Ironie beim jungen Heinrich Heine – „Die Harzreise“

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Ironie beim jungen Heinrich Heine – „Die Harzreise“
30.09.2006
Bergische Universität Wuppertal
Sommersemester 2006
Proseminar: Heinrich Heine – Zwischen romantischer Ironie und politischer Satire
Prof. Andreas Meier
Ironie beim jungen Heinrich Heine – „Die Harzreise“
Inhaltsverzeichnis
Seite
1. Einleitung
2
2. Was ist Ironie?
-
2.1 Ironia verbi
3
-
2.2 Ironia vitae
4
-
2.3 Ironia entis
5
3. Ironie in der „Harzreise“
-
3.1 Heine im Harz
6
-
3.2 Formale Ironie – Stilistische Ironie
6
4. Fazit - Ironie als Mittel der Kritik
10
Bibliographie
11
Anhang
1
1. Einleitung
Schon unmittelbar nach der ersten Veröffentlichung hat Heinrich Heines „Die Harzreise“
zwiespältige Reaktionen hervorgerufen. Während die einen Leser begeistert waren, sahen
die anderen darin einen offenen Affront gegen sich und unternahmen allerhand
Bemühungen, um die Verbreitung des Reiseberichts zu unterbinden 1 ; der satirisch
gestaltete Text bedient sich nämlich kaum verhohlenen Spottes und Ironie um die
Erscheinungen seiner Zeit zu kritisieren. Indes konnten die negativ eingestellten Kritiker
nicht verhindern, dass schließlich die „freundschaftliche Anerkennung von Heines Talent
überwieg[t].“ 2
Die neuere Forschung ist sich noch immer nicht einig darüber, welche Lesart für die
„Harzreise“ bevorzugt werden sollte. Ist sie tatsächlich ein Fragment wie Heine
behauptet 3 , oder ist auch dieser Hinweis eine weitere ironisch unterlegte Bemerkung des
Autors? Diese Frage befriedigend beantworten zu können, setzt eine Untersuchung jener
Ironie in der „Harzreise“ voraus.
Es gibt unterschiedliche Begriffsbestimmungen für Ironie: Sie kann rein rhetorisch und
stilistisch angewandt sein – oder formal, „zwischen den Zeilen“ versteckt als ein Topos,
wie etwa die Sokratische Ironie oder die Romantische Ironie. Daraus folgernd lässt sich
weitergehend fragen, ob der junge Heinrich Heine noch ein überzeugter Anhänger der
Romantik ist, oder ob nicht schon in diesem frühen Prosatext erste Kritik erkennbar wird.
Stellt sich Heinrich Heine gegen die Romantische Ironie, indem er ihre Stilmittel und
Topoi mit einer anderen Wirkungsabsicht benutzt?
„Die Harzreise“ dient als hervorragendes Beispiel einmal für die Anwendung der
verschiedenartigen Ironien bei Heine, zum Anderen aber auch für die Einstellung des
Autors zu seiner Zeit und zur Romantik. Der Reisebericht ist derart vielfältig, dass eine
nähere Analyse die Antwort auf jene Fragen näher bringt.
Zunächst muss jedoch dargelegt werden, was genau unter dem Begriff „Ironie“ zu fassen
ist, wo die Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen stilistischer und formaler Ironie
zu finden sind. Davon ausgehend sollen – nach einem kurosrischen Überblick zur
1
Vgl. Höhn, Gerhard: Heine-Handbuch. Zeit, Person, Werk. Stuttgart, 1987. Seite 165: „Die Göttinger
Professoren bewirkten ein Verbot für ihre Stadt und deren Leihbibliotheken. In Österreich waren die
Reisebilder I verboten.“
2
Ebd., Seite 166.
3
„Die ‚Harzreise’ ist und bleibt Fragment“. (Heine, Heinrich: Reisebilder. Mit einem Nachwort von Hiltrud
Häntzschel. Zürich 1993. Dieser Text folgt Band 4 und 5 der von Oskar Walzel herausgegebenen 10bändigen
Ausgabe im Insel Verlag, Leipzig 1910-15. Seite 82. Alle folgenden Textausschnitte sind dieser Ausgabe
entnommen.)
2
Entstehung des Werks - anhand von Textauszügen aus der „Harzreise“ diese Kriterien
herausgearbeitet und auf Basis der Fragestellung analysiert werden.
2. Was ist Ironie?
2.1 Ironia Verbi
Die bekannteste Form der Ironie stammt aus der Rhetorik; sie ist einer literarischer Tropus,
ein Stilmittel, das auf Ersetzung beruht. Ironiesignale spielen eine große Rolle, um Ironie
als solche erkennen zu können. „Literarische Ironie in einem anspruchsvollen Sinn kann
sich niemals auf das Ironische einzelner Sätze beschränken.“ 4 In der Schriftsprache setzt
sie einen Leser voraus, der eine Aussage innerhalb des Kontextes als ironisch gemeint
deuten kann. Beim gesprochenen Wort unterstützen Gesten und Stimmlage das eigentlich
Gemeinte.
„Die Signale der literarischen Ironie sind von so verborgener Art, daß es schon
nicht mehr statthaft ist, überhaupt noch von Signalen zu sprechen. [Es gibt]
bestimmte konventionelle Interpunktionssignale, die unter anderem Ironie anzeigen
können: Gedankenstrich, Pünktchen oder das in Klammern gesetzte Ausrufezeichen
(!).“ 5
Rhetorische Ironie wird in zwei verschiedenen Varianten benutzt: Der Simulatio und der
Dissimulatio. Einfach ausgedrückt bedeutet die Simulatio eine Aussage, bei der so getan
wird als würde das Gesagte oder Geschriebene wahrhaft der Meinung des Urhebers
entsprechen. Das Ironiesignal muss deutlich sein und offen legen, dass die Aussage ganz
und gar nicht den Tatsachen entspricht. Als Beispiel kann folgende Situation dienen: Herr
Müller sitzt mit der Familie zu Hause in der Küche und ruft: „Ist das Wetter wieder
herrlich!“ Ein Blick aus dem Fenster jedoch beweist schnell das Gegenteil. Der Himmel ist
Wolkenverhangen und der Wetterbericht im Radio kündigt für den Laufe des Tages noch
heftige Gewitter an – alles andere als herrliche Aussichten.
Wenn Herr Müller einen Moment später behauptet: „Das finde ich überhaupt nicht
ärgerlich!“ so verwendet er die Dissimulatio; er tut, als ob ihn das Wetter nicht verärgern
würde, obgleich der geplante Familienausflug buchstäblich ins Wasser fällt.
4
Allemann, Beda: „Ironie als literarisches Prinzip.“ In: Albert Schaefer (Hg.): Ironie und Dichtung. Sechs
Essays von Beda Allemann, Ernst Zinn, Hans-Egon Hass, Wolfgang Preisendanz, Fritz Martini, Paul
Böckmann. München 1970. Seite 18.
5
Ebd., Seite 19.
3
Beiden Beispielen ist gemein, dass immer das ausschlaggebende Kriterium des
Gegensatzes erfüllt wird. Es unterscheidet die Ironie grundsätzlich von der Allegorie, in
der zwar auch das Eine für etwas Anderes steht, aber nicht auf gegensätzliche Weise 6 .
2.2 Ironia vitae
Im Verhältnis zur rein rhetorischen, ist die sokratische Ironie eine weitaus subjektivere
Form, die sich nicht als Stilmittel, sondern als Lebenseinstellung äußert. Es handelt sich
um eine existentielle Ironie um ihren bekanntesten Vertreter, dem Philosophen Sokrates
(469 v. Chr. bis 399 v. Chr.), der durch geheuchelte Unwissenheit seinen Gesprächspartner
im Dialog an echtes Wissen heranführen wollte. „Das griechische Wort [...] (eírō) heißt:
ich sage, rede, erzähle, und die Form [...] (eirōneúŏmai) bedeutet: sich im Reden
verstellen; es anders meinen, als man sagt; auch spotten.“ 7
Die Ironie findet sich darin, dass der Philosoph sich als einfältiger Fragensteller gibt, um
den vermeintlich weiseren Gegenüber zum Nachdenken anzuregen. Um zu lehren, lässt
Sokrates nicht nur eine Selbstverkleinerung, sondern annähernd eine Selbstvernichtung
seiner Person zu. Diese didaktisch-persuasive Vorgehensweise wird auch Maieutik (griech.
„Hebammenkunst“) genannt.
2.3 Ironia entis
Die Romantische Ironie bezieht sich nicht nur auf rhetorische Stilmittel oder auf eine
Lebenseinstellung, sondern geht darüber noch hinaus. Sie erhebt den Anspruch,
ontologisch zu sein, sich also mit allem Seienden zu befassen, nicht allein mit der Welt und
der Natur, sondern auch mit dem Universum und Gott.
Gott ist dabei die absolute und unendliche Komponente, welche wiederum die
vergängliche und endliche Natur erschaffen hat. Hierin begründet sich das Paradox der
Romantischen Ironie: Sie geht davon aus, dass Gott nur in seiner Schöpfung zu begreifen
ist. Jedoch ist die Schöpfung dem Verfall und Tod preisgegeben, während ein
transzendentes Wesen eigentlich unsterblich sein sollte. Es entsteht eine kaum zu lösende
Spannung zwischen Ideal und Wirklichkeit!
6
Beispielsweise eine Waage in den Händen der Justitia als Symbol für Gerechtigkeit. In diesem Bild ist kein
Gegensatz vorhanden.
7
Prang, Helmut: „Die Romantische Ironie“. In: Erträge der Forschung. Bd. 12, Darmstadt 1972. Seite 1.
4
Das Wesen der Ironie zeigt sich nach Auffassung Friedrich Schlegels „als Meisterung des
künstlerischen Schaffensdrangs” 8 , da der Dichter sich permanent in einem Zustand
zwischen Selbstschöpfung und Selbstvernichtung befände:
Der positive Pol dieses dialektischen Zusammenhangs läßt sich als aufschäumende
Begeisterung, als Enthusiasmus des dichterischen Gestaltungsdrangs bezeichnen.
[...] Entsprechend wird die rückwirkende, limitierende und korrigierende Skepsis
gegen das eigene Produktionsvermögen „Selbstvernichtung“ genannt. 9
Zudem erhält die Ironie noch eine weitere wichtige Funktion, da sie „über das Endliche
hinauszuweisen vermag, also mehr ist als kunstimmanente Spielform des Geistes oder gar
nur Stilmittel der Poesie.“ 10
Das Bestreben der Autoren, Texte lediglich als Fragmente zu verfassen ist eine praktische
Anwendung dieser sehr subjektiven, „romantischen Ironie“. Sie bezieht den Leser direkt in
den Widerspruch zwischen Endlichem und Unendlichem ein, denn das (kompositorische)
Fragment bleibt Fragment und spiegelt den unaufhörlichen, nie abgeschlossenen
Schaffensprozess wieder.
Auch aus diesem Grunde ist von der Romantischen Ironie als einer progressiven UniversalPoesie zu sprechen. Das ganze Leben soll poetisiert werden, um auf das Absolute zu
verweisen. Daraus folgt eine Infinitisierung der rhetorischen Ironie.
8
Behler, Ernst: Klassische Ironie. Romantische Ironie. Tragische Ironie. Zum Ursprung dieser Begriffe.
Darmstadt 1972, Seite 68.
9
Ebd., Seite 67.
10
Prang, Helmut: „Die Romantische Ironie“, Seite 13.
5
3. Ironie in der „Harzreise”
3.1 Heine im Harz
Wenn man sich im 19. Jahrhundert an der Universität Göttingen immatrikulierte, so war es
üblich während der Studienzeit auch eine Wanderung durch den Harz zu unternehmen.
Heinrich Heine, der zunächst von 1820 bis 1821 als Student der Rechtswissenschaft an der
Universität eingeschrieben war und dann 1825 hier promovierte, reiste in vier Wochen,
von September bis Oktober 1824, ohne Begleitung von Kommilitonen ebenfalls durch die
Region. Sein Fußmarsch führte ihn von Osterode über einige Zwischenstationen zunächst
zum Brocken, von dort nach Weimar, wo er für eine kurze Unterredung auf Goethe traf,
und schließlich über Kassel zurück nach Göttingen. „Sofort nach seiner Rückkehr [begann]
Heine mit der Niederschrift seiner Eindrücke und Erlebnisse.“ 11
Die literarische Harzreise endet allerdings mit dem Abstieg vom Brocken hinunter ins
Ilsetal. Eine erste Fassung war im Dezember 1824 bereits abgeschlossen. Veröffentlicht
wurde der Reisebericht jedoch erst 1826 auf Grund zensorischer Verzögerungen in der
Berliner Zeitschrift „Der Gesellschafter“. Für die Buchfassung von 1826 hat Heine den
Text noch einmal erweitert und verändert.12
3.2 Stilistische Ironie – Formale Ironie
Heine parodiert häufig in seiner „Harzreise“ und kritisiert dadurch das Philistertum, seine
Zeitgenossen und nicht zuletzt die Vertreter der Romantik und die Romantische Ironie
selbst. Dabei verwendet der Autor verschiedene Spielarten der Ironie, zum Einen auf
stilistischer – also rhetorischer – Stufe, zum anderen auch innerhalb der Bedeutungsebenen
des Textes, also auf formaler Basis.
Anhand von Beispielen sollen im Folgenden Heines unterschiedliche Verfahren der
Ironisierung – stilistische und formale - gezeigt werden. Besonders gerne wendet der Autor
die Kollisionstechnik an, wodurch witzige Effekte entstehen 13 , aber auch ironische
Desillusionierungen beim Leser erzeugt werden.
Ebenso finden sich zahlreiche Kontraste in der „Harzreise“: „Immer wieder prallt
Erhabenes auf Alltägliches, Pathetisches auf Triviales; andauernd wird die Hierarchie
11
Vgl. Ziegler, Edda: Heinrich Heine. Leben – Werk – Wirkung. Zürich 1993. Seite 79.
Nachweis der Daten: Vgl. ebd..
13
Etwa die „ordentlichen und unordentlichen Professoren“. (Heine, „Reisebilder“ (Walzel Hg.), Seite 10.)
12
6
zwischen Wichtigem und Unwichtigem umgedreht“14 . Auch nutzt Heine das Mittel des
Sich-Erhebens, schafft Distanz zwischen sich, dem Leser und dem Erzähltem – ein
typisches Stilmittel der Romantische Ironie.
Rhetorische, also stilistische Ironie findet sich in der „Harzreise“ zuhauf, sowohl in der
Form der simulatio, als auch der dissimulatio. Die Ironie ist jedoch sehr fein und gut
verborgen – der Spott daneben ist deutlich zu erkennen, um die simulatio im folgenden
Beispiel zu sehen, ist eine nähere Analyse notwendig.
„Die Bäume sind grün, weil Grün gut für die Augen ist. Ich gab ihm Recht und
fügte hinzu, daß Gott das Rindvieh erschaffen, weil Fleischsuppen den Menschen
stärken, daß er die Esel erschaffen, damit sie dem Menschen zu Vergleichungen
dienen können, und daß er den Menschen selbst erschaffen, damit er Fleischsuppen
essen und kein Esel sein soll.“ 15
In diesem Absatz tritt deutlich die Kritik an den Philistern zu Tage, welche die Natur
lediglich nach ihrer Nützlichkeit bewerten. Der Ich-Erzähler spottet auf schon grobe Weise
über seinen Begleiter, ohne dass dieser den Spott als solchen überhaupt verstehen würde.
Darüber hinaus setzt das Ich Menschen und Esel in eine Beziehung, analysiert auf
Philisterart ihren Platz in der Welt und entlarvt solcher Weise die einseitige
Kategorisierung der Natur als unsinnig; „Dieses Kollisionsverfahren ist eines der
bedeutendsten Charakteristika der [...] [Kunst] Heines, die Beliebiges mit Beliebigem
desillusionierend verbindet“ 16 .
Die simulatio findet sich auf einer verschlüsselten Ebene: Heine „tut so, als ob“ er ganz
einer Meinung mit seinem Gesprächspartner wäre, während in seiner Rede jedoch ein
derart grotesk-amüsanter Vergleich gezogen wird, sodass die wahre Aussage offen liegt.
Mit der dissimulatio verhält es sich ganz ähnlich:
„Durch seinen Kahlkopf, den er zuweilen mit einer weißen Nebelkappe bedeckt,
gibt er sich zwar einen Anstrich von Philiströsität; aber, wie bei manchen andern
großen Deutschen, geschieht es aus purer Ironie.“ 17
Dieser Textauszug ist auf mehrfache und komplizierte Weise verschlüsselt; auf der rein
stilistischen Ebene „tut der Brocken so, als ob er nicht“ ein Philister wäre. Formal
betrachtet ist der Brocken erstens kein Mensch und kann darum zweitens kein Philister
14
Höhn, Gerhard: Heine-Handbuch. Seite 162.
Heine, „Reisebilder“ (Walzel Hg.), Seite 43.
16
Grubacic, Slobodan: „Heines Erzählprosa. Versuch einer Analyse“. In: Hans Fromm, u.a. (Hgs): Studien
zur Poetik und Geschichte der Literatur. Bd. 40, Stuttgart, u.a. 1975. Seite 10.
17
Heine, „Reisebilder“ (Walzel Hg.), Seite 58.
15
7
sein. Jene „großen Deutschen“, mit denen der Berg verglichen wird, geben sich hingegen
den „Anstrich von Philiströsität“, sicher jedoch nicht aus „purer Ironie“, sondern weil sie
sich tatsächlich für Philister halten.
Heine verballhornt hier auf nicht sehr höfliche, schon beleidigende Weise jene dem
Philistertum anhängende Personen, indem er ihnen eine Täuschung unterstellt: Sie wüssten
sehr wohl von der Ironie ihrer Überzeugung und hingen ihr nur des guten Tones in der
Gesellschaft wegen an. Wie groß können jene Deutschen also sein, wenn sie sich lediglich
einen „Anstrich“ geben?
Noch offensichtlicher wird der Spott und die damit immer einhergehende Kritik Heines bei
folgendem Zitat:
„Was mich betrifft, so habe ich in der Naturwissenschaft mein eigenes System, und
demnach teile ich alles ein: in dasjenige, was man essen kann, und in dasjenige,
was man nicht essen kann.“ 18
Heine verkündet hier eine einfache Wahrheit, welche die Welt nach persönlicher
Nützlichkeit sortiert. An der Aussage ist absolut nichts zu rütteln, es gibt kein Argument,
das ihr entgegen gehalten werden könnte. Beinahe platt wirken Witz und Komik und doch
ist es ein typisches Merkmal des Hein’schen Humors, dass neben der feinen, versteckten,
manchmal schon boshaften Ironie auch solche Stellen in der „Harzreise“ zu finden sind,
die ob ihres offenkundigen Spottes einen weniger bittren Beigeschmack für diejenigen
Leser haben, die sich sonst scharf kritisiert finden müssen.
Nicht nur die Zeitgenossen werden mit spitzer Feder aufs Korn genommen – auch die
Romantische Ironie selbst wird kritisiert.
„Die steinalte, zitternde Frau, die, dem großen Schranke gegenüber, hinterm Ofen saß,
mag dort schon ein Vierteljahrhundert lang gesessen haben, und ihr Denken und
Fühlen ist gewiß innig verwachsen mit allen Ecken dieses Ofens und allen
Schnitzeleien dieses Schrankes. Und Schrank und Ofen leben, denn ein Mensch hat
ihnen einen Teil seiner Seele eingeflößt.“ 19
Die Romantische Ironie wird an dieser Stelle deutlich: Jene „steinalte Frau“ ist in gewisser
Weise eine Schöpferin, eine Göttin, die einem unbelebten Gegenstand ihre „Seele
einflößt“. Sie wird eins mit der Umgebung, sodass ein Teil von ihr auch nach ihrem
Ableben noch immer vorhanden sein wird – Das Unendliche ist im Endlichen fassbar.
Jedoch gibt es in dieser Überlegung einen entscheidenden Knackpunkt: Schrank und Ofen
18
19
Heine, „Reisebilder“ (Walzel Hg.), Seite 75.
Ebd., Seite 28/29.
8
sind keine lebendige Natur, sie besitzen keine Seelen in dem Sinne und da die Frau „nur“
ein Mensch ist und eben keine Göttin, werden die Dinge niemals wesenhaft sein.
Heine bedient sich also eines Topos der Romantik und verkehrt ihn in sein Gegenteil,
macht ihn zu etwas unmöglich Erfüllbarem: Die pathetische Vorstellung, die Frau beseele
Schrank und Ofen trifft auf die triviale Tatsache, dass die Gegenstände dennoch keine
Seele haben.
Die Kollision der Romantischer Ironie und ihr pantheistisches Weltbild mit der einfachen
Wirklichkeit, die daraus folgende Desillusionierung, macht Heine in diesem Textauszug
überdeutlich. Dabei bedient er sich einer rein formalen Ironie: Er spottet nicht, er schreibt
nicht einmal eine direkte Satire, denn weder parodiert der Abschnitt, noch gibt es
Ironiesignale in ihm zu finden.
Diese sehr hintergründige Art der Kritik, dieser an vielen Stellen fast greifbare Spott, an
anderen die kaum merkbare Ironie, ist typisch für Heinrich Heines gesamte „Harzreise“.
9
4. Fazit
Ironie als Mittel der Kritik
Helmut Prang ist 1972 überzeugt, in den Hein’schen Texten angewandte Romantische
Ironie zu erkennen:
„Die Souverenität des Autors erlaubt ihm Distanz zum Gegenstand und freies Spiel
mit seinem Leser, Bewußtmachung seines Könnens und Wollens sowie
Zugeständnis an den Leser, u. U. nicht weiterzulesen.“ 20
Richtig ist, dass Heine zum Teil tatsächlich auf diese Weise seine „Harzreise“ gestaltet,
Prang definiert mit dieser Aussage allerdings auch Merkmale für Romantische Ironie.
Jedoch bedient sich Heine meiner Überzeugung nach so oft der Desillusionierung und des
Kontrastes auf stilistischer Ebene, dass er auch formal die Romantische Ironie für seine
Zwecke benutzt, um sie bloß zu stellen und zu kritisieren.
Wolfgang Preisendanz stellte 1970 fest:
„Ironie ist bei Heine nicht im selben Sinn [...] romantische Ironie; sie hat mit dem
Friedrich Schlegel [...] bewegenden Problem der Vermittlung von Endlichem und
Unendlichem, Wirklichkeit und Idee, Bedingtem und Unbedingtem nichts zu
schaffen“ 21
In der Heine-Forschung selbst wurde und wird also noch immer gestritten, welche Lesart
nun die richtige ist, ob die „Harzreise“ Fragment, oder doch ein kompositorisch in sich
geschlossener Text ist. Ist sie kein Fragment, wie u.a. Andreas Meier in seinem Aufsatz
wie folgt darlegt:
„[...]Die ironisch verstärkte Spannung, die sich in der neueren Forschung als
oppinio communis geltenden straffen formalen Komposition des Textes und dem
behaupteten Fragmentcharakter ergeben“ 22 ,
so ist auch an den (vermeintlichen) Signalen für Romantische Ironie zu zweifeln. Sie sind
vorhanden, aber erfüllen einen anderen Zweck. Vielmehr überwindet Heinrich Heine schon
in seinem frühen Werk „Die Harzreise“ die Romantiker. Er nutzt ihre Topoi – Natur,
Fragment und Ironie - auf satirische und parodistische Art, um damit auf ganz andere
Dinge hinzuweisen: Kritik an den Zeitgenossen, dem Philistertum, der Romantik selbst,
mit der Heine später noch in seiner „Romantischen Schule“ (1836) endgültig abschließt.
20
Prang, „Die romantische Ironie“, Seite 75.
Preisendanz, Wolfgang: „Ironie bei Heine“. In: Albert Schaefer (Hg.): Ironie und Dichtung. Sechs Essays
von Beda Allemann, Ernst Zinn, Hans-Egon Hass, Wolfgang Preisendanz, Fritz Martini, Paul Böckmann.
München 1970. S. 85-112. Seite 106.
22
Meier, Andreas: „„vom Schwindel erfaßt“. Heines Harzreise als Symptom eines kulturgeschichtlichen
Paradigmenwechsels.“ In: Wirkendes Wort 3 (1999), S. 329-354. Seite 333.
21
10
Bibliographie
Primärliteratur
Heinrich Heine. Historisch-kritische Gesamtausgabe der Werke. Düsseldorfer Ausgabe. In
Verbindung mit dem Heinrich-Heine-Institut hrsg von Manfred Windfuhr. 16 Bde.,
Hamburg 1973-1997. (DHA)
Heine, Heinrich: Reisebilder. Mit einem Nachwort von Hiltrud Häntzschel. Zürich 1993.
Dieser Text folgt Band 4 und 5 der von Oskar Walzel herausgegebenen 10bändigen
Ausgabe im Insel Verlag, Leipzig 1910-15.
Forschungsliteratur
Allemann, Beda: „Ironie als literarisches Prinzip.“ In: Albert Schaefer (Hg.): Ironie und
Dichtung. Sechs Essays von Beda Allemann, Ernst Zinn, Hans-Egon Hass, Wolfgang
Preisendanz, Fritz Martini, Paul Böckmann. München 1970. S.11-37.
Preisendanz, Wolfgang: „Ironie bei Heine“. In: Albert Schaefer (Hg.): Ironie und
Dichtung. Sechs Essays von Beda Allemann, Ernst Zinn, Hans-Egon Hass, Wolfgang
Preisendanz, Fritz Martini, Paul Böckmann. München 1970. S. 85-112.
Behler, Ernst: Klassische Ironie. Romantische Ironie. Tragische Ironie. Zum Ursprung
dieser Begriffe. Darmstadt 1972.
Prang, Helmut: „Die Romantische Ironie“. In: Erträge der Forschung. Bd. 12, Darmstadt
1972.
Grubacic, Slobodan: „Heines Erzählprosa. Versuch einer Analyse“. In: Hans Fromm, u.a.
(Hgs): Studien zur Poetik und Geschichte der Literatur. Bd. 40, Stuttgart, u.a. 1975.
Müller, Joachim: „Heines Prosakunst“. In: Abhandlungen der sächsischen Akademie der
Wissenschaften zu Leipzig. Philologisch-historische Klasse. Bd. 65, Heft 2, Berlin 1975.
Pabel, Klaus: Heines „Reisebilder“. Ästhetisches Bedürfnis und politisches Interesse am
Ende der Kunstperiode. München 1977.
Zlotkowski, Edward A.: „Heinrich Heines Reisebilder. The Tendency of the Text an the
Identity of the Age”. In: Abhandlungen zur Kunst-, Musik- und Literaturwissenschaft. Bd.
307, Bonn 1980.
Klinkenberg, Ralf H.: „Die „Reisebilder“ Heinrich Heines. Vermittlung durch literarische
Stilmittel“. In: Europäische Hochschulschriften. Reihe 1. Deutsche Sprache und Literatur.
Bd. 394, Frankfurt am Main 1981.
Höhn, Gerhard: Heine-Handbuch. Zeit, Person, Werk. Stuttgart, 1987.
Ziegler, Edda: Heinrich Heine. Leben – Werk – Wirkung. Zürich 1993.
11
Schneider, Sabine: „Die Ironie der späten Lyrik Heines“. In: Epistemata. Würzburger
wissenschaftliche Schriften. Reihe Literaturwissenschaft. Bd. 148, Würzburg 1995.
Windfuhr, Manfred: „Rätsel Heine. Autorprofil – Werk – Wirkung“. In: Helmut Kreuzer
(Hg.): Reihe Siegen. Beiträge zur Literatur-, Sprach- und Medienwissenschaft.
Germanistische Abteilung. Bd. 133, Heidelberg 1997.
Meier, Andreas: „„vom Schwindel erfaßt“. Heines Harzreise als Symptom eines
kulturgeschichtlichen Paradigmenwechsels.“ In: Wirkendes Wort 3 (1999), S. 329-354.
Kerschbaumer, Sandra: Heines moderne Romantik. Paderborn, u.a. 2000.
Oesterreich, Peter L.: „Ironie“. In: Helmut Schanze (Hg.): Romantik-Handbuch., 2.
durchgesehene u. akt. Aufl. Stuttgart 2003. S.352-366.
Oster, Uwe A.: „Heinrich Heines „Harzreise“: Der Brocken ist ein Deutscher.“ In:
DAMALS 8 (2006), S. 76-81.
Internet
Heinrich-Heine-Portal.
http://germazope.uni-trier.de/Projects/HHP/werke, 17.06.2006.
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