Gesund - Fachgebiet Management im Gesundheitswesen
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Gesund - Fachgebiet Management im Gesundheitswesen
Europäische Gesundheitssysteme, der Binnenmarkt und grenzüberschreitende Patientenversorgung Reinhard Busse, Prof. Dr. med. MPH FFPH FG Management im Gesundheitswesen, Technische Universität Berlin (WHO Collaborating Centre for Health Systems Research and Management) & European Observatory on Health Systems and Policies EU-Gesundheitspolitik X Umwelt Ernährung/ Landwirtschaft Andere Politikbereiche Gesundheit der Bevölkerung Patienten Prozesse Strukturen Finanzielle Ressourcen Direkte Ergebnisse: Qualität, Zufriedenheit Gesundheitssystem Gesundheits“Outcome“ ABER: • Artikel 152(5) bezog sich nur auf Public HealthMaßnahmen • EU-Eingriffe in Gesundheitssysteme erfolgen aber sehr wohl durch u.a. - Arbeitsrecht (Arbeitszeiten im Krankenhaus!) - Wettbewerbsrecht - Binnenmarktsrecht mit 4 Freiheiten für Personen, Waren, Dienstleistungen und Kapital ABER: • Artikel 152(5) bezieht sich nur auf Public HealthMaßnahmen • EU-Eingriffe in Gesundheitssysteme erfolgen aber sehr wohl durch u.a. = direkter Einfluss - Arbeitsrecht (Arbeitszeiten im Krankenhaus!) innerhalb des Landes - Wettbewerbsrecht - Binnenmarktsrecht mit 4 Freiheiten für Personen, Waren, Dienstleistungen und Kapital = direkter Einfluss nur auf grenzüberschreitende Personenund Dienstleistungsströme Das Kernproblem bei Grenzüberschreitung – egal ob von Gesundheitspersonal, Patienten, Waren • Gilt das Recht des Herkunftslandes? • Gilt das Recht des Landes, in dem gearbeitet wird bzw. die Leistung erbracht wird? • Soll/ muss es ein einheitliches EU-Recht geben? Das Kernproblem bei Grenzüberschreitung – egal ob von Gesundheitspersonal, Patienten, Waren Konkret: • Welche Anforderungen an die Qualifikation gelten für eine polnische Krankenschwester, die in Deutschland arbeiten will? • Welches Recht wird angewandt, wenn ein GKV-Versicherter einen Arzt in Slubice kontaktiert? • Und wenn dieser einen Hausbesuch in Frankfurt/ Oder macht? Die EU kennt keine einheitliche Regelung • Sog. sektorale Richtlinien für Ärzte (einschl. 52 Facharztdisziplinen), Pflegekräfte, Zahnärzte, Hebammen ... regeln gegenseitige Anerkennung auf Grundlage von Minimalstandards (z.B. Medizinstudium mind. 5 J. und 5500 Stunden) • Aber: Instrument ist relativ starr, da Veränderungen im Curriculum und neue Sub-Spezialisierungen in Richtlinie eingearbeitet werden müssen • Sog. allgemeine Richtlinien (für alle anderen Berufe) sehen die Möglichkeit der Anerkennungsperiode, den Erwerb von Zusatzausbildungen oder eine Prüfung vor Die EU kennt keine einheitliche Regelung -> harmonisiert in Richtlinie 2005/36 über die Anerkennung von Berufsqualifikationen (besondere Bestimmungen für Ärzte, Krankenpfleger etc. in Anhängen geregelt) Lösung: EU Verordnung 1408/71 (seit 2010 ersetzt durch 883/2004) - die aber zunehmend als ungenügend betrachtet wurde, wie die Fälle vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) und der Konsultationsprozess zeigten PATIENT: Welche Leistungen sind verfügbar? Bei welchen Leistungserbringern? Welche Hürden (Überweisung, Rezept…)? Wieviel Kostenerstattung/ Selbstbeteiligung? Land A Land B Leistungskatalog A aufgrund Taxonomie A und Gebührenordnung A Leistungskatalog B aufgrund Taxonomie B und Gebührenordnung B Situation 1: Person möchte (mit seiner Familie) in Land A leben und in Land B arbeiten. Land A Land B Leistungskatalog A aufgrund Taxonomie A und Gebührenordnung A Leistungskatalog B aufgrund Taxonomie B und Gebührenordnung B Lösung: Schein E106 • Versicherung im Land des Arbeitsverhältnisses (Land B) • Ermöglicht Grenzarbeitnehmern und ihren Angehörigen, Gesundheitsversorgung nach ihrer Wahl in beiden Ländern zu den dortigen Konditionen in Anspruch zu nehmen • Patient präsentiert E106 dem Leistungserbringer im Land A (und die Versicherungskarte im Land B) • Sozialversicherungsträger in B vergütet die Leistungserbringer in A anhand der dort geltenden Gebührenordnung Situation 2: Person aus Land A befindet sich in Land B (als Tourist, Dienstreise ...), wenn sie erkrankt und Behandlung benötigt. Land A Land B Leistungskatalog A aufgrund Taxonomie A und Gebührenordnung A Leistungskatalog B aufgrund Taxonomie B und Gebührenordnung B Lösung: Schein E111 • Patient nimmt E111 von seinem Sozialversicher im Land A und gibt ihm dem Leistungserbringer im Land B • E111 berechtigt zu Leistungen im Land B, die dort im Leistungskatalog sind und die unmittelbar notwendig sind (zu Zuzahlungen etc. wie im Land B) • Sozialversicherer in A vergütet das Land B (via die nationalen Verbindungsbüros) – sofern man nicht gegenseitig darauf verzichtet („waiver agreement“) • CAVE: Land B muss sicher stellen, dass das Geld auch die Leistungserbringer erreicht Situation 3: Patient aus Land A muss sich in‘s Land B zur Behandlung begeben, die in Land A nicht erhältlich ist. Land A Land B Leistungskatalog A aufgrund Taxonomie A und Gebührenordnung A Leistungskatalog B aufgrund Taxonomie B und Gebührenordnung B Lösung: Schein E112 • Patient beantragt bei seinem Sozialversicherungsträger im Land A, sich in Land B zur Behandlung zu begeben • E112 berechtigt den Patienten zu spezifischen Leistungen im Land B (zu Konditionen wie in Land A) • Sozialversicherer in A vergütet den Leistungserbringer im Land B aufgrund der dortigen Gebührenordnung Neue Situation 1: (Berentete) Person aus Land A möchte temporär in Land B leben (und dort auch Gesundheitsversorgung erhalten). Land A Land B Leistungskatalog A aufgrund Taxonomie A und Gebührenordnung A Leistungskatalog B aufgrund Taxonomie B und Gebührenordnung B Lösung: Erweiterung von E111 • (Berentete) Person erhält alle medizinisch notwendigen Leistungen, die sich im Leistungskatalog von B befinden (und nicht nur die unmittelbar notwendigen; unter Verordnung 883/2004 auf alle Personen ausgeweitet) • Sozialversicherer in A vergütet das Land B (via die nationalen Verbindungsbüros) – sofern man nicht gegenseitig darauf verzichtet („waiver agreement“) • CAVE: Land B kann u.U. großzügiger als Land A sein (z.B. keine Zuzahlungen für Ältere in Spanien) Europäische Gesundheitskarte hat E111 ersetzt Application specific data Insured person identity details Card related details Neue Situation 2: Patient aus Land A möchte sich in‘s Land B zur Behandlung begeben – z.B. um Wartelisten zu umgehen, weil die Qualität höher eingeschätzt wird ... Land A Land B Leistungskatalog A aufgrund Taxonomie A und Gebührenordnung A Leistungskatalog B aufgrund Taxonomie B und Gebührenordnung B In Verordnung 1408/71 nicht enthalten! Zwei wesentliche Entwicklungen: 1. Erweiterung des Netzwerkes von kontrahierten Leistungserbringer über Grenzen hinweg, insbesondere in EuRegios – Patienten werden dort so behandelt, als wenn sie sich in ihrem Heimatland befinden. 2. Patienten-getriebene Flexibilität – angefangen mit Kohll und Decker, die sich von Luxemburg nach Belgien bzw. Deutschland begeben haben und anschließend von ihrer Krankenkasse die Rückvergütung verweigert bekamen – aber vom EuGH Recht bekamen (auf Vergütung zu Luxemburger Preisen). • Verordnung 1408/71: freier Personenverkehr (insb. Arbeitnehmer) EuGH-Urteile: • 1998 Kohll & Decker: freier Waren- und Dienstleistungsverkehr gilt auch im Gesundheitswesen (nur ambulant?, nur bei Kostenerstattung?) • Verordnung 1408/71: freier Personenverkehr (insb. Arbeitnehmer) EuGH-Urteile: • 1998 Kohll & Decker: freier Waren- und Dienstleistungsverkehr gilt auch im Gesundheitswesen (nur ambulant?, nur bei Kostenerstattung?) • 2001 Peerbooms & Smits-Geraets: Leistungsausschlüsse müssen evidenz-basiert sein (mittelfristig = EU-Leistungskatalog?); Präautorisierung darf bei unangemessenen Wartezeiten bzw. mangelnden Kapazitäten nicht verweigert werden • 2003 Müller-Fauré & Van Riet: Erstattungsanspruch für ambulante Leistungen besteht grundsätzlich; für stationäre Leistungen kann dieser eingeschränkt bleiben, aber die Kriterien müssen klar definiert werden (aber: was ist ambulant? ambulantes Operieren? was ist zu planende Hochleistungsmedizin?) 1989 1993 1997 1998 2004* Original EU Member States Belgium 3.62 8.93 8.93 4.38 10.73 France 0.79 1.87 1.21 1.05 8.52 Germany 1.77 1.83 2.08 2.21 3.58 Italy 2.99 8.36 3.52 2.89 2.70 Luxembourg 58.01 149.55 135.29 116.00 161.62 Netherlands 1.95 0.26 1.98 2.85 4.54 Denmark 0.00 0.16 0.83 0.63 1.19 Ireland 0.18 0.65 1.68 0.93 1.53 United Kingdom 0.33 1.61 1.92 0.36 2.72 Northern extension 1973 Southern extension 1980s Greece 0.95 2.51 2.68 3.15 5.69 Portugal 0.82 3.76 6.81 7.00 4.80 Spain 0.33 1.48 1.03 1.11 0.87 De-facto bleibt grenzüberschreitender 0.48 klein, aber 1.87 Gesundheitsverkehr bisher 0.49 importierter 0.52 deutlich steigend: Volumen 0.65€ pro Person 0.96 Gesundheitsleistungen in North-eastern extension 1995 Austria Finland Sweden Eastern extension 2004 2.96 1.87 1.05 Ireland 0.18 0.65 1.68 0.93 1.53 United Kingdom 0.33 1.61 1.92 0.36 2.72 Southern extension 1980s Greece 0.95 2.51 2.68 3.15 5.69 Portugal 0.82 3.76 6.81 7.00 4.80 Spain 0.33 1.48 1.03 1.11 0.87 North-eastern extension 1995 Austria - - 0.48 1.87 2.96 Finland - - 0.49 0.52 1.87 Sweden - - 0.65 0.96 1.05 Cyprus - - - - 0.00 Czech Republic - - - - 0.02 Estonia - - - - <0.01 Hungary - - - - <0.01 Latvia - - - - <0.01 Lithuania - - - - <0.01 Malta - - - - 0.00 Poland - - - - <0.01 Slovakia - - - - 0.01 Slovenia - - - - 0.14 1.31 2.95 2.37 1.99 2.59 Eastern extension 2004 AVERAGE Entwicklung der Ausgaben im Ausland Und was sagen unsere eigenen Zahlen? 0,80 € 1,25 Mrd. 0,75 (€ 18/ Kopf) GKV-Ausgaben € 819 Mio. im Ausland (€ 12/ Kopf) 0,70 0,65 0,60 +52% € 1,73 Mrd. 0,55 € 368 Mio. 0,50 % 0,45 +37% € 1,26 Mrd. (€ 5/ Kopf) 0,40 0,30 0,20 GKV-expenditure abroad as % of GDP Gesundheitsausgaben im Ausland gesamt 0,35 0,25 Expenditure abroad as % of GDP € 634 Mio. Expenditure abroad as % of THE GKV-Ausgaben im Ausland als % der GKVAusgaben GKV expenditure abroad as % of GKV-expenditure 0,15 0,10 0,05 0,02% 0,05% des BIP 0,00 2000 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 EU Patienten in Österreich pro Mio. Bevölkerung (ambulant & stationär, 2004) 95 0 1373 10 3 164 69 177 76 Ist das die ganze Wahrheit? Sehr wahrscheinlich nicht … Und was passiert mit den selbst gezahlten Rechnungen? EU-Gesundheitspolitik X Umwelt Ernährung/ Landwirtschaft Andere Politikbereiche Gesundheit der Bevölkerung Patienten Direkte Ergebnisse: Qualität, Zufriedenheit Prozesse Strukturen Finanzielle Ressourcen Gesundheits“Outcome“ Gesundheitssystem € Binnenmarkt Wettbewerbsrecht “At European level, health services have to adapt to market rules, while at national level, health services are seen as part of a social model. To overcome this situation and to ensure the social status of health services, we need – possibly paradoxically – to develop a European health policy.“ Richtlinie über Patientenrechte bei der grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung 2003: High Level process of reflection on patient mobility and healthcare developments in the EU 2004: High Level Group on Health Services and Medical care 2006: Removal of health services from the Directive on Services in the Internal Market 2006: Council conclusions on Common values and principles in EU Health Systems 2006-07: Public consultation on Community action on health services 2008: European Commission proposal for a Directive on the application of patients’ rights in cross-border health care 2009: European Parliament’s first reading May 2010: Implementation of the revised social security coordination framework (EC Regulation 883/2004 and Regulation 987/2009) June 2010: Council's of EU ministers reach a common position Nov 2010: European Parliament’s Report, 2nd reading Dec 2010: Informal trialogue negotiations to reach a final joint text Jan 2011: European Parliament plenary sitting, 2nd reading 9 March 2011: Directive passed 25 Oct 2013: Deadline for transposition into national law Ambulant ohne Genehmigung immer, stationär mit Genehmigung, auf die aber bei Angemessenheit Anspruch besteht; Kostenerstattung bis zum Preis im Heimatland EU-Gesundheitspolitik Umwelt Ernährung/ Landwirtschaft „Richtlinie Patientenrechte bei grenzüberschreitender Ges.-versorgung“ Andere Politikbereiche Gesundheit der Bevölkerung Patienten Direkte Ergebnisse: Qualität, Zufriedenheit Prozesse Strukturen Finanzielle Ressourcen Gesundheits“Outcome“ Gesundheitssystem X X X Dienstleistungs Richtlinie € Binnenmarkt Wettbewerbsrecht EU-Gesundheitspolitik Umwelt Ernährung/ Landwirtschaft „Richtlinie Patientenrechte bei grenzüberschreitender Ges.-versorgung“ Andere Politikbereiche Gesundheit der Bevölkerung Patienten Direkte Ergebnisse: Qualität, Zufriedenheit Prozesse Strukturen Finanzielle Ressourcen Gesundheits“Outcome“ Gesundheitssystem X X X Dienstleistungs Richtlinie € Binnenmarkt Wettbewerbsrecht Wie beeinflusst die Richtlinie die EUGesundheitssysteme? • Direkte Wirkung 1: Klarstellung, wer verantwortlich ist pot. Steigerung grenzüberschreitender Gesundheitsversorgung • Direkte Wirkung 2: Kooperation bzgl. Health Technology Assessment, europ. Referenzzentren … • Hauptwirkung (indirekt): verstärkter Druck auf Ländern, Qualität transparent zu machen • (wird verstärkt durch) – direkten Einfluss der Troika auf Gesundheitssysteme der Länder mit Rettungspaket, – die Einbeziehung der Gesundheitssysteme auch in die Überprüfungen zum Stabilitäts- und Wachstumspaktes durch die Kommission (“europäisches Semester“) Das wissen die meisten von uns (noch) nicht Europäisches Semester – Landesspezifische Empfehlungen zu Reformen im Gesundheitssystem (plus Langzeitpflege), 2011-2014 2011: 4 Länder 2012: 6 Länder (NL zu Langzeitpflege) 2013: 11 Länder 2014: 16 Länder