Der Gemeinderat

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Der Gemeinderat
TOP
Drucksache Nr.:
Sitzung:
2012-269
GR 24.09.2012
Federführender Dezernent:
Bürgermeister Pfirrmann, Dezernat III
Federführende/r Fachbereich/Dienststelle:
FB 7
Beteiligte/r Fachbereich/e/Dienststellen:
TOP:
Einführung eines Mietspiegels in Rastatt
Beratungsfolge:
Sitzungstermin
Gemeinderat
24.09.2012
Anhörung Ortschaftsrat (§ 70 Abs. 1 GemO):
-
Abstimmung mit städt. Gesellschaften:
-
Finanzielle Auswirkungen:
-
Öffentlichkeitsstatus
Zuständigkeit
öffentlich
Entscheidung
Anlage:
vorangegangene Drucksachen:
Antrag Einführung Mietspiegel
-
Beschlussvorschlag:
Der Gemeinderat nimmt die nachstehenden Ausführungen der Verwaltung zur Kenntnis und sieht derzeit keinen Bedarf zur Einführung eines Mietspiegels in Rastatt.
***
Beratungsergebnis:
einstimmig
mit Stimmenmehrheit
Anzahl
JA
Anzahl
NEIN
Anzahl
Enthaltungen
1/6
laut Beschlussvorschlag
abweichender Beschlussvorschlag
I. Sachdarstellung und Begründung:
1) Mit Schreiben vom 28. Juni 2012, eingegangen am 28. Juni 2012, haben die Fraktionen
von SPD und Alternative Liste/Die Grünen den als Anlage beigefügten Antrag gestellt, der
fraktionsübergreifend unterzeichnet wurde.
Beantragt wurde, dass „die Stadtverwaltung aufgefordert wird, eine Anhörung von sachverständigen Experten in einer öffentlichen Gemeinderatssitzung zum Thema „Mietspiegel in
Rastatt“ durchzuführen. Hierbei sollten die Teilnehmer ihre Sicht zur eventuellen Notwendigkeit eines Mietspiegels in Rastatt darlegen und für Fragen und Antworten der Gemeinderäte
zur Verfügung stehen. Als Teilnehmer würden sich beispielsweise: Vertreter des Mietervereins, von Haus und Grund und des Amtsgerichts Rastatt anbieten.“
Gemäß § 34 Abs. 1 Satz 4 ff der Gemeindeordnung für Baden-Württemberg (GemO) ist auf
Antrag eines Viertels der Gemeinderäte ein Verhandlungsgegenstand auf die Tagesordnung
spätestens der übernächsten Sitzung des Gemeinderats zu setzen. Die Verhandlungsgegenstände müssen zum Aufgabengebiet des Gemeinderats gehören. Dies gilt nicht, wenn
der Gemeinderat den gleichen Verhandlungsgegenstand innerhalb der letzten 6 Monate bereits behandelt hat.
Der Antrag weist die notwendige Anzahl von Antragstellern für einen Antrag nach § 34 Abs.
1 GemO auf und ist zulässig.
Die Verwaltung sieht derzeit keine Notwendigkeit, bestimmte Personen aufgrund des fraktionsübergreifenden Antrags zu laden. Es wird derzeit davon ausgegangen, dass zunächst
eine grundsätzliche Entscheidung getroffen werden soll, ob man dem Thema nähertreten will
oder nicht.
2) Grundsätzlich gibt es für Kommunen keine Pflicht zur Erstellung eines Mietspiegels.
§ 558 c Abs. 4 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) ist eine Sollbestimmung: „Gemeinden sollen
Mietspiegel erstellen, wenn hierfür ein Bedürfnis besteht und dies mit einem vertretbaren
Aufwand möglich ist“. Die grundsätzliche Entscheidung, ob ein Mietspiegel und wenn ja, welche Art von Mietspiegel erstellt werden soll, müssen die Beteiligten letzten Endes vor Ort
entscheiden.
Soweit ersichtlich, haben in Baden-Württemberg bisher nur sieben Städte und Gemeinden
einen qualifizierten und fünf einen einfachen Mietspiegel erstellt.
Bei der Erstellung eines Mietspiegels gilt es, Regelungen und Empfehlungen zu beachten,
die für sämtliche Arten von Mietspiegeln (einfacher / qualifizierter) gleichermaßen gelten. Für
den qualifizierten Mietspiegel enthält § 558d BGB zusätzliche Vorschriften.
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Der qualifizierte Mietspiegel soll durch die Einhaltung von Mindestvoraussetzungen bei der
Erstellung „objektiv“ frei von wie auch immer gearteten Interessenlagen entstehen. Die Einhaltung der Mindestvoraussetzungen ist nicht nur zur Gewährleistung einer bestimmten Qualität relevant, sondern auch insoweit, als der Gesetzgeber an das Vorhandensein eines qualifizierten Mietspiegels besondere Rechtsfolgen knüpft. Eine stringente Beachtung der Erstellungsvorschriften ist damit von grundlegender Bedeutung. Diese Vorschriften betreffen in
erster Linie die Erstellungsmethodik und Dokumentation, die Anerkennungspraxis und die
Fortschreibung / Anpassung.
Damit ein Mietspiegel als qualifiziert gelten kann, ist bei ihm im Gegensatz zum „einfachen“
Mietspiegel stets seine Anerkennung erforderlich – entweder durch die Gemeinde oder alternativ durch die Interessenvertreter der Vermieter und der Mieter. Möglich ist auch eine kumulative Anerkennung. Beim Anerkennungsakt handelt es sich um eine Willenserklärung, durch
die der Anerkennende den Mietspiegel für die Gemeinde, Gemeindeteile oder mehrere Gemeinden anerkennt. Die Anerkennung bezieht sich nicht auf die Tatsache, dass der Mietspiegel nach anerkannten wissenschaftlichen Grundsätzen erstellt wurde.
Bei der Anerkennung durch die Gemeinde ist eine entsprechende Willenserklärung des zuständigen Organs der Gemeinde (durch Ratsbeschluss) erforderlich. Angesichts der Bedeutung des Mietspiegels und der weitreichenden Folgen der Qualifizierung eines Mietspiegels
für das Verfahren zur Begründung von Mieterhöhungsverlangen und anschließender Gerichtsverfahren muss davon ausgegangen werden, dass es sich um einen „Akt der Rechtssetzung“ handelt. Die Anerkennung muss deshalb durch den Rat der Gemeinde in einem
förmlichen Beschluss herbeigeführt werden.
Grundsätzlich können auch die Interessenverbände (Mieterverein und Haus- und Grundbesitzerverein) einen Mietspiegel erstellen.
3) Das Hauptanwendungsfeld für Mietspiegel ist das gesetzliche Mieterhöhungsverfahren,
mit dem der Vermieter die Zustimmung des Mieters zur Erhöhung der vereinbarten Miete bis
zur ortsüblichen Vergleichsmiete verlangen kann. Der Vermieter muss das Mieterhöhungsverlangen in Textform erklären und begründen. Hierzu kann er sich auf einen einfachen oder
qualifizierten Mietspiegel, die Auskunft aus einer Mietdatenbank, ein mit Gründen versehenes Gutachten eines öffentlichen bestellten und vereidigten Sachverständigen oder die entsprechenden Entgelte für drei vergleichbare Vergleichswohnungen stützen.
Der Nachteil eines einfachen Mietspiegels ist, dass er im Rahmen einer richterlichen Auseinandersetzung der freien Würdigung durch das Gericht unterliegt. Aber auch bei Vorliegen
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eines qualifizierten Mietspiegels kann der Vermieter eine Mieterhöhung verlangen, die über
dem Mietspiegel liegt, wenn er das mit Vergleichswohnungen oder Gutachten begründet.
Zur Mietdatenbank lassen sich Aussagen derzeit nur schwer treffen, da in Deutschland bislang lediglich in Hannover und Berlin Mietdatenbanken existieren. Ob die Gerichte Mietdatenbanken künftig zur Ermittlung der ortsüblichen Vergleichsmiete heranziehen werden, wird
maßgeblich von ihrer Qualität abhängen.
Die Erstellung von Sachverständigengutachten verursacht i. d. R. für den Vermieter die
höchsten Kosten und ist durch die erhöhte Miete nur bei sehr langer Mietdauer zu kompensieren.
Die Benennung von drei Vergleichswohnungen ist für den privaten Vermieter häufig nicht
möglich. Die Vergleichswohnungen müssen entsprechend der Vorschrift des BGB in mehreren Punkten vergleichbar sein mit der streitgegenständlichen Wohnung.
Der Vorteil eines qualifizierten Mietspiegels liegt im Zusammenhang mit einem Mieterhöhungsverlangen und im Prozess auf Zustimmung zu der verlangten Mieterhöhung in der gesetzlichen Vermutungswirkung im Prozess.
Nach der Rechtsprechung des BGH ist der Vermieter jedoch nicht verpflichtet, den Mietspiegel seinem Mieterhöhungsverlangen beizufügen, wenn dieser z. B. beim Mieterbund oder
anderer Stelle erhältlich bzw. zugänglich ist (BGH VIII ZR 74/08). Die Rechtsprechung mutet
dem Mieter auch in diesem Falle durchaus ein eigenes Tätigwerden zu, um die Begründetheit eines Mieterhöhungsverlangens zu prüfen.
Darüber hinaus besteht auch ein Interesse der Träger der Grundsicherung, mit einem qualifizierten Mietspiegel arbeiten zu können. Liegt ein solcher Mietspiegel bzw. eine Mietdatenbank nicht vor, so hat der Grundsicherungsträger zu erwägen, ob er für den jeweiligen Zuständigkeitsbereich eigene, grundsicherungsrelevante Mietspiegel oder Tabellen erstellt
(Bundessozialgericht Urteil vom 18. Juni 2008).
4) Wie oben bereits ausgeführt, ist ein qualifizierter Mietspiegel ein Mietspiegel, der nach
anerkannten wissenschaftlichen Grundsätzen erstellt wird. Der qualifizierte Mietspiegel ist im
Abstand von zwei Jahren der Marktentwicklung anzupassen. Nach vier Jahren ist der qualifizierte Mietspiegel neu zu erstellen. Für die Erstellung des Mietspiegels ist ein Institut zu beauftragen, welches sich hierauf spezialisiert hat. Dieses wird im Wege der reinen Zufallsauswahl eine gewisse Anzahl von Adressen als Stichproben ziehen. Die „gezogenen
Anschriften“ werden dann von der Kommune angeschrieben. Sie werden über die bevorste-
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hende Datenerhebung durch geschulte Interviewer informiert und gebeten, Auskünfte über
die Miete, Wohnungsgröße und Nebenkosten zu geben. Zusätzlich wird nach Abgabe der
ausgefüllten Fragebogen der betreffende Vermieter schriftlich nach der energetischen Beschaffenheit des Gebäudes befragt.
5) Die Erstellung eines Mietspiegels ist kostenintensiv. Ausweislich eines vorliegenden Angebots ist für die Erstellung eines qualifizierten Mietspiegels mit Kosten von ca. 80.000 € inkl.
MwSt zu rechnen. Dieser Betrag fällt alle 4 Jahre für die Neuerstellung des Mietspiegels an.
Darüber hinaus entstehen alle 2 Jahre Kosten für die Fortschreibung des Mietspiegels. Die
Höhe dieser Kosten ist nicht bekannt. Auch diese wären nicht unerheblich. Hinzu kämen
noch die Verwaltungs-/ Personalkosten, die derzeit auch offen sind. Insgesamt sind die Kosten, die mit einem Mietspiegel auf die Stadt Rastatt zukämen, ganz erheblich.
Datengrundlage sollen nach dem vorgelegten Angebot zur Erstellung eines qualifizierten
Mietspiegels rund 600 Datensätze sein.
6) Ausweislich entsprechender Presseberichte haben sich sowohl der Mieterverein als auch
der Haus- und Grundbesitzerverein für einen Mietspiegel im Rahmen eines SPD-Forums
ausgesprochen. Insbesondere hat der Rechtsberater von „Haus und Grund“ in Rastatt dargelegt, dass der Mietspiegel den Vermietern die Frage nach der ortsüblichen Miete erleichtern würde. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass auch für die am Mietmarkt beteiligten Interessenverbände (Mieterverein und Haus- und Grundbesitzerverein) die
Möglichkeit besteht, einen Mietspiegel zu erarbeiten bzw. dass es wie oben ausgeführt andere Möglichkeiten (Vergleichsmiete) gibt, um sich die notwendigen Kenntnisse für Mieterhöhungsverlangen zu verschaffen. Die Interessenverbände dürften über ihre Mitglieder auch
bereits eine breite Datengrundlage hinsichtlich der Mieten von Wohnungen haben.
Für die Stadt selbst stellt sich zunächst die grundsätzliche Frage, ob aus ihrer Sicht ein Bedarf an einem Mietspiegel in Rastatt besteht oder ob es aus ihrer Sicht hinreichende Möglichkeiten für die am Mietmarkt Beteiligten gibt, sich die notwendigen Kenntnisse für Mieterhöhungsverlangen zu verschaffen. Ferner ist die Frage zu beantworten, inwieweit es Aufgabe der Stadt ist, zur Erleichterung von Mieterhöhungsverlangen und vor allem im Interesse
der jeweiligen Interessensverbände einen Mietspiegel auf Kosten der Stadt zu erstellen.
Schließlich können auch Interessensverbände selbst einen Mietspiegel erstellen oder erstellen lassen.
Im Ergebnis ist für die Stadt Rastatt ein Mehrwert durch die Erstellung eines qualifizierten
Mietspiegels nicht ersichtlich. Eine rechtliche Verpflichtung insoweit besteht nicht. Die am
Mietmarkt Beteiligten können sich, wie bisher, die für sie notwendigen Informationen be-
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schaffen. Auch unter Berücksichtigung der hohen Folgekosten sollte derzeit von der Erstellung eines qualifizierten Mietspiegels durch die Stadt Rastatt abgesehen werden.
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