Hasskriminalität: Auswirkungen von Hafterfahrungen auf
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Hasskriminalität: Auswirkungen von Hafterfahrungen auf
Jahrbuch 2006/2007 | Brandenstein, Martin; Özsöz, Figen | Hasskriminalität: Ausw irkungen von Hafterfahrungen auf fremdenfeindliche jugendliche Gew alttäter Hasskriminalität: Auswirkungen von Hafterfahrungen auf fremdenfeindliche jugendliche Gewalttäter Hate crimes: The impact of imprisonment on violent juvenile offenders Brandenstein, Martin; Özsöz, Figen Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht, Freiburg Korrespondierender Autor E-Mail: [email protected] Zusammenfassung Welche Ausw irkungen haben Sanktionen und Gefängnis auf die Entw icklung und das Selbstbild von fremdenfeindlichen jugendlichen Straftätern? In den 1990er-Jahren rückten Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit mit dem Aufflammen von pogromartigen Gew altexzessen und massiven, hassmotivierten Gew altakten, die von jungen Männern ausgehen, in das Zentrum der Gew altforschung und der Kriminalpolitik. Hassgew alt bezeichnet dabei solche Gew alt, die gegen Andere nur deshalb verübt w ird, w eil diese einer durch Religion, Ethnie, Behinderung oder sexuelle Orientierung markierten sozialen Gruppe angehören. Summary W hat effect do criminal sanctions and prison terms have on the development and self-perception of juvenile xenophobic criminal offenders? During the 1990s, a large scale flaring up of violent hate motivated crimes, carried out by young right-w ing and xenophobic men, fell w ithin the direct spotlight of research into violence and criminological policy. Hate crimes designate a set of criminal offences w hich are committed against those w ho, because of certain social characteristics such as religion, ethnicity, disability or sexual orientation, are labelled as belonging to another social group. Ein Blick auf die Haftsituation rechtsextremistischer Gewalttäter in Deutschland Die besondere zw eifellos aus gesellschaftliche der Aufmerksamkeit für rechtsextremistische faschistischen Vergangenheit und dem Gew alt folgt in Deutschland rassistisch motivierten Völkermord. Rechtsextremistisch motivierte Gew alt rührt überdies an den Grundpfeilern einer freiheitlich-demokratischen Verfassung. Gew alttätige Übergriffe auf Menschen mit anderer ethnischer oder sozialer Herkunft, mit anderem Glauben oder einer anderen sexuellen Orientierung stellen einen massiven Angriff auf die Menschenw ürde dar, fordern das Gew altmonopol heraus und fördern eskalationsträchtige „W ir-und-Sie“-Konflikte. In schw erw iegenden Fällen begegnet der Staat diesen Gew altakten, w ie auch allen anderen rechtsw idrig und schuldhaft verübten Taten, mit der Verhängung von Haftstrafen. © 2007 Max-Planck-Gesellschaft w w w .mpg.de 1/4 Jahrbuch 2006/2007 | Brandenstein, Martin; Özsöz, Figen | Hasskriminalität: Ausw irkungen von Hafterfahrungen auf fremdenfeindliche jugendliche Gew alttäter Die Ausw irkungen von Haft speziell auf rechtsextremistisch motivierte Gefangene sind bislang ebenso unbekannt w ie es bis heute keine verlässlichen Zahlen zur Verbreitung von rechtsextremistischen Orientierungen im Strafvollzug oder zum Anteil von Inhaftierten, die einschlägige Straftaten begangen haben, gibt. Die w eitgehende Vernachlässigung des Problems des Rechtsextremismus im Strafvollzug verw undert auch deshalb, w eil gesellschaftliche Entw icklungen bekanntlich vor den Toren der Gefängnisse nicht Halt machen. In den vergangenen Jahren w ird immer w ieder auf ein deutliches Ansteigen der Zahl rechtsextremistisch motivierter Straftaten hingew iesen. Insow eit kann davon ausgegangen w erden, dass auch die Zahl rechtsextremistischer Gefangener in Strafvollzugsanstalten entsprechend zugenommen hat. Dies bedeutet w iederum, dass der Strafvollzug zunehmend mit einer speziellen Gruppe von Gefangenen konfrontiert ist, über die kaum etw as bekannt ist. Eine Studie am Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht konzentriert sich nun auf die Ausw irkungen von Jugendhaft auf die Entw icklungsprozesse junger Männer, die w egen rechtsextremistisch oder fremdenfeindlich motivierter Gew alttaten verurteilt und inhaftiert w urden (Abb. 1). Im Zentrum stehen Fragen nach der Veränderung der Identität, des Selbstbildes, der Bindungen an rechtsextremistische Überzeugungen und Gruppen sow ie der Gew altbereitschaft im Inhaftierungsverlauf. Zentrales Anliegen ist es ferner, über die deskriptive Ebene hinaus das Zusammenspiel unterschiedlicher Einflussgrößen innerhalb und außerhalb der Haft differenziert zu analysieren. Unte rsuchungsde sign m it de r Za hl bisla ng be fra gte r Juge ndliche r, Sta nd de r Erhe bunge n a m 20.12.2006. Die Studie ba sie rt m it de r Anwe ndung le itfa de nge stützte r Einze linte rvie ws a uf e ine m qua lita tive n Forschungszuga ng, a lle rdings ohne a uf sta nda rdisie rte Da te n durch Fra ge boge ne rhe bunge n zu the ore tisch se le k tie rte n Inha ltsbe re iche n (zum Be ispie l P e rsönlichk e it, Se lbstk onze pt, Autorita rism us, P risonisie rung) zu ve rzichte n. Sie ist m it zwe i Erhe bungsze itpunk te n lä ngsschnittlich a nge le gt und um fa sst de n Ve rgle ich de r Stichprobe ngruppe n a bis c. Die je we ilige n Unte rsuchungsgruppe n be ste he n a usschlie ßlich a us junge n Mä nne rn de utsche r He rk unft im Alte r von 14 bis 24 Ja hre n. Die Stichprobe ngröße wird e twa 15 bis 20 P e rsone n je Gruppe be tra ge n. © Ma x -P la nck -Institut für a uslä ndische s und inte rna tiona le s Stra fre cht/Ö zsöz, Bra nde nste in Ein Schw erpunkt dieses Projekts ist die Frage, ob und inw iew eit der Strafvollzug rechtsextreme Orientierungsmuster Jugendlicher und Heranw achsender abschw ächt, verfestigt oder in ihren inhaltlichen Ausprägungen verändert. Hierbei geht es insbesondere um die spezifischen Bedingungen von Veränderungsprozessen, das heißt um die Frage, unter w elchen individualpsychologischen sow ie sozialinstitutionellen Bedingungen es zu einer Verfestigung oder Ablösung von rechtsextremen Tendenzen kommt. Zuallererst gilt es zu klären, inw iew eit die als „rechtsextremistisch“ oder „fremdenfeindlich“ etikettierte Straftat tatsächlich aus einer rechtsextremen Ideologie heraus begangen w urde und in w elcher Art und Weise sich vorhandene rechtsextreme Neigungen inhaltlich äußern. Manifestiert sich der Kern dieser jugendlichen Weltanschauung lediglich in einer Ablehnung und Abw ertung von sozialen Minderheiten oder lassen sich w eitere Facetten w ie Nationalismus oder Führer- und Gefolgschaftsideologien feststellen? Im Bereich individualpsychologischer Bedingungen richtet sich das Augenmerk der Forscher auf Ausw irkungen © 2007 Max-Planck-Gesellschaft w w w .mpg.de 2/4 Jahrbuch 2006/2007 | Brandenstein, Martin; Özsöz, Figen | Hasskriminalität: Ausw irkungen von Hafterfahrungen auf fremdenfeindliche jugendliche Gew alttäter Im Bereich individualpsychologischer Bedingungen richtet sich das Augenmerk der Forscher auf Ausw irkungen des soziodemographischen Hintergrunds, der Persönlichkeitsmerkmale sow ie der autoritären Persönlichkeitszüge auf rechtsextremistische Orientierungsmuster und den Vollzugsverlauf. In Bezug auf sozial-institutionelle Einflussgrößen w erden sow ohl formelle (w ie Vollzugsform, Anstaltsgröße, Förderangebote) als auch informelle Strukturen (w ie Subkulturbildung, Gruppenkonflikte, Anstaltsklima) des Vollzugs analysiert. Hierbei geht es zunächst um die Bedeutung der konkreten Haftsituation für rechtsextreme Tendenzen. Welche Rolle spielt beispielsw eise die institutionelle Unterbringung oder die ethnische Zusammensetzung der Insassen für Einstellungsveränderungen und den Vollzugsverlauf? Können durch gezielte Förderangebote positive Veränderungen erzielt w erden? Fremdenfeindliche Gew altbereitschaft w ird zudem im Lichte des Selbstbildes und der Identität von Jugendlichen untersucht. Die Identitätsentw icklung von Jugendlichen lässt nicht nur eine entw icklungs- und sozialpsychologische, sondern auch soziologische Deutung fremdenfeindlichen gew alttätigen Verhaltens zu. So kann das Bild, das man von sich selbst hat, nur dadurch erzeugt w erden, dass man sich selbst mit den Augen der Anderen sieht. Gerade in der Haft beschränken sich Interaktionen allerdings auf einen nur äußerst kleinen Kreis von Menschen. Das Austesten verschiedener Rollen, w orauf Jugendliche zur Bew ältigung ihrer Identitätsfindung angew iesen sind, ist somit nur sehr eingeschränkt möglich. Die Interaktionen in der Haft haben daher eine erhebliche Relevanz für die Identitätsentw icklung im Strafvollzug. Es ist aber auch die besondere Beziehung zw ischen w egen Hassgew alt inhaftierten jungen Männern und dem strafenden Staat zu beachten. „Normale“ Gefangene sehen die Strafe in der Regel als eine (ebenso) „normale“ Etikettierung auslösende Reaktion auf die Straftat. Bei fremdenfeindlichen Gew alttätern hingegen ist anzunehmen, dass die strafende Reaktion des Staates an Stelle der Stigmatisierung den Rückgriff auf Rechtfertigungssysteme und Solidaritätsreservoirs mit sich bringt, die nicht nur Neutralisierung der Signale der Sanktion, sondern die Ausgangsmotivation und Bindung an hassunterstützende Gruppen verstärken. Dieser Gesichtspunkt hängt eng zusammen mit einem w eiteren Schw erpunkt der Untersuchung, nämlich der Art der verw endeten Rechtfertigungsstrategien. Aus der Art und Weise, w ie die jungen Täter die Gew alt rechtfertigen, lassen sich Aussagen darüber treffen, w ie tief rechtsorientierte Überzeugungen im Selbstkonzept verankert sind. Erste Ergebnisse: Rechtsextreme Gewalt oder allgemeine Aggression? Bisherige Ergebnisse zeigen, dass rechtsextremistisch motivierte Inhaftierte eine sehr heterogene Gruppe darstellen. Gleichw ohl handelt es sich bei der Mehrzahl der in diesem Forschungsprojekt untersuchten jungen Männer um Mehrfachstraftäter, bei denen rechtsextremistische Ideologien häufig als Deckmantel für allgemeine Aggressionen dienen. Eine einheitliche Beurteilung der von Jugendhaft ausgehenden „W irkstoffe“ ist nicht nur w egen der unterschiedlichen biografischen und persönlichkeitsspezifischen Hintergründe der jungen Männer, sondern auch w egen der nach organisatorischer, baulicher, nach Belegschaft und Insassenzusammensetzung sehr verschiedenen Haftbedingungen besonders schw ierig. Dies kann sich etw a in der Unterbringung und im Umgang mit fremdenfeindlichen Jugendlichen von Anstalt zu Anstalt manifestieren, w enn etw a in einer Anstalt fremdenfeindliche Jugendliche zusammengelegt und in einer anderen auf verschiedene Abteilungen verteilt w erden. Dennoch w erden rechtsorientierte Jugendliche zumeist als eine Inhaftiertengruppe eigener Art – neben ansonsten lediglich nach Deliktsgruppen unterschiedenen Jugendlichen – innerhalb der jew eiligen Anstalt angesehen. Entsprechend kommt ihnen auch regelmäßig eine spezifische Aufmerksamkeit durch die Vollzugsverw altung zu. So w ie schon im Allgemeinen Jugendliche in der Regel aus einer Kriminalitätsphase „hinausw achsen“, so lässt sich auch feststellen, dass die interview ten Jugendlichen hinsichtlich ihrer Gew altbereitschaft von einem © 2007 Max-Planck-Gesellschaft w w w .mpg.de 3/4 Jahrbuch 2006/2007 | Brandenstein, Martin; Özsöz, Figen | Hasskriminalität: Ausw irkungen von Hafterfahrungen auf fremdenfeindliche jugendliche Gew alttäter sich auch feststellen, dass die interview ten Jugendlichen hinsichtlich ihrer Gew altbereitschaft von einem „Ruhiger-Werden“ berichten: davon, nur noch ihre Ruhe haben zu w ollen; sich nicht mehr dafür zu interessieren, w as andere Kumpels von ihnen „erw arten“ (nicht selten, w eil sie auch merken, dass die Loyalität ihnen selbst gegenüber begrenzt ist, seit sie sich in Haft befinden); die Bedeutung ihrer Familie jetzt erst richtig erkannt zu haben (und in vielen Fällen Unterstützung von ihr zu erfahren). Die w eit überw iegend unter jungen Menschen anzutreffende rechtsextremistisch motivierte Gew alt deutet bereits rein statistisch darauf hin, dass ihre Gew altbereitschaft w eniger w egen der Hafterfahrungen an sich, sondern aufgrund des altersbedingten Rückgangs der Aggressions- und Gew altbereitschaft abebben w ird. Inw iew eit auch die rechtsorientierte Einstellung allein mit dem Ablauf der Zeit abnimmt, hängt somit auch davon ab, w elche Bedeutung die Gew altbereitschaft für die Zugehörigkeit zu einer rechten Gruppierung hat. So lässt sich die Zugehörigkeit zur rechten Szene bei einigen Jugendlichen teilw eise als die Inanspruchnahme eines von w enigen Angeboten auf dem „Gew altmarkt“ oder, w ie oben erw ähnt, als „Deckmantel“ interpretieren. In diesen Fällen etw a ist damit zu rechnen, dass sich die fremdenfeindliche „Einstellung“ zusammen mit der Gew altbereitschaft abschw ächt. Ob die Erfahrungen mit ausländischen Insassen in der Jugendstrafhaft zu einer Verstärkung oder Abnahme der Fremdenfeindlichkeit führen, hängt von individuellen Erfahrungen mit einzelnen Ausländern ab und entzieht sich einer allgemeinen Beurteilung. Allerdings können hier auch Kontaktaufnahmen mit Jugendlichen von außen, etw a auch durch rechtsgerichtete Organisationen, eine Distanzierung von der rechten Szene erschw eren. Abkehr von starren Schemata im Jugendstrafvollzug Die Bew ertung des Bedrohungspotenzials der von Jugendlichen verübten rechtsextremistischen Gew alt lässt sich nicht unabhängig von den dem Rechtsstaat zur Verfügung stehenden präventiven und repressiven Mitteln nachzeichnen. Die rechtliche Institution der Jugendstrafe sagt w enig darüber aus, w orin genau bei ihrer Verhängung für den betreffenden Jugendlichen eigentlich die (strafenden) W irkungen bestehen w erden. Schon im Allgemeinen ist in Strafanstalten ein auf die individuellen Bedürfnisse von straffälligen Jugendlichen ausgerichteter Umgang eher eine Ausnahme. Somit stellt sich auch und erst recht für den Umgang mit rechtsextremistischen Jugendgefangenen die Frage, w elche konzeptionellen Änderungen bei der Vollziehung von Jugendhaft zu sinnvollen Ergebnissen führen können. Es gibt auch vollzugsexterne Programme, die einschlägigen Jugendlichen helfen sollen, ihren Ausstieg aus der rechtsextremen Szene zu erleichtern. Für die Jugendhaft selbst scheinen die unterschiedlichen und vielschichtigen biografischen und tatspezifischen Hintergründe der interview ten Jugendlichen bislang jedenfalls den Abschied von einem schematischen Umgang mit dieser Straftätergruppe nahezulegen. Originalveröffentlichungen Nach Erw eiterungen suchenBilderw eiterungChanneltickerDateilisteHTML- Erw eiterungJobtickerKalendererw eiterungLinkerw eiterungMPG.PuRe-ReferenzMitarbeiter Editor)Personenerw eiterungPublikationserw eiterungTeaser (Employee mit BildTextblockerw eiterungVeranstaltungstickererw eiterungVideoerw eiterungVideolistenerw eiterungYouTubeErw eiterung [1] F. Özsöz: Rechtsextreme Gefangene im Strafvollzug – Ein Überblick. Monatsschrift für Kriminologie und Strafrechtsreform 90/1, 30–47 (2007). © 2007 Max-Planck-Gesellschaft w w w .mpg.de 4/4