
müsste der Hausarzt, ähnlich der Fachkunde Palliativmedizin, eine Fachkunde Schmerztherapie praktizieren dürfen,
für die er sich qualifizieren könnte und
dafür ein Honorar bekommen würde.
Dafür müsste er die „Basics“ der
Schmerzanalyse (Dokumentation und
Verlaufsbeobachtung) und der Schmerztherapie kompensiert umsetzen (dürfen).
Die DGS hat hier schon von Anbeginn
der Definitionen und Standards eine solche Fachkunde definiert und für ihre
Mitglieder Qualifikationen geprüft. Erreichen kann man bei uns eine verbandsinterne „Fachkunde (Schwerpunkt) Schmerztherapie“. Der nieder­
gelassene spezielle Schmerztherapeut in
einer Schwerpunktpraxis, einem Regionalzentrum DGS (oder vergleichbar),
wäre dann anschließend oder ­begleitend
der pluripotente Spezialversorger mit
Kenntnissen in der inneren Medizin, der
Pharmakologie, der neuro-orthopädischen Untersuchung, der manuellen Medizin, der diagnostisch-­t herapeutischen
Lokal- und Leitungs­
anästhesie, der
Akupunktur, der psychosomatischen
(Grund-)Versorgung, vielleicht sogar
auch der Homöopathie und anderen
Randgebieten. Auch müsste er obligat
vernetzt sein mit Physio- und Psychotherapeuten, die erklärtermaßen kooperieren, oder sogar diese wichtigen Versorgungen in der Einrichtung vorhalten.
I have a dream ...
Träumen aber muss erlaubt sein, nämlich davon, was alles besser sein könnte.
Der schmerzliquidierende Allgemeinarzt, der abgesicherte Facharzt für
Schmerzmedizin, es wäre so einfach,
aber ob das durchgesetzt werden kann?
Ich bin skeptisch, aber die Hoffnung, so
sagt man, stirbt zuletzt …
Dr. med. Oliver Emrich
Deutscher Schmerzpreis 2017
Der Deutsche Schmerzpreis 2017 wird
im Rahmen des Deutschen Schmerzund Palliativtages verliehen, der vom
22. bis 25. März 2017 in Frankfurt/Main
stattfinden wird. Er wird von der Firma
Mundipharma gestiftet und ist mit
10.000 € dotiert. Nominierungen und
Bewerbungen werden bis zum 30. November 2016 bei der DGS-Geschäftsstelle angenommen. Die Wahl erfolgt
durch eine unabhängige Jury und den
wissenschaftlichen Beirat.
41
DGS
Deutsche Gesellschaft für Schmerzmedizin e. V.
Geschichte der Schmerztherapie
Wie wir wurden, was wir sind
Der Schmerzmedizin kommt zunehmend mehr Beachtung zu. Dies war jedoch nicht immer so. Bis zur
­Emanzipation war es ein langer Weg, der noch nicht abgeschlossen scheint.
©© C. Schiller / fotolia.com
—zwölfmonatige ganztägige Weiterbil­
dung in einer zugelassenen Schmerz­
abteilung
—Nachweis der Durchführung spezifi­
scher Verfahren
—Verwendung einer standardisierten
Exploration und Dokumentation mit
standardisierter Anamnese inklusive
Aussagen zur Chronifizierung und
zum Ausmaß der psychosomatischen
Auswirkungen (Deutscher Schmerz­
fragebogen, iDocLive®)
—Schmerzanalyse und Differenzial­
diagnose
—Erstellung eines Therapieplans mit
Festlegung der Therapieziele
—Multidisziplinär in Diagnose und The­
rapie und Teilnahme oder Durchfüh­
rung von monatlichen interdisziplinä­
ren Schmerzkonferenzen mit Patien­
tenvorstellung.
Hippokrates war der Ansicht, dass Schmerzen durch ein Ungleichgewicht der humoralen Säfte hervorgerufen werden.
D
ie Schmerztherapie ist zu einem
eigenständigen, etablierten und
wissenschaftlich fundierten Me­
dizinbereich der „Versorgung (chro­
nisch) schmerzkranker Patienten“ ge­
wachsen. Man könnte denken, dies sei
schon länger so, aber erst seit zehn Jah­
ren ist die „Schmerztherapie“ eine der
„Arztgruppen übergreifenden allgemei­
nen Leistungen“ im Kapitel 30.7 des Ka­
talogs der kassenärztlich abrechenbaren
Leistungen des EBM in Deutschland.
Dieses Kapitel wurde 2005 implemen­
42
tiert und umfasst die heute etablierten
allgemeinen und speziellen schmerz­
therapeutischen Methoden, wie sie in
der Qualitätssicherungsvereinbarung
dazu beschrieben sind. Darin fest­gelegt
ist im Wesentlichen wer als Schmerz­
therapeut gilt, welche Voraussetzungen
er erfüllen und welches Tätigkeitsspek­
trum er obligat abdecken muss:
—Zugang für alle klinischen Fachgebiete
—Curriculare Qualifikation in einem 80
Stunden-Kurs
—psychosomatische Grundversorgung
Emanzipation der Schmerzmedizin
Im Kanon der medizinischen Professio­
nen (Hausarzt/Facharzt) bleibt die spe­
zielle Schmerztherapie oder Schmerz­
medizin jedoch eine Zusatzbezeichnung
zum klinischen Fach und ist nach wie
vor keine eigenständige Facharztbe­
zeichnung. 1996 wurde die Zusatzbe­
zeichnung „Spezielle Schmerztherapie“
vom Deutschen Ärztetag Addendum zu
den klinischen Fächern hinzugefügt (12
Monate WB zusätzlich zur Facharzt WB,
80 Stunden Curriculum). Seit 2003 ist
der Weg zur Zusatzbezeichnung an das
(Muster-) Logbuch „Zusatz-Weiterbil­
dung Spezielle Schmerztherapie“ der
Bundesärztekammer gebunden.
2012 wurde die Schmerzmedizin als
Querschnittsfach in die Approbations­
ordnung der Ausbildung von Medizin­
studenten aufgenommen. Damit sind
die Universitäten erstmals verpflichtet,
dieses Fach strukturiert in die Lehre auf­
Schmerzmedizin 2016; 32 (6)
Deutsche Gesellschaft für
Schmerzmedizin e. V.
www.dgschmerzmedizin.de
zunehmen und Studenten darin auszubilden und zu prüfen. Damit sollen das
Wissen angehender Mediziner in der
Schmerztherapie besser strukturiert
und Berufsanfänger dafür motiviert
werden. Traditionell ist die Geschichte
der speziellen Schmerztherapie mit dem
Fach Anästhesie verbunden, das ebenfalls erst seit etwa 60 Jahren als eigene
Facharztdisziplin anerkannt und implementiert ist. Zunehmend emanzipiert
sich die Schmerztherapie aber von der
Anästhesie und auch Allgemeinärzte, Internisten, Orthopäden und Neurologen
akkreditieren sich in diesem Bereich.
Derzeit haben sich drei Fachgesellschaften etabliert:
—Die 1975 gegründete Deutsche Gesellschaft zum Studium des Schmerzes
(DGSS). Sie ist seit 2012 in Deutsche
Schmerzgesellschaft (DSG) umbenannt und zählt etwa 2.500 Mitglieder, die in der großen Mehrheit Anästhesisten sind und die traditionell eher
aus dem klinischen universitären und
Forschungs­bereich kommen.
—Die 1984 gründete sich die Deutsche
Gesellschaft für Schmerzmedizin
(DGS), vormals StK (Schmerztherapeutisches Kolloquium). Ihre etwa
4.000 Mitglieder sind mehrheitlich
Allgemeinmediziner/ Internisten, danach Anästhesisten, Neurologen; traditionell eher aus dem niedergelassenen und klinischen Versorgungsbereich.
—Der interdisziplinären Gesellschaft für
orthopädische
Schmerztherapie
(IGOST) gehören etwa 1.000 Mitglieder, mehrheitlich Orthopäden, an.
Da Doppelmitgliedschaften nicht die
Regel sind, kann man somit sogar sagen,
dass bis zu 7.000 Medizinern in den
Fachgesellschaften der Schmerzmedizin
Deutschlands organisiert und engagiert
sind, was man sich vor 40 Jahren kaum
hätte vorstellen können.DSG und DGS
veranstalten je einen eigenen Jahreskongress, den Deutschen Schmerzkongress,
traditionell jährlich im Oktober in
Mannheim, sowie den Deutschen
Schmerz- und Palliativtag, traditionell
jährlich im März in Frankfurt.
Die berufspolitischen Interessen vertritt der Berufsverband der Ärzte und
­Psychologischen Psychotherapeuten in
der Schmerz- und Palliativmedizin in
Schmerzmedizin 2016; 32 (6) Deutschland e.V. (BVSD) in Berlin (etwa
600 Mitglieder).
Die antike Schmerzmedizin
Die Geschichte der Schmerztherapie,
des Verständnisses der Schmerzent­
stehung und der Behandlungsoptionen
reicht weit zurück, denn der Schmerz ist
eines der grundlegenden Gesundheitsthemen seit Anbeginn der Menschheit.
Überlieferte Aufzeichnungen über
Schmerz und Schmerztherapie fanden
sich auf den Schiefertafeln der Babylonier, den Papyrusrollen der Ägypter, persischen Lederschriften, Inschriften in
Griechenland, Pergamentrollen der Trojaner und in der Bibel, dem Koran und
anderen religiösen Schriften.
Die Behandlung durch Handauflegen
ist wohl die älteste Form der Schmerztherapie und findet sich bereits in steinzeitlichen Höhlenzeichnungen. Unsere
Urahnen kannten die „Druckanalgesie“
und die physikalische Wirkung von
Wasser, Wind, Kälte und Feuer. Schmerz,
wenn nicht durch sichtbare Verletzung
hervorgerufen, wurde bösen Geistern
oder Giften zugeschrieben, die man beschwören, ausleiten oder exorzieren
musste. Schamanen, Heiler, Medizinmänner sind in manchen Kulturen heute noch bekannt, häufig wurden auch
Frauen besondere Heilkräfte zugesprochen. Geheilt wurde mit bestimmten
­R iten und durch als wirksam überlieferten pflanzlichen Mitteln.
In den weiter entwickelten Gesellschaften des Altertums „glaubte“ man
an durchaus unterschiedliche Schmerzmechanismen und vertraute dabei weiter auf sich lange bis ins Mittelalter und
darüber hinaus tradierte Behandlungsformen. Die alten Ägypter dachten, dass
Schmerzen, die nicht durch Verwundung zu erklären waren, durch Götter
wie den Sonnengott Ra oder Seht, den
Gott des Chaos bewirkt werden. Auch
die Vorstellung, dass die Geister der
­Verstorbenen, die nachts durch Nase
oder Ohr in den Körper drängten,
Schmerzen auslösen, war verbreitet. Sie
glaubten an ein Gefäßnetzwerk, das die
Lebensenergie zum Herz führe, schließlich konnte man über dieses Gefäßsystem Mumien auch haltbar machen.
­Buddhisten und Hinduisten im alten
asiatischen Raum, besonders in Indien
waren dagegen viel mehr davon überzeugt, dass ein Ungleichgewicht von unangenehmen Emotionen Schmerz hervorruft. Sie dachten aber auch, dass das
Herz im Zentrum stünde. Im alten China wurde Schmerz als ein Ungleich­
gewicht von Körperkräften im System
der Meridiane verortet und die Therapie
über die Beeinflussung von spezifischen
Punkten auf diesen Energielinien praktiziert. Eine Methode, die sich bis heute
erfolgreich hält und sogar in kontrollierten Studien nach heutigem Wissenschaftsverständnis einen Wirksamkeitsnachweis erbrachte.
Im alten Griechenland hatte man
ebenfalls Kenntnis von den Gepflogenheiten anderer und Vorläufer-Kulturen.
Pythagoras (566–497 v. Chr.) bereiste
beispielsweise vieler dieser Länder. Die
Ähnlichkeiten der Auffassungen sind
evident: Hippokrates (460–370 v. Chr.)
auf dessen Eid bis heute alle Ärzte verpflichtet sind, glaubte dass ein Ungleichgewicht der humoralen Säfte Schmerz
hervorruft. Am Nachhaltigsten bis in
die in die Renaissance hinein war aber
das Krankheitsbild des Aristoteles (384–
322 v. Chr.), der das Herz im Zentrum
aller Sinne sah. Das Gehirn, glaubte er,
kühle lediglich das heiße, aus dem Herzen aufsteigende Gefühl, den Schmerz.
Seine Nachfolger und Schüler, kamen
aber schon zu der Erkenntnis, dass das
Gehirn ein Teil des Nervensystems und
dass die Nerven für Sensorik und Motorik über die Neuroaxis verbunden seien.
Herophilos werden die ersten wissenschaftlichen Obduktionen am Menschen zugeschrieben, die wesentlich zur
Kenntnis des Gehirns beitrugen.
Im alten Rom war Celsus (25 v. Chr. –
50 n. Chr.) der erste, der die Entzündung
im heutigen Sinne mit den Kennzeichen
Schwellung, Röte, Hitze und Schmerz
beschrieb. Einen Bezug zu den Erkenntnissen von Herophilus stellte er aber
noch nicht her. Erst Galen (129–200 n.
Chr.) erinnerte sich im späten Rom an
diese Theorien und forschte unter Marc
Aurel am Nervensystem. Er war der erste, der klare Beschreibungen der Anatomie des zentralen und peripheren
­Nervensystems als auch des vegetativen
Nervensystems erstellte. Er klassifizierte
weiche Nerven für das Gefühl, harte
Nerven für die Motorik und eine dritte
43
DGS
Art von Nerven, die für Schmerz zustän­
dig sein sollten. Über allen Sinnen stand
bei ihm das Gehirn. Trotzdem schaffte
es das Modell des Aristoteles, bei dem
das Herzen das Zentrum für alle Sinne,
auch des Schmerzes, darstellte für 23
Jahrhunderte alle anderen teils außer­
ordentlich exakten Beschreibungen des­
sen, was wir heute wissen zu dominieren,
damit auch die Therapie.
Die Entwicklung hin zur Moderne
Im Mittelalter standen die Forschung
und damit die Fortschritte der Schmerz­
medizin quasi still. In dieser Zeit etab­
liert sich die arabische Medizin als
Schrittmacher. Avicenna (980–1037 n.
Chr.), besser bekannt als Ibn Sina (Ka­
non der Medizin) in Persien, beschrieb
die Wirksamkeit von peroral zugeführ­
ten Anästhetika. Im 12. Jahrhundert
wurde der Kanon ins Lateinische über­
setzt. Das Werk, von dem 1470 im ge­
samten Abendland 15–30 lateinische
Ausgaben existierten, galt bis ins 17.
Jahrhundert als wichtiges Lehrbuch der
Medizin. 1493 erschien es in Neapel in
einer hebräischen Fassung, 1593 wurde
es als eines der ersten persischen Werke
in Rom in arabischer Sprache gedruckt.
1650 wurde der Kanon zum letzten Mal
an den Universitäten von Löwen und
Montpellier benutzt.
Trotzdem dominierte weiter die Auf­
fassung von Aristoteles, sie wurde aber
längst nicht mehr von allen geteilt. In
der Renaissance (15.–16. Jhd.) kam es zu
detaillierteren Einsichten in die Funkti­
on des Nervensystems. Rene Decartes
(1596–1650) war der erste, der das abge­
stufte Nervensystem als Ort der Entste­
hung von Schmerzen beschrieb.
Im frühen 19. Jahrhundert etablierte
sich eine Forschung auf dem Gebiet der
Schmerzphysiologie im heutigen Sinne,
verbunden mit Namen, wie Charles Bell
(1774–1842) und François Magendie
(1783–1855). Das sogenannte Magendie
und Bell-Gesetz formulierte die Er­
kenntnis der funktionellen Trennung
der vorderen und hinteren Spinalner­
venwurzeln. Friedrich Sertürner (1783–
1841) entdeckte das „Morphin“ indem er
Morphium aus Roh-Opium isolierte.
Francis Rynd (1801–1861) und Alexan­
der Wood (1817–1884) erfanden die
Hohlnadel und Spritze, eine unermess­
44
Deutsche Gesellschaft für Schmerzmedizin e. V.
lich bedeutsame Entdeckung für die
Entwicklung der Schmerztherapie.
Die organsierte Schmerztherapie als
eigenständiger Forschungsgegenstand
und Profession entwickelten sich aber
erst langsam seit den 1970er-Jahren.
1974 wurde die IASP (International
­Association for the Study of Pain) unter
­ihrem ersten Präsident John J. Bonica in
den USA gegründet. Seine Vision war
die Installation einer internationalen,
inter­disziplinären Schmerzforschung
und Schmerztherapie. Bald darauf, 1976
gründete sich die deutsche Sektion der
IASP, die DGSS (seit 2012 DSG). Die
IASP hat heute über 7.000 Mitglieder in
aller Welt.
Forschung und Kongresse waren das
eine. Die Implementierung einer eigen­
ständigen Schmerztherapie im ambu­
lanten und stationären Bereich durch
dazu berufene ärztliche Protagonisten
und die Anerkennung der Schmerzthe­
rapie als eine besondere und weiterfüh­
rende Expertise das andere. In den frü­
hen 1980er-Jahren begannen deshalb
­Pioniere im niedergelassenen Bereich
nur noch Schmerzpatienten zu behan­
deln und nicht mehr ihrer ursprüngli­
chen Profession aus der sie stammten,
die Anästhesie.
Die ersten „Schmerztherapeuten“
nach gegenwärtiger Definition in
Deutschland waren unter anderem Chi­
rurgen. Nach dem 2. Weltkrieg bettete
die neue Fachrichtung der Anästhesis­
ten ihre Möglichkeiten der „Blockie­
rung“ von Schmerzimpulsen in ein the­
rapeutisches Konzept ein. Inzwischen
verlässt die Schmerzmedizin das Kon­
zept der Dominanz der Anästhesie und
wächst in ein Konzept des Zusammen­
wirkens multiprofessioneller Bestandtei­
le eines Therapiegebäudes für schwierige
Fälle chronischer Schmerzerkrankun­
gen hinein. Die Schmerzmedizin etab­
liert sich zunehmend als eigenständiges
Fach im Kanon der ärztlichen Speziali­
sierungen. Kein Weg führt deshalb vor­
bei an der Anerkennung eines Facharz­
tes für Schmerzmedizin.
Literatur beim Verfasser
SanRat Dr. med. Oliver Emrich,
Ludwigshafen
Einladung zur
Mitgliederversammlung der DGS
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,
liebe Mitglieder,
zu der ordentlichen Mitgliederversammlung im Rahmen des 28. Deutschen Schmerz- und Palliativtages 2017,
möchte ich Sie recht herzlich einladen.
Datum:
Mittwoch, 22. März 2017 ab 18:15 Uhr
Ort:
Congress Center Messe Frankfurt
Ludwig Erhardt Anlage 1
60327 Frankfurt/Main
Raum Fantasie 1 + 2
Tagesordnung:
1. Eröffnung
2. Tätigkeitsbericht des Vorstands
3. Vorstellung Geschäftsbericht DGS
2016
4. Bericht der Rechnungsprüfer
5. E ntlastung des Vorstands für das Jahr
2016
6. S atzungsänderung: Verlegung des
Vereinssitzes nach Berlin
7. Verschiedenes
Die Mitgliederversammlung ist eingebunden in den Deutschen Schmerzund Palliativtag 2017, der vom 22. bis
25. März 2017 im Congress Center Messe
Frankfurt stattfindet.
Ich freue mich, Sie in Frankfurt am Main
begrüßen zu können.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. med. Gerhard H. H. Müller-Schwefe
Präsident Deutsche Gesellschaft für
Schmerzmedizin e.V.
Zu TOP 6:
§ 1 der Satzung bisher:
§ 1 Name und Sitz
(1) Der Verein führt den Namen
­„Deutsche Gesellschaft für
­Schmerzmedizin e. V.“.
(2) E r hat seinen Sitz und Gerichtsstand
in Oberursel.
(3) D
er Verein ist im Vereinsregister
­eingetragen; er ist vom Finanzamt
als gemeinnützig anerkannt.
Vorschlag zur Satzungsänderung:
§ 1 Name und Sitz
(1) Der Verein führt den Namen
­„Deutsche Gesellschaft für
­Schmerzmedizin e. V.“.
(2) E r hat seinen Sitz und Gerichtsstand
in Berlin.
(3) D
er Verein ist im Vereinsregister
­eingetragen; er ist vom Finanzamt
als gemeinnützig anerkannt.
Schmerzmedizin 2016; 32 (6)
Deutsche Gesellschaft für
Schmerzmedizin e. V.
www.dgschmerzmedizin.de
DGS-Schmerzzentrum am Krankenhaus Wangen
Individuelles Therapiekonzept für
jeden Patienten
Zum Klinikverbund der Oberschwabenklinik gehört bereits seit zwei
Jahrzehnten das regionale Schmerzzentrum Wangen. Dieses bietet
­seinen Patienten sowohl ambulant als auch stationär eine umfassende
individualisierte Schmerztherapie.
D
as regionale Schmerzzentrum
Wangen ist am Krankenhaus
Wangen des Klinikverbundes der
Oberschwabenklinik (OSK) im Landkreis Ravensburg angesiedelt. Es umfasst eine Schmerzambulanz sowie einen
stationären Bereich. Mit 15 Betten ist es
das größte bettenführende Schmerzzentrum der Deutschen Gesellschaft für
Schmerzmedizin e.V. (DGS) in BadenWürttemberg. Im Jahre 2015 feierte das
von Dr. Stefan Locher geleitete Schmerzzentrum sein 20-jähriges Bestehen.
Die Behandlung von Menschen mit
chronischen Schmerzen hat eine lange
Tradition am Krankenhaus Wangen. Bereits seit über 25 Jahren widmen sich die
Ärzte dort diesem wichtigen Gebiet der
Medizin. Seit 1995 ist es als Regionales
Schmerzzentrum der DGS anerkannt.
Seit mittlerweile elf Jahren ist die Klinik
Teil des Regionalen Schmerzzentrums
Ravensburg/Wangen in Kooperation
mit der Klinik für Anästhesie, Intensiv-,
Notfall- und Schmerzmedizin des Krankenhauses St. Elisabeth (OSK) in Ravensburg, den SINOVA Kliniken sowie
dem Zentrum für Psychiatrie.
Durch die jahrzehntelange Erfahrung
in der Behandlung von Patienten mit
chronischen Schmerzen ist das Team
um Dr. Stefan Locher in der Lage, ein
umfangreiches und stets individuelles
Behandlungsspektrum, das ständig erweitert wird, anzubieten. Die Behandlung mit Botulinumtoxin bei Migräne
wird seit 2013 erfolgreich angewandt.
Auch die Entzugstherapie bei übermäßi-
gem oder falschem Gebrauch von Medikamenten gehört zum Standardrepertoire. Dr. Stefan Locher ist außerdem
Chefarzt der Klinik für Anästhesie, Intensiv-, Notfall- und Schmerzmedizin
am Krankenhaus. Die insgesamt elf
Fachärzte seiner Klinik mit Zusatzbezeichnung für Spezielle Schmerzmedizin betreuen auch die Patienten des
Schmerzzentrums. Im Schmerzzentrum
Wangen werden jährlich rund 1.500 Patienten behandelt. Etwa 500 von ihnen
werden stationär aufgenommen.
Individuelles Behandlungskonzept
Eine Schmerzkrankheit kann viele Ursachen haben. Man spricht heute von einem biopsychosozialen Problem des
chronischen Schmerzes. Es ist deswegen
wichtig, bei der Behandlung die individuellen Krankheitssymptome zu erkennen und den Körper, die Seele sowie die
Folgen der Schmerzkrankheit zu behandeln. „Um aktiv gegen den Schmerz vorgehen zu können, versucht unser Team
gemeinsam mit den Patienten ein Konzept einer speziell auf ihn abgestimmten
Schmerzbehandlung zu erstellen“, erklärt Locher.
Bei allen chronischen Schmerzen werden eine interdisziplinäre Diagnostik in
enger Kooperation mit den verschiede-
DGS-Schmerzzentren stellen sich vor
Pain Nurse Natascha Köhler setzt auch
komplementäre Methoden wie Aroma­
therapie und Kräuterwerkstatt ein.
Schmerzmedizin 2016; 32 (6) In den regionalen DGS-Schmerzzentren erhalten Betroffene eine wirksame und kompetente
Schmerzbehandlung. Ob Fachärzte für Anästhesiologie, Allgemeinmedizin und Innere
­Medizin mit den Zusatzbezeichnungen spezielle Schmerz­therapie, Akupunktur oder Naturheilverfahren, ob Physiotherapeuten, Osteopathen oder Psychotherapeuten – nur die berufsgruppenübergreifende Vernetzung zwischen allen an der Behandlung von Schmerz­patienten
beteiligten Akteuren, kann die Versorgung unserer Patienten langfristig verbessern.
Die Deutsche Gesellschaft für Schmerz­medizin e.V. (DGS) ist bundesweit in 129 regionalen
DGS-Schmerzzentren organisiert, in denen interdisziplinäre Schmerzkonferenzen veranstaltet
werden. In unserer neuen Rubrik „DGS-Schmerzzentren stellen sich vor“ haben die ­Leiter eines
DGS-Schmerzzentrums die Möglichkeit, sich und Ihr Team vorzustellen.
Was ist das Besondere eines solchen Zentrums? Welche Schmerzkrankheiten werden behandelt? Welche Fachrichtungen werden abgedeckt? Worauf ist das Zentrum spezialisiert?
45
DGS
Deutsche Gesellschaft für Schmerzmedizin e. V.
Das Team des Schmerzzentrums Wangen: Dr. Jürgen Ruf, Bernd Harrer,
Chefarzt Dr. Stefan Locher, Helmut Beck und Eva Huber (von links).
Adressen und Kontaktdaten des Schmerzzentrums Wangen
Schmerzzentrum Wangen
Krankenhaus Wangen
Am Engelberg 29
88239 Wangen
Patienten mit Tumorerkrankungen
Tel: 07522/96-1376
Fax: 07522/96-1511
Weitere Informationen zum regionalen Schmerzzentrum Wangen u
­ nter
http://www.www.oberschwabenklinik.de
nen Fachdisziplinen sowie eine multi­
modale Schmerztherapie durchgeführt.
Diese umfasst den Einsatz medikamen­
töser Verfahren, psychologischer Ver­
fahren und Nervenblockaden sowie den
Aufbau und die Stärkung der Muskula­
tur. Die Ärzte des Schmerzzentrums set­
zen alle bewährten Verfahren der
Schmerztherapie ein – immer individu­
ell abgestimmt auf den einzelnen Patien­
ten. Die zum Schmerzzentrum gehören­
de Psychologin ist hier ab dem ersten
Schritt involviert.
Im Mittelpunkt stehen bei der multi­
modalen Schmerztherapie aktivierende
Behandlungsformen. Die Schmerzthera­
peuten bieten dazu ein abgestuftes, indi­
viduelles Konzept an, das aus folgenden
Bausteinen besteht: Trainingstherapie,
46
ernden Schmerzen nach Bandscheiben­
operationen, Folgestadien eines komple­
xen regionalen Schmerzsyndroms (Mor­
bus Sudeck), Schmerzen bei Gefäß­
erkrankungen oder bei Schmerzen bei
Spastik der Muskeln zum Einsatz. Im
Schmerzzentrum Wangen werden unter
anderem bildwandler- oder ultraschall­
kontrollierte diagnostische und thera­
peutische Blockaden, Rückenmarks­
elektrostimulation (Spinal Cord Stimu­
lation), Dorsalganglienstimulation, Blo­
ckaden unter computertomografischer
Kontrolle sowie die Behandlung mit
Schmerzpumpen (extern oder implan­
tiert) eingesetzt.
Diese Therapieformen setzen direkt
am Ort der Schmerzentstehung oder am
Nerv, der die Schmerzsignale an das Ge­
hirn weiterleitet, an. Eine Möglichkeit ist
Medikamente zur Schmerzbehandlung
oder zur örtlichen Betäubung einzubrin­
gen, eine andere, mit schwachen elektri­
schen Impulsen zu arbeiten. „Durch die­
se Behandlungen kann eine sichere und
nachhaltig anhaltende Schmerzredukti­
on bei deutlicher Zunahme der Lebens­
qualität erreicht werden“, so Locher.
Physiotherapie, Entspannung, Musik­
therapie, Aromatherapie, medika­
mentöse Behandlung, interventionelle
Schmerztherapie und Patientenschu­
lung sowie psychologische Betreuung.
„Alle diese Behandlungsformen sollen
dazu dienen, den Patienten wieder an ei­
nem selbstbestimmten Leben teilneh­
men zu lassen. Die Schmerztherapie
kann ambulant oder stationär erfolgen
und ist gezielt auf die Bedürfnisse der
Patienten abgestimmt“, erklärt der Lei­
ter des Schmerzzentrums.
Verbesserte Lebensqualität als Ziel
Ein wesentlicher Schwerpunkt der Ab­
teilung ist die interventionelle und
neuro­modulierende Schmerztherapie:
Diese kommt zum Beispiel bei andau­
Bei onkologischen Patienten werden
Symptome wie Atemnot, Erbrechen,
Übelkeit und andere den Patienten stark
belastende Symptome behandelt. Ein
wesentliches Ziel dabei ist, alle Patienten
so zu betreuen, dass die Schmerzen
deutlich reduziert werden oder ganz ver­
schwinden. Besonders bei Menschen mit
Tumorerkrankungen kommen starke
Medikamente sowie therapeutische Ver­
fahren wie Schmerzkatheter und -pum­
pen zum Einsatz. Diese Patienten wer­
den auch ambulant in enger Zusammen­
arbeit mit der Brückenpflege Clinic
Home Interface (CHI) sowie den nieder­
gelassenen Ärzten weiterbetreut. CHI ist
der ambulante Palliativversorger der
OSK, der als Teil der spezialisierten am­
bulanten Palliativversorgung (SAPV)
Tumorpatienten und kranke Menschen
mit begrenzter Lebenserwartung im
Landkreis Ravensburg und im Boden­
seekreis betreut.
Dr. med. Stefan Locher, Wangen
Klaus Kalmbach, Wangen
Schmerzmedizin 2016; 32 (6)
Deutsche Gesellschaft für
Schmerzmedizin e. V.
www.dgschmerzmedizin.de
Deutsche Pharmazeutische Gesellschaft
Pharmazeutische Wissenschaften zum
Wohle der Patienten
Die Deutsche Pharmazeutische Gesellschaft e.V. (DPhG) fördert seit
über 125 Jahren die wissenschaftliche Pharmazie. Davon profitieren
nicht nur Arzneimittelforscher und Apotheker, sondern auch Patienten.
D
er Fortschritt im Bereich der Arz­
neimittel ist in den letzten Jahren
rasant verlaufen. Aufgrund ihrer
wissenschaftlichen Ausbildung haben
Pharmazeuten ein großes Potential bei
der Erforschung und Entwicklung neu­
er, effektiver Arzneimittel. In der öffent­
lichen Apotheke und im Krankenhaus
übernehmen Apotheker die verantwor­
tungsvolle Aufgabe der ordnungsge­
mäßen Versorgung der Bevölkerung mit
Arzneimitteln. Um Patienten kompetent
beraten zu können, müssen Apotheker
naturwissenschaftlich ausgebildet sein
und die Arzneimittel in all ihren Facet­
ten kennen. Ein weiterer wichtiger
­Aspekt ist die Zusammenarbeit mit Ärz­
ten bei der Optimierung der Arzneimit­
teltherapie bei Patienten.
Forschung und Praxis vereint
Die Deutsche Pharmazeutische Gesell­
schaft e.V. (DPhG), die 1890 in Berlin ge­
gründet wurde, zählt heute mit über
10.000 Mitgliedern zu den großen
w issenschaftlichen Gesellschaften in
­
Deutschland. Die DPhG veranstaltet
jährlich etwa 150 wissenschaftliche Vor­
träge für Apotheker, ist Herausgeber der
Zeitschrift „Pharmakon“ und fördert als
unabhängige und gemeinnützig aner­
kannte Gesellschaft die wissenschaft­
lichen Interessen der deutschen Phar­
mazie. Das Besondere an der DPhG ist
die Struktur ihrer Mitglieder, denn vie­
le Mitglieder sind nicht in der For­
schung, sondern in der pharmazeuti­
schen Praxis tätig. Etwa ein Drittel der
Mitglieder sind Studierende und Dok­
toranden.
Schmerzmedizin 2016; 32 (6) Die DPhG, an deren Spitze ein interna­
tional anerkannter Wissenschaftler als
Präsident steht, gliedert sich regional in
15 Landesgruppen, die wiederum Unter­
gruppen bilden können. Die Gesell­
schaft bildet ohne regionale Gliederung
verschiedene wissenschaftliche Fach­
gruppen sowie themenspezifische Ar­
beitsgemeinschaften wie zum Beispiel
auf dem Gebiet der Arzneimittelsicher­
heit. Die Organe der Gesellschaft sind
das Präsidium, der Vorstand und die
Hauptversammlung.
Die DPhG ist die wichtigste wissen­
schaftliche Gesellschaft innerhalb des
pharmazeutischen Berufsstandes, die
ein umfassendes Fortbildungsangebot in
Form von Vorträgen, Kongressen und
Publikationen anbietet. Ein weiterer
Schwerpunkt ist die gezielte Förderung
von Wissenschaftlern in der Pharmazie.
Besonders wichtig ist für die DPhG die
Förderung des wissenschaftlichen Nach­
wuchses durch Stipendien, Preise und
spezielle wissenschaftliche Tagungen.
Die Zukunft des Faches Pharmazie
hängt entscheidend von der Qualität des
wissenschaftlichen Nachwuchses in der
Pharmazie ab. Die gezielte Nachwuchs­
förderung ist die Grundlage der wissen­
schaftlich orientierten Apotheke und
­sichert die qualitativ hohe Versorgung
der Bevölkerung mit Medikamenten.
Übersetzer für Patienten
Eine Pharmazie ohne Patient ist nicht
vorstellbar. Nur entsprechend naturwis­
senschaftlich ausgebildete Apotheker
sind in der Lage, Patienten kompetent
und verantwortungsvoll zu beraten. Die
Apotheker müssen dazu aber auch ler­
nen, wie sie wissenschaftliche Inhalte
und ärztliche Anordnungen für die Pa­
tienten in praxisgerechte Informationen
„übersetzen“. Die DPhG-Fachgruppe
„Klinische Pharmazie“ beschäftigt sich
intensiv mit solchen Fragestellungen.
Unter anderem wie die Gesamtsituation
des Patienten hinsichtlich seiner Er­
krankung und Arzneimitteltherapie
besser verstanden werden und die ge­
wonnenen Kenntnisse eingesetzt werden
können, um Patienten und Ärzte sowie
Angehörige anderer Gesundheitsberufe
in der optimalen Arzneimittelanwen­
dung bestmöglich zu unterstützen.
Kooperation mit der DGS
Im Bereich der Schmerzfortbildung geht
die DPhG seit letztem Jahr gemeinsame
Wege mit der Deutschen Gesellschaft für
Schmerzmedizin e.V. (DGS) und der
Deutschen Schmerzliga e.V. (DSL). In ge­
meinsamen Fortbildungsveranstaltun­
gen können Apotheker die spezielle
Sichtweise und Entscheidungsfindung
des Arztes hinsichtlich der Arzneimit­
teltherapie bei Schmerzpatienten ken­
nenlernen und dieses Wissen in der
pharmazeutischen Praxis zum Wohle
der Schmerzpatienten gezielt einsetzen.
Prof. Dr. Stefan Laufer
DPhG-Präsident
Pharmazeutische Chemie
Eberhard-KarlsUniversität Tübingen
Prof. Dr. Dieter
Steinhilber
DPhG-Altpräsident
Pharmazeutische Chemie
Goethe-Universtität
Frankfurt am Main
47
DGS

Weitere Informationen zu den
­Seminaren erhalten Sie über die
­Geschäftsstelle der DGS
Telefon: 06171 286060
Fax: 06171 286069
E-Mail: [email protected]
oder im Internet unter
www.dgschmerzmedizin.de
November 2016
Placebo / Nocebo
23.11.2016 in Osnabrück
Regionales Schmerzzentrum DGS – Osnabrück
Der „alte“ (Schmerz)Patient – altersphysiologische Veränderungen und therapeutische
Konsequenzen
30.11.2016 in Halle
Regionales Schmerzzentrum DGS – Halle Saale
Methoden der Schmerzmessung
09.02.2017 in Tübingen
Regionales Schmerzzentrum DGS – Tübingen
Interdisziplinäres Schmerzforum Siegen (ISS)
21.03.2017 in Siegen
Regionales Schmerzzentrum DGS – Siegen
NetzwerkApotheke Schmerz
15.02.2017 in Nürnberg
Geschäftsstelle DGS
Der Deutsche Schmerz- und Palliativtag 2017 –
PRAKTISCHE SCHMERZTHERAPIE und
PALLIATIVVERSORGUNG
Im Fokus: Schmerzmedizin - Praxis und Theorie
der Versorgung
22. – 25.03.2017 in Frankfurt am Main
Geschäftsstelle DGS
Update Morphine
16.02.2017 in Bad Säckingen
Regionales Schmerzzentrum DGS – Bad Säckingen
NetzwerkApotheke Schmerz
30.11.2016 in Unna
Geschäftsstelle DGS
Curriculum Spezielle Schmerztherapie, Block A
18. – 19.02.2017 in Frankfurt am Main
Geschäftsstelle DGS
Dezember 2016
Extrabudgetäre Verordnungsmöglichkeiten in
der Physiotherapie bei Schmerzpatienten
22.02.2017 in Halle
Regionales Schmerzzentrum DGS – Halle Saale
CME-Update Schmerz: Schmerztherapie im Alter
– Was ist in der Praxis wichtig?
05.12.2016 in Ludwigshafen
Regionales Schmerzzentrum DGS – Ludwigshafen
Qualitätszirkel Palliativversorgung
Siegen-Wittgenstein-Olpe
01.03.2017 in Siegen
Regionales Schmerzzentrum DGS – Siegen
Januar 2017
Curriculum Biofeedback-Therapeut DGS/
Biofeedback-Trainer DGS –
Grundlagenseminar 1
04. – 05.03.2017 in Frankfurt am Main
Geschäftsstelle DGS
Der Notfall in der Praxis – Reanimationsmaßnahmen, praktische Übungen am Dummy – Für
Ärzte und medizinisches Personal
25.01.2017 in Halle
Regionales Schmerzzentrum DGS – Halle Saale
Februar 2017
Fibromyalgie – alles Psycho oder was?
08.02.2017 in Haan
Regionales Schmerzzentrum DGS – Haan
1) Ernährung bei chronischen Schmerzen –
2) Osteopathie in der stationären
Schmerztherapie
08.02.2017 in Kassel
Regionales Schmerzzentrum DGS – Kassel
NetzwerkApotheke Schmerz
08.02.2017 in Stuttgart
Geschäftsstelle DGS
Schmerzmedizin 2016; 32 (6) Patientenverfügung – Vorsorgevollmacht – aus
notarieller Sicht
29.03.2017 in Halle
Regionales Schmerzzentrum DGS – Halle Saale
März 2017
Palliativmedizin
15.12.2016 in Bad Säckingen
Regionales Schmerzzentrum DGS – Bad Säckingen
Update Cannabinoide
19.01.2017 in Bad Säckingen
Regionales Schmerzzentrum DGS – Bad Säckingen
Curriculum Algesiologische Fachassistenz –
Kursteil 1 Einführungsveranstaltung
25.03.2017 in Frankfurt am Main
Geschäftsstelle DGS
Zytokine und Schmerz
08.03.2017 in Stade
Regionales Schmerzzentrum DGS – Stade
Curriculum Spezielle Schmerztherapie, Block B
11. – 12.03.2017 in Frankfurt am Main
Geschäftsstelle DGS
Mythos Impingement-Syndrom der Schulter
– Ursachen, Untersuchung, Behandlung im
ganzheitlichem Konzept
15.03.2017 in Berlin
Regionales Schmerzzentrum DGS – Berlin Mitte
NetzwerkApotheke Schmerz
15.03.2017 in Magdeburg
Geschäftsstelle DGS
April 2017
SchmerzKompetenz Physiotherapie
20.04.2017 in Bad Säckingen
Geschäftsstelle DGS
SchmerzKompetenz Physiotherapie
25.04.2017 in Berlin
Geschäftsstelle DGS
NetzwerkApotheke Schmerz
26.04.2017 in Unna
Geschäftsstelle DGS
Rechtliche Aspekte bei Arbeitsfähigkeits­
bescheinigung
26.04.2017 in Halle
Regionales Schmerzzentrum DGS – Halle Saale
Pharmakologische Tipps und Tricks in der
Schmerztherapie
26.04.2017 in Osnabrück
Regionales Schmerzzentrum DGS – Osnabrück
Curriculum Biofeedback-Therapeut DGS /
Biofeedback-Trainer DGS –
Grundlagenseminar 2
29. – 30.04.2017 in Frankfurt am Main
Geschäftsstelle DGS
Psychosomatik I
16.03.2017 in Bad Säckingen
Regionales Schmerzzentrum DGS – Bad Säckingen
49
DAGST
Deutsche Akademie für ganzheitliche Schmerztherapie
Altersübergreifende Palliativmedizin
Wir betreten Neuland
Die DAGST e. V.
ist eine originäre Schmerzgesellschaft
und setzt sich seit ihrer Gründung 2002
ausschließlich für eine qualitativ hoch­
wertige Ausbildung in ganzheitlicher
Schmerztherapie ein.
Unsere Ziele:
— Bessere Behandlung von Schmerz­
patienten durch ganzheitlichen
­Ansatz
— Berufsbegleitende qualifizierte
Schmerztherapie-Ausbildung mit
Zertifikat zum Tätigkeitsschwerpunkt
„Ganzheitliche Schmerz­behandlung“
— Interaktive Vorträge mit Beteiligung
des Auditoriums und Demonstration
von Behandlungsverfahren
— Umsetzung der Ergebnisse aktueller
Schmerzforschung in die Ausbildung
und Therapie
— Intensiver kollegialer Austausch
­sowie Bildung von interdisziplinären
Netzwerken
Deutsche Akademie für ganzheitliche
Schmerztherapie e. V.
1. Vorsitzender Dr. med. Ludwig Distler
2. V
orsitzender Prof. Dr. med.
Sven Gottschling (Schriftleitung)
Weitere Informationen:
Fortbildungsbüro DAGST
Amperstr. 20A
82296 Schöngeising
Telefon: 08141 355530-20
Fax: 08141 355530-27
E-Mail: [email protected]
Redaktion:
Christine Höppner
E-Mail: [email protected]
www.dagst.de
50
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
vor acht Jahren wurde die Idee geboren,
vor sieben Jahren wurde dann das Zentrum für altersübergreifende Palliativmedizin am Uniklinikum in Homburg
gegründet, vor sechs Jahren folgte die
Verankerung im Landesbettenplan des
Saarlandes als bettenführende Hauptfachabteilung mit vier Kinder- und sechs
Erwachsenenbetten und jetzt – am 10.
Oktober 2016 – war es endlich soweit:
Die ersten Patienten konnten auf der
­europaweit ersten altersübergreifenden
Palliativstation (vom Baby bis zum
Greis) aufgenommen werden.
Aber gibt es überhaupt Bedarf für eine
solche Versorgung, insbesondere für
Kinder? Im Frühjahr dieses Jahres wurde nach Datteln (NRW) in München die
zweite Kinderpalliativstation Deutschlands eröffnet. Wenn man sich das Verhältnis von rund 320 Palliativstationen
für Erwachsene zu zwei Kinderpalliativstationen in Deutschland anschaut und
sich dann vor Augen führt, dass wir in
Deutschland rund 50.000 lebensbegrenzt erkrankte Kinder, Jugendliche
und junge Erwachsene haben, wird jedem klar, dass wir gerade in der Kinderversorgung noch einen gewaltigen Nachholbedarf haben.
Gibt es eine richtige Altersgrenze?
Wieso eine Station für altersübergreifende Palliativmedizin? Weil wir der Meinung sind, dass aus der Kindermedizin
kommend der 18. Geburtstag eine eher
willkürliche Landmarke ist, die der
medi­zinischen Entwicklung in vielerlei
Bereichen überhaupt nicht mehr gerecht
wird. Auf der einen Seite diskutieren wir
über perinatale Palliativsprechstunden
mit pädiatrischer Beteiligung und auf
der anderen Seite erreichen immer mehr
Menschen mit typisch pädiatrischen
Krankheiten das Erwachsenenalter, so
dass man mittlerweile schon fast über
Gerontopädiatrie als eigenen Schwer-
„Die Transition führt
leider noch viel zu
oft zu großen Versorgungsproblemen.“
Prof. Dr. med. Sven Gottschling
Chefarzt
Zentrum für Palliativmedizin
und Kinderschmerztherapie
punkt nachdenken könnte. Die Transi­
tion, das heißt die Überleitung eines Jugendlichen mit einer eigentlich pädiatrischen Grunderkrankung in die Erwachsenenmedizin, führt für die Betroffenen
leider immer noch viel zu oft zu großen
Versorgungsproblemen, wenn nicht gar
zu Versorgungsabbrüchen.
Auch im Bereich der stationären Kinderhospize sehen wir seit Jahren eine
Entwicklung hin zur Versorgung von Jugendlichen und jungen Erwachsenen.
Hier ist die Grenzziehung bis zu welchem Lebensalter jemand in ein Jugendhospiz darf auch eher willkürlich. Endet
sie mit dem 18. Lebensjahr, mit 27, mit
35? Warum muss ich einem 36-Jährigen,
der seit vielen Jahren auch zu Mitarbeitern einer Einrichtung Vertrauen gefasst
hat, sagen: „Du bist aus unserer Versorgung rausgewachsen“.
Wir persönlich sind der Meinung,
dass diese Grenzziehung falsch ist und
möchten genau das auf unserer Mehrgenerationenpalliativstation anders machen. Und wir sind mit diesem Gedanken nicht allein. So hat im Frühjahr 2016
das erste Mehrgenerationenhospiz in
Kassel seinen Betrieb aufgenommen.
Die Pädiater und Kinderkrankenschwestern in unserem Team möchten
Patienten, die uns kennen und die VerSchmerzmedizin 2016; 32 (6)
DAGST-Veranstaltungen
„Interkulturelle Kommunikation
in der medizinischen Praxis“
Kommunikationstechniken und
­Basiswissen in der transkulturellen
Auseinandersetzung.
©© RRF Fotolia
Kursleitung: Dr. Ludwig Distler,
Referentin: PD Dr. habil. Claude-­
Hélène Mayer
Auch kritische Gedanken
Ja, uns begegnen auch genug kritische
Stimmen, zum Beispiel von Eltern die sagen, sie möchten nicht auf eine Station
kommen, auf der ältere Menschen sterben. „Unser Kind soll nicht mit dem Tod
konfrontiert werden“. Und genauso begegnen uns Stimmen älterer Menschen,
die sagen, dass sie mit dem Gedanken,
dass im Nachbarzimmer ein sterbendes
Kind liegt, gewaltige Schwierigkeiten haben. Ja, wir geben zu, dass wir mit unserer Idee Neuland betreten und dass wir
selbstverständlich auch die Bereitschaft
haben müssen, mit diesen zum Teil
durchaus berechtigten Zweifeln und Sorgen adäquat umzugehen. Und trotzdem
denken wir, dass wir den richtigen Weg
einschlagen, und dass lebensbegrenzende Erkrankungen, leidvolle Symptome,
Lebensqualität, Hoffnung und die Erfüllung letzter Wünsche weder an bestimmte Erkrankungen noch an irgendein Lebensalter gebunden sind.
Wir glauben an unsere Vision und
brennen darauf, endlich unsere Patienten
mit ihren Angehörigen so gut wie möglich versorgen zu dürfen. Und den Tod
und das Sterben wieder ein bisschen aus
der Tabuzone heraus ins Leben zu holen.
Wir treten mit rund 40 Mitarbeitern
der verschiedensten Berufsgruppen für
dieses Projekt an und eines darf ich Ihnen
hier und heute schon versichern, wir werden Sie auf dem Laufenden halten und
wir freuen uns jetzt schon auf Ihre Anregungen, kritischen Gedanken aber natürlich vor allem auf Ihre Unterstützung.
Mit den besten Grüßen, Ihr
Kursvorschau
Datum
Kursort
Weiterbildungen
Von den Ärztekammern anerkannt!
80 h Spezielle Schmerztherapie
Kursweiterbildung; Blockkurse à 40 h
10.–13.11.2016
Mannheim
Block 1 / 40 UE / CME-Punkte
8.–11.12.2016
Mannheim
Block 2 / 40 UE / CME-Punkte
16.–19.2.2017
Berlin
Block 1 / 40 UE / CME-Punkte
18.–21.5.2017
Berlin
Block 2 / 40 UE / CME-Punkte
16.–19.11.2017
Mannheim
Block 1 / 40 UE / CME-Punkte
7.–10.12.2017
Mannheim
Block 2 / 40 UE / CME-Punkte
Basiskurs Palliativmedizin; 40 h
21.–25.6.2017
Mannheim
40 UE / CME-Punkte
Fortbildungen
11.–12.3.2017
Mannheim
24.6.2017
Homburg (Saar)
Interkulturelle Kommunikation in der medizinischen
Praxis
6. Homburger Schmerz- und Palliativkongress
Kleingruppenseminare
21.1.2017
Ludwigsburg
Programmänderungen vorbehalten
Alle Kurse können Sie auch bequem online buchen unter
www.dagst.de.
Laser in der Schmerztherapie / Alexander Philipp
©© [M] Nata-Lia / Shutterstock.com
trauen zu uns gefasst haben, auch jenseits ihres 18. Lebensjahres weiter versorgen. Darüber hinaus sind wir fest davon überzeugt, dass sowohl sterbenskranke ältere Menschen von Kindern als
Mitpatienten auf einer gemeinsamen
Station profitieren können, als auch umgekehrt.
Vom 11. – 12. März 2017 findet in
Mannheim folgende Fortbildung
statt:
Prof. Dr. med. Sven Gottschling
Schmerzmedizin 2016; 32 (6) 51
DAGST
Deutsche Akademie für ganzheitliche Schmerztherapie
©© Fotolia/Photographee.eu
Während bei Christen Blumen und Kerzen zu Beerdigun­
gen und Trauer dazugehören, sind diese im Islam un­
üblich.
Religionssensible Begleitung am Lebensende
Tod und Sterben im Islam und
Judentum
Nicole Schönmann, Hamburg
In unserer multikulturellen Gesellschaft wird jeder Mensch, der in die
Behandlung von Patienten involviert ist, auf gläubige Mitbürger unterschiedlichster Religionen treffen. Ebenso selbstverständlich wie die
Frage nach besonderen Essensgewohnheiten sollte die Frage nach
Wünschen hinsichtlich der religiösen Begleitung am Lebensende sein.
Sterben im Islam
Etwa 3,5 Millionen Menschen gehören
in Deutschland dem muslimischen
Glauben an. Ähnlich wie in anderen
Weltreligionen finden sich unter dem
Überbegriff des Islam verschiedene Religionsgruppen. Die Sunniten bilden die
größte Glaubensrichtung im Islam. Der
Name geht auf das Wort Sunna‚ die Tradition des Propheten des Islam „Mohammed“ zurück. Das Heilige Buch des
52
Islam ist der Koran. Muslime glauben an
die Auferstehung nach dem Tod. Doch
wie stehen Muslime zur Palliativbegleitung am Lebensende? Der Zentralrat der
Muslime (einer der deutschen Dachverbände der Muslime) sprach sich in einer
Veröffentlichung von 2013 klar für den
flächendeckenden Einsatz der Palliativmedizin aus: „Aus islamischer Sicht sehen wir keine Einwände für den Einsatz
von Sedierungs- und Schmerzmitteln
(Opioide, Derivate), auch in hoher Dosierung, wenn es bei diesem schwerstkranken Menschen erforderlich wird.
Bei den Schwerstkranken und unheilbaren Menschen ist es statthaft, das Angebot vom Unterlassen oder der Reduktion der Behandlungsmaßnahmen in Anspruch zu nehmen (sog. passive Sterbehilfe oder besser: „Sterbenlassen“). Wir
fordern und begrüßen deswegen die
Weiterentwicklung und flächendeckende
Verbreitung der Palliativmedizin und
Palliative Care“ [1].
Umgang mit sterbenden Muslimen
Die religiöse Betreuung wird durch die
Angehörigen des Sterbenden übernommen. Die Anwesenheit eines religiösen
Amtsträgers wird nicht als zwingend
Schmerzmedizin 2016; 32 (6)
notwendig angesehen, die Anwesenheit
von muslimischen Mitgläubigen sollte
aber angestrebt werden. So kann zur re­
ligiösen Begleitung des Strebenden oder
lebenslimitiert Erkrankten die nächstge­
legene muslimische Gemeinde infor­
miert werden.
Der Tod wird im Islam als der Wille
Gottes verstanden, die Begleitung Kran­
ker und Sterbender als religiöse Pflicht.
Familienangehörige versammeln sich
am Sterbebett und lesen Verse aus dem
Koran vor, um den Sterbenden nicht al­
leine zu lassen. Gläubige Muslime wün­
schen sich mit der Fatiha Sure auf den
Lippen zu sterben, diese kann auch von
Nichtgläubigen vorgelesen werden:
„Im Namen Gottes, des Erbarmers, des
Barmherzigen. Lob sei Gott, dem Weltenherrn, dem Erbarmer, dem Barmherzigen, dem Herrscher am Tage des Gerichts.
Dir dienen wir und zu Dir rufen wir um
Hilfe. Leite uns den rechten Pfad, den
Pfad derer, denen Du gnädig bist, nicht
derer, denen Du zürnst, und nicht der Irrenden.“
Im Islam ist eine von Würde und Re­
spekt geprägte Atmosphäre in der Ster­
besituation wichtig. Um die den Musli­
men wichtige innere und äußere Rein­
heit zu unterstützen, sollte verschmutze
Bettwäsche zeitnah gewechselt sowie
Wasser zur rituellen Waschung vor dem
Gebet bereitgestellt werden. Frisches
Wasser am Sterbebett dient zudem dazu,
die Lippen zu benetzen und symbolisch
für den Weg in den Tod und die Aufer­
stehung zu stärken. Neben der inneren
Haltung ist auch die Körperhaltung
beim Sterben wichtig. So sollte der Ober­
körper erhöht gelagert (zur Kaaba hin)
oder der Körper in Richtung Mekka mit
dem Kopf auf die rechte Seite gedreht ge­
lagert werden.
Nach Eintritt des Todes
Tote werden im Islam mit großer Fürsor­
ge und Respekt behandelt. Der Leich­
nam darf nur durch Muslime berührt
werden, jeder andere Mensch sollte
Handschuhe tragen. Die nächsten Ange­
hörigen verschließen die Augen und den
Mund (durch Hochbinden des Unterkie­
fers) des Verstorbenen, während ein Ge­
bet für die gnädige Aufnahme des Toten
ins Jenseits gesprochen und die Toten­
klage angestimmt wird. Bezüglich der
Schmerzmedizin 2016; 32 (6) Trauerklage bestehen jedoch je nach so­
ziokulturellem Hintergrund und religi­
öser Glaubensrichtung große Unter­
schiede, so trauern Schiiten in der Regel
impulsiver als Sunniten. Nach Eintritt
des Todes sollte Folgendes, wenn von
den Angehörigen erwünscht, ermöglicht
werden:
—dass der Kopf auf die rechte Körper­
seite und nach Mekka hin ausgerichtet
werden kann,
—dass die Gliedmaßen ausgestreckt
werden können,
—dass heißes Wasser und Seife für die
rituelle Waschung (durch einen voll­
jährigen erfahrenen Muslim gleichen
Geschlechts) zur Verfügung gestellt
werden,
—dass der Leichnam in drei (Mann) be­
ziehungsweise fünf (Frau) parfümier­
te Leinentücher eingehüllt werden
kann.
Begräbnis und Totengedenken
Kondolenzbesuche werden innerhalb
von drei Tagen und drei Nächten durch­
geführt. Danach wird außer von entfernt
lebenden Angehörigen (bis zu 40 Tagen)
kein Beileid mehr ausgesprochen.
Die muslimische Beileidsformel lau­
tet: „Gott erhöhe Eure Belohnung, versichere Euch seines Trostes und verleihe die
Vergebung Eurem Verstorbenen.“
Die Beerdigung sollte möglichst bald,
am besten innerhalb von vierundzwan­
zig Stunden auf einem muslimischen
Friedhof stattfinden. Viele Muslime
wünschen eine Überführung in ihr Hei­
matland, um sich des ewigen Ruherechts
des Leichnams und der sarglosen Beiset­
zung gewiss zu sein. Der Tote wird ohne
Sarg, in weiße Tücher gehüllt auf der
rechten Seite liegend in Richtung Mekka
beerdigt. Das Anzünden von Kerzen ist
unüblich, die Anwesenheit von Symbo­
len anderer Religionen nicht gestattet. So
sollte sich zum Beispiel im Raum, in dem
die rituelle Waschung durchgeführt wird,
kein christliches Kreuz befinden. Es ist
verboten sich auf ein Grab zu legen oder
um es herumzugehen, das Spazieren
über Friedhöfe ist genauso untersagt, wie
den Verstorbenen um Fürsprache anzu­
rufen. Auch Grabschmuck und Grabpfle­
ge sind nicht erwünscht, Trauerfarben
werden nicht benutzt. Je nach islami­
scher Rechtsschule ist Frauen der Besuch
von Friedhöfen nicht gestattet oder nur
in Begleitung erlaubt. Das Tragen des
Leichnams im Rahmen des Trauerzugs
gilt als verdienstvoll und ist den Män­
nern vorbehalten.
Sterben im Judentum
In Deutschland leben circa 200.000 Ju­
den. Das Judentum ist die älteste der
fünf Weltreligionen. Seit etwa 5.000 Jah­
ren glauben Juden an die leibliche Auf­
erstehung nach dem Tod. Die heilige
Schrift der Juden ist der Tanach, die von
Mose verfasste Tora der wichtigste Teil.
Der Talmud darf nicht mit der Tora ver­
wechselt werden, er ist die Auslegung
der im Tanach enthaltenen biblischen
Gesetzestexte.
Auch die Juden kennen einen Pallia­
tivgedanken. Denn auch wenn das Le­
ben erhalten und als Geschenk Gottes
geschützt werden soll, sprach sich wäh­
rend einer Tagung zu den Perspektiven
am Ende des Lebens der Rabbiner Dr.
Tom Kucera im Mai 2015 für eine men­
schenwürdige Palliativmedizin aus:
„Solide medizinische Forschung zeigt,
dass palliative Behandlung oft erfolgreicher und menschenwürdiger für die unheilbar Kranken ist, als eine aggressive
medizinische Behandlung. Zu den Möglichkeiten der passiven Sterbehilfe zählen
Verzicht auf zusätzliche Therapien/Operationen oder ein Ausschalten der Maschinen (zum Beispiel Herzschrittmacher,
Atemmaske, Dialysegerät) oder Verzicht
auf Essen/Trinken. Die klassische jüdische Vorstellung spricht sich zwar gegen
die Beschleunigung des Todes aus, gleichzeitig aber für das Entfernen eines Todeshindernisses“ [3].
Die religiöse Betreuung im Krank­
heitsfall und im Sterben übernimmt die
Familie. Ein Rabbiner, welcher aufgrund
seines Gelehrtenstatus eine moralische
Autorität ist, kann bei Fragestellungen be­
züglich der Behandlung und Pflege des
sterbenden Juden hinzugezogen werden.
Umgang mit sterbenden Juden
Im Judentum übernehmen Angehörige
die Begleitung des Sterbenden. Frauen
dürfen nur von Frauen gepflegt werden,
Männer dürfen sowohl von Frauen und
von Männern gepflegt werden. Insbe­
sondere bei der Körperpflege von jüdi­
schen Mitbürgern sollte berücksichtigt
53
DAGST
werden, dass der Körper niemals gänzlich unbekleidet sein darf, daher sollten
nur die Stellen entblößt werden, die gerade gewaschen werden. Desweiteren ist
das Bereitstellen von frischem Wasser
vor den Mahlzeiten sehr erwünscht, da
diese Waschungen rituell motiviert sind.
Ist der Sterbeprozess absehbar, wird
die Chewra Kaddischa, die jeweils
gleichgeschlechtliche Beerdigungsgesellschaft informiert, die die wichtigsten
Tätigkeiten, wie den Krankenbesuch
und das Gebet am Sterbebett übernimmt und die Angehörigen unterstützt
und tröstet. Im Judentum ist es erwünscht, dass der Sterbende über seinen
Gesundheitszustand ehrlich und vollumfänglich informiert wird, denn nicht
nur die Angehörigen, auch der Sterbende selbst hat letzte religiöse Aufgaben: So
segnet der sterbende Vater – wenn er
dazu noch in der Lage ist – seine Kinder.
Nach Eintritt des Todes
Die Feststellung des Todes erfolgt traditionell über das Auflegen einer Feder auf
die Oberlippe des Toten. Unmittelbar
nach dem Tod sollte ein Jude zunächst
für etwa eine halbe Stunde nicht berührt
werden, danach werden die Augen mittels Tonscherben und der Mund durch
Hochbinden des Unterkiefers geschlossen. Dies ist die Aufgabe des ältesten
Sohnes. Ein weißes Tuch wird über das
Gesicht gelegt. Die Arme werden ausgestreckt neben dem Körper gelagert, nicht
über der Brust gekreuzt und die Hände
nicht gefaltet. Bis zur Beerdigung wird
als Zeichen des Respekts Totenwache gehalten und der Tote nie allein gelassen.
Zur Totenwache sitzt ein „Schomer“
(Wächter) neben dem Toten und rezitiert alttestamentliche Psalme.
Beim Sterben zuhause werden die
Spiegel verdeckt, um zu verhindern, dass
sich die Seele verirrt oder der Tod sich
doppelt. Außerdem werden die Fenster
geöffnet, damit die Seele hinausfliegen
kann. Die rituelle Waschung findet
ebenfalls wie die Lagerung des Leichnams durch die Chewra Kaddischa statt.
Dem Waschwasser wird als Symbol für
das Leben ein Ei zugegeben. Nach der
Waschung wird dem Toten das Totenhemd angezogen. Männer erhalten ihr
Totenhemd bereits bei der Hochzeit als
Brautgeschenk und tragen dieses schon
54
Deutsche Akademie für ganzheitliche Schmerztherapie
zu Lebzeiten zum Neujahrstag und am
Versöhnungstag (Jom Kippur). In den
einfachen, für alle Juden baugleichen
Sarg, der von der jüdischen Gemeinde
bereitgestellt wird, wird Männern ihr
Tallit, ein Gebetsschal mit einseitig abgetrennten Schaufäden, die der Gebetserinnerung dienen, mitgegeben. Auch
Frauen tragen nach der rituellen Waschung ein weißes, einfaches Totenkleid
[4].
Begräbnis und Totengedenken
Die Friedhöfe der Juden heißen Bet
­ha-chajjim (Ort des Lebens) oder Bet
­ha-olam (Ort der Ewigkeit) [5]. Im Judentum besteht ewige Grabruhe. Die Beisetzung soll nach Möglichkeit am Todestag
stattfinden, außerhalb Israels nach 48
Stunden. Die Gräber sind innerhalb Jerusalems in Richtung des Tempelbergs ausgerichtet, außerhalb Jerusalems in Richtung Jerusalem, dies begründet sich in
der Annahme, dass der Messias am Tempelberg erscheint und die Toten erweckt.
Diese sollen dann aus der liegenden Position aufstehen und ihm folgen können.
Als Zeichen für den Riss in ihrer Seele
zerreißen sich die Angehörigen während
der Beisetzung ein Stück ihrer Kleidung;
bei Eltern auf der herznahen linken Seite, bei allen anderen Angehörigen auf
der rechten Seite. Statt Blumen werden
auch bei weiteren Grabbesuchen kleine
Steine auf die Gräber gelegt. Beim Verlassen des Friedhofs findet ebenfalls eine
rituelle Händewaschung statt; die Hände werden danach nicht abgetrocknet,
damit die Erinnerung länger anhält. Die
Trauerzeit gliedert sich in vier Phasen:
1.Aninut: Vom Tod bis zur Beisetzung,
die lähmende, starre Trauer in der
nicht getröstet werden soll.
2.Schiwa: Von der Beisetzung bis zum
Morgen des siebten Tages. Das Kondolenzessen ist Teil der Schiwa und findet im Anschluss an die Beisetzung
statt: Traditionell werden Bagel mit
hartgekochten Eiern gereicht, die Bagel stellen durch ihre runde Form den
Lebenskreis dar, Eier symbolisieren
das Leben. Ein Feiertag hebt die Schiwa auf und beendet sie vor dem Ablauf
der sieben Tage; hier wird das Vorrecht
des Lebens über das Recht des Todes
bekundet, der Freude über die Trauer.
3.Schloschim: Von der Beisetzung bis
zum Morgen des 30. Tages. Nach Beendigung der Schiwa, wird der Alltag
Stück für Stück wieder aufgenommen.
Nach 30 Tagen endet nun die Trauerzeit, außer wenn ein Elternteil betrauert wird.
4.Trauerjahr: Um Eltern wird ein ganzes Jahr getrauert. Am ersten Jahrtag
des Todes wird ein Grabstein aufgestellt, die Angehörigen und Freunde
versammeln sich erneut auf dem
Friedhof, während des gesamtem Tages brennt eine Kerze zu Ehren des
Verstorbenen.
Generell helfen uns Rituale unser tagtägliches Leben zu strukturieren und zu
vereinfachen. Noch viel wichtiger sind
sie an Wendepunkten des Lebens, wie
zum Beispiel beim Sterben und Begleiten von trauernden Angehörigen, diese
Rituale können dann ein Halt in einer
haltlosen Situation sein. Viel wichtiger
aber als jede rituelle Vorschrift, als Gebote und Verbote erscheint es, dem Sterbenden und den Trauernden unser Mitgefühl spüren zu lassen und echtes Interesse an ihren Wünschen oder Vorstellungen zu signalisieren. Auch wenn es
bestimmte religiöse Regeln und Gepfogenheiten gibt, sollte in jedem individuellen Fall nachgefragt werden, welche
Handlungen, Rituale und Symbole tatsächlich erwünscht sind.
Literatur
1. Zentralrat der Muslime Deutschland e. V.
Sterbehilfe bzw. Sterbebegleitung und Palliative Care aus islamischer Sicht – Eine
Handreichung des Zentralrates der Muslime in Deutschland (ZMD); http://islam.de/
files/pdf/sterbehilfe_islam_zmd_2013_03.
pdf. 2013.
2. Ilkilic, Ilhan. Begegnung und Umgang mit
muslimischen Patienten. Eine Handreichung für die Gesundheitsberufe. 5.Auflage,
Bochum 2005.
3. Rabbiner Dr. Tom Kucera. End-of-Life: Jewish Perspectives, eine Responsa zum Thema Sterbehilfe; http://www.hagalil.
com/2015/06/sterbehilfe-2. Mai 2015.
4. Heinrich Simon. Leben im Judentum. 1. Auflage. Hentrich & Hentrich Verlag Berlin,
2003.
5. http://www.zentralratdjuden.de/de/topic/210.lebensende-bestattung-trauer.
html
Dr. Nicole Schönmann, Hamburg
Martinistrasse 21, 20251 Hamburg
Schmerzmedizin 2016; 32 (6)
Berufsverband der Palliativmediziner
in Westfalen-Lippe e.V.
Zukunft der Palliativversorgung
Das palliative Team in der
ambulanten Versorgung
In der ambulanten Palliativversorgung tut sich seit Jahren einiges. Wie
wird es aber mit der palliativpflegerischen Versorgung in den nächsten
Jahren weitergehen, wie sieht deren Organisation in der Zukunft aus?
N
Unsere Ziele sind:
— Qualitätsindikatoren in der ambulanten Palliativmedizin zu definieren
und weiterzuentwickeln,
— Betroffene und Angehörige über die
Möglichkeiten einer fachgerechten
palliativmedizinischen Versorgung
zu informieren,
— die Diskussion über ethische und
rechtliche Fragestellungen am
­Lebensende anzustoßen und zu
­vertiefen,
— ein langfristiger Kulturwandel im
­Umgang mit Tod und Sterben.
Berufsverband der Palliativmediziner
in Westfalen-Lippe e.V.
Geschäftsstelle:
Sabine Schäfer
Dieckmannstraße 200
48161 Münster
Tel. 02 51 / 5308-9960
E-Mail: [email protected]
Öffentlichkeitsarbeit:
Dr. med. Eberhard A. Lux
Klinik für Schmerz- und
Palliativmedizin am
Klinikum St.-Marien-Hospital Lünen
Tel. 0 23 06 / 77-2920
Fax. 0 23 06 / 77-2921
E-Mail: [email protected]
www.bv-palliativmediziner.de
56
achdem sich im September die
Ansprechstelle im Land NRW zur
Palliativversorgung, Hospizarbeit und Angehörigenbegleitung (Alpha
NRW) sowie die Deutsche Gesellschaft
für Palliativmedizin e.V., Landesvertretung Nordrhein-Westfalen (DGP NRW)
und der Hospiz- und Palliativverband
NRW e.V. zur Zukunft der Palliativpflegedienste NRW nach § 132a Abs. 2
SGB V geäußert haben, sollen auch einige Gedanken aus dem Berufsverband
der Palliativmediziner Westfalen-Lippe
die Diskussion befruchten.
Tatsächlich hat sich die ambulante
Palliativpflege als eigenständige Versorgungsstruktur in NRW seit zehn Jahren
etabliert – beginnend zu einer Zeit, als
Regelungen zur ärztlichen Organisation
der ambulanten Palliativversorgung
noch auf sich warten ließen. In der Zeit
nach der Änderung des SGB V 2007,
­besonders der spezialisierten ambulanten Palliativversorgungs-Richtlinie vom
11. März 2008, etablierten sich außerhalb von Nordrhein-Westfalen analog
zu Erfahrungen aus Modellprojekten
erste Palliativteams. Diese stellten zumeist selbstständige Strukturen aus Ärzten und Pflegenden zur regionalen ambulanten Palliativversorgung dar. Wir
in NRW und besonders in WestfalenLippe schlugen einen eigenständigen
Weg ein.
Mit der „Vereinbarung zur Umsetzung der ambulanten palliativmedizinischen Versorgung von unheilbar erkrankten Patienten im häuslichen Umfeld“ organisierten wir in Westfalen-Lippe die ambulante Palliativversorgung
außerhalb der festen Teamstruktur von
Pflegediensten und Ärzten. Die dabei
erzielten hervorragenden Ergebnisse der
vergangenen Jahre waren nur dadurch
möglich, dass es in den meisten Palliativmedizinischen Konsiliardiensten
(PKD) eine vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen QPA und ambulanten
(Palliativ-) Pflegediensten gab und gibt.
Nur so konnten Patienten – besonders
in den PKD mit großer Flächenausdehnung –bedarfsgerecht am Lebensende
versorgt und etwa einem Drittel aller
versterbenden Patienten in der letzten
Lebens­phase eine Supervision durch einen Palliativ­a rzt oder Koordinator des
PKD ermöglicht werden. Man bedenke,
dass man während der Einführung der
ambulanten Palliativversorgung von einer Notwendigkeit der spezialisierten
ambulanten Palliativversorgung (SAPV)
bei etwa 10 % aller Versterbenden ausging.
Wirtschaftlichkeit bedenken
Nun sind nicht alle PKD den Weg der
engen Kooperation mit Palliativpflegediensten in der ambulanten Versorgung
gegangen. Im PKD Münster wurde sehr
früh durch eine große Anzahl von Koordinatoren die Versorgung von ambulanten Palliativpatienten ihren Bedürfnissen entsprechend organisiert. Solche
Koordinatoren sind dreijährig examinierte Pflegekräfte mit Palliative-CareQualifikation im PKD. Dieses Organisationsprinzip, SAPV durch die Koordinatoren des eigenen PKD und nicht durch
die Kooperation mit Palliativpflegediensten zu leisten, wurde im BerufsverSchmerzmedizin 2016; 32 (6)
©© rasica / Fotolia
Soweit so gut
Was die Zukunft für die ambulante
­Palliativversorung der Patienten bringt,
bleibt abzuwarten.
band in der Vergangenheit häufig disku­
tiert. Für eng besiedelte Gebiete mit kur­
zen Fahrzeiten zum Patienten scheint es
ein geeignetes Modell zu sein. Für PKD
in Territorien mit weiten Anfahrtswegen
zum Patienten ist sicher eine dezentrale
Struktur mit über das zu versorgende
Territorium verteilten qualifizierten
Pflegediensten und Palliativ­ärzten die
bessere Struktur, da lange Anfahrtszei­
ten die ambulante Palliativversorgung
wirtschaftlich in Frage stellen.
Qualität an erster Stelle
In Zukunft werden wohl alle Pflege­
dienste Palliativpflege erbringen können,
wobei allerdings noch unklar ist, welche
Qualifikationsvoraussetzungen voran­
gestellt werden sollten. Das Prinzip der
allgemeinen Palliativversorgung, in der
die Palliativpflegedienste oder unsere
Koordinatoren hochspezialisiert tätig
werden und damit ärztliche Aufgaben
übernehmen, spiegelt den Trend unserer
Zeit wider. So können mit neuen Versor­
gungsstrukturen bei reduzierter ärzt­
licher Ressource neue Wege gegangen
werden, wie diese auch in der allgemein­
medizinischen Versorgung bereits Ein­
zug gehalten haben.
Schmerzmedizin 2016; 32 (6) Unserer ambulanten Palliativversor­
gung in Westfalen-Lippe wurde von Sei­
ten der etablierten SAPV-Teams seit lan­
gem der Vorwurf gemacht, Patienten
nicht in einer eng organisierten Team­
struktur aus Ärzten und Pflegenden zu
versorgen. Um diesem teilweise nach­
vollziehbaren Gedanken Raum zur Ent­
wicklung zu geben, möchten wir in einer
sich weiterentwickelnden „Vereinbarung
zur Umsetzung der ambulanten pallia­
tivmedizinischen Versorgung von un­
heilbar erkrankten Patienten im häusli­
chen Umfeld“ unsere Koordinatoren in
Anzahl und Aufgaben stärken. Der Erst­
kontakt durch den Besuch eines Koordi­
nators im häuslichen Milieu des Patien­
ten kann durchaus den Blick auf psycho­
soziale Probleme schärfen – dies muss
aber auch zu finanzieren sein. Die häus­
liche palliativpflegerische Versorgung
sollte auch vermehrt durch die Koordi­
natoren erfolgen, im Bereich der AAPV
aber vor allem bei Erfüllung der SAPVKriterien.
Zurück zum Positionspapier
Unter der Rubrik „Die bestehende Struk­
tur“ ist zu lesen: Die auf der Grundlage
dieses Vertrages entwickelte Versor­
gungsstruktur stellt heute mit 183
Diensten eine weitestgehend flächen­
deckende ambulante palliativpflegeri­
sche Versorgung in NRW dar, die so­
wohl in der allgemeinen als auch in der
spezialisierten ambulanten Palliativver­
sorgung ihre Wirkung entfaltet.
Dieser Aussage ist gemäß einer sich
seit einem Jahr anbahnenden Entwick­
lung zu widersprechen. Wurden in den
ersten Jahren Verordnungen von Pallia­
tivpflege in aller Regel durch die Kran­
kenkassen akzeptiert oder durch den
medizinischen Dienst der Krankenkas­
sen (MDK) nicht hochgradig kritisch ge­
prüft, so ist dies seit einem Jahr anders.
Verordnungen von Palliativpflege wer­
den jetzt in aller Regel durch den MDK
hinsichtlich der Erfüllung der SAPVKriterien geprüft und sofern eine ausge­
prägte und komplexe Symptomkontrol­
le, welche besonderes Handeln erfordert,
nicht vorliegt, konsequent abgelehnt.
Damit kommen die Palliativpflege­
dienste bei Patienten, welche eine allge­
meine Palliativversorgung benötigen,
kaum mehr zum Einsatz; es sei denn, sie
versorgen den Patienten auch in der
Grund- oder Behandlungspflege. In
durchaus vertrauensvollen Gesprächen
mit Mitarbeitern des MDK wurde von
deren Seite auf die inflationäre Verord­
nung von Palliativpflege verwiesen und
die häufig mangelnde Qualität der In­
formationen auf den Verordnungsbögen
aufgezeigt – hier liegt der Ball in uns­
rem Feld.
Sollte der Gesetzgeber jedem Pflege­
dienst den Zugang zur allgemeinen
­Palliativpflege ermöglichen und keine
klar definierte Qualifikation der für
­Palliativpflege zum Einsatz kommenden
Pflegenden definieren, wird sich die Ver­
sorgungsqualität der Patienten in der
allgemeinen Palliativversorgung ver­
schlechtern. Man wird sicher zunächst
wieder einen Anstieg der Notarztein­
sätze und der Einweisungen in ein Kran­
kenhaus erleben – sofern unsere Koor­
dinatoren nicht geregelt zum Einsatz
kommen.
Blicken wir dennoch optimistisch
in die Zukunft?
Das hängt sicherlich von einem erfolg­
reichen Abschluss der Gespräche zwi­
schen dem Berufsverband, der Kassen­
ärztlichen Vereinigung und den Kosten­
trägern hinsichtlich der Weiterent­
wicklung unserer „Vereinbarung zur
Umsetzung der ambulanten palliativ­
medizinischen Versorgung von unheil­
bar erkrankten Patienten im häuslichen
Umfeld“ ab. Mit der Stärkung der Rolle
unserer Koordinatoren und der geplan­
ten Einführung qualitätssichernder
Maßnahmen werden sowohl die allge­
meine Palliativversorgung als auch die
Versorgung von Patienten mit speziel­
lem Versorgungsbedarf im Sinne der
SAPV gestärkt. Inwieweit dann in ein­
zelnen geeigneten Regionen die spezia­
lisierte Patientenversorgung durch QPA
und eine große Zahl von Koordinatoren
oder in der bewährten Struktur aus QPA,
Koordinatoren und (spezialisierten)
Pflegediensten geschieht, bleibt abzu­
warten.
Eberhard A. Lux, Lünen
57
Kurz gemeldet
Industrieforum
Vagusnervstimulation zur
Vorbeugung von Migräne
Bei Patienten mit Migräne scheint das
Wechselspiel von Sympathikus und Parasympathikus meist aus dem Gleichgewicht geraten zu sein. Grund hierfür ist
laut Forschern eine verringerte Aktivität
des Vagusnervs. Genau an dieser Stelle
setzt die Migräneprophylaxe mittels
Neurostimulation an.
Über die zwei Ohrelektroden des
Therapie­geräts Vitos wird der Vagusnerv
im Ohr mit leichten elektrischen Reizen
stimuliert. Die Reizweiterleitung ins
­Gehirn führt laut Hersteller zur
­Stimulation von Hirnregionen, die bei
Schmerz- und Migränepatienten typischerweise nur eine geringe Aktivität
aufweisen.
In einer doppelblinden, randomisierten
Studie mit Patienten, die unter chronischer Migräne leiden, konnte die Zahl
der Kopfschmerztage nach vier Wochen
unter transkutaner Vagusnervstimulation um vier Tage reduziert werden [Straube et al. J Headache Pain 2015; 16:543].
Nach zwölfwöchiger Anwedung der
Neuro­stimulation für vier Stunden täglich reduzierten sich die Migränetage
von im Mittel 19 auf 12 Tage im Monat.
Die Wirksamkeit der Therapie war damit
vergleichbar mit dem Goldstandard der
Therapie von chronischer Migräne (Topiramat).
Ein Vorteil der transkutanten Vagusnervstimulation ist die sehr gute Verträglichkeit und die selbstständige Anwendung
durch den Patienten. Um der Migräne
vorzubeugen sollte das Therapiegerät,
das etwa die Größe eines Smartphones
aufweist, für drei Stunden täglich eingesetzt werden. Die Einsatzzeit kann über
den Tag beliebig verteilt werden. Die
Therapieminuten werden automatisch
gezählt und auf dem Display angezeigt.
Auch Dauer und Intensität der Stimula­
tion können über das Therapiegerät
­individuell gesteuert werden. Bei der
­Anwendung spürt der Patient lediglich
ein leichtes Kribbeln im Ohr.
Die Migräneprophylaxe mittels Neurostimulation eignet sich laut Hersteller für
alle Formen und Schweregrade von Migräne und Spannungskopfschmerz. Auch
eine Kombination mit anderen Therapieformen oder der Einsatz als Zusatztherapie zur medikamentösen Behandlung ist
möglich.
Nach Informationen von Cerbomed
58
red

Rückenschmerzen: Drei Hebel gegen die
Chronifizierung
—— Chronische Rückenschmerzen sind oft
mit großem Leid der Patienten sowie mit
einer hohen Zahl an Krankschreibungen
verbunden. Auf dem Deutschen Schmerzkongress zeigten Experten mögliche Wege
auf, die Chronifizierung von Schmerzen zu
verhindern.
Die Chronifizierung von Rückenschmerzen
ist ein komplexer Vorgang, bei dem die
periphere und die zentrale Sensibilisierung
sowie die Abnahme der körpereigenen
Schmerzhemmung eine wichtige Rolle
spielen, rief Professor Ralf Baron, Klinik für
Neurologie Kiel, in Erinnerung. Die periphere Sensibilisierung führe zu einem ständigen Feuern der Schmerzfaser, was unter
anderem die zentrale Sensibilisierung unterhalte. Diese wiederum führe zu einer
Hyperaktivität des Rückenmarks. Durch
diese Prozesse nehme zusätzlich die Wirkung der körpereigenen noradrenergen
Schmerzhemmung kontinuierlich ab, betonte Baron. Unter den zur Verfügung stehenden Schmerzmitteln wirke Tapentadol
(
als einziger Wirkstoff auf alle drei
Faktoren der Schmerzchronifizierung, sagte
der Neurologe. Der Wirkstoff reduziere die
Weiterleitung der Schmerzsignale und
stärke aufgrund seines dualen Wirkmechanismus gleichzeitig die körpereigene absteigende Schmerzhemmung (Abb. 1). „Für
mich bedeutet das, dass man mit dem frühen Einsatz eine Chronifizierung eventuell
verhindern kann“, so Baron.
Neben der medikamentösen Therapie
können Schmerztherapeuten gemeinsam
mit den Patienten den Chronifizierungsprozess positiv beeinflussen. Wichtig sei eine
gute Arzt-Patienten-Beziehung mit einer
empathischen Ansprache, sagte PD Dr. KaiUwe Kern, Schmerzpraxis Wiesbaden. Eher
kontraproduktiv seien Sätze wie „Das verstehen Sie nicht, ich mache das schon…“.
Stattdessen empfiehlt Kern die direkte Einbindung des Patienten: „Lassen Sie uns
gemeinsam schauen, welche Bausteine Ihr
Schmerz haben könnte und welche wir als
erstes gemeinsam angehen wollen.“
Wichtige Faktoren der Schmerzchronifizierung aus psychologischer Sicht sind eine
ungünstige Einstellung zum sowie ein vermeidender oder überaktiver Umgang mit
dem Schmerz, sagte Dipl.-Psych. Patricia
Albert vom Schmerzzentrum des Universitätsklinikums Erlangen. Ein adaptiver Umgang mit Schmerzen sei gekennzeichnet
durch die Gewissheit, trotz Schmerzen Einfluss auf das eigene Leben zu haben und
zum anderen die Bereitschaft, negative innere Erfahrungen zuzulassen. Erfahrungsvermeidung stelle jedoch das größte Risiko
für dysfunktionales Verhalten dar.
Dr. Gunter Freese
Symposium „Einfluss der Schmerztherapie
auf den Chronifizierungsprozess“ im Rahmen
des Deutschen Schmerzkongresses 2016,
20. Oktober 2016 in Mannheim;
Veranstalter: Grünenthal GmbH
NSAR
Die Schmerzfaser feuert ständig
Tilidin
Das Rückenmark ist überaktiv
Noradrenalin hemmt nicht mehr
Morphin
Pregabalin
Tapentadol
Abb. 1: Wirkweise von Schmerzmitteln auf Faktoren der Chronifizierung (nach Baron).
Schmerzmedizin 2016; 32 (6)
Kurz gemeldet
Tumorschmerzen: 24-stündige
Schmerzabdeckung anstreben
—— Eine adäquate Schmerztherapie ist vor­
rangiges Ziel einer guten therapeutischen
Begleitung bei Tumorpatienten. Die Min­
destanforderung an einen Qualitätsstan­
dard sollte eine 24-stündige Schmerzfrei­
heit sein. Doch diese wird nach wie vor
häufig verfehlt.
„Wir müssen dafür sorgen, dass der einzelne
Mensch im Mittelpunkt steht, und nicht so
sehr die Standardisierung“, betonte Dr. Jo­
hannes Horlemann aus Kevelaer, Facharzt
für Innere- und Allgemeinmedizin, Schmerz
und Palliativmedizin und verantwortlicher
Autor der Praxisleitlinie „Tumorschmerz“
der Deutschen Gesellschaft für Schmerzme­
dizin. Entscheidend für Patienten in der
Palliativsituation sei die Zuverlässigkeit von
Therapie und Betreuung, denn Konstanz
wirke beruhigend und anxiolytisch. Die
Herstellung eines steady state mit 24-stün­
diger Schmerzabdeckung und das Erzielen
einer guten Schlafqualität seien neben der
Vermeidung von Durchbruchschmerzen
oder häufigen Opioidrotationen vorrangig.
Maßgeblich für die Auswahl eines Opioids
sei der Abgleich zwischen Schmerzkinetik
und Galenik des jeweiligen Medikaments.
So muss unter anderem unterschieden
werden zwischen nozizeptiven und neuro­
pathischen Schmerzen. Letzteren kommt
insbesondere für die Schlafqualität eine
wichtige Rolle zu, da sie meist belas­
tungsunabhängig und nachts auftreten.
Unter anderem wegen seiner besseren
Wirkung auf neuropathische Schmerzen, so
Horlemann, hat Hydromorphin das Mor­
phin als Goldstandard in der Opiattherapie
von Tumorschmerzen abgelöst: Es wirke
Behandlung starker Schmerzen
dual, CYP-unabhängig und auch weitge­
hend unabhängig von der Nierenfunktion.
Dadurch sei es leicht aufzutitrieren und zu
steuern. Zudem befinden sich mittlerweile
zahlreiche schnell anflutende und Retard­
optionen mit unterschiedlicher Galenik auf
dem Markt, was eine individuelle Therapie
erleichtere.
Norbert Schürmann, Leiter der Abteilung
für Schmerztherapie und Palliativmedizin
im St. Josef Krankenhaus GmbH Moers,
zeigte anhand eines konkreten Behand­
lungsbeispiels den Nutzen der i. v. Opioid­
titration als Mittel zur Neueinstellung von
Patienten mit stärksten Schmerzen (VAS 7
und mehr). Die titrierte Gabe von Hydro­
morphon i. v. dient dabei als Grundlage für
die Neuberechnung des täglichen oralen
Opioidbedarfs. Besonderes Augenmerk
sollte Schürmann zufolge auf die richtige
Interpretation der Schmerzsymptomatik
gelegt werden, denn häufig sei ein ver­
meintlicher Durchbruchschmerz ein „Endof-Dose-Failure“. Präparaten mit einer län­
geren Halbwertszeit und gleichmäßigeren
Wirkspiegeln wie beispielsweise Hydromor­
phon
long Retardtabletten komme
in diesem Kontext eine besondere Bedeu­
tung zu.
Anna Atak
Frühstücks-Symposium „Differenzierte Thera­
pie und Bedeutung unterschiedlicher Galeniken
in der Therapie mit Opioiden“ im Rahmen des
11. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für
Palliativmedizin, Leipzig, 9. September 2016;
Veranstalter: Aristo Pharma GmbH
Pain Care Award 2016 verliehen
Zum vierten Mal hat das Unternehmen Mundipharma den Pain Care Award (ehemals
„Pain Nurse des Jahres“) für außerordentliche Leistungen in der Betreuung von Patien­
ten mit Schmerzen verliehen. Auf dem Deutschen Schmerzkongress 2016 in Mannheim
wurde das Gewinnerprojekt gekürt: Der „Akutschmerzdienst“ von Tamara Kasten,
DIAKOVERE Henriettenstift Hannover, konnte den wissenschaftlichen Beirat des Pain
Care Awards 2016 für die Auszeichnung überzeugen. Das Projekt, bei dem es um die
Schmerzversorgung von Sectio-Patientinnen geht, zeige nicht nur ein akribisches Qua­
litätsmanagement, das Fragebögen, Schmerzdokumentation, Ziel- und Maßnahmen­
pläne sowie Infoflyer in interdisziplinärer Zusammenarbeit umfasst. Es überzeuge auch
durch das Aufsetzen einer Benchmark im Vergleich zu einem anderen Krankenhaus so­
wie durch die aufwendige Auswertung des Fragebogens. red
Schmerzmedizin 2016; 32 (6) Das Unternehmen Glenmark hat das
­ pioid Buprenorphin als transdermales
O
Pflaster (4 Tage) auf den Markt gebracht.
Buprenorphin Glenmark transdermales
Pflaster ist bioäquivalent zum Original­
präparat und steht in den Dosierungen
35 μg/Stunde, 52,5 μg/Stunde und 70
μg/Stunde zur Verfügung. Es ist jeweils
in den Packungsgrößen mit 4, 5, 8, 10, 16
oder 20 Stück lieferbar und zuzahlungs­
frei. Das transdermale Pflaster sollte auf
eine trockene, gesunde, gereinigte und
enthaarte sowie flache Hautpartie aufge­
bracht werden, beispielsweise am Rü­
cken oder unterhalb des Schlüsselbeins.
Nach 96 Stunden (4 Tagen) sollte das
Pflaster entfernt und das Folgepflaster
an einer anderen geeigneten Stelle ap­
pliziert werden. Therapienaive Schmerz­
patienten bekommen initial die kleinst­
mögliche Dosierung. Bei unzureichender
Wirkung wird die Dosis bis zu einer zu­
friedenstellenden Schmerzlinderung ge­
steigert.
Nach Informationen von Glenmark
Zulassungserweiterung für
Naloxegol
Der orale, peripher wirkende
µ-Opioidrezeptor-Antagonist Naloxegol
(
, der zur Behandlung der
Opioid-induzierten Obstipation (opioidinduced constipation, OIC) indiziert ist,
hat eine Zulassungserweiterung erhal­
ten. Die Filmtablette kann nun für die
Anwendung bei Patienten mit Schluck­
beschwerden gemörsert und in Wasser
gelöst verabreicht werden. Damit wird
auch diesen Patienten die Versorgung
mit einer gezielten, kausalen Therapie
der OIC ermöglicht.
Die empfohlene Dosierung von Nalox­
egol ist 25 mg einmal täglich. Für Patien­
ten, die nicht in der Lage sind, eine
Filmtablette zu schlucken, besteht nun
die Möglichkeit, die Tablette zu zersto­
ßen. Das Pulver muss dann in einem hal­
ben Glas Wasser (120 ml) aufgelöst und
sofort eingenommen werden. Danach
sollte das Glas mit einem weiteren hal­
ben Glas Wasser gespült und der Inhalt
ebenfalls getrunken werden. Die Lösung
kann auch über eine transnasale Magen­
sonde (CH8 oder größer) zugeführt wer­
den. Dabei ist es wichtig, den Tubus nach
der Gabe der Lösung mit Wasser durch­
zuspülen.
Nach Informationen von Kyowa Kirin
59
Praxis konkret
Galenus-Preis und CharityAward 2016
Innovationen ausgezeichnet
Im Rahmen einer Gala in Berlin ist der von Springer Medizin gestiftete
Galenus-von-Pergamon-Preis für pharmazeutische Innovationen
­verliehen worden. Mit dem CharityAward wurde auch ehrenamtliches
Engagement gewürdigt.
D
ie Preisträger wurden am 20. Ok­
tober von Bundesgesundheits­
minister Hermann Gröhe und
dem Jury-Vorsitzenden Professor Erland
Erdmann bei der „Springer Medizin
Gala“ in Berlin geehrt. Galenus-Preise
wurden in vier Kategorien vergeben.
Grundlagenforschung
Den Preis in der Kategorie „Grundlagen­
forschung“ erhielt Dr. Michael Potente
vom Max-Planck-Institut für Herz- und
Lungenforschung, Bad Nauheim. Poten­
te und seine Arbeitsgruppe belegten,
dass der Verlust des Transkriptionsfak­
tors FOXO1 zu einem unkontrollierten
Wachstum des Endothels und einer Ver­
größerung von Blutgefäßen führt. Hin­
gegen bedeutet ein Funktionsgewinn die
Ausdünnung des Endothels und ein ver­
ringertes Verzweigungsvermögen von
Blutgefäßen. Potentes Forschung könnte
zum Dreh- und Angelpunkt für zukünf­
tige therapeutische Ansätze werden.
Primary Care
In der Kategorie „Primary Care“ ging
der Preis an Empagliflozin
von Boehringer Ingelheim, das Typ-IIDiabetikern verordnet wird. Das Präpa­
rat verbessert aufgrund seines Wirkme­
chanismus die Blutzuckerkontrolle die­
ser Patienten. Zudem konnte für den
Wirkstoff eine erhebliche Reduktion des
kardiovaskulären Risikos bei entspre­
chender Erkrankung belegt werden.
Specialist Care
Den Preis in der Kategorie „Specialist
Care“ hat die Jury in diesem Jahr an zwei
Innovationen aus der Immunonkologie
vergeben: Nivolumab
von
Bristol-Myers Squibb sowie Pembroli­
zumab (
) von MSD Sharp &
Dohme. Beide Antikörper gehören zur
neuen Wirkstoffklasse der PD1 (Pro­
grammed Death 1)-Hemmer. Diese Im­
mun-Checkpoint-Hemmer versetzen
das körpereigene Immunsystem in die
Lage, Tumoren eigenständig wirksam zu
bekämpfen. Pembrolizumab hat die The­
rapie von Patienten mit fortgeschritte­
nem, nicht resezierbarem oder metasta­
siertem Melanom vorangebracht, Nivo­
lumab darüber hinaus von Patienten mit
lokal fortgeschrittenem oder metasta­
siertem nicht kleinzelligem Lungenkar­
zinom und von Patienten mit fortge­
schrittenem Nierenzellkarzinom. Ein
therapeutisches Potenzial wird auch au­
ßerhalb der Immun­onkologie vermutet.
Orphan Drugs
In der Kategorie „Orphan Drugs“ ging
der Preis an Sebelipase alfa (
von Alexion. Dabei handelt es sich um
die erste Enzymersatztherapie für Pati­
enten mit LAL-Defizienz, eine genetisch
bedingte, seltene Stoffwechselerkran­
kung bei der sich Cholesterinester und
Triglyzeride vermehrt in verschiedenen
Geweben ansammeln und dort multiple
Organschäden verursachen, die zum
vorzeitigen Tod führen können. red
CharityAward 2016
Bereits zum achten Mal in Folge würdigt Springer Medizin ehrenamtliches
Engagement. Die drei Preisträger erhalten jeweils eine Kombination aus Preisgeld und Medienleistungen.
Platz 1 ging an AGISRA, eine Informations- und Beratungsstelle in Köln, die
sich seit 1993 für Menschenrechte und
Interessen von Migrantinnen und
Flüchtlingsfrauen einsetzt.
©© David Vogt
Platz 2 belegte die „Ambulante Sozialpädagogik Charlottenburg“ (AMSOC)
in Berlin, bei der seit 2005 Paten die
Verantwortung für Kinder psychisch
­erkrankter Eltern übernehmen.
Gewinnerinnen des CharityAwards: Shewa Sinn (mit Trophäe) und Julia Schwieterjann
(mit Urkunde) von AGISRA, im Bild mit (v.l.) Moderatorin Andrea Ballschuh, Verlagschef
­Joachim Krieger vom Stifter und Sponsor Springer Medizin und Minister Hermann Gröhe.
60
Mit dem 3. Platz ausgezeichnet wurde
die „Sprechstunde für Menschen ohne
Sozialversicherung“ von Dr. Klaus
­Harbig in Dortmund.
Schmerzmedizin 2016; 32 (6)
Praxis konkret
Kurz gemeldet
Vorwurf: sexueller Missbrauch
Beurteilungsspielraum bei
Sonderbedarfsprüfungen
Beratungsverhältnis nicht
ausgenutzt
Liegen dem Berufungsausschuss die von
der Kassenärztlichen Vereinigung (KV)
im Rahmen einer Sonderbedarfsprüfung
eingeholten Auskünfte nicht vor, so kann
er seinen Beurteilungsspielraum nicht
richtig ausüben. Denn er muss stets in
der Lage sein, die von der KV vorgenom­
mene Auswertung und Zusammenfas­
sung durch eigene Anschauungen zu
überprüfen. Auch die am Verfahren Be­
teiligten müssen die Möglichkeit haben,
Einsicht in die Unterlagen zu erhalten.
Nur so sind sie in der Lage, gegebenen­
falls argumentativ Stellung zu nehmen.
Somit kann sich der Berufungsausschuss
nicht darauf berufen, die Unterlagen
­seien nicht Bestandteil seiner Verfahrens­
akte. Schließlich wird durch die Nichtof­
fenlegung der Unterlagen die gerichtli­
che Kontrolle eingeschränkt, wozu nur
der Gesetzgeber berechtigt ist. Anony­
misierte Fragebögen können in e
­ inem
rechtsstaatlichen Zulassungsverfahren
nicht verwandt werden.
Nachdem ein psychiatrischer Gutachter vom Landgericht wegen
­sexuellen Missbrauchs einer Staatsanwältin verurteilt worden war, hat
der Bundesgerichtshof ihn nun freigesprochen.
D
te entwickelte ein gesteigertes Interesse
an der Nebenklägerin. Bei einem gemeinsamen Abendessen offenbarte die
Nebenklägerin dem Angeklagten eine
seit mehreren Jahren bestehende Alkoholabhängigkeit.
Etwa zwei Jahre später wurde die
­Nebenklägerin, die nunmehr als Staatsanwältin tätig war, nach einem zwei­
wöchigen Klinikaufenthalt zwecks Behandlung der Alkoholabhängigkeit und
weiterer Krankheitsbilder von ihrem
Vorgesetzten mit dem Vorwurf des erheblichen Nachlassens ihrer Arbeitsleistung konfrontiert. Aufgrund dieser
Drucksituation erstrebte sie die Einnah-
©© Sebastian Duda / Fotolia
as Landgericht München II (LG)
hatte den Angeklagten wegen
sexuellen Missbrauchs unter
­
Ausnutzung eines Beratungs- oder Behandlungsverhältnisses in zwei Fällen
zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zehn
Monaten verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Dagegen wandte sich der Angeklagte mit der
Revision zum Bundesgerichtshof (BGH).
Nach den Feststellungen des LG wurde der Angeklagte als Psychiater vom LG
häufiger mit der Erstellung von Gutachten in Strafverfahren beauftragt. Dabei
lernte er auch die Nebenklägerin kennen,
damals Richterin am LG. Der Angeklag-
Schmerzmedizin 2016; 32 (6) Sozialgericht Marburg, Urteil vom
16. März 2016 – S 12 KA 345/15
Regress: Vergleichsanfechtung
wegen Unwissenheit nicht möglich
Ein Allgemeinmediziner erhob Wider­
spruch gegen Regressbescheide der KV
für die Jahre 2008 und 2009. Im Jahr
2013 bot ihm die KV unter Hinweis auf
den neuen Grundsatz „Beratung vor Re­
gress“, der auch für Altfälle Anwendung
finde, eine einvernehmliche Aufhebung
der beiden Regressbescheide gegen Be­
ratung an. Seine zunächst erteilte Zu­
stimmung ließ der Arzt anfechten. Mit
der Beratung habe ihm die KV lediglich
angeboten, was das Gesetz ohnehin vor­
schreibt (Täuschung). Er sei nun einem
höheren Risiko ausgesetzt, einen Verord­
nungsregress zu erfahren (Irrtum über
die Tragweite der Erklärung).
Die Anfechtung war jedoch nicht erfolg­
reich. Denn die Unkenntnis darüber, dass
bei künftiger, erneuter Überschreitung
einer Richtgröße keine (weitere) indivi­
duelle Beratung festgesetzt werden wird,
sondern das Risiko eines finanziellen
­Regresses im Falle der Richtgrößenüber­
schreitung droht, stellt keinen Inhalts­
irrtum i.S.d. § 119 Abs. 1 Alt. 1 BGB dar,
entschied das Gericht.
Sozialgericht Marburg, Gerichtsbescheid vom
22. März 2016 – S 16 KA 292/14
61
Kurz gemeldet
Einschätzung des Suizidrisikos
Eine sanktionswürdige Berufspflichtverletzung kann nicht allein deshalb angenommen werden, weil sich nach einem
Suizid eines Patienten herausstellt, dass
der Arzt im Rahmen einer psychiatrischen Behandlung die Suizidalität falsch
eingeschätzt hat. Maßgebend ist vielmehr, wie sich die Suizidgefahr für den
Arzt ex ante dargestellt hat.
Der Arzt ist im Rahmen der verfassungsrechtlich garantierten Therapiefreiheit
berechtigt und verpflichtet, die ihm geeignet erscheinende diagnostische und
therapeutische Behandlungsmethode
auszuwählen. Gerade im Bereich psychiatrischer Behandlungen ist dem Arzt ein
weiter diagnostischer und therapeutischer Beurteilungs- und Ermessensspielraums zuzubilligen.
Oberverwaltungsgericht für das Land NRW,
Beschluss vom 20. April 2016 – 6t E 927/14.T
Ärztliche Schweigepflicht nach dem
Tod eines Patienten
Der Arzt hat zu Lebzeiten seiner Patienten die ärztliche Schweigepflicht zu beachten. Das bedeutet, dass er in einem
Zivilprozess unter Berufung auf seine
Schweigepflicht in Bezug auf die Pflegebedürftigkeit seiner Patienten das Zeugnis verweigern darf, so lange die Patienten ihn nicht von der Verpflichtung zur
Verschwiegenheit entbinden.
Die ärztliche Schweigepflicht reicht über
den Tod der Patienten hinaus. Nach dem
Tod der Patienten ist zu prüfen, ob sie zu
Lebzeiten geäußert haben, dass der Arzt
nach ihrem Tod schweigen soll oder ob
er Angaben machen darf. Gibt es eine
solche Äußerung nicht, ist der mutmaß­
liche Wille der Verstorbenen heraus­
zufinden, also zu prüfen, ob sie die
Offenlegung mutmaßlich gebilligt oder
missbilligt hätten.
Im Rahmen der Erforschung des mutmaßlichen Willens ist dem Arzt eine
weitgehende eigene Entscheidungs­
befugnis einzuräumen. Er muss allerdings, wenn er sich zu einer Aussageverweigerung entschließt, eine gewissenhafte Prüfung vornehmen und im Einzelnen darlegen, auf welche Belange des
Verstorbenen sich seine Verweigerung
stützt.
Oberlandesgericht Koblenz, Beschluss vom
23. Oktober 2015 – 12 W 538/15
62
Praxis konkret
me von angstlösenden Benzodiazepinen.
Während des Klinikaufenthalts war vor
dem Hintergrund einer früher bestehenden Benzodiazepin-Abhängigkeit die
langsame Reduzierung und schließlich
die Absetzung zuvor verabreichter
Benzo­diazepine erfolgt. Die Nebenklägerin ging davon aus, ihr behandelnder
Arzt werde ihr diese Medikamente nicht
mehr verschreiben. In dieser Situation
kam sie auf den Gedanken, sich an den
Angeklagten zu wenden und sein Interesse an ihr auszunutzen, um ihn durch
Aufnahme einer sexuellen Beziehung
zur Verschreibung von Benzodiazepinen zu bewegen.
In der Folgezeit erreichte die Nebenklägerin, dass der Angeklagte ihr mehrfach die begehrten Medikamente verschrieb oder Blankorezepte überließ.
Der Angeklagte besorgte sich in diesem
Zusammenhang frühere Arztberichte
und beriet die Nebenklägerin über eine
Änderung der Medikation. Weitergehende Avancen des Angeklagten, der
mit der Nebenklägerin eine Lebenspartnerschaft beginnen und ein gemeinsames Kind haben wollte, wies sie zurück.
Im Rahmen des mehrere Monate dauernden Verhältnisses kam es mehrfach
zu einvernehmlichen sexuellen Handlungen.
Das Urteil
Die Revision des Angeklagten führte zur
Aufhebung des Urteils des LG-München
II und zum Freispruch durch den BGH.
Der BGH hat, anders als das LG, das Verhalten des Angeklagten als nicht strafbar angesehen und ihn deshalb freigesprochen.
Ein Missbrauch im Sinne des § 174c
Abs. 1 StGB liegt nach Auffassung des
BGH nicht vor, wenn eine sich bereits in
ärztlicher Behandlung befindliche Patientin von sich aus das vorhandene Interesse eines mit ihr privat bekannten Arztes an ihrer Person dazu nutzt, um sich
im Rahmen einer lockeren freundschaftlichen Beziehung sonst nicht erhältliche
Medikamente verschreiben zu lassen.
An einem Missbrauch des Behandlungsverhältnisses fehlt es demnach, wenn die
Patientin dem Arzt aufgrund ihrer beruflichen Stellung und Persönlichkeit
auf Augenhöhe begegnet und der Entschluss, mit dem Arzt sexuell zu verkeh-
ren, nicht auf wesentlich krankheitsbedingte Willensmängel zurückzuführen
ist.
Deshalb lagen die Voraussetzungen
von § 174c Abs. 1 StGB für eine Strafbarkeit des Angeklagten nicht vor, wenngleich zwischen dem Angeklagten und
der Nebenklägerin grundsätzlich ein
tatbestandlich gefordertes Beratungsund Behandlungsverhältnis bestand.
Dieses Verhältnis missbrauchte der angeklagte Psychiater nach Ansicht des erkennenden Senats jedoch nicht zur Vornahme sexueller Handlungen mit der
Nebenklägerin. An einem Missbrauch
in dem vom Gesetz vorausgesetzten
Sinn fehlt es, wenn der Täter nicht eine
aufgrund des Beratung-, Behandlungsoder Betreuungsverhältnisses bestehende Autoritäts- oder Vertrauensstellung
gegenüber dem Opfer zu sexuellen
Handlungen ausnutzt. Vorliegend begegnete die Nebenklägerin dem Angeklagten indessen aufgrund ihrer beruflichen Stellung als Staatsanwältin auf
Augenhöhe. Der Angeklagte nahm demzufolge nicht illegitim eine Chance wahr,
die das Vertrauensverhältnis mit sich
brachte.
Entscheidend für die Beurteilung, ob
ein Missbrauch vorliegt, kommt es nach
Auffassung des BGH ferner auf die konkrete Art und Intensität des Verhältnisses an. In diesem Fall ließ sich die Nebenklägerin vom Angeklagten nicht medizinisch behandeln, sondern holte dessen ärztlichen Rat auf freundschaftlicher
Basis unentgeltlich ein. Da sich die Nebenklägerin bereits vor Beginn des
­Behandlungsverhältnisses entschlossen
hatte, den Angeklagten zu instrumentalisieren, stellte sich ihr Vorgehen als
Ausdruck ihrer sexuellen Selbstbestimmung dar und nicht als deren Missbrauch durch den Angeklagten.
Literatur beim Verfasser
Arno Zurstraßen M.A.
Rechtsanwalt und Mediator
Fachanwalt für Medizinrecht und
Fachanwalt für Sozialrecht
Aachener Straße 197-199, 50931 Köln
[email protected]
www.arztundrecht.de
Schmerzmedizin 2016; 32 (6)
Impressum

Ausgabe 1/17
erscheint am 1. Februar 2017
CME-Fortbildung
Fortbildung
Kongressbericht
Palliative Sedierung
zur Symptomkontrolle
Akupunktur beim
perioperativen Schmerz
Interdisciplinary World
Congress on Low Back Pain
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finden Sie auch im Internet unter
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schmerzmedizin
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Angewandte Schmerztherapie und Palliativmedizin
Organ der Deutschen Gesellschaft für
Schmerzmedizin e. V. (DGS)
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Nürnberg; Ludwig Distler, Saarbrücken; Sven
Gottschling, Homburg/Saar; Johannes Jäger,
Homburg/Saar; Eberhard Albert Lux, Lünen
Beirat
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Wolfgang Bartel, Halberstadt; Klaus Borchert,
Greifswald; Burkhart Bromm, Kiel; Thomas Cegla,
Wuppertal; Peter Engeser, Pforzheim; Gideon
Franck, Petersberg; Ingunde Fischer, Halle; Gerd
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Magdeburg; Winfried Hoerster, Gießen; Hilmar
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Thomas Schindler, Berlin; Günther Schütze,
Iserlohn; Hanne Seemann, St. Leon-Rot; Ralph
Spintge, Lüdenscheid; Matthias Strittmatter,
Merzig; Reinhard Thoma, München; Thomas Tölle,
München; Roland Wörz, Bad Schönborn; Kati
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Bremen; Walter Zieglgänsberger, München;
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Deutschland GmbH ist eine 100 %ige Tochtergesellschaft der Springer SBM Two GmbH. Die
Springer SBM Two GmbH ist eine 100 %ige Tochter der Springer SBM One GmbH. Die Springer
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