Gesellschaftlicher Wandel

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Gesellschaftlicher Wandel
„Einführung in die Geschichte der Neuzeit“
Vorlesung BA
Sitzung 10
Gesellschaftlicher Wandel
I. Wandel von Verkehr und Kommunikation
1. Formen national und kontinental
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Chausseen (befestigte Straßen): Ausbau vor allem seit 1800, angestoßen
durch napoleonische Kriege. Ermöglichen erstmals ganzjährigen
Transport von Waren, Personen und Nachrichten über Land;
durchschnittliche Reisegeschwindigkeit steigt von 5 auf 15 km/h.
Eisenbahn (in England seit 1800 in Kohlengruben, 1825 erste
Güterzugstrecke, 1830 erste Personenzugstrecke, bis 1880 in West- und
Mitteleuropa vollständige Netze): Plötzliche Beschleunigung auf anfangs
45 km/h und bald mehr
Automobil (erfunden um 1900) ersetzt die Eisenbahn als
Massenverkehrsmittel seit 1950. Kein Tempogewinn, aber
Individualisierung des Verkehrs.
2. Formen transkontinental
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Dampfschiff (seit ca. 1850)
Flugzeug (seit ca. 1950)
3. Revolution der Kommunikation
Optischer Telegraf 1791, Morsetelegraf 1837: Abkoppelung der nun fast
verzögerungslosen Nachrichtenübermittlung von Transportmitteln.
4. Folgen
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"Vernichtung des Raumes": Entstehung und Ausweitung von nationalen,
kontinentalen und globalen Märkten – Explosion des Handels innerhalb
Europas und des Handels zwischen Europa und dem Rest der Welt 18501910 ("erste Globalisierung"), nach Stagnation des Handelsvolumens
zwischen ersten und zweitem Weltkrieg erneute Intensivierung der
Handelsbeziehungen seit 1945 ("zweite Globalisierung") –
Massentourismus
Vereinheitlichung der Zeit: Angleichung der bisherigen, am Sonnenstand
orientierten Ortszeiten national in den 1880er Jahren – Globale
Einteilung in Zeitzonen 1911
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II. Demographischer Wandel
1. Die Bevölkerungsexplosion
Nach nur sehr langsamem Wachstum bis 1750 explosionsartige Vermehrung
der europäischen Bevölkerung im 19. und 20. Jahrhundert.
2. Der demographische Übergang
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Bis 1750 in ganz Europa hohe Sterbeziffer und wenig höhere
Geburtenziffer
(mit Fluktuation durch Kriege, Seuchen, Mißernten Æ Hungersnöte)
Dann zuerst im Norden und Westen, zuletzt im Süden und Osten
Absinken der Sterbeziffer
Æ hoher Geburtenüberschuß; erst später auch Absinken der
Geburtenziffer
Ende des 20. Jahrhunderts in den meisten europäischen Ländern mit
niedrigen Sterbe- und Geburtenziffern Ende des demographischen
Übergangs erreicht
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3. Gründe für das Absinken der Sterbeziffer
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Vor allem Vermeidung von Hungersnöten und Erweiterung der
Nahrungsbasis durch:
a. Erhöhung der Agrarproduktion
b. Einsparung von Getreide wegen Ersetzung tierischer durch
mechanische Antriebskraft
c. Bessere Verteilung von Nahrungsmitteln durch Fortschritte im
Transportwesen (s.o.)
Daneben auch medizinische Fortschritte:
a. Schutzimpfung gegen Seuchen seit dem späten 18. Jahrhundert
b. Hygiene seit spätem 19. Jahrhundert
4. Ursachen des Absinkens der Geburtenziffer
Vermehrter Einsatz von (bereits länger bekannten) Methoden der
Empfängnisverhütung wegen
a.
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sinkender Akzeptanz religiöser Normen,
dem Vordringen von Individualismus,
der Frauenemanzipation,
dem Ausbau staatlicher Sozialversicherungssysteme (Unnötigkeit von
Kindern zur Altersversorgung).
III. Familie und Geschlechterbeziehungen
1. Von der traditionellen zur modernen Familie
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Trennung von Produktion und Reproduktion
Tendenzieller Wandel der Frauenrolle (Beschränkung auf
Reproduktionsaufgaben)
Wandel der Geschlechterbeziehungen: Aufwertung von Gefühlen des
Brautpaars, Durchsetzung des Ideals der "Liebesheirat"; vermutliche
Ursache: Unnötigkeit der während der frühen Neuzeit im größten Teil
Europas üblichen Geburtenbeschränkung durch hohes Heiratsalter,
erzwungene Ehelosigkeit und soziale Kontrolle wegen Erweiterung des
Nahrungsspielraums
Entstehung der Privatsphäre
a. Beispiel: Veränderung der Festkultur
b. Familie als Schutzraum des Privaten
c. Individuelle Schutzräume in der Familie
"Erfindung" der Kindheit (Anzeichen: Verbot der Kinderarbeit,
Durchsetzung allgemeiner Schulpflicht)
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2. Formen der Familie
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Bäuerliche und handwerkliche Familie (Erhaltung von Resten
traditioneller Familie, jedoch zunehmende Angleichung an die neuen
Praktiken Æ kleinbürgerliche Familie)
Bürgerliche Familie
a. Trennung von "Haushalt" als weiblicher Aufgabe und bezahlter
"Erwerbsarbeit" außer Haus als männlicher Domäne
("Hausfrauenehe")
b. Entlastung der Hausfrau durch Dienstboten, später Maschinen;
Kindererziehung und Einrichtung der Privatsphäre als neue
Aufgaben
c. Vorbildfunktion für andere Familientypen (Adel, Kleinbürger,
Arbeiter)
Proletarische Familie (vielfach ökonomische Notwendigkeit weiblicher
Erwerbstätigkeit trotz theoretischer Übernahme des Prinzips der
"Hausfrauenehe")
3. Auflösung oder Wandel der Familie seit dem 20. Jahrhundert?
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Zunahme außerhäusiger weiblicher Erwerbsarbeit Æ Tendenz zur
Auflösung des Ideals der "Hausfrauenehe".
Verstärkung von Emotionalisierung und Individualisierung: Zunahme von
Ehescheidung, "Lebensabschnittsbeziehungen", "Patchwork"- und
Einelterfamilien, gewollter Kinderlosigkeit, Einpersonenhaushalten
IV. Von der ständischen zur bürgerlichen Gesellschaft
1. Die Ständegesellschaft
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Kennzeichen: Durch Herkunft legitimierte rechtlich fixierte Ungleichheit
Beseitigung durch Aufklärung und Revolutionen 1789-1918
2. Normen der bürgerlichen Gesellschaft
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Rechtsgleichheit
Chancengleichheit
Legitimation sozialer Stellung durch Leistung
3. Gegenentwürfe zur bürgerlichen Gesellschaft
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Faschistische "Volksgemeinschaft"
Sozialistische Gesellschaft
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4. Interpretationen der bürgerlichen Gesellschaft
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Staatsbürgergesellschaft: Universalität des rechtlichen Bürgerbegriffs;
konfliktfrei
Bürgerliche Klassengesellschaft (Marx): Bürgertum als ökonomisch
(durch Besitz von Produktionsmittel) definierte Klasse; konflikthaft;
Auslaufmodell
Bürgerliche Mittelstandsgesellschaft: Sozialer (subjektive Zurechnung)
und kultureller (Familie, Bildung, Individualismus, Leistungsprinzip)
Begriff von Bürgerlichkeit; tendenziell konfliktfrei; Bürger als Mitte und
Masse der Gesellschaft, daher Zukunftsmodell
Weiterführende Literatur:
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Andre Armengaud, Die Bevölkerung Europas von 1700-1914, in:
Europäische Wirtschaftsgeschichte,
Bd. III, Stuttgart 1976, S. 11-35 (Demographie).
Handbuch der europäischen Wirtschafts- und Sozialgeschichte, Bd. IV,
Stuttgart 1993, S. 101-109 (Transport).
Jürgen Kocka, Ein bürgerliches Jahrhundert?, in ders., Das lange 19.
Jahrhundert, Stuttgart 2001,
S. 98-138 (Gesellschaft).
Thomas Nipperdey, Deutsche Geschichte 1800-1866, München 1983, S.
114-130 (Familie).