Wissen 03 Branding
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McK www.mckinsey.de McK Wissen 03 1. Jahrgang 2002 15 Euro C 59113 www.mckinsey.de McK Wissen 03 1. Jahrgang 2002 15 Euro C 59113 McK Das Magazin von McKinsey Branding „… ist das gewollte und bewusste Erzeugen einer dauerhaften Narbe mit heißem Metall.“ Wissen 03 BRANDING Wissen 03 Muse Markenrelevanz Aphrodite Karstadt Taschenmesser Informationseffizienz Bier Märchen Werbemonitoring Weihnachtsbutter Jägermeister Kultmarkenfetischist Markendiamant Mythos Glaubwürdigkeit Käsebrötchen Ingredient Brands Nachfragesog Demokratie Guerilla-Marketing Auge in Auge Peter Geringhoff hat es kürzlich sehr treffend formuliert. „Mal ganz ehrlich“, sagte der Geschäftsführer des Kaufhaus-Konzerns Strauss Innovation anlässlich der Eröffnung der jüngsten Filiale bei Hamburg, „wir können doch nicht ernsthaft behaupten, dass der Kunde unsere Produkte wirklich braucht. Das vierte Teegeschirr? Die siebte Tischdecke? Das dreißigste Paar Socken? … Der wirkliche Bedarf ist längst gedeckt.“ Wenn es nur das wäre. Tatsächlich ist der Kunde ja nicht nur satt, er kann all das, was er ohnehin nicht braucht, auch kaum noch unterscheiden. Die Qualität taugt als Kaufargument immer weniger. Inhaltlich oder technisch sind bei den meisten Produkten kaum noch Unterschiede auszumachen. Auch der Preis ist innerhalb eines Segments nicht mehr das entscheidende Kriterium. Was also bleibt? Genau. Die Marke – oder besser: das, was der Kunde mit ihr verbindet – wird zum Erfolgsfaktor. Marketing heißt immer weniger Verkaufen. Marketing bedeutet Kundenansprache auf höchstem Niveau. Der Trendforscher Matthias Horx nennt die neue Form des Werbens „Kommunizieren auf Augenhöhe“ und meint damit das, was so mancher Marketing-Experte seit geraumer Zeit mühsam lernt: Erfolgreiche Marken stehen nicht mehr für ein Produkt. Sie stehen für ein Lebensgefühl, bilden die Welt des Konsumenten ab, transportieren Werte, verkörpern Emotionen und Sehnsüchte, suggerieren Sicherheit und Vertrauen. Wo dieser Spagat gelingt, ist der Verbraucher treu und kaum noch von der Marke abzubringen, wie das Beispiel AEG belegt. Das Unternehmen, das sich einst hinter den drei Buchstaben verbarg, ist schon lange tot, die Produkte, die inzwischen unter dem Label verkauft werden, stammen von unterschiedlichen Lizenznehmern. Und doch hat sich AEG, aus Erfahrung gut, so tief in die Seelen der Kunden gegraben, dass die Marke auch ihrem heutigen Besitzer Electrolux satte Umsätze beschert (Seite 36). Wie aber geht das? Wie baut man heute eine Marke? Wir haben auf die Fragen ganz unterschiedliche Antworten gefunden. Die Kosmetikserie La Editorial Text: Susanne Risch Mer hat neben einem zweifellos exklusiven Produkt vor allem eine unschlagbare Geschichte mit ihrer Creme angerührt (Seite 30). Frosch mixte mit kleinem Budget und großem Engagement aus Ökologie und Scheuermitteln seine Marke (Seite 8). Gore und Intel sind sogar ganz ohne Endprodukt aufgestiegen – und heute als Ingredient Brand weltweit bekannt (Seite 52). Bekanntheit allein allerdings sichert noch keinen Erfolg, das musste Karstadt gerade neu lernen. Zwar ist das Warenhaus fast jedem Deutschen ein Begriff, ein guter sogar, aber das heißt noch nicht, dass er bei Karstadt auch kauft (Seite 14). Den Stromanbietern ging es diesbezüglich nicht anders. Die Energiekonzerne haben sich mit Millionenaufwand große Namen aufgebaut – aber nur wenige neue Kunden. Weil Markenbildung zwar entscheidend ist, aber nicht in jeder Branche und nicht für jedes Produkt (Seite 78). Branding ist kompliziert, und die simple Kampagne so mancher Agentur wird dem Thema auf Dauer sicher nicht gerecht. Der Kunde war nie einfältig, auch wenn ihn die Werbung oft gern so darstellte. Der Konsument der Wissensgesellschaft ist es schon gar nicht. Informiert und wertorientiert wie er ist, macht er die schwierige Markenbildung künftig noch ein wenig komplizierter: Er will das verbindende Label – bei größtmöglicher Individualität. Das geht nicht? Geht nicht, gibt’s nicht. Foto: Britta Max McK Wissen 03 Susanne Risch, Chefredakteurin [email protected] Zitat auf der Titelseite: Branding-Experte Jerry Tatoo Seiten: 2.3 Inhaltsverzeichnis McK Wissen 03 Seiten: 4.5 1 Branding-Definitionen Eine immaterielle Summe. Eine bewusst erzeugte Narbe. Hört sich gefährlicher an, als es ist. Seite: 6 2 Marketing für Arme Kein Budget für aufwändige Kampagnen? Machen Sie Ihre Marke doch mit Guerilla, Viren und Ideen. Seite: 8 3 Noch einmal mit Gefühl „Alles unter einem Dach“ hieß die Karstadt-Devise in der Vergangenheit. So wurde die Marke groß und bekannt – und flach. Jetzt stellt sich der Warenhauskonzern ganz neu auf. Seite: 14 4 Mega-Momentum Kopf oder Bauch? McKinsey-Director Hajo Riesenbeck und Werbeagenturchef Holger Jung im Gespräch. Seite: 22 5 Die Mär von La Mer Die Produkte sind toll, die Geschichten noch besser. Die Mythen, die sich um die Creme de La Mer ranken, klingen wie Märchen aus Tausendundeiner Nacht. Liegt darin das Geheimnis ihres Erfolgs? Seite: 30 6 Untergang überlebt Das Unternehmen AEG verstarb 1996. Die Marke erfreut sich bis heute bester Gesundheit. Seite: 36 7 Olympische Spiele Welche Berühmtheit zu welchem Produkt passt, verrät das Brand Personality Gameboard. Seite: 44 8 Paarlauf mit Tücken Sie sind nur als Bestandteile von Produkten zu kaufen, nicht allein. Doch die Beispiele Intel, Goretex oder NutraSweet zeigen, dass auch Ingredient Brands zu Weltmarken werden können. Seite: 52 9 Was wirklich zählt Rüdiger Schmitz-Normann über die Tristesse eines Lebens ohne Marken. Seite: 60 10 Marke, streck dich! Maggi-Wasser? Marlboro-Joghurt? Die Versuchung, eine etablierte Marke auf immer mehr Produkte auszudehnen, ist groß. Doch Brand Stretching hat seine Grenzen. Seite: 72 11 Von 40 auf 80 Das kleine Branding-Einmaleins: So viel Potenzial hat Ihre Marke. Seite: 76 12 Alles nichts, oder? Marken sind das Größte. Aber längst nicht für jede Branche und für jedes Produkt. Seite: 78 13 Wussten Sie, dass … … M&M’s ein Produkt des Spanischen Bürgerkriegs sind? Mehr Überraschungen. Seite: 84 14 Minister für Markenqualität Seine ersten Kunden waren die Beatles, heute macht er Nationen zu Marken. Ein Gespräch mit Branding-Legende Wally Olins. Seite: 88 15 Marken-Politik Wie inszeniert man Bürgerbeteiligung? Wie Demokratie? Ein Wettbewerb. Seite: 96 16 Mutter. Rostfrei. Gleich zwei Firmen haben die Lizenz, das Schweizer Messer herzustellen und zu vermarkten. Seite: 100 17 Grün war die Hoffnung Stell dir vor, Beck’s gehört den Belgiern, und keiner kriegt es mit: In aller Stille wechselte die Bremer Brauerei Beck & Co 2001 den Besitzer. Der Weltmarke hat die Übernahme nicht geschadet. Seite: 104 18 Frieden an der Fettfront Margarine oder Butter? Ein Glaubenskrieg. Er wütet seit Jahrzehnten. Seite: 112 19 Eine Frage der Zeit Global Branding in Reinform ist nur ein schöner Traum, behauptet der Marketingexperte Heribert Meffert. Seite: 118 20 Schlechte Zeiten, gute Zeiten? Einst Kult, dann tot. Jetzt feiert die deutsche Brause Afri-Cola gleich ein doppeltes Comeback. Seite: 120 Köpfe Seite: 128 Impressum Seite: 130 Inhalt Begriffsklärung McK Wissen 03 Seiten: 6.7 1 Branding-Definitionen „Branding (to brand = einem Rindvieh den Stempel des Eigentümers einbrennen) ist der Prozess, bei dem eine für beide Seiten förderliche und nützliche beziehungsweise Gewinn bringende Beziehung zwischen der gastronomischen Marke und dem Gast hergestellt, verstärkt und aufrechterhalten wird. Eine erfolgreiche Marke bietet ein so hohes Maß an Qualität, ist so anziehend und vertrauenswürdig, dass sie Gefühle der Zuneigung und Loyalität hervorruft und Gäste bereit sind, einen höheren Preis zu zahlen, als dem Produkt an sich angemessen wäre.“ www.abseits.de/branding.htm „Branding ist ein neuer Trend, der sich seit ein paar Jahren immer weiter bei uns durchsetzt. Es hört sich gefährlicher an, als es ist.“ www.body-temple.de „Um mit Gertrude Stein zu sprechen: Eine Marke ist eine Marke, ist eine Marke.“ Al Ries, US-Marketing-Experte „First Law of Media Hype: Just because you’ve heard about it doesn’t mean it’s well-branded. Branding and awareness are not the same thing.“ Rob Frankel, US-Branding-Spezialist „Ich habe kein Marketing gemacht. Ich habe immer nur meine Kunden geliebt.“ Zino Davidoff (1906–1994), Schweizer Zigarrenhersteller „In der Fabrik stellen wir Kosmetikartikel her; aber über die Ladentheke verkaufen wir Hoffnung.“ Charles Revson (1906–1975), Gründer von Revlon „Branding ist die immaterielle Summe der Attribute eines Produkts: sein Name, Verpackung und Preis, seine Geschichte, seine Reputation und die Art, wie es beworben wird.“ David Ogilvy (1911–1999), Mitbegründer von Ogilvy & Mather „Brand ist das proprietäre, visuelle, emotionale, rationale und kulturelle Image, das jemand mit einem Unternehmen oder einem Produkt assoziiert.“ www.brand.com „Die meisten neuen Marken sind aus markentechnischer Sicht Rohrkrepierer.“ Professor Franz-Rudolf Esch, Institut für Marken- und Kommunikationsforschung, Justus-Liebig-Universität Gießen Marken = im Geschäftsverkehr benutzte Mittel zur Kennzeichnung von Waren oder Dienstleistungen eines bestimmten Unternehmens mit dem Ziel, diese Produkte von denen anderer zu unterscheiden. Der Große Brockhaus in einem Band „Es wird in Zukunft wieder eine Menge No Names geben, Produkte, die sich über andere Eigenschaften verkaufen als über Marken.“ Matthias Horx, Trend- und Zukunftsforscher, Gründer des Zukunftsinstituts in Kelkheim bei Frankfurt am Main Alternativer Markenaufbau Text: Ralf Grauel 2 McK Wissen 03 Seiten: 8.9 Marketing für Arme Am Anfang dieses Artikels lesen Sie, wie Sie mit Guerilla-Technik, Virus-Marketing und guter Werbung für vergleichsweise wenig Geld relativ viel Marke machen. Am Ende steht, was Sie mit 30 Cent und einer wirklich genialen Idee erreichen. Alternativer Markenaufbau Text: Ralf Grauel Foto: Jägermeister / Britta Max Damit wird man Chef von Ibiza: Jägermeister-Devotionalien McK Wissen 03 Seiten: 10.11 Wenn es auch einfach geht, schlägt Uwe Deese Kapriolen. „Wir sind euphorische Kultmarkenfetischisten“, sagt er ins Telefon. Die Frage war, wieso seine Agentur Megacult so gern für Jägermeister arbeitet. Kurze Pause, dann merkt er selbst: „Eigentlich hätte ich auch Fans sagen können, oder?“ Fünf Minuten später hat man den Eindruck, man könne auch seine Großmutter kaufen. Ab der sechsten Minute landet der Geschäftsführer der Kölner Agentur regelmäßig auf dem Fußballplatz und gibt sich als beinharter Borussia-Dortmund-Fan zu erkennen. Und so entspannt man, taucht in den Verbalkarneval zwischen Ruhrgebiet und Rheinland ein und merkt, Deese will einfach nur nicht langweilen. Andere nicht, und am wenigsten sich selbst. Im Moment lässt er es für Jägermeister krachen. Seit fünf Jahren rührt Ex-Tchibo-Syndikus Hasso Kaempfe als Vorstandsvorsitzender der MastJägermeister AG die Marketing-Mischung des Kräuterlikörs mit neuen Zutaten an. „Mal mit einer Marke bis auf den Boden durchdringen“, sagt Kaempfe. Und 2001, beim Schlager-Move in Hamburg, der norddeutschen technofreien Love Parade, „haben wir die komplette Flöte gefahren“, sagt Uwe Deese. Jägermeister nahm mit einem eigenen Wagen am Umzug teil. Megacult vermittelte den Hamburger Veranstaltern geeignete TV-Partner und gestaltete die Plakate und Anzeigen markenkompatibel um. Auf dem Heiligengeistfeld stand ein orangefarbener dreigeschössiger Partykubus, der so genannte Hochsitz, „den wir als vordergründiges Event-Tool entwickelt haben“. Das Tool „füllten“ sie „auf der zweiten und dritten Ebene mit PR-Inhalten“, sprich in einer ebenfalls orangefarbenen, von Rudolph Moshammer entworfenen Lounge konnten „VIPs und JägermeisterVerwender“ die Marke entdecken, also trinken. Dann kam der Orange Raid, der orangefarbene Überfall. Der kam so gut, dass die Veranstalter sich überrollt fühlten, denn unter dem angemeldeten Sampling hatten sie sich etwas anderes vorgestellt. Statt kleiner Fläschchen verteilten die „Jägerettes“, so heißen die Promotion-Leute, dermaßen viele Mützen, T-Shirts und Pullis an die Menge, dass Bilder und Berichte keinen Schlager-Move mehr dokumentierten, sondern eine riesige JägermeisterFete. Eine Woche später schickten die Veranstalter der Berliner Love Parade eine präventive Abmahnung, falls man ähnliches Guerilla-Marketing im Tiergarten plane. Mehr als 70 Prozent seines Marketing-Etats gibt Jägermeister weltweit für Promotions aus, schätzt Kaempfe, damit liegt er im Trend ganz vorn. Die Werbeetats entfernen sich nämlich stetig von Above-the-Line (z. B. Print, TV, Radio), sie gehen zurück in den Markt, Below-the-Line. Und das macht Megacult. Marketing hart an der Zielgruppe. Einmischen, untermischen, Pröbchen verteilen, Skandale ansetzen, Beziehungen stiften, Kult anzetteln, den Fan zum Werbeträger umfunktionieren und ihn „richtig packen“, wie die Branche für sich selbst wirbt. Werbung unter der Gürtellinie. Laut, direkt, auf Vollkontakt. „Belowthe-Line im Aufwind“, vermeldet das Fachblatt Absatzwirtschaft im November 2002, mitten in der Werbeflaute. Und so gewinnen PR und ein paar illustre Seitenarme der Verkaufsförderung an Etatbedeutung. Da gibt es das Virus-Marketing, ansteckende Werbung, die der Verbraucher überträgt. Erfolgreich: die Kampagne für den Film „The Blair Witch Project“ und die millionenfach heruntergeladenen „Wassup“-Spots von Budweiser. Wirksam, aber gefährlich: selbst eingefädelte Skandale (Angela Merkel im Sixt-Cabrio). Die Mechanik ist immer die gleiche, nämlich minimaler Einsatz für maximale Wirkung. Dabei sieht der Jägermeister-Mix gar nicht so minimal aus. Der Likör mit dem Hirsch und dem Kreuz im Logo sponsert Feuerwehrfeste, tourt durch Kneipen, präsentiert die deutsche Meisterschaft für Hirschrufer, fördert NachwuchsBands (in den USA mehr als hundert, die mittlerweile erfolgreichen Gruppen Slayer, Nickelback und Bloodhound Gang profitierten davon), veranstaltet Konzerte und lässt vom SMS- Leuten, die man auf einer Liste eintrug. Der Rabatt wurde jedoch erst dann wirksam, wenn die Freunde ebenfalls MCI-Kunden wurden. Der Clou: Nicht der Kunde selbst, sondern ein Mitarbeiter der Telefongesellschaft telefonierte die Liste ab und fragte die Freunde, ob sie nicht MCI-Kunden werden wollten, um ihrem Bekannten einen Rabatt zu ermöglichen. „Das funktionierte in neun von zehn Fällen“, gestand ein MCI-Vertreter dem US-Magazin Consumer Reports. In seinem Buch „Der Tipping Point – Wie kleine Dinge Großes bewirken können“ beschrieb der amerikanische Autor Malcolm Gladwell minutiös, wie Krankheitswellen, Selbstmord-Epidemien und Trendkampagnen denselben Mustern folgen. Spätestens seit Seth Godins Nachfolgetitel „Unleashing the Ideavirus“ dreschen US-Marketer soziobiologische Metaphern, und es grassiert eine neue Epidemie: Virus-Marketing. Gerade testet Procter & Gamble (P & G) im US-Markt die neue Marketing-Einheit Tremor, um mit Mundpropaganda und One-to-One-Marketing jugendliche Massenmärkte zu erreichen. P & G arbeitet noch an der Liste mit 200 000 Multiplikatoren im Teenager-Alter, die Produkt-Coupons und Auch für Viren gibt es Grenzen Informationsmaterial erhalten. Den Rest soll Mutter Natur erledigen: Nun gut, mag man einwenden, Jägermeister „fährt die ganze Flöte“ und „Wenn wir alles richtig machen“, so Tremor-Chef Steve Knox, „werden spart Werbegeld durch Guerilla-Marketing. Aber was tun, wenn man die Jugendlichen aus freien Stücken über unsere Produkte sprechen. So sind statt Schnaps Töpfe oder Haushaltsreiniger produziert? Kult ist da die Jugendliche, das steckt in ihren Genen.“ Antwort. Es geht um den Hebel, also darum, die Mittel der Marke Dennoch gibt es Grenzen, auch für Viren. Unreife Produkte werden bei punktgenau dort anzusetzen, wo sie gesellschaftlich bereits vorhandene der Fortpflanzung scheitern. Im Kern des Erfolges steckt immer eine Eigenkräfte umlenken. Manche Produkte sind da so auf dem Punkt, dass Innovation. Ein Bruch, eine Rekombination, die Vermählung zweier sie fast kein Marketing benötigen. Das ist immer dann der Fall, wenn Komponenten, die zu kreuzen bisher niemand wagte. Gelingt diese Kreuzung, geht das Produkt seinen Weg fast von allein. Eine additivfreie ZigaVertrieb, Produkt und Marke verschmelzen. Beispiel Tupperware, die wohl größte Konsum-Community weltweit mit rette über Bioläden zu vertreiben zum Beispiel, wie im Fall von einem geschätzten täglichen Umsatz von drei Millionen US-Dollar. Es gibt Natural American Spirit. Anfang 2002 verkauften die Gründer ihre vor keine Werbung, kaum Marketing. Das Prinzip Tupperware wird vor allem allem in den vergangenen fünf Jahren stark gewachsene Marke an den bestimmt durch den sozialen Druck, sich für den Kaffee, den Kuchen und Zigarettenkonzern R. J. Reynolds. Der Kaufpreis betrug 354 Millionen die Gastfreundlichkeit der Gastgeberin irgendwie revanchieren zu müssen. US-Dollar, fast das Dreifache des Jahresumsatzes. Tupperware vereint Vertrieb, Zielgruppe und ihre sozialen Regeln zu einem Oder die Marke Frosch, der Joschka Fischer unter den Haushaltsreinigern. perfekten Plastikvirus. Das Einzige, was der Hersteller ins System einspeist, 1985 ließ sich der spätere Außenminister im hessischen Landtag in ist Ware. Und die Spielregeln, nach denen sie verteilt wird. Alle 2,7 Turnschuhen vereidigen. Ein Jahr darauf platzierte die Muttergesellschaft Erdal ihren Frosch als neuen Regalfreund sympathisch und selbstbewusst Sekunden findet irgendwo auf der Welt eine Tupper-Party statt. Zweites Beispiel MCI. Mit dem Produkt MCI Friends And Family Calling zwischen den dominanten Hausgeistern Meister Proper und Ajax. „Frosch: Circle schuf die amerikanische Telefongesellschaft 1991 ein raffiniertes Das kleine grüne Wunder“ lautete der Claim damals. „Wir reduzierten das Verpackungsmaterial, das haben wir als Preis weitergegeben. Die Rabattsystem: 20 Prozent Ermäßigung gab es auf Ferngespräche mit Wettbewerb bis zum Radioformat mit Großschnauze Nils Ruf nichts aus, um euphorische Fusionen mit der Zielgruppe zu initiieren und „qualitativ hochwertige Kontakte“ („Was haben wir gefeiert!“) für die Marke zu produzieren. Der Clou liegt woanders: Jägermeister steckt durch den Markenkarneval nach all den Jahren so tief drin, dass die Kundschaft nicht nur „Hier!“ schreit, wenn es Mützen regnet, sondern selbst zahlt, um Werbung für den Magenbitter zu laufen. Badelatschen, Bademäntel und Snowboards, Thermoskannen, orangefarbene Perücken, röhrende Wecker, Bettwäsche, sogar Java-Scripte zum Herunterladen gibt es im Hirschdesign. „Auf Ibiza jogge ich im orangefarbenen Trainingsanzug über den Strand und bin der Chef“, sagt Uwe Deese. Mehr als 50 verschiedene Fan-Artikel gehen von Wolfenbüttel aus in die Welt, in drei Jahren eine halbe Million. Ende November hat dort der erste Jägermeister-Shop eröffnet. 1,5 Millionen Euro Umsatz macht Jägermeister mit Merchandising, Tendenz steigend. Alle 2,7 Sekunden auf einer Party: Tupperware Alternativer Markenaufbau Text: Ralf Grauel Werbung war schwarz-weiß gehalten, immer etwas billig, wir haben höchstens Viertelseiten geschaltet“, beschreibt Senior-Brand-Managerin Brigitta Hay-Hüter die Mikrokampagne. Kleiner Frosch, kleines Budget, große Glaubwürdigkeit. Heute irrt jeder, der meint, er greife zu einer Underdog-Marke, wenn er Frosch kauft. Frosch ist seit Jahren Marktführer im Segment Haushaltsreiniger. Der Gesamtverband Kommunikationsagenturen (GWA) belohnte den Markencharakter dieses Jahr mit einem silbernen Effie, dem Preis für effiziente Werbung. „Es ist immer der Charakter“, sagt Oliver Hoffmann, Geschäftsführer der Consell Gruppe, die die Frosch-Kampagne ersann. „Der Frosch war schon immer ein Sympathieträger, klassisches Kindchenschema“, sagt Hoffmann. Besser, billiger oder glänzender zu sein sind heute die Hausaufgaben für jedes Produkt. Darüber hinaus muss sogar ein Spülmittel radikal anders sein. Und das auf eine Weise, die gefällt. Jede erfolgreiche Marke besetzt eine emotionale Nische im Herzen der Verbraucher. Der Frosch, allein durch sein Dasein, verkörpert diese Nische im Regal. Im Direktvergleich. Öko und Spaß versus Glanz und Kontrolle. Die Auslöser für Konsum bleiben konstant: Durst, Sucht, Partylaune, Sozialneid oder Spaghettireste am Teller. Die Entscheidung fällt der Bauch. Marken kämpfen nicht um Aufmerksamkeit. Marketing ist ein Kampf um Liebe. Um Bindung. Das weiß man auch beim Spieleentwickler Acclaim: „Im Vordergrund stehen immer Titel wie Lara Croft“, sagt Jean Marc Behle, Marketingleiter für Deutschland, Österreich, Schweiz. „Um sich gegen starke Lizenzen durchzusetzen, müssen Sie mit Ideen dagegengehen.“ Acclaim setzt auf Skandale. Das adoleszente Publikum steht darauf. In England übernahm Acclaim zur Einführung des sinistren Videospiels Shadow Man die Kosten für Bestattungen, wenn die Angehörigen dafür der Werbung auf Grabsteinen zustimmten. Für das Steinzeit-Ballerspiel Turok suchte das Softwarehaus Freiwillige, die ihren Namen ein Jahr lang in Turok ändern lassen. Der Lohn: 785 Euro, eine Xbox und ein paar Spiele. „Das ging durch die ganze Yellow Press“, erzählt Behle. Die Produkte werden auch ganz normal in Spielemagazinen beworben. Die Skandal-PR aber trägt den Namen des Spiels und des Herstellers in den Mainstream. Die Spiele sind nicht nur gut oder cool, sie werden rebellisch. Der Nimbus des Rebellen ist immer gut. Damit schafften es auch Nike und unzählige andere. McK Wissen 03 Seiten: 12.13 Heute baut Acclaim die Skandale direkt in die Spiele ein. Beim FunsportVideospiel BMX XXX kann sich der Spieler je nach Punktestand extra dafür gedrehte Strip-Shows angucken. In den USA stiegen Wal-Mart, Toys’R’Us und KB Toys natürlich sofort aus dem Vertrieb aus. Diese Reaktion ist für Acclaim ähnlich wertvoll wie der schwarz-weiße Aufdruck „Parental Advisory: Explicit Lyrics“ auf HipHop-Platten, die glaubwürdig sein wollen. Ein Ereignis inszenieren und die Marke reinsetzen, lautet das Gebot. Besonders beliebt war die Skandal- und Guerilla-PR in den Anfangstagen der Internet-Start-ups. Da verflog sich zum Beispiel ein Fallschirmspringer über einem Stadion und landete versehentlich nicht auf dem Parkplatz davor, sondern auf dem Rasen, mitten im Spiel Borussia Dortmund gegen 1860 München. der Geschäftsführer der PR- und Below-the-LineAgentur Zucker Kommunikation. „Wenn die Aktionen nichts mit der Marke zu tun haben, bringt das überhaupt nichts.“ Zucker Kommunikation sei da schon weiter. Die Firma hat etwas entwickelt, das man auch „Mystery Branding“ nennen könnte: Die Agentur verteilt Gegenstände an öffentlichen Orten. Ein wenig gebrandet, doch immer so subtil, dass sie für private Fundstücke gehalten werden. Mehr will Kottwitz nicht erzählen. Nur so viel: Die Aktion ist sehr langfristig, aber leider nicht ganz billig. Dafür wirksam. „Aber wissen Sie, was die billigste Aktion aller Zehn Millionen Euro für ein Käsebrötchen Zeiten gewesen sein muss?“, fragt Kottwitz. Oder man denke an Prinz Ernst August, dessen Konterfei in der Hochphase „Das Käsebrötchen bei Ebay!“ Ein User namens seiner Prügelskandale in einer Anzeige für ein Handy-Auktionshaus auf- e-nike wollte im März über das Internettauchte. Ernst August verklagte das Start-up wie erhofft über seinen Auktionshaus ein halbes Käsebrötchen versteiStaranwalt Matthias Prinz. Die Kosten für die außergerichtliche Einigung gern. Nach zwölf Stunden waren zehn Millionen dürften jedoch weit unter dem Wert der Medienberichterstattung gelegen Euro geboten, und Ebay musste die Notbremse ziehen. Die Geschichte ging um die ganze Welt, haben. Die erreichte über RTL, Sat.1 und Pro Sieben nämlich Millionen. Hinter beiden Aktionen stand 12Snap. Ein Jahr später änderten die durch Presse, Funk und Fernsehen. Im Kern der Münchener ihren Geschäftszweck von Handy-Auktionen zu Mobile Storys stand die Begeisterung für InternetMarketing, sodass ihnen die damaligen Flausen heute zugute kommen. versteigerungen. Am Rande konnte Ebay klar„Ach, Sie waren das damals“, hören sie bei Geschäftskunden. Die Guerilla- stellen, wie solide das Geschäftsmodell sei und Aktionen waren zwar durch die Presse gegangen, dennoch hatte sich wie solche Ausbrüche bei ihnen gehandhabt kaum einer den Namen des Unternehmens gemerkt. Und hier liegt das werden. „Hundert Prozent auf die Marke einProblem: Solche Aktionen fallen zwar auf, sie verschleiern aber nur allzu gezahlt“, schwärmt Kottwitz: „Und das für, na, oft ein lahmes Produkt. Und wenn die Überfälle nicht von dauerhaften sagen wir 30 Cent.“ Kampagnen begleitet werden, verblitzen sie am äußeren Rand des Blickfeldes der Verbraucher. Guerilla-PR ist kurzlebig. Folgt kein Gespräch, gibt es auch keine Beziehung. „Ach, es ist schlimm. Uns rufen dauernd irgendwelche Produktmanager an, weil sie 10 000 Euro übrig haben, mal was über Skandal-PR und das Blair Witch Project gelesen haben und jetzt auch mal was mit GuerillaMarketing machen wollen“, nörgelt Oliver Kottwitz ins Telefon, einer Karstadt Text: Harald Willenbrock McK Wissen 03 Seiten: 14.15 Noch einmal mit Gefühl 3 Der Karstadt-Konzern steht vor einer Herausforderung. Fast jeder Deutsche kennt die Marke – aber zu wenige kaufen in einem der rund 190 Warenhäuser ein. Der Marke fehlt es an emotionalem Wert. Das ist nicht gut, denn gerade Gefühle entscheiden über Kauf oder Nichtkauf. Ein neues Markenkonzept soll nun den Umschwung bringen. Karstadt Text / Foto: Harald Willenbrock Was nur, was? Der Teenager in Sneakers und Cargo Pants, der in der Multimediaabteilung Außerirdische killt; die Versace-kostümierte Mittfünfzigerin – Arztgattin? –, die in der Dekogalerie Stoffe befühlt, als wären es unreife Früchte; der Trenchcoat-Aktentaschen-Budapester-tragende Geschäftsmann, der in seiner Mittagspause die Rolltreppe zur Herrenoberbekleidung hochflitzt; und, natürlich, all die anderen. Was bewegt sie? Was treibt sie hierher? Anders gefragt: Was saugt 2,5 Millionen Bundesbürger aus allen Bevölkerungsschichten, Altersgruppen, sozialen Milieus Tag für Tag in die rund 190 Karstadt-Häuser der Republik? Was suchen sie dort, was finden sie und, fast noch wichtiger: Wieso geht der Rest zur Konkurrenz? Michael B. Prothmann würde einiges für die Antwort geben. Das heißt, im Prinzip kennt er das Problem, jetzt muss eine Lösung gefunden werden, und das sagt sich leichter, als es ist. „Karstadt hat ein Markenproblem“, erklärt der Karstadt-Marketingdirektor und faltet die Hände im Nacken. Um ihn herum gletscherweiße Wände, ein strahlend weißer Konferenztisch und transluzide Paravents, die seinen Arbeitsplatz von der Stechpalmen-Raumteiler-Wuselei draußen abschirmen. Einziger Schmuck im Büro des 41-Jährigen sind ein Quadratmeter monochromes Blau an der Wand („Yves Klein, selbst gemacht“) sowie eine Batterie polierter Steine, die Papierstapel niederhalten. Prothmann hat diese Denkerzelle vor eineinhalb Jahren bezogen, als er von der Markenagentur Grey in Düsseldorf zur Karstadt-Hauptverwaltung in ein Essener Gewerbegebiet wechselte. Seitdem erfährt er jeden Morgen auf dem Weg zum Fahrstuhl, wie es um seinen neuen Arbeitgeber gerade steht. „Aktueller Aktienkurs 17,27 Euro (12-Monats-Hoch: 44,74 Euro)“, flimmerte es heute über den Großbildmonitor in der Lobby, und: „Umsatz: -2,8 Prozent.“ Prothmann muss das ändern, schnell, und deshalb hat sich der ehemalige Grey-Geschäftsführer die Marke Karstadt vorgenommen. „In unsicheren Zeiten wie diesen“, erklärt er, „sucht der Verbraucher nach Ikonen, die ihm Halt geben, und da sind Marken der Fels in der Brandung.“ Marken wirken wie Magneten, die viele Menschen magisch anziehen, einige McK Wissen 03 Seiten: 16.17 abstoßen, die meisten aber unberührt lassen, weil ihre Kraftfelder sie nicht erreichen. Je schwächer eine Marke, desto härter der Kampf mit der Konkurrenz. Eine stärkere Marke wiederum bedeutet: ein größeres Magnetfeld, mehr Umsatz, höheren Gewinn. Wie nachhaltig solche Magneten wirken, könnten zum Beispiel die Manager von PepsiCo berichten, deren Brause in Blindtests häufig besser als Coca-Cola abschneidet, trotzdem aber nicht einmal auf die Hälfte des Coca-Cola-Marktanteils kommt. Und wieso – wenn nicht dank der Marke – verkauft sich der VW Sharan in Deutschland so viel besser als der Seat Alhambra, obwohl beide technisch fast identisch sind? Für Professor Andreas Herrmann von der Universität St. Gallen ist das Konzept Marke die logische Fortsetzung des (Umsatz-)Krieges mit anderen Mitteln. „Auf der Ebene der Facts and Features lassen sich heute einfach kaum noch Wettbewerbsvorteile erzielen“, erklärt der Markenexperte, „und selbst wenn ich mir heute noch einen Produktvorteil erarbeite, hat ihn spätestens morgen auch mein Konkurrent. Also versucht man, etwas um den Produktkern herumzuspinnen.“ Was wäre Gucci minus Marke? Nichts Dieses Etwas sind Marken, und die haben derzeit Hochkonjunktur. Einer Umfrage unter 400 deutschen Unternehmen zufolge verkörpern wirkungsvoll gesteuerte Marken im Schnitt mehr als 50 Prozent des Gesamt-Unternehmenswertes. Die Marke Coca-Cola zum Beispiel ist (wenn man dem aktuellen Interbrand-Ranking glauben darf) aktuell knapp 70 Milliarden Dollar und damit fast so viel wert wie die Marken General Electric und Intel zusammen. Volkswagen dagegen kommt auf einen relativ geringen Markenwert von nur 7,2 Milliarden, Apple auf 5,3 und Armani auf 1,5 Milliarden Dollar. Klar ist: Starke Marken schlagen sich besser an der Börse, schwache geraten eher unter die Räder einer Rezession. Gelingt es einem Unternehmen, eine starke Marke zu etablieren, winkt ein deutlich höherer Umsatz, wenn sich das positive, einzigartige Bild der Marke, das die Konsumenten vor Augen haben, anschließend in konkretem Kaufverhalten niederschlägt. „Die Assets sind in die Köpfe gewandert“, umschreibt es Andreas Herrmann, „was zum Beispiel wäre das Unternehmen Gucci minus die Marke Gucci? Nichts.“ Literatur: David A. Aaker/Erich Joachimsthaler: Brand Leadership. Financial Times Prentice Hall, München, 2001; 352 Seiten; 49,95 Euro Heribert Meffert: Marketing – Grundlagen marktorientierter Unternehmensführung. Gabler Verlag, Wiesbaden, 2000; 1472 Seiten; 39,90 Euro Philip Kotler/Friedhelm Bliemel: Marketing-Management – Analyse, Planung und Verwirklichung. Schäffer-Poeschel Verlag, Stuttgart, 2001; 1361 Seiten; 39,95 Euro Andreas Herrmann: Produktmanagement. Verlag Vahlen, München, 1998; 587 Seiten; 35 Euro Oliver Hupp (links), Projektleiter bei der Gesellschaft für Konsumforschung hat die Vorlage geliefert. Die Befragung von 2000 Konsumenten sorgte für „schöne, runde Ergebnisse“ – und bildete die Basis für das neue Karstadt-Markenkonzept, das Marketingdirektor Michael B. Prothmann ab Frühjahr 2003 umsetzen will. Karstadt Text: Harald Willenbrock Weil sich der Inhalt von Köpfen schwer ermessen lässt, kursieren über den Mythos Marke viele Vermutungen und kaum Gewissheiten. Was genau, zum Beispiel, ist eigentlich eine Marke? „Der zentrale, das Unternehmen steuernde Gedanke“, wie Alexander Luckow von der Markenberatung Enterprise IG glaubt? Oder der „inkrementelle Nutzen“ („die imaginärsymbolischen Nutzen-Komponenten eines Produkts, die über die praktischfunktionalen hinausgehen“ – so David Aaker, einer der führenden Markentheoretiker der USA)? Sind es „Eigenschaften, die nicht zwingend aus der Funktionalität eines Produktes hervorgehen, aber das Pendant zu einer Persönlichkeit ergeben“ (Professor Andreas Herrmann)? Oder ist es das „in der Psyche des Konsumenten verankerte, unverwechselbare Vorstellungsbild von einem Produkt oder einer Dienstleistung“, wie Deutschlands Markenpapst Professor Heribert Meffert meint? Die Marke Karstadt, das sind zig Millionen Marken-Facetten Überschneidet man die zahllosen Definitionen, kommt man etwa auf das, was der Designer Verner Panton einmal über Farben gesagt hat: „Subjektive, physische Wahrnehmungen – sie existieren überhaupt nicht.“ Gelb zum Beispiel sei nur in unseren Gedanken gelb, meinte Panton. Genauso steht Nike beim Teenager für etwas anderes als für den Geschäftsmann; die Mittfünfzigerin hingegen verbindet möglicherweise nicht einmal etwas mit dem Namen. Umgekehrt ist es mit Gucci, Nintendo, Tupperware und all den anderen, ungezählten Marken, die um die Aufmerksamkeit der Verbraucher rangeln. Wofür aber steht Karstadt? In der Essener Theodor-Althoff-Straße 2, dem Hauptsitz des Konzerns, war das bis vor ein paar Monaten nicht so klar. „Es sind unheimlich viele Untersuchungen zur Marke Karstadt gemacht worden – aber entweder im sehr abstrakten oder fundamentalen Raum“, erinnert Prothmann. Hinzu kommt, dass Warenhausmarken im Gegensatz zu Produktmarken „brutal komplex“ sind, wie Prothmann vorrechnet: Wenn man einmal berücksichtige, dass eine Marke wie Karstadt in rund 190 Filialen, mehr als 100 Sortimenten, von 48 000 Mitarbeitern gelebt werde und man diese Faktoren miteinander multipliziere, komme man auf zig Millionen Marken-Facetten. Eine umfassende Markenanalyse, die der Konzern im Sommer 2001 unter Leitung von Marketing- und Vertriebsvorstand Ralf Pohl gemeinsam McK Wissen 03 Seiten: 18.19 Die Einkäufer 121 Jahre nach der Eröffnung des „Tuch-, Manufacturund Confectionsgeschäft Karstadt“ im mecklenburgischen Wismar durch den Einzelhandelskaufmann Rudolph Karstadt – Keimzelle des heutigen Karstadt-Imperiums – teilen sich die Karstadt-Erben und die zum MetroKonzern gehörenden Kaufhof-Häuser gut die Hälfte des deutschen Warenhausmarkts fast brüderlich. Karstadt erwirtschaftete im Jahr 2001 rund 6,9 Milliarden Euro Umsatz, Kaufhof vier Milliarden Euro Umsatz. Die weiteren Konkurrenten – etwa Woolworth – spielen nur eine untergeordnete Rolle. Allerdings herrschen die beiden Großen über einen stetig schrumpfenden Markt: Mit 3,5 Prozent Anteil am gesamten Einzelhandelsumsatz sind die Warenhäuser heute etwa wieder da angelangt, wo sie 1949 begannen (nachdem sie zwischenzeitlich auf den dreifachen Anteil kamen; 1973 lag ihr Umsatzanteil bei 10,5 Prozent). Schuld, so die Karstadt-Manager, seien vor allem Discounter und Spezialisten wie Zara oder Douglas, die das klassische Warenhaus heute von zwei Seiten bedrängten. Immerhin: 96 Prozent der Deutschen kennen Karstadt, das mit rund 190 Warenhäusern (inklusive Hertie, KaDeWe, mit McKinsey auf den Weg bringt, ist der Versuch, dieses Mosaik abstrakt und zugleich exakt zu ergründen. Erstmals sollen die Konturen der Marke skizziert werden, und zwar nicht im Groben und Ganzen, sondern für jedes Sortiment detailgenau im Vergleich mit den jeweiligen Wettbewerbern. „Unsere stärksten Konkurrenten“, erklärt Marion Steffen, die Leiterin des Strategischen Marketings bei Karstadt, „sind nicht Warenhäuser, sondern Spezialisten wie Zara, H & M oder Douglas.“ Im Herbst 2001 schwärmen dann die Interviewer der Nürnberger Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) aus und befragen gut 2000 Menschen an 50 Karstadt-Standorten nach einem ausgefeilten Procedere. Wie Röntgenapparate, die Freiwillige durchleuchten, scannen sie ihre Motive, notieren ihre Wünsche und registrieren ihre Abneigungen. Lösen typische Kunden aus der Masse der Karstadt-Käufer. Addieren sie zu Konsumenten-Typologien. Am Ende stehen „schöne, runde Ergebnisse“, wie es Oliver Hupp, Projektleiter bei der GfK nennt, weil die Daten schlüssig, plausibel und nachvollziehbar sind. 96 Prozent der Deutschen kennen Karstadt – aber sie kaufen dort zu wenig Für Prothmann und Steffen sind die Resultate indes alles andere als erfreulich. Zwar ist die Marke Karstadt sensationellen 96 Prozent der Deutschen bekannt (Steffen, stolz: „Da sind wir auf einem Niveau mit Coca-Cola und McDonald’s“), und ein hoher Anteil von ihnen schaut auch regelmäßig im Kaufhaus vorbei – aber, und das ist die Stelle, an der Steffen die Stirn in Falten legt, sie kaufen dort verhältnismäßig wenig ein. Mit anderen Worten: Karstadt hat ein gigantisches Potenzial – aber nutzt es nicht. Wie ist das möglich? Auch darüber liefert die Markenanalyse detaillierte Erkenntnisse. „Die Marke ist gewachsen, aber es sind ihr keine emotionalen Werte eingelebt worden“, erklärt Steffen, „dummerweise sind emotionale Werte exakt jene, die über Kauf oder Nichtkauf entscheiden.“ Die Ursache: Das Verhältnis von Karstadt zu den Deutschen, diesen mehr als 120 Jahre alten Bekannten, war erkaltet, entfremdet, blass geworden. Karstadt wusste nicht viel mehr über seinen Kundenstamm, als dass er ziemlich genau den Bevölkerungsschnitt der Bundesrepublik abdeckte. Wie aber soll man jemanden ansprechen, der in der Masse aufgeht? Im Prinzip blieb dem Kaufhaus gar nichts anderes übrig, als die Republik Wertheim und Alsterhaus) sowie gut 280 Spezialhäusern (wie Runner’s Point, Wehmeyer und WOM – World of Music) und insgesamt gut 55 000 Mitarbeitern in diesen Bereichen als Europas größter Warenhauskonzern gilt. Konzernmutter ist die KarstadtQuelle AG mit Sitz in Essen, die durch die Fusion mit Deutschlands Universalversender Nummer eins entstand. Dessen vormaliger Eigner, der Pool „Madeleine Schickedanz“, hält mit 36,4 Prozent den größten Anteil am Konzern. Seit einiger Zeit expandiert Karstadt ins Immobilien- und Financial-Services-Geschäft und ist (zusammen mit der Deutschen Lufthansa) Eigner von Europas zweitgrößtem Reiseveranstalter Thomas Cook. Jüngstes Baby des Vorstandsvorsitzenden Wolfgang Urban ist die Karstadt Coffee GmbH, ein Joint Venture mit der US-Kaffeehauskette Starbucks, die Deutschlands Innenstädte mit einem Netz von Kaffee-Trinkhallen überziehen soll. Karstadt Text: Harald Willenbrock Charts: McKinsey & Company regelmäßig und flächendeckend mit Prospekten zu bestreuen, in denen sich für jeden immer irgendwo irgendetwas fand. Jene, die daraufhin bei Karstadt vorbeischauten, suchten häufig vergeblich, denn auch die Kaufhäuser waren als Generalisten konzipiert und ähnelten eher Warenlagern als Präsentationsräumen. Prothmann: „Dieses Konzept des ,Alles unter einem Dach‘, das von uns lange penetriert wurde, führte zu einer Vermatschung des Markenbildes.“ Die Parfümabteilung zum Beispiel: Die Marke Douglas, härtester Konkurrent der Karstadt-Parfümerien, wurde von den Befragten mit so ziemlich allem assoziiert, was eine gute Parfümerie ausmacht – Verführung, Wertigkeit, Individualität und so weiter. „Unser Profil hingegen“, so Prothmann, „ist flach. Das ahnten wir auch schon vor der Markenanalyse, aber jetzt wissen wir’s.“ Im Prinzip hätte Prothmann also an der Analyse der Karstadt-Schwächen verzweifeln können – wenn sie ihm nicht auch gezeigt hätte, wie sie sich in Stärken verwandeln lassen. Jetzt, da er die Kontur der Hausmarke genau kennt, kann er sein Heer von Kommunikationsexperten mit einer Kampagne beauftragen, die ihre Stärken stützt, die Schwächen ausbügelt. In Zukunft können die Marketingmittel zielgenau statt mit der Gießkanne verteilt werden. Sortiment, Warenpräsentation, Shop-Konzept, Architektur – alles wird, soll, muss sich ändern, wenn der Magnet Karstadt wieder an Zugkraft gewinnen soll. Und natürlich müssen die 48 000 WarenhausMitarbeiter den Glauben an ihn wiederfinden. An unglaublich vielen Schräubchen drehen Klar ist für alle: Karstadt muss wärmer, menschlicher werden, vom entfernten Bekannten zum Freund wachsen, der jeden Wunsch im Voraus ahnt. „Staunen und Begeistern, dieses Nasen-Plattdrücken an der Schaufensterscheibe wie in den Anfängen des Warenhauses, das wird auch unsere Unique Selling Proposition sein“, sagt Prothmann. Wie so etwas funktioniert, macht Volkswagen vor: Der Konzern hat für fast jeden automobilen Wunsch ein spezielles Angebot – aber immer mit dem Qualitätsversprechen „Volkswagen“ obendrauf. „Was wir überall und immer geben müssen, ist der Grund-Mehrwert ,Karstadt‘. Um den zu kommunizieren, drehen wir derzeit an unglaublich vielen Schräubchen“, sagt Prothmann. McK Wissen 03 Seiten: 20.21 Der McKinsey-Ansatz: Art – Science – Craft Wie beschreibt man ein Phantom? Anders gefragt: Wie projiziert man eine diffuse Vorstellung auf Papier? Und mehr noch: Wie verwandelt man dieses Phantombild in einen funkelnden Diamanten, der Menschen bewegt, berührt, begeistert? Wie eine solche Metamorphose aussehen könnte, haben Wissenschaftler vom Marketing Centrum Münster, Deutschlands wohl renommiertestem Marketing-Forschungsinstitut, zusammen mit einem McKinsey-Projektteam erforscht. Ergebnis der Zusammenarbeit ist ein Set von Werkzeugen, mit denen sich erstmals nicht nur die Konturen einer Marke nachzeichnen und ihre Umsatzpotenziale belegen, sondern auch Mittel und Wege identifizieren lassen, mit denen sich das Potenzial effektiv ausschöpfen lässt. Impact-based Brand Management nennt sich dieses neuartige System der Markenanalyse und -führung, das unter anderem bei Karstadt zum Einsatz gekommen ist. Am Anfang jeder Markenanalyse steht eine umfassende Konsumentenbefragung, wobei nicht direkt nach der Marke gefragt (was angesichts des diffusen, in Teilen unbewusst wirkenden Markencharakters zu verzerrten Ergebnissen führen würde), sondern um die Ecke geforscht wird. Statt beispielsweise zu fragen, „Halten Sie VW für eine starke Automarke?“, würden Marktforscher ihren Probanden fünf Automarken vorstellen und fragen, welche Charakteristika sie mit jeder von ihnen verbinden. Aus den Antworten lassen sich zuverlässige Aussagen über Relevanz, Wert und Ausprägung einer Marke extrahieren. Zusammengefasst werden die Ausprägungen einer Marke im so genannten Markendiamanten, einem Modell, das ein ganzes Set aus rationalen und emotionalen, tangiblen und intangiblen Charakteristika abbildet. Wer dieses Markenprofil an die fünf Stufen anlegt, die üblicherweise zu einer Kaufentscheidung führen, kann exakt feststellen, wo im Kaufprozess die Marke scheitert. Ist sie schlicht zu unbekannt – oder kennt man sie zwar, aber vertraut ihr nicht? Was ist mit jenen, die sie schon mal gekauft haben – warum entscheiden sie sich nicht ein zweites Mal für sie? Und so weiter. Zusammen mit den gewonnenen Erkenntnissen über Käufer-Typologien und empirischen Daten lässt sich so eine effektive Strategie entwerfen, die Schwächen einer Marke gezielt ausgleicht und ihre Stärken herausstellt. Dabei lassen sich genau jene Faktoren – die so genannten relevanten Treiber – identifizieren, die das Markenbild am Und damit die Deutschen auch etwas davon mitbekommen, soll im kommenden Frühjahr eine neue Markenoffensive gestartet werden, wie der Marketingdirektor ankündigt – eine breit angelegte, millionenschwere Werbekampagne, neue Sortimente, neue Store-Konzepte und besseres „Visual Merchandising“, mit der sich die Marke Karstadt besser, stärker, neu präsentiert. Ein erneuertes Freundschaftsangebot, wenn man so will. Ist das dann die Antwort? Prothmann winkt ab. „Auch im nächsten Frühjahr wird sicher keine Welle fröhlichen Konsumrausches durch Deutschland schwappen.“ Wenn Karstadt aber jetzt nicht anfange, aus dem ewigen Preisvergleich, dem ewigen Kampf mit Rabatten herauszukommen, werde es für Konzern und Marke sehr schwer. „Markenbildung ist ein Prozess ohne Anfang und Ende“, sagt der Marketingdirektor lächelnd. Und klingt dabei nur ein bisschen müde. effektivsten voranbringen, es in die Köpfe der Menschen zurückspiegeln. Werbung, Sortiment, Präsentation, Mitarbeiter – alle Faktoren, die ein Markenbild erzeugen, lassen sich so strategisch nachjustieren. So weit jedenfalls die Theorie. In der Praxis entscheidet sich der Erfolg jeder Marke letztlich an der Konsequenz, mit der sie gelebt wird. „Erfolgreiche Markenführung“, so McKinsey-Berater Jesko Perrey, „besteht aus dem Dreisprung Art, Science und Craft, wobei Science für das Erschließen der Potenziale und das Entwerfen wirksamer Konzepte, Art für die kreative Umsetzung steht. Craft meint die Übersetzung der Strategie in alle Einheiten des Unternehmens. Mit anderen Worten: Craft verlangt einen langen Atem.“ Streitgespräch Jung / Riesenbeck 4 Text: Ralf Grauel Foto: Jens Wiemann McK Wissen 03 Seiten: 22.23 MegaMomentum Die kreativen Ideen der Werber oder die objektiven Zahlen der Marktforscher – was zählt beim Branding? Darüber diskutierte McKinsey-Director Hajo Riesenbeck (Foto links) mit Werbepapst Holger Jung. McK: Herr Jung, Herr Riesenbeck, wussten Sie eigentlich, dass Sie beide bei Unilever angefangen haben? Holger Jung: (zu Hajo Riesenbeck) Ach. Wann waren Sie denn da? Hajo Riesenbeck: Von Anfang 1976 bis 1979. In welcher Abteilung waren Sie? Jung: Ich war bei Union Deutsche Lebensmittelwerke, heute Unilever Best Foods. Riesenbeck: Ich war bei Lever Sunlicht, heute Lever Fabergé, zuletzt als Produktmanager auf Sunil: „Gutes kann so preiswert sein“. (lacht) McK: Was haben Sie damals gelernt? Jung: Die Basis des Handwerks. Riesenbeck: Ich habe gelernt, das Produktmanagement kritisch zu sehen. Jeder neue Produktmanager, der sich profilieren will, macht einen Relaunch. Jung: Darunter leiden wir heute am meisten: dass jeder neue Mann gleich wieder alles verändert. Das ist das größte Problem. Ständig haben wir es mit Leuten zu tun, die Nein sagen dürfen. Aber keiner darf Ja sagen. McK: Sie beide beraten Unternehmen in Bezug auf Markenbildung – allerdings von unterschiedlichen Seiten. Zentrale Arbeitsgebiete von McKinsey sind Strategieentwicklung und Strukturierung von Organisationen. Jung von Matt entwickelt Kommunikation. Auch wenn sich beides aufeinander zu bewegt: Werber sind etwas anderes als Unternehmensberater. Fangen wir vielleicht beim Thema Konkurrenzausschluss an. Streitgespräch Jung / Riesenbeck Text: Ralf Grauel Foto: Jens Wiemann Riesenbeck: Konkurrenzausschluss bei Agenturen ist meines Erachtens kontraproduktiv. Wir sagen unseren Klienten: „Sucht euch die Agentur danach aus, wie ihr mit deren Mitarbeitern harmoniert und wie sie in einem analogen Fall das Kommunikationsproblem gelöst hat.“ Das ist sehr viel effektiver als die gängige Wettbewerbspraxis, ein paar schöne Pappen zu zeigen, um den Kunden zu überzeugen. Das wäre so, als müssten wir als Berater die Antwort geben, bevor wir überhaupt begonnen haben, die Probleme zu analysieren. Jung: Es ist lächerlich, wenn wir einen Kunden wie Jever verlieren, weil wir Diebels gewonnen haben. Obwohl wir beide an unterschiedlichen Standorten betreuen und Jever unseren Spot nach sieben Jahren und mehrfachen Agenturwechseln immer noch schaltet. Ein Riesenproblem ist sicher auch die Kompetenzausweitung von Produkten, so dass Sie, wenn Sie für Mars Viersen arbeiten, bis zur Erdnuss gesperrt werden. Wenn Sie aber zum Thema Pitch kommen, sehen Sie den Unterschied zu Ihrem Business. Bei Ihnen geht es größtenteils um sinnvolle Prozesssteuerung. Wir müssen ein Produkt kreieren. Und dieses Produkt, die Kampagnen-Idee, die einer Marke wahnsinnig nützen kann, entsteht manchmal besser unter dem brutalen Druck einer Pitch-Situation. Riesenbeck: Aber könnte man diesen Druck nicht vielleicht auch anders erzeugen? Jung: Es ist manchmal wie beim Boxkampf. Im Ring kommt es zu einer Adrenalin-Extraausschüttung, und mit der klappt es besser. Riesenbeck: Das Problem ist, dass im Pitch oft losgelöst von strategischen Vorgaben gearbeitet wird. So sind wir als Unternehmensberater überhaupt zum Thema Branding gekommen. Wir leisten strategische Vorarbeit, definieren die Value Proposition und vieles mehr. Dann kommt der Agentur-Pitch, es treten vier Agenturen an – und am Ende entscheidet der Klient rein auf Basis der kreativen Leistung. Warum steigt man nicht gemeinsam in den Ring, nach dem Motto: Gelenkte Kreativität ist besser als freie Kreativität? Jung: Ich gebe Ihnen nur bedingt Recht. Eine geniale Idee, die der Marke wirklich etwas bringt, setzen Sie nicht mal eben so in die Welt. Bei einer zu engen Prozesssteuerung bleiben die Juwelen gern mal links und rechts am Wege liegen. Riesenbeck: Das ist natürlich die Kunst. Wenn Sie die Korsettstangen zu eng ziehen, entstehen langweilige Anzeigen: Die Aussagen sind zwar McK Wissen 03 Seiten: 24.25 GLOSSAR Awareness: Auf Deutsch: Bewusstsein. Damit bezeichnet man ganz allgemein die Bekanntheit und Wahrnehmung einer Marke innerhalb einer Zielgruppe. Best Practice: Der beste Weg, eine Leistung zu erbringen. In der Kommunikationsbranche, deren Sparten wenig interdisziplinäre Standards kennen, ein Problem. Cost Plus: Internes Werkzeug bei Jung von Matt zur Erfassung der Werbewirkung und erfolgsabhängigen Vergütung der Agentur. In Zusammenarbeit mit dem Kunden werden vor Beginn einer Kampagne quantifizierbare demografische Ziele für die Marke festgelegt. Über einen Zeitraum von mindestens zwei Jahren wird die Werbewirkung der Kampagne (Image und Bekanntheit) gemessen. Und bei Erreichen der Ziele entsprechend vergütet. Effie: Preis des Gesamtverbandes Kommunikationsagenturen (GWA) für effiziente Werbung, der die Werbewirkung einer Kampagne belohnt. Berücksichtigt werden Verkauf, Marktanteile und Imagewerte der beworbenen Marke. Gewinnt für Kreativagenturen zunehmend an Bedeutung. Goldene Effies gingen dieses Jahr an Saatchi & Saatchi für Audi und an Heimat für ihre Kampagne für die Baumarktkette Hornbach. Value Proposition: Das Werteversprechen einer Marke. Damit werden allgemein die immateriellen, emotionalen und oft bindenden Faktoren einer Marke bezeichnet. In Produktgruppen, deren Qualität sich immer mehr angleicht, übernimmt die Value Proposition die Funktion des USP, der Unique Selling Proposition: „Alleinstellungsmerkmal“ und „Verkaufsargument“ einer Marke. Werbe-Monitoring, Imagetracking: Zwei Begriffe aus der Werbewirkungsforschung. Der erste bezeichnet den Mediaeffekt, also ob, wann und wie oft eine Kampagne überhaupt in der Zielgruppe wahrgenommen wird. Der zweite Begriff verfolgt die Entwicklung der Beliebtheit einer Marke. Beides kann über quantitative wie qualitative Methoden erhoben werden. Die Befragungen sollten jedoch getrennt voneinander stattfinden. richtig, aber nicht faszinierend. Blättern Sie mal Wirtschafts- oder Nachrichtenmagazine durch, da finden Sie reihenweise solche Anzeigen. Man fragt sich, warum sie derart langweilig sein müssen. McK: Was ist nun besser? Gemeinsam planen und entwickeln? Oder Druck ausüben und auf die Kreation hoffen? Jung: Schwer zu sagen. Wenn Sie sich einmal die beeindruckendsten Markenleistungen anschauen, werden Sie feststellen, dass die kreativen Köpfe dahinter immer auch geniale Strategen waren. Sixt, das Schulbuchbeispiel Nummer eins, war nur deshalb so perfekt, weil dort alles aus einer Hand kam. Erich Sixt traf die strategische Grundentscheidung, indem er sagte: „Ich setze auf Geschäftsreisende als mein Potenzial der Zukunft.“ Das war die entscheidende Feststellung. Danach haben wir losgelegt. Ohne diese Grundentscheidung wäre alles nichts geworden. Riesenbeck: Und ohne Ihre kreative Leistung auch nicht. Insofern kam eines zum anderen. Es gibt immer den einen Genialen, der in der Badewanne die Superstrategie erfindet. Das kennzeichnet zwar viele Unternehmer, aber wir wollen auch aus dem normalen Menschen einen guten Strategen machen und ihm zu guter Werbung verhelfen. Dem Mittelmaß zur Exzellenz zu verhelfen, das muss auch der Anspruch der Agenturen sein. Jung: Die Sache hat nur einen Haken, nämlich den Produktmanager, von dem wir eingangs sprachen. Der wartet an der Schnittstelle von Strategie und Inszenierung mit einer Liste von dem, was er darf und was er nicht darf. Hollywood hat es zwar geschafft, per Marktforschung bis zu sechs unterschiedliche Filmenden zu entwickeln, hat damit aber die Floprate nicht verringert. McK: Der Trend bleibt: Controlling verankert sich in den Marketingabteilungen. Herr Riesenbeck prognostiziert Strukturwandel. Macht Ihnen das Angst, Herr Jung? Jung: Im Gegenteil. Wenn ein Unternehmen aus unserem Kundenkreis das Thema Markenführung bis ins Detail definiert und den Vorständen klar macht, welchen konkreten, bewertbaren Beitrag Markenführung zum Wohl der Organisation leistet, dann bedeutet das eine rationale und emotionale Wertschätzung unserer Arbeit. Wir gehen daher mit dem Versprechen in den Markt: „Wenn du mit uns eine Kampagne machst, bezahlst du gemessen nach Aufmerksamkeit weniger als bei anderen Agenturen.“ McK: Awareness ist aber nur eine von vielen messbaren Größen. Die unterschiedlichen Werkzeuge der Werbewirkungsforschung sprechen nicht einmal dieselbe Sprache, geschweige denn passen sie in die Bilanz. Wie können Sie als Präsident des Gesamtverbandes Kommunikationsagenturen (GWA) helfen, die Verwirrung zu beheben? Jung: Der Markt der Demoskopie, auf dem die Werbewirkungsforschung tätig ist, ist ja auch ein Markt, auf dem es ein großes Differenzierungsbedürfnis gibt. Gleichzeitig behaupten die Anbieter, Sicherheit zu verkaufen. Das schürt vor allem die Unsicherheit. Der zweite Punkt ist, dass der GWA bereits ein Instrument zur Messung der Werbewirkung besitzt, den Streitgespräch Jung / Riesenbeck Text: Ralf Grauel Foto: Jens Wiemann Effie. Den müssen wir bezüglich seiner Validität und Anwendungsvielfalt mit Blick auf das Thema Integrierte Kommunikation allerdings sicherlich noch mal abprüfen. Riesenbeck: Das müssen Sie tatsächlich. Wenn Dinge schon messbar sind, sollte man sich auf eine Messgröße einigen. Nichts ist schlimmer, als wenn jeder einen anderen Sextanten benutzt und dann alle in unterschiedliche Richtungen fahren. Hier denken Demoskopen und Agenturen zu wenig in integrativen Zusammenhängen. Jung: Alles, was den Markenmehrwert erhöht, ist uns recht. Aber alle Schablonen, die die Aufgabe nicht präziser machen, alles Ausbalancieren im Vorwege, hassen wir. Das erstickt Kreativität. Was Kreative lieben, sind präzise Vorgaben. Riesenbeck: Das sehen wir bei Branding-Projekten als unsere Aufgabe an. Wir wollen und können keine Kreativität liefern. Für den GWA scheint es mir nicht verkehrt, Best-Practice-Standards zu definieren. Wenn ich überhaupt ein Problem mit Agenturen habe, dann, dass sie zu viel Wert auf Awareness legen und zu wenig auf die anderen Stufen des Kaufentscheidungsprozesses. Der daraus resultierende ineffektive Einsatz von Werbemitteln ist für viele Kreative immer noch attraktiver als zum Beispiel die Käufertreue mit anderen, weniger spektakulären Kommunikationsmitteln zu verstärken. McK Wissen 03 Seiten: 26.27 Jung: Auf der Rückseite der Visitenkarte, die ich Ihnen gegeben habe, steht „Momentum“. Das ist der Titel unseres Buches. Wir haben uns dort bemüht, eine Definition für den Moment zu finden, an dem ein Interesse umgemünzt wird in einen Aha-Effekt. Ein Beispiel dafür ist unser alter Film für Audi: „Wo ist der Tank?“ Der wäre beinahe nicht produziert und gesendet worden. Erst lehnte ihn der Kunde ab, dann gefiel er den Testern nicht. Weil ihn angeblich niemand verstehen würde. Dabei war die Botschaft völlig klar: Der verbraucht wenig Sprit, ist ein Diesel. Und siehe da: Am Ende strahlte der Spot auf die Gesamtmarke ab. Audi wurde mit Sparsamkeit assoziiert. Riesenbeck: Das Instrument Marktforschung liefert keine Lösungen. Es veranlasst Sie aber zum Beispiel, über Ihre Ziele nachzudenken. Es bestätigt oder entkräftet Hypothesen. Vor der Marktforschung müssen Sie eine gewisse Anzahl intelligenter Antworten festlegen. Kreativität können Sie nicht testen. Ich würde bis zur strategischen Vorgabe an die Kreativen testen. Damit sie nicht völlig frei kreativ sind, sondern in gewissen Bahnen denken. Am Ende muss ein Entscheider sagen, ob Briefing und Wertversprechen der Marke in der Werbung konsistent wiedergegeben wurden. McK: Die globalen Holdings wollen sich von den klassischen Angeboten der Werber unabhängig machen. Der Trend geht zur Kommunikationsdienstleistung. Das wird neue Abrechnungsmodelle nach sich ziehen. Jung: Für ein globales Agentur-Network geht es nicht darum, welche Markenerfolge seine einzelnen Standbeine produzieren. Es geht darum, welche Marge sie abliefern. Ich behaupte, die klassische Werbung ist nicht gut genug bezahlt. Wissen Sie, dass wir die einzige Kommunikationsdisziplin sind, die seit Jahren ständig mit den Margen runtergeht? McK: Es gibt schon sonderbare Modelle. Allein die Koppelung des Agenturhonorars an die Dimension des Mediaetats erscheint fragwürdig. Riesenbeck: Im Grunde genommen funktionieren nur input- oder output-orientierte Modelle. Modelle, die sich an der reinen Etatgröße festmachen, halte ich für problematisch. Jung: Ich würde auch überall Cost Plus machen, wenn es nicht einen Punkt gäbe, der mich stört. Das ist noch ein Unterschied zwischen unseren Jobs: Wir kreieren etwas, das einer Marke dauerhaft etwas mitgibt. Das ist etwas anderes, als Arbeitszeit nach Sollgröße abzurechnen. Aber inwieweit partizipiere ich von der Wertschöpfung dieser Erfindung? Wenn sich ein Kunde von uns eine Top-Kampagne machen lässt und uns dann nach einem Jahr rausschmeißt, um sie für zehn Prozent weniger von jemand anderem weiterführen zu lassen – was durchaus passiert –, aber die ganze Wertschöpfung einkassiert, ist das höchst unfair. Das ist der Punkt. Riesenbeck: Verstehe ich. Man müsste eine Art Copyright-System auf das geistige Eigentum einführen. Jung: Das ist schwierig für Agenturen. McK: Procter & Gamble schließt Verträge, die an Verkaufserfolge gekoppelt sind. Ist es vorstellbar, dass eine Agentur für die MarkenwertSteigerung honoriert wird? Jung: Das ist ein noch junges Feld und viel zu schwammig. Wir wollen in einer Art Bonussystem an den Leistungen gemessen werden, die wir selbst beeinflussen: also an der Kommunikation. Wir sagen nicht, dass Marktforschung blöd ist. Man muss aber damit umgehen können. Die meisten Menschen können das nicht. McK: Wie berechnen Sie Ihr Bonussystem? Jung: (geht zum Flipchart und zeichnet zwei Säulen auf) Wir verlangen grundsätzlich zwei Dinge, bevor Sie mit uns arbeiten. Machen Sie bitte ein Werbe-Monitoring und ein Imagetracking. Getrennt voneinander. Fragen Sie nie die gleichen Leute, denn sonst verknüpft sich das im Kopf und wird zum Werbeleitersyndrom. Es dauert ein, zwei Jahre, bevor Sie mit so einem Instrument umgehen können, aber wenn Sie das bei null starten, können Sie prognostizieren, wo Sie mit Ihrer Markenkommunikation landen. Hajo Riesenbeck Holger Jung studierte Wirtschaftswissenschaften in Münster und begann nach dem Diplom 1976 als Trainee bei Unilever in Hamburg. Bis 1978 arbeitete er für Lever Sunlicht, 1979 wechselte er zur Unternehmensberatung McKinsey & Company. Seit 1991 ist er Director und einer der Leiter der europäischen MarketingPractice. Seine Beratungsschwerpunkte sind funktionale Marketing-Projekte in diversen Branchen, etwa in der Konsumgüterindustrie, im Handel und in der Medien- und Transportindustrie. studierte Jura in Hamburg und Münster und begann 1979 als Kontakter bei Lintas. 1980 wechselte er zu Unilever, kehrte aber zwei Jahre später zu Lintas zurück. 1984 wurde er Managing Supervisor bei Scholz & Friends und wechselte 1987 als geschäftsführender Gesellschafter zu Springer & Jacoby. Im Juli 1991 gründete er zusammen mit Jean-Remy von Matt die Agentur Jung von Matt, die heute zu den führenden Kreativhäusern in der deutschen Werbebranche zählt. Im Frühjahr 2002 veröffentlichten die beiden das Buch „Momentum – Die Kraft, die Werbung heute braucht.“ Seit Oktober 2002 ist Jung Präsident des Gesamtverbands Kommunikationsagenturen (GWA). Streitgespräch Jung / Riesenbeck Text: Ralf Grauel Wir hatten bereits Kunden, mit denen wir in Abstimmung mit Budget und Zeitraum bestimmte Bekanntheits- und Imagewerte als Ziele vereinbart haben. Wenn Sie die erreichen, gibt es Geld obendrauf. Riesenbeck: (nimmt den Stift und malt eine Stufenfunktion darüber) Wir würden noch einen Schritt weitergehen. Der Kaufentscheidungsprozess ist eine Art Treppe, deren Stufen sich messen lassen. Von der Bekanntheit über die engere Auswahl, den Erstkauf bis hin zur Loyalität. Für uns ist es wichtig, die Ausgangspunkte festzuhalten und dann nach Zielen und Mitteleinsatz zu fragen. Wir reden hier also über integrierte Kommunikation. McK: Seit 20 Jahren bieten Agenturen nun integrierte Kommunikation. Und Kunden sehnen sich noch immer nach dem einen Berater. Jung: Sie haben auch auf Kundenseite mit verschiedenen Menschen zu tun. Aber selbst wenn: Diesen omnipotenten, supererfahrenen Typen, den Sie nach vorn schieben könnten, gibt es einfach nicht. Und wenn, könnte ich ihn nicht bezahlen. Der Kunde gibt mir das Paket so auch gar nicht, denn er zweifelt ja zu Recht an meiner Omnipotenz. Riesenbeck: Dennoch ein Riesenproblem. Im Mobilfunk-Bereich werden beispielsweise Promotion-Aktivitäten entfaltet, die nichts mit dem Produkt zu tun haben, das gerade in der klassischen Werbung europaweit beworben wird. Da gibt es Sponsoring-Aktivitäten, bei denen der Markenname am Ende anders dargestellt ist als auf dem Produkt und der Verpackung. Weder beim Klienten noch auf Agenturseite wird die Kommunikation in irgendeiner Form integriert geführt. Deshalb sind ja häufig kleine Unternehmen so erfolgreich, in denen der Chef selbst die Marke führt. McK: Herr Riesenbeck, was sind derzeit die Probleme Ihrer Klienten? Riesenbeck: In den vergangenen Jahren kommen zu uns vermehrt Unternehmen mit typischen Fusionsproblemen nach Mergers & Acquisitions. Sie finden etwa schlagartig mehrere Marken in ihrem Portfolio, die sich überschneiden. Die Fragen sind: Behält man alle Marken, wie entzerrt man die Kommunikation, welche Wertversprechen werden für welche Zielgruppen definiert, integriert man eine Marke in eine andere? Wir beantworten die Fragen systematisch und quantitativ mit Hilfe von Marktforschung und Analysen. Hier beziehen wir die Mitarbeiter genauso ein wie die Kunden. Gerade die interne Seite wird gern vergessen. Wenn aber der Außendienstmitarbeiter oder die Filialmannschaft einer Bank die Marke ablehnt, dann ist sie zum Tode verurteilt. McK Wissen 03 Seiten: 28.29 McK: Interne Kommunikation, Herr Jung: für Sie ein Thema? Jung: Das ist grundsätzlich ein wichtiges Thema. Wer nicht motiviert ist, kann nicht mitspielen. (zu Riesenbeck:) Stellen Sie sich vor, Sie kommen zu einem Klienten und sagen, wir machen aus einem ehemalig breiten Organisationsaufbau eines Unternehmens eine schlagkräftige Truppe mit Jasagungs-Gewalt in den einzelnen Funktionen. Das machen Sie mit Ihrer Beraterkompetenz. Und wir sehen zu, dass wir ein Produkt gebären, das mit der Kraft einer Idee alles mit sich zieht, was an Integrations- und motivatorischen Möglichkeiten vorhanden ist. Wenn das so aufeinander träfe, das gäbe eine Urgewalt. Riesenbeck: (lacht) Eine Art Mega-Momentum. Dann müssen Sie aber neue Visitenkarten drucken. McK: Aber für den ersten Job reichen die alten. Sie haben ja welche ausgetauscht. Herr Jung, Herr Riesenbeck, vielen Dank für das Gespräch. „Wenn Dinge messbar sind, sollte man sich auf eine Messgröße einigen. Nicht dass jeder einen anderen Sextanten benutzt, und dann alle in verschiedene Richtungen fahren.“ Hajo Riesenbeck La Mer Text: Katrin Wilkens McK Wissen 03 Seiten: 30.31 5 Die Mär von La Mer Produkte allein locken den Konsumenten heute keinen Cent mehr aus dem Geldbeutel. Es sind die Geschichten und Mythen, die um das Produkt herumgesponnen werden, die über Erfolg oder Misserfolg einer Marke entscheiden. Eine der erfolgreichsten dieser Geschichten erzählt von einem schrecklichen Unfall, einem altruistischen Genie, von kosmischen Klängen und dem Pazifik bei Vollmond. La Mer Text: Katrin Wilkens Die Muse Lucienne Countess von Doz (oben) gehört genauso zur Creme-Geschichte wie die fleißigen Frauen in Florida, die La Mer per Hand abfüllen und jedem Tiegel ein letztes Lebewohl mit auf die weite Reise nach Europa oder Asien geben. Foto: La Mer McK Wissen 03 Seiten: 32.33 Die Märchen aus Tausendundeiner Nacht verdanken wir der Jungfrau Scheherazade. In der Nacht, bevor sie hingerichtet werden sollte, erzählte sie dem Sultan von Persien eine so spannende und bewegende Geschichte, dass er Aufschub gewährte, um mehr davon zu hören. So erfand sie Nacht für Nacht die prächtigsten Abenteuer, und der Sultan wurde nicht müde, ihr zuzuhören. Tausendundeine Nacht lang immer neue, fantastische Begebenheiten, bis er sie schließlich begnadigte. Die Faszination, die von einer guten Geschichte ausgeht, ist uralt. Auch wenn die Kunst der mündlichen Überlieferung im Zeitalter von DVD, E-Mail und SMS an Bedeutung verloren hat, sind die Menschen für eine gute Geschichte nach wie vor bereit, große Opfer zu bringen und viel Geld zu zahlen. Um eine solche gute Geschichte geht es hier. 1953 zog sich der NASARaketenphysiker Max Huber bei einer Explosion von Raketentreibstoff schwere Verbrennungen und Verätzungen zu. Sein Gesicht war entstellt. Therapien, Salbenkuren und Regenerationscremes halfen ihm nicht weiter. Für den lebenslustigen Wissenschaftler, der viele Freundschaften in Hollywood pflegte und sich neben der Ehefrau eine Muse hielt, war das eine Katastrophe. Er verließ die NASA mit einer großzügigen Abfindung und widmete sich ganz seiner neuen Leidenschaft, dem Entwickeln von Hautcremes. 6000 Experimente und zwölf Jahre später hatte Huber schließlich eine Creme, die seine Narben beseitigte und bei Verbraucherinnen heute noch immer „das Wunder“ genannt wird. Dies ist die Geschichte einer der teuersten Hautcremes der Welt – Creme de La Mer. Aus Seetang, Vitaminen und Mineralien, ein bisschen Eukalyptus, etwas Weizenkeimöl. 60 Milliliter kosten 205 Euro, 500 Milliliter 1370 Euro. Was diese Zahlen verschweigen: Die Geschichte um La Mer gehört mittlerweile zu den Mythen der Gegenwart. Dabei ist nicht wichtig, ob sich tatsächlich alles genauso zugetragen hat, im Laufe der Zeit hat der Mythos eine subjektive Wahrheit bekommen. Wer La Mer kaufen will, muss teilweise monatelang auf sein Töpfchen warten, die Nachfrage ist größer als die Produktion. Stars wie Sharon Stone, Cher und Naomi Campbell, das verkündete die Bunte, warten, zahlen und salben geduldig. Karl Lagerfeld, Udo Jürgens und Sylvester Stallone tun es laut Welt am Sonntag auch. Alle. Die Pressestelle kann auf Wunsch Lobpreisungen der Wirkung von La Mer Creme, Eye Balm, Oil Absorbing Lotion oder Peeling-Maske mit echtem Diamantenstaub von zahllosen anderen Persönlichkeiten besorgen. Viktoria Lauterbach beispielsweise benutzt demnach das Peeling und liebt „das frische Gefühl danach“. Victoria Beckham nennt La Mer ihren „Favoriten“. Die Rapperin Sabrina Setlur verriet der Komikerin Anke Engelke über La Mer im Interview: „Du kriegst Babyarsch-Haut“. Als 1999 die Creme erstmals auch in Deutschland verkauft wurde, war allein das Warten auf La Mer für die Bunte ein „IN-Faktor“. Im KaDeWe in Berlin warteten 480 Frauen, in Düsseldorf waren es 400, in München 350. Wenn alle nur den kleinsten Tiegel gekauft haben, sind das zu damaligen Preisen rund 209 000 Euro. Die meisten kaufen aber zur Gesichtscreme auch noch die Augencreme für 134 Euro und das Face Serum für 230 Euro. Ein Rätsel: warum ausgerechnet La Mer? Warum warten Modemacher wie Karl Lagerfeld oder Donatella Versace angeblich wochenlang auf eine Creme und schmieren sich innerhalb eines Jahres den Gegenwert einer Einbauküche ins Gesicht? Und erzählen das auch noch jedem Klatschblättchen, als würden sie dafür bezahlt? Warum wächst eine Marke, die nahezu ohne Werbung vertrieben wird, zwischen 25 und 40 Prozent pro Jahr? Nach dem Tod von Max Huber im Jahr 1991 verkaufte seine Tochter Marley 1995 die La Mer Division an Estée Lauder. Seitdem brummt das Geschäft endlich. Friedhelm Paul, Geschäftsführer der La Mer Division, rechnet auch in den nächsten Jahren „mit einem zweistelligen Umsatzwachstum“. Was das Rätsel nicht kleiner macht: warum La Mer? „Weil es ein unheimlich gutes Gefühl ist, mir so etwas Wertvolles leisten zu können“, sagt beispielsweise Frauke Simmling. Die 37-jährige Kundin kauft Creme La Mer und Oil Absorbing Lotion, macht 390 Euro. „Weil meiner Haut diese Wirkstoffe gut tun. Ich meine, wenn sie schon bei Verbrennungen helfen …“, sagt Christina Feißelbach, 55. Die Hamburgerin kauft regelmäßig das ganze Sortiment, 740 Euro. Will sagen: Weil Frauen viel mehr wollen als eine Creme, wenn sie eine Creme kaufen. Und weil die Geschichte von La Mer gut ist – wenn man sie richtig erzählt. Handabfüllung, Astrologie und ein letztes Lebewohl Max Huber soll seiner Muse Lucienne Countess von Doz empfohlen haben, La Mer verschwenderisch zu benutzen. Er selbst habe sie sich ins Essen gerührt, wird berichtet. Heute verbraucht Lucienne fünf Töpfe pro Woche, reist quer durch die Welt und wird nicht müde, den Erfinder von La Mer zu preisen, der so kongenial zur Creme passt, als hätte ihn ein Marketingexperte konzipiert. „Er war so eine positive Person, er sah immer die schöne Seite des Lebens“, schwärmt Lucienne, wenn man sie fragt, wer Max Huber war. In ausgesuchten Städten werden ausgewählte Kundinnen zu einer Kaffeerunde mit der Muse des Meisters geladen. Statt Print- oder TV-Werbung investiert La-Mer-Hersteller Estée Lauder in Kanapees und Anekdoten über Max Huber: „Er liebte die Oper, er liebte Geschichte“, gibt Lucienne dann Auskunft, „er war jeder Zoll ein Gentleman. Und er war mehr Wissenschaftler als Geschäftsmann, er hat die Creme nicht fürs Geldverdienen entwickelt, sondern um sich und anderen Menschen zu helfen. Oft verschenkte er sie einfach, weil er so großzügig war. Max hatte ein Faible für Astrologie und für Ökologie. Die Zukunft der Umwelt lag ihm immer sehr am Herzen, und er achtete darauf, was wir essen. Er sagte: Das, was du isst, sieht man deiner Haut an.“ Von seiner Frau und den Kindern erzählt die Muse nicht. Die gehören nicht zur Mär von La Mer. Doch die Geschichte geht noch weiter. Da ist zum Beispiel das Detail der Handabfüllung. Fleißige Frauen stehen in den Produktionshallen der La-Mer-Division in Florida und geben jedem Tiegelchen ein letztes Lebewohl mit auf den Weg, bevor es nach Europa oder Asien verschifft wird. „Max wusste, dass die Handabfüllung viele Vorteile gegenüber der maschinellen Methode hat. Die Konsistenz ist druckempfindlich“, erklärt die Pressesprecherin von La Mer. Sie hat wunderschöne Haut. Die Verpackung ist schlicht, der Inhalt dafür umso effektvoller: La Mer besteht aus Seetang, Vitaminen, Mineralien, Eukalyptus, Weizenkeimöl, geheimnisvollen Klängen, einer guten Portion Glauben, ein wenig Mystik und einer unschlagbaren Geschichte. La Mer Text: Katrin Wilkens Foto: La Mer München, Ludwig Beck am Rathauseck. Kosmetikabteilung. Die erste und einzige La-Mer-Wellness-Oase in Deutschland. In einer Ecke schwimmen bunte Fische in einem blau getönten Aquarium. Petra Seibel, 62, sucht in Begleitung ihrer Tochter Sandra eine Gesichtscreme. Das „Ich tue was für mich“-Timbre klingt an. Goldschmuck, wohl frisierte Haare, Garderobe, die nach Escada aussieht. Die Verkäuferin, genauso faltenfrei wie Sauer junior, nimmt einen Tiegel La Mer in die Hand. „Was wissen Sie denn von La Mer?“, fragt sie. Die Kundin antwortet mit den richtigen Schlagworten: „… Wissenschaftler, starke Verbrennungen, selber eine Creme entwickelt.“ „Aha“, sagt die Verkäuferin, „das ist ja schon eine ganze Menge.“ Dann erzählt sie von dem „einzigartigen, biotechnologischen Fermentierungsprozess“, den La Mer durchlaufe, weswegen die Herstellung auch gut drei bis vier Monate dauere, von dem speziellen Seealgentang aus dem Nordpazifik, der nur zweimal im Jahr und nur bei Vollmond geerntet werden könne, und von der Handabfüllung und den empfindlichen Wirkstoffen. Frau Seibel nickt und fragt nach dem Preis. Die Antwort: „La Mer hat ganz wenig Konservierungsstoffe.“ Wir kaufen das Produkt – aber vor allem eine gute Geschichte Zuletzt erzählt die Verkäuferin von dem einmaligen Herstellungsverfahren, der „Sonochemistry“. Als Estée Lauder nach dem Tod von Max Huber das Produkt kaufte, wurde die Creme zunächst schweigend angefertigt. Das Ergebnis sei niederschmetternd gewesen. Erst als man „kosmische Klangkassetten“ in seiner Garage fand und so mit Hilfe von Licht und Klängen noch mehr Energie gewinnen konnte, hatte man das ursprüngliche Ergebnis. Bei Cremes dieser Preisklasse ist es üblich, die Verfahren schützen zu lassen. Aber man müsste die Wirkung, das Versprechen der Creme, wissenschaftlich beweisen. La Mer hat kein Patent. „Ich nehme die Creme.“ Das Gespräch hat keine zehn Minuten gedauert. „Gibt es dazu auch noch etwas zum Nachlesen?“, fragt Petra Seibel. Selbstverständlich. Jede Creme wird mit einem ausführlichen Beipackzettel verkauft, der alle nötigen Eckdaten für die Mythenbildung auflistet: schreckliche Narben, reichhaltiger Seetang, vollmondbeschienener Nordpazifik. Die Kundin zahlt 205 Euro nicht nur für die Inhalte der Creme. Sie zahlt vor allem für die Geschichte, die ihr dazu mitgeliefert wird. McK Wissen 03 Seiten: 34.35 Der Zukunftsforscher, Buchautor und Berater Rolf Jensen beschreibt in seinem Aufsatz „Die Ära der Geschichtenerzähler“ das Geheimnis schöner Erzählungen: „Gehen wir in einen Supermarkt und sehen uns die Regale mit Eiern an. Die billigsten werden von Hühnern produziert, die in Käfigen sitzen, die teuersten stammen von frei laufenden Hühnern. Eier von frei laufenden Hühnern sind natürlich teurer in der Produktion, doch der springende Punkt ist, dass es sich – chemisch und inzwischen auch sensorisch – um ein und dasselbe Produkt handelt. (…) Der Preisunterschied ergibt sich daraus, dass die Geschichte von den frei laufenden Hühnern besser ist. Es ist die Geschichte von Tierliebe und Landromantik, und dafür bezahlen wir gern extra. (…) Der moderne Verbraucher kann sich mehr als nur die Funktion, mehr als den materiellen Wert leisten.“ Wir kaufen die gute Geschichte einer Marke – das Produkt selbst wird zur Dreingabe. Die unterschiedliche Qualität der diversen Cremes, Gels, Salben und Tinkturen ist für den Verbraucher nicht zu messen, so dass eine Firma daraus keinen Wettbewerbsvorteil mehr ziehen kann. Allergien kann man gegen teure wie günstige Produkte entwickeln und Faltenreduktion dauerhaft schlecht belegen. Hauptsächlich verkaufen sich Cremes durch Geruch, Schmierbarkeit und Image. Wer Wildrosen-Pflege von Weleda benutzt, trägt auch den Geruch wadenlanger Anthroposophen-Röcke auf. Nivea riecht nach geborgener Kindheit, nach Nichtzweifel und „Dürfen wir noch ,Wetten, dass …‘? gucken?“ Hormocenta vertraut auf die uralte Hebammenweisheit, dass es nichts Besseres gäbe als die Plazenta des geborenen Kindes, weil darin alle Wirkstoffe enthalten seien, die für das Wachstum eines neues Wesens nötig sind. Und La Mer? Wissen die Kunden, wie Sonochemistry funktioniert? Was Fermentierungsprozesse sind? Und dass es Konservierungsmittel gibt, die trotz geringer Konzentration funktionieren, als fröre man das Produkt ein? Der Verbraucher will diese Informationen trotzdem: Weil sich Sonochemistry nach Mystik anhört, Fermentierung nach Wissenschaft, Konservierungsstoffe nach Sicherheit. Und weil sich alles zusammen miteinander verbindet zu einem Märchen wie aus Tausendundeiner Nacht. Mondphasen, Forscher-Altruismus, Hollywood-Glamour und Ökologiebewusstsein – was für eine einzigartige Rezeptur! Literatur: Rolf Jensen: Die Ära der Geschichtenerzähler. Aus: Michael Kühlen (Hrsg.): Was kommt nach der Informationsgesellschaft? 11 Antworten. Verlag Bertelsmann Stiftung, Gütersloh, 2002; 272 Seiten; 20 Euro AEG Text / Foto: Oliver Driesen McK Wissen 03 Seiten: 36.37 6 Untergang überlebt Die Firma tot, die Marke quicklebendig: Seit dem Ende des AEG-Konzerns 1996 führen die drei Buchstaben A E G ein Gespenster-Dasein – als virtuelles und zugleich als sehr reales Logo. Anatomie einer Marke, die zu stur ist zum Sterben. AEG Text / Foto: Oliver Driesen Im Leichenschauhaus der Industriegesellschaft liegen die sterblichen Überreste einer nach langem Leiden mit 113 Jahren Verblichenen. Das heißt, eigentlich lagert hier nur ihr Erbe, und das wirkt ziemlich derangiert. Die Halle ist spärlich von weißem Neonlicht erleuchtet. Billige Metallregale, einige Glasvitrinen für die Wertsachen, unsortierte, unausgeräumte Kartons. In Nischen und Fächern türmen sich mehr als 600 verschiedene Fernsehgeräte, Staubsauger, Kühlschränke, Eierkocher und Küchenuhren, Messgeräte und Schlagbohrer, Lampen und Filmprojektoren aus fast allen Jahrzehnten, die der produktiven alten Dame namens AEG beschieden waren. Reservatenkammer mit Staubsaugern und vielen anderen Kostbarkeiten „Das müsste hier unbedingt mal alles abgestaubt werden“, sagt Diana Spiller von der Produktionsund Haushaltstechnik-Abteilung des Deutschen Technikmuseums (DTM) Berlin. Trotz schwerer Erkältung und freiem Tag zeigt die junge Frau dem Besucher gern das Depot im alten Postbahnhof, ein paar hundert Meter vom Museum entfernt. Hierher wurde nach dem Ende des AEG-Konzerns 1996 der Produktbestand des zentralen Frankfurter Firmenarchivs ausgelagert. Eigentlich sollte die Halle für die Öffentlichkeit hergerichtet werden. Doch Geld- und Personalmangel verhinderten das bisher, und so bewahrt nur gelegentliches Medieninteresse einen Lagerbestand vor dem Vergessen, der dem Kenner wahre Kostbarkeiten bietet: „In dieser Vitrine ist jedes Stück 2000 bis 3000 Euro wert“, sagt Spiller und entnimmt mit weißen Schutzhandschuhen einen der berühmten kantigen Teekessel mit McK Wissen 03 elektrischer Beheizung, die der legendäre Architekt, Grafiker und Formgestalter Peter Behrens Anfang des 20. Jahrhunderts entworfen hat. Wer nicht glaubt, dass von einem schlichten Markennamen echte Magie ausgehen kann, sollte sich all diesen stummen Zeugen aus der großen Zeit der Industrialisierung aussetzen. Oder er sollte im Archiv des DTM jenen englischsprachigen Brief entfalten, der mit rotem Siegellack und blauem Band eine staatsmännische Aura verströmt. Plötzlich taucht unter den Fingern die mit schwarzer Tinte hingeworfene Unterschrift Thomas Alva Edisons auf und dokumentiert, dass in New York am 7. April 1883 ein Vertrag über die Nutzung der Lizenzen für das Prinzip elektrischen Lichts beglaubigt wurde, den die Edison Electric Light Company mit einem deutschen Bankenkonsortium geschlossen hatte. Nutznießer war die eigens gegründete Deutsche Edison-Gesellschaft für angewandte Elektricität, die sich vier Jahre später in Allgemeine Elektricitäts-Gesellschaft umbenannte – der Name AEG war geboren. Erweiterter Zweck der Gesellschaft laut Paragraf 3 der Satzung von 1887: „Jede Art gewerbliche Ausnutzung der Elektrotechnik, insbesondere die Einrichtung, der Betrieb und die Verwerthung elektrischer Anlagen und die Herstellung sowie der Vertrieb der dazu dienenden Maschinen, Apparate und Utensilien.“ Von der Glühbirne bis zum Atomkraftwerk: Die Marke AEG hat Wort gehalten. Sie tut es immer noch – als nahezu virtuelle Marke, die ihr Stamm-Unternehmen überlebt hat, und unter der jetzt ein Dutzend neue Produzenten und Lizenznehmer erfolgreich Hausgeräte, Lampen, Mobiltelefone, Elektrowerkzeuge Seiten: 38.39 oder Fernseher mit den berühmten drei Buchstaben verkaufen. An dieser einzigartigen Überlebenskraft ist Peter Behrens, der mit den Teekesseln, nicht unschuldig. In seiner Zeit als künstlerischer Berater der AEG zwischen 1907 und 1914 entwickelte er die historisch erste echte Corporate Identity, indem er das Erscheinungsbild von Markenzeichen, Briefköpfen, Katalogen und Werksschildern vereinheitlichte. Mit seiner Schrifttype Behrens Antiqua durchdrang er wie niemand vor ihm das kollektive Bewusstsein. Das legte den Grundstein für einen nahezu perfekten Markenauftritt nach außen und ein ausgeprägtes Wir-Gefühl der AEG-Belegschaften nach innen. Nicht einmal der beispiellose Abstieg des Konzerns in den achtziger und neunziger Jahren konnte der Strahlkraft etwas anhaben. „Die AEG hatte ein hervorragendes Marketing“, sagt der Historiker und ehemalige AEG-Sprecher Peter Strunk, Autor des Buches „Die AEG. Aufstieg und Niedergang einer Industrielegende“: „Wenige Konzerne haben eine so konsequente Markenpflege betrieben. Die Firma verstand es, den Namen von der Krise zu entkoppeln. Während in der Wirtschaft die Krise der AEG geradezu sprichwörtlich war, ist sie bei der breiten Öffentlichkeit gar nicht angekommen.“ Buchstaben mit Strahlkraft Das gilt für die Produktmarke genauso wie für den Firmennamen. Selbst als Anfang der achtziger Jahre gerade der erste dramatische Einbruch des Traditionsunternehmens überstanden war (siehe Chronologie), war das alte Kürzel noch für Impulse gut. Denn statt dem geretteten und 1883 Der Berliner Maschinenbau-Ingenieur Emil Rathenau gründet zur Verwertung der Glühlampen-Patente des Amerikaners Thomas Alva Edison die Deutsche Edison-Gesellschaft für angewandte Elektricität (DEG). 1886 gibt es erste elektrische Hausgeräte der DEG. 1887 Die DEG firmiert um zur Allgemeinen Elektricitäts-Gesellschaft (AEG). Bald darauf werden die ersten elektrischen Bahnen und Drehstrom-Motoren gebaut. 1895 Das erste AEG-Warenzeichen wird vorgestellt. Bis 1907 steigt die AEG in den Schreibmaschinenbau (Olympia), die Funk-Telegrafie (Telefunken zusammen mit Siemens & Halske) und in den Automobilbau ein. 1907 Der Architekt Peter Behrens wird künstlerischer Berater der AEG und entwickelt die weltweit erste Corporate Identity. Die AEG beginnt bald mit dem Bau von Flugzeugen; die Elektronenverstärkerröhre wird patentiert. 1919 Aus Werken der AEG, der Auergesellschaft und Siemens & Halske entsteht die Glühlampenfabrik Osram GmbH KG. 1935 Die AEG stellt das erste Tonbandgerät der Welt vor, das Magnetophon K1. 1941 übernimmt die AEG Telefunken vollständig. Literatur: Peter Strunk: Die AEG – Aufstieg und Niedergang einer Industrielegende. Nicolai-Verlag, Berlin, 2002; 264 Seiten; 19,90 Euro AEG Text / Foto: Oliver Driesen umgekrempelten Konzern – wie heute üblich – einen zeitgemäß klingenden Retorten-Namen zu verpassen, tauchten die Werber lediglich Behrens’ drei Buchstaben in frische Farbe: „Da wurde das Pantone Warm Red geboren“, erinnert sich Horst Rosentreter, zum Schluss Leiter der zentralen Werbeabteilung der AEG. „Und es ging noch einmal ein Ruck durch die Firma. Die Leute sahen das helle, frische Rot, und wir in der Werbung versuchten, aus den einzelnen Bereichen einen Guss zu machen.“ Dennoch – am Ende, 1996, implodierte ein ins Uferlose gewachsener und weit diversifizierter Mischkonzern, über alle Grenzen verschuldet und zu Tode verwaltet, der „mehr als 20 Jahre keine eigenverdiente Dividende bezahlt“ hatte, wie es sein letzter Vorstandsvorsitzender Ernst Georg Stöckl auf den Punkt bringt. Doch es war kein Ende in Teilnahmslosigkeit – dafür steckte in den drei Lettern des Markennamens zu viel Historie, meint Historiker Strunk: „Wir sind alle, die wir in der Zentrale saßen, traumatisiert. Mein Trauma habe ich mir mit einem Buch von der Seele geschrieben und kann seither wieder ruhig schlafen. Aber wenn man einen Konzern mit noch 45 000 Mann nach 113 Jahren zusammenkrachen sieht, das geht unter die Haut. Da endet ein Stück Kulturgeschichte.“ Tugenden wie eh und je Die drei Buchstaben leben derweil munter weiter. Das liegt auch an Menschen wie Reinhard Wiegand, dem geschäftsführenden Gesellschafter der AEG Kondensatoren und Wandler Holding GmbH in Berlin. Der Konzern mochte am Ende sein, aber seinen früheren Geschäftsbereich wollte Wiegand zusammen mit seinem Partner und einigen Anlegern nicht aufgeben und kaufte den eigenen Betrieb. Er täuschte sich nicht im vermuteten Potenzial. Durch Expansion in die Märkte Asiens und Lateinamerikas, nach Werksgründungen in Niedriglohnländern wie der Tschechischen Republik und Slowenien wuchs unter dem roten Logo ein neues Unternehmen mit 1400 Mitarbeitern. Verankert in einer der Kernbranchen der Alt-AEG und angesiedelt im historischen Berliner Backsteinbau einer Osram-Leuchtenfabrik von 1905, steht die Marke heute wie eh und je für die klassischen AEG-Tugenden Präzision und Langlebigkeit: „Wir garantieren bei den Kondensatoren weniger als 50 Fehler oder Ausfälle bei einer Million produzierten Einheiten. Und bei Wandlern wird fast unbeschränkte Lebensdauer erwartet, weil McK Wissen 03 Seiten: 40.41 im Energiegeschäft unter keinen Umständen mal das Licht ausgehen soll.“ Heute kann Wiegand jedoch zusätzlich etwas bieten, das dem trägen Konzern fehlte: Kundenorientierung. Der Geschäftsführer sieht die Marke AEG als Symbol für „perfekten Service und Logistik: tagesgenau ans Band, bis hin nach China und Nordamerika“. Im Treppenhaus, das zu den lärmenden Werkshallen führt, prangt wie zur Bestätigung riesig die Vision 2000: „Wir wollen mit unserem Wissen und unserer Veränderungsfähigkeit weltweit erfolgreicher Technologieführer werden.“ Hier zumindest lebt die Firma AEG, denn Tote haben keine Visionen. Kein Föhn ohne AEG „Die AEG hatte einen ungeheuren Ruf wegen der Qualität ihrer Produkte“, weiß Konzern-Werbefachmann Horst Rosentreter, „der ist hundert Jahre lang gewachsen.“ Die Speerspitze dieses Images waren die Hausgeräte: „Es gab keines, das weniger als 20 Jahre hielt, das vererbte sich von der Mutter auf die Tochter. Heute, wo ein normaler Mensch kaum noch durchblickt, wer auf dem Weltmarkt gerade wen kauft, brauchen die Leute solche Orientierungspunkte. Wenn da AEG draufsteht, wird es schon gut sein.“ Die Hausgeräte wurden gar so populär, dass sich der seit 1959 geschützte AEG-Markenname Foen umgangssprachlich zum Synonym für Haartrockner entwickelte. Bis heute darf niemand, der nicht die Rechte an der Marke AEG hat, seine Gebläse als Foen oder Föhn vermarkten. Das darf nur Electrolux. Der Stockholmer Konzern kaufte 1994 den Bereich AEG-Hausgeräte AG samt Marke aus dem Daimler-Benz-Verbund heraus. Heute produzieren noch rund 5200 Mitarbeiter im alten AEG-Werk Nürnberg und in Rothenburg für die Schweden Waschmaschinen und Geschirrspüler, Highend-Herde und Kochmulden. Dazu kommt weiße Ware Marke AEG aus den meisten der anderen europäischen ElectroluxWerke. „In den vielen hundert Millionen Mark, die Electrolux für die Hausgerätesparte bezahlt hat, war neben der Produkttechnologie der Markenwert ein wesentlicher Kaufpreisbestandteil“, sagt Ex-AEG-Chef Stöckl, der heute in New York lebt. Und erinnert an weitere magische Worte, die der Traditionskonzern in die Werbeschlacht warf: So habe die AEG-Hausgerätesparte Begriffe wie „Energie sparen“, „umweltfreundlich“ oder einfach „öko“ am Markt 1955/56 Der Umsatz der AEG liegt erstmals über einer Milliarde Mark. Das Unternehmen baut seine Produktpalette weitreichend aus und steigt in das Geschäft mit Waschvollautomaten (Lavamat), Digitalrechnern und Kernkraftwerken (spätere Kraftwerks-Union KWU mit Siemens) ein. 1962 Die AEG erhält den Auftrag zum Bau des Atomkraftwerks Grundremmingen. In den folgenden Jahren beginnt die AEG mit dem Bau von automatisierten Brieftransport-Systemen. 1970 Der Konzern, der inzwischen in AEG-Telefunken umbenannt wurde, ist auf seinem Höhepunkt angelangt: 178 000 Mitarbeiter und zwölfter Platz der Elektro-Unternehmen weltweit. Entwicklung von Mikrowellenherden und Bildplattenspielern. 1974 Die AEG weist erstmals einen Jahresfehlbetrag aus: Das sind bereits in diesem ersten Jahr 664 Millionen Mark. Im folgenden Jahr werden die Firmenzentrale in Frankfurt und das Telefunken-Hochhaus in Berlin verkauft. Siemens übernimmt die Osram-Anteile. 1978 AEG kündigt erste Schließung von Werken im Hausgerätebau an. Im folgenden Jahr beträgt der Fehlbetrag dann schon fast eine Milliarde Mark. Es kommt zu weiteren Schließungen und Verkäufen. eingeführt. Ganz abgesehen von einem der erfolgreichsten deutschen Werbesprüche aller Zeiten: „Aus Erfahrung Gut“. Der soll, so erzählt es die Legende, der Gattin eines AEG-Hausgeräte-Managers am Frühstückstisch eingefallen sein – was Historiker Strunk zwar leise bezweifelt, doch der Spruch wird wohl trotzdem noch auf Jahrzehnte in den Synapsen des kollektiven Gedächtnisses aufflackern, sobald der Name AEG fällt. Vielleicht auch deshalb verblüfft die virtuelle Marke AEG seit Jahren mit konstanten Spitzenwerten in der Kommunikationsanalyse von Gruner + Jahr, die jährlich von der Frauenzeitschrift Brigitte veröffentlicht wird. Auch 2002 liegen die elektrischen Hausgeräte der AEG in allen drei Disziplinen (Bekanntheit, Sympathie, Verwendung) prozentual auf dem ersten Platz – mit 97 Prozent, 71 Prozent und 70 Prozent. Konkurrent Siemens kommt als Zweiter auf 94 Prozent, 62 Prozent und 55 Prozent. Ironischerweise folgt die neue AEG-Muttermarke Electrolux, in Deutschland eher unbekannt, mit 58 Prozent, 12 Prozent und noch einmal 12 Prozent erst unter ferner liefen. Relaunch der Marke – nicht als Revolution, sondern als Evolution Für die Schweden sind solche Zahlen kein Problem. Penibel analysieren und positionieren die Brand-Manager von Stockholm aus die diversen Hausgerätemarken des Konzerns mittels so genannter Scorecards. Mats Rönne, Vice President of Brand Management in der Electrolux-Zentrale, erklärt die Disziplinen, für die Punkte verteilt werden: „Für unsere Brands haben wir eine Marken-Pyramide mit drei Bestandteilen konstruiert: Markencharakter – wie benimmt die Marke sich? Markenanspruch – was tut die Marke für die Käufer? Und die Markeneigenschaften – was hat sie in Bezug auf Merkmale und Produkte zu bieten, die den Anspruch glaubwürdig machen?“ Abschließend wird auf der Scorecard auch die Performance hinsichtlich der Markenbindung verfolgt. Resultat der Analysen: Es wird in Zukunft unter dem europäischen Electrolux-Dach weniger, aber stärker fokussierte Marken geben. Dabei hat im teuren Premium-Segment auch die AEG Überarbeitungsbedarf. Eine Umfrage unter 2000 europäischen Verbrauchern ergab, dass die Marke zwar bekannt ist und für gut befunden wird, aber auch als etwas langweilig und verstaubt gilt. AEG Text: Oliver Driesen Europaweit werden Auftritt und Claim nun angespitzt und vereinheitlicht. Kein „Aus Erfahrung Gut“ mehr, die neue Botschaft heißt: „Perfekt in Form und Funktion“. Die Leistung in den Mittelpunkt zu stellen passt so gut zum deutschen Image, dass der Claim sogar in Italien auf Deutsch präsentiert wird. Im Schlüsselmarkt Deutschland soll der Startschuss im Januar fallen. Auch das rote Behrens-Logo wird nach längerer Zeit mal wieder angepasst. Es rutscht zurück in die traditionelle Waagerechte und wird Schwarz unterlegt – die Farbe von „Leistung und Wertigkeit“. Von einem Relaunch will Jan Filip Depauw, Brand and Marketing Director AEG bei Electrolux in Brüssel, jedoch nicht sprechen: „Es ist keine Revolution, sondern eine Evolution der Marke.“ Das rote Zauberwort brauche keine schlagartige Veränderung. Eine Marke mit Herzblut – und eine letzte Sleeping Beauty Die Manager der Hausgeräte-Marke AEG sitzen heute in Stockholm und Brüssel, die Herren über die Lizenzen des restlichen AEG-Imperiums jedoch nach wie vor in Frankfurt. Die EHG Elektroholding GmbH ist eine Tochterfirma der DaimlerChrysler AG. Sie fungiert mit rund 30 Mitarbeitern als Rechtsnachfolgerin der AEG, als Nachlassverwalterin und – über ihre eigene Tochter Licentia Patent-Verwaltungs-GmbH – als Anlaufstelle für Produzenten, die die Marke AEG für Produkte in den noch verbliebenen Bereichen lizenzieren möchten. Viel ist nicht mehr zu holen, die Sahnestücke sind längst vergeben. So übertrug die Licentia die AEG-Markenrechte unter anderem für Telefonapparate, Fernsehgeräte, Kleinkameras und digitale Fieberthermometer an die Eggensteiner ITM Technology AG, die über Versandhäuser und Einzelhandelsketten ihre Kleingeräte als AEG-Produkte verkauft. Die EHG achtet bei der Vergabe in strikten Lizenzierungs-Richtlinien auf Qualitätsstandards und Marktchancen der Produkte, damit nicht einzelne Ausrutscher das Gesamtbild der Marke beeinträchtigen. McK Wissen 03 Seiten: 42.43 Reinhard Siepenkort, im alten AEG-Konzern zuletzt Leiter des Vorstandsbüros und heute bei der EHG auch mit der Markenpflege beschäftigt, kennt da kein Pardon: „Wir haben schon merkwürdige Anfragen gehabt, zum Beispiel für eine Art Elektroroller. Da haben wir abgelehnt, weil wir das nicht aussichtsreich fanden.“ Eine Sleeping Beauty unter den AEG-Marken wäre allerdings womöglich wieder zu haben. Telefunken wurde Anfang der achtziger Jahre an die französische Thomson-Brandt-Gruppe verkauft, wird dort aber heute nicht mehr genutzt. In bestimmten Nischen würde die EHG über eine Vergabe mit sich reden lassen. Denn das Qualitäts- und TraditionsImage, das Telefunken mit der Muttermarke AEG teilt, könnte ansehnliche Umsätze generieren, die auch die Lizenzkasse der EHG klingeln ließen. Siepenkort, mehr als 30 Jahre AEG-Mann, verbindet aber auch ein emotionales Interesse mit der Vergabe derart klangvoller Namen in gute Hände: „Ich bin an die Marke AEG gebunden bis an mein Lebensende und die ganze Familie auch. Mein Haus ist komplett mit AEG-Hausgeräten ausgerüstet, Staubsauger, Herd, Kühlschrank, alles. Sogar der Fernseher ist noch von Telefunken. Da ist schon ein bisschen Herzblut dabei.“ 1982 Vergleichsantrag von AEG-Telefunken. Der Vergleich wird nach öffentlicher Hilfe ein Jahr später aufgehoben, doch das Unternehmen kommt nicht aus den roten Zahlen. 1988 Daimler-Benz übernimmt die Kontrolle über die AEG, die unter Daimler-Chef Edzard Reuter zum Mobilitätskonzern mit Schwerpunkt in der Bahntechnik umgebaut werden soll. 1990 Der Hausgerätebereich der AEG wird rechtlich selbstständig und zur AG umgewandelt. Die Fehlbeträge des Konzerns wachsen in den folgenden Jahren trotz Umstrukturierung sowie der Schließung und der Verkäufe von Produktionsbereichen wie Kabelbau, Elektrowerkzeuge, Bürotechnik. 1994 Der Bereich AEG-Hausgeräte AG wird mitsamt den Markenrechten an den schwedischen Electrolux-Konzern verkauft, die Lichttechnik geht an Philips. In den beiden folgenden Jahren werden alle restlichen Konzernbereiche entweder geschlossen oder verkauft. 1996 Am 20. September endet die 113-jährige Geschichte des AEG-Konzerns durch die Verschmelzung der übrigen Unternehmensteile mit der Daimler-Benz AG. Die Verwaltung der Markenrechte und Lizenzen fällt an die Daimler-Benz-Tochter EHG Elektroholding in Frankfurt. Brand Personality Gameboard Text: Judith-Maria Gillies McK Wissen 03 Seiten: 44.45 7 Olympische Spiele Prominente bevölkern die Werbung, ganz egal, ob die Person zur Marke passt oder nicht. Oft genug passt sie nicht. Um geeignete Kombinationen im Vorfeld bestimmen zu können, hat ein Beraterteam in der griechischen Mythologie recherchiert. Ergebnis: das Brand Personality Gameboard. Brand Personality Gameboard Text: Judith-Maria Gillies Charts: McKinsey & Company Kennen Sie den? Franz Beckenbauer steht vor einer Almhütte, blickt in den Nachthimmel und entdeckt einen Stern mit langem Schweif. Dann fragt er: „Ja, is’ denn heut’ scho’ Weihnachten?“ Okay, okay, den E-PlusSpot kennen Sie natürlich. Ist ja Kult geworden. Aber wie ist es mit dem? Derselbe Kaiser Franz, diesmal beim Golfen. Er steigt in sein elektrisches Golfwägelchen, fährt damit bis nach Hause und sagt … Ja, was sagt er denn? Eben. Den kennen Sie nicht. „Man muss sparen, wo man kann.“ Dieser Satz aus der TV-Werbung ist kein Kult, sondern schlicht vergessen. Kein Wunder, meint Ansgar Hölscher, Berater der McKinsey Marketing Practice in Hamburg. Das liegt nicht nur am geringen Werbedruck. „Beckenbauer passt eben nicht zu jedem Produkt.“ Missratene Promi-Spots – da fallen Hölscher noch eine Menge Beispiele ein, und sein Urteil hat wenig mit Geschmacksfragen zu tun. Mit einem fünfköpfigen Team hat McKinsey ein Markenführungsinstrument entwickelt, das genau zeigen soll, welche Persönlichkeit zu welcher Marke passt – und umgekehrt. Mit dem Brand Personality Gameboard (BPG) sollen die emotionalen Attribute einer Marke gesteuert werden können. Verbraucher schreiben jeder Marke und jedem Menschen bestimmte Charaktereigenschaften zu, etwa „Mercedes ist vornehm und zuverlässig“ oder „BMW ist temperamentvoll“. Diese persönlichen Merkmale macht das Gameboard in einem mehrdimensionalen Raum sichtbar. Marken und Menschen, die ähnliche Persönlichkeitsprofile aufweisen, passen gut zueinander. Wo die Merkmalsausprägungen stark differieren, ist aus Beratersicht Vorsicht angebracht. So testet das Instrument, welche Prominenten-Kampagnen Erfolg versprechend sind, oder welche Celebrities gute Werbeträger für welche Marke abgeben und auch, wie weit man das Image einer Marke mit einer Persönlichkeit ziehen kann. Von Antiwerbung und herausgeworfenem Geld Der Bierbrauer Krombacher etwa tat gut daran, Millionärsmacher Günther Jauch als Werbegesicht zu wählen. Denn beide, Mann und Marke, gelten als intelligent und charmant. Wäre hingegen der Konkurrent Radeberger auf der Suche nach einem neuen Werbeträger, sollten die Marketingleute lieber Persönlichkeiten wie Alfred Biolek ansprechen. Genau wie die McK Wissen 03 Seiten: 46.47 Biermarke kommt der Senior-Moderator besonders vornehm und wohlerzogen daher. Schade nur, dass Biolek bekennender Weintrinker ist. Mit dem BPG hat der Bauch als Ratgeber für den Werber ausgedient. Und das sei höchste Zeit, meinen Markenexperten. „Heutzutage schmücken sich viele Unternehmen aus rein persönlichen Liebhabereien mit einem Prominenten“, sagt Christoph Ewert, Professor für Betriebswirtschaft an der Fachhochschule Karlsruhe und Autor des Fachbuchs „Personality Marketing“. Promi-Werbung erzeugt Aufmerksamkeit. Doch davon profitiert die Marke erst, wenn die Eigenschaften der Persönlichkeit auch auf die Marke übertragen werden. Verbreiteter scheint allerdings die Annahme zu sein, für einen guten Spot reiche schon ein bekanntes Gesicht. Wie sonst ließe sich erklären, dass Beckenbauer seinen Kopf nicht nur für Strom und Sportschuhe hinhält, sondern auch für Weißbier und Mobilfunk? Oder dass Verona Feldbusch, die „mit dem Blubb“, außer für Iglo-Rahmspinat auch für so unterschiedliche Marken wie Telegate, Schauma-Shampoo, den OttoVersand, die Expo oder die SOS-Kinderdörfer wirbt? Und Günther Jauch: War es stimmig, dass er für Beton, für den Euro oder die SKL Lotterie warb und Claudia Schiffer für H & M, L’Oréal, Jacobs Kaffee und Citroën? Inflationäre Promi-Werbung: „Fünf bis zehn Prozent aller Kampagnen sind mit Prominenten besetzt“, schätzt Henning von Vieregge, Hauptgeschäftsführer des Gesamtverbandes Kommunikationsagenturen GWA e. V. Doch Promis allein seien kein Garant für den Werbeerfolg, mahnt von Vieregge. „Werbetreibende wären häufig gut beraten, ohne Prominente zu werben.“ Die große Gefahr der VIP-Werbung: Passt der Star nicht zur Marke, geht die Wirkung verloren. „Im schlimmsten Fall kann sie sogar kontraproduktiv sein“, warnt BWL-Professor Ewert. „Wenn Testimonials unglaubwürdig sind, schlägt das negativ auf die Marke zurück.“ So kann Celebrity-Reklame zum teuren Vergnügen werden, und das passiert oft genug. „Bestimmt die Hälfte der Werbung mit Prominenten ist herausgeschmissenes Geld“, schätzt Ewert. Aber das sagt man über fast jede Werbeausgabe. Nur weiß niemand, welche Hälfte. Mit der Geldverschwendung soll jetzt Schluss sein – das verspricht zumindest das BPG. Die Brand Personality – die Markenpersönlichkeit – wird zum wichtigen Differenzierungsmerkmal im Kampf um die Kunden. „Heute erfüllen die meisten Produkte die funktionalen Bedürfnisse „Heutzutage schmücken sich viele Unternehmen aus rein persönlichen Liebhabereien mit einem Prominenten.“ BWL-Professor Christoph Ewert gleichermaßen umfassend“, erklärt McKinsey-Berater Hölscher. Das vernichtende Urteil „ungenügend“ fälle die Stiftung Warentest nur noch selten. Und künftig, davon ist Hölscher überzeugt, werden die Marken Konsumenten anziehen, die einen emotionalen Vorteil bieten. Lässt sich dieser emotionale Vorteil erfassen, vielleicht sogar steuern? Fabian Hieronimus, Berater von McKinsey, ist davon überzeugt. Im Rahmen seiner Dissertation an der Universität Münster hat Hieronimus die Relevanz der Markenpersönlichkeit für das Markenmanagement untersucht. Seine Erkenntnis: Menschen neigen dazu, Objekten menschliche Eigenschaften zu verleihen, um die Interaktionen mit der nichtmateriellen Welt zu vereinfachen. Gelingt es, einer Marke ein menschliches Antlitz zu geben, kann sich der Verbraucher besser mit ihr identifizieren und wird ihr gegenüber loyaler sein. „Auch für Markenmanager ist es einfacher zu sagen, ,Meine Marke soll so sein wie Julia Roberts‘, als davon zu reden, dass eine Marke überdurchschnittlich fröhlich, charmant, leidenschaftlich und temperamentvoll sein soll“, meint Hölscher. Leicht gesagt. Doch hinter den griffigen Ergebnissen des BPG verbirgt sich ein kompliziertes Verfahren – und göttliche Hilfe. Der Reihe nach: Zuerst einmal mussten für die Analyse geeignete Persönlichkeitsmerkmale her. Fündig wurden die McKinsey-Berater bei der amerikanischen Marketing-Professorin Jennifer Aaker von der Stanford Universität. Sie hatte 1997 erstmals 15 Facetten der Markenpersönlichkeit ermittelt, die die Wahrnehmung von Marken im amerikanischen Kulturraum beschreiben. Diese Eigenschaften unterzog McKinsey einem Tauglichkeitstest für Deutschland. Mehrstufige Marktforschungsverfahren waren notwendig. Die Berater suchten zunächst nach unverwechselbaren charakterstarken Typen, die durch herausstechende Merkmale gut voneinander abgrenzbar sind – und fanden sie in den Archetypen der griechischen Mythologie. Den Göttern und Helden der damaligen Zeit, Persönlichkeiten wie Zeus, Herakles, Aphrodite oder Helena, so die Annahme, lassen sich bestimmte Eigenschaften zuordnen und so Kernpersönlichkeiten definieren. Dann der Versuch. 24 Probanden spielten mit. Nachdem sie sich in die griechischen Sagen eingelesen hatten, sollten sie sich selbst nach Ähnlichkeiten oder Verschiedenheiten in einem Raum positionieren. Zeus in der Mitte. Dann Aphrodite, als nächstes Dionysos. „Je mehr Leute hereinkamen, desto komplexer wurde die Lage“, erinnert sich McKinseyBerater Hölscher. Brand Personality Gameboard Text: Judith-Maria Gillies Chart: McKinsey & Company Am Ende brachte die Götteraufstellung Klarheit darüber, wie die einzelnen Persönlichkeitsmerkmale als Ganzes wahrgenommen werden. Die Archetypen können treffsicher von robust bis ehrlich beschrieben werden. Je nach der Ausprägung des bedeutendsten Merkmals ergab sich damit eine unverrückbare Position der Kernpersönlichkeit in einem mehrdimensionalen Raum mit den vier Grunddimensionen Vernunft, Geist, Lust und Kraft. Nach dem Spiel ging es zurück in die Gegenwart. Die Frage der Berater: Haben die alten Griechen Äquivalente in der Moderne? Der Zeus der Gegenwart heißt James Bond. Die moderne Aphrodite? Julia Roberts. Und Thomas Gottschalk als Götterbote Hermes. 900 Befragte bewerteten in repräsentativen Interviews Marken und Stars. Und gemeinsam mit der Nürnberger Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) fanden die Berater zu jeder antiken Gestalt ein Pendant aus der heutigen Zeit. Die Bewertungen der Interviewpartner verfeinerten und konkretisierten die Positionen im Gameboard. Das Ergebnis ist jetzt ablesbar: Je ähnlicher Marke und Mensch wahrgenommen werden, desto näher stehen sie beieinander. In den konstanten Raum des Gameboards können die Berater heute jede beliebige Marke und jede Person plotten. Dabei kann das BPG genutzt werden, um für eine gut positionierte Marke die geeignete Celebrity zu finden. Soll eine Marke entwickelt werden, wird ein Werbeträger identifiziert, der die Marke in die richtige Richtung zieht. Rund 60 VIPs und 40 Brands aus acht Produktkategorien haben im BPG bereits ihren Platz. Im Gameboard werden die Mitbewerber direkt verglichen. Weitere Brands sollen folgen – je mehr Marken, desto spannender wird das Tool. Schon heute liefert das Instrument bei diversen Markenproblemen Lösungsansätze. Es hilft nicht nur bei der richtigen Partnerwahl, sondern bietet auch Orientierung: Hebt sich die Persönlichkeit der eigenen Marke ausreichend von der Konkurrenz ab? Passt sie zur Dachmarke? Welche Marken eignen sich als Partnermarken? Stimmt die Positionierung? Keine Frage, das Gameboard von McKinsey ist ein Tool, das die Argumentation gegenüber den Werbetreibenden stützt. Als Allzweckwaffe für die Markenführung taugt es allerdings nicht. „Für Strategieempfehlungen“, sagt Berater Hölscher, „brauchen Sie immer noch vor allem Analytik, Erfahrung und Fingerspitzengefühl.“ McK Wissen 03 Seiten: 48.49 Zeus (James Bond) Herrscher über die olympischen Götter, über Himmel, Blitz und Donner; Beschützer der Menschheit, Hüter des Gesetzes. Zeus ist immer verstrickt in vielfältige Liebesaffären mit Göttern und Menschen. Zeusianer sind Machtmenschen mit Charisma, erworben durch natürliche Autorität und Souveränität. Helena (Evita Perón) Die Königin von Sparta ist schön, aber treulos, was unter anderem den Trojanischen Krieg verursachte. Stets fügt sie sich ihrem Schicksal. Helena-Persönlichkeiten werden aufgrund ihrer starken Ausstrahlung verehrt. Auf ihren Vorteil bedacht, setzen sie ihre Stärken intelligent ein – und erkennen oft zu spät, dass sie es zu weit getrieben haben. Herkules (Lance Armstrong) Starker, aber tragischer Held. Von klein auf beweist er einen unbändigen Überlebenswillen, um seinen Widersachern zu entkommen. Das Tragische: Im Wahn erschlägt er drei seiner Kinder – und muss zur Strafe zwölf Jahre auf der Erde leben und schwere Prüfungen bestehen. Dort wird er betrogen und vergiftet und ließ sich verbrennen, um von seinen Qualen befreit zu werden. Herkules-Typen sind ausdauernd und stark, müssen sich jedoch alles hart erarbeiten und enden oft als tragische Helden. Dionysos (Mick Jagger) Gott der Fruchtbarkeit, des Weins und der Ekstase. Dionysier geben sich überschwänglich den Sinnesfreuden hin, sind wankelmütig und streben nach den schönen Dingen des Lebens. Hermes (Thomas Gottschalk) Der Götterbote stellt frühzeitig seinen Erfindungsreichtum, seine Unverfrorenheit und seinen Vorwitz unter Beweis. Bereits an seinem ersten Lebenstag stiehlt er Vieh von Apollon und leugnet den Diebstahl dreist. Hermes-Typen stehen für List, Witz und Schlagfertigkeit. Sie finden sich dort, wo Seilschaften zählen. Artemis (Alice Schwarzer) Die Göttin der Jagd und der wilden Tiere. Als Heilerin tut sie viel Gutes. Ebenso wacht sie mit Argusaugen über die Jungfräulichkeit ihrer Gefolgschaft aus Nymphen. Artemis-Typen sind Menschen, die hehre Prinzipien pflegen. Moralische Integrität und mutiger Idealismus machen sie zu Hütern von Anstand und Ordnung. Ares (Bruce Willis) Der Kriegsgott verführt zahlreiche Göttinnen und sterbliche Frauen und hat viele Kinder. Er gilt als unzuverlässig, willkürlich, brutal und zerstörungswütig, aber auch als mutig und tapfer. Ares-Typen sind Draufgänger, die sich durch Hemmungslosigkeit und Aggressivität Respekt verschaffen. Sie handeln aus dem Bauch heraus. Aphrodite (Julia Roberts) Die Göttin der Liebe und Schönheit ist mit dem hinkenden Feuergott Hephaistos verheiratet, betrügt ihn aber mit zahlreichen Göttern und Menschen. Wird sie herausgefordert, reagiert sie grausam und berechnend. Aphrodite-Typen meistern ihr Leben trotz gelegentlicher Einfältigkeit und bauen dabei auf ihre Leidenschaft, Schönheit und Sinnlichkeit, die sie berechnend einsetzen. Prometheus (Robin Hood) Wohltäter, Erzieher, Prophet. Als Vorkämpfer der menschlichen Zivilisation verschafft er der Welt unter Einsatz seines Lebens Tiere und Feuer – und wird dafür auf Zeus’ Befehl an einen Fels geschmiedet. Ein Adler hackt dabei seine immer wieder nachwachsende Leber heraus. Prometheus-Typen sind Idealisten, die mit Eifer für die gute Sache kämpfen und dabei klug und erfinderisch vorgehen. Hephaistos (Nelson Mandela) Der Gott des Feuers und der Schmiedekunst ist immer bemüht, aber glücklos. Aus Missmut über seine Schmächtigkeit wirft ihn seine eigene Mutter ins Meer, seine Ehefrau betrügt ihn, Zeus schleudert ihn vom Olymp. Von Dionysos dort wieder aufgenommen, baut er herrliche Paläste und stellt viele gelungene Handarbeiten her. Hephaistos-Typen sind Menschen, die körperliche Unzulänglichkeit auf einem Gebiet durch Ehrgeiz und Meisterleistungen auf anderen Gebieten wettmachen. Durch ihren eisernen Willen, ihre Energie und Unermüdlichkeit setzen sie sich schließlich durch. Apollon (Goethe) Er ist ein spielerischer Gott. Seine große Liebe zur Kunst zeigt sich, als er bei Hermes die Lyra entdeckt. Kurzerhand handelt er sie ihm ab und lehrt Orpheus, den Sänger der Unterwelt, das Saitenspiel. Apollon-Typen sind belesene und kultivierte Schöngeister, interessieren sich für Kunst, Musik und Literatur. Ingredient Brands Text: Steffan Heuer McK Wissen 03 Seiten: 52.53 Paarlauf mit Tücken Ein anonymes Verbrauchsgut zu einer Marke machen, die Verbraucher anspricht, ohne dabei die Marke des Endproduktes zu überschatten? Wer sich als Ingredient Brand etablieren will, muss einen komplizierten Spagat vollbringen. 8 Ingredient Brands Text: Steffan Heuer Foto: Intel Die Epidemie begann ganz unscheinbar. Pendler in Denver starrten im Sommer 1989 im Morgenstau auf mysteriöse Plakatwände, auf die sie sich keinen Reim machen konnten. „286“ stand da, in Rot darüber gesprüht ein großes Graffiti-X. Unten rechts ein kleiner Firmenname: Intel. Vandalismus auf einer Annonce für ein neues Auto? Oder vielleicht eine neue Vorwahl für Denver? Die Verwirrung hatte Methode. Ausgetüftelt hatte die mysteriöse Kampagne Dennis Carter, der damalige MarketingManager und spätere Vice President von Intel, mit einem fünfköpfigen Team. Ziel war es, die Welt mit einer neuen Mikrochip-Marke zu infizieren. Wegen des äußerst begrenzten Budgets blieb jedoch nur eine einzige US-Metropole, um die Keime freizusetzen. Personal Computer waren Ende der achtziger Jahre noch keine Gebrauchsgegenstände, um die sich Millionen von Endverbrauchern rissen, sondern teure, relativ esoterische Geräte. Für die Frage, welcher Chip in den beigen Kästen versteckt war, interessierte sich niemand. „Die wenigsten konnten mit den Anzeigen etwas anfangen. Die meisten Kollegen im Haus bezweifelten, dass wir Erfolg haben würden“, erinnert sich Carter, der Intels Aufstieg zur Weltmarke verantwortet. Aus seiner Guerilla-Taktik wurde schließlich das Kringel-Logo Intel Inside, das heute mehr als 3000 Elektronikhersteller auf ihre Produkte kleben. Durchschnittlich alle fünf Minuten ertönt irgendwo auf der Welt der dazugehörige Jingle, der im Firmenjargon Bong heißt. Dies ist eine Geschichte der normativen Kraft des Unsichtbaren. Bis heute bekommen die wenigsten Menschen jemals zu Gesicht, wie Intel Inside denn nun aussieht. Wer schraubt schon seinen Rechner auseinander und sieht nach, was auf dem Prozessor steht, wer bemerkt den Unterschied gegenüber dem Chip der Konkurrenz? Der Weg zum Erfolg führte über bislang mehr als neun Milliarden Dollar Werbekosten. Er ist zum klassischen Fallbeispiel geworden, wie sich ein gesichtsloser Komponentenhersteller ins Rampenlicht schieben kann. Im Jahr 2002 steht Intel in der Rangliste der wertvollsten Marken der Welt auf Platz fünf. Das zumindest hat die Markenberaterfirma Interbrand in ihrer Hitparade berechnet, die Business Week jährlich veröffentlicht. Damit liegen die Siliziumtafel-Bedampfer von Santa Clara im Bekanntheitsgrad noch vor Nokia, Disney, McDonald’s oder Marlboro und nur hinter Coca-Cola, Microsoft, General Electric und IBM. Wer seine unscheinbaren Zutaten (engl. Ingredients) zu einer starken Marke McK Wissen 03 Seiten: 54.55 auf- und ausbauen will, schaue auf Carters Marsch durch die Institutionen der modernen Industriegesellschaft: klein anfangen, ein schlüssiges Image entwickeln, das das Interesse der Endverbraucher emotional anspricht, und mit den Herstellermarken eng zusammenarbeiten. Beispiele für die enge Kooperation zwischen Zutatenherstellern und Endproduzenten gibt es reichlich: der Süßstoff NutraSweet, dessen rot-weißer Wirbel auf Kaugummiverpackungen und Coladosen prangt, Aufnäher für das wasserdichte Synthetik-Laminat Gore-Tex, die an Jacken und Wanderschuhen hängen, Gummisohlen von Vibram oder Bratpfannen, die mit der Antihaft-Beschichtung Teflon werben. Dabei geht es um mehr als nur darum, ein weiteres Etikett auf ein Produkt zu kleben. Bloß raus aus der Verbrauchsgut-Falle Ingredient Brands erlauben Zulieferern, aus der Austauschbarkeit auszubrechen und mit ihren Kunden in direkten Kontakt zu treten. So lässt sich mit viel Beharrlichkeit eine Nische auf dem hart umkämpften Marktplatz der Ideen und Versprechungen besetzen. „Die Geschichten, die Marken erzählen, sind inzwischen zum kulturellen Gewebe unserer Zivilisation geworden“, sagt Jim Twitchell. Der Englischprofessor an der Universität Florida beschäftigt sich mit Marken aus der Sicht des Literaturwissenschaftlers. „Wer ein erfolgreiches Produkt haben will, ob Komponente oder eigenständige Marke, muss mindestens ein paar Kapitel in den modernen Roman unserer Konsumgesellschaft einflechten.“ Und wer mit der unscheinbaren Komponente zum Akteur in dieser nie abgeschlossenen Erzählung aufsteigt, entkommt der „Verbrauchsgut-Falle“, wie sie die Berater von McKinsey & Company nennen. Ingredient Branding kann eine Überlebensstrategie sein in einer Welt, in der es von fast allen Zutaten mehrere Anbieter gibt. Wer seine Zutat als Marke etabliert, kann sich von der Konkurrenz abgrenzen, bessere Beziehungen zu Fertigungspartnern aufbauen und einen Nachfragesog bei Endverbrauchern schaffen. So lassen sich auf Dauer höhere Preise und bessere Margen erzielen. Die Definitionen für Ingredient Brand sind schwammig. So viel ist jedoch unumstritten: Der Begriff trifft nur auf Komponenten zu, die man nicht für sich allein erwerben oder konsumieren kann, die oft sogar versteckt und nur Eingeweihten bekannt sind. Schwieriger wird es, wenn Lebensmittelmarken ihre etablierten Produkte gemeinsam vermarkten – etwa wenn Dennis Carter, ehemaliger Marketing-Chef bei Intel, verwirrte mit seinen mysteriösen Werbeplakaten die amerikanische Nation – und weckte die Neugier. Intel stieg zur Weltmarke auf. Häagen-Dazs seiner Eiskrem den Sahnelikör Baileys beimischt. Oder wenn die Tennis-Schwestern Serena und Venus Williams ihr Image für AvonKosmetika zur Verfügung stellen. „Prominente kann man auch als Zutat betrachten, die für Qualität bürgen und so die Kaufentscheidung vereinfachen“, argumentiert Robert Gibralter, Bereichsleiter Strategie und Planung bei Interbrand in New York. Allerdings nur, wenn Mensch und Marke zueinander passen (siehe auch Seiten 44 bis 49). Schokolade und Fertigkuchen: Hochzeit mit Idealen Anders Bengtsson von der Universität Odense in Dänemark spricht wegen dieser Definitionsprobleme lieber von Mixed Brands. In diesen gemischten Marken geht eine Komponentenmarke mit einer Wirtsmarke eine je nach Marktlage unterschiedlich geartete Symbiose ein. „Für den Endverbraucher ist es egal, ob es sich um Co-Branding handelt oder um eine strategische Allianz von Komponenten und Partnermarken. Der Erfolg lässt sich daran messen, ob die Verbraucher letzten Endes ein neues Ganzes wahrnehmen, dessen Summe größer ist als die Einzelteile.“ Die Geschichten, die die zwei verschiedenen Marken transportieren, müssen zusammenpassen, damit sich die Assoziationen in den Köpfen der Öffentlichkeit aufaddieren und nicht neutralisieren. Wie Bengtsson in einer ausführlichen Studie zur Lebensmittelindustrie erklärt, ist die Beimischung von Schokolode aus dem Hause Hershey’s in die Fertigkuchenmischungen von Betty Crocker mehr als nur die Verbindung von zwei Traditionsmarken, mit denen mehrere Generationen von Amerikanern aufgewachsen sind. „Mit einer strategischen Marken-Allianz ist es wie mit einem Paar, das sich kennen lernt und heiraten will“, erklärt Bengtsson. „Am Anfang hat jeder eine Idealvorstellung. Man geht von einer ebenbürtigen Beziehung aus. Aber immer steht die Frage im Hintergrund, ob und wie lange das gut gehen wird.“ Bis das Ja-Wort gesprochen wird, muss ein Komponentenhersteller erst einmal die Braut schön machen. Die Ingredient Brand braucht eine Mitgift – ohne Wertpotenzial lässt sich keine eigenständige Marke entwickeln. Um beispielsweise erfolgreich Sand zu verkaufen, reicht es nicht, sich als beste Sandgrube auszugeben. Eine emotional und rational ansprechende Geschichte und ein Symbol für die eine Sorte Sand muss erfunden werden. Ingredient Brands Text: Steffan Heuer McK Wissen 03 Seiten: 56.57 Für den erfolgreichen Paarlauf gibt es vier Ausgangs-Szenarien, wie Ned Pfeiffer von der weltweit tätigen Branding- und Design-Beratungsfirma Landor Associates in San Francisco erläutert. Für ihn sind die Komponenten nur eine Teilmenge von dem, was er „Attribute Branding“ nennt – die Schaffung von Markenbewusstsein nicht nur für unsichtbare Bestandteile, sondern auch für Form- oder Funktionskomponenten eines Produktes wie etwa das Dolby-System zur Rauschunterdrückung in Stereoanlagen oder die Oral-B-Technologie in den elektrischen Zahnbürsten von Braun. Viermal Paarungsbedarf Möglichkeit 1: Die Wirtsmarke ist neu oder bedarf einer stärkeren Identität. Ein Bündnis mit einer bereits etablierten Komponentenmarke kann dabei helfen, den nötigen Aufwind zu schaffen, um Bewusstsein, Vertrauen und Käufervorlieben für das gemeinsame Produkt hervorzurufen. So könnte sich beispielsweise ein junger, unbekannter Hersteller von Sportbekleidung mit Gore-Tex rascher zum glaubwürdigen Outdoor-Anbieter aufschwingen. Möglichkeit 2: Die Wirtsmarke weist Kompetenzlücken auf und braucht eine starke Komponente, um mehr Glaubwürdigkeit herzustellen oder neue Funktionen anzubieten. Etwa Orbit-Kaugummi, der sich seit langem als zuckerfreies Naschwerk gegen Karies vermarktet. Jetzt verwendet Orbit die Weißmacher-Chemikalien der Zahnpasta-Marke Crest, um eine neue Sorte zahnfreundlicher Kaugummis auf dem Markt zu positionieren. Möglichkeit 3: Die Wirtsmarke sucht einen Komponentenhersteller, um im Wettbewerb relevant zu bleiben, da sie sonst in die oben beschriebene Falle des austauschbaren Verbrauchsguts laufen würde. Diese Variante ist in einem gesättigten Markt für die Produzenten von Komponenten wie für weiterverarbeitende Hersteller interessant. Wenn sich Intel Inside oder Gore-Tex zum De-facto-Standard entwickelt haben, kann kaum ein Unternehmen auf eine solche Zutat verzichten. Pfeiffer vergleicht den Einsatz einer solchen Ingredient Brand mit dem Mindesteinsatz, der benötigt wird, um bei einer Partie Poker überhaupt mitspielen zu können. Den US-Markt für Süßstoff bekam NutraSweet nach seiner Markteinführung fest in den Griff – und wurde zu einer der erfolgreichsten Ingredient Brands: In ihren Blütezeiten diktierte die Komponenten-Marke mit dem rotweißen Kringel ihren Partnerfirmen Preis und umfangreiche Brand-Bestimmungen. „Der Erfolg lässt sich daran messen, ob die Verbraucher letzten Endes ein neues Ganzes wahrnehmen, dessen Summe größer ist als die Einzelteile. Mit einer strategischen Marken-Allianz ist es wie mit einem Paar, das sich kennen lernt und heiraten will.“ Anders Bengtsson, Universität Odense in Dänemark Möglichkeit 4: Die Wirtsmarke ist nicht neu, muss aber ihr Image verjüngen und bedarf zusätzlicher Argumente, um sich zu differenzieren oder Konkurrenten vom Leib zu halten. Wenn also die Nobel-Automarke Lexus ein Modell mit Sitzbezügen der ebenso teuren Ledermarke Coach auf den Markt bringt, trifft sich Luxus mit Luxus zu einem neuen Ganzen. Das Fallbeispiel Intel zeigt, wie die wenig ansprechende Zutat in einem ebenso wenig ansprechenden Industrieprodukt zum Wunschpartner aufsteigen kann, an dem fast sämtliche Hersteller einer Branche nicht mehr vorbeikommen. „Dass wir Intel Inside als Marke schufen, war eigentlich ein Unfall“, erinnert sich der ehemalige Marketing-Chef Dennis Carter. Am Anfang stand die Notwendigkeit, eine neue Generation von Mikroprozessoren mit dem belanglosen Kürzel 80386 zu etablieren, weil der erhoffte Nachfrageschub nach dem Vorgänger ausgeblieben war. Deswegen die Denver-Kampagne, die den veralteten 286er-Chip mit einem dicken roten Kreuz einfach wegstrich. „Wir hatten ein Marketing-Problem und wollten nach besseren Wegen suchen, um Entscheider zu erreichen.“ Intel-Chef Andy Grove billigte Carters Truppe 1989 erst fünf Millionen Dollar zu, bekam dann aber kalte Füße und stellte zunächst nur ein Zehntel für ein Pilotprojekt in einer einzigen Stadt bereit. Die mehrwöchige Kampagne auf Plakatwänden, in Lokalzeitungen und Radiosendern steigerte den Bekanntheitsgrad des neuen Chips so sehr, dass Grove die Restsumme freigab. Im Herbst 1989 überzog Carters inzwischen auf zehn Leute angewachsene Truppe neun weitere Städte mit Werbung für je eine halbe Million Dollar – aus Kostengründen verzichtete er aber auf den Schlüsselmarkt New York. Und das sogar ohne Einbußen. „Wir wollten eigentlich nur potenzielle Kunden über das neue Produkt aufklären und stellten plötzlich fest, dass wir eine Marke geschaffen hatten“, sagt Carter, der 2000 in den Ruhestand gegangen ist. Es gab nur ein Problem. Da Intel ständig neue Chips mit neuen Namen auf den Markt bringt, ließ sich das Graffiti-Konzept nicht für jede Prozessoren-Generation wieder aufwärmen. Zudem stellte ein Gericht fest, dass beliebige Zahlenfolgen wie 286 oder 486 nicht mit einer Trademark zu schützen seien und damit kaum als Branding-Objekte taugten. Also musste ein Dachbegriff her. Carter spielte mit dem Gedanken, für das Schlagwort ISPAN zu werben, um technische Spannbreite zu suggerieren, bevor er mit einer Agentur den Dachbegriff „Intel – the Computer Inside“ ersann, der dann noch einmal zu „Intel Inside“ eingedampft wurde. Nachdem der Marketingchef landauf, landab Reaktionen der Computerhersteller auf eine gemeinsame Werbekampagne eingeholt und Richtlinien entwickelt hatte, startete Intels Ingredient Brand im Juli 1991. Hersteller der gerade in Fahrt gekommenen PC-Industrie waren so erpicht auf das neue Intel-Siegel, dass IBM bereits drei Monate vor dem Startschuss damit warb. „Das Problem war“, berichtet Carter, „dass wir noch gar nicht wussten, was wir den Leuten eigentlich als Kernbotschaft erzählen wollten.“ Intel überließ den Herstellern die Werbung und definierte nur Leitlinien für die Platzierung seines Logos. Die Kooperation lohnte sich für die Hersteller dennoch von Anfang an. Intel erstattete ihnen die Hälfte der Kosten für Printwerbung bis zu einer Obergrenze von drei Prozent ihrer jährlichen Chipeinkäufe. Erfolgsrezept Inside Gut zehn Jahre nach Start der Branding-Kampagne hat sich das Modell zu einem komplizierten Regelwerk entwickelt, bei dem die Erstattungsquote von 25 bis 70 Prozent und die Obergrenze zwischen drei und sechs Prozent schwanken. Ab einem fünfstelligen Werbebudget arbeiten Account-Manager von Intel gezielt mit Herstellern und deren Agenturen zusammen, um Inhalt, Format und Botschaft fein zu justieren. Die Co-Produktion hat bisher mehr als neun Milliarden Dollar gekostet. Mittlerweile setzt Intel vermehrt auf sein eigenes Branding mit hippen Fernsehspots, die einen digitalen Lebensstil zeigen. Die Strategie ist offensichtlich so erfolgreich, dass Konkurrent Advanced Micro Devices (AMD) inzwischen eine verblüffend ähnliche Kampagne namens „AMD me“ gestartet hat. Intels Einsichten lassen sich auch auf andere Branchen anwenden, glaubt Carol Barrett, die im Jahr 2000 die Verantwortung für das Intel-InsideProgramm von Carter übernommen hat. „Unser Erfolgsgeheimnis besteht darin, dass wir vom ersten Tag an eine schlüssige Markenstrategie hatten, die sich mit unserer Geschäftsstrategie deckt. Man sollte sich dabei immer vor Augen halten, dass man eine Ingredient Brand ist und mit Partnern arbeitet, die man nicht überwältigen sollte.“ Für sie ist Intel Inside zum Gütesiegel geworden, das Verlässlichkeit, technische Kompetenz und Sicherheit signalisiert. Je mehr das Markenbewusstsein für Prozessoren und ihre Leistungsfähigkeit wächst, desto mehr Computer werden über die Ladentheke gehen. Der Kuchen wird für alle größer. Doch wenn der Partner zu stark wird, kann es Ärger geben: Partnerfirmen von Intel und NutraSweet sehen diesen „Auftrieb“-Effekt nicht immer so rosig. Schiebt sich nämlich die Komponente zu stark in den Vorder- Ingredient Brands Text: Steffan Heuer grund, wird aus dem Lift schnell eine Reise im Windschatten. Der Marktanteil anderer Chiphersteller schrumpfte beispielsweise seit Beginn der Intel-Branding-Strategie 1989 bis 1998 von 44 auf 17 Prozent. Sowohl IBM als auch Compaq waren zeitweilig verstimmt oder kündigten sogar ihre Lizenzen, weil sie befürchteten, dass ihre Marken von Intels Präsenz auf allen Kanälen überschattet und sie preislich zu Geiseln der übermächtigen Komponenten-Marke werden würden. „Heute ist Intel Inside mehr ein Vehikel, mit dem Intel seine Vertriebskanäle kontrolliert“, urteilt Susan Fournier von der Harvard Business School. „Der Konzern benutzt die Marke, um Lieferverträge mit den Herstellern im Griff zu behalten.“ Für Fournier ist der Erfolg der Markenstrategie aus Verbrauchersicht zudem fragwürdig. US-Kunden suchen nach wie vor im Laden nach Dell- oder Gateway-Rechnern – und eben nicht nach einem Computer mit einem Intel-Prozessor. Ähnliche Eheprobleme beutelten Aspartame, so der ursprüngliche Name von NutraSweet, das seit seiner Entdeckung 1965 bei G. D. Searle & Company zweimal den Eigentümer wechselte. Nach der Markteinführung 1981 besaß die Chemikalie zunächst große Zugkraft für die Nahrungsmittelindustrie, da sie das in Krebsverdacht geratene Saccharin als zuckerfreien Süßstoff ersetzen konnte. In seinen Blütezeiten hatte NutraSweet mangels Konkurrenz und dank seines Patents den 700 Millionen Dollar großen US-Markt für Süßstoff fest im Griff und konnte seinen Partnerfirmen Preis und BrandBestimmungen aufzwingen. Sobald das Patent im Schlüsselmarkt USA Ende 1992 ausgelaufen war, sprangen viele Hersteller ab und handelten Verträge mit anderen, preiswerteren Aspartame-Anbietern aus. NutraSweet reagierte und strich unter anderem seine Branding-Richtlinien von 80 auf zwei Seiten zusammen. Ingredient Branding von unten: das Beispiel Gore-Tex Wie es gelingen kann, auch ohne Druck oder Milliarden-Budget eine Komponenten-Marke zu etablieren und in enger Partnerschaft mit Herstellern zu pflegen, beweist Gore-Tex. Das wasserdichte, atmungsaktive Gewebe wurde 1969 entdeckt. Der Chemie-Ingenieur Wilbert Gore hatte sich 1958 nach einer Karriere bei DuPont selbstständig gemacht, um neue Anwendungen für Polytetrafluoräthylen (oder DuPontTeflon) zu finden. Sein Sohn Robert Gore entdeckte die Eigenschaft des Stoffes, Wasser- McK Wissen 03 Seiten: 58.59 tropfen abzuweisen, aber Wasserdampf oder Schweiß durchzulassen, wenn die Faser gestreckt wird und die mikroskopischen Poren noch kleiner werden. Gore-Tex musste sich seine Abnehmer unter Sportbekleidungsherstellern jedoch erst mühsam erschließen und wählte den direkten Weg über den Verbraucher. „Hersteller sahen keinen Bedarf für eine solche neue Faser. Wir schufen in Kleinarbeit einen Nachfragesog, so dass Kunden in Geschäften nach unserem Produkt fragten“, berichtet Stephen Shuster, Brand Manager im Gore-Hauptsitz in Delaware. Die Kampagne an der Basis war ein Häuserkampf. Vertreter demonstrierten die Vorzüge des neuen Gewebes unablässig auf Messen und in Fachgeschäften. Gore Associates schaltete eigene Anzeigen und machte zudem 1989 ein einzigartiges Versprechen, das den Kontakt zum Endverbraucher enorm verstärkte. Der Komponenten-Produzent steht für die Qualität des gesamten Kleidungsstücks gerade, egal von welchem Hersteller. Auch Intel sah sich einmal zu einem solchen Schritt gezwungen. Allerdings nur vorübergehend, als 1994 der neu eingeführte Pentium-Chip einen Rechenfehler aufwies und hunderttausende verunsicherter PC-Besitzer die Firma anriefen. „Das war der Wendepunkt“, sagt Intel-Manager Carter. „Danach fragte niemand mehr, ob wir uns als Marke etabliert haben. Für die Verbraucher waren wir eine – mit allen negativen Folgen, wenn es schief geht.“ Das bei Gore aus dem Differenzierungswunsch geborene Versprechen an den Endkunden geht weiter als diese einmalige Umtauschaktion bei Intel. Wer Mängel findet, kann seine Regenjacke oder sein Zelt direkt an Gore einschicken. Um Pannen zu vermeiden, die die polygame Marken-Ehe in den Abgrund ziehen können, hat das Unternehmen ein rigoroses Qualitätsprogramm entwickelt, das Details bis zu den zulässigen Schnürsenkeln festlegt. Hersteller müssen Prototypen an ein Testlabor einschicken, wo sie in einen Regenraum wandern. Außerdem besuchen „Field Service Teams“ regelmäßig Fabriken, um sich vom Fertigungsstandard zu überzeugen. Wer durchfällt, wird abgemahnt oder fliegt ganz aus dem Programm. „Ein Leck kann das ganze Schiff versenken. Man muss seine Partner sorgfältig aussuchen.“ Stephen Shuster, Brand Manager im Gore-Hauptsitz in Delaware Shuster nennt das einen der Grundsätze für erfolgreiches Management einer Ingredient Brand: „Ein Leck kann das ganze Schiff versenken. Man muss seine Partner sorgfältig aussuchen und sich auf die gesamte Wertschöpfungskette konzentrieren.“ Die Pflege und der Ausbau einer Komponenten-Marke sind eine kontinuierliche Anstrengung, hat Shuster nach 20 Jahren in Gores Diensten gelernt. Zumal, da im Laufe der Zeit Patente auslaufen und immer mehr Konkurrenten ähnliche Produkte zu erheblich günstigeren Preisen anbieten. Einmal im Jahr schwärmen 40 seiner Vertreter in den gesamten USA für drei Tage in bis zu 100 Sportgeschäfte aus und demonstrieren mit Plastikeimern und Stoffproben, was Gore-Tex so alles kann. Das Unternehmen nennt das „Retail Blitz“. Mit Erfolg. Im Unterschied zu Intel verlangen viele Kunden inzwischen nach dem Material, wenn sie in Wirklichkeit ein Kleidungsstück oder Wanderschuhe einer Wirtsmarke kaufen wollen. Dieser anhaltende Nachfragesog erlaubt es Gore, für sein Material zwischen 15 und 30 Dollar den Meter zu verlangen, während Imitate aus Taiwan für sechs bis acht Dollar zu haben sind. Trotzdem muss Gore sich ständig neu erfinden, um relevant zu bleiben, sagt Shuster. Im Windschatten der berühmten Komponente wirbt das US-Unternehmen in seinem Retail Blitz für zwei Gewebe „von den Machern von Gore-Tex“, die neue funktionale Attribute betonen: mehr Winddichte, mehr Atmungsfähigkeit. Es ist kein Zufall, dass erfolgreiche Beispiele für Ingredient Brands relativ jungen Datums sind und vor allem aus den USA stammen. Der Markt muss übersättigt sein, der Leidens- und Margendruck der Zulieferer groß genug, um Zutaten zu einem Brand machen zu wollen. Marketing-Wissenschaftler Bengtsson etwa hat vor 1992 so gut wie keine Erwähnungen von MarkenAllianzen in der Fachliteratur finden können. Früher, so vermutet er, waren Zutaten in erster Linie firmeninterne Entwicklungen, die als Neuheit beworben wurden, ohne dass man sich auf den komplizierten Paarlauf in aller Öffentlichkeit einlassen wollte. Dabei rührte Mars seine süßen Riegel schon in den dreißiger Jahren mit Hershey-Schokolade an. Aber damals war man auch noch etwas zugeknöpfter, wenn es ums Eheleben ging. Siegeszug einer unsichtbaren Marke: Die Kunden verlangen nach Gore-Tex, wenn sie Kleidungsstücke einer Wirtsmarke kaufen wollen. Die beste Werbung für neue Gewebe wie Windstopper ist heute der Hinweis „von den Machern von Gore-Tex“. Was wirklich zählt Text: Rüdiger Schmitz-Normann McK Wissen 03 Seiten: 60.61 Kakaobutter, Emulgator, Magermilchpulver 9 Was wirklich zählt Nichts bleibt. Wer das erkennt, ist reif für Marken Was wirklich zählt Text: Rüdiger Schmitz-Normann McK Wissen 03 Florian heißt zwar Florian, aber eigentlich ist er ganz in Ordnung. Er macht es sich auf seiner Antonio-Citterio-Sitzgruppe bequem, sein Sohn liegt seit einer halben Stunde im Bett, seine Frau ist auf einer Tagung, auf den Schuhen hat er Wassertropfen vom Gang durch den Garten. Er schenkt Rotwein nach. Die Zigarettenmarke sucht er nach der Farbe der Packung aus. Er weiß, dass die Bretz Brothers mit ihren Plüschsofas zu den Bäh-Marken gehören, so wie Helly Hansen, die ihre Jacken bei Wal-Mart neben Bierkästen verkaufen. „Marken müssen ehrlich sein“, er murmelt etwas vom Burberry-Overkill und zupft die Manschette seines Van-LaackHemdes über die günstig gekaufte Rolex Milgauss aus den Sechzigern. Natürlich muss Florian einiges einstecken, wenn er sich als Markophiler outet. Konsumkritik ist schick. Was bleibt, außer den Konsum zu kritisieren, heute, wo doch jeder alles darf? Mit Naomi Klein und Frédéric Beigbeder im Rücken führen sie ihm vor Augen, was für ein willenloser Wicht im Konsumgetriebe er ist, die Familie ist doch wichtig und die Freunde – politisch korrekt und ökologisch logisch und sterbenslangweilig. Wofür arbeitet er denn, den ganzen Tag in seiner Agentur, pflegt die Geschäftspartner, manchmal sind die Tage wie Gummi, und abends ist er völlig benommen im Kopf und braucht die halbe Stunde im Garten, um wieder zu sich zu kommen. Wenn er sich dann umsieht in seinem Zuhause, wenn er einen Blick wirft auf seine Jil-Sander-Frau und die SDR-Wand und die Gropius-Drücker, dann weiß er, dass sich alles lohnt – die Stunden auf Flughäfen und in schmutzigen Zügen, trostlose Nächte in trostlosen Hotels, und aus dem Konferenzraum erscheint die fahle Sonne am Himmel nur wie auf Folie gemalt. Die Marken bringen Farbe in sein Leben. Natürlich weiß Florian, dass die neulinken Galionsfiguren zu Recht beklagen, dass die Villa-Riba-Villa-BajoGeneration durch Marken den Sinn im Dasein finde, dass Marken heutzutage Ersatzreligionen seien und Unternehmen gleichzeitig die Dritte Welt ausbeuteten und die Natur zerstörten, weil sie irgendwo die Gelder einsparen müssten, die sie für den Aufbau der Marke ausgeben – und dass all dies, genau betrachtet, der Tod sei. Aber das ganze Leben ist ein Kampf gegen den Tod, von der Geburt an verfallen die Körper, kämpfen wir uns durch Krankheiten und Siechtum. Der Tod gewinnt immer, das Leben selbst ist sinnlos, nichts bleibt, und wer das einmal erkannt hat, der bringt sich entweder um oder genießt seine Zeit. Seiten: 62.63 Was wäre das für ein armseliges Leben ohne Marken, sagt er, was bliebe da an Vergnügungen? Wir würden lange schlafen, ausgiebig frühstücken, ein wenig am Strand spazieren gehen und uns lieben bis in die Abenddämmerung, wir würden zuschauen, wie die Sonne im Meer versinkt und noch irgendwo ein paar Cocktails trinken, in einer kleinen Bar am Hafen, in der nur Einheimische sind, wir würden durch die laue Nacht zurückgehen in unser Haus und ineinander verschlungen einschlafen, den Sternenhimmel über uns. Leben ist Vergeuden – oder eben Konsum Doch Hand aufs Herz, wann würde uns das spätestens auf die Nerven gehen? Das Paradies, seufzen wir, aber keiner will es wirklich, für zwei Wochen vielleicht, all inclusive, aber dann? So sind wir halt, wir Menschen, wir sehen das Glück, zucken mit den Achseln und drehen uns um. Lebe sinnlos, flüstert die Stimme, zerstöre dich selbst. Das ist der Urtrieb, Thanatos, die Sehnsucht nach dem Tode, das ist der Grund, warum Künstler, die sich zu Tode gesoffen, gefixt, gehurt haben, gerade deswegen verehrt werden, die Jim Morrisons, van Goghs und Elvis. Das Leben leben, heißt es vergeuden – das ist die Währung, in der du zahlst. Vermeide alles Sinnvolle, flüstert es. Uns Normalmenschen bleibt da nur der Konsum, irgendwie müssen wir ja die Zeit totschlagen, die ganzen Jahre, bevor sie uns endlich totschlägt. In das Markenleben sind wir hineingeboren, da können wir nichts machen. Denn weißt du noch, der Caramac-Riegel zum Beispiel, er versprach alles, schimmerte golden im Regal, schmolz im Mund, in kurzen Hosen auf dem Bürgersteig, und das war das Glück. Sunkist, Tipp-Kick und Yps, jeder Name bringt Erinnerungen, gelebtes Leben, ganz real. Im Kinderzimmer war die Carrera-Bahn der Gipfel der Träume, die Stecker rutschten immer aus dem Trafo, und wenn der Wagen sich festfuhr, roch es nach verbranntem Gummi, und die Leitplanken ließen sich kaum einklinken. Auf der realen Straße war der Bonanza-Rad-Fahrer der King, und das Schönste war nicht der Bananensattel oder der hohe Lenker, sondern die Gangschaltung in der Mitte des Rahmens, mit einem leichten Klacken rasteten die Gänge ein, und der Knauf lag so gut in der Hand. Schon damals ließ sich an der Marke die Persönlichkeit ablesen. Fischertechnik oder Metallbaukästen von Märklin, das war schon eine Grundsatzfrage. Die einen bevorzugten glatten Kunststoff mit Steckverbindungen, sie verdienen heute als IT-Techniker ihr Geld. Die anderen schraubten grün und rot lackierte Metallplatten zusammen – das waren die, die sich bis zuletzt gegen Computer und CDs sträubten. Der Kampf Puma gegen Adidas, mehr Sportschuh-Marken gab es damals nicht, das war Günter Netzer gegen Franz Beckenbauer, Rebell gegen Klassensprecher. Bei Geha gegen Pelikan stand der blaue Füller für offene Charaktere, den grünen Geha besaßen nur verschlagene Linkshänder. Die Cleveren hielten sich raus und schrieben mit dem coolen Newcomer Lamy. Oberfläche ist alles, der Rest ist Illusion So war das damals, Velosolex gegen Herkules, Ente gegen Ford Capri, und so ist es heute noch viel mehr. Marken trennen, Marken vereinen – jeder definiert sich über Marken, in allen Schichten. Marken vermitteln Gewissheit, nicht wie beim Arzt, es könnte dieses oder jenes sein, oder in der Beziehung, wie soll das nur werden, und was ist mit den Kindern, mein Gott? Marken bürgen für ein überraschungsfreies Leben, in jedem Geschäft, in jeder Stadt gleich, am besten weltweit, mit MTV und Hollywood als globalem Katalog. Diese Sehnsucht, Teil von etwas zu sein, das größer ist als man selbst, ist gewaltig. Beim ewigen Kampf Oberfläche gegen Tiefe gewinnt mit den Marken immer die Oberfläche, aber das ist nicht schlimm, denn das ganze Leben ist Oberfläche, alles andere ist Illusion, der man sich ausliefern kann oder nicht, das heißt dann Esoterik oder Naturliebe, und es ist schön, wenn man dazugehört, da kann man sich regelmäßig mit Gleichgesinnten treffen und Lieder singen, aber es ist immer eine Flucht. Wir sind Konsumenten, was sonst, unser ganzes Leben, von der Geburt bis zum Tod. Je eher wir das akzeptieren, desto eher können wir anfangen zu genießen. Heutzutage liefern die Marken sogar das gute Gewissen gleich mit. Ganz unzynisch spielen sie mit Ehrlichkeit, Verwurzelung und Idyll, konzentrieren sich aufs Wesentliche. Benetton kämpft für mehr Toleranz, die Autoindustrie verkauft religiöse Offenbarungen, und mit jedem Kasten Krombacher rette ich ein Stück Regenwald. Überzeugung allein bringt nichts, wenn man nicht auch aktiv wird, fordert Diesel in seiner Action!-Kampagne, versuch die Welt ein bisschen besser zu machen. Natürlich trage ich mit meinen Turnschuhen nicht zur Toleranz bei, aber vielleicht rettet Krombacher mehr Bäume als die protestierenden Aktivisten, wer weiß das schon, ich jedenfalls nicht. So kriegen sie uns nach und nach alle. Die Hardcore-Verweigerer sind spätestens bei ihren Kindern dran, süßes, unschuldiges Leben, das sie mit Wonne dem Markenuniversum zuführen. Brio-Bahn, Bobby-Car, Tripp Trapp und Puky-Räder, da sparen sie an nichts, schließlich geht es um die Sicherheit. Und die Markenfetischisten können beim Nachwuchs die Fehler der Eltern ausbügeln, die auch schon mal was Gebrauchtes kauften: Ist ja nur für den Übergang. Florian hat sich neulich einen Hesba-Kinderwagen zugelegt, ohne lustige Bärchen und Muster, der hat 517 Euro gekostet. Aber das war es ihm wert. Er wollte nicht sparen und sich dann an jeder Ampel für sein klappriges Teil schämen. Denn ist ja nur für den Übergang stimmt nicht, den Übergang gibt es nicht, den gibt es nie, das ist das Leben. Was wirklich zählt McK Wissen 03 Seiten: 64.65 Wasser, Zucker, Farbstoff E 160 Kohlenwasserstoff, Antiklopfmittel Was wirklich zählt McK Wissen 03 Seiten: 66.67 Pflanzliches Eiweiß, Salz, Geschmacksverstärker Acetylsalcylsäure, Ascorbinsäure, Pufferstoffe Was wirklich zählt McK Wissen 03 Seiten: 68.69 Aqua, Panthenol, Eucerit Äthanol, Kräuter Brand Stretching Text: Thomas Vašek Foto: Britta Max McK Wissen 03 Seiten: 72.73 10 Marke, streck dich! Brand Stretching mit Augenmaß führt zum Erfolg, Übertreibung in den Untergang. Brand Stretching Text: Thomas Vašek Früher wussten die Marken, wo sie hingehören: Maggi in die Suppe, Dove an den Waschbeckenrand, Camel in die Lunge und Virgin ins Plattengeschäft. Eine Marke, ein Produkt. So einfach war die Welt. Und heute? Maggi: ein Bauchladen von Kochhilfen und Fertiggerichten. Dove: ein Körperpflege-Universum. Das Label Virgin umfasst inzwischen Bücher, Finanzdienstleistungen und eine Fluglinie. Und wer die Marke Camel nicht rauchen will, kann sie auch an den Füßen tragen. Rund 80 Prozent aller Produkt-Neueinführungen laufen unter etablierten Marken. Tendenz steigend. Brand Stretching oder Brand Extension (zu Deutsch: Markentransfer) nennt sich die Übertragung eingeführter Marken auf neue Produkte und Produkt-Kategorien. Und die macht durchaus Sinn. Wozu überhaupt noch neue Marken erfinden? Neue Marken zu etablieren erfordert nicht nur hohe Investitionen, sondern birgt auch Risiken. In einer reizüberfluteten Konsumwelt fällt es schwer, Aufmerksamkeit zu erreichen, Botschaften zu vermitteln, Emotionen zu wecken. Wer kann sich da noch neue Markennamen merken, die plötzlich in der Werbung auftauchen? „Es wird immer teurer, ein Image aufzubauen“, sagt Henrik Sattler, Professor für Betriebswirtschaftslehre und Direktor des Instituts für Handel und Marketing an der Universität Hamburg. Daher wird immer öfter zum Brand Stretching gegriffen. Markenableger können von Bekanntheit und Image der Muttermarke profitieren und sich dadurch schneller im Markt etablieren. Im Idealfall steigert erfolgreiches Brand Stretching auch noch den Wert der Muttermarke. Mitunter kann ein neues Produkt sogar das Überleben einer in die Jahre geratenen Marke sichern. Warum dann also überhaupt noch neue Marken erfinden? Warum nicht einfach erfolgreiche Brands weiter ausdehnen? Warum nicht Maggi-Jeans, Nike-Suppenwürfel oder Boss-Toilettenpapier? Wenn es bloß so einfach wäre. Es stimmt schon, Markentransfer klingt in der Theorie sehr einleuchtend. Genau das ist das Problem. Tatsächlich ist Brand Stretching ein gefährliches Terrain: „Die Versuchung liegt nahe, eine Marke für kurzfristigen Gewinn zu prostituieren“, weiß der Marketingdirektor eines Konzerns aus leidvoller Erfahrung. Nach Schätzungen von BWL-Professor Sattler schlagen rund 50 bis 60 Prozent der Markentransfers fehl. Schlechte Transferprodukte können die Muttermarke schädigen. Und übertriebenes Brand McK Wissen 03 Seiten: 74.75 Stretching kann zu Markenverwässerung führen, dem Albtraum aller Marketing-Manager. „Der einfachste Weg, eine Marke zu ruinieren, besteht darin, sie überall draufzupappen“, lautet eines der unverrückbaren Branding-Gesetze der US-Marketing-Gurus Ries & Ries. Schwache Marken zerreißt es, wenn man sie überdehnt. Und starke Marken passen auch nicht zu allen Produkten. Meister Proper mag eine starke Putzmittelmarke sein – für einen exklusiven Herrenduft taugt sie kaum. Die berühmteste Hundefutter-Marke lässt sich schwerlich auf Feinkost für Menschen stretchen. Zigarettenmarken hätten Probleme beim Markentransfer auf Fitness-Drinks. Jede Marke lebt in ihrer eigenen Welt. Das Maggi-Terrain liegt am häuslichen Herd. Die Welt von Dove ist das Badezimmer, die der Unilever-Marke Bertolli Italien. Die Menschen mögen Olivenöl, hatte man bei Unilever erkannt, und sie schätzen mediterrane Küche. Darum bietet Bertolli heute ein ganzes Sortiment von typisch italienischen Olivenöl-Produkten – die Palette reicht vom Brotaufstrich bis hin zu Pastasaucen. „Bertolli steht für italienische Authentizität“, heißt es im Konzern. Die Pastasauce gelangt deshalb in einem typisch italienischen Glas mit typisch italienscher Beschriftung zum deutschen Verbraucher. Jedes neue Produkt müsse in die mediterrane Bertolli-Welt passen. Bertolli-Mineralwasser dagegen wäre keine gute Idee, davon sind die Unilever-Marketing-Manager überzeugt. Es könne das Image der italienischen Authentizität nicht transferieren. „Ein Mineralwasser würde der Marke nichts bringen.“ In gewissem Sinne kleiden auch Düfte Ein Marken-Image beruht auf Qualitätseinschätzungen, aber auch auf diffusen Assoziationen, Werten und Gefühlen. Mineralwasser mag für Bertollis Italien-Image wenig Nutzen bringen. Doch umgekehrt steckt in manchem Mineralwasser mehr Brand-Stretching-Potenzial, als man vermuten würde: So konnte der Danone-Konzern seine Mineralwasser-Marke Evian sogar auf eine Kosmetiklinie ausdehnen. Das funktionierte offenbar deshalb, weil das Marken-Image von Evian auf starken emotionalen Komponenten wie dem Gefühl von Reinheit beruht. Andere Beispiele sind der Markentransfer von Modemarken wie Calvin Klein, Lagerfeld und Boss auf Kosmetikprodukte. Bekleidung inszeniert Lebensgefühl und Stil. Parfüms sind ebenfalls ein Instrument der Selbst- darstellung – in gewissem Sinne lässt sich also auch ein Duft anziehen. Nicht bloß ein Boss-Herrenanzug, sondern auch das Parfüm der HugoBoss-Premiummarke Baldessarini „Separates the Men from the Boys“, heißt es im Werbespot. Jedes Brand Stretching ist eine Gratwanderung, Erfolg oder Flop sind schwer vorauszusagen. Wie fragil ein Marken-Image sein kann, zeigt das Beispiel Levi’s. Der Jeans-Hersteller Levi Strauss & Co. brachte in den achtziger Jahren unter der Marke Levi’s Herrenanzüge und andere edle Modeartikel auf den Markt. Was so einleuchtend schien, geriet zum Desaster. Niemand wollte die Anzüge mit Jeans-Label. Der Flop führte zu einem zehnprozentigen Umsatzrückgang im Kerngeschäft und zu einem Imageschaden für die Muttermarke. Ende der achtziger Jahre besann sich Levi Strauss und stieg von der vornehmen Herrenmode um auf einen legeren Stil: die Dockers-Linie – bequeme Khaki-Hosen mit Jeans-Appeal. Das war glaubwürdig und funktionierte. Fliegen mit der Plattenmarke Menschen kaufen ein Markenprodukt, weil sie die Marke gut finden – aber sie lassen sich nicht alles einreden. Die Betriebswirtin Grit Zatloukal, eine ehemalige Mitarbeiterin von Professor Henrik Sattler an der Universität Jena, hat eine empirische Studie angefertigt. Dafür befragte sie Studenten zu hypothetischen Markentransfers. Vor allem zwei Faktoren entscheiden danach über die Erfolgswahrscheinlichkeit von Markentransfers: die Qualitätseinschätzung der Muttermarke und der Fit, die Ähnlichkeit zwischen Muttermarke und Transferprodukt. Dove-Schaumbad beispielsweise ist glaubwürdig durch die Nähe zur Seife, und die Creme-Idee hinter der Marke funktioniert bei beiden Produkten. Nescafé hingegen ist so etwas wie der Inbegriff des löslichen Kaffees. Das Image ermutigte den Nestlé-Konzern vor einiger Zeit, für eine junge Zielgruppe Nescafé Xpress auf den Markt zu bringen. Im Unterschied zum pulvrigen Löskaffee ist das Produkt flüssig und als Kaltgetränk gedacht, das der junge Mensch schnell mal vor oder nach dem Abtanzen hinunterkippt. Nescafé als Energy-Drink fürs mobile Volk. „Junge Leute finden das Produkt cooler als den klassischen Nescafé“, sagt Silke Trösch, Sprecherin von Nestlé Deutschland AG. Aber Vorsicht: Wenn es ums Essen und Trinken geht, versteht der Kunde keinen Spaß – da wird selbst ein vermeintlich logischer Markentransfer zum Abenteuer. Vor einigen Jahren dachte man bei Maggi (Nestlé): Warum nicht neben Suppenwürfeln, Würzmitteln und Fertiggerichten auch Ketchup? Doch der Maggi-Ketchup kam nicht an. Es gelang offenbar nicht, den besonderen Nutzen des Produkts gegenüber etablierten Marken wie Heinz plausibel zu machen. Vielleicht war der Suppenwürfel vom Ketchup doch eine Spur zu weit entfernt. Nestlé nahm das Produkt schließlich in Deutschland wieder vom Markt. Brand Stretching ist Wissenschaft und Kunst zugleich. Marken-Images auf neue Produkte zu projizieren erfordert genaue Kenntnisse von Markt, Marke und Produkt und viel Einfühlungsvermögen in den Kunden und dessen Bedürfnisse. So können sich auch scheinbar aberwitzige Ideen mitunter als goldrichtige Vision erweisen. Vor 30 Jahren hätte wohl kaum ein Kunde eines Virgin-Plattenladens gedacht, dass die Firma einmal eine Fluglinie gründen sowie Kosmetika und Finanzdienstleistungen anbieten würde. Heute versammelt die britische Unternehmensgruppe unter dem Markenzeichen ein Universum von Produkten, die scheinbar nichts oder wenig miteinander zu tun haben. Zwar erfreuten sich nicht alle Projekte der gleichen Beliebtheit – der Virgin-Eisenbahnservice etwa kam nicht an –, doch im Grunde scheint das Modell zu funktionieren. Die Marke Virgin steht eben nicht für ein bestimmtes Produkt oder eine Dienstleistung, sondern für ein Image, für einen Lebensstil. Die Virgin-Vision handelt von Nonkonformismus und Rebellion. „Wir stehen auf deiner Seite“, lautet das Motto. Soll heißen: Wir hauen dich nicht übers Ohr, wir sind anders als das Establishment. Zumindest in Großbritannien kommt diese Botschaft bei vielen an. Das Virgin-Modell zeigt, wie weit man Visionen treiben kann. Dennoch ist es nicht auf jede beliebige Marke übertragbar. Maggi wäre sicherlich schlecht beraten, ein derart universelles, hochfliegendes Marken-Image aufzubauen. Maggi-Jeans brauchen wir ebenso wenig wie Maggi-Sneakers, Maggi-Mobiltelefone oder Maggi-Fluglinien. Wie gut, dass Maggi letztlich weiß, wo die Marke hingehört – vielleicht nicht nur in die Suppe, aber jedenfalls in die Küche. Dort hat sie ihren Platz. Dort ist ihre Welt. „Die Versuchung liegt nahe, eine Marke für kurzfristigen Gewinn zu prostituieren.“ Markenpotenzial McK Wissen 03 Seiten: 76.77 11 Von 40 auf 80 Sie haben ein Produkt. Sie möchten daraus einen Markenartikel machen. Sie wollen wissen, ob sich das lohnt? Setzen Sie einfach Ihre Werte in diese Formel ein. So erhalten Sie das Umsatzpotenzial, das in der Marke steckt. Ungefähr. Markenrelevanz / Strom Text: Jens Uehlecke McK Wissen 03 Seiten: 78.79 Alles nichts, oder? 12 Warum kauft ein Kunde Produkt A und nicht Produkt B – obwohl sich beide in der Qualität kaum unterscheiden? Die Marke macht den Unterschied, ist doch klar. Und warum greift derselbe markenbewusste Kunde an anderer Stelle nicht zum Marktführer? Weil die Marke zwar wichtig, aber eben nicht alles ist. Markenrelevanz / Strom Text: Jens Uehlecke Die Marke zählt. Sie ist der Kern jedes Unternehmens. Sie symbolisiert seinen Wert. Das ist nicht nur oberstes Gebot in Wissenschaft und Unternehmenspraxis, spätestens seit der Generation Golf propagieren es auch die Verbraucher: Ohne Marke ist alles nichts. Marken sind auch das Kernthema des Marketing Centrum Münster (MCM), an dem sich Professoren wie Klaus Backhaus oder Heribert Meffert einen Namen gemacht haben. Und ausgerechnet von dieser Institution kommt nun eine These, die so gar nicht in die Zeit zu passen scheint. Markenbildung ist entscheidend, sagen die Experten – aber nicht in jedem Fall und nicht für jedes Produkt. Ausgehend von der Frage, welche Faktoren den Kauf von Markenprodukten tatsächlich beeinflussen, überprüften die Wissenschaftler gemeinsam mit McKinsey-Beratern längst sicher geglaubte Erkenntnisse und gerieten auf eine abschüssige Bahn. Irgendwann standen sie vor der Grundsatzfrage: Lohnen sich Investitionen in die Marke überhaupt? Das klingt nach einem akademischen Problem. Die Praxis ist sich der Bedeutung der Marke sicher. Erst kürzlich hat eine Umfrage unter britischen Führungskräften wieder ergeben, dass 94 Prozent der rund 190 befragten Vorstände glauben, ein starkes Branding sei der beste Schutz für ein Unternehmen, gerade auch in schlechten Zeiten, wichtiger noch als Mitarbeiter, Kapital, Produkt, Führungsteam oder Technologie. In Deutschland wäre das Votum kaum anders ausgefallen. Wurden im Fernsehen vor zehn Jahren noch rund 2000 Marken beworben, sind es heute schon dreimal so viel. Zwischen 1995 und 2000 sind die Werbeausgaben jährlich um durchschnittlich acht Prozent gestiegen. Allein im Jahr 2000 wurden mehr als 86 000 Marken-Neuanmeldungen registriert. Unternehmen mit schwachen Marken, das ergab eine Untersuchung in den USA, mussten beim Wert ihrer Aktien zwischen den Jahren 2000 und 2001 einen Verlust von 6,9 Prozentpunkten hinnehmen. Unternehmen mit starken Marken erwirtschafteten im selben Zeitraum einen Total Return to Shareholders, der 2,6 Prozentpunkte über dem Durchschnitt lag. Allein die Beiersdorf AG hat durch den konsequenten Ausbau der Marke Nivea den Wert ihre Aktie seit 1990 verzehnfacht. Beeindruckende Zahlen. Allerdings: Die Macht der Marke gilt längst nicht für jedes Produkt und schon gar nicht für jede Branche. Der erste Schritt zu dieser Erkenntnis war eine einfache Frage: Warum kaufen Kunden eigentlich das eine Markenprodukt und das andere nicht? Forschungs- McK Wissen 03 Seiten: 80.81 gegenstand für die Wissenschaftler des MCM sollten Produkte der unterschiedlichsten Branchen sein – von Konsumgütern über Dienstleistungen bis hin zum Handel – insbesondere aber jene, bei denen besonders viel Geld ins Marketing fließt, also Automobile, Telekommunikation oder Energie. 48 Produktmärkte des Business-to-Consumer-Bereichs (B2C) kamen schließlich in die engere Wahl – die Palette reichte von Zigaretten und Bier über PC, Mobiltelefone oder Waschmaschinen bis hin zu Kranken- oder Kfz-Versicherungen. Es zeigte sich: Produktmärkte unterscheiden sich gewaltig in puncto Markenrelevanz. So hat beispielsweise die Marke beim Kauf von DesignerSonnenbrillen einen sehr hohen Stellenwert, gefolgt von Produkten wie Zigaretten, Bier oder Mittelklassewagen. Mobiltelefone, Vitaminpräparate, Autoreifen oder Fernseher bewegen sich nur noch im Mittelfeld, während sich die Kunden beim Kauf eines Computers offenbar kaum vom guten Namen leiten lassen. Nicht jede Marke hat eine hohe Markenrelevanz Die Herausforderung ist zunächst einmal für alle Marken gleich. Bevor ein Produkt in der Tasche des Kunden landet, durchläuft es einen mehrstufigen Prozess, der bei der Bekanntheit beginnt, über die Auswahl sowie den anschließenden Kauf geht und bei der Zufriedenheit und Loyalität endet. Einigen Marken gelingt es, den Verbraucher über den gesamten Kaufprozess zu halten. Bei anderen steigt der potenzielle Kunde irgendwo auf dem Weg zwischen der Wahrnehmung und der Kaufentscheidung aus. Geringe Markenrelevanz heißt das in der MCM-Analyse. Anders ausgedrückt: Die Marke ist vielleicht vielen bekannt, aber nur wenigen vertraut, sie kommt bei noch weniger Verbrauchern in die engere Wahl, noch viel weniger kaufen das Produkt tatsächlich, und loyal ist am Ende fast keiner mehr. Dieses unerfreuliche Markenschicksal lässt sich besonders deutlich am Strommarkt belegen. Erinnern wir uns: Mitte 1999, gut ein Jahr nach der gesetzlichen Liberalisierung des deutschen Strommarktes, ging der Wettbewerb los. Die alten Gebiets-Versorger, über die der Staat bislang seine schützende Hand gehalten hat, standen plötzlich in Konkurrenz zueinander und zu dutzenden neuer Anbieter. Marktforscher prognostizierten einen Run auf die Wie relevant sind Marken bei Produkten? (auf einer Skala von 0 bis 5) Rang 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 Wert Designer-Sonnenbrillen Zigaretten Bier Mittelklassewagen Kompaktwagen Kopfschmerzmittel Tafelschokolade Waschmittel Sportschuhe Champagner Softdrinks Mobilfunkbetreiber Duschgel Jogurt TV-Programmzeitschriften 3,73 3,68 3,44 3,28 3,25 3,11 3,08 3,08 3.07 3,07 3,02 2,96 2,90 2,82 2,80 billigste Kilowattstunde. Wer im Preiskampf nicht mithalten könne, so ihre Botschaft, müsse bald einpacken. Dabei verwiesen sie auf den liberalisierten Telekommunikationsmarkt. Nach dem Fall des Telekom-Monopols hätten Newcomer begonnen, den Kuchen des Riesen Deutsche Telekom Stück für Stück anzuknabbern. Über Wochen seien die Zeitungen mit Tarif-Tabellen gespickt gewesen. Begriffe wie „Call-by-Call“ und „Preselection“ seien über Nacht in die Umgangssprache eingegangen. Genauso würden sich auch Vokabeln wie „Versorgungssicherheit“ und „Durchleitungsgebühren“ durchsetzen. Sensationell hohe Bekanntheit – aber nur wenige Kunden Die Dramaturgie schien plausibel – und die Newcomer versuchten, sie konsequent umzusetzen. Die Energie Baden-Württemberg AG (EnBW) startete 1999 als eine der Ersten: Der Vorstandsvorsitzende Gerhard Goll beauftragte den Düsseldorfer Werber Bernd Kreutz, aus Strom eine Marke zu machen und die passende Kampagne für den Endkundenmarkt zu erfinden. Am 4. August war im Fernsehen der offizielle Start. Bei gelber Mattscheibe fragte die sonore Synchronstimme von Robert De Niro die Zuschauer: „Was für eine Farbe hat eigentlich Strom?“, um sich dann selbst die Antwort zu geben: „Also ich glaube, Strom ist gelb.“ Die Marke Yello war geboren, und eine ganze Republik sah Gelb – auf Plakatwänden, in Zeitungen, in Zeitschriften. Im Fernsehen brauste Ingolf Lück im gelben Smart durch die Werbepausen und versprach den Zuschauern, ihnen beim Sparen zu helfen. Die EnBW sparte nicht. Um die neue Marke aufzubauen, investierte sie Million für Million in den Yello-Etat. Die Konkurrenz auf dem Strommarkt nahm die Herausforderung an. Die RWE AG legte sich für knapp 51 Millionen Euro ein blaues, die E.on Energie AG nach der Viag-Veba-Fusion für rund 97 Millionen Euro ein rotes Image zu. Und alle drei Energieversorger konnten sich über Bekanntheitswerte freuen, die denen klassischer Konsumgüter in keiner Weise nachstehen: Die Marke E.on beispielsweise erreichte nur vier Monate nach der Einführung in der Bevölkerung eine Bekanntheit von 93 Prozent – ein Wert, den sich andere Unternehmen nicht selten erst nach einer langen Firmengeschichte erarbeiten konnten. Neue Kunden allerdings hat der Farbenrausch kaum gebracht. EnBW beispielsweise hat für insgesamt rund 100 Millionen Euro Einsatz statt der in zwei bis drei Jahren erhofften 1,3 Millionen neuer Kunden in vier Jahren gerade einmal 700 000 gewonnen. Noch trister ist die Bilanz bei E.on. Allein 22,5 Millionen Euro kostete die Kampagne „Mix it, Baby!“ mit Arnold Schwarzenegger – doch unterm Strich überzeugte der Terminator gerade einmal 1100 Kunden während der Kampagne für den Strom aus dem Shaker. Alles in allem trennten sich seit der Liberalisierung des Strommarktes gerade einmal vier Prozent der deutschen Haushalte von ihren alten Versorgern – also nur etwa 1,5 Millionen Kunden. Und das, obwohl die meisten beim Vertragswechsel zu einem neuen Anbieter viel Geld hätten sparen können. Was da passiert ist, können die Forscher aus Münster inzwischen erklären: „Drei Funktionen einer Marke sorgen dafür, dass Verbraucher sie nicht nur wahrnehmen, sondern auch das entsprechende Produkt in den Warenkorb legen“, resümiert MCM-Mitarbeiter Marcel Kranz. „Erstens bündeln Marken Informationen wie Hersteller und Inhalt von Produkten und bieten damit Orientierung beim Kauf.“ Zweitens reduzierten sie das Risiko falscher Kaufentscheidungen, indem sie ein bestimmtes Maß an Qualität und Verlässlichkeit signalisierten. Und drittens stifteten sie ideellen Nutzen, weil sie ein bestimmtes Wunsch-Image verkörperten. „Zusammengefasst“, so Kranz, „kann man damit eine Aussage über die Relevanz von Marken auf bestimmten Produktmärkten treffen.“ Nur knapp vor den Papiertaschentüchern Bestätigt wurden die MCM-Thesen durch eine Befragung der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK). Insgesamt 2500 Verbraucher gaben zu Protokoll, wie sehr sie sich beim Kauf der 48 definierten Konsumprodukte von Marken leiten lassen – mit einem denkbar schlechten Ergebnis für die Energiebranche. Strom landete in puncto „Informationseffizienz“ und „Risikoreduktion“ abgeschlagen auf dem letzten Platz, beim Kriterium „ideeller Nutzen“ konnte sich das Produkt nur knapp vor den Papiertaschentüchern auf den vorletzten Rang retten. Strom, so die Analyse der Experten, ist für den Massenmarkt nur ein Low-Interest-Produkt und schafft in keiner der drei wichtigen Funktionen einen besonderen Wert für den Konsumenten. Die Folge: Er wechselt nicht. Das gilt zumindest für den deutschen Markt. Im Ausland, beispielweise in Kalifornien, wo Stromausfälle häufiger vorkommen, spielt etwa das Markenkriterium Risikoreduktion durchaus eine Rolle. Die Strom- 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44 45 Freizeitbekleidung Investmentfonds Bankkonten Handys Linienflüge für Privatreisen Versandhandel Online-Banken Drucker Drogerien Pauschalfernreisen Werkstätten Waschmaschinen Vitaminpräparate Reifen Krankenversicherungen Spiele-Software Fast-Food-Restaurants Telefonanbieter (Festnetz) Kaufhäuser Express-Zustelldienste Discounter Fernseher Laptops Baumärkte Kfz-Versicherungen TV-Kanäle PCs/Computer Kaffeemaschinen Papiertaschentücher Strom Quelle: McKinsey/Marketing Centrum Münster 2,79 2,76 2,74 2,72 2,71 2,67 2,62 2,60 2,58 2,56 2,53 2,50 2,44 2,44 2,42 2,41 2,40 2,37 2,37 2,35 2,34 2,32 2,31 2,30 2,29 2,12 2,09 2,02 1,92 1,65 Markenrelevanz / Strom Text: Jens Uehlecke kunden dort wissen sehr genau, dass ihr Vertrauen in die falschen Energieversorger unter Umständen mit Dunkelheit bestraft wird. Und was heißt das für die gebeutelten Marken-Architekten im Strom? Hat ihnen die deutsche Energiesicherheit einen Strich durch die Rechnung gemacht? Die MCM-Forscher sehen das Problem vor allem im Markenbild. Die Energie-Unternehmen haben ihre Brands primär auf emotionale Werte gebaut. Aufgrund von Emotionen, da sind sich die Experten sicher, wird jedoch so leicht kein deutscher Stromkunde den Anbieter wechseln. Trost für die Zukunft spendet, kaum verwunderlich, Walter Brecht, Geschäftsführer der Markenagentur Interbrand Zintzmeyer & Lux GmbH. „Wir sind davon überzeugt, dass man auch im Energiesektor Marken machen kann – aber man braucht Geduld.“ Die bisherige Strategie der Stromanbieter hält der Fachmann allerdings auch für unzureichend, um eine Marke nachhaltig aufzubauen: „Gerade bei einem Produkt wie Strom, das man weder anfassen noch sehen kann, reicht eine riesige Werbekampagne nicht aus“, meint Brecht. Die Stromanbieter hätten die Chance verpasst, eine zur Kampagne passende Erlebniskette aufzubauen. „Sie haben die PS ihrer durchaus bekannten Marken nicht auf die Straße bringen können.“ Partner, pfiffige Ideen und ein engmaschiges Vertriebsnetz Und tatsächlich, die schlechten Konsumenten-Noten für Strommarken bedeuten nicht, dass sich derzeit überhaupt kein Kunde zum Wechsel bewegen lässt. „Man braucht allerdings die geeigneten Mittel“, sagt Frank Steinbrenner, Bereichsleiter Marketing und Vertrieb der Best Energy GmbH in Berlin. Ähnlich wie die EnBW in Karlsruhe überlegte auch der Berliner Energieversorger Bewag AG nach der Liberalisierung, wie er vom anstehenden Wettbewerb profitieren könne. Anders als die Konkurrenz wagten sich die Hauptstädter jedoch nicht allein in die Schlacht um Marktanteile und fahndeten deshalb nach einem Verbündeten im Kampf um Zähler und Leitungen. Sie fanden ihn zunächst in der Mobilcom AG, später in der Deutschen Post AG – beides Unternehmen, die mit einem engmaschigen Vertriebsnetz bereits den Zugang zum Kunden hatten. Heute sitzt Frank Steinbrenner zufrieden in einem Konferenzraum über einer Neuköllner Einkaufspassage. Dessen schlichter Charme erinnert daran, dass die Konzernmutter Bewag vor nicht allzu langer Zeit noch McK Wissen 03 Seiten: 82.83 in öffentlicher Hand war. Steinbrenner redet gern über den Strommarkt im Allgemeinen und über geeignete Vertriebsstrategien im Besonderen. Vertriebsstrategien wohlgemerkt, denn Vertrieb ist in seinen Augen auf dem Strommarkt zunächst wichtiger als Marketing. Die Bilanz gibt ihm Recht. Rund 200 000 Kunden hat Best Energy seit dem Markteintritt im Februar 2000 geworben – bei Marketing-Ausgaben, „die gegen null tendieren. Sicher haben wir es auch kurz mal mit PlakatKampagnen und Radiospots in Hamburg und Frankfurt versucht, aber die haben rein gar nichts gebracht“, erinnert sich Steinbrenner. „Also haben wir relativ schnell die Finger von klassischer Werbung gelassen und unsere Energie in den Vertrieb gesteckt.“ Das Ergebnis ist ein Verteiler-Netz mit rund 650 Partnern, die Best-Energy-Strom zum Beispiel über Wohnungsgesellschaften, karitative Verbände und Handy-Shops verkaufen. Auch andere Newcomer sind ohne große Marke erfolgreich. Die Ares Energie-direkt GmbH sorgte mit einer pfiffigen Vertriebsidee für Aufsehen. Bei Abschluss eines zweijährigen Stromvertrags konnte jeder Neukunde 1999 für eine Mark einen Fernseher kaufen. Das gefiel der Konkurrenz gar nicht; sie ließ Ares wegen Verstoßes gegen die Zugabeverordnung abmahnen. Aber bis dahin hatte die Firma immerhin bereits 3000 Fernseher ausgeliefert – und 3000 neue Stromkunden geworben. Ein Lichtblick im Strommarken-Markt ist auch das gleichnamige Unternehmen aus Hamburg. Der Newcomer hat bewiesen, dass Energieversorger sehr wohl eine Marke aufbauen können – wenn sie sich eine Nische suchen. Die Lichtblick – die Zukunft der Energie GmbH hat binnen drei Jahren fast 65 000 Kunden von ihrem Ökostrom-Angebot überzeugt, und das mit minimalem Marketing-Budget. Der erfolgreiche Markenträger der Hamburger: Mund-zu-Mund-Propaganda. Für die Experten von MCM ist das ein Paradebeispiel für gutes ZielgruppenMarketing. Lichtblick ziele auf einen kleinen Konsumentenkreis, dem eine Ökostrom-Marke ideellen Nutzen stifte und der die Marke deswegen auch eigenständig weitertrage. Der Erfolg jeder Markenpolitik steht und fällt mit der Relevanz einer Marke für die Kaufentscheidung. Die bloße Wahrnehmung einer Marke, so das Fazit der Wissenschaft, reiche noch nicht aus. Als relevant könne eine Marke erst gelten, wenn sie den Konsumenten tatsächlich zu einer Kaufentscheidung führt. Der Praktiker würde es anders formulieren: Was nützt mir die schönste Marke, wenn mein Markenprodukt keiner kauft? Broschüren: Lohnen sich Investitionen in die Marke? Die Relevanz von Marken für die Kaufentscheidung in B2C-Märkten So lohnen sich Investitionen in die Marke. Aufbau und Führung starker Marken MCM Marketing Centrum Münster (beide 09/2002) Download: www.mckinsey.de/kompetenz/cig Meldungen McK Wissen 03 Wussten Sie, dass … Seiten: 84.85 13 … M&M’s ihre Entstehung dem Spanischen Bürgerkrieg zu verdanken haben? … der Falk-Plan aus Papiernot entstanden ist? Kurz nach dem Zweiten Weltkrieg ist Papier in Deutschland ein knappes Gut. Als der Hamburger Kartograf Gerhard Falk 1945 einen Stadtplan seiner Heimatstadt herausbringen will, teilt ihm die Militär-Regierung nur Papierbögen von 40 mal 60 Zentimetern zu – viel zu klein zum Abbilden der ganzen Stadt, der Betrachter hätte eine Lupe gebraucht. Die Idee des findigen Unternehmers: ein verlaufender Maßstab. Der ermöglicht es, die eng bebaute Innenstadt in größerem Maßstab darzustellen als die Außenbezirke. Falks zweiter Coup: Durch eine ausgetüftelte patentierte Faltung, die den Plan sowohl quer als auch längs knickt, passt er in jede Manteltasche. Das erste Exemplar ziert ein Warnhinweis auf dem Deckblatt: „Plan nicht auseinanderfalten.“ Der besondere Kniff überzeugt Orientierungslose bis heute. Mehr als 100 Millionen Exemplare gingen insgesamt bereits über die Ladentheken. Mairs Geographischer Verlag Kurt Mair, seit 1998 Eigentümer des Falk Verlags, setzt mit seinen Falt-Plänen rund 25 Millionen Euro jährlich um. In den dreißiger Jahren machten Hitzewellen dem US-Süßwarenfabrikanten Forrest Mars schwer zu schaffen. Wegen der Schmelzgefahr seiner Schokolade kämpfte er in heißen Sommern stets mit Absatzflauten. Soldaten im Spanischen Bürgerkrieg brachten ihn auf den rettenden Gedanken. Sie lutschten Schokostückchen, die mit Zuckerguss überzogen waren. Mars importierte die Idee. 1941 produzierte der Unternehmer mit seinem Geschäftspartner Bruce Murrie Schokolinsen mit brauner Glasur. Die Marke M&M’s steht für die Initialen der beiden Partner Mars und Murrie. 1954 bringt ein Werbespruch den Produktvorteil auf den Punkt: „The milk chocolate melts in your mouth, not in your hand.“ Der Slogan ist – in diverse Sprachen übersetzt – mittlerweile in mehr als 100 Ländern der Erde verbreitet. Und darüber hinaus: Seit 1981 fliegen die Schokolinsen mit den Shuttle-Astronauten auf ihren Space-Missionen in den Weltraum. Seitdem bestaunen Besucher eine Packung M&M’s im Washingtoner Nationalen Luft- und Raumfahrtmuseum. … sich der Spielehersteller Parker beinahe sein Erfolgsspiel Monopoly hat durch die Lappen gehen lassen? Die Geschichte des Millionen-Spiels reicht weit zurück. Lizzie Magie, eine junge Quäkerin aus Virginia, erdachte um die Jahrhundertwende ein aufregendes Spiel, das sich um Reichtum und Grundbesitz drehte. 1904 meldete sie „The Landlord’s Game“ zum Patent an – und vertrieb in den folgenden Jahren einzelne Exemplare in ihrem Bekanntenkreis. 20 Jahre später versuchte sie, ihre Spiel-Idee George Parker zu verkaufen, doch der lehnte ab: zu politisch. Inspiriert von dem glücklosen Landlord’s-Game, bastelt 1933, mitten in der Weltwirtschaftskrise, der arbeitslose Heizungsbau-Ingenieur Charles Darrow an seinem Küchentisch in Germantown, Pennsylvania, ein Gesellschaftsspiel um Mieten, Macht und Moneten. Fingerhüte, Garnrollen und Radiergummis dienen ihm als Figuren, aus Abfallholz sägt er Häuschen und Hotels. Der Zeitvertreib lohnt sich: Sechs Spiele pro Tag werden bestellt, und die große Nachfrage lässt ihn hoffen. Auch er bietet der Spielefirma Parker die Lizenz an. Inzwischen lenkt Robert Barton die Firmengeschicke, aber auch der neue Chef lehnt das Spiel ab, angeblich hat es 52 Fehler. Zwei Jahre später ändert Barton seine Meinung, angeblich, weil seine Frau Sally von Monopoly schwärmt. Sein Glück. Mit dem Kauf der Rechte rettet er die Firma vor dem Ruin. Schon im ersten Jahr verkauft Parker mehr als eine Million Spiele. Mittlerweile wanderte Monopoly mehr als 200 Millionen Mal über den Ladentisch und ist damit das meistverkaufte Gesellschaftsspiel aller Zeiten. McK Wissen 03 Meldungen Seiten: 86.87 Wussten Sie, dass … … Odysseus die Geschäftsidee für Ohropax lieferte? … der Markenwert von Coca-Cola größer ist als das Bruttosozialprodukt von Chile? Der Wert der Marke Coca-Cola wird in diesem Jahr mit 69,6 Milliarden Dollar beziffert. Damit liegt er über dem Bruttosozialprodukt (BSP) von Chile (66,5 Milliarden Dollar im Jahr 2001), übertrifft das BSP von Bulgarien um das Fünfeinhalbfache und das der Demokratischen Republik Kongo um das 25,7-fache. Der griechische Held Odysseus, so erzählt es die Sage, will seine Gefährten auf den Irrfahrten nicht dem betörenden Gesang der Sirenen aussetzen und stopft ihnen deshalb Wachs in die Ohren. Im Jahr 1907 entsinnt sich der aus Schlesien stammende Maximilian Negwer dieser Methode – um seine Mitmenschen vor dem zunehmend als störend empfundenen Großstadtlärm zu bewahren. Der gelernte Apotheker tränkt für seine „Geräuschschützer für Gesunde und Kranke“ Baumwolle mit Vaseline und Wachs. So entstehen weiche hautverträgliche Kügelchen, die sich jedem Gehörgang anpassen und für Frieden, lateinisch pax, sorgen. Die Ohropax GmbH produziert heute mit 38 Mitarbeitern im hessischen Wehrheim rund 30 Millionen Wachsstopfen pro Jahr und erwirtschaftet damit 3,3 Millionen Euro Jahresumsatz. … die Füller von Montblanc ihren Markennamen … die Marke Langnese tatsächlich dem höchsten 1927 gerade mal Gipfel der Alpen verdanken? 300 Reichsmark und ein Die meisten Käufer halten ihn für das Produkt Abendessen kostete? eines französischen Luxus-Herstellers. Dabei ist der Montblanc-Füller ein waschechter Hanseat. Der Hamburger Kaufmann Claus-Johannes Voss, Gründer der Simplo Filler Pen Company, sah den neuen Füller seiner Firma 1910 auf dem Spieltisch seiner Skatrunde liegen: schwarz mit weißer Kappe. Er taufte den bis dahin Namenlosen „Montblanc, weil er auch dunkel ist, oben weiß und der höchste seinesgleichen“. Erst drei Jahre später entwickelte die Firmendesignerin aus der weißen Kappe das Markenzeichen, den Montblanc-Stern – Symbol für die schneebedeckte Kappe des Bergs. 1994 erlebt die Marke eine Sternstunde. Das Modell Solitaire Royal mit einem Wert von rund 125 000 Euro wird als teuerster Füller der Welt ins Guinness-Buch der Rekorde aufgenommen. Das massiv goldene Meisterstück ist mit 4810 Diamanten besetzt, die Zahl entspricht der Meterhöhe des Montblanc-Gipfels. Der junge Importeur Karl Rolf Seyferth erwarb im Jahr 1925 an der Hamburger Börse 5000 Kilogramm kalifornischen Honig. Ein Spontankauf, bis dahin hatte der Geschäftsführer der Deutsch-Chinesischen Eiprodukten Gesellschaft mit Honig nichts im Sinn. Und doch florierte nach zwei Jahren der Handel – allerdings fehlte für das neue Geschäft noch immer ein Name. 1927 suchte Seyferth über das Hamburger Fremdenblatt einen Firmenmantel. Das Angebot des Exportkaufmanns Vincent Emil Hermann Langnese interessierte ihn am meisten. Schließlich verbarg sich hinter dem Namen eine Biskuit-Fabrik mit hervorragendem Ruf. Langnese und Seyferth trafen sich zum Essen. Bei Kaviar und Hummer signalisierte der alte Herr Langnese seine Bereitschaft zum Namens-Deal. Der Preis? „Für Sie, junger Mann, 300 Reichsmark und die Rechnung für das heutige Essen.“ Interview Wally Olins Text / Foto: Ralf Grauel McK Wissen 03 Seiten: 88.89 Wally Olins gehört zu den Großen der Branche. 36 Jahre lang hat sich der Brite als Designer und Marketing-Papst einen Namen gemacht, um Mitte 2001 noch einmal umzusatteln. Jetzt berät der 71-Jährige Länder – und will aus Nationen Marken machen. Minister für Markenqualität 14 Interview Wally Olins McK: Wally Olins: McK: Wally Olins: McK: Wally Olins: McK: Wally Olins: McK: Text: Ralf Grauel McK Wissen 03 Mr. Olins, Ihr Thema hieß bislang Corporate Identity oder Marketing. Wieso jetzt National Branding? Staaten haben schon immer ihren Bürgern und der Welt sehr klar gezeigt, wer sie sind. Mit Parolen oder mit Symbolen wie Gebäuden oder Flaggen. Wenn wir heute von National Brands reden, ist das nur eine andere Bezeichnung der Art, wie Ludwig XIV. seine Vision von Frankreich vermittelt hat oder Bismarck seine von Deutschland. Was ist in der globalisierten Wirtschaft neu? Neu sind die sprachlichen Mittel, der Wettbewerb der Staaten untereinander und die Gebiete, in denen dieser Wettbewerb ausgetragen wird. Da gibt es Nationen wie die zentralasiatischen Republiken Usbekistan, Kasachstan, Turkmenistan, Kirgisien oder Tadschikistan. Diese und zahlreiche andere neue Staaten haben es kaum geschafft zu sagen, wer sie sind und wofür sie stehen. Kaum eines dieser Länder hat ein klares Markenbild etablieren können. Aber wieso sollten sie? Die meisten der jungen Nationen sind kaum in der Lage, sich politisch zu stabilisieren. In einer globalisierten Wirtschaft konkurrieren Länder um Investitionen und Marktanteile. Deswegen ist es für eine Nation durchaus wichtig, sich um ein kohärentes Bild zu bemühen. Dieses Bild bestimmt auch die Möglichkeiten eines Landes, international politisch Einfluss zu nehmen. In meiner früheren Firma, Wolff Olins, haben wir mal untersucht, was die Menschen im Ausland mit Begriffen wie „Made in Britain“, „Made in Germany“ und „Made in Italy“ verbinden. In jedem Fall war das Bild der Nation haarsträubend verzerrt. Wie sahen diese Verzerrungen aus? Deutschland zum Beispiel wurde mit Autos assoziiert: Effizienz, sehr hohe Qualität, schlechtes Marketing, sehr teuer. Keinerlei emotionale Inhalte. Das bedeutet, Hugo Boss und Jil Sander wurden nicht wahrgenommen, Pharmazie, Chemie und Frankfurt mit seinem Finanzbereich auch nicht. Das allein ist schon ein Problem, aber das wird noch verstärkt. Weil das, was wahrgenommen wird, kein klares Bild ergibt, keine wirkliche Marke. Sport, Fluglinien, Filmindustrie, Essensgewohnheiten, Kultur oder auch Exportgüter, all das ist natürlich Ausdruck dessen, was Sie als Nation sind. Das Problem ist, dass diese Bilder völlig uneinheitlich sind. Ganz Europa macht sich über die aktuelle wirtschaftliche Lage Sorgen. Nationales Marketing erscheint da etwas luxuriös. Seiten: 90.91 Wie brandet man ein Land? Ein Plan in sieben Schritten 1. Gründen Sie eine Arbeitsgruppe mit Vertretern von Staat, Industrie, Kultur, Bildung und Medien. 2. Finden Sie heraus, wie die Nation von den eigenen Bürgern und von anderen Nationen wahrgenommen wird. Benutzen Sie qualitative und quantitative Forschungsmethoden. 3. Etablieren Sie eine Beratungsrunde mit Meinungsführern über nationale Stärken und Schwächen, und vergleichen Sie das mit den Ergebnissen der internen und externen Studien. 4. Entwickeln Sie zusammen mit professionellen Beratern eine Kernidee, auf der die Strategie basieren soll. Eine starke, einfache Idee, die die Einzigartigkeit der Nation einfängt und als Basis für das gesamte Programm dient. 5. Suchen Sie Wege für die visuelle Umsetzung der Kernidee. Dabei geht es weniger um Logos und traditionelle Tourismuswerbung. Notwendig ist ein umfassender Ansatz: Der beginnt beim Design des Flughafens, auf dem Gäste ankommen, und endet bei den diplomatischen Einrichtungen, die die Nation im Ausland repräsentieren. Wally Olins: McK: Wally Olins: McK: Wally Olins: McK: Wally Olins: McK: Wally Olins: McK: Wally Olins: McK: Wally Olins: Sie dürfen das Thema nicht unter aktuellen Gesichtspunkten betrachten. Die internationale Positionierung einer Nation ist ein Langzeitthema. National Branding braucht zentrale Strukturen, um nationale Interessengruppen und Kompetenzträger zu organisieren. Die wenigsten Demokratien dürften dazu in der Lage sein. Alles, was sie brauchen, ist eine gewisse Bereitschaft zur Zusammenarbeit. Kultur, Politik, Wissenschaft, Wirtschaft und Interessenvertretungen müssen nicht einer Meinung sein. Sie müssen lediglich in der Lage sein, sich an einen Tisch zu setzen. Welches Land war das erste, das Sie beraten haben? Darüber werde ich nicht reden. Den meisten Ländern ist das peinlich. Sie behandeln diese Art von Information eher vertraulich. Dann reden wir über Großbritannien. Sie haben Tony Blair beraten … Ich war involviert. Mehr wird nicht verraten. New Labour und Cool Britannia waren zwei Marketingkampagnen von Tony Blair, eine für die Partei, die andere für das Land. Jetzt zieht der Prime Minister vor jedem Treffen mit Journalisten sein Sakko aus und lässt sich einen Teebecher als Requisite reichen, um hemdsärmelig und volksnah zu wirken. Ist das nicht ein wenig hohl? Das mag so aussehen. Man darf aber kurzfristige politische Gesten nicht mit langfristigem Wandel verwechseln. Das Problem von New Labour ist, dass sie dachten, sie könnten das Land grundsätzlich verändern, und zwar schnell. Ohne eine Revolution dauert so was aber rund 20 Jahre. Die USA beschäftigen seit 2001 eine hochkarätige Marketingleiterin. Die Top-Werberin Charlotte Beers sitzt im Weißen Haus und berichtet direkt an George W. Bush. Ihre Aufgabe ist es, das Bild der USA im Ausland nachhaltig zu verbessern. Das Image der USA zu entwickeln ist eine sehr schwierige Aufgabe … Um mit Naomi Klein zu sprechen: „Die USA haben kein Problem mit ihrer Marke, sondern mit ihrem Produkt.“ Naomi Klein sagt viele halb intelligente Sachen, die sich gut anhören. Das Thema USA ist extrem komplex. Im Ausland werden vor allem drei Bereiche wahrgenommen. Zuerst Freiheit, Grundrechte, Demokratie, dann Technologie und schließlich Pop, Fastfood, Hollywood. Diese Stränge sind sehr signifikant und sehr unterschiedlich. Aber sie sind miteinander verknüpft. Wenn Leute über die USA reden, kommen Gefühle wie Neid Eifersucht und Abscheu, aber auch Bewunderung und Zuneigung in 6. Untersuchen Sie, wie sich die Marketing-Aktivitäten der Tourismusindustrie und der Exportwirtschaft koordinieren lassen, damit Sie die jeweiligen Zielgruppen im In- und Ausland einheitlich ansprechen können. 7. Starten Sie mit den Teilen des Programms, die Regierungsaktivitäten betreffen, und schaffen Sie ein Beziehungsgeflecht zwischen den ausführenden Organen. Und starten Sie langsam. Ohne großen Wirbel. nach Wally Olins: Trading Identities Interview Wally Olins McK: Wally Olins: McK: Wally Olins: McK: Wally Olins: McK: Wally Olins: McK: Wally Olins: McK: Wally Olins: Text / Foto: Ralf Grauel McK Wissen 03 einem einzigen Satz zusammen. Dass die USA solch einen Furor bewirken, liegt in der Natur dieses Landes. Dort herrschen freie Meinungsäußerung und eine ausgeprägte Kultur der Gegensätze. „War against Terror“ ist ein sehr konkretes Motto. Ist das Marketing der USA besser als ihre Politik? Ich glaube, das hat mit Branding nichts zu tun. Dennoch erklären die USA so gut wie jedem Thema den Krieg. Nehmen Sie den „War against Drugs“. Das ist schon aus rein praktischen Gründen nicht möglich. Das ist Labeling. Marken jedoch bauen Sie über einen langen Zeitraum auf: Werte, Images, Beziehungen. Wovon Sie reden, sind taktische Manöver einer Regierung. Ist es denn möglich, die USA zu branden? Es ist sicher nicht möglich, dass alle Menschen in den USA sich einheitlich im Sinne eines gemeinsamen Markenverständnisses ausdrücken. Es wäre aber möglich, den Vereinigten Staaten zu helfen, dass Menschen außerhalb sie mit mehr Sympathie wahrnehmen, mit mehr Verständnis. Während sich Nationen als Marken positionieren, befreien sich globale Konzerne von ihren nationalen Images. So wurde zum Beispiel aus British Telecom schlicht BT. Die Assoziationen, die Großbritannien in Kombination mit Technologie weckt, sind von Nachteil, daher nur noch die Abkürzung. Es gibt aber auch Unternehmen wie die Deutsche Bank oder American Express, die ihre Herkunft immer noch im Namen tragen, weil sie in ihrer Branche weltweit als Gütesiegel gilt. Für viele Globalisierungsgegner sind globale Marken Ikonen eines sich ausbreitenden imperialistischen Kapitalismus. So denken Leute, die meinen, der Kapitalismus halte die Fäden in der Hand und alle müssten tun, was er befiehlt. So ist es aber nicht. Dennoch reagieren die globalen Unternehmen auf diese Vorwürfe. BP legt sich eine Umwelt-Agenda zu, McDonald’s verkleinert die Bögen, aus denen das Logo besteht … Globale Marken werden vor allem attackiert, weil die Unternehmen dahinter für kapitalistisch und ausbeuterisch gehalten werden. Die Angriffe auf die Marken von Leuten wie Naomi Klein sind ja keine Angriffe auf die Marken an sich, sondern Angriffe auf Symbole. Ziele sind in Wahrheit die Unternehmen. Seiten: 92.93 Mr. Marke: Wally Olins „Was lecker ist, verkauft sich“, scheint Wally Olins zu denken. In den sechziger Jahren gründete er zusammen mit seinem Partner Michael Wolff ein kleines Designbüro, Wolff Olins. Zu ihren ersten Kunden gehörten die Beatles, die gerade eine eigene Plattenfirma ins Leben rufen wollten. Die Designer druckten Äpfel auf die Platten-Etiketten und empfahlen, die Firma Apple Records zu nennen. Jahrzehnte später taufte Olins ein britisches Telekom-Unternehmen auf den Namen Orange. McK: Wally Olins: McK: Wally Olins: McK: Wally Olins: McK: Wally Olins: Naomi Kleins Argument ist, dass Marken öffentlichen Raum erobern, der ihnen nicht zusteht. Je leerer die Staatskassen, desto breiter machen sich Marken. Naomi Klein macht zwei Fehler. Zuerst nimmt sie an, die Leute wären so dumm, dass sie nicht für sich selbst entscheiden können, dass man ihnen quasi per Gehirnwäsche etwas andrehen kann, was sie nicht wollen. Damit unterschätzt sie die Intelligenz der Verbraucher. Niemand kauft, was er nicht will. Naomi Klein beklagt außerdem, dass alles, was Unternehmen machen, negativ und ausbeuterisch ist. Unternehmen sind aber keine philanthropischen Institutionen. Sie wollen ihren Profit maximieren. Das funktioniert aber nur in einer Gesellschaft, die das auch akzeptiert. Naomi Klein hat enthüllt, wie sich etwa Nike in Ländern der Dritten Welt benimmt. Darüber wurde nun zur Genüge diskutiert. Aber wieso hat sich Nike überhaupt so verhalten? Weil die Menschen eben so sind. Sie versuchen, ihr Produkt so billig wie möglich herzustellen. Aber wenn Ihnen jemand nachweist, dass Sie bei der Produktion die Arbeiter übervorteilen, wird das unvorteilhaft für Ihre Marke sein. Die Realität sieht so aus: Wenn jemand seinen Profit auf eine inakzeptable Weise maximiert, wird sich das bald als kontraproduktiv erweisen. Unternehmerische Verantwortung hat viel mit Eigennutz zu tun. In Brasilien bauen globale Konzerne komplette Mikrostaaten mit Straßen, Schulen und Krankenhäusern. So bieten sie ihren importierten Managern einen hohen Lebensstandard und schieben den lokalen Markt an. Werden Unternehmen zunehmend staatliche Aufgaben übernehmen? Etwas mehr als heute, ja. Aber es wird auch Grenzen geben. Ein Konzern ist nomadischer und beweglicher als jeder Staat, als jede Regierung. Viel interessanter ist ein anderes Thema. Aktuell entstehen Organisationen, die künftig noch mehr Bedeutung gewinnen werden: karitative Organisationen, soziale Stiftungen und Fonds. Was haben Wohltätigkeitsstiftungen mit globalen Marken gemein? Sie sind klassische Marken. Sie zielen auf Ihr Herz, damit Sie Geld für kranke oder arme Leute ausgeben, statt sich selbst ein paar Schuhe zu kaufen. Das ist lupenreines Branding. Diese Charities werden einflussreicher, kommerzieller, und sie werden sich mit großen Konzernen verflechten. Sie brauchen die Marketing-, Werbe- und Branding-Power der Konzerne. Das führt uns zum Konzern als soziales Unternehmen und zur Rolle des Unternehmens innerhalb einer Nation. In dem Moment, in Wolff Olins wuchs über die Jahrzehnte mit Kunden wie der Bank für Gemeinwirtschaft, 3i, Tate und Honda auf 150 Mitarbeiter an und hatte Filialen in New York, San Francisco, Tokio, Madrid und Lissabon. 1989 veröffentlichte Wally Olins das Standardwerk „Corporate Identity – Strategie und Gestaltung“. In Europa zählt er zu den Pionieren der Branche. 30 Millionen Britische Pfund blätterte der US-Werbegigant Omnicom im Juni 2001 für Wolff Olins auf den Tisch. Einen Monat später, 36 Jahre nach der Gründung, stieg Wally Olins ganz aus dem Unternehmen aus. Er mietete eine schicke Altbauwohnung in London, strich die Wände zitronengelb, kaufte gelbe Teppiche und gründete eine neue Firma, Saffron, zu deutsch: Safran – eine Messerspitze genügt, und alles färbt sich ein. Saffron konzentriert sich darauf, Marken zu entwickeln und Nationen zu positionieren. Mit Wolff Olins hat Wally Olins bereits Großbritannien, die Niederlande, Spanien und Portugal beraten. Interview Wally Olins McK: Wally Olins: McK: Wally Olins: McK: Wally Olins: Text: Ralf Grauel McK Wissen 03 dem sich ein Unternehmen sozial engagiert, wird es schwierig zu sagen, wo die Stiftung endet und wo der Konzern beginnt. Wir sehen gerade erst den Anfang einer neuen Bewegung. Und die Marke ist die Schnittstelle. Das ist auch das Argument von Pro Logo, der Gegenbewegung zu No Logo. Mit der Marke als Schnittstelle kann der Verbraucher gesellschaftliche Fehltritte von Unternehmen sanktionieren. Marken sind Zeichen. Sie sind die gegenwärtige Version von Dingen, die uns seit Jahrhunderten begleiten. Was Leute kaufen, wenn sie für Socken oder T-Shirts viel Geld ausgeben, ist der Symbolismus, mit dem sie spielen können. Gibt es Grenzen des Brandings? Es wäre dumm zu sagen, es gäbe keine. Ich kann aber nicht behaupten, es gäbe viele. Schauen Sie sich mal um: Es gibt nichts, was Sie nicht branden können. Allerdings hat nicht jeder das gleiche Bedürfnis, Zugehörigkeit zu demonstrieren. Manche demonstrieren auch Nicht-Zugehörigkeit und wenden sich Nicht-Marken zu – die werden auf diese Weise zu Marken. Es gibt jedoch Grenzen des kommerziellen Brandings. Wenn Sie zu viel unternehmen, wenden sich die Leute ab. Und wie geht das Branden dann richtig? Sie müssen vor allem eine klare Reputation entwickeln, dann haben Sie ein Werkzeug, mit dem Sie Ihre Entwicklung und Ihren Wandel steuern können. Das gilt für alle Wissensunternehmen. Und für jede Nation. Seiten: 94.95 Literatur: Wally Olins: Trading Identities – Why Countries and Companies Are Trading Each on Each Other’s Roles. The Foreign Policy Centre, London, 2000; 57 Seiten; 15,61 Euro Philip Kotler/Somkid Jatusripitak/Suvit Maesincee: The Marketing Of Nations – A Strategic Approach to Building National Wealth. The Free Press, New York, 1997; 451 Seiten; 45,62 Euro Naomi Klein: Fences and Windows – Dispatches From the Front Lines of the Globalization Debate. Picador USA, New York, 2002; 304 Seiten, 13 Dollar (die deutsche Übersetzung erscheint im März 2003) Naomi Klein: No Logo! Der Kampf der Global Players um Marktmacht. Riemann Verlag, München, 2002; 544 Seiten, 14,50 Euro Sameena Ahmad: Pro Logo – Why Brands are Good For You. In: The Economist, 8. September 2001 Branding Democracy McK Wissen 03 Seiten: 96.97 15 Marken-Politik Junge Leute interessieren sich mehr für Nike, Eastpak und Nokia als für Politik, heißt es. Wie wär’s also, wenn man Politik als Marke etablierte? Die Bundeszentrale für Politische Bildung schrieb im Frühjahr den entsprechenden Wettbewerb aus: Branding Democracy hieß die Aufforderung, die sich an Studenten aller deutschen DesignHochschulen richtete. Eine Jury aus Professoren, Werbern und Art Direktoren hat aus 180 Einsendungen inzwischen die besten gewählt. McK Wissen stellt exklusiv die Sieger vor. Platz 1: Magdalena Kallenberger, Berlin Aus der Begründung der Jury: „Der Entwurf bezieht sich auf unsere alltägliche Lebenswelt als Basis eines realistischen Demokratie-Verständnisses. Er lokalisiert Demokratie in der Mikropolitik des Alltags, positioniert sich positiv zu demokratischer Auseinandersetzung und zeigt, dass der Weg zu Demokratie über persönliche Toleranz und aktives Engagement führt. Die Differenz zwischen Text und Bild aktiviert ein Wir-Gefühl, das sich deutlich gegen die Ellenbogenhaltung der Ego-AGs absetzt.“ Die Entwürfe von Magdalena Kallenberger werden Anfang 2003 als Plakatkampagne präsentiert. Branding Democracy McK Wissen 03 Seiten: 98.99 Platz 3: Nora Bilz, Berlin Aus der Begründung der Jury: „Die Kampagne arbeitet auf intelligente Weise mit weltbekannten Comic-Figuren, die generationsübergreifende Sympathieträger sind. Die Charaktere, die für unterschiedliche Lebenseinstellungen stehen, werden zielgruppenspezifisch inszeniert, um vielfältige Facetten des Demokratiebegriffes vorzustellen.“ Platz 2: Carsten Trill, Düsseldorf Aus der Begründung der Jury: „Eine Imagekampagne für Demokratie, gleichzeitig auch eine zivilgesellschaftliche Aktionskampagne, die sich an Protestformen der Straße anlehnt. Sie integriert sich in Szenen des alltäglichen Lebens und entwickelt außerhalb klassischer Medienformate ein überraschendes Moment der Irritation. Die Kampagne erzielt mit einfachen Mitteln eine große Wirkung.“ Schweizer Messer Text: René Ammann Mutter. Rostfrei. Eine zweischneidige Marke: das Schweizer Messer. McK Wissen 03 Seiten: 100.101 16 Immerhin: Für den Schwyzertolch waren keine CI, kein Logo, keine Marke, kein Spot und kein CD nötig, um in aller Munde zu kommen. Die Schweizer Herren des 16. Jahrhunderts trugen das Allernotwendigste allzeit bereit mit sich und steckten es wieder in die Scheide, nachdem sie es benutzt hatten. Der Schwyzertolch war wie alle Tischmesser zu jener Zeit spitz, denn nach dem Schneiden sollte er dazu dienen, die mundgerecht zugeschnittene Portion aufzuspießen und an die Lippen zu führen. Am Tischtuch wurde der Dolch nach Gebrauch abgeputzt und dann wieder weggesteckt. Jeder Schweizer besaß damals wie heute ein Messer. Das fiel sogar Michel de Montaigne auf, der 1580 vermerkte: „Auch isst niemals ein Schweizer ohne Messer, mit dem sie alle Speisen nehmen, so dass sie die Schüsseln nicht mit den Fingern berühren.“ Erst seit dem 19. Jahrhundert gilt das Essen ausschließlich mit dem Messer in der Schweiz als unfein. Zumindest bei Tisch. Kaum trägt der gemeine Schweizer heute aber eine Uniform, Knickerbocker oder Töffklamotten, also Motorradkleidung, greift er in den Hosensack und zieht ein Taschenmesser hervor. „En rächte Bueb hät es Mässer im Sack!“, hören Schweizer Knaben, kaum sind sie den Windeln entwachsen. Und sie vergleichen auch im Mannesalter das seit der Kindheit gewachsene Werkzeug mit denselben Fragen: Wer hat die größere Klinge? Wer hat mehr dran? Das Swiss Army Knife. Niemand nennt das rote Ding in der Schweiz so. Man kennt es als Sackmesser, Hegel, Militärhegel oder Soldatenhegel, Soldatenmesser oder allenfalls als Offiziersmesser. Konsequenterweise ist es für die Schweizer unnötig zu wissen, dass sich zwei Schweizer Firmen die Marke Swiss Army Knife teilen: Wenger und Victorinox. Den Schweizern genügt die Ahnung, in der Hosentasche befände sich das Notwendigste, man wäre damit allem gewachsen. Der Schweizer Stadtwanderer in Mexiko weiß wie der Bergsteiger im Bergell: Mann hat, was Mann hat. Ein Griff ins emotionale Reduit, die gefühlsmäßige Rückversicherung für den Härtefall. Frage an Herrn Jacques Saucy von der Firma Wenger, die vor mehr als hundert Jahren als Schweizer Besteckfabrik Delémont begonnen hatte: Wem gehört nun die Marke Swiss Army Knife? Wenger oder Victorinox? Schweizer Messer Text: René Ammann McK Wissen 03 Seiten: 102.103 Saucy: Weder noch. Die Marke gehört der Schweizerischen Eidgenossenschaft, also dem Staat. Der Schweizer Staat hat den zwei Herstellern Victorinox, Ibach, und Wenger, Delémont, die ewige Lizenz erteilt. Wir haben seit etwa 50 Jahren ein stilles Abkommen. Victorinox produziert das Original Swiss Army Knife, Wenger das Genuine oder Véritable Swiss Army Knife. Und was kostet die Lizenz? Danke für Ihre Auskünfte. Damit ich das richtig notiert habe: Wie schreibt sich Ihr Name korrekt? Gar nichts. J-A-C-Q-U-E-S S-A-U-C-Y. Null? Und Ihre Funktion, bitte? Null. Président. Null? Das erstaunt mich nun doch. Warum null? Die Eidgenossenschaft besitzt die Marke. Und die ist weltweit geschützt. Aber es waren letztlich die beiden Schweizer Firmen Victorinox und Wenger, welche die Marke erst geschaffen haben. Und das gilt auch für andere Produkte, die das Markenzeichen Swiss Army Knife tragen? Es gibt ja mittlerweile Uhren, Jacken, seit 1998 sogar Swiss Army Cheese, Schmelzkäse in 70-Gramm-Dosen … Nein. Die Messer und Scheren, alles, was schneidet, gehören in die Klasse 8 der internationalen Warenklassifikation. Dieser Brand gehört Wenger und Victorinox gemeinsam. Allein. Exklusiv. Gratis. Und auf ewig. Andere, etwa die Uhren, also Klasse 14, gehören zu 100 Prozent Victorinox. Für den Käse ist hingegen nicht Victorinox zuständig. Wie kommt ausgerechnet die Schweizer Armee zu solchen Ehren? Es begann nach dem Zweiten Weltkrieg. Die Besatzungssoldaten in Deutschland – Amerikaner, Kanadier, Briten – hatten acht Tage Ferien und kamen zur Erholung in die Schweiz. Dort haben sie die Messer gekauft, die wir für die Schweizer Armee herstellten und noch immer herstellen. Die Messer nahmen sie nach Hause mit. So entstand die Marke. Und wie unterscheiden sich die beiden Firmen? Wenger hält 15, Victorinox 85 Prozent des Weltmarktes. Zumindest des Marktes an Original oder Genuine Swiss Army Knives. Denn zahlreich sind die Nachahmer. Vor allem Fernost schneidet den Messermachern aus Ibach und Delémont Stücke vom Umsatz weg. Mit Zahlen sind beide Firmen eher kleinlich. Victorinox erzielte im Jahr 2000 einen Umsatz von rund 290 Millionen Franken, das sind etwa 190 Millionen Euro, beschäftigt etwa 1000 Menschen und bezeichnet sich selbst als „weltweit Nummer eins für Taschenwerkzeuge“ und „größte Messerfabrik Europas“. Täglich verlassen mehr als 100 000 Messer das Victorinox-Werk in Ibach im Kanton Schwyz. 34 000 Swiss Army Knives (100 verschiedene Modelle), 38 000 andere Taschenwerkzeuge (300 verschiedene Modelle) und 38 000 Haushalts-, Küchen- und Berufsmesser. Seit mehr als 110 Jahren ist Victorinox ununterbrochen Lieferant des Soldatenmessers an die Schweizer Armee. Der Name Victorinox? 1909, nach dem Tod seiner Mutter, wählte der Firmengründer Karl Elsener ihren Vornamen Victoria zur Fabrikmarke. Als der 1921 erfundene rostfreie Stahl auch in Ibach verarbeitet wurde, fügte man der Marke Inox bei, das internationale Kennzeichen für rostfreien Stahl. Victoria Inox. Mutter. Rostfrei. In Ibach sitzt Carl Elsener, Senior-Chef von Victorinox. Er ist unter anderem bekannt dafür, dass seine Mitarbeiter einen Tag frei bekommen, wenn sie nach Lourdes fahren möchten. Fragen und Antworten kommen praktischerweise gleich im Paket von der PR-Stelle. Auszüge: Sind Sie Alleinbesitzer, Präsident und Delegierter des Verwaltungsrates? Ich muss präzisieren: Ich bin nicht Alleinbesitzer. Nur gut zehn Prozent der Aktien sind noch im Privatbesitz der Familie Elsener. Der Großteil ist in der Victorinox-Stiftung. Die Schaffung von Arbeitsplätzen und deren Erhaltung auch in Rezessionszeiten hatte bei der Victorinox schon seit der Firmengründung stets höchste Priorität. Während der vergangenen 80 Jahre ist wegen Rezession niemand entlassen worden. Die Taschenmesser-Imitate aus Fernost verzeichnen eine riesige Umsatzsteigerung. Wie stark fühlen Sie sich durch die Nachahmer bedrängt? Unsere größten Konkurrenten sind in China. Sie haben unser Taschenmesser einfach kopiert, ohne die hohen Kosten mitzutragen, die wir im Laufe der Jahre für die Weiterentwicklung, die vielen Verbesserungen bis zur heutigen Perfektion aufgewendet haben. Noch ist der Konkurrenzdruck erträglich. Mit unseren Taschenmessern bleiben wir eindeutig Qualitäts- und Markt-Leader. Unsere Bestrebungen gehen dahin, die Bedrohung durch Imitate mit markenstrategischen Maßnahmen zu begrenzen. Die Qualitätsmerkmale der Victorinox-Messer müssen den potenziellen Käufern noch besser vermittelt werden. „Eine Studie über den Wert des Brands Swiss Army Knife gibt es nicht“, schreibt Urs Wyss, Marketingdirektor von Victorinox. Aber eine national angelegte US-Studie sage aus: Der Brand Swiss Army Knife erreicht einen Bekanntheitsgrad von 92 Prozent. Der Brand wird zu 99 Prozent mit Taschenmessern assoziiert und zu 71 Prozent mit Uhren. Sie planten Dinge wie ein Swiss Army Telephone. „Da kam das Njet aus Ibach“, sagt Hans Schorno, Victorinox-Medienverantwortlicher. VictorinoxChef Elsener unterbreitete den Aktionären ein derart „großartiges Angebot“ (Schorno), dass sie ihre Papiere gern aus der Hand gaben. Swiss Army Brand Inc. soll sich wieder „auf die Kernkompetenzen konzentrieren“. Die Firma Wenger hat ihr Swiss Business Tool auf den Markt gebracht. Es kombiniert das Taschenmesser mit den Werkzeugen, die man braucht, um Papiertiger niederzukämpfen. Einen Hefter. Einen Heftklammer-Entferner. Einen Locher. Eine Schere. Eine Messerklinge. Vom Offiziersmesser mit Pinzette und Zahnstocher ist nicht viel übrig geblieben. Und, allen sei es geklagt, oh Jammer, nicht einmal der Korkenzieher – wir nennen den übrigens Zapfenzieher –, der Retter aller öden Betriebsfeste, hat überlebt. Der moderne Manager lebt selbstverständlich alkoholfrei. Er braucht keinen Zapfenzieher. Er braucht keinen Schraubenzieher. Keine Ahle. Keinen Büchsenöffner. Keinen Flaschenöffner. Und das Messer wird ihm beim Einchecken ebenso abgenommen wie die Nagelschere. In Zeiten, da die Schweizer Armee massiv gestutzt wird und auch die Schweizer Gewerkschafter die Fäuste nicht mehr in der Hosentasche ballen, da Victorinox „unsere Marke“ fördern will und mit „A little bit of Switzerland with you forever“ wirbt, statt mit dem „Original Swiss Army Knife“, da Wenger lieber mit dem Business Tool ein Stück vom Kuchen abschneiden will, befürchtet der traditionsbewusste Schweizer, dass der Wert des Brands Swiss Army Knife bald dem entspricht, was die beiden Lizenznehmer dafür bezahlen, nämlich null. Aber so wird es nicht kommen. Was sonst? „Es ist nicht üblich, dass zwei Konkurrenten den gleichen Brand herstellen. Aber hier haben wir die Situation, dass durch die Namensgebung in den USA (Swiss Army Knife) ein Brand entstanden ist“, schreibt Herr Wyss auf meine Fragen. „Die Firma Wenger und wir haben den Brand in gewissen Märkten sogar gemeinsam geschützt. Unser Ziel ist es aber, die Marke Victorinox zu fördern.“ Trotzdem hat Victorinox im August 2002 die börsennotierte Firma Swiss Army Brand Inc., seit 1972 exklusiver Vertriebspartner der Victorinox in Nordamerika, übernommen. Die Amerikaner verkauften mit der Zeit immer weniger Taschenmesser. PS: Die Damen sind bislang gar nicht zu Wort gekommen. Daher ein kurzer historischer Nachtrag. Während die Schweizer Männer ihren Dolch trugen, hängten sich die Schweizer Frauen den Besteckköcher mit ihren Messerchen und einer Frühform von Gabel um. Und nebenan baumelte der Ridikül. Sie wissen schon: der Handarbeitsbeutel. Beck / Interbrew Text: Markus Grill McK Wissen 03 Seiten: 104.105 Grün war die Hoffnung Wäre der Deal nicht wochenlang durch die Presse gegangen, hätte vermutlich niemand etwas gemerkt. Das norddeutsche Traditionsbier Beck’s heißt immer noch Beck’s, obwohl es inzwischen dem belgischen Braukonzern Interbrew gehört. Auch sonst hat sich in der Bremer Traditionsbrauerei Beck & Co wenig verändert. Gerade deshalb ist der Eigentümerwechsel ein gelungenes Beispiel für professionelles Markenmanagement. 17 Beck / Interbrew Text / Foto: Markus Grill Die neuen Herren sind unsichtbar. Wer heute eine Führung durch die Brauerei Beck & Co in Bremen macht, erfährt viel über die Geschichte des Biers, über obergärige und untergärige Braumethoden, über Fanartikel, Marke und Umsatz. Nur den Clou erfährt er nicht. Auch auf der Homepage www.becks.de muss sich der Besucher weit durchklicken, bis er endlich entdeckt, dass die Bremer Brauerei vor knapp einem Jahr von Interbrew gekauft wurde, dem drittgrößten Braukonzern der Welt mit Sitz in Belgien. Gerade so, als ob der spektakulärste Deal der deutschen Zunft nie stattgefunden hätte. Das ist schon ungewöhnlich in einer Zeit, in der Fusionen und Übernahmen alltäglich sind und die neuen Hausherren sich in der Öffentlichkeit nicht selten sofort als die besseren Markenmanager profilieren wollen. Angesichts eines so sensiblen Produkts wie deutschem Bier ist die Zurückhaltung bei Beck und Interbrew besonders bemerkenswert – und klug. Denn dass die Übernahme einer deutschen Brauerei durch einen ausländischen Konzern besonders argwöhnisch verfolgt wird, haben die Belgier erst kürzlich wieder erlebt. Im November dieses Jahres machte Interbrew der Brauergilde Hannover AG ein Übernahmeangebot in Höhe von 491 Millionen Euro. Der Widerstand formierte sich sofort. Vom niedersächsischen Ministerpräsidenten Sigmar Gabriel bis zum Brauergilde-Betriebsratsvorsitzenden Werner Brünig protestierten mehr als 30 000 Menschen mit ihrer Unterschrift gegen den Verkauf. Das 1609 gegründete Unternehmen dürfe nicht in fremde Hände fallen. Die Stadt Hannover, die Anteile an der Brauergilde hält, wollte den Verkauf gar gerichtlich anfechten. Dass Interbrew zuvor garantiert hatte, die 850 Arbeitsplätze an den Standorten Hannover, Braunschweig und Wernigerode zu erhalten, besänftigte die Protestanten nicht. Betriebsratschef Brünig fürchtete, nach der Übernahme würden Regionalmarken wie Gilde Pilsener oder Wolters Pilsener über kurz oder lang vom Markt verschwinden. Inzwischen hat sich die Aufregung gelegt, die Stadt will ihren Zehn-Prozent-Anteil an der Brauerei verkaufen, die Brauergilde Hannover AG wird bald den Belgiern gehören. Natürlich lässt sich über die Zukunft der Traditionsbrauerei nur spekulieren. Wie es scheint, werden sich Management und Mitarbeiter jedoch kaum sorgen müssen. Dafür sprechen die Erfahrungen von Beck & Co und deren jüngste Unternehmensgeschichte, die Experten nicht ohne Grund als Paradebeispiel für gelungenes Markenmanagement anführen. McK Wissen 03 Seiten: 106.107 Die Personen sind geblieben, am Produkt und an der Marke hat sich nichts geändert. Neu sind nach der Übernahme nur die Positionen: Der frühere Marketing Director Andreas Hilger (links) ist heute Global Brand Director, Dieter Ammer, einst Geschäftsführer von Beck & Co heißt inzwischen Interbrew Regional President Deutschland. Und als Ausnahme, denn die Sorge um das Überleben eingeführter Brands nach einer Firmenübernahme ist nicht unbegründet – ungeschicktes Vorgehen bei Mergers & Acquisitions trifft häufig auch die Marke. Ist der Zusammenschluss erst in trockenen Tüchern, wird der Herrschaftsanspruch gern unterstrichen. Das eingeführte Produkt erhält einen neuen Namen. Oder es wird die Markenführung optimiert – durch vermeintlich modernere Kampagnen, die den Käufer irritieren. Neigt das Management zu Aktionismus, werden nicht selten auf die Schnelle Produkte verändert, Verantwortungen verschoben, alte Experten durch neue ersetzt oder Vertriebs- und Marketingbudgets beschnitten, um die hohen Investitionen zu refinanzieren. Dieter Ammer kennt viele dieser traurigen Geschichten und wird doch nicht müde zu wiederholen, dass sie nichts, aber auch gar nichts mit dem zu tun haben, was er seit einem Jahr erlebt. Interbrew, sagt der alte und neue Vorsitzende der Geschäftsführung der Brauerei Beck & Co, habe keinen einzigen dieser Fehler gemacht. „Wir sind absolut glücklich darüber, wie die Übernahme gelaufen ist.“ Der neue Besitzer ließ alles beim Alten Die Fakten geben Ammer Recht. Nachdem Interbrew das deutsche Premiumbier 2001 für die bis dahin in der Branche unvorstellbare Summe von 1,8 Milliarden Euro gekauft hat, ließ der neue Besitzer nahezu alles beim Alten. Die Arbeitsplätze in Bremen blieben ebenso erhalten wie alle regionalen Biermarken. Interbrew bestätigte Ammer nicht nur in seinem Amt, sondern ernannte ihn auch zum Regional President Deutschland und übertrug ihm die Interbrew-Geschäftsbereiche Export und südliches Europa. Der bisherige Marketing-Director Andreas Hilger avancierte zum Global Brand Director Beck’s in der Konzernzentrale in Leuven. Die schon vor der Übernahme auf den Weg gebrachten Innovationen, etwa ein Bierkasten mit weichen Griffen, wurden fortgeführt. Das Bier selbst blieb unangetastet. Alles in allem offenbar das richtige Rezept. Der Beck’sBierausstoß für den deutschen Markt wuchs im ersten Halbjahr 2002 um 17,8 Prozent. Auf dem Dach des Verwaltungsgebäudes in Bremen steht in großen Leuchtröhren noch immer der alte Name. Und dort, bei Beck & Co, residiert auch der Chef. Dieter Ammer, 52 Jahre alt, etwa 1,90 Meter groß, Brille, Glatze, wirkt wie einer dieser jovialen Bosse aus US-Spielfilmen. Und das Bild passt ja auch zu dem Mann, der den spektakulärsten Deal der deutschen Brauereigeschichte eingefädelt hat. Ammer kam vor fünf Jahren von Nordzucker zu Beck & Co. Ex-Deutsche-Bank-Sprecher Hilmar Kopper, beim Bierbrauer Chef des Beirats, hatte den Neuen geholt. Der Brauerei ging es damals ziemlich gut. Die Marken waren hervorragend geführt, laut einer Umfrage aus dem Jahr 1998 ordneten 75 Prozent der Bevölkerung das grüne Segelschiff der Marke Beck’s zu. Die Unternehmenszahlen konnten sich sehen lassen: Die Bremer erwirtschafteten mit mehr als sechs Millionen Hektoliter Bier einen Umsatz von 787 Millionen Euro. Schon damals floss die Hälfte des Beck’sBiers ins Ausland – keine andere deutsche Brauerei exportierte mehr. Nachdem Ammer seinen neuen Posten bezog, merkte er jedoch bald, dass er sehr viel investieren musste, um das hohe Niveau zu halten – schon damals sank der Bierverbrauch kontinuierlich. Zwar rangiert Deutschland weltweit mit 123 Litern Bierkonsum pro Kopf noch immer auf Platz drei, nur die Iren (125 Liter) und die Tschechen (159 Liter) trinken mehr. Aber 1993 trank jeder Deutsche noch knapp 136 Liter Bier jährlich – ein Minus also von zehn Prozent. „Wir hatten wenige Märkte, die hochprofitabel waren, Deutschland, Großbritannien, die USA und Italien“, erklärt Ammer, „dazu kamen etwa 120 Länder, in denen wir zwar profitabel arbeiteten, aber relativ kleine Mengen absetzten.“ Und in den hochprofitablen Märkten begann die Konkurrenz die Vertriebswege zu kontrollieren. Ein Kampf mit harten Bandagen: „In Italien kauften Carlsberg und Heineken unsere Importeure auf“, erinnert sich Ammer. „Ich bekam immer häufiger Briefe, in denen stand: ,Guten Tag, Mr. Ammer, wir sind gerade gekauft worden‘.“ In Frankreich und Belgien gehörten der Konkurrenz bereits so viele Großhändler, dass es selbst die bekannte Marke Beck’s nur noch schwer in die Supermarkt-Regale schaffte. Und in den USA schluckten sich die Großhändler gegenseitig – das Geld für die Übernahmen stellten die Brauereien. Ammer musste zusehen, wie die Vertriebsmärkte aufgeteilt wurden. „Und wir blieben außen vor.“ Um selbst auf Einkaufstour gehen zu können, fehlten Beck & Co die Mittel. Von den Eignern war kein Geld zu erwarten. Über die 1873 von den Braumeistern Lüder Rutenberg, Heinrich Beck und dem Kaufmann Thomas May gegründete ehemalige Kaiserbrauerei entschieden mittlerweile 67 Eigentümer, darunter 25 Adlige ohne große Vermögen. Die meisten ließen sich in der Vergangenheit einen Großteil des operativen Gewinns der Brauerei auszahlen. Manche lebten vom regelmäßigen Scheck. Im Juni 2002 dachte Ammer an einen Börsengang, er plante, zunächst nur 24,9 Prozent der Aktien zu veräußern. Weil derartige Entscheidungen laut Statut jedoch einstimmig gefällt werden mussten und einige Besitzer sich dagegen sträubten, blieb nur der Verkauf der GmbH. Aber wer sollte sie kaufen? Es sollte eine Brauerei sein, erklärt Ammer, die weltweit gute Vertriebswege vorzuweisen und gleichzeitig kein Bier hatte, das Beck’s zu ähnlich war. Andernfalls, fürchtete er, dass die neuen Eigentümer die Marke nicht mit der „nötigen Sorgfalt und Liebe“ behandeln würden. In einem ersten Schritt nahm er vier große Brauereien in die engere Wahl: Anheuser-Busch (USA), South African Breweries (heute SAB Miller) und Scottish & Newcastle, beide aus Großbritannien, und eben Interbrew. Der belgische Konzern war der ideale Partner Ammers Suche nach einem Käufer sprach sich in der Branche herum, und es hagelte Anrufe von Konkurrenten, die mitbieten wollten. Einer, den Ammer nicht in die engere Wahl gezogen hatte, bot an, die Marken nach einer Übernahme auf verschiedene Länder aufzuteilen. Für Ammer keine gute Idee: „Unsere Marken hätten viel zu nahe beieinander gelegen. Ein defensives Angebot ist niemals ein gutes Angebot.“ Interbrew erschien dem Beck-Chef dagegen als idealer Partner. Die Belgier haben zwar rund 200 Biermarken im Portfolio, darunter aber nur eine globale Marke, die mit Beck’s vergleichbar wäre: Stella Artois, die Ammer jedoch nicht als ernste Konkurrenz betrachtete. „Inhalt und Positionierung sind in vielen Ländern völlig unterschiedlich“, sagt Ammer. „Wo wir Beck / Interbrew Text / Foto: Markus Grill stark sind, zum Beispiel in den USA, ist Stella Artois sehr klein. In Großbritannien dagegen, dem zweitwichtigsten Markt, ist Stella fünfmal so groß wie wir, das tut uns auch nicht weh. Stella ist außerdem in Belgien und Frankreich stark, in beiden Ländern spielen wir fast keine Rolle. Bei Interbrew passt alles wunderbar.“ Interbrew: Die Brauerei mit Sitz im belgischen Leuven versteht sich als „The World’s Local Brewer“ und trat bis vor drei Jahren international kaum in Erscheinung. Erst seit September 1999, seit der in Indien geborene Manager Hugo Powell zum Vorstandsvorsitzenden bestellt wurde, expandiert der Konzern. Im November 2000 brachte Powell Interbrew an die Brüsseler Börse, nahm Eigenkapital in Höhe von 2,9 Milliarden Euro ein und ging im selben Jahr auf Einkaufstour. Er kaufte Diebels, Whitbread, Bass und Beck’s und gab in kürzester Zeit weit mehr als sechs Milliarden Euro aus. Unter Powell wurde Interbrew zum drittgrößten Braukonzern der Welt mit 9,7 Millionen abgefüllten Litern Bier und 7,3 Milliarden Euro Umsatz in 2001. Mehr Bier verkaufen nur noch Anheuser-Busch und SAB Miller. Beck’s war für die Belgier reizvoll – zum einen als zweite Premiummarke neben Stella, zum anderen aus Kostengründen. Interbrew erwirtschaftete mit mehr als sieben Prozent zwar ordentliche Umsatzrenditen, auf Dauer aber, das wusste Powell, würde der Konzern mit seinen 65 lokalen Brauereien nicht so effizient produzieren können wie etwa Heineken. Die Macht bleibt bei der Brauerei vor Ort Beck’s Bier war da genau das Richtige. „Eine Marke, die noch sehr viel Potenzial hat“, sagt Interbrew-Sprecher Corneel Maes, zudem eine, um das die meisten anderen Brauereien Interbrew beneiden dürften. Die Bremer haben mit ihrem Segelschiff und der Farbe Grün ein Image geschaffen, das mit jung, aktiv und frisch assoziiert wird. Ein Gute-Laune-Bier mit Lifestyle. Seit 1995 röhrt Joe Cocker den Marken-Song „Saaail awaaay“ so hingebungsvoll, dass man ihm zur Belohnung sofort eine Flasche aufmachen möchte. Beck’s und Cocker sind ein Klassiker geworden, beständig und zeitlos, akzeptiert von Vertretern aller Altersklassen. Das mag ein Grund gewesen sein, weshalb sich die Belgier nach der Übernahme in Bremen nicht als neue Machthaber aufgespielt haben. Leises Auftreten gehört jedoch auch zum Stil des Hauses. Es sei der Grundsatz der Local-Brewer-Philosophie von Interbrew, die Macht über die McK Wissen 03 Seiten: 108.109 Brauereien bei den lokalen Managern zu belassen, erklärt Unternehmenssprecher Maes. Deshalb sitzen in der Konzernzentrale in Leuven auch nur 400 Mitarbeiter, die sich um Finanzen, Personal und Marketing der internationalen Biermarken kümmern. Die restlichen 37 000 Interbrew-Mitarbeiter kümmern sich vor Ort um die Marken des Konzerns. Und es sind jeweils die, die auch schon vor einer Übernahme dort waren, „denn die verstehen die Marke sowieso am besten“. Autonomie statt Gängelung Die Internationalisierungs-Strategie werde auch künftig am lokalen Interbrew-Konzept nichts ändern, versichert Maes. 90 Prozent des Bieres, das weltweit getrunken wird, ist lokales Bier. Die bekannten Marken machen nur zehn Prozent aus. Wer das lokale Bier vernachlässige, grabe also am eigenen Fundament. Um den Konzernbereich in Bremen besser kennen zu lernen, richtete der neue Eigner allerdings Projektgruppen ein, in die auch Kollegen aus Belgien entsandt wurden. 21 Teams, erzählt Beck-Chef Ammer, hätten sie gebildet – eine Task Force zur Bestandsaufnahme, „um herauszufinden, was wir noch besser machen können“. So wurden Einkauf, Marketing, Finanzen, Technik, Verkauf und Vertrieb durchforstet, aber, und das hält Ammer für das Wichtigste, mit dem Grundgefühl der Bremer: „Wir werden nicht gestaltet, sondern wir gestalten uns selbst.“ Natürlich war Ammer zunächst besorgt, dass die Traditionsmarke Schaden nehmen könnte. Ein Berliner Student hatte auf einer eilig eingerichteten Website, www.rettet-becks.de, bereits eine Unterschriftenkampagne gestartet, „um den „Wer sich wehrt, wird nicht gekauft. Feindliche Übernahmen kommen für uns nicht in Frage.“ Interbrew-Unternehmenssprecher Corneel Maes guten Qualitätsstandard des Bieres zu erhalten“. Aber Ammer fürchtete noch mehr: „Dass nach der Übernahme vielleicht so ein übereifriger Neuling für die Marke verantwortlich gemacht werden würde.“ Einer, der sagen könnte: Och, Segelschiffe sind out, lass uns doch mal was mit Skysurfing machen. Beck’s sei ja nicht zuletzt deshalb so erfolgreich, weil man seit fast 20 Jahren an der Segelschiff-Kampagne festgehalten habe. Dass Interbrew-Chef Powell problemlos Ammers Vorschlag akzeptierte, den Marketingmanager Andreas Hilger in die Leuvener Zentrale zu holen, wertete er als positives Zeichen. Mit dessen Ernennung zum Global Brand Director Beck’s und Ammers eigener Berufung ins Operating Committee von Interbrew waren schließlich die letzten Zweifel ausgeräumt. Der neue Eigentümer würde die Marke Beck’s nicht tangieren. Als Marketingdirektor in Bremen verantwortete Hilger früher eine Abteilung mit 20 Mitarbeitern, in der belgischen Zentrale leitet er die Marken-Geschicke mit zwei Kollegen. Sie achten darauf, dass die Marke nicht zerfleddert, erklären den einzelnen Ländern, was Beck’s im Kern ausmacht, laden die Mitarbeiter aus dem Ausland zum Werksbesuch nach Bremen ein und versuchen, sie „grün einzutauchen“. Weil Hilger davon überzeugt ist, dass die Mitarbeiter erst dann eine Beziehung zu Beck’s aufbauen, wenn sie die Brauerei besichtigt, mit dem Braumeister gesprochen und den Begriff Reinheitsgebot kennen gelernt haben. Interbrew-Chef Hugo Powell hält derweil schon wieder nach neuen Marken Ausschau. Die Konsolidierungsphase auf dem deutschen Markt, sagt er, habe nämlich gerade erst begonnen. Das klingt nur wie eine Drohung: Wer sich wehrt, werde nicht gekauft, lässt sein Sprecher Maes ausrichten, „feindliche Übernahmen kommen für uns nicht in Frage“. Einen Dämpfer gibt es aber auch für die eine oder andere unter den knapp 1300 deutschen Brauereien, die vielleicht ganz froh wäre, eine ähnlich gute Geschichte wie Beck’s zu erleben. „Wir rechnen sehr genau, ob sich eine Investition rechnet.“ Mit einem so spektakulären Deal wie im Fall der Bremer sollte lieber keiner kalkulieren. Denn Beck’s, das wusste man in Belgien von Anfang an, ist eine ganz besondere Marke. Ins Grün eintauchen: Seit der Übernahme durch Interbrew ist das Bremer Werksgelände von Beck & Co häufig besucht. Vor Ort sollen die neuen Kollegen die Traditionsmarke kennen lernen. Margarine vs. Butter Text: Christian Litz McK Wissen 03 Seiten: 112.113 Frieden an der Fettfront Butter- oder Margarine-Typ? Jahrzehntelang wurden um die Fettfrage erbitterte Gefechte geführt. Heutzutage haben die Vertreter beider Lager gelernt, miteinander zu leben. Oder? 18 Margarine vs. Butter Text: Christian Litz McK Wissen 03 „Ein voll segmentierter Markt: genusstaugliche Fettstoffe tierischer oder pflanzlicher Herkunft. Unentbehrlich auf deutschen Stullen.“ Seiten: 114.115 Der erste Eindruck: handfester Butter-Typ. Rüdiger Ziegler, Pressesprecher der Unilever Deutschland GmbH, der mit Inbrunst sagt, „wir sind die Fettschmiede der Welt“, hat die Ärmel seines blauen Hemdes aufgeknöpft und hochgeschoben, den Krawattenknoten weit gelockert. Er wirkt, obwohl er schlank ist, bullig. Der Mann ist zehn Jahre Radrennen gefahren. Wirkt nicht wie ein Margarine-Konsument. Jedenfalls ist so das Klischee: Margarine ist soft, vor allem Frauen kaufen sie, und die essen sie auch. Margarine-Intensivkäufer wurden oft befragt und viel erforscht. Heraus kam unter anderem: 94,5 Prozent von ihnen sind Frauen, 14,4 Prozent haben Abitur oder studiert. Rund 80 Prozent sind zwischen 30 und 50 Jahre alt. Sie zeigen große Affinität zu RTL und Sat.1, ihre liebsten Sendungen sind Arztserien. Im 18. Stock des Unilever-Hauses, in Pieter Notas Büro. Er ist Holländer und der Geschäftsführer Marketing für Margarine „und für noch ein paar Produkte“ bei der Unilever Bestfoods Deutschland GmbH in Hamburg. Zuvor war er für Margarine des Konzerns in Polen zuständig, davor in England und in seinem Heimatland Holland. In diesem Text wird sehr oft das Wort Margarine auftauchen, Synonyme wie Kunstbutter oder Ersatzbutter hören Nota und Ziegler nicht gern, denn die setzen Margarine herab. Was an der Vergangenheit liegt. Früher war Margarine eben nur Ersatz für „gute Butter“. Aber das sei schon lange vorbei. Ganz lange, sagt Nota. Holland und Margarine gehören fast so eng zusammen wie Holland und deutsches Fernsehen. Die Nachbarn am Meer haben früh mit der Produktion angefangen, immer viel hergestellt und viel verkauft, ihre Butter nach England, ihre Margarine nach Deutschland, Reste in die ganze Welt. Das Margarinegeschäft ist etwas für große Konzerne. In den USA hatte beispielsweise Procter & Gamble lange die Patentrechte zur Fetthärtung. Der größte Margarinehersteller aber ist und war schon immer Unilever. „Sie kennen die Unilever-Historie?“, fragt Nota. Im Herbst 1927 taten sich etliche Margarinehersteller zur Margarine-Union zusammen und konkurrierten in Europa nur noch mit Lever Brothers Ltd. 1929 wurden Union und Lever zu Unilever. Härten, umestern, absättigen Margarine ist Industrie, und zwar richtig. Schon die Definitionen zeigen das. In dem Buch „Margarine. Die Karriere der Kunstbutter“ von Birgit Pelzer und Reinhold Reith heißt es: „Margarine ist heute ein industriell erzeugtes Produkt aus den verschiedensten Zutaten tierischer und pflanzlicher Herkunft, die chemisch durch Härten und Umestern verändert und mit Zusatzstoffen wie Emulgatoren, Farbstoffen, Antioxidantien, Säuerungsmitteln und Vitaminen versetzt werden.“ Oder, um es richtig seifenähnlich zu sagen: „Margarine ist ein Wasser-in-Öl-Gemisch (Emulsion).“ Es gibt ein Margarine-Gesetz, das regelt, was in die Margarine darf. Die erste Fassung stammt aus dem Jahr 1897 und war damals so etwas wie der Versuch der Butter-Lobby, die Margarinehersteller klein zu halten. 1893 brach der so genannte Berliner Butterkrieg aus. Die hinterpommerschen Molkereigenossenschaften hatten losgeschlagen und Butteruntersuchungen gestartet. Die Margarine sei schuld an Butterfälschungen. Die Industrie sei ein „Schädling des Molkereiwesens“. Zuvor war der Erfolg der Margarine stetig gewachsen, weil die Hersteller auf pflanzliche Basisprodukte gesetzt und damit den Geschmack der Zeit getroffen hatten. Die so genannte Lebensreformbewegung propagierte eine ursprüngliche, einfache und frugale Ernährung, Vegetarismus kam auf. Die Lebensreformer warnten, dass „die gefährliche Kuhbutter“ Tuberkulose und andere Krankheiten übertrage. Die Butter-Lobby schlug mit Gegenattacken zurück. Was in anderen Ländern auch sehr erfolgreich war. Kanada verbot Margarine bis nach dem Zweiten Weltkrieg völlig. In einigen US-Bundesstaaten gab es Regelungen, die an die Prohibition erinnern. Es gab sogar so etwas wie Margarineschmuggel in den USA. In der Schweiz und in Norwegen galt Margarine als „Kuli-Fett“ oder „Neger-Fett“. 1985 gab es eine Neufassung des Margarinegesetzes: „Margarine im Sinne dieses Gesetzes sind die durch Emulgieren aus genusstauglichen Fettstoffen hergestellten Zubereitungen, deren Gesamtfettgehalt mindestens 80 Prozent des Gewichts beträgt. Der Anteil an Milchfett und Milcheiweiß darf ein Prozent des Gewichts nicht übersteigen.“ Fetthärtung, also Chemie, spielt eine große Rolle, und der Vorgang lässt sich genau steuern. Durch die Wahl geeigneter Reaktionsbedingungen kann man die gewünschten Anteile von gesättigten, einfach und mehrfach gesättigten Fettsäuren erreichen. Neben der Schmelzpunkterhöhung verbessert man auch die Haltbarkeit. Für diese Erkenntnis gab es den Nobelpreis. 1912 bekam ihn der Chemiker Paul Sabatier, der 15 Jahre zuvor beschrieben hatte, wie man die Doppelbindungen ungesättigter Kohlenwasser- Margarine vs. Butter Text: Christian Litz stoffe absättigen konnte, indem man „organische Verbindungen destilliert und die Dämpfe in Gegenwart eines reduzierten Metalls, Platin, Nickel oder Kupfer, mit Wasserstoff“ anreichert. Auch Nota ist auf den ersten Blick kein Margarine-Typ. Doch er macht wie Ziegler mit viel Überzeugung in der Stimme klar: Margarine! Und nichts anderes! Das ist natürlich berufsbedingt, aber beide können das so glaubhaft vortragen, dass es nichts zu zweifeln gibt an ihrem Margarinekonsum. Er gelte in Fachkreisen als fanatischer Kämpfer für Margarine, rühmt sich Ziegler: „Ich habe immer Sonnenblumenmargarine gegessen, Sonnenblumen gefallen mir einfach.“ Nota: „Ich esse nur Becel, schon immer, schon meine Eltern.“ Ziegler unterbricht den einige Jahre jüngeren Nota: „Aber du bist eigentlich ein Lifestyle-Typ.“ Lifestyle, das hatten sie schon erklärt, bedeutet Lätta. Becel bedeutet Gesundheit. Ein werbeintensives Business Zur besseren Übersicht jetzt mal eine Aufzählung der Unilever-Margarinen. Da ist Rama, die gute, alte, der „moderne Klassiker“, Rama, die „die Qualitätsführerschaft für sich claimt“. Lätta, „die Lifestyle-Marke“, wobei, erzählt Rüdiger Ziegler, viele Leute Lätta kaufen, „die älter werden, aber sich noch gern in der Modernität wiederfinden, Lätta hat diesen Porsche-Effekt“. Lätta stehe für Singles. Allein die TV-Werbung: Eine schöne Frau wacht in einem großen Bett auf, mit einem schönen Mann. Sie hatten schönen Sex. Halt, was ist das? Noch ein Mann. Sie hatten Sex. Zu dritt. Auch schön. Die Frau steht danach auf, schreitet, nein, sie schwebt zum Kühlschrank, strahlt nackt in göttlichem McK Wissen 03 Licht, holt einen Becher Margarine namens Lätta raus. Hält sich den an die Wange. Lächelt. Das ist Lifestyle. Die beiden Margarine-Fachleute sprechen viel über „zentrale Marken“, „Marktsegmentierung“, „Positionierung“, „Product Range“ und „Marktführerschaft“. Ihre Wortwahl zeigt: Das MargarineBusiness ist ein werbeintensives. War es schon immer. Ende des 19., Anfang des 20. Jahrhunderts war Margarine der Motor der Werbebranche und in der Weimarer Republik noch einmal. Ziegler steht auf und holt eine Broschüre. Nota klopft auf das Buch vor sich auf dem Konferenztisch. „Die Karriere der Kunstbutter, Margarine“, lesen Sie das, sagt er, da steht alles drin. Und da ist Ziegler auch schon wieder zurück und legt das blaue Heft auf den Tisch: „Die Rama-Story. Die 75-jährige Erfolgsgeschichte Deutschlands beliebter Familien-Margarine“. Er will es wiederhaben, denn es ist eine Rarität, eine Darstellung der Rama-Werbung, seit es sie gibt. Margarine brauchte immer viel Werbung, was auch daran lag, dass sie lange Zeit nur ein Ersatz, die Butter des armen Mannes war, also Imageprobleme hatte. Bis kurz vor der Jahrhundertwende wurde Margarine gern genommen, um Butter heimlich zu strecken. Und gepfuscht wurde auch noch bei der Produktion. 1910 erkrankten nach dem Genuss der von der Altonaer Margarinewerke Mohr & Co. hergestellten Margarinesorte Backa 200 Personen, vier starben an den Folgen der Vergiftung. Schauergeschichten, meist wohl Wandersagen, über die Margarine-Industrie machten in den nächsten Jahren immer wieder die Runde. Außerdem galt, wer wohlhabend sein wollte, musste Butter essen. Das hat sich gehalten bis heute, Seiten: 116.117 trotz der Werbeschlacht. „Aus Angst vor Verarmung: Unternehmer tötete seine Ehefrau“, stand im März 2002 im Berliner Tagesspiegel. „Es geht um den Vorwurf der Tötung auf Verlangen. Der Textilgroßhändler soll seine drei Jahre jüngere Ehefrau auf ihren Wunsch hin getötet haben. Als es seiner Firma nicht mehr gut ging, habe sie den Lebensmut verloren. ‚Sie konnte sich nicht vorstellen, in kleineren Verhältnissen zu leben‘, sagte Bernhard L. den Richtern. Hannelore L. soll gesagt haben: ‚Wer einmal Butter gegessen hat, der isst nie wieder Margarine.‘“ Zauberwort Segmentierung Weiter mit den anderen Unilever-Margarinesorten, das Thema ist schließlich ernst. Und dreht sich weiß Gott nicht nur um Vielfalt. Markenführung meint nicht nur Margarine für Jung und Alt, Männer oder Frauen. Moderne MargarineManager müssen auch nach Einstellungen oder Lebensstilen segmentieren. Also gibt es Bertolli, zurzeit ein Stürmer am Margarinemarkt, mit Olivenöl drin, einem Hauch von Mittelmeerdiät und Feinschmeckertum. Sanella natürlich, auch so ein Klassiker. Becel, die gesunde. „Ja, ich bin gesundheitsbewusst“, sagt Nichtraucher Nota. Ziegler ist natürlich auch Nichtraucher. Er sagt voll Stolz: „Wir haben den Markt erfolgreich segmentiert.“ Und zählt weitere Produkte auf. Unilever hat noch Brotaufstriche wie Flora Soft oder Brunch. Nota, als Holländer, erklärt noch, dass Rama in Deutschland identisch ist mit Blueband in Holland. „Wird in einer Fabrik gemacht, heißt Rama in Deutschland und Blueband in Holland.“ In Vlaandingen, nahe Rotterdam, sagt Nota, arbeiten mehr als tausend Leute in den Literatur: Birgit Pelzer/Reinhold Reith: Margarine. Die Karriere der Kunstbutter. Verlag Klaus Wagenbach, Berlin, 2001; 192 Seiten; 24,50 Euro Laboren von Unilever und forschen vor allem für die Kunstbutter. Kunstbutter? Das Wort mögen sie beide überhaupt nicht. „Von Kunstbutter zu Fett nach Maß, zu Lifestyle“, beschreibt Ziegler den Wandel. Die Zeiten, in denen Butter und Margarine konkurrierten, seien vorbei. „Schon lange.“ Es gebe noch weitere Labore des Konzerns, in Indien, in England, in den USA, ergänzt Nota. Der Markt habe sich stabilisiert, „Wertschöpfung“ erreiche man „nur noch mit Innovationen“. Unilever sei mit Becel pro-activ der einzige Anbieter von wirklichem Functional Food in Europa. „Becel pro-activ senkt den Cholesterinspiegel“, steht in einem Becel-Prospekt. Cholesterin ist ein Kohlenwasserstoff, der Verbindungen mit Fetteiweißen eingehen kann und so für Ablagerungen an den Wänden der menschlichen Blutbahnen sorgt. Die Folge sind Kreislaufprobleme bis hin zum Infarkt. Cholesterin war das Zauberwort, mit dem die Margarinehersteller in den siebziger und achtziger Jahren ihr Pflanzenfett verkaufen konnten, als sie noch gegen die Butter antreten mussten. Auch heute ist Cholesterin noch ihr Stichwort, da legen sie los. Ziegler setzt einen traurigen Blick auf und klagt: „In diesem Land gibt es keine Vorsorge mehr. Prävention kann sich dieses Land nicht mehr leisten. Menschen mit CholesterinProblemen, in Deutschland sind das schon sehr viele …“ Die ganze Arie. Inklusive ein paar Seitenhiebe auf die gute alte Butter. Nota erklärt, dass es „nur in Deutschland diese Emotionalität beim Thema Butter“ gebe. Ziegler macht: „Die gute Butter, pfffffft.“ Waren das Zeiten früher! „Wenn es Butterberge gibt, wird doch alles versucht, das Konkurrenzprodukt in die Pfanne zu hauen.“ Er macht noch mal „pfffft“ und sagt: „Oder denken Sie an Weihnachtsbutter, so ein Schwachsinn!“ Auf Nachfrage sagt er noch mal, aber nein, man kämpfe nicht gegen Butter. Der Markt sei endgültig aufgeteilt, der ButterMargarine-Krieg was Historisches. Und hackt gleich wieder los: „Butter ist wie der Ottomotor, hat sich nie verändert.“ Ganz anders Margarine, die habe einen Weg hinter sich von der Kunstbutter zum Fett nach Maß samt Lifestyle. „Rama ist ein Schrittmacher der Technologie.“ Nota klopft mit der flachen Hand auf das Buch. In dem steht, wie mehr als hundert Jahre Margarinehersteller und das Butter produzierende Agrargewerbe kämpften und keilten, mit harten Bandagen, mit Hufeisen in den Handschuhen. Sanne und Ella, die vorbildlichen Hausfrauen Dort steht auch der Name Mège Mouriès. Das ist der Chemiker, der die Margarine erfand. Napoleon III. von Frankreich hatte 1866 einen Preis für die Entwicklung eines butterähnlichen Speisefetts ausgeschrieben. Es sollte billig und haltbar sein, ideal für die Armee, die Seestreitkräfte, die Armen. Chemiker Mouriès gewann, sicherte sich das Patent. Nur: In Frankreich wurde Margarine nie ein Erfolg. Sonst aber ging es flott voran. Überall in Europa, vor allem in Holland, Österreich und Deutschland, entstanden Fabriken. Margarine war von entscheidender Bedeutung für die Industrialisierung, Stichwort Vesperbrot oder Klappstulle. Hatte aber immer dieses Für-Arme-Problem. 1912 lief der erste Werbefilm für Margarine in den Kinos. 58 Millionen Deutsche sollen ihn gesehen haben. Sanella ist seitdem ein Begriff im Land. Heftig getrommelt wurde auch für Rahma, ab Mitte August 1924. „Die minutiös geplante Werbekampagne stellte jede bis dahin lan- cierte Werbung in den Schatten. Rahma war ein großer Erfolg. Aber: Der Konsonant h musste auf Druck der Milchwirtschaft entfernt werden, damit Rahma nicht an Rahm erinnert“, erzählen Birgit Pelzer und Reinhold Reith in ihrer Margarine-Bibel. Die Werbung zielte inzwischen auf das Bürgertum. Erstmals wurde ein Garantiedatum aufgedruckt. Schrittmacher war später noch einmal Sanella, „die Feine, preiswert wie keine“. Auch für sie wurde mit allen Mitteln geworben: „Der SanellaFilm, ein Ufa-Tonfilm mit dem Titel ,Fortschritt‘, lief nicht nur im Kino, sondern wurde auch in einem Film-Vorführbus gezeigt“; schreiben Pelzer und Reith. „Der dazugehörige Schlager ging als ,Sanella-Ruf‘ durch den Äther, und die beiden ,vorbildlichen deutschen Hausfrauen Sanne und Ella‘ plauderten ab März 1932 jeden Freitagvormittag im Radio: ,Sie verraten praktische Winke, Rezepte für zeitgemäßes Wirtschaften, kurze Dinge, die jede tüchtige Hausfrau gerne noch dazulernt‘, und forderten die Hausfrauen zum Bestellen des Sanella-Kochbuches auf. 1932 soll ,diese wundervolle Margarine‘ bereits zwei Millionen Haushalte erobert haben. Unterstützt wurde der Siegeszug durch Sammelbilder von Idolen des Sports sowie ein dazugehöriges Handbuch des Sports und ein Preisausschreiben.“ Ziegler betont noch mal beim Verabschieden im Gang vor den Fahrstühlen – das Unilever-Haus, die Margarinezentrale, hat sechs große –, dass das Verhältnis zur Butter entspannt sei. Zum Abschied sagt er noch: „Margarine ist gesünder.“ Er fragt nicht: „Essen Sie eigentlich Margarine?“, denn er geht einfach davon aus. „Alles andere wäre nicht klug.“ Meinung 19 Text: Heribert Meffert McK Wissen 03 Seiten: 118.119 Eine Frage der Zeit Professor Heribert Meffert übernahm im Oktober 2002 den Vorsitz des Präsidiums der Bertelsmann Stiftung. Seinen Ruf als Marketingpapst begründete der Wissenschaftler 1969, als er an der Universität Münster das erste Institut für Marketing an einer deutschen Hochschule aufbaute. Mit einer Reihe von Lehr- und Beratungsaufträgen sowie hunderten wissenschaftlichen Publikationen erwarb sich Meffert, der mehreren Aufsichtsräten und Beiräten angehört, zahlreiche Ehrungen und Ehrendoktorwürden. Jugendliche im Jahr 2003: Mit einer Dose Coke in der Hand stehen sie Schlange für den neuesten Harry-Potter-Film, tragen Levi’s-Jeans, Calvin-Klein-Shirts, Jacken von Tommy Hilfiger, Turnschuhe von Adidas. Vertreiben sich die Zeit mit Rap aus dem MP3-Player von Sony oder dem Versenden von Nachrichten über ihr schickes Nokia-Handy. Und sprechen amerikanisch … oder japanisch … oder russisch … oder … Für die Marketingmanager vieler Unternehmen ist das seit Jahren die Wunschvorstellung: eine Welt, in der sich Verbraucher hinsichtlich Geschmack und Gewohnheit ähnlich sind. Schon 1983 prophezeite Theodore Levitt in seinem Aufsatz „The Globalization of Markets“ die Notwendigkeit weltweit vereinheitlichter Marketingaktivitäten. Seine damalige These: Die Weltmärkte werden sich zunehmend ähnlicher, und das wird sich auch in einer Angleichung des globalen Verbraucherverhaltens ausdrücken. Levitts Idee einer zunehmenden Nachfragekonvergenz folgten schon Mitte der achtziger Jahre zahlreiche Unternehmen. Sie erkannten die beschriebenen Potenziale und positionierten ihre Brands neu. Weltmarken wurden geboren. Ein Blick in die jährlichen Reports der 100 stärksten Marken scheint den Erfolg dieses „globalen Markenaufbaus“ zu bestätigen. Seit Jahren nehmen weltweit präsente Marken wie Coca-Cola, Nokia oder Marlboro in den Rankings die vorderen Plätze ein. Erfolgreiche Markenführung wird also offensichtlich ganz wesentlich von Internationalisierung getrieben. Die Strategie ist verständlich. Aus Unternehmenssicht geht der Aufbau globaler Marken mit zahlreichen Effektivitäts- und Effizienzvorteilen einher. So kann – eine weltweit einheitliche Produktqualität vorausgesetzt – ein positives Image auf andere Produkte desselben Herstellers ausstrahlen und somit helfen, Markteintrittsbarrieren zu umgehen. Durch einen weltweit standardisierten Auftritt sowie durch die Umsetzung von Lern- und Erfahrungs-Effekten entstehen zudem erhebliche Kostenvorteile. Wie aber funktioniert Global Branding? Was sind die Erfolgsvoraussetzungen des globalen Marken-Aufbaus, und ab wann sind Marken eigentlich global? Tops und Flops globaler Markenführung Die Strategie von Red Bull kann hier als nahezu idealtypisch gelten. Die Erfolgsgeschichte des Unternehmens begann vor 15 Jahren mit dem Vertrieb des Energy Drinks in seiner Heimat Österreich. Mittlerweile gilt Red Bull mit einer Präsenz in mehr als 50 Ländern als Global Brand. Das Produkt wird weltweit in einer einzigen Geschmacksrichtung und nur in 0,25-LiterDosen mit einheitlichem Design verkauft – und alle Gebinde werden bis heute ausschließlich in Vorarlberg abgefüllt. Die konsequente globale Ausrichtung schlägt sich in beeindruckenden Zahlen nieder: Wurden im Jahr 1987 noch eine Million Dosen verkauft, erwartet das Unternehmen für 2002 einen weltweiten Absatz von 1,5 Milliarden Dosen. In Deutschland hat der Konzern im Markt für Energy Drinks einen Marktanteil von 76 Prozent. Und wenig ernst zu nehmende Konkurrenz: Mehr als 170 so genannte „Me-too“-Produkte waren dem Vorreiter auf der Spur, die Mehrzahl ist wieder vom Markt verschwunden. Ein schöner Erfolg – und ein Beleg für die Frage nach den Erfolgsvoraussetzungen des Global Branding. Die Antwort ist nämlich denkbar trivial: Die Führung einer globalen Marke unterliegt denselben – oft einfachen – Anforderungen, die grundsätzlich an eine erfolgreiche Markenführung zu formulieren sind. Ausgehend von einem klaren Verständnis der angesprochenen Zielgruppen, braucht eine Marke ein widerspruchsfreies Leistungsversprechen, das über sämtliche Marketing-Instrumente konsistent umzusetzen ist. Denn jedes einzelne Instrument – egal, ob Preis, Produktgestaltung, Qualität oder Kommunikation – wirkt sich auf die Markenwahrnehmung des potenziellen Kunden aus. Die Führung einer globalen Marke folgt dem gleichen Prinzip und erfordert demnach die (möglichst vollständige) Standardisierung aller Marketing-Instrumente über sämtliche Ländermärkte hinweg. Denn die globale Marke kann nur erfolgreich sein, wenn die Verbraucher sie immer gleich wahrnehmen, und zwar länderübergreifend. Erstaunlicherweise sind es nicht die zentralen Marketing-Instrumente wie Preis oder Produkt, die den globalen Markenaufbau in einzelnen Ländern erschweren. Es sind viel häufiger die vermeintlichen Kleinigkeiten wie etwa der Markenname selbst, die den Weg zum neuen Kunden versperren. So blieb etwa die Einführung des Limonadengetränks Seven Up in China erfolglos, weil der Name dort so viel wie „Tod durch Trinken“ bedeutet. Der Fiat Uno fand in Finnland keinen Zuspruch, weil der Name für Trottel steht, Lada Nova wird im Spanischen mit „funktioniert nicht“ übersetzt, der Austin Metro erinnert die Franzosen eher an eine U-Bahn in Paris. Auch Procter & Gamble musste schon einmal Lehrgeld bezahlen. 1992 führte der Konzern das Spülmittel Fairy erfolgreich in den deutschen Spülmittelmarkt ein. Zu Gunsten von Synergieeffekten in Produktion und Werbung beschloss der Markenartikler Ende der neunziger Jahre, den in den USA etablierten Markennamen Dawn auch nach Deutschland zu transferieren. Der umgekehrte Weg verbot sich: Im Amerikanischen steht Fairy für das Wort „Tunte“. Der vermeintlich bessere Weg erwies sich jedoch auch als Sackgasse. Dem Namenswechsel folgten drastische Marktanteilsverluste. Dawn stieß bei den deutschen Verbrauchern offenkundig auf geringe Akzeptanz. 2002 wurde dem Spülmittel in Deutschland deshalb sein alter Name wiedergegeben. Ein teurer Irrtum – und eine sichtbare Abkehr von der globalen Markenstrategie. Der weltweite Einheitskonsument ist ein Marketing-Traum Was also bleibt als wesentliche Erkenntnis für die (globale) Markenführung? Die viel zitierten Global Brands in ihrer Reinform existieren höchst selten, der weltweite Einheitskonsument ist vor allem ein Marketing-Traum. Auch die Musterbeispiele globaler Marken wie McDonald’s oder Coca-Cola, stets gern als Gegenargument angeführt, schaffen die Reinform nicht. Bewusst: Beide Marken sind gerade deshalb erfolgreich, weil sie lokale Unterschiede zulassen. So gibt McDonald’s seinen regionalen Niederlassungen zwar die Außengestaltung der Restaurants und das Angebot bestimmter Kernprodukte vor, lässt den Regionalmanagern gleichzeitig aber zahlreiche Freiheiten, ihre Spezialangebote auf nationale Gegebenheiten abzustimmen (etwa der „Maharadscha Mac“ in Indien). Pringles präsentiert seine Chips in weltweit einheitlichen Verpackungen, passt den Geschmack jedoch an nationale Vorlieben an. Visa bietet seine Kreditkarte auf allen Kontinenten an, agiert jedoch mit unterschiedlichen Logos, und Coca-Cola schmeckt in einigen Ländern Südeuropas süßer als zu Hause. Ohne Anpassung der Marke an nationale Kundenwünsche geht es nicht Was daraus folgt? Die ständige Diskussion um Pro und Contra des Global Branding greift zu kurz. Angesichts der Frage internationaler Markenführung geht es für ein Unternehmen viel weniger um das „Ob“ als um das „Wie“. Dabei kann eine länderübergreifende Positionierung auf Grundlage eines gemeinsamen Markenkerns sicherlich als Erfolgsfaktor gesehen werden. Letztlich werden jedoch nur die Unternehmen mit ihren Marken erfolgreich sein, die kontinuierlich die Kundenvorlieben überprüfen und ihre Marken an nationale Gegebenheiten anpassen. Der Vorzeigekandidat Red Bull wird sich über kurz oder lang vermutlich auch mit dieser Erkenntnis auseinander setzen müssen. Mit der globalen Markenstrategie in Reinform lässt sich auf Dauer sicher nicht genügend Wachstum generieren. Lokale Anpassungen werden nötig. Und sind vermutlich nur eine Frage der Zeit. Afri-Cola Text: Stefan Scheytt Foto: Premium-Cola McK Wissen 03 Seiten: 120.121 20 Schlechte Zeiten, gute Zeiten? 1968 war Afri-Cola in, 20 Jahre später tot. Jetzt ist die deutsche Brause wieder da und führt ein ungewöhnliches Doppelleben: als Marke mit neuem Rezept – und als No Name mit altem Rezept. Afri-Cola Text: Stefan Scheytt Foto: Afri-Cola Als Afri-Cola mega-hip war, 1968 ff., war ich zu jung. Mein Vater, hätte er mich damit erwischt, hätte gewarnt, dass der Koffeingehalt einen Teenie umpusten könne, und vielleicht hätte er noch vorwurfsvoll gefragt, ob ich ausgerechnet jenes Zeug trinken müsse, an dem sich jetzt all die Hippies berauschten. Als ich schließlich ins rauschberechtigte Alter kam, war Afri-Cola schon auf dem absteigenden Ast. Ich wusste überhaupt nicht, dass es sie noch gab. Jetzt ist Afri wieder in – und ich bin weit jenseits der Kernzielgruppe. Vor mir eine Batterie Afri-Cola-Flaschen, wie sich das gehört für ein Gespräch mit Afri-Leuten in der Afri-Zentrale. Der erste Afri-Schluck meines Lebens: ganz okay. Noch weiß ich nicht, dass es nicht jenes Afri ist, das mir mein Vater verboten hätte. Die Afri-Leute sind auch ganz okay, sehr unkompliziert, sehr redselig. Noch weiß ich nicht, dass sie in den Augen eines anderen Afri-Experten Leute sind, gegen die man jetzt „wohl andere Saiten aufziehen muss“, weil sie Afri angeblich zu einer „Mogelpackung“ gemacht haben, weil sie es „verraten“. „Wir hatten auch schon Äxte und alles, was man so braucht“, schreibt wütend dieser andere Afri-Experte auf seiner Website, „wir haben uns dann aber gemäßigt. Wenn nicht mit der Mineralbrunnen AG, dann eben ohne …“ Die Mineralbrunnen Überkingen-Teinach AG, kurz MinAG, mit Sitz in Bad Überkingen am Rand der Schwäbischen Alb, Konzernumsatz 168 Millionen Euro im Jahr 2001, produziert Mineralwasser, Heilwasser und Süßgetränke – allesamt Märkte, die auf hohem Niveau stagnieren, wie es im Geschäftsbericht 2001 heißt. Um 4,9 Prozent ist der Konzernabsatz im Vergleich zum Vorjahr gefallen, doch Jammern gilt nicht bei der MinAG. Mit einer beispiellosen Investitions- und Marketing-Offensive sei die Saat ausgebracht, „jetzt muss sie keimen“. Und eine der am schnellsten keimenden MinAG-Pflanzen – 31,5 Prozent Absatzplus in 2001 – ist die Afri-Palme. Was erklärt, warum die Afri-Leute hinter der Afri-FlaschenBatterie einen sehr aufgeräumten Eindruck machen. Birgit Eschenbruch, die PR-Frau der MinAG, und Peter Verhoff, freier Markenberater, erst 34, aber „der dienstälteste Afri-Kämpfer überhaupt“, haben eine schöne Geschichte zu erzählen. Die Geschichte vom Niedergang und Comeback einer Marke; die Geschichte eines Produkts, das einmal so präsent war, dass halb Deutschland darüber sprach, und das es 30 Jahre später wieder zu Harald Schmidt und Stefan Raab und zu einem Werbesong schafft, der in die deutschen Charts rutscht; McK Wissen 03 Seiten: 122.123 schließlich die Sympathie heischende Geschichte vom Kampf des Davids Afri gegen den Goliath Coca-Cola. Noch weiß ich nichts vom anderen David, für den die MinAG der Goliath ist. Die Geschichte von Afri-Cola beginnt 1931 in Köln mit Karl Flach. Er ist ein Hemdsärmelaufkrempler und Bauchentscheider, einer, der die Nase im Wind hat und sich seinen Instinkt nicht durch Marktforschung kaputtforschen lässt. Die Firmenlegende will es, dass Flach in den zwanziger Jahren von einer USA-Reise mit der Überzeugung zurückkehrt, dass er auch kann, was die können: Er besorgt sich eine Cola-Rezeptur, kreiert das Logo mit der Palme, schreibt Afri drunter, eine Abkürzung für Afrika, das damals noch extrem für Exotik steht, und lässt die neue Marke international schützen. Das Problem der Distribution löst er ebenfalls nach amerikanischem Muster: Mit kleinen Abfüllbetrieben und Brauereien baut er eines der ersten Franchise-Systeme Deutschlands auf. Sexy-mini-super-flower-pop-up-cola 1945 ist der Marktanteil von Afri-Cola noch ebenso groß wie der von Hauptkonkurrent Coca-Cola, und doch kämpft Afri auf aussichtslosem Posten. Während sich Flach nach dem Krieg mit den Alliierten um AbfüllLizenzen und Rohstoffzuteilung streiten muss, darf Coca-Cola acht neue Getränkefabriken in Deutschland bauen. Aber Flach bleibt am Ball. Kommt 1952 mit Bluna auf den Markt. Expandiert 1954 nach Österreich. Steuert seine Marken mittels rühriger Monatsfibeln, in denen er seine Franchise-Partner bis hin zur korrekten Lackierung ihrer Lkw anleitet. Afri ist – trotz Coca-Cola – Teil des deutschen Wirtschaftswunders. In den Zeichentrick-Werbespots für Afri schlafen Sekretärinnen über ihrer Schreibmaschine ein, sitzen überarbeitete Familienväter gähnend im Auto – bis sie dank der Afri-Koffeinladung fröhlich weiter wirtschaftswundern können: „Überwindet den toten Punkt“. „Man sieht da sehr schön den Zeitgeist“, sagt Peter Verhoff hinter der Afri-Flaschen-Batterie. Ich trinke meine zweite Flasche: auch ganz okay. Der Zeitgeist ändert sich, und Flach, der mittelständische Hemdsärmelaufkrempler im katholischen Köln, greift ihn haarscharf ab. 1968 beauftragt er Charles Wilp, den wildesten Werbefilmer Deutschlands, mit einer neuen Kampagne: „Sexy-mini-super-flower-pop-op-cola. Alles ist in Afri-Cola“. Hinter Glasscheiben, auf denen Eis schlierig nach unten zieht, räkeln sich Hippies, Soldaten, Halbnackte und junge Nonnen im Habit, im Kopf längst Sünderinnen. Dazu abgedrehte psychedelische Musik, ein Krächzen und Kreischen wie im Drogenwahn und Sprüche wie „Verschwenderisch lüsterne Zungen werden befriedigt“. Afri schockt wie später vielleicht nur noch Benettons blutgetränkte Soldatenkleider aus dem Jugoslawienkrieg. Der Bayerische Rundfunk boykottiert den Spot, ein Kardinal schreit öffentlich „Verunglimpfung“. Von da an und bis heute ist die Marke in den Köpfen. Als Verführer. Als Kultgetränk. Als Rauschmittel kurz vor der Legalitätsgrenze: 250 Milligramm Koffein pro Liter. Mehr bietet kein anderer, weil mehr das Lebensmittelgesetz verbietet. Afri bringt Power, die Konkurrenz nur süßes Wasser. Das ist der ewige Mythos. Meine dritte Flasche. Wonach schmeckt sie eigentlich? Nonnen, Affen, Halbstarke: Afri-Werbung im Wandel der Jahrzehnte (von oben nach unten) 1968: Drei Dienerinnen des Herrn lassen sich versuchen. Die Haltung, die Flasche, die Palme Die Marke auf ihrem Zenit. Von da an geht’s langsam bergab. Für große Kampagnen gegen die übermächtigen Gegner aus Übersee fehlt das Geld. Die Franchise-Partner sind immer schwerer zu kontrollieren, es kommt vor, dass Afri in Hamburg anders schmeckt als Afri in München. Zum Markenlogo gehört eine rote Raute – die Farbe der Konkurrenz. Der AfriSlogan heißt: „Die deutsche Alternative“, aber die Deutschen singen immer lauter das süße Lied der süßen Konkurrenz: „Enjoy Coca-Cola“. 1994 tritt Flachs Sohn Alexander, der 1988 die Geschäftsleitung übernommen hat, die Lizenzrechte für Bluna an die Mineralbrunnen AG ab. Und gibt seinem geliebten Afri eine letzte Chance. Noch hat er Kraft zum Kampf, wie Afri im TV-Spot: Eine Flasche pulsiert wie ein Herz – „Genuss auf eigene Gefahr, Warnung vor Afri-Cola“. Ab 1996: Lean Management in Köln. Den Lizenznehmern wird gekündigt, Afri wird nur noch an einem Ort produziert. Der Berliner Werber Hendrick Melle wird verpflichtet, Flach ist einer seiner ersten Kunden überhaupt. Melles Diagnose: Die Marke ist „zerfleddert“, aber mit Differenzierungspotenzial gesegnet: „die Haltung, die Geschichte, die Rezeptur, die Flasche, die Palme“. Sein Konzept: Afri muss wieder Kultcharakter bekommen, an den Mythos anknüpfen. Der Afri-Express, eine kleine, feine Vertriebstruppe, wird geboren. Keine Vertretertypen mit Alukoffer, die ihr Produkt mit Listungsgeld in die Regale der großen Getränkecenter drücken. Die AfriAgenten verstehen sich als Szene-Scouts, die auch schon mal einer Gruppe Raver auf dem Weg zur Loveparade eine Palette in den Bus laden. 1972: Die britische Sängerin Marsha Hunt dreht durch. 1987: Affen amüsieren sich bei der Blind-Verköstigung. 2002: Entspannte Twens lassen die Extremitäten kreisen. Afri-Cola Text: Stefan Scheytt Foto: Britta Max, Stefan Scheytt Im Fiat Cinquecento klappern sie die In-Kneipen der Großstädte ab, auf dem Rücksitz Energizer, bunte Drinks und Afri. Die bunten Drinks und Energizer kommen und gehen, Afri bleibt. Dass es wieder Kult wird, merken die Agenten daran, dass der Leergut-Rücklauf hakt: Die Kundschaft nimmt die Flasche lieber mit nach Hause. Melle textet: „Eine extreme Cola für extreme Leute“ und „Der gute Rausch“. Noch steht auf dem Flaschendeckel: „Für lange Tage und harte Nächte“. Fast wie früher. Neue TV-Spots werden gedreht, auf Kuba, mitten in die große KubaWelle hinein, die nach Wim Wenders’ Film „Buena Vista Social Club“ losbricht. Wackelige Bilder auf Super-8-Film mit Musik aus dem Radio. Sie zeigen die unperfekte, geheimnisvolle Welt von Einzelgängern, keine choreografierten Massenaufmärsche mit großem Chorfinale ums Firmenlogo. Afri zielt auf die Nische, nicht auf Masse. Die Spots laufen auf MTV, und zwar morgens um drei oder sechs, wenn die Raver nach Hause kommen. Ein paar Stunden später laufen bei Afri-Mann Peter Verhoff die E-Mails mit Kommentaren zum Spot auf. „Wir haben ganz früh angefangen, das Internet zu nutzen“, sagt Verhoff, „so haben wir uns eine richtige Community aufgebaut.“ Ein markentechnisches Desaster In der Szene-Gastronomie macht Afri jetzt ordentliche Zahlen, aber für den nächsten Schritt, den Vertrieb im Handel, reicht die Kraft nicht mehr. 1999 tritt Alexander Flach die internationalen Lizenzrechte an die Mineralbrunnen AG ab. Mit ihrem breiten Portfolio und ihrer nationalen Vertriebsstruktur soll sie der „starke Partner“ werden, ohne den Afri zum „Spielball des Handels würde“. Die erste Amtshandlung der MinAG: Sie füllt Afri in die Brunnenflasche, das ist die mit den Pickeln am Hals, in die auch süße Limo und sprudeliges Wasser gekippt werden. Werbemann Hendrick Melle, seit sieben Jahren an Afris Seite, fährt zu den neuen Lizenz-Inhabern ins Schwäbische, er hält die Abfüllung in der Pickelflasche für ein „markentechnisches Desaster“. Dem Vorstandsvorsitzenden sagt er das damals diplomatischer und dringt nicht zu ihm durch. Dass Afri weiter wachsen soll, findet er in Ordnung, aber doch bitte behutsamer. Afri in Pickelflaschen im Supermarkt? Die Wege trennen sich, Jung von Matt übernimmt. Auch die Hamburger Werber probieren den Spagat, eine „breitere Käuferschicht“ zu erreichen, ohne den Kultstatus zu torpe- McK Wissen 03 Seiten: 124.125 dieren. Sie texten: „Habt Euch lieb und werdet durstig“. Auch diese Wege gehen auseinander. 2001 übernimmt die Offenbacher Agentur Die Brut. Sie produziert einen neuen Kino-Spot, Wim Wenders führt Regie. „Die Spots in den Jahren zuvor waren ganz hart, ganz edgy, ganz vorn mit dabei“, sagt Peter Verhoff, „der Spot mit Wenders sollte breiter sein, einen richtigen Aufschlag haben, ein Echo.“ Er arbeitet mit Special-Effects, Unterwasseraufnahmen, einer der modernsten Bildbearbeitungscomputer der Welt kommt zum Einsatz. „Für den Slogan ,Alles ist in Afri-Cola …‘ muss man sich schon etwas einfallen lassen“, begründet Wenders in einem Interview, „ein bisschen reicht da nicht, es muss schon alles sein.“ Vielleicht steckt ja alles in dem Spot – aber in Afri nicht mehr: Nicht lange nach der Übernahme, genaue Angaben unterliegen dem Rezeptgeheimnis, fährt die MinAG den Koffeingehalt drastisch nach unten. Bad Überkingen. Die Afri-Flaschen-Batterie auf dem Tisch ist halb geleert. Peter Verhoff, der lang gediente Afri-Mann: „Das Wichtigste, was man für eine Marke braucht, ist Glaubwürdigkeit. Ohne die kannst du einpacken, und wenn du noch so viel Geld für Kampagnen ausgibst. Die jungen Leute schnallen es, wenn du sie verarschst. Wenn man glaubwürdig sein will, muss man sich glaubwürdig verhalten, credible sein.“ Birgit Eschenbruch, die PR-Frau der MinAG: „Natürlich wollen wir Afri auf breitere Füße stellen und mehr Absatz generieren, deshalb haben wir verschiedene Rezepturänderungen angeboten und die Verbraucher in Tests entscheiden lassen. Die krasseste Veränderung war eben die Reduktion des Koffeingehalts, auch wegen der Kinder, aber Koffein schmeckt man ja nicht, das ist ja kein Geschmacksträger. Wir haben das nicht kommuniziert, aber die Kenner, diese eingeschworene Afri-Gemeinschaft, die merkte schon: Aha, da ist was anders.“ Köln. Meine letzte Afri-Flasche. Wie sie schmeckt, geht im Trubel unter. Peter Verhoff besucht Uli Mücke, 30, Product Manager Pop und Dance bei der Emi Music Germany GmbH & Co. KG. Verhoff verschlingt zwar sämtliche Jugendzeitschriften und Metropolenmagazine von Prinz bis Festival Guide und YAM und Bravo und Blond Magazine. „Aber der wichtigste Partner für eine Marke wie Afri“, sagt Verhoff, „ist die Musikindustrie. Weil die jeden Tag Kontakt mit der Zielgruppe hat.“ In Mückes Büro herrscht flackernde Atmosphäre, nur die Selbstbeherrschung hindert die beiden daran, einfach „yeah“ zu schreien und auf Mückes Merchandising für Brausefreunde: Darunter steckt immer ein cooler Kopf. Birgit Eschenbruch und Peter Verhoff, die Afri-Kämpfer der MinAG in Bad Überkingen: „Koffein ist kein Geschmacksträger“, begründen sie die Veränderung der Rezeptur. Uwe Lübbermann, Hamburger Koffein- und Kotelettenfachkraft: „Wer unsere alte Lieblings-Colamarke aufkauft und heimlich schwachen Inhalt reinfüllt, kriegt es mit uns zu tun“, lässt er auf das Etikett der von ihm produzierten „Premium-Cola“ drucken. Afri-Cola Text: Stefan Scheytt chaotischen Schreibtisch zu trommeln. Weil Afri in den Charts und im Fernsehen ist. Natürlich nicht die Flasche mit dem Schriftzug und der Palme, aber der Afri-Song. Alles ganz unbeabsichtigt, aber dafür jetzt umso aufregender. Zuerst war da, im Juni 2002, der neue TV-Spot mit dem Claim „… und alles wird Afri“. Eine „lässige Afri-Clique groovt durch die triste Wartehalle eines Bahnhofs und infiziert alle mit ihrem Afri-Feeling“. Schlackernde Kniebewegungen, coole Blicke, dazu 30 Sekunden Musik, ein Refrain, ein Jingle, nicht mehr. Doch bei Verhoff laufen wieder E-Mails auf: „Hey, super Spot, von wem ist eigentlich die Musik?“ Bei der 800sten E-Mail denkt Verhoff: „Wenn so viele Leute nach dem Lied fragen, dann sind da draußen mindestens zehn mal so viele, die nur zu faul zum Schreiben sind.“ Also werden mit Hilfe des Plattenlabels Emi aus 30 Sekunden drei Minuten: „Everytime“, ein richtiges Lied. Es findet sich auch die richtige Band: die Flames aus Mannheim, seit Jahren mit Rock ‘n’ Roll in der Region unterwegs. „Kein gecasteter Act“, sagt Mücke, „die Jungs sind seit Ewigkeiten im Proberaum und auf der Bühne, wir brauchen keine vier Flaschen, die mit dem Afri-T-Shirt rumlaufen, das sind Künstler.“ Der Afri-Song ist ihr Durchbruch. Seit Wochen in den Charts, bis hoch auf Rang 13. Bei den Airplay-Charts unter den Top Ten. Seit September steht „Everytime“ in den Regalen der Musikhändler: die Originalversion und drei Remixe, „ein grooviger House“, „ein amtlicher Rock“, „ein spartanischer HipHop“. Und das neue Video zum Song läuft auf Viva und MTV. Emi-Mücke und Afri-Verhoff schauen sich an: „Eine Win-Win-Situation. So was kann man nicht planen.“ Auf der Afri-Internetseite gibt es den Afri-Bildschirmschoner und die AfriWollmütze, die Adventure Bag und den Fischerhut, den Kneipen-Guide, E-Postkarten, SMS-Bilder und den Newsletter mit Trends für Szenetypen. Auch Musikmann Mücke will den Follow-up für die Flames und „Everytime“. Sitzt schon an weiteren Remixen. Jetzt sei natürlich auch die Weihnachtsversion von „Everytime“ angesagt. Er überlegt: „Und könnte nicht ein Zeichentrick-Männchen die schlackernden Kniebewegungen im Video zum neuen Szenetanz machen?“ Wird jetzt wirklich alles Afri? Hamburg. Meine erste Afri. Der Name steht nicht drauf, und es ist auch nicht die geschwungene Flasche mit den Griffmulden. Aber es ist Afri drin. Die alte Afri, die echte Afri. Die Afri, an der die Hippies hinter der Glasscheibe süffelten. Mit 250 Milligramm Koffein. Sagt Uwe Lübbermann, McK Wissen 03 Seiten: 126.127 26, Werbekaufmann bei einer kleinen Hamburger Agentur, im Nebenberuf Cola-Produzent. Sein Schädel ist rasiert, die Koteletten wachsen bis zum Kinn, er trägt schwarze Kleider, skatet, spielt Billard und fährt einen alten Daimler mit fest installierter Kaffeemaschine auf dem ausgeklappten Handschuhfach. So gesehen, könnte Lübbermann problemlos mit der „groovigen Afri-Clique“ im Werbespot mit den Knien wackeln. Was Afri angeht, ist er ein Markengläubiger, wie sich ihn die Marketingleute der MinAG nicht schöner träumen können. Markenjünger nach Feierabend Als er aber 1999 nach einer langen Nacht eine Afri-Flasche zum Wachbleiben trinkt, schläft er fast ein. Sein „Leuchtturm in der Nacht“ hat die Strahlkraft verloren. „Das ist ungefähr so, als ob man einen Mercedes kauft, und dann ist ein Lada-Motor drin – du setzt dich rein, aber es kommt nichts.“ Er fährt zu Flach nach Köln, erfährt von der Rezepturänderung und dass die Adresse jetzt Bad Überkingen heißt, fährt zur MinAG. Man spricht mit ihm, mehrmals sogar, schließlich ist er ja ein Vertreter der Community. Nur ein bisschen überengagiert. Er will, dass Afri wieder Afri wird. Mit dem korrekten Deckelspruch und in der korrekten Flasche. Er will, „dass eine Marke so respektvoll wie ein Mensch behandelt wird“ und die Menschen nicht wie „Konsum-Marionetten“. Er findet, dass auch ein „dicker Konzern“ nicht heimlich ein Rezept ändern darf, weil er sonst „inhaltlichen und kommunikativen Verrat“ begeht. Deshalb gründet er die „Interessengruppe Premium“, die Druck machen soll. Bei einem seiner Besuche in Bad Überkingen trifft Lübbermann – er sieht aus wie immer, ist gekleidet wie immer – einen von ganz oben. Aber der grüßt ihn nicht, und Lübbermann ist überzeugt: „Denen geht’s nur um die Form, nicht um den Inhalt.“ Als die MinAG die Pickelflasche wieder aus dem Verkehr zieht, keimt kurz Hoffnung in ihm, aber dann folgt gleich der nächste Haken: Afri-Light kommt auf den Markt. Lübbermann reicht’s. Und er sagt sich, wie Afri-Erfinder Karl Flach 1931: „Was die können, kann ich auch.“ Er besorgt sich das Originalrezept und einen früheren Abfüller. Nennt seine Brause „Premium-Cola“ und lässt sich den Namen schützen. Die ersten 1000 Flaschen sind nach zwei Wochen ausverkauft. Mittlerweile verkauft er 4000 Flaschen monatlich an zwei Dutzend Hamburger Bars, Clubs und kleine Händler. Unkorrekte, unehrliche Läden lehnt er ab. Das sind für ihn beispielsweise solche, die ihre Mitarbeiter schikanieren oder ihre Kellner mit Umsatzvorgaben pro Tisch unter Druck setzen. Lübbermanns Feierabend-Cola-Firma beschäftigt ein paar freiwillige Markenjünger und wirft noch keinen Gewinn ab. Das soll sie aber auch eigentlich gar nicht. Sie soll nur bis zu dem Punkt wachsen, wo die Werte nicht in Gefahr sind. Das Angebot von Jung von Matt/Main, ihm kostenlos kommunikativ zu helfen, hat Lübbermann abgelehnt. Er hat da seine eigenen Ideen. Zum Beispiel die, die Rückseite des Flaschenetiketts mit Sprüchen zu bedrucken, etwa: „Wer einen Störfall im AKW erst nach drei Wochen meldet, hat seine Lizenz verwirkt“ – wenn die Flasche leer getrunken ist, kommt die Wahrheit ans Licht. Wie bei Afri. „In so einer Marke steckt mehr kommunikative Kraft, als die meisten glauben“, sagt Lübbermann. Seine Premium-Cola schmeckt stark, würzig, nicht sehr süß. Danach meint man, Herzklopfen zu haben wie nach sechs Tassen starkem Kaffee. Mir geht es jedenfalls so. Aber vielleicht ist das auch nur der Mythos. McK Wissen 03 Autoren / Consultants Seiten: 128.129 Köpfe 1 2 3 Text 4 5 6 1 René Ammann ist Autor des Kinderbuchs „Frau Holle verlor die Kontrolle“. Im Februar erscheint „Mit Globi im Freien“. Er wohnt in Zürich und besitzt das Victorinox-Modell „Camper“, obschon es ihm seit 20 Jahren nicht mehr in den Sinn gekommen ist, draußen in einem Zelt zu übernachten. 2 Oliver Driesen kam als Redakteur der Woche nach Hamburg, schreibt heute als Autor über Wirtschaftsthemen und wird immer wieder davon überrascht, dabei auf Menschen zu stoßen. Diesmal machte er unverhofft Bekanntschaft mit Thomas A. Edison. 3 Judith-Maria Gillies schreibt als freie Wirtschaftsjournalistin unter anderem für Capital, Welt am Sonntag, Trend und die Financial Times Deutschland. Schwerpunktthemen der Diplom-Kauffrau sind Management und Marken. 4 Ralf Grauel entwickelte 1998 als Herausgeber das Lifestyle-Magazin Park und als Chefredakteur den Jugendtitel Blond Magazine. Er lebt als freier Autor in Berlin, schreibt für brand eins, Allegra, Max und das Süddeutsche Zeitung Magazin. 5 Markus Grill ist die eine Hälfte des Journalistenbüros Grill & Scheytt in Stuttgart. Er volontierte bei der Badischen Zeitung, war als Korrespondent in Straßburg und arbeitet heute als Wirtschaftsjournalist für den Stern. Die Beck’s-Bier-Recherche fand er reizvoll, er schwört aber dennoch weiterhin auf „Wasseralfinger Löwenbräu“, das Bier aus dem Örtchen, aus dem er stammt. 6 Steffan Heuer lebt seit 1994 in New York und schreibt von dort für deutsche und Schweizer Publikationen. Seine Reportagen und Analysen von Silicon Valley bis Wall Street erschienen unter anderem in brand eins, der Weltwoche, im Industry Standard und in der 7 8 9 10 11 12 13 Neuen Zürcher Zeitung. 7 Christian Litz studierte Kommunikationswissenschaft in München und arbeitete danach unter anderem bei der Stuttgarter Zeitung. Seit fast 15 Jahren ist er freier Journalist und schreibt neben brand eins für Merian und Reader’s Digest. 8 Stefan Scheytt, SchmalspurBetriebswirt (Berufsakademie) und zweite Hälfte des Journalistenbüros Grill & Scheytt, schreibt seit 1995 als freier Journalist in Stuttgart für diverse Zeitschriften in Deutschland und der Schweiz. Für sein nächstes Büro-Fest hat er sich fest vorgenommen, eine Runde Premium-Cola – die mit dem alten Afri-Rezept – auszugeben. 9 Rüdiger Schmitz-Normann hat trotz Marketing-Studiums und zwölf Jahren Odyssee durch Zeitungen, Zeitschriften und Fernsehen den Glauben an das Gute nicht verloren. Er lebt und arbeitet als Autor in Köln. 10 Jens Uehlecke lebt als freier Autor in Hamburg und Berlin. Er schreibt unter anderem für brand eins, die Süddeutsche Zeitung, die Tageszeitung, die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung und den Stern. Seine 17 Steckdosen füttert er seit anderthalb Jahren nur noch mit Strom aus Öko-Kraftwerken in Freilandhaltung. 11 Thomas Vašek lebt als freier Autor in Hamburg und schreibt vor allem über Technologie und Wissenschaft – unter anderem für Geo, Die Zeit und die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung. 12 Katrin Wilkens studierte Rhetorik in Tübingen, arbeitet seit 2000 selbstständig und schreibt für Die Zeit, den Spiegel und die Frankfurter Allgemeine Zeitung. Sie lebt und cremt in Hamburg. 13 Harald Willenbrock lebt als freier Autor (Süddeutsche Zeitung Magazin, NZZ-Folio, brand eins) in Hamburg. Consulting 1 1 Fabian Hieronimus ist Associate im Frankfurter Büro von McKinsey & Company und Mitglied der deutschen Marketing Practice. Er studierte Betriebswirtschaftslehre in Mannheim und Berkeley und berät seit 1999 vorwiegend Klienten aus dem Finanzdienstleistungssektor. Zurzeit promoviert er an der Universität Münster. Sein Thema: Markenpersönlichkeit. 2 Ansgar Hölscher ist Marketing Expert bei McKinsey in Hamburg und Mitglied der europäischen Marketing Practice. Bevor er zu McKinsey kam, war er für verschiedene Marktforschungsinstitute tätig. Heute leitet er den Funktionsbereich Customer Insight/Marketing Science und berät branchenübergreifend Klienten in den Bereichen Branding, Marktforschung und Segmentierung. 3 Dr. Jesko Perrey ist Engagement Manager im Düsseldorfer Büro. Nach vier Jahren Forschung und Lehre am Marketing Centrum Münster ist er heute Mitglied der europäischen Marketing Practice von McKinsey. Dort leitet er 2 3 4 5 den Funktionsbereich Branding und Marketing Spend Effectiveness und berät Klienten aus Industrie und Handel zu Marketingstrategien und Markenführung. 4 Hajo Riesenbeck ist Director im Düsseldorfer Büro von McKinsey und einer der Leiter der europäischen Marketing Practice. Schwerpunkte seiner Beratungstätigkeit sind Gesamtstrategien, Produkt-/Marketingstrategien und Organisation sowie die operative Ergebnisverbessung in Industrie und Handel. 5 Dr. Jürgen Schröder ist Principal im Düsseldorfer Büro von McKinsey. Er gehört zur europäischen Leadership Group der Marketing Practice, ist Mitglied des europäischen Konsumgütersektors und Leiter der Packaged Goods Practice in Deutschland. Zu seinen Klienten zählen vor allem Konsumgüter- und Dienstleistungsunternehmen in Europa und Südamerika. McK Wissen 03 Team / Kontakt Impressum Herausgeber Rolf Antrecht, McKinsey & Company Chefredaktion (verantwortlich) Susanne Risch, [email protected] Design Mike Meiré, Creative Director Katja Fössel, Alice Weigel, Art Direction Redaktion Timo Ahrens, Schlussredaktion Detlef Diederichsen, Textredaktion Kristina Haaf, McKinsey Communication Services Renate Hensel, Schlussredaktion Kathrin Lilienthal, Dokumentation Nora Luttmer, Textredaktion Katja Ploch, Dokumentation Victoria Strathon, Dokumentation Michaela Streimelweger, CvD / Organisation Layout & Bildredaktion Britta Max Text René Ammann Oliver Driesen Judith-Maria Gillies Ralf Grauel Markus Grill Steffan Heuer Christian Litz Rüdiger Schmitz-Normann Stefan Scheytt Jens Uehlecke Seiten: 130.131 Thomas Vašek Katrin Wilkens Harald Willenbrock Redaktionsadresse brand eins Wissen GmbH & Co. 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