Korr.Die Wirksamkeit systemischer Therapien

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Korr.Die Wirksamkeit systemischer Therapien
Konrad Peter Grossmann
Die Wirksamkeit systemischer Therapien
Alle anerkannten Therapieansätze verfügen über analoge Wirksamkeit (vgl. Luborsky, Singer
& Luborsky, 1975); Gleiches gilt auch für unterschiedliche Ansätze systemischer (Familien-)
Therapie.
„Die verschiedenen Therapieformen ... führen ihre Therapieeffekte ... auf unterschiedliche
Weise herbei“ (Grawe et al., 1994, S. 724). Es gibt – so die Implikation - mehr als eine Art
und Weise, wie ein Therapeut/ eine Therapeutin zu erwünschten Veränderungen beitragen
kann. Gemäß Tallman und Bohart ist es gleichermaßen möglich und hilfreich, „zuerst über
die eigenen Probleme nach(zu)denken, sie mental (zu) untersuchen und anschließend
Hypothesen (zu) formulieren, um sie verhaltensmäßig zu erproben. Sich zu verhalten, liefert
neue Erfahrungen, die dann auf korrigierende Weise als Feedback einfließen, um
Problemverständnis und Strategien zu verändern. Man kann aber auch auf
erfahrungsmäßige Weise den Kreislauf betreten, indem man auf innere Erfahrung fokussiert
und sie in Worte zu fassen versucht, was zum Nachdenken und Wahrnehmungswechsel
führt. Dies kann ein verhaltensmäßiges Experimentieren nach sich ziehen, wodurch neue
Erfahrungen entstehen, die wiederum als Feedback in den Kreislauf eingehen. Oder man
kann damit beginnen, zuerst das Verhalten zu verändern ... (.) Verhalten zu verändern, bringt
neue Erfahrung hervor, die wiederum zu Verhaltensänderungen und neuen Einsichten führen
kann. Dieser Prozess eines dialogischen Vor und Zurück kann außerhalb der Therapie
auftreten, in Begleitung einer TherapeutIn oder unter Zuhilfenahme von Selbsthilfematerialien“ (Tallman & Bohart, 2001, S. 112)
Therapieansätze,
die
vorrangig
eine
sog.
„Klärungsperspektive“
und
damit
bedeutungsgebende Prozesse von KlientInnen fokussieren, sind gleich wirksam wie jene
Therapieansätze, die vorrangig Handlungen und Interaktionen von KlientInnen fokussieren
(vgl. Grawe et al., 1994).
Primärstudien zur systemischen Therapie sind hinsichtlich einzelner Therapieansätze von
unterschiedlicher Güte; im Folgenden werden einige dieser Studien kurz dargestellt.
Ansatzspezifische Primärstudien
Strukturelle Therapie
Im Kontext struktureller Therapie liegt u.a. eine Untersuchung Minuchins zur Behandlung
anorektischer KlientInnen vor, die auf eine hohe Erfolgsrate verweist; Details der
Untersuchung sind allerdings nicht angegeben (vgl. Minuchin, 1983).
Eine von Stanton und Todd durchgeführte Untersuchung zur strukturellen Familientherapie
mit heroinabhängigen PatientInnen weist diese als nachhaltig effektiv aus (vgl. Stanton &
Todd, 1979).
Gustafsson et al. verglichen ausschließlich medizinische Asthmabehandlung mit einer
Kombination medizinischer Behandlung und struktureller Familientherapie bei schwer
asthmaerkrankten Kindern; im Kontext medizinischer und pädiatrischer Maße erwies sich die
Behandlungsgruppe mit struktureller Familientherapie jener mit ausschließlich medizinischer
Behandlung signifikant überlegen (vgl. Gustafsson et a., 1986); das Ergebnis wurde durch
eine analog angeordnete Untersuchung von Lask und Mathew bestätigt (vgl. Lask & Mathew,
1979).
Im Kontext einer Untersuchung von Szapocznik et al. wurde strukturelle Familientherapie mit
psychodynamischer Kindertherapie bei 13- bis 14jährigen männlichen Klienten verglichen. In
beiden Therapien reduzierte sich das Problemverhalten, welches Anlass der Behandlung
war, in etwa vergleichbarem Maß. Unterschiedliche Wirkung trat erst im weiteren Verlauf
nach Therapieende auf. Während sich bei den familientherapeutisch behandelten Kindern
die familiären Beziehungen verbesserten, verschlechterten sich diese nach dem Ende der
psychodynamischen Therapie (vgl. Szapocznik et al., 1989).
Wiggins und Muehleisen verglichen strukturelle Paartherapie mit kognitiv orientierter
Einzeltherapie beider Partner. Insgesamt wurden 48 Paare mit Eheproblemen behandelt. Die
Therapien erstreckten sich über vier Monate mit unterschiedlicher Sitzungsfrequenz.
Während es im Kontext der Einzeltherapien zu signifikant größeren Verbesserungen der
Zufriedenheit mit dem Partner und der Ehe kam, zeigte sich im paartherapeutischen Setting
keine Verbesserung, auch die Zufriedenheit mit der Therapie war bei einzeltherapeutisch
behandelten Paaren signifikant größer als bei paartherapeutisch behandelten Paaren (vgl.
Wiggins & Muehleisen, 1986).
Strategische Therapie
Im Bezugsrahmen strategischer Therapie berichtet Haley von eigenen katamnestischen
Untersuchungen im Kontext von vierzehn durchgeführten Familientherapien; die Patientengruppe bestand aus Jugendlichen, die als schizophren eingestuft waren. Haley gibt eine
Misserfolgsrate von 29 Prozent an. Die Behandlungen erfolgten nach der ersten
Hospitalisierung der Jugendlichen, in allen Fällen waren beide Eltern für Therapiegespräche
verfügbar, der Behandlungszeitraum betrug insgesamt bis zu vier Jahre. Das TherapeutInnenteam umfasste psychiatrische Fachärztinnen, PsychologInnen und einen Sozialarbeiter. Haley selbst beurteilte die Validität seiner Untersuchung kritisch, da eine
unbehandelte Kontrollgruppe fehlte und die Nachuntersuchung durch die behandelnden
TherapeutInnen durchgeführt wurde (vgl. Haley, 1981). Bei sechs der vierzehn behandelten
Jugendlichen kam es zu vorübergehenden Hospitalisierungen; bei den restlichen acht
Jugendlichen kam es in der zwei- bis vierjährigen Nachuntersuchungsperiode zu keiner
Rehospitalisierung.
Weitere Studien zur strategischen Therapie nach Haley wurden am Family Therapy Institute
in Washington und am Psychiatry Department der Universität Maryland durchgeführt; die
Altersgruppe der KlientInnen lag zwischen siebzehn und dreißig Jahren, den untersuchten
TherapieklientInnen waren heterogene Diagnosen wie etwa Psychose und Anorexie
zugeordnet; die Misserfolgsrate wird mit 22 Prozent angegeben (vgl. Haley, 1981).
In einer Studie von Boelens et al. wurde systemische Paartherapie nach einem strategischen
Ansatz mit einer verhaltenstherapeutischen Paartherapie verglichen. Die Behandlungen
umfassten jeweils zehn Sitzungen, beide Behandlungen bewirkten deutliche Verbesserungen
der ehelichen Zufriedenheit und der individuellen Probleme. Nach Ende der Therapien
bestand kein Unterschied zwischen den Behandlungsbedingungen, nach einem bzw. sechs
Monaten war die verhaltenstherapeutische Behandlung der systemorientierten signifikant
überlegen (vgl. Boelens et al., 1980).
Gemäß katamnestischer Befragungen von Watzlawick et al. von 97 KlientInnen bei
unterschiedlicher Diagnosestellung beschrieben 72 Prozent aller KlientInnen die Störung/
Problematik, die Anlass strategischer Therapie nach dem BTC war, als geheilt oder
verbessert (vgl. Watzlawick et al., 1974).
Mailänder Modell
Carr berichtet über zehn nach dem Mailänder Modell durchgeführte Therapiestudien, von
welchen vier ein Kontrollgruppendesign aufwiesen; seine Zusammenfassung verdeutlicht,
dass der systemische Ansatz nach dem Mailänder Modell zu vergleichbaren oder besseren
Ergebnissen als jeweilige Vergleichstherapien führte, und zwar sowohl hinsichtlich der
Symptomreduktion als auch hinsichtlich familiärer Funktionsmaße. In 60 bis 75 Prozent aller
berichteten Fälle konnten Symptomverbesserungen festgestellt werden, Verschlechterungen
traten bei etwa 10 Prozent der KlientInnen auf; die beschriebenen Verbesserungen ließen
sich katamnestisch bestätigen; 9 der 10 Studien schlossen follow-up-Messungen mit ein (vgl.
Carr, 1991).
Zu diesen Studien zählen auch zwei Vergleichsuntersuchungen von Bennun, in deren
Rahmen systemische Therapie nach dem Mailänder Modell mit verhaltenstherapeutischen
Familientherapieansätzen verglichen wurde; die erste Studie fokussierte heterogene
Störungsbilder, die zweite die Alkoholabhängigkeit eines Familienmitgliedes. In beiden
Studien zeigten sich deutliche Verbesserungen bei allen untersuchten Maßen bei beiden
Verfahren (vgl. Bennun, 1986, 1988).
Ein von Liedtke et al. vorgenommener Vergleich zwischen stationärer psychoanalytischer
Gruppentherapie mit ambulanter systemischer Familientherapie nach dem Mailänder Modell
bei bulimischen KlientInnen ergab in beiden Behandlungsmodalitäten signifikante
Verbesserungen der Symptomatik; zwischen den Ansätzen konnten keine Wirkunterschiede
festgestellt werden, allerdings bestanden leichte Tendenzen zugunsten der analytischen
Gruppentherapie; die Ergebnisse blieben über einen follow-up-Zeitraum von zweieinhalb
Jahren stabil (vgl. Liedtke et al., 1991).
Narrative Therapie
Im Kontext einer am Family Center of the Berkshires durchgeführten Studie zur narrativen
Therapie nach Sluzki zeigten sich bei der Hälfte der untersuchten Familien mit unterschiedlichen Problemstellungen erfolgreiche Transformationsereignisse und Veränderungen
des „affektiven Tonfalls“ von Familien sowie deutliche Einstellungsveränderungen von
Familienmitgliedern (vgl. Coulehan, Friedlander & Heatherington, 1998).
Störungsspezifische Studien
Zur Systemischen Therapie liegen im Zusammenhang mit spezifischen Störungsbildern
/Leidenszuständen eine Vielzahl von Primärstudien sowohl für die Arbeit mit erwachsenen
wie mit kindlichen bzw. jugendlichen KlientInnen und deren Familien vor; zudem wurden
Primärstudien zur Systemischen Therapie in zahlreichen Metaanalysen mit einbezogen (vgl.
Grawe, 1995; vgl. Shadish, 1993, 1995, 1997).
Systemische Therapie mit Erwachsenen
Therapeutische Primärstudien belegen die Wirksamkeit Systemischer Therapie bei
Affektiven Störungen (vgl. Leff et al., 2000; vgl. Knekt & Lindfors, 2000; vgl. Miller et al.,
2005; vgl. Crisp et al.,1991) sowie bei Essstörungen( vgl. Gowers et al., 1994; vgl. Dare et
al., 2001; vgl. Eizaguirre, 2000)
In der diagnostischen Gruppe der „Psychischen und sozialen Faktoren bei somatischen
Krankheiten“ belegen mehrere Studien die Wirksamkeit der Systemischen Therapie
hinsichtlich Besserung der psychischen Begleiterscheinungen bei Patienten mit Koronarer
Herzkrankheit, HIV bzw. orthopädischen Erkrankungen (vgl. Priebe & Sinning, 2001; vgl.
Szapocznik et al., 2004; vgl. Cockburnet al., 1997).
Bei diagnostizierter Abhängigkeit bzw. Substanzmissbrauch ist die Wirksamkeit
Systemischer Therapie gut nachgewiesen. Insbesondere gilt dies für die Abhängigkeit von
illegalen Drogen: Die meisten der untersuchten heroinabhängigen KlientInnen erfuhren in
diesem Zusammenhang eine kombinierte Methadonbehandlung. (vgl. McCrady et al., 1979;
vgl. McCrady et al., 1982; vgl. Bennun,1988; vgl. Stanton & Todd, 1982; vgl. Romijn et al.,
1990: vgl. Yandoli et al. 2002).
Mehrere Studien weisen die Wirksamkeit systemischer Therapie bei KlientInnen, die von
Schizophrenie und wahnhaften Störungen betroffen sind, nach (vgl. Bressi et al., 2008; vgl.
Lehtinen, 1993; vgl. Cao & Lu, 2007; vgl. Zhang et al., 2006); zudem belegen Studien die
Wirksamkeit systemischer Therapie bei KlientInnen mit gemischten psychischen Störungen
bzw. in akuten Krisensituationen (vgl. Langsley et al., 1968; vgl. Langsley et al.,1969; vgl.
Langsley et al.,1971).
Systemische Therapie mit Kindern bzw. Jugendlichen und deren Angehörigen
Zahlreiche Studien belegen die Wirksamkeit systemischer Therapie im Kontext von affektiven Störungen und Belastungsstörungen von Kindern und Jugendlichen (vgl. Brent et al.,
1997; vgl. Renaud et al., 1998).
Mehrfache Wirksamkeitsnachweise existieren für Essstörungen und andere Verhaltensauffälligkeiten, die mit körperlichen Störungen verbunden sind. Einer der Schwerpunkte ist
hierbei die Behandlung von Kindern im Kontext psychischer und sozialer Faktoren bei
Asthma bronchiale (vgl. Russel et al., 1987).
In Bezug auf die Behandlung von Verhaltensstörungen mit Beginn in der Kindheit und
Jugend und Tic-Störungen liegen mehrere Studien vor, welche sich auf ein Aufmerksamkeitsdefizit- und Hyperaktivitätssyndrom sowie auf delinquentes und dissoziales Verhalten
von Kindern bzw. Jugendlichen beziehen (vgl. Barkley et al., 1992 ; vgl. Saile. & Forse,
2002).
In Bezug auf Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen, Störungen der Impulskontrolle,
Störungen der Geschlechtsidentität und Sexualstörungen, Abhängigkeit und
Missbrauch, Schizophrenie und wahnhafte Störungen liegen ebenfalls mehrfache
Wirknachweise vor (vgl. Friedman, 1989).
Zudem belegen mehrere Studien die Effektivität systemischer Therapie bei Kindern und
Jugendlichen mit sog. gemischten Störungen, die sich nicht eindeutig einer diagnostischen
Kategorie zuordnen lassen (vgl. Garrigan & Bamberick, 1977).
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© Univ.Doz. Dr. Konrad P. Grossmann
Psychotherapeut (SF), Supervisor, Lehrtherapeut für systemische Familientherapie (la:sf Wien),
Lehrbeauftragter an der Universität Klagenfurt und der Fachhochschule für Soziale Arbeit (Linz)
Fachautor