der exotische - DAV Summit Club

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der exotische - DAV Summit Club
CARSTENSZ-PYRAMIDE (4.884 METER)
DER EXOTISCHE
Der abgelegene Gipfel in West-Papua ist einer der technisch schwierigsten „Seven
Summits“ – schon die Anreise zum Fuß des Bergs ist ein Abenteuer der Extraklasse.
Text: Günter Kast, Fotos: DAV Summit Club/Christoph Schnurr
Wenn ich früher meiner Oma, deren längste
und keineswegs freiwillige Reise 1944
vom Sudentenland nach Schwaben führte,
von meinen Rucksack-Touren in aller Welt
erzählte, pflegte sie aufmerksam zuzuhören.
Sie stellte sogar die eine oder andere
Zwischenfrage – um irgendwann, wenn sich
meine Stimme angesichts überstandener
Abenteuer zu überschlagen drohte, den
Vorschlaghammer herauszuholen und ganz
ansatzlos zu fragen: „Und wem gfällt’s do?“
Dabei verzog sie keine Miene.
Fotos einer Reise zur Carstensz-Pyramide,
1962 von Heinrich Harrer erstbestiegen,
hätten ganz sicher diese Reaktion meiner
Großmutter provoziert. Denn selbst
erfahrene Expeditionsbergsteiger, die
schon den einen oder anderen der Seven
Summits in der Tasche haben, dürfen sich
im Regenwald von Neuguinea auf ein sehr
spezielles Abenteuer gefasst machen: In
den Alpen kommt es doch eher selten
vor, dass einem beim Wandern Menschen
begegnen, die nur mit einem Penisköcher
bekleidet sind, während man selbst in
Funktionsklamotten gehüllt ist.
Aber der Reihe nach: Es ist nicht ganz
unumstritten, ob die Carstensz-Pyramide
als Vertreter Australiens und Ozeaniens
wirklich zu den Seven Summits zählt.
Politisch gesehen gehört der Berg zu
Indonesien und damit zu Asien. Angesichts
der viel höheren Himalaya-Riesen wäre er
dann nicht mehr als eine Randnotiz in der
Geschichte des Alpinismus. Andererseits
liegt die Carstensz-Pyramide auf der
australischen Platte und gehört damit
geologisch eben nicht zu Eurasien. Die
letztere Sichtweise hat sich weitgehend
durchgesetzt.
Tatsächlich befindet sich
der Berg, benannt nach dem
niederländischen Seefahrer und
Entdecker Jan Carstensz, in
einem politisch äußerst sensiblen
Gebiet. Während die Osthälfte
der Insel Neuguinea als PapuaNeuguinea einen eigenen Staat
bildet, ist West-Neuguinea (auch:
West-Papua) Teil der Republik
Indonesien. Leider sehen das
einige dort lebende Stämme
anders, weshalb sie für die
Unabhängigkeit von Indonesien
kämpfen. Beim Papua-Konflikt
geht es allerdings nicht nur um
politische Selbstbestimmung,
sondern auch um Bodenschätze.
Dummerweise liegt gerade die
Carstensz-Pyramide unmittelbar
neben der größten Goldmine der
Welt, weshalb für die Besteigung
mehrere Genehmigungen von
Armee, Polizei und Ministerien
notwendig sind. Als es im
November 1995 zu politischen
Unruhen kam, sperrte die
indonesische Regierung den
Zugang, bis 2005 wurden keine
Expeditionen zugelassen. Auch
heute kann es noch passieren,
dass die Anreise zum Fuß des
Bergs nur per Hubschrauber
möglich ist.
Ärger am politisch heikelsten Zacken der
Welt gibt es auch dann, wenn Alpinisten
mal wieder das indonesische Militär
provozieren. 2010 hisste zum Beispiel der
Bozener Journalist Christian Welponer
auf dem Gipfel der Carstensz-Pyramide
die Unabhängigkeitsfahne, um gegen den
„Völkermord in Zeitlupe“ durch Indonesien
in West-Papua zu protestieren. Welponer
setzte sich dabei großer Gefahr aus, da das
Hissen der Flagge mit bis zu 20 Jahren Haft
bestraft wird. Er hatte die Fahne vor seiner
Reise in Stücke geschnitten und an den
Kontrollbehörden vorbeigeschmuggelt. Erst
am Gipfel fügte er die verschiedenen Teile
wieder zusammen. Die Regierung erfuhr von
der Aktion erst hinterher, als Welponer längst
zurück in Südtirol war.
Ein bisschen Glück gehört angesichts der Konflikte
zwischen den staatlichen Behörden und den
Ureinwohnern also dazu, wenn man den Berg
besteigen will – zumal in der Gegend auch mehrere
Minengesellschaften aktiv sind, die fremde
Besucher nicht unbedingt willkommen heißen. Doch
selbst dann, wenn alle Permits bewilligt wurden,
ist der Anmarsch noch ein Abenteuer für sich. Das
Trekking führt durch dichten, nassen Urwald, in dem
vier bis fünf Meter Regen pro Jahr fallen. Jeden Tag
sind reißende Bäche auf glitschigen Baumstämmen
zu überwinden, es gibt Moskitos und Giftschlangen.
Wenn man Glück hat, sieht man allerdings Orchideen und Paradiesvögel, die es auf der ganzen
Welt nur hier gibt. Wenn man weniger Glück hat,
springt abends ein fast völlig nackter Mann in den
Lichtschein des Lagerfeuers und fuchtelt wie wild
mit gespanntem Bogen und Giftpfeilen herum.
Dabei brüllt er wütende, unverständliche Worte in
Moni, der Sprache des örtlichen Stammes. Während
man sich schon damit abfindet, in einem Kochtopf
zu enden, erklärt dann der einheimische Guide, dass
der Mann nur sauer sei, weil man ihn als Träger nicht
berücksichtigt habe. Man verspricht ihm für morgen
einen Job und schon geht der gesellige Abend in die
nächste Runde.
Irgendwann fühlt man sich in der exotischen
Umgebung dann doch heimisch und kann das
Trekking so richtig genießen. Der dichte Wald
lichtet sich, man gelangt auf ein sumpfiges Hochplateau mit kleinen, verwunschenen Seen, das an
den Ruwenzori in Ostafrika erinnert. Und dann
steht man plötzlich, wenn die meist schon am
frühen Vormittag aufziehenden Wolken den Gipfel
für kurze Zeit freigeben, vor der 700 Meter hohen
Nordwand, durch die der Normalweg führt, den
schon die Erstbesteiger gewählt hatten. Der
Gipfeltag beginnt mit leichter Kletterei im zweiten
bis dritten Grad, wobei allerdings wegen der Nässe
und Höhe feste Bergschuhe getragen werden
sollten. Erst die letzten 80 Höhenmeter vor
dem Erreichen des Gipfelgrats sind richtig steil
und erfordern sicheres Nachsteigen im vierten
Grad. Allerdings lassen sich diese Passagen vom
Bergführer mit Fixseilen entschärfen. Ist der
Gipfelgrat erreicht, muss „nur“ noch ein scharfer
Einschnitt überwunden werden, bevor man auf dem
höchsten Punkt zwischen Himalaya und Anden auf
4.884 Metern steht.
ANREISE/EINREISE/LOGISTIK
Flug von verschiedenen deutschen Flughäfen nach Denpasar auf der indonesischen Insel Bali (zum Beispiel mit Garuda Indonesia, Singapore Airlines etc.).
Hier werden die Formalitäten für das Einreise-Permit nach Papua erledigt. Am
nächsten Tag dann Weiterflug mit Garuda Indonesia nach Timika/Papua. Nach
einer weiteren Zwischenübernachtung Charterflug ins Illaga-Tal nach Amangaro
(2.450 m, ca. 40 Min. Flugzeit). Nach dem Besuch der Polizei-Station und des
zuständigen Armeechefs des Tals beginnt das fünf- bis sechstägige Trekking
zum Fuß des Bergs. Erste Zelt-Übernachtung im Dorf Pinapa (2.380 m) im
Illaga-Tal.
Für eine reine Touristenreise von maximal 30 Tagen müssen Besucher aus
Deutschland, Österreich und der Schweiz kein Visum vor Reiseantritt beantragen, dieses wird bei Einreise am Flughafen gegen Vorlage des Reisepasses
(Mindestgültigkeit: sechs Monate) und einer Gebühr von derzeit 25 US-Dollar
erteilt. Zahlung mit Visa- und Master-Card ist möglich. Für Reisen nach WestPapua (mit Ausnahme von Jayapura und Biak) benötigen Touristen einen ReiseEmpfehlungsbrief („surat jalan“) der Polizei. Hierfür müssen zwei Passbilder und
eine Passkopie vorgelegt werden.
WOHNEN
Auf Bali gibt es viele wunderschöne Strand-Resorts, in Timika wohnt man am
besten im Hotel Komoro.
Nach dem Abseilen über die
Aufstiegsroute wird dann ordentlich
gefeiert mit einheimischen Spezialitäten wie Affe vom Spieß oder
gegrillten Riesenmaden. Wenn dann
wieder ein halb nackter vom Stamm
der Moni aus dem Dunkel springt,
hat man schon Routine mit solchen
Situationen und sagt ganz einfach
„Amakanee“. Das Moni-Wort hat
mehrere Bedeutungen. Es kann
„Willkommen“ und „Vielen Dank“
heißen. Oder einfach nur „Passt
schon“.
BESTE JAHRESZEIT
Der Herbst gilt als die trockenste und daher am besten für eine Besteigung
geeignete Jahreszeit. Die Temperaturen schwanken je nach Höhenlage zwischen
zehn und 40 Grad Celsius. Nachts fallen sie in höheren Lagen oft unter den
Gefrierpunkt. Häufige Wechsel von Sonne, Nebel, Regen und Schnee sind an
der Tagesordnung.
VERANSTALTER
Der DAV Summit Club bietet komplett organisierte Expeditionen zur CarstenszPyramide an. Alle Infos unter: dav-summit-club.de
LITERATUR
Heinrich Harrer: „Ich komme aus der Steinzeit“, Pinguin, Innsbruck, 1976
Philip Temple: „Schnee über dem Regenwald. Mit Heinrich Harrer auf den Gipfeln Neuguineas“, National Geographic, 2003